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1 Videos als Lehrmedium – Ein Segen und ein Fluch

Im Zuge der Entwicklung zahlreicher, auf Videoaufzeichnungen beruhender Massive Open Online Courses (kurz MOOCs) in den vergangenen Jahren erfreuen sich Lehrvideos zunehmender Beliebtheit bei der Vermittlung von Lerninhalten. Das eindrucksvolle Ergebnis von etwa 160’000 eingeschriebenen Teilnehmern im öffentlich angebotenen Online-Kurs über künstliche Intelligenz von Sebastian Thrun Ende 2011 führte zu einer ganzen Reihe von neuen MOOC-Angeboten [He13]. Unter anderem gründeten zwei seiner Kollegen von der Standford University kurz darauf im April 2012 die MOOC-Plattform Coursera [Sc13], die bereits ein Jahr später 3,2 Millionen Nutzer verzeichnete [He13]. Wieder ein Jahr später waren es im April 2014 mit 7 Millionen mehr als doppelt so viele [Co14]. Auch die aktuelle Nutzerzahl von ca. 11,5 Millionen (Stand Februar 2015 [Co]) lässt keinen Einbruch des Wachstums vermuten (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Nutzerzahlen von Coursera

Gleichzeitig existiert mit der Video-Plattform YouTube eine einfache Möglichkeit, eigene Videos mit (nahezu) beliebigen Inhalten zu publizieren. Unzählige Lehrvideos, Tutorials, HowTos, News-Formate u. v. a. m. sind über das Portal, welches nach Google und Facebook auf dem dritten Platz der weltweit am meist besuchten Websites liegt [Sab], kostenlos, ohne Anmeldung und für jedermann frei zugänglich. Mit aktuell 27’384 Jahren Videoinhalt [Li] und weiteren etwa 300 Stunden Material, das pro Minute (!) hochgeladen wird [Sab], kann der Nutzer auf die größte öffentliche Video-Datenbank der Welt zugreifen.

Der YouTube-Channel Khan Academy bspw. verzeichnet aktuell über 4400 Lehrvideos aus den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaft, welche über 500 Millionen Mal aufgerufen wurden [Sac]. Mit mehr als 15 Millionen registrierten Nutzern ist die Khan Academy auch gleichzeitig eine der größten MOOC-Communities [Saa]. Der Gründer Salman Khan glaubt, dass Lehrvideos zukünftig eine entscheidende Rolle in der Bildung einnehmen werden. So können auf Basis auswertbarer Nutzungsdaten einzelner Individuen, bspw. wann sie ein Video pausiert oder wie oft angeschaut haben, wichtige Erkenntnisse über das Verständnis eines Lerngegenstandes erhoben („Learning Analytics“) und zur Anpassung des Lernprozesses („Adaptive Learning“) genutzt werden [Sab]. Während Khan hier Videos eher als begleitenden Kontrollmechanismus zum Aufzeigen von Lernschwächen sieht, nach denen der Lehrende seine Präsenzveranstaltung gezielt ausrichten kann (von Rolf Schulmeister als „statische Lerner-Adaptivität“ bezeichnet [Sc06]), beschreibt dieser Beitrag eine Methode zur Erschließung individueller Nutzereigenschaften während des aktiven Lernprozesses sowie darauf basierende direkte Anpassungen des Lernmaterials zur Laufzeit (von Rolf Schulmeister als „dynamische Lerner-Adaptivität“ bezeichnet [Sc06]). Speziell wird ein Tool vorgestellt, welches die Aufbereitung von Lehrvideos einerseits durch Definieren thematisch zusammenhängender Abschnitte und andererseits durch das Einfügen von Selbsttestaufgaben ermöglicht. Bei letzterem kann der Autor Folgeaktionen festlegen, die in Abhängigkeit der Beantwortung der Fragen durch den Lernenden durchgeführt werden. So kann bspw. an eine beliebige Stelle im Video gesprungen werden, um bereits bekannte Passagen zu überspringen, oder gezielt Inhalte wiederholt werden, die noch nicht (vollständig) verstanden wurden. Ziel ist die Entwicklung einer einfachen Möglichkeit zur adaptiven Aufbereitung von videobasierten Lerninhalten nach behavioristischen Ansätzen, welche auch in anonymisierten Lernumgebungen effektiv genutzt werden können. Daher soll hier eine Abgrenzung zu adaptiven Hypermedia-Systemen [Br98] vorgenommen werden, welche umfangreiche Informationen über einen Nutzer benötigen, um eine Personalisierung des Lernmaterials durchzuführen. Die vorgestellte Lösung soll universell einsetzbar sein und auf komplexe Nutzermodelle, wie sie in adaptiven Hypermedia-Systemen üblich sind, verzichten.

Trotz des beschriebenen Hypes von Lehrvideos - dank der großen Auswahl sowie der einfachen Produktion und Verteilung - bringen sie eine Reihe von Nachteilen bei der Verwendung als Lehrmedium mit sich. So ist es sehr schwierig, die konkreten Inhalte von Videos (automatisiert) zu erfassen, da die Informationen nicht direkt kodiert sind. Hierdurch können Videos weder nach spezifischen Daten wie bspw. Themen oder Zielgruppen durchsucht, noch automatisiert mit anderen Inhalten sinnvoll verknüpft werden. Nur durch vollständiges Betrachten des Videos oder aufwendigem, manuellem Hin- und Herspringen, was beides gegebenenfalls mit ungewollten Wiederholungen von bereits bekanntem bzw. uninteressantem Wissen verbunden ist, können die tatsächlich relevanten Fakten extrahiert werden. Auch das erneute Wiederholen des Lernstoffs ist mit hohem Aufwand verbunden, was die effiziente Nutzung von videobasierten Lernmaterialien einschränkt.

2 Behavioristische Grundlagen adaptiver Lehrvideos

Für die Lösung dieser Probleme sind Verfahren zur regelmäßigen Erhebung des Nutzerwissens notwendig, um auf dieser Basis eine automatische Anpassung der Videoinhalte vorzunehmen. Die Verwendung von Selbsttestaufgaben zum Abfragen von inhaltsspezifischen Informationen liegt nahe. Da Lehrvideos klassischerweise Aufzeichnungen von Vorlesungen beinhalten, in denen textuelle Inhalte von einem Dozenten vorgetragen werden, lässt sich die Problematik mit der von Lehrbüchern oder Unterrichtsstunden vergleichen. Für beides wurden in der Vergangenheit behavioristische Lösungsansätze entwickelt, welche auf eingeschobenen Mechanismen zur Bewertung des aktuellen Lernfortschritts basieren. Wenngleich der Behaviorismus für das didaktische Design moderner Lehr- und Lernszenarien eine untergeordnete Rolle einnimmt (vgl. [Re15]), soll im Folgenden gezeigt werden, wie die Konzepte zur automatisierten Adaptierung unstrukturierter Inhalte genutzt werden kann.

2.1 Programmierte Unterweisung

In der Verhaltenspsychologie werden zwei verschiedene Formen von Verhalten unterschieden: das reaktive und das operative Verhalten. Ersteres wird durch Einflüsse aus der Umwelt ausgelöst und vom vegetativen Nervensystem gesteuert. Beispiele hierfür sind der Augenlid- und Kniesehnenreflex oder auch der Saug- und Greifreflex bei Säuglingen. Mittels klassischer Konditionierung können solche Reiz-Reaktions-Muster antrainiert werden. Ein berühmtes Beispiel sind die „Pawlowschen Hunde“, bei denen bereits beim bloßen Ertönen eines Glockentons, der die Gabe von Futter signalisiert, Speichelfluss zu beobachten war. Dem reaktiven Verhalten gegenüber steht das operative Verhalten, welches nicht durch einen äußeren Reiz, sondern die Person selbst ausgelöst wird und auf die Umwelt einwirkt. Dieses Verhalten wird also vom zentralen Nervensystem gesteuert [Ve] [Ni69].

Auch hier lassen sich Verhaltensweisen antrainieren. Die verwendete Methode nennt sich „instrumentelle Konditionierung“ (auch „operante Konditionierung“). Gemäß des Reiz-Reaktions-Prinzips der behavioristischen Lerntheorie [Wa13] wird hierbei erwünschtes Verhalten des Lernenden durch motivierende Anerkennungen oder Belohnungen verstärkt und falsches Verhalten durch Auslassen dieser Gesten abgeschwächt (Verstärkungstheorie). Potentielle positive Verstärker können bspw. Spielgeld, Zensuren oder schon die bloße Mitteilung der korrekten Beantwortung einer Frage sein [Ni69].

Genau dies - die Verstärkung von gewünschtem operativem Verhalten mittels Belohnung für korrekt beantwortete Fragen - bildet die Basis für die „Programmierte Unterweisung“, einem Grundprinzip, auf dem die entwickelte Lösung fußt. Der Psychologe B. F. Skinner stellte das Konzept 1958 vor. Darin beschrieb er die Vermittlung von Wissen „als streng aufeinander aufbauende Abfolge von kleinen Frage-Antwort-Sequenzen mit sich steigerndem Schwierigkeitsgrad, auf die sofort eine Rückmeldung gegeben wird“ [Ar13]. Wichtig ist, dass der positive Stimulus in Form einer anerkennenden Mitteilung unmittelbar nach korrekter Beantwortung der Frage erfolgt, da mit wachsendem Zeitabstand die belohnende Wirkung des Reizes und damit die Verstärkung des Verhaltens versiebt. Einfache Einstiegsfragen zu Beginn sollen durch Belohnungen für das korrekte Beantworten von Fragen den Lernenden motivieren, sich auch den Rest des Lernprozesses eigenständig zu erarbeiten. Gleichzeitig dienen die regelmäßigen Selbsttestaufgaben zur Steigerung der Aufmerksamkeit und helfen dem Einprägen von Faktenwissen [LW67].

Seiner größten Popularität erfreute sich die Programmierte Unterweisung Ende der 1960’er sowie in den 1970’er Jahren. Damals aufwendig in Form von Textbüchern zu produzieren, verlor das didaktische Konzept zunehmend an Begeisterung Anfang der 1980’er und erlebte einen erneuten Aufschwung in den 1990’er Jahren in Form computerbasierter, integrierter Lernsysteme (Integrated Learning System, ILS), welche die behavioristische Lerntheorie umsetzten [Pr13]. Etwa 20% der amerikanischen Grundschulen hatten zu dieser Zeit ILS als festen Bestandteil in ihrem Curriculum installiert [BH94]. E-Learning-Systeme, die auf der Programmierten Unterweisung basieren, sind weit verbreitet, zum Beispiel:

  • Waterford Early Learning [Wa]: Internetplattform mit über 450 Stunden Material, bestehend aus interaktiven Videos, Büchern und Simulationen aus den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft speziell für Kinder der Vorschule sowie ersten und zweiten Klasse;

  • iversity [iv]: europäische Plattform für MOOC-Angebote verschiedener Hochschulen mit aktuell 55 Kursen [Wi], die vor allem aus Videoinhalten mit voranstehenden, nachfolgenden sowie parallel durchführbaren Quiz bestehen;

  • Capira [Ca]: Online-Sammlung interaktiver Lehrvideos mit integrierten Selbsttestaufgaben von Jörn Loviscach, Professor für Ingenieurmathematik und Technische Informatik an der Fachhochschule Bielefeld [Fa].

2.2 Verzweigte Programme

Etwa zur selben Zeit des Aufkommens der Programmierten Unterweisung stellte Norman Crowder 1959 eine ähnliche Methode vor. Im Gegensatz zu Skinners Ansatz fußt sein Konzept nicht auf psychologischen oder lerntheoretischen Theorien und Beobachtungen. Crowder reduziert das Problem der Wissensvermittlung auf die Kommunikation zwischen dem Entwickler eines Lehrprogramms und dem Lernenden. Zur Feststellung, ob ein Kommunikationsprozess erfolgreich war, wird eine Rückkopplung benötigt sowie die Möglichkeit der Korrektur im Fehlerfall. Auf die Entwicklung von Lehrprogrammen angewandt, bedeutet dies die Verwendung von Auswahlaufgaben, die auf jede falsche Antwort einen spezifischen Kommentar sowie eine definierte Sequenz von Lerneinheiten (als „Frames“ bezeichnet) zum Fortfahren bereithält [Ni08]. Während die Programmierte Unterweisung von Skinner stets durch eine lineare, vom Lehrenden festgelegten, Abfolge des Lehrmaterials gekennzeichnet ist, handelt es sich bei nach Crowder aufbereiteten Lernmaterialien um Verzweigte Programme, deren lernerfolg-orientierter Ablauf vom Nutzer selbst abhängig ist [Hu08]. Mit anderen Worten findet eine dynamische Anpassung des Lerninhalts an den individuellen Nutzer bzw. sein Wissen, welches durch eingeschobene Selbsttestaufgaben abgefragt wird, statt. So können bspw. Lerneinheiten selektiv wiederholt werden, die vom Nutzer bisher nicht (vollständig) verstanden wurden, oder ergänzende Inhalte können verknüpft werden.

3 Unsere Lösung zur Aufbereitung adaptiver Lehrvideos

Die Verzweigten Programme nach Crowder entsprechen der Realisierung eines einfachen adaptiven Lerninhalts, was im weiteren Verlauf als „semi-adaptiv“ bezeichnet wird. Dagegen ist von „adaptiven“ Inhalten die Rede, wenn der Lernpfad nicht nur bei falschen sondern auch bei korrekten Antworten anpassbar ist. So könnten Nutzer durch einem Lerninhalt vorangestellte Fragen das darin vermittelte Wissen durch korrekte Antworten bereits vorab unter Beweis stellen, sodass dieser Abschnitt übersprungen werden kann. Eine Lösung, welche sowohl den Erfolgs- als auch Fehlerfall bei der Neu-Arrangierung der Lerninhalte berücksichtigt, wird im Folgenden als „adaptiv“ bezeichnet.

3.1 Anforderungen

Ausgehend von dieser Definition sowie den beschriebenen Lehr- und Lernkonzepten im vorangegangenen Kapitel werden folgende Anforderungen an eine videobasierte Lösung zur Anfertigung adaptiver Lehrmaterialien erhoben:

  • Integration von Selbsttestaufgaben in Videoinhalte, um diese (implizit) in thematisch zusammenhängende Abschnitte zu unterteilen;

  • Definition antwort-spezifischer Folgeaktionen für Fehler- und Erfolgsfall:

    • gezieltes Wiederholen von Videoabschnitten, um Wissenslücken zu stopfen bzw. Wissen zu verfestigen;

    • gezieltes Überspringen von Videoabschnitten mit bereits bekannten Sachverhalten, um somit eine effektivere Nutzung von Videos zu ermöglichen.

Zusätzlich werden zwei weitere Funktionen definiert, welche zur vollständigen Abbildung der Verzweigten Programme, wie sie beispielsweise in Lehrbüchern oder Unterrichtsstunden eingesetzt werden, notwendig sind:

  • Verknüpfung mit externen Inhalten zur Realisierung ergänzender, vertiefender oder alternativer (nebenläufiger) Lernpfade;

  • video-übergreifende, explizite semantische Auszeichnung von Abschnitten durch Definition von thematisch zusammengehörigen Bereichen unter Angabe von Schlüsselwörtern.

Ersteres entspringt der Tatsache, dass in textuellen Lehrmaterialien oder auch durch die verbale Äußerung eines Lehrenden beliebige Querverweise auf weiterführende Inhalte gegeben werden können. Somit soll auch die zu entwickelnde Lösung die Möglichkeit bieten, Videos mit externen Materialien zu verknüpfen. Der zweite Punkt referenziert ein verwandtes Problem. So können beispielsweise in einem Verzweigten Lehrbuch nach Crowder als Feedback für eine falsch beantwortete Frage nicht nur eine sondern gleich mehrere Buchabschnitte angegeben werden, welche der Nutzer abarbeiten muss, um seine Lerndefizite auszugleichen. Durch die gleichzeitige Verwendung von Querverweisen auf weiterführende Literatur kann dies auch buchübergreifend geschehen. Aus diesem Grund soll auch die Lösung über Mechanismen verfügen, um ansonsten unabhängige Abschnitte aus einem oder mehreren Videos als aufeinanderfolgende Sequenz nach gegebener Antwort wiederzugeben. Die zusätzliche Verknüpfung mit Schlüsselwörtern dient der Abbildung des Stichwortregisters von Lehrbüchern, um Inhalte leichter auffindbar zu gestalten.

Neben diesen elementaren Anforderungen, welche zum Anfertigen adaptiver Lehrvideos notwendig sind, kommen noch individuelle Anforderungen an die technische Realisierung des Autorenwerkzeugs hinzu:

  • Autoren können ihre adaptiven Lehrvideos über eine Webapplikation online erstellen, editieren und teilen bzw. in Webseiten einbetten (ohne Installation von Drittsoftware);

  • sowohl der Editor als auch die erstellten adaptiven Lehrvideos sind auf mobilen Geräten lauffähig und an die Displaygröße angepasst (ohne Installation von Drittsoftware);

  • als Quelle für Lehrvideos können gängige Video-Hosting-Plattformen wie bspw. YouTube genutzt werden (ohne das Ausgangs-Videomaterial zu modifizieren);

  • die erstellten Lehrvideos können durch die Community weiterverarbeitet werden (Editieren, Erstellen eigener Derivate, Einbetten auf eigene Webseite).

3.2 Analyse existierender Tools

Da die zugrundeliegenden behavioristischen Lehrkonzepte in der Vergangenheit vornehmlich in Lehrbüchern Einzug erhielten, sollen neben rein video-basierten Lösungen auch Autorenwerkzeuge vorgestellt werden, welche zur Erstellung von textbasierten Inhalten, gegebenenfalls mit Anreicherung multimedialer Daten wie Bilder, Sounds, Videos, Interaktionsmöglichkeiten u. v. m., genutzt werden.

3.2.1 Textbasierte Ansätze

Hierzu zählen Präsentations-Programme wie Microsoft PowerPoint, OpenOffice Impress oder Apple Keynote. Sie alle dienen den meisten wohl der Erstellung von Folien eines Vortrags oder Referats. Allerdings können die umfangreichen Editiermöglichkeiten, allen voran die interaktiven Verlinkungen zwischen Folien, genutzt werden, um adaptive Lerninhalte zu erstellen. So können Hyperlinks in den Antworten von Selbsttestaufgaben den Lernenden auf jeweils passende Auswertungsfolien verweisen oder zum partiellen Wiederholen bzw. überspringen von Folien führen. Nicht für diesen konkreten Anwendungsfall konzipiert, ist die Erstellung von adaptiven Lerninhalten mit relativ hohem Aufwand verbunden.

Programme, die sich eher dafür eignen, sind Werkzeuge aus dem Bereich E-Assessment und E-Testing. Als Beispiel für diese Kategorie soll hier exemplarisch ONYX Testsuite der Bildungsportal Sachsen GmbH vorgestellt werden. Das Tool ermöglicht die Erstellung, Durchführung und Auswertung von Tests, Prüfungen und Umfragen beliebigen Inhalts. Es werden eine Reihe von Aufgabentypen wie Einfach- und Mehrfach-Auswahl, Hotspot, Reihenfolge, numerische Eingabe, Lückentext u. v. m. unterstützt. Hierbei können individuelle Test-Feedbacks festgelegt werden, die sich dem Nutzer in Abhängigkeit seiner erreichten Endpunktzahl präsentieren [BP].

Einen Schritt weiter, und somit näher an das zugrundeliegende Szenario der Erstellung adaptiver Lerninhalte, gehen die Produkte von Articulate. Mit Hilfe von Articulate Presenter lassen sich PowerPoint-Folien in Online-Kurse umwandeln. In diese lassen sich dann interaktive Quiz (insgesamt 25 verschiedene Fragetypen), welche mit dem Articulate Quizmaker erstellt wurden, integrieren. Dabei unterstützt das Tool auch die Verzweigung des Lernpfades durch individuelle Feedbacks, die in Abhängigkeit der Beantwortung von Selbsttestaufgaben gegeben werden [Ar].

3.2.2 Videobasierte Ansätze

Die als letztes vorgestellten Produkte von Articulate können hervorragend der Erstellung Verzweigter Lehrprogramme mit nutzerabhängiger Anpassung der Inhalte dienen. Nun werden ähnliche Autoren-Tools gesucht, die den gleichen Funktionsumfang für das Lehrmedium Video bieten.

Die Online-Plattform ESL Video offeriert eine Sammlung von kurzen Video-Clips mit integrierten Untertiteln und daneben platzierten Quiz zum selbstständigen Erlernen und Verbessern der Sprache Englisch. Mit Hilfe des Editors auf der Homepage können die Lehrinhalte auf Basis existierender Videos verschiedener Hosting-Plattformen wie bspw. YouTube eigenständig erstellt werden. Hierbei werden ausschließlich Einfachauswahl-Aufgaben ohne antwortspezifische Folgeaktionen unterstützt. Diese sind permanent neben dem Video dargestellt und können zu jeder Zeit ohne Auswirkungen, wie bspw. das Pausieren des Videos oder Springen im Video, beantwortet werden [ES]. Somit bietet diese Lösung keine Möglichkeit, (semi-)adaptive Lerninhalte zu erstellen.

Einen deutlichen Mehrwert in der Aufgabendiversität bietet der Editor der Online-Plattform Capira, welche bereits in Abschnitt 2.1 kurz vorgestellt wurde. Hier werden häufig Lückentexte, Freitexte aber auch Auswahlaufgaben verwendet, in denen zum Beispiel Terme einer mathematischen Gleichung oder Seiten einer geometrischen Figur mit der Maus selektiert werden müssen. In der Regel gibt es eine zuvor festgelegte Zeit zum Beantworten der Frage sowie ein audiovisuelles Feedback, ob die Antwort korrekt ist oder nicht [Ca] [Wo14]. Folgeaktionen können keine definiert werden.

Mit dem Video-Editor Camtasia Studio von TechSmith können beliebige Bildschirminhalte wie zum Beispiel HD-Videos oder PowerPoint-Präsentationen aufgenommen und anschließend umfangreich bearbeitet werden. Zur Lernkontrolle können Quizfragen unterschiedlichen Typs (Multiple-Choice, Lückentexte, Richtig oder Falsch u. v. m.) eingefügt werden, welche dem Autoren Informationen darüber geben, wie viele Fragen korrekt beantwortet wurden. Ein spezifisches Feedback in Form benutzerdefinierter Folgeaktionen fehlt. Der Lernende kann sich lediglich vor Beantwortung der Frage auf Knopfdruck den letzten Videoabschnitt erneut anzeigen lassen [Te].

Mit Hilfe des nicht mehr weiterentwickelten Aufzeichnungswerkzeugs LECTURNITY, welches unter Windows oder MacOS installiert werden muss, kann über eine am Rechner angeschlossene Kamera das Video eines Vortragenden aufgenommen und im Anschluss zu einer interaktiven E-Lecture weiterverarbeitet werden. LECTURNITY ist die einzige der recherchierten Lösungen, welche die geforderte Verzweigung des Lernpfades nach dem beschriebenen Ansatz nach Crowder unterstützt. Es können Selbsttestaufgaben vom Typ Einzel-/Mehrfachauswahl, Drag&Drop und Lückentext an beliebige Zeitpunkte im Video integriert und mit spezifischen Folgeaktionen für Fehler- und Erfolgsfall versehen werden. Ein wahlfreier Sprung innerhalb desselben Videos ist ebenso möglich wie die Verknüpfung mit externen Webinhalten [Le].

Die Internet-Lernumgebung eduCanon, welche zum Erstellen und Teilen von interaktiven Lehrvideos dient, erlaubt als Quelle gängige Hosting-Plattformen wie zum Beispiel YouTube, Vimeo und TeacherTube. Durch Einfügen unterschiedlicher Inhalte kann das Video zu beliebiger Zeit unterbrochen werden, um bspw. weiterführende Webinhalte aufzuzeigen, Selbsttestaufgaben durchzuführen oder einfach eine reflektierte Pause einzulegen. Neben Multiple-Choice-Tests mit antwortspezifischem Feedback sind auch Freitextaufgaben möglich. Jedoch lassen sich keine Folgeaktionen definieren bzw. Abschnitte wiederholen oder überspringen [ed].

3.2.3 Auswertung

Abbildung 2 liefert eine Zusammenfassung der betrachteten Werkzeuge im Hinblick auf die Erfüllung der zugrundeliegenden Anforderungen an eine Lösung, welche die Anfertigung adaptiver Lehrvideos auf Basis Verzweigter Programme nach Crowder für den Fehler- und Erfolgsfall bietet.

Abb. 2: Anforderungsanalyse der gefunden Lösungen

Keine der vorgestellten Applikationen erfüllt alle definierten Anforderungen. Während die textbasierten Applikationen hervorragend zum Anfertigen adaptiver Lehrinhalte geeignet sind, konnte mit LECTURNITY nur ein von dieser Seite ebenwürdiger Vertreter der videobasierten Lösungen gefunden werden. So lassen sich Verzweigte Programme nach Crowder erstellen, in denen sowohl das Wiederholen bzw. Überspringen von Abschnitten als auch die Integration externer Inhalte als antwort-spezifische Folgeaktionen für Erfolgs- und Fehlerfall definiert werden können. Einzig die (video-übergreifende) Definition von thematisch zusammengehörigen Abschnitten bzw. die semantische Auszeichnung mittels Schlüsselwörtern wird von dem Werkzeug nicht berücksichtigt. Zudem handelt es sich bei LECTURNITY um eine Applikation, welche client-seitig installiert werden muss und auch die exportierten Lehrvideos erfordern das Vorhandensein der lokalen Software Flash, die auf mobilen Apple-Geräten nicht unterstützt wird. Somit erfüllt sie keine der definierten Anforderungen an die technische Realisierung. Hingegen werden sie durch die Online-Plattform eduCanon gleich alle erfüllt. Als einzige recherchierte Lösung wird Crowd-Sourcing ermöglicht, indem erstellte Videokurse von anderen Nutzern der Community weiterverarbeitet werden können. Basierend auf den Technologien HTML und JavaScript sind sowohl die Webapplikation als auch die exportierten Videoinhalte problemlos auf mobilen Endgeräten beliebigen Betriebssystems lauffähig.

Eine Lösung, welche diese Vorteile mit denen von LECTURNITY unter Erweiterung um eine explizite semantische Auszeichnung vereint, stellt aktuell eine Lücke im Stand der Technik videobasierter Ansätze zur Erstellung adaptiver Lehrmaterialien dar.

3.3 Konzept

Vor diesem Hintergrund wird nun ein eigenes Konzept sowie eine prototypische Umsetzung namens „J-Quizmaker“ vorgestellt, welche alle definierten Anforderungen aus Abschnitt 3.1 erfüllt.

3.3.1 Implizite semantische Auszeichnung

Ziel ist also die Entwicklung eines Editors zur Erstellung und Distribution adaptiver, Verzweigter Lehrvideos, die auf den individuellen Lernerfolg des Nutzers angepasst sind. Dies umfasst eine Realisierung der Verzweigten Programme nach Crowder (Anpassung im Fehlerfall) mit einer Erweiterung zur Anpassung des Inhalts im Erfolgsfall. Hierbei soll es den Autoren ermöglicht werden, Selbsttestaufgaben unterschiedlichen Typs (Auswahlaufgabe, Mehrfachauswahlaufgabe, Lückentexte, Ordnungsaufgaben u. a.) in beliebige Videos aus unterschiedlichen Online-Videodatenbanken zu integrieren und nutzerspezifische Feedbacks sowie Folgeaktionen festlegen zu können. Die Quiz dienen dabei als Verzweigungspunkte, die in Abhängigkeit der Antwortauswertung den nachfolgenden Lerninhalt bestimmen. Ein Video kann somit als Komposition einzelner Lernhappen verstanden werden, die sowohl aus Abschnitten des aktiven als auch anderer Videos bestehen können oder externe Webinhalte wie bspw. einen Wikipedia-Artikel, ein GoogleBook u. v. a. m. darstellen. Bei dieser Methode mittels Integration von Selbsttestaufgaben findet eine implizite Auszeichnung und Verknüpfung semantisch zusammengehörender Inhalte statt. Hierbei sind unter anderem folgende Nutzungsszenarien möglich:

  • Quiz am Anfang des Videos oder eines Abschnitts, um zu überprüfen, ob der nachfolgende Inhalt bereits bekannt ist und somit übersprungen werden kann;

  • Quiz am Ende des Videos oder eines Abschnitts, um zu überprüfen, ob das vermittelte Wissen verstanden wurde und ggf. wiederholt oder durch Einbinden externer Inhalte verdeutlicht/vertieft/ergänzt werden muss.

Auf diese Weise ergibt sich eine automatisierte Anpassung des Lernpfades an das Nutzerwissen, welches zur Laufzeit bestimmt wird. Während herkömmliche Videos strikt linear ablaufen, kann es nun zur nutzerspezifischen Modifizierung dieses Weges kommen (durch Überspringen bzw. Wiederholen von Abschnitten) sowie zum Verfolgen von nebenläufigen Lernpfaden (zusätzliche Inhalte externer Medien).

Darüber hinaus fördern Quiz in regelmäßigen kurzen Abständen die Aufmerksamkeit und die Motivation des Lernenden nach beschriebenen Methoden der Programmierten Unterweisung und der Verzweigten Programme von Crowder (siehe Abschnitt 2). Ersteres spiegelt sich im vorgestellten Modell in der prompten audiovisuellen Belohnung korrekten Verhaltens wieder. Mittels grüner Färbung des Bildschirms sowie Abspielen einer Fanfare sollen dem Nutzer unmittelbar richtige Antworten signalisiert werden. Eine weitere Eigenschaft der Programmierten Unterweisung betrifft die Verwendung von Lückentexten als Aufgabentyp. Von Crowders Ansatz werden die spezifischen Feedbacks in Form der nutzerabhängigen Neu-Arrangierung der Lernhappen übernommen. Der Autor kann explizit Zeitpunkte angeben, an die das Video je nach Beantwortung der Frage springen soll. Weiterhin kann eine externe Ressource verlinkt werden, die bei einer bestimmten Antwort aufgerufen wird. Hier können auch die Abschnitte anderer, auf Basis dieses Konzepts aufbereiteter, Videos als Sprungmarken definiert werden, um somit adaptive Lehrvideos untereinander zu verknüpfen. Auch die zweite wesentliche Eigenschaft von Crowders Lehrprogrammen – die Verwendung von Multiple-Choice-Tests – findet im Konzept Einzug. Der Autor kann beliebig viele richtige und falsche Antworten für seine Frage sowie zwei mögliche Verzweigungen definieren: eine für den korrekten, eine für den Fehlerfall. Somit vereint die Lösung nicht nur Ideen beider Lerntheorien miteinander, sondern erweitert dabei noch Crowders Ansatz, indem auch Verzweigungen im Erfolgsfall möglich sind. So können vorab gestellte Fragen dazu genutzt werden, zu überprüfen, ob das zu vermittelnde Wissen eines Lerninhalts bereits besteht, um ihn dann zu überspringen.

3.3.2 Explizite semantische Auszeichnung

Neben diesem impliziten Weg der semantischen Aufbereitung von Videoinhalten sieht das Konzept auch eine explizite Variante vor. So soll der Autor innerhalb eines oder auch verschiedener Videos zusammengehörige Videoabschnitte definieren und durch Schlüsselwörter beschreiben können. Einerseits kann der Nutzer auf diese Weise statt eines einzelnen Sprungzeitpunktes einen thematisch zusammenhängenden Videoblock als Folgeaktion angeben. Somit können dem Nutzer auf Anhieb alle Videoabschnitte zu einem konkreten Sachverhalt, auch video-übergreifend, gebündelt präsentiert werden.

Andererseits werden durch die explizite semantische Auszeichnung die konkreten Inhalte eines Videos maschinenlesbar, sodass sie durch Suchmaschinen leichter aufgefunden werden können. Ein Beispiel für eine solche Suchmaschine ist das Konzept des „Learning Hubs“ [Wa14]. Auf Basis einer semantischen Metasuchmaschine mit Anbindung an diverse externe Repositorien (MOOC-Plattformen, Online-Enzyklopädien, News-Feeds, Video-Portale, Internet-Bibliotheken, soziale Netzwerke u. v. a. m.) sollen dem Nutzer kontextsensitive (abhängig vom individuellen Lernziel, Präferenzen und Wissensstand) Inhalte offeriert werden. Unter Anbindung der entwickelten Lösung können nun auch gezielt Videos offeriert werden, die am besten zum Vorwissen des Nutzers passen.

3.4 Beispiel

Die Visualisierung eines konkreten Beispiels für einen adaptiven Lernpfad basierend auf dem beschriebenen Konzept zeigt Abbildung 3.

Abb. 3: Beispiel eines adaptiven Lernpfades auf Basis unserer Lösung

Hier werden zwei mit Hilfe des erläuterten Ansatzes aufbereitete Lehrvideos miteinander verknüpft. Der Nutzer startet mit Video A und bekommt den ersten Frageblock Q0 präsentiert. Auf Basis seines erhobenen Vorwissens wird Video B eingeschoben um bspw. für Video A notwendiges Basiswissen zu vermitteln. Nachdem der Nutzer die ersten beiden Abschnitte von Video B erfolgreich verstanden hat (was mit Hilfe der Quiz R1 und R2 ermittelt werden kann), wird wieder zu Video A gewechselt. Der dritte Abschnitt von Video B wurde dabei ausgelassen, da die Auswertung von R2 ergeben hat, dass der Nutzer die Inhalte schon kennt, weil beispielsweise das Wissen aus den beiden vorherigen Abschnitten B1 und B2 geschlossen werden konnte. Selbiges gilt für das Überspringen der Abschnitte 2 und 3 aus Video A, deren Inhalte zum Beispiel schon in Video B mitbehandelt wurden. Nach dem Frageblock Q4 wird das Video pausiert und externe Inhalte, zum Beispiel ein Wikipedia-Artikel, werden aufgerufen. Nach selbstständigem Durcharbeiten des Materials kann der Nutzer das Video manuell fortsetzen (Videoabschnitt 5). Dieser wird schließlich noch ein zweites Mal wiederholt, da die Auswertung des finalen Frageblocks Q5 Verständnisprobleme offenbart hat.

Eine dynamische Repräsentation dieses beschriebenen adaptiven Lernpfades gibt noch einmal nachfolgende Animation wieder (Ani. 1).

Ani. 1: Adaptiver Lernpfad des beschriebenen Beispiels

3.5 J-Quizmaker

Die prototypische Umsetzung des dargelegten Konzepts trägt den Namen „J-Quizmaker“. Das „J“ im Namen steht für die zugrundeliegende Programmiersprache JavaScript, welche zusammen mit HTML5 und dem beliebten CSS-Framework Bootstrap die Basis der Webapplikation bilden. Durch Verwendung dieser Technologien wird Plattformunabhängigkeit erreicht, da alle gängigen Browser native Unterstützung bieten. Dank des Bootstrap-Frameworks, in dem responsives Webdesign ein fest verankertes Grundprinzip ist, läuft die entwickelte Lösung auch problemlos und an die jeweiligen Displaygrößen angepasst auf mobilen Endgeräten.

3.5.1 Architektur

Abbildung 4 gibt einen Überblick der Architektur des J-Quizmaker.

Abb. 4: Architektur des J-Quizmaker

Die HTML5-, CSS- und JavaScript-Dateien werden auf Serverseite mittels PHP generiert und an den Client ausgeliefert, welcher die Webapplikation im Browser darstellt. Neben der grafischen Benutzeroberfläche mit sämtlichen verknüpften Funktionen sind zwei Kernelemente der Software zu benennen: der Video-Player und der lokale Speicher.

Ersteres integriert immer eine aktuelle Version der Wiedergabe-Software der jeweiligen verwendeten Quelle. Im aktuellen Prototyp ist dies die Videoplattform YouTube, welche über eine API verschiedene Funktionen zur Suche und zum Abspielen von Inhalten bereitstellt. Der eigentliche Video-Stream wird in den J-Quizmaker integriert und mittels definierter Knöpfe gesteuert, die unabhängig vom zugrundeliegenden Video-Player ihr Aussehen und Verhalten wahren. Somit sieht die Funktionsleiste unterhalb des Videos für alle Quellen gleich aus. Sie beherbergt die wichtigsten Funktionen Start, Stopp, Lautstärkereglung und Sprung zu einer beliebigen Stelle im Video mittels Schieberegler bzw. Eintippen eines konkreten Zeitpunktes.

Die zweite wesentliche Komponente der clientseitigen Software ist der lokale Speicher, welcher im Prototyp als Document Object Model (DOM) Storage in Form des localStorage realisiert wurde. Dieser auch als „Supercookies“ bezeichnete Speicher bietet Webapplikationen die Möglichkeit, Daten im Browser persistent abzulegen. Während der verwandte sessionStorage diese nur für die Dauer einer Session, also bis zum Schließen des Fensters, speichert, hält der verwendete localStorage auch nach Beenden des Browsers die Daten vorrätig. Dies birgt den Vorteil, dass der Nutzer seine Bearbeitung eines adaptiven Lehrvideos auch nach dem Beenden des Browsers wiederaufnehmen kann, ohne dass Informationen verloren gehen. Durch Abschließen des aktuellen Projekts werden die Daten dauerhaft auf dem verknüpften Datenbank-Server abgelegt. Diese werden direkt als JavaScript Object Notation (JSON) aus dem localStorage an den Server gesendet, welcher die Quiz-Informationen in einer MySQL-Datenbank speichert.

Der J-Quizmaker setzt dann beide Teile – den Video-Stream der zugrundeliegenden Quellplattform und die gespeicherten Quiz-Daten – wieder zusammen, sodass eine Weiterverarbeitung durch die Community als auch eine Einbettung des adaptiven Lehrvideos in fremde Websites ermöglicht wird.

3.5.2 Funktionsumfang des Prototyps

Die Hauptansicht des Editors, welche den Großteil der im Konzept beschriebenen Funktionalitäten bereitstellt, zeigt Abbildung 5.

Abb. 5: Editor-Ansicht im J-Quizmaker

Vorab erhält der Nutzer eine Übersicht der zuletzt erstellten adaptiven Lehrvideos, von denen eines ausgewählt, angeschaut, in externe Websites eingebunden oder bearbeitet werden kann. Alternativ kann ein neues Projekt erstellt werden, indem zunächst ein entsprechendes Video durch die integrierte YouTube-Suche selektiert und anschließend die Bearbeitung gestartet wird. Die darauffolgende Ansicht ist in Abbildung 5 dargestellt. Diese ist in drei vertikal getrennte Bereiche eingeteilt. Links ist ein Vorschauvideo zu sehen, welches an beliebigen Stellen pausiert oder direkt über den Schieberegler navigiert werden kann. Der mittlere Bereich enthält zunächst den Namen des aktuellen Projekts („Test-Quiz“), der frei editiert und mit einer Beschreibung verziert werden muss. Über einen Button („+“) lassen sich dann beliebig viele Quizfragen an die ausgewählte Stelle im Video einfügen. Die Bearbeitung der einzelnen Fragen erfolgt im rechten Bereich. Hier werden Titel, Testart (aktuell wird nur Multiple-Choice unterstützt), Frage sowie dazugehörige Antworten und Folgeaktionen festgelegt. Letzteres beinhaltet drei mögliche Optionen:

  • Video läuft weiter;

  • springe im Video (unter Angabe eines Zeitpunktes);

  • springe zu einer Webseite (unter Angabe einer URL).

Der aktuelle Stand des adaptiven Lehrvideos kann jederzeit über eine Vorschaufunktion betrachtet werden. über den Button „Abschließen“ kann das erstellte Projekt gespeichert und anschließend über einen Einbettungslink in beliebige Webseiten eingebunden werden. Dabei bleibt die eigentliche Videodatei unverändert, sodass beliebig viele Videoquiz zu einem Video erstellt werden können.

Das nachfolgende Demonstrationsvideo soll die beschriebene Funktionsweise des Prototyps verdeutlichen (siehe Vid. 1). Dieser kann unter der Adresse http://proxy.informatik.uni-rostock.de/quiz-wiki-learnia/ auch selbst ausprobiert werden.

Vid. 1: Demonstration des Prototyps

3.6 Evaluation

Im Rahmen der Realisierung des Prototyps wurde eine formative Evaluation der Usability des Online-Editors in kleinem Kreis durchgeführt. Hierbei wurden entwicklungsbegleitend Potenziale und Schwachstellen der Gebrauchstauglichkeit des Autorenwerkzeugs aufgedeckt, was zu Änderungen im Modell bzw. Prototyp führte. Zur Erhebung der Usability kam ein Fragebogen nach ISO-Norm 9241-110 [In] zum Einsatz, welcher folgende Kriterien zur Bewertung von Benutzerschnittstellen interaktiver Systeme heranzieht:

  • Aufgabenangemessenheit: Vollständigkeit, Aufwandsminimierung, Passung;

  • Selbstbeschreibungsfähigkeit: Informationsgehalt, Unterstützungsmöglichkeit, Unterstützungsangebot;

  • Erwartungskonformität: Gestaltungskonsistenz, Transparenz, Bedienkompetenz;

  • Lernförderlichkeit: Erlernbarkeit, Wissensverfügbarkeit, Erschließbarkeit;

  • Steuerbarkeit: Flexibilität, Wechselmöglichkeit, Unterbrechungsfreiheit;

  • Fehlertoleranz: Verständlichkeit, Korrigierbarkeit, Korrekturunterstützung;

  • Individualisierbarkeit: Erweiterbarkeit, Personalisierbarkeit, Aufgabenflexibilität.

Abbildung 6 visualisiert die ermittelten Durchschnittswerte der einzelnen Kriterien. Im arithmetischen Mittel lieferte die Auswertung der Fragebögen einen Wert von 5,18, welcher auf der zugrundeliegenden Skala von 1 (schlecht) bis 7 (gut) als positiv zu bewerten ist. Allerdings können mit insgesamt 13 Teilnehmern keine statistisch relevanten Aussagen über die Usability der Software getätigt werden. Primäres Ziel war die entwicklungsbegleitende Aufdeckung von Schwachstellen, um erste Hinweise zur Verbesserung des J-Quizmaker zu erhalten. Die größten Defizite wurden dabei im Bereich der Selbstbeschreibungsfähigkeit wahrgenommen, was im Anbetracht des frühen Stadiums des Prototyps zu entschuldigen ist. Durch Integration von gängigen Methoden zur Beschreibung grafischer Benutzeroberflächen (GUI von englisch graphical user interface) wie Platzhalter für Eingabefelder, Tooltips/Balloons in Form kleiner Popup-Fenster und Hilfeseiten mit Erklärungen bzw. Beispielen einzelner Bedienelemente kann diese Schwachstelle behoben werden.

Abb. 6: Auswertung der Usability-Evaluation

Auf Basis des Nutzerfeedbacks aus der Studie wurde die GUI bereits angepasst, um die Intuitivität zu steigern. Inwieweit dies gelungen ist, wird eine zweite, größer angelegte Evaluation der Usability der Webapplikation erbringen, nachdem alle bisher angebrachten Hinweise in den Prototyp eingearbeitet wurden.

4 Zusammenfassung & Ausblick

Basierend auf einer umfangreichen Literaturrecherche existierender behavioristischer Lerntheorien und praktischer Umsetzungen zur Aufbereitung adaptiver Lernmaterialien wurde ein Defizit im Bereich Video festgestellt. Zur Lösung des Problems wurde ein Modell samt prototypischer Umsetzung entwickelt, welches Autoren ein Werkzeug bietet, um Videoinhalte semantisch aufzubereiten und miteinander zu verknüpfen. Hierbei wird der Wissensstand des Lernenden mittels Selbsttestaufgaben zur Laufzeit ermittelt und anschließend automatisiert eine entsprechende Anpassung des Lernmaterials durchgeführt. Das Konzept verknüpft nicht nur die beiden Lerntheorien der Programmierten Unterweisung und der Verzweigten Lehrprogramme, sondern erweitert diese noch um zusätzliche Facetten. So können nutzerspezifische Folgeaktionen definiert werden, die sowohl im Fehlerfall (Wiederholen von Lernsegmenten) als auch im Erfolgsfall (Überspringen von Lernsegmenten) eintreten. Des Weiteren können durch Verlinkungen externer Inhalte auch nebenläufige Lernpfade integriert werden. Auf diese Weise kommt es zur automatischen Anpassung videobasierter Lernmaterialien an den individuellen Wissensstand, Lerntempo und Fähigkeiten des Nutzers („Adaptive Learning“). Gerade bei den vielen auf Massenkompatibilität ausgelegten MOOCs kann das entwickelte Werkzeug zur automatisierten, lernerfolg-orientierten Anpassung der Lehrmaterialien an unterschiedliche Bildungsniveaus (Vorwissen) genutzt werden. Darüber hinaus können regelmäßig eingeschobene Selbsttestaufgaben als Aufmerksamkeits- und Bestätigungssignale die Motivation des Lernenden steigern.

Die Erweiterung des Tools um eine explizite Auszeichnung semantisch zusammengehöriger Videoabschnitte, wie sie im Konzept-Abschnitt beschrieben wurde, ermöglicht ein einfacheres und zielgerichteteres Auffinden sowie Verknüpfen konkreter Videoinhalte, die speziell an die Bedürfnisse des Nutzers (Wissensstand, Lerntempo, Niveau) angepasst sind. Mittels semantischer Suchmaschinen können thematisch zusammenhängende Abschnitte unterschiedlicher Videos miteinander verknüpft dem Lernenden offeriert werden. Eine zentrale Erfassung der Quiz-Ergebnisse könnte wichtige Rückschlüsse über Lernerfolg und -verhalten des Nutzers erbringen, aus denen individuelle Bedürfnisse und Anforderungen extrahiert werden, um auf dessen Basis noch zielgerichtete Anpassungen der Lerninhalte vorzunehmen.

Des Weiteren soll eine Evaluation Auskunft über die Effektivität bzgl. des Lernerfolgs adaptiver Lehrvideos im Vergleich zu herkömmlichen Videos/Quiz geben. Als Grundlage für die Erhebung dieser Daten sollen die bis zu 200 Schüler des online-gestützten Juniorstudiums der Universität Rostock dienen. Mit dem Ziel der Studienvorbereitung werden den Schülern der gymnasialen Oberstufe Videoaufzeichnungen von Erstsemester-Veranstaltungen über ein LLMS bereitgestellt, welche ihnen erste Einblicke in die universitäre Wissensvermittlung und den damit einhergehenden neuen Lernbedingungen geben sollen [Ve15]. Leistungsprobleme und mangelnde Studienmotivation werden neben finanziellen Defiziten als die beiden Hauptgründe für die hohen Abbrecherquoten von Studienanfängern (in Deutschland laut aktueller Studie ca. 33,2 % [OE15]) angeführt [HI15]. Genau diese beiden Probleme versucht das beschriebene Konzept der adaptiven Lehrvideos zu adressieren, indem Inhalte an das Lerntempo, –niveau und Vorwissen des Nutzers angepasst bzw. um ergänzende oder vertiefende Materialien bereichert werden und gleichzeitig die Motivation beim Lernen durch Methoden der Programmierten Unterweisung gesteigert wird. Eine Teilung der Juniorstudenten in zwei Gruppen, wobei eine Gruppe die herkömmlichen Videoinhalte konsumiert und die andere die adaptiv aufbereiteten erhält, könnte entscheidende Hinweise auf den Mehrwert des in diesem Beitrag beschriebenen Ansatzes für die Lehre erbringen.

Erste wichtige Erkenntnisse diesbezüglich wurden bereits zu Tage getragen, nachdem der J-Quizmaker auf verschiedenen Konferenzen vorgestellt wurde. Die angebrachten Verbesserungsvorschläge können unter dem Schlagwort „Soft Quiz“ zusammengefasst werden:

  • Quiz optional gestalten, sodass der Lernende die Möglichkeit besitzt, Selbsttestaufgaben zu überspringen bzw. gänzlich auszublenden (entspricht der herkömmlichen Nutzung des Videoinhalts);

  • Vermeiden von Video-Schleifen, indem bereits gestellte Quiz-Fragen ausgelassen bzw. kein wiederholtes Zurückspringen zum selben Abschnitt gestattet wird (entspricht dem Aufbau eines lokalen Nutzermodells).

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