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Kettenschleppschifffahrt auf dem Main

von Wolfgang Stumme

Kettendampfer auf der Elbe bei Dresden, der eine Vielzahl von Schleppkähnen flussaufwärts zieht, etwa 1880[Bild: Die Gartenlaube (1882) [gemeinfrei]]

Die ersten Schleppdampfer, die mehrere Lastkähne ziehen konnten, waren Raddampfer. Deren Nutzung war aber nicht auf allen Flüssen möglich. So wurde z. B. der Versuch, Raddampfer auf dem Main einzusetzen, eingestellt, da sich zeigte, dass das Fahrwasser hierfür zu flach war. [Anm. 1] Auch anderenorts konnten Raddampfer wegen zu geringer Wassertiefe nicht eingesetzt werden. Es blieb nichts anderes übrig, als die Schiffe flussaufwärts wie schon seit Jahrhunderten zu treideln.
Eine Alternative zum Treideln bei niedriger Wassertiefe ergab sich erst, nachdem 1839 in Paris erstmals auf einem etwa 5 bis 6 km langen Abschnitt der Seine ein Kettendampfer erfolgreich eingesetzt worden war. Kettendampfer fuhren bald sowohl oberhalb als auch unterhalb von Paris sowie auf einigen Kanälen. [Anm. 2] Mit Dampf betriebene Kettenschleppschiffe hatten den Vorteil, dass sie auch auf Flüssen mit niedrigem Wasserstand fahren konnten.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Eisenbahn ein erfolgreicher Konkurrent für die Flussschifffahrt. So betrug beispielsweise die Eisenbahnstrecke zwischen Mainz und Schweinfurt 179 km. Ein Schiff benötigte für diese Distanz 337 km – und das zu einer Zeit, als bei einer Bergfahrt die Schiffe noch sehr zeitaufwendig getreidelt, also durch Menschen oder Zugtiere auf Leinpfaden gezogen werden mussten.
Die ersten Kettenschlepper in Deutschland verkehrten 1866 auf der Elbe – anfangs nur im Unterlauf, bald aber auch bis nach Böhmen, auf der Saale und auf der Spree. Auf einer Gesamtlänge von 668 Kilometern fuhren bis zu 28 Kettenschlepper die Elbe stromaufwärts. Auf der Unterelbe wurde die Kettenschiffahrt 1898 eingestellt; in Teilbereichen des Oberlaufs waren Kettenschiffe noch bis in die frühen 1940er Jahre in Betrieb. Ab 1878 wurden Kettenschiffe auf dem Neckar zwischen Mannheim und Heilbronn eingesetzt; sechs Jahre später wurde die Strecke bis Lauffen verlängert. 1935 wurde die Kettenschleppschifffahrt auf dem Neckar endgültig eingestellt.
Gegenüber der früheren Treidelschifffahrt konnte ein Kettendampfer bis zu zehn Schleppkähne ziehen, und jeder Schleppkahn war in der Lage, die fünffache Fracht aufzunehmen. Hinzu kam, dass der Transport an der Kette ungleich schneller und billiger war. Die Folge war, dass die Schiffe nun im Jahr statt der 2.500 km bis zu 8.000 km zurücklegen konnten. Bei sinkenden Kosten konnten so die Transportzeiten deutlich verkürzt werden. Regelmäßige Fahrpläne und niedrigere Kosten machten die Flussschifffahrt gegenüber der Eisenbahn wieder konkurrenzfähig.

Es war sicher kein Zufall, dass ausgerechnet der Inhaber einer Speditions- und Kohlenhandlung, Heino Held aus Mainz, 1871 den Betrieb einer Kettenschleppschiffahrt auf dem Main plante. Der Bedarf an Kohle war zu Beginn der Industrialisierung stark angestiegen, und die Eisenbahn wäre nicht in der Lage gewesen, Kohle in dem erforderlichen Umfang zu transportieren. Heino Held beantragte seine Konzession bei den zuständigen Behörden in Hessen, Preußen [Anm. 3] und Bayern beantragten Konzession für die Kettenschifffahrt auf dem Main.

Das zum Großherzogtum Hessen gehörende Mainz befürwortete die Kettenschifffahrt auf dem Main. Denn man befürchtete, dass andernfalls bei einer Vertiefung der Fahrrinne die Rheinschiffe ihre Güter direkt bis nach Frankfurt transportieren könnten, wodurch Mainz seine Stellung als Umschlagplatz verlieren würde. Der bayerische Landtag war anfangs ein Gegner der Kettenschifffahrt, da er eine Konkurrenz für die staatliche bayerische Eisenbahn befürchtete. So wurde die Kette zunächst nur bis Aschaffenburg genehmigt. [Anm. 4]
Im Jahr 1886 begann schließlich die Kettenschifffahrt auf dem Main.

Wie funktionierte die Kettenschifffahrt?

Prinzipskizze eines Kettenschleppschiffs[Bild: Anton Beyer (Das Archiv für Seewesen Bd. 5 (1869), S. 468) [gemeinfrei]]

In den von Kettenschleppschiffen [Anm. 5] genutzten Flussabschnitten war in der Mitte des Flusses eine durchgehende Kette [Anm. 6] verlegt, die den Flusswindungen folgte. Die Kettenschlepper ‚hangelten‘ sich entlang dieser Kette. Am Bug und am Heck des Schiffes waren Ausleger angebracht, die seitlich in beide Richtungen geschwenkt werden konnten. Die Kette wurde über den vorderen Ausleger aus dem Flussbett geholt und über Deck entlang der Schiffsachse zu den von Dampfkraft angetriebenen Kettentrommeln in der Mitte des Schiffes geführt. Führungsrollen sorgten für eine exakte Ausrichtung der Kette. Von den Kettentrommeln führte die Kette zum Ausleger am Heck und wieder zurück in den Fluss. Durch die seitliche Beweglichkeit der Ausleger und die beiden sowohl am Bug als auch am Heck angebrachten Ruder war es möglich, die Kette auch bei Flussbiegungen wieder in der Flussmitte abzulegen.
Zu Beginn fuhren die Kettenschiffe auch talwärts an der Kette. Da die Kettenschiffe bei der Bergfahrt und bei der Talfahrt an derselben Kette hingen, mussten sie mit einem komplizierten Manöver aneinander vorbeifahren. Zuerst musste die Kette an Schäkeln (sog. Kettenschlösser) geöffnet werden, die sich im Abstand von 400 m in der Kette befanden. Mit Hilfe von Hilfskette und Seil musste das talwärts fahrende Schiff aus der Kette gehen und ankern. Nachdem das gegen die Strömung fahrende Schiff vorbei war, konnte das talwärts fahrende Schiff mit einem Zeitverlust von etwa 45 Minuten wieder an die Kette gehen. Wegen der aufwendigen und zeitraubenden Kreuzungsmanöver erhielten einige Kettenschleppschiffe aber bald einen zusätzlichen Hilfsantrieb, damit sie unabhängig von der Kette zu Tal fahren konnten.
Zur Kraftübertragung nutzten die drei zur hessischen Mainkette AG gehörenden Schlepper ein Trommelwindwerk. Um die notwendige Haftung der Kette auf den Antriebstrommeln zu gewährleisten, war die Kette in der Mitte des Schiffes mehrfach um zwei hintereinander angeordnete Zugtrommeln gewickelt. Diese Methode führte immer wieder zum Bruch der Kette, weil die vordere Zugtrommel durch Reibung stärker abgenutzt wurde und somit einen geringeren Durchmesser bekam. Die Folge war, dass die hintere Trommel mehr Kette aufwickelte, was zu Spannungen zwischen den Trommeln führte. Die Übertragung der Kraft von den Trommeln auf die Kette erfolgte nur durch Reibung. Bei Reifbildung oder Eis wurde ein Durchrutschen der Kette verhindert, indem heißes Wasser über die Trommeln gegossen wurde. Für die Führung der Kette um die beiden Trommeln benötigte man etwa 30 bis 40 Meter Kette. Schlepper, die die Kette nur bei Bergfahrten nutzten, mussten bei der Talfahrt einen entsprechenden Teil der Kette mitnehmen, damit dieser am Anfang der Kette wieder eingefügt werden konnte. Andernfalls hätte die nicht mehr benötigte Kette am oberen Kettenende herumgelegen, während sie am unteren Ende gefehlt hätte.

Der Kettenschleppbetrieb wurde durch die nach dem Ersten Weltkrieg fortschreitende Schiffbarmachung des Mains und den dafür erforderlichen Staustufen erschwert, wodurch die Wartezeiten vor den Schleusen zeitlich verlängert wurden. Durch die größere Fahrrinnentiefe war jetzt auch auf dem Main der Einsatz von Schiffen möglich geworden, die mit Dieselmotoren und Schiffsschrauben ausgerüstet waren. Die Kettenschifffahrt auf dem Main wurde unwirtschaftlich und 1936 ganz eingestellt.

 

Die "Mainkuh" in Frankfurt, ca. 1908[Bild: Wilhelm Reiss [gemeinfrei]]

Verfasser: Wolfgang Stumme

Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub

Verwendete Literatur:

  • Betz, Helmut: Historisches vom Strom, Bd. XII, Die Mainschiffahrt – Vom Kettenschleppzug zum Gelenkverband. Duisburg 1996.
  • Berninger, Otto: Die Kettenschiffahrt auf dem Main. In: Mainschiffahrtsnachrichten des Vereins zur Förderung des Schiffahrts- und Schiffbaumusums Wörth am Main (Hg.): Mitteilungsblatt Nr. 6 vom April 1987.
  • Weiß, Eduard: Die Kettenschlepper der kgl. bayerischen Kettenschleppschiffahrt auf dem oberen Main. In: Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, Band 45, 1901, Nr. 17, Seite 578–584.

Aktualisiert am: 04.08.2016

 

Anmerkungen:

  1. Im Sommer hatte der Main häufig nur eine Wassertiefe von 0,40 m. Auf dem zu Bayern gehörenden eil hatte man bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, den Main von Unrat zu reinigen und den Fluss durch Abtrennung von Nebenarmen, Abtragen von Inseln und Sprengung von Felsen zu begradigen und einzuengen. Dennoch konnte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nur eine Minimaltiefe von ganzjährig 0,60 m erreicht werden. Mit Hilfe von sog. Nadelwehren konnte eine geringfügige Anhebung des Wasserstandes erreicht werden. Ein Nadelwehr verlief diagonal oder quer zum Fluss. Es bestand aus Holzplanken und sperrte – im Gegensatz zu einem gemauerten Wehr – den Fluss nicht vollständig.  Zurück
  2. Versuche, Kettenschiffe auf der Rhone und der Saone einzusetzen, scheiterten, weil die im Flussbett liegenden Ketten immer wieder durch Sand und Geröll begraben wurden.  Zurück
  3. Frankfurt gehörte seit 1866 zu Preußen. Preußen stimmte der Kettenschifffahrt erst mit der Fertigstellung des Westhafens zu, der mit Schiffen direkt vom Rhein aus angelaufen werden konnte. Zurück
  4. Die bayerische Regierung stimmte 1892 der Verlängerung ihrer Kette bis Miltenberg zu, jedoch unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufes. Die bayerische Regierung beschloss allerdings schon zwei Jahre später ein Gesetz zur Einrichtung einer eigenen Kettenschifffahrt auf dem Main und ließ im Sommer 1895 ihre Kette bis Lohr verlegen. Der Mainkette-AG wurde in Ermangelung eigener Kettenschlepper der Betrieb auf diesem Flussabschnitt gegen eine Kettenbenutzungsgebühr gestattet. Von 1895 bis 1901 fuhren daher die Kettenboote der hessischen Mainkette-AG auf den bayerischen Flussabschnitten bis Miltenberg oder Lohr. Bis 1912 war die Kette bis Bamberg verlegt. Zurück
  5. Die drei hessischen Kettenschiffe – Mainkuh I, Mainkuh II und Mainkuh III – hatten eine Länge von 49,80 m und eine Breite von 7,05 m. Der Tiefgang (mit 20 Tonnen Kohlen an Bord) betrug 0,60 m. Die Boote wurden von einer Dampfmaschine mit 120 PS angetrieben. Zurück
  6. Die Kette bestand aus 118 mm langen und 85 mm breiten eisernen Gliedern, die eine Stärke von 26 mm hatten. Die Kette war nur am Anfang und Ende im Fluss fixiert. Durch das Eigengewicht der Kette und das natürliche Verhaken mit dem Flussgrund konnte an der Kette eine Zugkraft von etwa 4000 kg auftreten. Zurück