Tonio Kroeger und seine literarischen Urspruenge. Die Wiederkehr der Kontrastfiguren Hanno Buddenbrook und Kai Graf Moelln


Seminararbeit, 2004

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hanno und Kai: Die Kontrastfiguren

3. Tonio Kröger
3.1 Die Verwandtschaft zwischen Hanno und Tonio
3.2 Tonio Kröger und seine Ursprünge in Hanno und Kai

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis.

1. Einleitung

Wer sich mit dem Werk Thomas Manns beschäftigt, wird stets auf ihm bereits Vertrautes stoßen. Zahlreiche Themen, Motive und Konflikte treten mehr oder weniger stark abgewandelt und weiterentwickelt immer wieder auf und ziehen sich durch sämtliche Romane und Erzählungen. Gleiches gilt für die Figuren, von denen viele deutliche Parallelen zueinander aufweisen.[1] Besonders auffällige Ähnlichkeiten verbinden zwei Figuren aus Thomas Manns Frühwerk miteinander: Hanno Buddenbrook und Tonio Kröger. So unverkennbar ist ihre Wesensverwandtschaft, dass sogar behauptet wurde, die Geschichte Tonio Krögers sei im Grunde die Geschichte Hanno Buddenbrooks, der nicht an Typhus gestorben, sondern erwachsen geworden sei und seine Heimatstadt verlassen habe.[2] Auch wenn nicht alle Äußerungen so weit gehen, werden diese beiden Figuren doch häufig vergleichend in einem Atemzug genannt.[3]

Allerdings existieren nicht nur unverwechselbare Gemeinsamkeiten, sondern auch ebenso viele Merkmale, welche die beiden Künstler Hanno und Tonio erheblich voneinander unterscheiden. Natürlich könnte man diese als Resultat einer selbstverständlichen Variation und Weiterentwicklung der Figur Hannos betrachten, wenn es nicht in den Buddenbrooks noch eine andere Künstlerfigur gäbe, die Hanno als Freund zur Seite gestellt wird – nämlich Kai Graf Mölln. Wiederholt wurde festgestellt, dass Kai nicht bloß als Freund Hannos fungiere, sondern eine Kontrastfigur zu ihm bilde, indem er ein produktives und lebensfähiges Künstlertum verkörpere. Darüber hinaus stelle er die einzige Zukunftsperspektive dar, die über den Verfall der Buddenbrooks hinausweise.[4]

Angesichts solcher Überlegungen erscheint es wenig überzeugend, dass sich der Erzähler auf die Wiederbelebung von Hanno beschränkt und diesen in Tonio lediglich weiterentwickelt haben soll. Dagegen stellt sich die Frage, ob der von äußeren wie inneren Gegensätzen geplagte Künstler Tonio Kröger nicht Wesensmerkmale der gegensätzlichen Künstler Hanno und Kai aufweist und ob diese beiden Figuren für die Gestaltung Tonios zusammengeführt wurden. Diese Frage zu beantworten ist das Ziel der vorliegenden Arbeit.

Die Voraussetzung dafür ist, Hanno Buddenbrook zunächst Kai gegenüberzustellen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, um die beiden voneinander abgrenzen zu können. Anschließend soll untersucht werden, welche Eigenschaften der jeweiligen Figur sich in Tonio Kröger wiederfinden.

2. Hanno und Kai: Die Kontrastfiguren

Die Gegensätze zwischen den Freunden finden sich bereits in ihrem Äußeren. Zwar werden beide als zart und feingliedrig, der kleine Graf Mölln darüber hinaus sogar als von einer „edlen Rasse“[5] beschrieben, doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Während Hanno braune Haare und goldbraune Augen hat, sind Kais Augen blau und seine Haare rötlichgelb, dass heißt blond. Dies ist deshalb bedeutsam, weil im Tonio Kröger die blonden Haare und blauen Augen ein Symbol sind für Gesundheit und Lebenstüchtigkeit. Diesen Merkmalen Kais stehen bei Hanno die bläulichen Schatten in den Augenwinkeln gegenüber, die ihrerseits ein Verfallssymptom darstellen.[6]

Somit wird ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden bereits in ihrem Aussehen deutlich. Hanno ist von Geburt an schwach, kränklich und vom Tode bedroht. Das zaghafte, verträumte und von Ängsten geplagte Kind ist weder physisch noch psychisch lebensfähig, und der Sinn seiner Existenz liegt lediglich darin, den Verfall seiner Familie zu vollenden und mit seinem Tod ihr Ende zu besiegeln. Kais „Frische und Wildheit“[7] bilden dazu einen deutlichen Kontrast. Er ist gesund, lebhaft und unbefangen und damit sowohl fähig als auch bereit zu dem Leben, das sein Freund so scheut.

Dementsprechend verschieden reagieren sie auf ihr Umfeld und auf Konflikte, in die sie mit diesem Umfeld geraten. Beide sind sie Außenseiter und bei ihren Mitschülern und Lehrern gleichermaßen unbeliebt. Kai jedoch leidet nicht unter ihnen. Für ihn stellen die Lehrer keine Autoritäten dar vor denen man sich ängstigen müsste – nicht einmal der allseits gefürchtete Direktor Wulicke. Hinter ihrem Rücken macht Kai sich über die Lehrer lustig und gibt ihnen Spottnamen. Er verfügt über Ironie, die Gabe des Schriftstellers, mit der er die Autoritätspersonen der Lächerlichkeit preisgibt und ihnen so das Bedrohliche nimmt.[8] Ähnlich bissig kommentiert er das Verhalten seiner Mitschüler, die er verachtet und die ihrerseits einen gewissen Respekt vor ihm haben. Hanno dagegen hat weder den Hagenströms, die ihn drangsalieren, noch den Lehrern, vor denen er sich fürchtet, etwas entgegenzusetzen. Zwar durchschaut er deren Schwächen überaus deutlich, wie beispielsweise im Fall des Kandidaten Modersohn, aber er ist unfähig, darauf mit überlegener Ironie zu reagieren. Für Widerstand ist er zu schwach, und die Erkenntnis, die er über Modersohns Schwäche gewinnt ruft in ihm lediglich anwiderte Resignation hervor.

Auch die Freundschaft zwischen Hanno und Kai ist geprägt von ihren verschiedenen Charakteren. Was den Beginn dieser Freundschaft kennzeichnet, gilt auch für ihren weiteren Verlauf: Es ist Kai, der mit „einer stürmisch aggressiven Männlichkeit“[9] um Hannos Zuneigung wirbt, während dieser sich passiv verhält und keinerlei Initiative entwickelt. Kai behält den aktiven Part in ihrer Freundschaft. Er ist derjenige, der Hanno beschenkt und sich gegenüber den Hagenströms für ihn einsetzt, bei ihm ist offen davon die Rede, dass er Hanno „zärtlich liebte“.[10] Derartig ersichtliche Anzeichen der Zuneigung lassen sich in Hannos Verhalten nicht finden. Er verharrt in der passiven Rolle und allein seine Freundschaft mit Kai muss als Beweis seiner Zuneigung zu ihm ausreichen. Ein Umstand in Kais Verhalten Hanno gegenüber ist jedoch auffällig, und Eckard Heftrich hat darauf hingewiesen. Mit „angespanntem Interesse“[11] reagiert er auf den Verfall der Familie Buddenbrook. Es ist das Interesse des angehenden Künstlers, der sich wünscht, irgendwann auch eine Geschichte schreiben zu können wie den Untergang des Hauses Usher. Kai hat also keine Probleme damit, die Liebe zu seinem Freund mit dem distanziert-kalten Blick des beobachtenden Literaten zu vereinbaren.[12]

Künstlerisches Interesse und Talent gehören zu den Dingen, die Hanno und Kai gemeinsam haben. Das Künstlertum verbindet sie und hebt sie von ihrer Umwelt ab, in ihrer künstlerischen Welt fühlen sich die zwei Außenseiter wohl. Auffällig ist dabei, dass ihre Neigungen der Musik beziehungsweise der Literatur gelten, die für Thomas Mann den Inbegriff der Kunst ausmachten.[13] Dennoch hat ihre jeweilige künstlerische Begabung für sie eine völlig unterschiedliche Bedeutung. Für Hanno bewirkt sein musikalisches Talent nichts Positives. Seine Begabung ist unproduktiv, er bleibt Dilettant und „kann nur ein bißchen phantasieren“.[14] Seine Musik eröffnet ihm keine Zukunftsperspektive, sondern wird für ihn zum Mittel der Lebensflucht. Er berauscht sich an ihr. Seine Hinwendung zur Musik ist Ausdruck der Dekadenz, bedeutet Untergang und Verfall und führt, der Philosophie Schopenhauers folgend, zur Verneinung des Lebenswillens und damit zum Tod.[15]

[...]


[1] Einige Beispiele hierfür nennt Koopmann, Helmut: Hanno Buddenbrook, Tonio Kröger und Tadzio.

Anfang und Begründung des Mythos im Werk Thomas Manns, in : ders.: Der schwierige Deutsche.

Studien zum Werk Thomas Manns, Tübingen: Niemeyer 1988, S. 3.

[2] Koopmann, Helmut: Thomas Mann. Konstanten seines literarischen Werks, Göttingen: Vanden-

hoeck & Ruprecht 1975 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 1404), S. 23.

[3] Hansen, Volkmar: Hanno Buddenbrook soll ein Gedicht aufsagen, in: Internationales Thomas-Mann-

Kolloqium 1986 in Lübeck, hg. v. Eckhard Heftrich/Hans Wysling, Bern: Francke 1987, S. 18 u. 20.

[4] Vgl. z. B. Schmied, Barbara: Hanno und Kai – Zwei Künstler im Konflikt mit der Gesellschaft. Eine

vergleichende Studie der beiden Figuren aus „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, in: Runa 17/18

(1992), S. 179-192.

[5] Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie, Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996,

S. 516.

[6] Vogt, Jochen: Thomas Mann. Buddenbrooks, München: W. Fink, 2 Aufl. 1995, S. 95.

[7] Mann: Buddenbrooks, S. 521.

[8] Vgl. Schmied: Hanno und Kai. Zwei Künstler im Konflikt mir der Gesellschaft, S. 188.

[9] Mann: Buddenbrooks, S. 518.

[10] Ebd., S. 520.

[11] Mann: Buddenbrooks, S. 743.

[12] Heftrich, Eckhard: Kai und Hanno. Das Geheimnis ihrer Identität, in: ders.: Vom Verfall zur Apoka-

lypse. Über Thomas Mann, Bd. 2, Frankfurt/M.: Klostermann 1982, S. 102-102d.

[13] Haug, Helmut: Erkenntnisekel. Zum frühen Werk Thomas Manns, Tübingen: Niemeyer 1969 (=Stu-

dien zur deutschen Literatur 15), S. 37-38.

[14] Mann: Buddenbrooks, S. 743.

[15] Vogt: Thomas Mann. Buddenbrooks, S. 103-107.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Tonio Kroeger und seine literarischen Urspruenge. Die Wiederkehr der Kontrastfiguren Hanno Buddenbrook und Kai Graf Moelln
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V54286
ISBN (eBook)
9783638495301
ISBN (Buch)
9783656803614
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tonio, Kroeger, Urspruenge, Wiederkehr, Kontrastfiguren, Hanno, Buddenbrook, Graf, Moelln
Arbeit zitieren
Tatjana Schäfer (Autor:in), 2004, Tonio Kroeger und seine literarischen Urspruenge. Die Wiederkehr der Kontrastfiguren Hanno Buddenbrook und Kai Graf Moelln, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54286

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