Zwei Beispiele der Überwindung der eigenen Persönlichkeit und der Realiltät


Hausarbeit, 2001

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

1. Das Gedicht „Schutt“
1.1. Interpretation des Gedichtes „Schutt“

2. Das Gedicht „Winternacht“
2.1 Interpretation des Gedichtes „Winternacht“

Schluß

Bibliographie

Einleitung

Mein Thema der Hausarbeit entstand durch einen Zufall. Beim Herumstöbern und Herumblättern in der Bibliothek entdeckte ich ein Gedicht von Gottfried Keller Winternacht, welches einer von Gottfried Benn behandelten Thematik ähnelt, nämlich der Destruktion des Ich, die in dem Gedicht Schutt behandelt wird. Da wir und im Wintersemester mit Werken Gottfried Benns beschäftigt haben, war ich auf ein anderes Werk eines anderen Schriftstellers gespannt. Ich wurde auf eine andere Sichtweise eines Dichters neugierig und wollte erfahren, wodurch die Sichtweise geprägt wurde.

Mein Thema ist sehr individuell, das ist auch der Grund, weshalb ich nicht so viel Literatur gefunden habe. Die Literatur, die ich schließlich fand, gab mir genügend Informationen und ein paar gedankliche Impulse, die mir weiterhalfen.

Ich habe in meiner Hausarbeit aufgrund der begrenzten Seitenzahl auf die Beschreibung der formalen Aspekte in der Interpretation ganz verzichtet. Ich fand, daß die Gedichte inhaltlich sehr viele Informationen gaben, so daß ich auf den formalen Aspekt verzichten konnte.

Meine Vorgehensweise sieht folgendermaßen aus: Ich interpretiere die beiden Gedichte gesondert und und gehe am Ende meiner Hausarbeit auf bestimmte persönliche Aspekte der Dichter ein und versuche, sie auf die Gedichte zu übertragen.

Schutt

Spuk. Alle Skalen

toset die Seele bei Nacht,

Griff und Kuß und die fahlen

Fratzen, wenn man erwacht.

Bruch, und ach deine Züge

alle funkelnd von Flor,

Marechal Niel der Lüge -

never -, o nevermore.

Schutt, alle Trümmer

liegen morgens so bloß,

wahr ist immer nur eines:

du und das Grenzenlos -

trinke und alle Schatten

hängen die Lippe ins Glas,

fütterst du dein Ermatten -

laß - !

Schamloses Schaumgeboren,

Akropolen und Gral,

Tempel, dämmernde Foren

katadyomenal;

fiebernde Galoppade,

Spuk, alle Skalen tief

schluchzend Hypermalade,

letztes Pronom jactif.

Komm, die Lettern verzogen,

hinter Gitter gebannt,

himmelleer, schütternde Wogen

alles, Züge und Hand.

Fall: verwehende Märe,

Wandel: lächelt euch zu -

alles: Sonne und Sphäre,

Pole und Astren: du.

Komm, und drängt sich mit Brüsten

Eutern zu Tete-a-tete

letztes Lebensgelüsten,

laß, es ist schon spät,

komm, alle Skalen tosen

Spuk, Entformungsgefühl -

komm, es fallen wie Rosen

Götter und Götter - Spiel.

1. Interpretation des Gedichtes Schutt von Gottfried Benn

Das Gedicht Schutt steht am Anfang der dritten Phase in der Entwicklung der Bennschen Lyrik. In seiner ersten Publikation trägt es den Titel Spuk - in der zweiten, veränderten Ausgabe der Gesammelten Schriften von 1922 bildet es, noch unter diesem Titel (I Spuk -), zusammen mit den Gedichten

II Rot (später Palau) und III Schwer - (später Schädelstätten) einen Zyklus mit dem Titel Schutt. Diesen Zyklus löst Benn dann auf und gibt dem Gedicht Spuk - in dem kleinen Lyrikband Spaltung von 1925 seinen endgültigen Titel; von nun an heißt das Gedicht Schutt.

In Gottfried Benns Gedicht Schutt geht es um eine Umwertung des Daseins eines Individuums in der Welt. Dieses Individuum, nämlich das lyrische Ich, versucht, sich selbst zum Aufbruch zu erwecken. Das Gedicht wendet sich von dem Ist - Zustand, d.h. der Vergänglichkeit, ab und versucht, einen Schlüssel zur Überwindung dieses Ist - Zustandes zu finden. Wie der Autor es schafft, den Schwund der menschlichen Individualität und die Zuwendung des lyrischen Ich zu sich selbst auf einer ganz anderen Ebene und zu einer, seinen Vorstellungen entsprechenden, Welt, zu finden, wird im folgenden Text geschildert.

Mit Spuk, diesen Titel trug das Gedicht in den Gesammelten Schriiften 1922, assoziiert man etwas Unheimliches und Gespenstisches. Es gibt unheimliche Momente im Leben, die eine Person überkommen, die sie nicht einfach überwinden bzw. kontrollieren kann. Dieser unheimliche Teilaspekt des Spukes muß nicht unbedingt auf ein Vorkommnis mit Geistern abzielen. Spuk könnte auch den psychischen Zustand eines Menschen meinen, wenn die Verfassung des Betroffenen so sehr angegriffen ist, daß Chaos in seiner Psyche entsteht und sein Verhalten aus diesem Grund unerklärbar und daher auch unheimlich erscheint. Unserem Gedicht würde ich letzteres zuordnen.

Die erste Strophe stellt den Ist - Zustand der Seele, die gleichbedeutend mit dem lyrischen Ich ist, dar. Sie erlebt psychisches Chaos und emotionale Wirre, die in allen Ausprägungen vorkommen. Dieser Ist - Zustand wird bereits in der ersten Zeile der ersten Strophe beschrieben: “Spuk. Alle Skalen.“

Die verschiedenen Ausprägungen des psychischen Chaos des lyrischen Ich kommen wie folgt zum Vorschein: Die verwirrte Seele tobt bei Nacht, erlebt Momente des Liebesaktes, wacht aus den nächtlichen Oberflächlichkeiten in der kalten Realität auf, in der „fahle Fratzen“ auf sie warten. „Fahl“ soll die Verzweiflung des lyrischen Ich darstellen. „Fahle Fratzen“ kann die Bedeutung der Menschen haben, die keine Seele besitzen, die ihren Körper zum Geschlechtsakt hingeben, ohne das Bedürfnis zu haben, etwas Wirkliches geben zu wollen, ohne daß wahre Liebe, ein wahres Gefühl oder gar Leidenschaft sich dahinter verbergen.

Diese Welt ist eine fahle Welt, fahl auch durch seine fahle Gesellschaft, die nur auf Nehmen ausgerichtet ist.

Bereits hier stehen sich die „fahlen Fratzen“ und das lyrische Ich gegenüber. Das lyrische Ich scheint, eine Seele zu haben, darin unterscheidet es sich von den „fahlen Fratzen“. Bereits in der nächsten Zeile wird eine Distanzierung des lyrischen Ich von den „fahlen Fratzen“ vollzogen. Plötzlich wird von einem Bruch gesprochen.

Plötzlich ändert sich die Atmosphäre, alle Gesichtszüge der Seele funkeln von Marechal Niel, einer gelb - rosa - orangefarbenen Rose und leuchten von Blumenfülle. Auf den ersten Blick erscheint die Metapher als etwas Schönes, man stellt sich sofort Farbenfülle und Blumenpracht vor. Dieses Scheinbild zeigt seine wahre Aussage durch den Ausdruck „Marechal Niel der Lüge.“ Man könnte denken, daß die Rose mit einer Figur identifiziert wird, aber es gibt da noch eine Möglichkeit. Die wunderschöne, seltene Rose beschreibt Täuschung und Entformung der Schönheit. Vergänglichkeit wird an dieser Stelle sehr geschickt vermittelt. Das Fehlen der Marechal Niel wird erst dann ins Gedächtnis gerufen, wenn sie nicht mehr existiert. Nur dann ist es zu spät, um etwas zu verändern.

Der Ausdruck „Never - o, nevermore“ in der letzten Zeile der ersten Strophe bestärkt die Wirkung der Vergänglichkeit.

Die zwei folgenden Strophen verallgemeinern die Erfahrung der Vergänglichkeit. Der Dichter spricht von „Schutt“, von „Trümmer(n), die (...) morgens so liegen.“ Römische Bauwerke, wie Akropolen, Tempel und Foren, die zu Trümmern werden, scheinen ein gewöhnliches Ereignis zu sein. Diese standhaften, unerschütterlichen, stabilen Bauwerke repräsentieren etwas Unkontinuierliches, etwas Labiles, was unter den Verhältnissen, unter der Vergänglichkeit, nicht mehr existieren kann.

Mit Hilfe der römischen Bauwerke stellt Benn den geschichtlichen Aspekt dar. Benn vertritt hinsichtlich der Figur des Dichters in seinem Aufsatz Zur Problematik des Dichterischen den Standpunkt, daß der Dichter keine Wirkung auf Zeit hat. Er greift in den Lauf der Geschichte nicht ein und kann auch seinem Wesen nach nicht eingreifen. (Der Dichter) steht außerhalb der Geschichte.“1 Weiterhin heißt es, daß politische Dichtung nichts mit wahrer Kunst zu tun hat, daß diese Art von Dichtung folgende Begleiterscheinungen hat: „ (...) Klassenbewegungen, Machtverschiebungen, Typenwerdungen (...).2 Die Ursache läge im Irrationalen, das kein Dogma erreicht, das nur das Ich erschließt (...).“3 Geschichte ist daher etwas Irrationales, Unberechen-bares, Spontanes und Sprunghaftes. Übertragen auf unser Gedicht ist Geschichte labil, erschütterlich, veränderbar und vergänglich, sowie die römischen Bauwerke vergänglich sind.

In Die Ästhetik Gottfried Benns schreibt Loose, daß Geschichte für Benn sinnloses Geschehen ist, er durchdringt sie zwar, findet aber keinen Zugang zu ihr. Weiterhin heißt es: „So versucht Benn denn doch, eine „Sinngebung“, die einzig mögliche, die ihm gemäße, zu finden: Die Sinngebung der Geschichte durch die Kunst. Bedeutung und Vollendung der Antike ist die Kunst.“4 Am Anfang der 40er Jahre sagte Benn: „Die Zeitalter enden mit Kunst, und das Menschengeschlecht wird mit Kunst enden.“5

[...]

1 Gottfried Benn. Essays und Reden in der Fassung der Erstdrucke. Hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt am Main 1984, S. 97.

2 Gottfried Benn. Prosa und Autobiographie. Hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt am Main 1984, S. 282 - 283.

3 Gottfried Benn. Prosa und Auto Biographie. Hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt am Main 1984, S. 283.

4 Loose. Die Ästhetik Gottfried Benns. Hrsg. Von Wittoris Klostermann Verlag. Frankfurt am Main 1961. S. 48.

5 Gottfried Benn. Essays und Aufsätze. Hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt am Main 1984, S. 48.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Zwei Beispiele der Überwindung der eigenen Persönlichkeit und der Realiltät
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Literatur)
Veranstaltung
Einführung in die Literaturwissenschaften
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V10403
ISBN (eBook)
9783638168373
Dateigröße
394 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand. 205 KB
Schlagworte
Zwei, Beispiele, Persönlichkeit, Realiltät, Einführung, Literaturwissenschaften
Arbeit zitieren
Kamila Urbaniak (Autor:in), 2001, Zwei Beispiele der Überwindung der eigenen Persönlichkeit und der Realiltät, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10403

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