Exemplarische Klugheit. Tradition der Tiersymbolik und Prudentia in der Fabel ‚Löwe und Geiß‘


Bachelorarbeit, 2014

28 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Löwe und Geiß DG 386

3. Prudentia als Motiv

4. Tiersymbolik
4.1 Der Wolf
4.2 Der Löwe
4.3 Die Geiß (Ziege)

5. Babrios, Nr. 199

6. Avian, Nr. 26

7. Wiener Fabelcorpus, Cod. 2705, Nr. 236 (Kosak Nr. 18)

8. Ulrich Boner, Nr. 90

9. Nürnberger Prosa-Äsop (Grubmüller Nr. 25)

10. Heinrich Steinhöwel, Nr. 133

11. Conclusio

12. Literaturverzeichnis

13. Anhang.

1. Einleitung

Diese Seminararbeit widmet sich der Fabel „Löwe und Geiß“ im Rahmen der im Bachelor-Seminar besprochenen Thematik „Deutsche Fabeln im Mittelalter“ bei ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Leopold Hellmuth im Wintersemester 2013/14. Das ursprünglich zugeteilte Thema war „Exemplarische Klugheit in Ulrich Boners ‚Edelstein‘“, welches aufgrund der nachfolgenden Überlegungen und geplanten Ausmaßes der Arbeit auf das jetzige Thema reduziert und differenziert wurde.

Ein Löwe oder Wolf versucht vergeblich, die in sicherer Höhe sitzende Geiß zu sich hinab zu locken.[1]

Eine Fabel die viele Facetten nicht nur in Symbolik und Moral aufweist, sondern auch in der Tierkonstellation. Daher muss abgesehen von der symbolischen und moralischen Deutungsebene, zu aller erst eine Überlegung über die Entwicklung der Fabel angestellt werden. Beginnend mit der ältesten Fabel von Babrios zwischen dem späten 1. Jh. und 3. Jh. bis zum Ende des Mittelalters, also zur Reformation, verfügt diese Fabel über eine 1200- bis 1400-jährige Entwicklungsgeschichte parallel zur gesellschaftlichen Entwicklung, die Einfluss auf literarische Werke nimmt. Aufgrund dessen, wird zunächst die Stoffgeschichte der Fabel aufgearbeitet, angefangen bei Babrios bis hin zu Heinrich Steinhöwel. Im Fokus des Vergleichs der einzelnen Fabel-Versionen steht einerseits die Bedeutung der Prudentia, also die Tugend der Klugheit, andererseits die Tiersymbolik, wobei hier das Hauptaugenmerk auf der Frage liegt, in wie weit sich die Symbolbedeutung des Löwen bzw. Wolfs verändert in Anbetracht einer spätantiken und einer spätmittelalterlichen Fabelversion. Des Weiteren soll anhand dieser Forschungsfrage ebenfalls ergründet werden, warum es überhaupt zum Austausch des Wolfes durch den Löwen kommt. Vor allem in Anbetracht, dass Hans Wilhelm Kirchhof in seiner Version offenkundig zu den Ursprüngen zurückkehrt und den Wolf anstatt des Löwen verwendete. Abgesehen von der Bedeutung der Tiere und dem Austausch der Tiere, gilt es die Frage zu klären, wie die Prudentia in der Fabel verarbeitet wird.

Auch wenn Ulrich Boner in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen sollte, so ist es doch für einen genaueren Vergleich und Interpretation der Werke unerlässlich, sich die Bedeutungsebenen der vorangegangenen Versionen, aber auch die Einflüsse auf die nachfolgenden Versionen genauer anzusehen. Für die Analyse der Tiersymbolik kommt der Physiologus, ein anonymes Werk aus der Spätantike zum Einsatz, im Vergleich dazu stehen Lexika zur Tiersymbolik sowie das Lexikon der christlichen Ikonographie. Der interne Aufbau bei den einzelnen Fabel-Versionen wird aufgrund der Wichtigkeit jeder Einzelnen, gleich gestaltet. So wird zunächst auf aktuelle Forschungsliteratur verwiesen angefangen bei allgemeinen Informationen zum Autor bzw. zur Textsammlung aus dem Verfasserlexikon. Ergänzt wird der Forschungsstand durch andere Nachschlagewerke, Forschungsliteratur und Fachartikel. Im Weiteren geht es um die jeweilige Version der Fabel. Dazu der Inhalt und mögliche Ausschmückungen, aber auch der generelle Aufbau im Diskurs zu der Fabel-Version auf der diese basiert. Im Folgenden wird auf das Motiv der Prudentia eingegangen sowie die Tiersymbolik. Welche Tiere kommen in der jeweiligen Version zum Einsatz? Zum Schluss folgt die genauere Betrachtung der Lehre, je nachdem was vorhanden ist, im Epimythion, Promythion bzw. ob sich die Lehre aus dem Kontext erschließt.

Sämtliche Abschnitte, die keinerlei Verweis aufweisen, sind meine eigene Interpretation der Fabelversionen basierend auf der vorangegangen dargelegten Forschungsliteratur zu Autor (soweit bekannt) und Fabelversion sowie die im ersten Teil der Arbeit präsentierten Erkenntnisse zur Forschungsliteratur und Definitionen zur Prudentia und Tiersymbolik.

In der Conclusio soll die vorab gestellten Forschungsfragen beantwortet werden. Ebenfalls sollen zusammenfassend die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Fabel-Versionen dargelegt werden, aber auch in welchen wesentlichen Punkten sich diese unterscheiden.

2. Löwe und Geiß DG 386

Die Fabel, meist auch im Kontext der äsopischen Fabel, bezeichnet eine durch typisches Personal gekennzeichnete, meist einepisodische, lehrhafte Erzählung in Vers oder Prosa, in der nichtmenschliche Akteure so handeln, als verfügten sie über menschliche Denk- und Verhaltensmuster. Die der Handlung zu entnehmende Lehre ist meist der Erzählung angefügt, als Epimythion, seltener ihr vorangestellt, als Promythion; sie kann aber auch in die Handlung integriert sein oder ganz fehlen.[2]

Ausnahmen von diesen Konstellationen finden sich bspw. bei Boner, in dessen Fabeln es sowohl ein Epimythion als auch Promythion gibt.

Der Inhalt wird in der Regel so klar wie nur irgend möglich dargestellt und ist geprägt vom Gegenüber des starken, gefährlichen, bewehrten, Recht und Gesetz missachtenden Räubers und seines schwachen, harmlosen, wehrlosen Opfers, gewissermaßen ein Konflikt zwischen den Mächtigen und Schwachen, wodurch eine Lehre vermittelt wird, die gesellschaftliche Wirklichkeit und auf Interpretation wie Veränderung dieser Wirklichkeit abzielt.[3]

Allgemein gliedert sich die Fabel nach folgenden Elementen:

1. Titel
2. Promythion
3. Wolf/Löwe erspäht Ziege/Geiß
4. Wolf/Löwe bittet Ziege/Geiß zu sich herunter zu kommen
5. Ziege/Geiß durchschaut das Spiel und bleibt wo sie ist
6. Epimythion

Wobei sich nicht in allen Versionen dieser Fabel auch alle Elemente finden. Die Deutungsaspekte hinsichtlich Kontext und Tradition sind vielfältig und in der Forschung weitestgehend spekulativ. Punkt 3 entspricht bei Ehrismanns Einteilung der Orientierung in der Narration, Punkt 4 der Komplikation in der Narration und Punkt 5 der Lösung in der Narration. Punkt 6, das Epimythion entspricht der Koda, also der Evaluation oder auch die Bewertung durch den Erzähler.[4]

Die Deutungsaspekte in dieser Form, als auch die Bedeutung von Prudentia und der vorkommenden Tiere werden im Rahmen dieser Arbeit noch näher betrachtet werden, danach steht die Stoffgeschichte dieser Fabel im Fokus. Den Grund für diese Vorgehensweise findet sich u.a. bei Marion Wagner: Fabelsammlungen mit ihrer sich über viele Jahrhunderte hinziehende Überlieferungsgeschichte, mit ihren bald sich bündelnden, verschlungenen und verknoteten, bald zerfasernden und sich spaltenden Traditionssträngen gehören, was die Frage der Autorschaft betrifft, sicherlich zu den problematischeren Genres.[5] Mit der einen Seite dieser Frage – der historischen – haben sich die Philologen von jeher beschäftigt; aus dem Blickwinkel spätmittelalterlicher äsopischer Fabeln wurden in Ermangelung eines historisch greifbaren „Autors Äsop“ als für das Mittelalter relevante „äsopische Autoren“ zunächst die Bearbeiter Romulus und Avian, denen wiederum die spätantiken Bearbeitungen eines Phädrus und eines Babrios als Textgrundlage gedient haben.[6]

Für die Erstellung der Stoffgeschichte ist es von Bedeutung, welche mittelalterlichen Autoren welche spätantiken Autoren als Textgrundlage verwenden. So lässt sich im direkten Diskurs schon einmal der ein oder andere Schluss ziehen.

3. Prudentia als Motiv

Das System der vier Kardinaltugenden, von denen gute Taten abhängig waren, wurde bereits in der Antike von Platon aufgestellt.[7] Temperantia, Prudentia, Fortitudo und Iustitia wurden vom Christentum übernommen und wurden von Ambrosius erstmals als Kardinaltugenden bezeichnet und den vier Paradiesflüssen (Elemente) zugeordnet, später erst wurden die drei theologischen Tugenden Fides, Spes und Caritas zu einer Siebenergruppe aufgestockt, welche auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes zurückgeführt wurden, ihnen gegenüber stehen die sieben Todsünden.[8] Prudentia, die Klugheit, steht, laut Wiedmann & Biller, zwischen Einsicht, also Verständigkeit, Wissen um das Richtige und Zweckmäßige, und Weisheit. Sie, die Weisheit, ist nicht so theoretisch wie die Einsicht, aber auch nicht so abgeklärt.[9] Die Klugheit als Eigenschaft, ist von immenser Bedeutung in der menschlichen Selbstdarstellung, aber auch durch ihre episch-strukturierende Kraft (Klugheit vs. Dummheit, stark vs. schwach) verdankt die Klugheit ihre Beliebtheit als Thema und Motiv im populären und didaktischen Erzählgut.[10] Dabei muss unterschieden werden, ob Klugheit selbst thematisiert wird oder ob sie die eigentliche Botschaft ist, die transportiert werden soll.

4. Tiersymbolik

Im folgenden Kapitel werden nun die drei vorkommenden Tiere näher betrachtet. Sowohl Aspekte von Mythen, Vorkommen und Symbolik werden festgehalten um diese mit der Darstellung in der Fabel zu vergleichen. Auch wird hier der erste Teil der Forschungsfrage erarbeitet, nämlich in wie weit der Wolf durch den Löwen ersetzt werden kann.

4.1 Der Wolf

Der Wolf findet sich überall und nicht nur im Wald und war sowohl in der antiken Welt als auch im Mittelalter und danach in Europa verbreitet und bestens bekannt.[11] Im Mittelalter galt der Wolf neben dem Drachen als eines der grausamsten und gefährlichsten Tiere vor allem in Bezug auf die Schafherden, aber auch für das menschliche Leben, dazu kam, dass man glaubte, dass der Wolf sich nicht umdrehen konnte ohne sich zu verletzen, so wie der Teufel unfähig ist Gott ins Gesicht zu sehen und zu bereuen.[12] Das liegt an der Schöpfungsgeschichte des Wolfes: Dieser ist ein Geschöpf eines bösen Dämons, des Teufels, der eigentliche einen Menschen erschaffen wollte, aber es wurde ein Wolf, der durch Gott bzw. in Gottes Namen zum Leben erweckt wurde.[13] Im Gegensatz dazu kommt die Bedeutung in der Antike, großteils eine ebenso böse Bedeutung, außer im römischen Reich, aufgrund der Sage um Romulus und Remus und deren säugende Wölfin steht der Wolf für die römische Weltherrschaft und als Stadtsymbol.[14] Zudem kann er aufgrund seiner rohen Art als naturgegebene Kraft der Balance gesehen werden. Allerdings herrscht der Wolf als Symbol des Teufels oder des Bösen eindeutig vor.[15]

[...]


[1] DG 386. In: Die Fabeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein Katalog der deutschen Versionen und ihrer lateinischen Entsprechungen. Hrsg. v. Gerd Dicke und Klaus Grubmüller. München: Fink 1987.

[2] Vgl. Schweikle, Irmgard; Hoheisel, Wiebke: Fabel. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler 2007, S. 226a.

[3] Vgl. Spiewok, Wolfgang: Geschichte der deutschen Literatur des Spätmittelalters. Bd. 1. Greifswald: Reineke-Verlag 1997, S. 334-335.

[4] Vgl. Ehrismann, Otfried: Fabeln, Mären, Schwänke und Legenden im Mittelalter. Eine Einführung. Darmstadt: WBG 2011, S. 47.

[5] Wagner, Marion: Der sagenhafte Gattungsstifter im Bild. In: Frühmittelalterliche Studien 37 (2008), S. 388.

[6] Ebd. S. 388.

[7] Vgl. Evans, Michael: Tugenden. In: Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd 4. Rom, u.a.: Herder 1972, S. 364.

[8] Vgl. Zerling, Clemens: Lexikon der Tiersymbolik. Mythologie – Religion – Psychologie. Hrsg. v. Wolfgang Bauer. München: Kösel Verlag 2003, S. 333.

[9] Vgl. Wiedmann; Biller: Klugheit. In: Ritter, Joachim: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd 4. Basel 1976. Originalquelle nicht verfügbar. Zitat in: Horn, Katalin: Klugheit. In: Enzyklopädie des Märchens. Bd 8. Berlin, New York: de Gruyter 1996, S. 16.

[10] Vgl. Horn, Katalin: Klugheit. In: Enzyklopädie des Märchens. Bd 8. Berlin, New York: de Gruyter 1996, S. 16.

[11] Vgl. Peuchert, Will-Erich: Wolf. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. v. E. Hoffmann-Krayer. Bd 9. Berlin u.a.: de Gruyter 1938/41, S. 719.

[12] Vgl. Pastoureau, Michel: Das mittelalterliche Bestiarium. Darmstadt: Primus Verlag, S. 37.

[13] Vgl. Peuchert: Wolf. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd 9. S. 720.

[14] Vgl. Braunfels, Sigrid: Wolf. In: LCI. Bd 8. S. 537-538.

[15] Vgl. ebd. S. 538.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Exemplarische Klugheit. Tradition der Tiersymbolik und Prudentia in der Fabel ‚Löwe und Geiß‘
Hochschule
Universität Wien  (Germanistik)
Veranstaltung
Deutsche Fabeln im Mittelalter
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
28
Katalognummer
V273301
ISBN (eBook)
9783656650256
ISBN (Buch)
9783656650195
Dateigröße
2865 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fabel, Tiersymbolik, Prudentia, Klugheit, Boner
Arbeit zitieren
Daniela Ammann (Autor:in), 2014, Exemplarische Klugheit. Tradition der Tiersymbolik und Prudentia in der Fabel ‚Löwe und Geiß‘, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273301

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