Rechtschreibung in Geschichte und Gegenwart


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

13 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

1. Sprachwissenschaftliche Forschungsrichtungen am Institut für Germanistik

2. Forschungen am Lehrstuhl von Professor Munske

3. Orthographie-Forschung von Professor Munske
3.1. Grundlagen der Orthographie-Forschung: Konzepte, Methoden und Techniken
3.2. Orthographische Prinzipien
3.3. Beispiele aus der Orthographie-Forschung

4. Schlußbemerkung

Literaturverzeichnis

1. Sprachwissenschaftliche Forschungsrichtungen am Institut für Germanistik

Am Institut für Germanistik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ist ein Lehrstuhl für Germanische und Deutsche Sprachwissenschaft und Mundartkunde eingerichtet. Der Inhaber (seit 1975) Prof. Dr. Horst Haider Munske lehrt und forscht hauptsächlich in den Bereichen Lexikologie, Orthographie und Dialektologie. Dazu treten Deutsche Sprachgeschichte, Frisistik, Namenkunde und Sprachkontakt. Vier weitere Professuren für gegenwartsbezogene Germanistische Linguistik (Prof. Dr. Bernd Naumann), für Deutsch als Fremdsprache (Prof. Dr. Theodor Ickler), Nordische Philologie (Prof. Dr. Hubert Seelow) und Linguistische Informatik (Prof. Dr. Roland Hausser) komplementieren die sprachwissenschaftliche Abteilung. Prof. Naumanns Forschungsgebiete sind Wortbildung, Geschichte der Sprachwissenschaft, Grammatik, Sprachakttheorie/Dialogforschung und Sprache und elektronische Medien. Prof. Ickler beschäftigt sich mit Orthographie, Pragmatik und Semiotik, Prof. Hausser mit den verschiedensten Aspekten der Mensch-Maschine Kommunikation in natürlicher Sprache. Durch Einbeziehung kleinerer germanischer Sprachen liegen auch linguistische Forschungsschwerpunkte z.B. auf Isländisch und Jiddisch.

2. Forschungen am Lehrstuhl von Professor Munske

Die wissenschaftlichen Wurzeln von Prof. Munske, Schüler von Ludwig Erich Schmitt in Marburg, liegen im Bereich der germanischen und nordischen Philologie. Daraus entstanden die Interessenfelder Lexikologie (Wortschatzwandel, Phraseologie), Frisistik (Handbuch des Friesischen) und Sprachgeschichte. Frühere Aufsätze beschäftigen sich mit dem Niederdeutschen und rechtswortgeographischen Aspekten im germanischen Sprachraum. Seit den 1980ern weitet Munske den Fokus auf Sprachkontaktforschung (Eurolatein, Deutsch als Mischsprache), Dialektologie (Sprachatlas von Mittelfranken), Namenkunde (Historisches Ortsnamenbuch von Bayern) und Orthographie aus.

Im Dissertations- und Habilitationsverzeichnis der bei ihm angefertigten Schriften finden sich vor allem phraseolgische, fremdwortorthographische Sudien sowie dialektologische und lexikologische Untersuchungen des fränkischen Sprachraums. Sein wissenschaftlicher Mitarbeiter ADir. Helmut Weihnacht betreibt namenkundliche und Mundart-Forschung, Dr. Peter Otto Müller und Dr. Mechthild Habermann historisch-synchrone lexikographische und lexikologische Untersuchungen. Grammatikalisierung und Textlinguistik sind die Gebiete von Dr. Gabriele Diewald. Derzeit betreut Munske unter anderem folgende DFG-Forschungsprojekte: „Bayerischer Sprachatlas“, „Wortbildung des Nürnberger Frühneuhochdeutschen“ und „Deutsche Lexikographie des 16. Jahrhunderts“. Vor einem Jahr erschien zu seinem 65. Geburtstag eine Festschrift mit dem Titel „Wortschatz und Orthographie in Geschichte und Gegenwart“.[1] Diese beiden Bereiche gelten als Forschungsschwerpunkte des Wissenschaftlers.

3. Orthographie-Forschung von Professor Munske

In jüngster Zeit ist Munske vor allem im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform in die Öffentlichkeit getreten. Als Mitglied der zwischenstaatlichen Kommission für Rechtschreibfragen des Instituts für deutsche Sprache (IdS), Mannheim, und des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie (IAO) war er wesentlich an der Reform beteiligt. Doch als die staatlichen Reformkompromisse nicht mehr seinen wissenschaftlichen Vorstellungen entsprachen, verließ er die Gremien und wurde zu einem ihrer heftigsten Kritiker. In zahlreichen Publikationen hat er zur Rechtschreibung und zu deren Neuregelung Stellung genommen und zu einer wissenschaftlich fundierten Diskussion um pro und contra der Reform beigetragen: 1986, 1987 und 1989 zur Fremdwortorthographie im Deutschen, 1992 zur Worttrennung bei ck, 1993 zum Problem von das und daß, 1995 und 1997 in drei Aufsätzen zur Groß- und Kleinschreibung (GKS) und 1998 zur Schreibung der Wörter (Laut-Buchstaben-Beziehung). Als Kommissionsmitglied des IdS bearbeitete er zusammen mit Hermann Zabel und Gerhard Augst die Fremdwortschreibung und kommentierte 1992 die von der Kommission vorgelegte Regelung. Später gehörte er einer Arbeitsgruppe an, die Alternativen der GKS ausarbeiten sollte.

Die Orthographie der deutschen Sprache und die diesbezüglichen Untersuchungen von Munske will ich nun detailliert vorstellen. Drei seiner Schriften werde ich stellvertretend zur näheren Erläuterung dieser Forschungsrichtung heranziehen. Dabei wird deutlich, wie die Verschriftlichung einer Sprache und ihre Normen eine komplexe Kulturtechnik und ein Ausdrucksmittel der Gesamtkultur darstellen. Die heutige Rechtschreibung ist das Ergebnis jahrhunderterlanger kultureller und gesellschaftlicher Prozeße. „Schriftkultur ist das Gedächtnis neuerer Kulturnationen.“[2] Gerade das Vereinzelnde und Abweichende in deutscher Orthographie, besonders die spezifisch deutsche GKS, erzeuge „eine tief empfundene Identifikation mit deutscher Schrifttradition und deutscher Sprache“.[3] In seinem grundlegenden Werk „Orthographie als Sprachkultur“[4] hebt Munske hervor, daß eine Verteidigung der herkömmlichen deutschen Rechtschreibung nicht Modernitätsverweigerung, sondern ein Festhalten an ein konstanzsicherndes Phänomen bedeutet; die Schrift und das Schriftsystem ist als Tradierungssystem einer Kulturgemeinschaft ernstzunehmen. „Wie ehrenhaft motiviert und sachlich begründet Rechtschreibreformen auch sein mögen, sie finden ihre schwer überwindbare Grenze am Sprachbewußtsein der gebildeten Öffentlichkeit.“[5]

3.1. Grundlagen der Orthographie-Forschung: Konzepte, Methoden und Techniken

Die Beschäftigung mit der Rechtschreibung ging und geht stets einher mit Reformforderungen und ‑bemühungen. Während der jüngsten Phase zur Neuregelung hat sich die Orthographie-Forschung in zwei unterschiedliche Richtungen entwickelt. Die eine orientiert sich eher am Schreiblerner, die andere am Leser. Zusätzlich gibt es einen Methodenstreit, auf welcher Grund-lage die Rechtschreibung zu regeln ist. Hier der Ausgangspunkt, daß das Graphemsystem parallel zum Phonemsystem zu betrachten ist, also zwei autonome Systeme vorliegen. Dort der direkt phonembezogene Ansatz, der eine meist aus rechtschreibdidaktischen Gründen resultierende 1:1 Beziehung von Phonem zu Graphem anstrebt. Ebenso unterscheiden sich Untersuchungen ob ihrer vornehmlich synchronen oder diachronen Perspektive.

Bei der Analyse der Bücher und Aufsätze von Munske habe ich folgende Grundmuster seiner Forschung und Argumentation im Bereich der Orthographie und der Rechtschreibreform festgestellt:

a) Orthographie-Forschung bedeutet zugleich Erforschung der bisher angestrebten Rechtschreibreformen bzw. der Bemühungen um eine Reform in der Vergangenheit (von Zesen, Jacob Grimm, 1. und 2. Orthographische Konferenz in Berlin 1876/1901).
b) Art und Umfang der Normierung der Schrift beruhen auf schreibgeschichtlichen Prozeßen (historische Graphematik).
c) Die Orthographie ist eine ernstzunehmende Kulturtechnik und Teil der Sprachkultur und darf nicht allein auf Effektivitätsgesichtspunkte reduziert werden. Daraus resultiert bei den Bemühungen um eine Neuregelung eine Wahrung der Kontinuität und Historizität.
d) Rezipientenperspektive: Die Orthographie orientiert sich an den Bedürfnissen der Leser, nicht der Schreiber (Differenzierungssignale z.B. GKS, Leseerleichterung z.B. duch Silbentrennung).
e) Eine Reform darf sich nur auf die Beseitigung der vom Duden vorgenommenen Überregulierung und die Verbesserung der überholten Regeldarstellung richten.
f) Drei Textsorten sind in der Rechtschreibforschung auseinanderzuhalten: erstens die linguistische Darstellung der Grundstruktur der Orthographie, zweitens die allgemeingültige Regel‑ darstellung und drittens die didaktische Handlungsanweisung.
g) Die alleinige Ausrichtung der Reform auf die Rechtschreibdidaktik bzw. Schulorthographie geht an den Bedürfnissen der Mehrheit in der Sprachgemeinschaft vorbei und trägt nicht zur grundlegenden Erklärung des historisch gewachsenen Schriftsystems bei, sondern impliziert allein eine Vereinfachung der Schreibung.
h) Rechtschreibung ist der Dynamik der Sprachentwicklung unterworfen, der Freiraum darf nicht durch Überregelung und präskriptive Änderungen eingeengt werden.
i) Geschriebene Sprache unterscheidet sich auf der Ebene der elementaren Einheiten (Phonem-Graphem) und auf den höheren bedeutungstragenden Ebenen (Morphem, Wort) des Sprachsystems von der gesprochenen Sprache: Grundlage ist, daß geschriebene Sprache auf Kosten des phonologischen Prinzips zusätzliche graphische Differenzierungen benötigt – wobei die elementare Ebene zweifellos die Basis für den Aufbau der Schriftnorm ist – um den aus den Anforderungen der gesellschaftlichen Kommunikation resultierenden Funktionen geschriebener Sprache (rasche Überschaubarkeit, schneller Zugang zur Bedeutung) zu genügen. Die Hauptfunktion der Orthographie besteht also darin, die syntaktische, morphologische und lexikalische Struktur des Deutschen für Leser schnell erkennbar zu machen. Diese Spezifika und diese Leistung der Orthographie sind von der Sprachwissenschaft zu erkennen und zu beschreiben; d.h. Rekonstruktion der geltenden Rechtschreibnorm als strukturiertes System gleichermaßen aus der Perspektive von Phonologie und Syntax, Morphologie, Wortbildung, Lexikologie und Phraseologie.[6]

[...]


[1] Habermann/Müller/Naumann (2000) mit vollständigem Schriftenverzeichnis von Munske im Anhang.

[2] Munske (1995) S. 60.

[3] Munske (1997b) S. 397. Vgl. auch Munske (1997c) S. 7f.

[4] Munske (1997a). Dieses Buch vereinigt gedruckte und ungedruckte Untersuchungen aus zwölf Jahren mit Nachbemerkungen zur Orthographiereform.

[5] Munske (1997c) S. 146.

[6] Vgl. Munske (1995) S. 60f.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Rechtschreibung in Geschichte und Gegenwart
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Sprache und Linguistik)
Veranstaltung
Hauptseminar: Wie mache ich ein Buch? Textsorte: wissenschaftliches Schreiben
Note
1,5
Autor
Jahr
2001
Seiten
13
Katalognummer
V829
ISBN (eBook)
9783638105316
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sprachwissenschaftliche Forschungen am Institut für Germanistik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, speziell die Forschungsrichtung Orthographie von Professor Munske 196 KB
Schlagworte
Rechtschreibreform, Erlangen-Nürnberg, Prof. Munske
Arbeit zitieren
Wolfram Baier (Autor:in), 2001, Rechtschreibung in Geschichte und Gegenwart, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/829

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Rechtschreibung in Geschichte und Gegenwart



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden