Das Artusbild im ‚Erec’ Hartmanns von Aue und im ‚Lanzelet’ Ulrichs von Zatzikhoven

Ein Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historische Einordnung
2.1. ‚Erec’
2.2. ‚Lanzelet’

3. Artus als traditioneller Herrscher?
3.1. ‚Erec’
3.2. ‚Lanzelet’

4. Funktion von Artus in der Interaktion mit den Figuren
4.1. ‚Erec’
4.2. ‚Lanzelet’

5. Bedeutung der Artusszenen für die Struktur des Romans
5.1. ‚Erec’
5.2. ‚Lanzelet’

6. Zusammenfassung

7. Literatur

1. Einleitung

Die klassischen deutschen Artusromane wurden im Hochmittelalter, also um 1200, verfasst und sind im Allgemeinen durch feste Motive, eine bestimmte Struktur und einen festgelegten Personenkreis charakterisiert. Sie verhandeln ein literarisch geschaffenes Werte- und Orientierungssystem, das außerhalb der kirchlichen Heilslehre funktionieren kann. Die von den Autoren gestaltete Handlung soll einerseits unterhalten, hat aber andererseits die Absicht, beim Publikum einen Reflexionsprozess über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft auszulösen.

In den Romanen versammelt König Artus, der ideale höfischer Herrscher alle vortrefflichen Ritter zusammen mit ihren Damen um seine Tafelrunde. Dieses integrierende und Gemeinschaft stiftende Werte- und Verhaltensideal wird durch zwei zentrale Bereiche des ritterlichen Lebens bestimmt: Die "Minne" und die "Aventiure".

Die ritterlichen Helden haben in ihrer Geschichte, die sich zumeist außerhalb der Tafelrunde vollzieht, die Aufgabe, für sich selbst einen richtigen Begriff von "Aventiure" und "Minne" zu finden. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Bereichen, also die Frage nach Ausgleich zwischen der Entfaltung der Individualität und den gesellschaftlichen Verpflichtungen und der Bezug zum Ideal des Artushofes sind dabei wesentliche Bestandteile1.

Im Mittelpunkt des Artushofes steht natürlich König Artus. Zwei Beispiele aus dem Bereich der klassischen Artusromane werden mit Bezug auf diesen Herrscher im Folgenden kurz vorgestellt und anhand bestimmter Leitfragen verglichen. Diese Romane sind der ‚Erec’ von Hartmann von Aue2 und der ‚Lanzelet’ von Ulrich von Zatzikhoven3. Wichtig für die Analyse der beiden Romane ist die Darstellung von Artus im Rahmen der Tradition und Konvention und die Frage, ob er einem bestimmten Typus angehört oder davon abweicht. Außerdem soll die Funktion von Artus als Figur in der Interaktion mit den Figuren und die Bedeutung der Artusszenen für die Struktur der Romane genauer untersucht werden. Zum Schluss steht die Fragestellung, ob sich das Artusbild im Vergleich von ‚Erec’ zu ‚Lanzelet’ geändert hat. Dazu soll im Vorfeld der Analyse eine ungefähre historische Einordnung der Romane stattfinden.

2. Historische Einordnung

2.1. ‚Erec’

Hartmanns ‚Erec’ kann vermutlich in die 80er Jahre des 12. Jahrhunderts datiert werden, wenn man davon ausgeht, dass der Dichter etwa zwischen 1180 und 1205 gewirkt hat4. Der ‚Erec’ ist der erste höfische Artusroman in deutscher Sprache und eine freie Übertragung der französischen Vorlage ‚Erec et Enide’ von Chrétien de Troyes. Dieser baut auf eine Erzähltradition bretonischer Stoffe auf und ist wahrscheinlich um 1170 entstanden5. Leider fehlt im Gegensatz zur Vorlage der Prolog, der bei Hartmanns Werk nicht überliefert wurde.

2.2. ‚Lanzelet’

Die Datierung des ‚Lanzelet’ Ulrichs von Zatzikhoven ist etwas schwieriger als die des ‚Erec’. Wahrscheinlich ist der Roman zwischen 1194 und 1203 entstanden. Zatzikhoven gibt ebenfalls eine französische Quelle an, das ‚welsche buoch von Lanzelete’ (V. 9341 ff.). Im Gegensatz zum ‚Erec’ ist sie allerdings nicht erhalten6. Dadurch, dass vermutlich der

‚Lanzelet’ nach dem ‚Erec’ entstanden ist, kann man die Kenntnis des letzteren Romans oder zumindest dessen Vorlage für die Entstehung des ersteren höchstwahrscheinlich voraussetzen. Diese Datierung wird für den Vergleich am Schluss vorausgesetzt.

3. Artus als traditioneller Herrscher?

Tradition im Bereich der Artuserzählungen bedeutet, sich den Anfängen der schriftlichen Artusdichtung zu widmen. Dazu zählen die ‚Chronica Regum Britanniae’ von Geoffrey von Monmouth7 und die ‚Brut’ von Wace8. Hier wird Artus als exorbitanter Held dargestellt, der nicht nur ein guter König, sondern auch aktiver tapferer Ritter und damit auch ein Krieger ist. In den später entstandenen altfranzösischen Erzählungen von Chrétien und auch in deren deutschen Übertragungen hat sich an diesem Bild einiges verändert. Artus wird immobilisiert und lässt kriegerische Aufgaben von seinen Rittern erledigen. Er wirkt nicht mehr durch seine Taten, sondern durch seine Präsenz und verkörpert eine Idealität, ohne sie wirklich darzustellen9. Dafür rückt bei Chrétien die Struktur der Romane in den Vordergrund. Die Artusfigur wird auf ideale höfische Arttribute festgelegt, damit sich ein größerer Freiraum für neue Geschichten um die Ritter der Tafelrunde öffnen konnte. Diese neue Fiktionalität ist dabei an das unerreichte Vorbild des Königs gebunden.

3.1. ‚Erec’

In diesem Artusroman wird König Artus grundsätzlich als traditioneller, idealer, vorbildhafter und gerechter König und Herrscher im Sinne Chrétiens dargestellt. Das zeigt sich bereits im Prolog, der bei Hartmann zwar nicht erhalten ist, für den man sich inhaltlich jedoch an Chrétien orientieren kann. Hartmann hat in seinem Werk die Vorlage an die deutschen Verhältnisse mit dem Ziel der größeren Vorbildlichkeit der Figuren und des Artushofes im Allgemeinen angepasst.

Im Prolog findet die berühmte Jagd nach dem weißen Hirsch statt, eine Tradition, die Artus von seinem Vater Uterpendragon übernommen hat. Jagen kann allgemein als höfische Beschäftigung männlicher Adeliger gesehen werden. Es diente beispielsweise als erzieherische Maßnahme zur Vorbereitung zum Rittertum. Ein Brauch wiederum besagt, dass der Sieger der Hirschjagd die schönste Frau am Hof küssen darf. Dadurch wird die gesellschaftliche Utopie besiegelt, dass der beste Ritter und die schönste Dame zusammengehören. Artus erweist sich in der Jagd als Sieger und damit als idealer Jäger und Kämpfer. Er könnte aufgrund dieser Tatsache als aktiver Ritter gesehen werden, was aber im Verlauf des Romans nicht weiter ausgestaltet wird. Artus greift im Handlungsverlauf nicht aktiv in Kampfgeschehen ein, sondern überlässt den Aventiurepart seinen Rittern und in diesem Zusammenhang vor allem Erec, der das Hauptgeschehen bestimmt.

Der noch präsente Brauch der Hirschjagd ist ein Indikator für den Herrschaftsübergang vom Vater zum ältesten Sohn, also von Uterpendragon zu Artus und damit für die patrilineare Erbfolge. Die Herrschaft, die Artus innehat, hat er von seinem Vater geerbt und wird auch in seiner Familie bleiben, wenn Artus in der Lage ist, einen Sohn zu zeugen. Durch den Brauch und seine Implikationen werden Selbstlegitimation und auch Selbstbewusstsein der Adelsschicht angezeigt. Adelige gelangen durch Geburt und Leistung zu ihren Posten und nicht durch Gott. Damit wird ein Wertesystem installiert, dass unabhängig von der Kirche funktioniert und Artus wird als dessen Mittelpunkt und Legitimationsfigur dargestellt. Bei der Hirschjagd und der anschließenden Diskussion wird zwischen Artus und Gawein ein Konflikt angedeutet, unter dem die Idealität der Artusfigur abgemildert wird. Gawein repräsentiert als Neffe Artus’ und erster Ritter der Tafelrunde die moderne Herrschaftsform des Mitbestimmens, während Artus die traditionelle Herrschaftsform des Alleinherrschers verkörpert. Artus ist ein charismatischer König, der sein Traditionsbewusstsein durch die Ausführung eines alten Brauches anzeigt. Außerdem bestätigt er durch seinen Sieg über den weißen Hirsch seine Stellung als starker Alleinherrscher und Ritter. Gawein wiederum ist Repräsentant einer moderneren Herrschaftsform, der konstitutionellen Herrschaft, die durch Mitbestimmungsrecht charakterisiert ist. Durch diesen bestehenden Konflikt stellt sich die Frage, ob Artus aufgrund von zwei aufgezeigten Herrschaftsmöglichkeiten nur von eingeschränkter Vorbildlichkeit ist. Er bestätigt zwar seine Vormachtstellung und Machtanspruch auf den Thron durch seinen Sieg, setzt sich somit aber auch der Gefahr eines Angriffs aus. Er riskiert durch seine aktive Teilnahme am Rittertum Verletzungen oder sogar seinen eigenen Tod, was angesichts seiner Kinderlosigkeit eine große Gefahr für sein Reich und das Königtum bedeutet. Auf der anderen Seite wird Artus von seinen Untertanen geliebt und verehrt und auch als König akzeptiert. Dies wird beispielsweise dadurch gezeigt, dass alle Mitglieder des Hofes seine und Ginovers Entscheidung akzeptieren, Iders mit einem prächtigen Empfang in ihre Mitte zu integrieren, obwohl dieser im Vorfeld die Königin

beleidigt hatte. daz muoste ouch wesen âne strit.

alsô die rede geschach,
der künec zuo den rittern sprach:
‚nû suln wir in ze lône
emphâhen vil schône.
wir suln mit rehte einem man
derz sô wol gedienen kann
aller êren gunnen.10

[...]


1 Max Schimmel: Gemeinsinn und Gemeinschaftsfähigkeit im mittelalterlichen Artusroman. In: http://www.gemeinsinn-werkstatt.de/php-nuke/html/article.php?sid=60. [13.02.2005].

2 Hartmann von Aue: Erec. mhd. Text und Übertragung von Thomas Cramer. Frankfurt am Main: 1972.

3 Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Hrsg. von Karl August Hahn. Frankfurt am Main: 1845. Nachdruck Berlin: 1965.

4 Christoph Cormeau: Hartmann von Aue. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begr. von W. Stammler, fortgef. von K. Langosch. Bd. 3. 1981. Sp. 501f.

5 Volker Mertens: Der deutsche Artusroman. Stuttgart: 1998. S. 25.

6 Ebd. S. 88f.

7 The Historia Regum Britanniae of Geoffrey of Monmouth. Hrsg. von Acton Griscom. London: 1929.

8 Wace: Le Roman de Brut. Hrsg. von Ivor Arnold. 2 Bde. Paris: 1938-40.

9 Roland Franz Roßbacher (Hrsg.): Artusroman und Herrschaftsnachfolge. Darstellungsform und Aussagekategorien in Ulrichs von Zatzikhoven ‚Lanzelet’, Strickers ‚Daniel von dem blühenden Tal’ und Pleiers ‚Garel von dem blühenden Tal’ Göppingen: 1998. S. 145.

10 ‚Erec’. V. 1283-1290.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das Artusbild im ‚Erec’ Hartmanns von Aue und im ‚Lanzelet’ Ulrichs von Zatzikhoven
Untertitel
Ein Vergleich
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V140470
ISBN (eBook)
9783640505869
ISBN (Buch)
9783640506064
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lancelet, Zatzikhoven, Erec, Hartmann von Aue, Artus
Arbeit zitieren
Susanne Brehme (Autor:in), 2005, Das Artusbild im ‚Erec’ Hartmanns von Aue und im ‚Lanzelet’ Ulrichs von Zatzikhoven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140470

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