Bühnenrhethorik und Alltagsjargon - Sprache in "Papa Hamlet"


Hausarbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort

II. Analyse der Einzelcharakteristika
1.) Die Alltagssprache – suggeriert sie wirklich Authentizität?
2.) Erzählen auf naturalistische Art – eine kurze Vorbemerkung
3.) Die sprachliche Ausgestaltung der Berichtspassagen
5.) Die Beschreibung der Gegenstände und der Natur
6.) Die Sonderstellung des letzten Kapitels

III. Schlussbemerkungen

VI. Literaturverzeichnis
1.) Quellen
2.) Darstellungen

I. Vorwort

„Die Kunst hat die Tendenz wieder die Natur zu sein. Sie wird sie nach Massgabe ihrerjedweiligen Reproduktionsbedingungen und deren Handhabung“.[1]

Mit diesem von Arno Holz so formulierten „Kunstgesetz“[2] ist die Auffassung, Sprache sei ein bloßes Reproduktionsmittel, das eine unverstellte Darstellung der Geschehnisse mehr hemmt als ihr förderlich zu sein, untrennbar verbunden. Für zeitgenössische Kritiker war dies wahrlich „schwere Kost“. Eine konsequente Umsetzung[3] wurde anfangs aus stilistischen Prinzipien abgelehnt oder für unmöglich gehalten. 1889 legte Arno Holz in dem Werk Neue Gleise sieben, in Zusammenarbeit mit Johannes Schlaf entstandene, Prosaskizzen vor. Waren dies die Resultate einer ungebrochenen Umsetzung solcher Stilprinzipien? Schnell entbrannte darüber ein immenser Gelehrtenstreit.

Die dieser Interpretation zu Grunde liegende Skizze Papa Hamlet[4] erregte dabei besonderes Aufsehen. Inhaltlich scheint sie mehr ein Verlegenheitswerk zu sein: Ein alternder, verarmter Schauspieler kann sich in der Realität nicht zurechtfinden, erschlägt im Affekt seinen Sohn und stirbt schließlich im Alkoholrausch. Auf sprachlicher Ebene aber etabliert Holz eine neue Darstellungsart, die, glaubt man seinen Kritikern, entweder den Weg in die Zukunft oder den in die Steinzeit weise.

Die vorliegende Arbeit soll vor dem Hintergrund dieser Wertungen die Funktionalität von Sprache in Papa Hamlet näher beleuchten. Erscheint sie tatsächlich nur als grobes Mittel Bild und Abbild zur vollständigen Deckung zu bringen, oder flechtet Holz vielleicht in der Art der „Reproduktion“ weitere Bedeutungsebenen mit ein?

Zur vollständigen Klärung dieser Frage werden zuerst die wörtliche Figurenrede und die Besonderheiten der Erzählersprache untersucht; besondere Berücksichtigung findet dabei die Sprache des verarmten Schauspielers Niels Thienwiebel. Hiernach sollen die im Vorangegangen festgestellten Phänomene auch auf den Berichtsstil der Gegenstands- und Naturdarstellungen übertragen werden. Den Abschluss der Betrachtungen wird ein kurzer Blick auf die sprachliche Ausformung des letzten Kapitels bilden.

II. Analyse der Einzelcharakteristika

1.) Die Alltagssprache – suggeriert sie wirklich Authentizität?

„Hä? Was? Was sagste nu?!“

„Was denn, Nielchen? Was denn? [...]

„Hä?! Was?! Famoser Schlingel! Mein Schlingel! Mein Schlingel, Amalie! Hä! Was?“

Amalie lächelte. Etwas abgespannt. [...]

„Ein Teufelsbraten! Mein Teufelsbraten! Mein Teufelsbraten! Hä! Was, Amalie? Mein Teufelsbraten!“[5]

Deutlich untermauert dieser Ausschnitt, wie unter Verwendung von graphostilistischen Mitteln, Hesitationsfülseln und Jargonwendungen Alltagssprache so exakt wie möglich imitiert wird. Darüber hinaus zeigt sich deutlich, dass unabgeschlossenen Dialoge und unkommentiert verhallende Jargonwendungen eine fortschreitende Zerstörung der logisch- syntaktischen Einheit bewirken.[6] Unterstützt wird diese Zersplitterung des Satzgefüges bereits rein optisch durch einen fast schon verschwenderischen Gebrauch von Satzzeichen, welche in Ermangelung eines auktorialen Erzählers Mimik, Gebärden und Emotionen der sprechenden Personen nachzeichnen sollen.

Ferner werden einzelne Laute, Silben und Wörter weit über ihren inhaltlichen Stellenwert hinaus akzentuiert, manchmal verselbstständigen sich sogar ganze Satzteile und sprengen den von Syntax und Grammatik vorgegebenen normativen Rahmen.[7] So kreisen zum Beispiel in Kapitel IV ganze Dialoge um das einzelne Wort „störrisch“ (40) und um die Wendung „in der Tat“ (40f). Diese stetige Wiederholung von an sich inhaltslosen Ausdrücken dient zum einen der Illustration von Determiniertheit, stellt aber gleichzeitig eine Demontage der Semantik dar. Je öfter ein Wort wiederholt wird, desto mehr reduziert sich sein Bedeutungsinhalt bis es schließlich nur noch den Wert einer leeren Floskel besitzt.

Die Aktanten verlieren im Zuge dieser Zersplitterung aber auch ihre charakterliche Einheit; genauso wie sich die Sprache mitunter aus Versatzstücken zusammensetzt, erschließen sich dem Leser lediglich einzelne Wesenszüge aus fetzenhaft dargebotenen Stimmungen und Trieben.

In der elaborierten Imitation der Alltagssprache – eines unreflektierten, vom Affekt des Moments bestimmten Jargons ­– liegt bereits eine latente Anthropologie: Der Mensch wird reduziert auf Triebe, Emotionen, unbewussten Gefühlsregungen. Die fast vollständige Auflösung der Zusammenhalt gebenden äußeren Form dient zuweilen als Spiegelbild der desolaten menschlichen Bindungen zwischen den Aktanten.[8]

Insgesamt zeichnet Holz in der Zusammenhanglosigkeit der Sprache das Bild eines psychisch instabilen, seinen wechselnden Affekten völlig ausgelieferten Individuums.

All dies erzeugt beim Leser eine der äußeren Form diametral entgegengesetzte Wirkung: Alltägliches erscheint viel fremder als z.B. die in einigen Berichtspassagen verwendete Hochsprache.[9] Durch die Fixierung jener Redefüllsel, die in der alltäglichen Konversation zwar auftreten, aber vom Rezipienten unbewusst ausgeblendet werden, wird die Vertrautheit des Lesers mit dieser von ihm tagtäglich benutzten Sprachform ins krasse Gegenteil verkehrt. Statt Einfühlung bedingt die ungebrochene Imitation der Alltagsprache eine deutliche Distanzhaltung zum Geschehen: Erzähltes wird deutlich als Fiktives wahrgenommen.

2.) Erzählen auf naturalistische Art – eine kurze Vorbemerkung

In der weiteren sprachlichen Ausgestaltung der Skizze steht Holz[10] vor dem Problem, dass ein „naturalistischer Erzähler“ eigentlich ein bloßer Berichterstatter ist. Alles, was nicht perzeptiv erfassbar ist, liegt jenseits seiner Sphäre. Wie aber kann ein Autor vor diesem Hintergrund alle dem Äußeren verborgenen, psychischen Vorgänge darstellen? Holz bedient sich hier eines kleinen Kunstgriffs:

Durch die Übernahme personenspezifischer Sprachcharakteristika aus der direkten Rede in den Bericht schafft er sich ein multifunktionales Stilmittel, welches über eine adäquate Gestaltung der Erzählerrolle hinaus noch mehr Akzentuierungsmöglichkeiten bietet. Diese aufzudecken ist Kernintention der nachfolgenden Abschnitte.

3.) Die sprachliche Ausgestaltung der Berichtspassagen

Bereits Martini konstituiert in der von ihm so bezeichneten „Dialogsprache“[11] einen „analytischen Psychologismus“[12], welcher die inneren Beweggründe des Aktanten in den Fokus rücke. Zur Verdeutlichung des Gedankenganges sei eine Passage aus Kapitel IV zitiert:

„Aber der kleine verstockte Fortinbras wollte nicht. Er hatte sich in Ermangelung des Gummipfropfens, den ihm die reizende Ophelia verbummelt hatte, seinen großen Zeh in den Mund gesteckt und sog nun, dass es ihm aus den kleinen, mattrosa Mundwinkelchen nur so tropfte. Die ersten Elemente der Gesangskunst ließen ihn heute augenscheinlich noch kälter als sonst.“ (40)

Durch die Nachahmung individueller Sprachmuster verfügt der Erzähler über die Fähigkeit, den Leser in die Seh- und Erlebniswelt der handelnden Person mit einzubinden. Ohne auf das Wissenspotential eines auktorialen Erzählers zurückgreifen zu müssen, kann die Wiedergabe halbbewusster psychischer Vorgänge allein durch die sprachliche Ausgestaltung des Berichts erfolgen.[13]

Im Vordergrund steht zwar deutlich das szenische Moment, die Darstellung als Ganzes soll ein möglichst umfassendes, unmittelbares Bild der Lebenswirklichkeit zeichnen, in der Einzelbetrachtung kommt dem Phänomen der perspektivischen Schilderung aber eine weitere, entscheidende Funktion[14] zu:

Die aus der individualisierten Figurensprache übernommenen Elemente erweisen sich als Mittel zur ungebrochenen Entfaltung der Figurenperspektive, welche durch die sprachliche Ausgestaltung als subjektive Äußerung deutlich gekennzeichnet ist. Hiermit verbunden ist auch die Stellung des anfänglich völlig unstrukturiert wirkenden ersten Kapitels: Der normalerweise dem Erzähler vorbehaltene Raum einer Vorstellung aller beteiligten Personen wird ausgefüllt durch deren sprachliche Selbstcharakterisierung: Dem Leser entfaltet sich die ganze Palette sprachlicher Inszenierung quasi in Reinkultur. Nur so kann er später perspektivisierte Passagen als solche erkennen und die in ihnen getroffenen Aussagen als subjektiv entlarven.

[...]


[1] Erich Rumprecht (Hg.): Literarische Manifeste des Naturalismus 1880- 92, 1962, 211

[2] Später wurde dieses Gesetz noch auf die mathematisierte Form „Kunst = Natur – x“ reduziert

[3] Zur Entstehung des Begriffs „konsequenter Naturalismus“ und dessen Problematik vgl. Dieter Schickling: Interpretationen und Studien zur Entwicklung und geistesgeschichtlichen Stellung des Werkes von Arno Holz.

1965, 68f

[4] In ihrer Erstauflage wird noch ein gewisser „Bjarne P. Holmsen“ als Autor bezeichnet. Holz wollte unter Verwendung eines norwegischen Pseudonyms die zeitgenössische Leserschaft, welche nur skandinavische und französische Prosa als „naturalistisch“ anerkannte, verhöhnen.

[5] Arno Holz: Papa Hamlet, Stuttgart 2006, 19. Alle im Folgenden gebrauchten Zitate des Primärtextes sind dieser Ausgabe entnommen, die Seitennachweise erscheinen in runden Klammern direkt nach dem Ausschnitt.

[6] Im weiteren Verlauf der Skizze finden sich in derselben Funktion zusätzlich noch Anakoluthe und wachsende Verzweiflung illustrierende Lautgebärden.

[7] Vgl. Hans- Georg Rappl: Die Wortkunsttheorie von Arno Holz, 1955, 9f sowie 11. Was hier über die poetischen Mittel gesagt wird, kann gleichermaßen auf die Stilmittel der Prosa übertragen werden.

[8] zur Ausnahmestellung Mietzens vgl. Heinz- Georg Brands: Theorie und Stil des sogenannten "konsequenten Naturalismus" von Arno Holz und Johannes Schlaf . Kritische Analyse der Forschungsergebnisse und Versuch einer Neubestimmung, 1978, 217

[9] Selbst die später auftretenden Hamlet Zitate wirken im Kontrast zu diesem „Sprachkonstrukt“ vertrauter und vor allem authentischer

[10] Arno Holz wird hier nicht ohne Grund als der geistige Vater des neuen Prosastils genannt. Zum einen leistete er in seinen theoretischen Schriften Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze, Evolution des Dramas und Revolution der Lyrik die programmatische Vorarbeit, zum anderen zeigt der Vergleich zwischen der von Johannes Schlaf allein verfassten Studie Ein Dachstubenidyll und dem Papa Hamlet, dass die sprachliche Ausgestaltung eindeutig auf den Einfluss von Arno Holz zurückzuführen ist.

[11] Fritz Martini: Das Wagnis der Sprache. Interpretationen deutscher Prosa von Nietzsche bis Benn,

1958, 121- 123

[12] Ebd. 123

[13] Vgl. hierzu auch Martini: Das Wagnis der Sprache, 125

[14] Vgl. Brands: Theorie und Stil des sog. „konsequenten Naturalismus“, 198- 200. Ihm gelingt in der Analyse der Brückenschlag zwischen streng naturalistisch geprägten und tiefenpsychologisch orientierten Interpretationsansätzen.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Bühnenrhethorik und Alltagsjargon - Sprache in "Papa Hamlet"
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V76274
ISBN (eBook)
9783638798488
ISBN (Buch)
9783638797610
Dateigröße
415 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dozentenkommentar: Eine überdurchschnittlich gute Arbeit, die durch ihre systematische Anlage und vor allem durch die ausgesprochen genaue und problembewusste Analyse von Sprache und Erzählverhalten überzeugt.
Schlagworte
Bühnenrhethorik, Alltagsjargon, Sprache, Papa, Hamlet
Arbeit zitieren
Claudia König (Autor:in), 2007, Bühnenrhethorik und Alltagsjargon - Sprache in "Papa Hamlet", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76274

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