Das Konzept der 'niederen Minne' im Minnesang


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II.1 Beschreibung der ‚niederen Minne’ im Minnesang:
Walthers „Aller werdekeit ein füegerinne“ (46,32)
II.2 Forschungsdiskussion zum Konzept der ‚niederen
Minne’ im Minnesang
II.3 Überprüfung der Forschungsthesen an Hand von Walthers „Nemt, frowe, disen kranz!“ (74,20)-
II.4 Diskurs über Liebe statt Konzepte von Liebe im
Minnesang?

III. Fazit und Perspektiven

IV. Bibliografie

I. Einleitung

Die Vorstellung vieler vom Minnesang ist geprägt durch die so genannte ‚hohe Minne’ bzw. die Minnekanzone. In ihr glaubt man die Beschreibung des höfischen Liebesideals zu finden und läuft Gefahr dieses eins zu eins auf die damalige höfische Gesellschaft zu übertragen, ohne zu wissen, ob dem wirklich so war. Beeinflusst ist dieses Empfinden durch Sammlungen von Minneliedern, in denen sich vorherrschend Kanzonen, und kaum andere Gattungstypen, befinden. Außerdem wird das Augenmerk in der Schule hauptsächlich auf die ‚hohe Minne’ gelegt und die Forschungsliteratur beschäftigt sich in der Mehrzahl ebenfalls mit ihr. Da verwundert es, dass die Kanzone bzw. das ‚minneliet’ in einer Spottstrophe Reinmars des Fiedlers nicht genannt wird, obwohl er ansonsten keine andere Gattung unerwähnt zu lassen scheint. Bedeutet dies, dass die Minnekanzone von ihren Zeitgenossen doch nicht als so dominierend wahrgenommen wurde oder war es andernfalls selbstverständlich, dass sie zum Repertoire eines jeden Minnesängers gehörte?[1] Doch gibt es auch andere Gattungstypen.

Vom Konzept der ‚hohen Minne’ scheint sich zumindest allein begrifflich das der ‚niederen’ abzugrenzen. Wenn die Dominanz der Kanzone im Minnesang bestätigt werden kann, handelt es sich bei der ‚niederen Minne’ folglich um eine Kategorie, zu der weniger Minnelieder gezählt werden können. Dass solche Lieder in der Aufzählung Reinmars keine Erwähnung finden, ist nicht verwunderlich, da es sich hier um ein Liebeskonzept und nicht um eine Gattung handelt.

Da in der vorliegenden Arbeit dem Konzept der ‚niederen Minne’ im Minnesang und dem, was sich dahinter verbirgt, auf den Grund gegangen werden soll, ist es hilfreich, dieses in Abgrenzung zur ‚hohen Minne’ zu definieren. Letztere ist folgendermaßen gekennzeichnet:

In den Liedern der Hohen Minne äußert sich […] ein männliches lyrisches Ich. Das Werberitual ist […] eingeengt auf eine bestimmte Konstellation – auf die Werbung um eine Frau, die der Werbende als gleichgültig, hochmütig, unnahbar, abweisend, ja feindselig erfährt. Er stilisiert sie als Minneherrin, erhebt sie in eine dominierende ethische Position, entrückt sie geradezu […]. Diesem Idol unterwirft sich der Mann als demütiger dienstman [sic!]. Er bittet sie, als seine >Herrin<, seinen dienst anzunehmen, in der ständigen Hoffnung auf letztlichen Lohn für seine Treue. Aus dieser Unterwerfungsgeste resultieren ethische und gesellschaftliche Werte: Steigerung des Lebensgefühls und Anerkennung in der Gesellschaft.[2]

Es liegt in der Natur des Menschen, dass er Dinge nur wahrnehmen kann, wenn er sie von anderen unterscheiden kann. Doch das allein reicht noch nicht. Um das Konzept der ‚niederen Minne’ zu untersuchen, braucht es ebenfalls eine Arbeitsdefinition für dieses Konzept. Nach Schweikle wird der ‚hohen Minne’ eine „[…] auf trivialen Lustgewinn ausgehende[…] >niedere Minne< entgegen[gesetzt] […]“[3] Beide Konzepte haben zunächst gemein, dass es um das Verhältnis eines Mannes zu einer Frau geht. Während es sich in der ‚hohen Minne’ jedoch um ein langes Werben um eine Frau, das zur Vervollkommnung des Werbenden führt, handelt, steht in der ‚niederen Minne’ das Ziel der sexuellen Erfüllung im Vordergrund. Deshalb wird die ‚niedere Minne’, vom „[…] höfischen Wertekodex aus gesehen, auch moralisch verurteilt.“[4] Es ist für die Zuordnung eines Liedes zum Konzept der ‚niederen Minne’ jedoch nicht zwingend, dass es zur sexuellen Erfüllung kommt, somit kann der Mann auch in dieser Beziehung Leid erfahren, was somit nicht mehr zur Unterscheidung dient. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird auf folgendes zu achten sein:

Bei der Bewertung der niederen Minne müssen also zwei Kategorien – ethisch und ständisch – auseinandergehalten werden. Ethisch definiert sich die niedere Minne v.a. in den Begriffsproklamationen, ständisch in den sogenannten Mädchenliedern, u.a. auch durch die Bezeichnung der Figuren.[5]

Es wird in dieser Arbeit allerdings nicht darum gehen, diese Definition zu bestätigen zu versuchen, sondern ihre Gültigkeit soll anhand von Beispielen aus dem Minnesang und von anderen Thesen der Forschungsliteratur kritisch überprüft werden. Denn auch für Schweikle ist es trotz dieser Definition fraglich, ob es sich dabei um ein Programm von allgemeiner Gültigkeit oder nur um eine Theorie bei Walther von der Vogelweide handelt.

Aus diesen Gründen soll zu Beginn überprüft werden, welche Belegstellen und Hinweise uns der Minnesang an sich zum Konzept der ‚niederen Minne’ gibt. Bevor ein Bild von diesem Konzept aus heutiger Sicht entworfen wird, ist es ratsam zunächst Quellen aus dieser Zeit zu erkunden. Anschließend werden verschiedene Forschungsstandpunkte gegenübergestellt und kritisch beleuchtet, ehe diese an Walthers „Nemt, frowe, disen kranz!“ (74,20) auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden. Da sich Schwierigkeiten andeuten zu einer gültigen Definition zu kommen, soll im Anschluss daran, nach neueren bzw. alternativen Lösungsmöglichkeiten gesucht werden.

Denn Probleme deuten sich schon an, wenn man sich dem Begriff der ‚Minne’ und dessen Begriffsgeschichte nähert, der sich

einer eindeutigen Definition entzieht. […] Minne bezeichnet [nämlich] die Liebe zu Gott, minne bezeichnet aber auch die politische Verknüpfung zweier Dynastien durch deren Erben, und minne meint schließlich das ganze Spektrum der Liebe zwischen den Geschlechtern, meint die eheliche Liebe und die heimliche Liebeserfüllung gegen die Gebote Gottes und des Hofes.[6]

Eine Klärung des Minnebegriffs an sich soll und kann nicht Bestandteil dieser Arbeit sein. Es wird vorausgesetzt, dass es sich hier vornehmlich um die an dritter Stelle genannte Bedeutung handelt. Dass diese aber wiederum verschiedene Arten der Liebe beinhaltet, unterstreicht nochmals die Schwierigkeit, die sich bietet, wenn man das Konzept der ‚niederen Minne’ beleuchten möchte.

II.1 Beschreibung der ‚niederen Minne’ im Minnesang: Walthers „Aller werdekeit ein füegerinne“ (46,32)

Zum ersten Mal taucht der Begriff der ‚niederen Minne’ in „Aller werdekeit ein füegerinne“ (46,32) Walthers von der Vogelweide auf.

Aller werdekeit ein füegerinne,

daz sît ir zewâre, frouwe Mâze:

er sælic man, der iuwer lêre hat!

der endarf sich iuwer niender inne

weder ze hove schamen noch an der strâze.

dur daz sô suoche ich, frouwe, iuwern rât

daz ir mich ebene werben lêret.

wirbe ich nidere, wirbe ich hôhe, ich bin versêret.

ich was vil nâch ze nidere tôt,

nû bin ich aber ze hôhe siech:

unmâze entlât mich âne nôt.

Nideriu minne heizet diu sô swachet,

daz der muot nâch kranker liebe ringet.

diu minne tuot unlobelîche wê.

hôhiu minne heizet, die da machet,

daz der muot nâch hôher wirde ûf swinget.

diu winket mir nû, daz ich mit ir gê.

mich wundert, wes diu mâze beitet.

kumet diu herzeliebe, ich bin iedoch verleitet.

mîn ougen hânt ein wîp ersehen,

swie minneclîch ir rede sî,

mir mac wol schade von ir geschehen.[7]

Auch Walther grenzt in diesem Lied die ‚niedere Minne’ von der ‚hohen’ ab.[8] Bestätigt wird hier die gängige Auffassung, dass Minne, in beiden Varianten, zu Leid führt (Strophe I, Vers 8). Aus diesem Grund fordert das lyrische Ich die Mâze auch auf, ihn im ebene werben zu unterrichten (I, 7). Dabei handelt es sich allerdings um eine Utopie, denn auch bei Walther zeigt sich im Gesamtwerk, dass Minne immer gleichzeitig auch Leid bedeutet. Außerdem ist dies die einzige Stelle bei Walther, in der vom ebene werben gesprochen wird, während sein Werk ansonsten voller Selbstzitate steckt.[9]

Die beiden Konzepte unterscheiden sich jedoch in der Intensität des Leides, das sie dem Werbenden zufügen. Führt die ‚hohe Minne’ zu Krankheit, siech (I, 10), hat das nidere werben den Tod zur Folge (I, 9). Wenn das entstandene Leid als Bestrafung für die Handlung angesehen werden kann, unterstützt dies die These, dass die ‚niedere Minne’ moralisch stärker zu verurteilen ist als die ‚hohe’.[10]

Immerhin wird sie aber mit dem Begriff der, wenn auch kranken, ‚Liebe’ in Verbindung gebracht (II, 2). Ein Terminus, der laut Schweikle bei Walther durchweg positiv besetzt ist. Die ‚hohe Minne’ erhält den zusätzlichen Vorteil, dass sie das Lob der Gesellschaft einbringt, hôher wirde (II, 5). Es darf ohnehin nicht vergessen werden, dass sich Walther vermutlich den höfischen Konventionen anpassen musste. Von daher ist die hier vertretene Position nicht mit der Walthers gleichzusetzen. Auch die Perspektive des ze nidere Werbens ist vermutlich der Maßstab der höfischen Gesellschaft.[11]

Das lyrische Ich befindet sich zum Zeitpunkt des Minneliedes im Zustand des ze hôhe Werbens (vgl. in I, 10). In dieser Phase winkt ihm nun die ‚hohe Minne’ zu (II, 6); erstaunlicherweise zögert die Mâze jedoch (II, 7). Es kann also der Schluss gezogen werden, dass sie nicht die Begleiterin der ‚hohen Minne’ ist. Minne und mâze schließen sich demnach gegenseitig aus. Die herzeliebe, die über den gesellschaftlichen Sphären steht und daher unerreichbar ist, kann ebenfalls nicht mit der Mâze in Verbindung gesetzt werden. Dagegen spricht die Struktur der zweiten Strophe. Während auf nideriu minne und hôhiu minne, die am Versanfang stehen, jeweils im nächsten Vers am Versende die dazugehörige Charakterisierung folgt, ist die Position im Vers bei den anderen beiden Begriffen vertauscht.[12]

[...]


[1] Cf. Tervooren, Helmut: Schoeniu wort mit süezeme sange. Berlin: Erich Schmidt, 2000, 166-169.

[2] Schweikle, Günther: Minnesang. Stuttgart: Metzler, 1989, 171.

[3] Ebd., 176.

[4] Ebd.

[5] Ebd., 177.

[6] Wenzel, Horst: „;Saget mir ieman, waz ist minne?’ Zur Sprache der Liebe im Mittelalter.“ In: Zur historischen Semantik des deutschen Gefühlswortschatzes. Aspekte, Probleme und Beispiele seiner lexikographischen Erfassung. Hrsg. von Ludwig Jäger. Aachen: Alano, 1988, 165f.

[7] zitiert nach: Stange, Manfred (Hrsg.): Deutsche Lyrik des Mittelalters. Wiesbaden: marix, 2005, 190-192.

[8] Es wird an dieser Stelle davon abgesehen, das ganze Lied zu übersetzen bzw. zu paraphrasieren, stattdessen werden nur die für diese Arbeit relevanten Stellen herausgegriffen und analysiert. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Lied findet sich bei: Schweikle, Günther: Minnesang in neuer Sicht. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1994.

[9] Cf. Schweikle, Günther: Minnesang in neuer Sicht. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1994, 299-314.

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Konzept der 'niederen Minne' im Minnesang
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Minnesang
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V58556
ISBN (eBook)
9783638527125
Dateigröße
425 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konzept, Minne, Minnesang
Arbeit zitieren
Jonas Ole Langner (Autor:in), 2006, Das Konzept der 'niederen Minne' im Minnesang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58556

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