„Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt ..."

Friedrich Schillers Dramen


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2006

38 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Räuber

3. Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

4. Kabale und Liebe

5. Don Carlos

6. Wallenstein

7. Maria Stuart

8. Die Jungfrau von Orléans

9. Die Braut von Messina

10. Wilhelm Tell

11. Demetrius

12. Zusammenfassung

1. Einleitung

Es gibt in intellektuellen und Künstlerkreisen schon seit einigen Jahrzehnten Stimmen, die behaupten, man könne mit den Werken der Klassiker, besonders denen Schillers, so richtig nichts mehr anfangen. Die gerade von Schiller bearbeiteten Themen und Formen spiegelten eigentlich nur die ideologisch widersprüchliche Haltung des Bürgertums zu seinen Idealen – so die Adornieten – oder sie gehörten in den Fundus der „Weltkultur“, aus der sich nach den Kunstmarktgesetzen und die eigene Eitelkeit bespiegelnd beliebige Fetzen herausreißen lassen, um den herrschenden Zeitgeist passend zu drapieren.

Solche Einstellungen sind jedoch nur möglich, wenn die Aussagen und die Sprache der Klassiker von einer körperverliebten Regie verändert, entstellt oder gar ins Lächerlich-Absurde gezogen und damit getilgt werden mit der Begründung, sie seien unverständlich, verstaubt und ausgetrocknet – besonders die von Schiller.

Ich behaupte: Sowohl die Themen und Formen und besonders die Sprache sind so aktuell wie verständlich. Man muss jedoch lesen und verstehen können. Also lasst es uns versuchen!

2. Die Räuber

Nehmen wir Schillers frühstes Schauspiel „Die Räuber“. In ihm wird ein uralter – man könnte auch sagen archaischer – Konflikt thematisiert: das Verhältnis und die Liebe eines Vaters zu seinen in Aussehen und Wesen ungleichen Söhnen. Während der Erstgeborene Karl von der Natur an Gaben reicher ausgestattet als sein Bruder als junger Mann die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt und sich stattdessen einem Lotterleben mit und in einer Gruppe Gleichgesinnter hingibt, erfüllt der Zweitgeborene seine Pflicht, glaubt sich aber, da der Vater nicht gewillt ist, Karl zu verstoßen, um den Lohn seiner Pflichterfüllung, nämlich das väterliche Erbe als Graf anzutreten, betrogen, sollte der Vater den Reue zeigenden Karl wieder im Hause aufnehmen. Aus dieser Ausgangs- und Konfliktsituation entwickeln sich im weiteren Verlauf die vielen Verbrechen: versuchter Vatermord, Mordanstiftung, Selbstmord von Franz Moor und Brandschatzung, Diebstahl sowie Mordbrennerei von Karl Moor.

Wir haben es also mit einem bekannten Thema zu tun, das in der Bibel sowohl im Alten wie im Neuen Testament variationsreich auftritt: im Brudermord Kain an Abel (1. Buch Moses, 4. Kapitel), im Erbschaftsbetrug Jakobs an Esau (1. Buch Moses, 27. Kapitel) oder in der Rückkehr des verlorenen Sohnes (Lukas, 15. Kapitel). Während jedoch in diesen mythischen Geschichten, gleichsam durch die Anwesenheit Gottes, sich die schrecklichen Geschehen im Nachhinein noch zum Guten wenden, führt die Gottesferne – ein Element der Aufklärung – in Schillers Werk zur Katastrophe. Der moderne bürgerliche Mensch, der uns in Karl und Franz entgegentritt, entscheidet als freier Mensch nach seinem Willen und Verstand. Schiller meint nun: Wird dieser Verstandesmensch nicht gezügelt (sei es durch Religion, Moral, Ästhetik, Recht), kann er leicht zum Bösewicht werden, ja sich zum menschlichen Ungeheuer entwickeln, in Schillers Worten in der Vorrede zur ersten Auflage ausgedrückt: „Wer es einmal so weit gebracht hat (ein Rum, den wir ihm nicht beneiden), seinen Verstand auf Unkosten seines Herzen zu verfeinern, dem ist das Heiligste nicht heilig mehr – dem ist die Menschheit, die Gottheit nichts.“

Zwei solche Menschen, die mit Verstand glänzen und mit Individualität sowie Willensstärke protzen, den modernen Menschen also, stellt Schiller uns in Karl und Franz vor. Ihr Selbstverständnis und Schillers Zeit- und Gesellschaftskritik prägen ihre großen Monologe.

So verkündet Franz das Recht des Stärkeren: „Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten, Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.“ (I,1), so wettert Karl gegen das Kastratenjahrhundert und huldigt der schrankenlosen Willensfreiheit: „Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust und meinen Willen schnüren in Gesetze. Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre. Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit brühet Kolosse und Extremitäten.“ (I,2) und so leugnet Franz das Gewissen als Instanz Gottes: „Der milzsüchtige, podagrische Moralist von einem Gewissen mag runzligte Weiber aus Bordellen jagen, und alte Wucherer auf dem Totenbett foltern – bei mir wird es nimmermehr Audienz bekommen!“ (IV, 2).

Diese beiden bösen Menschen sind gewaltig in ihren Ansprüchen und mächtig in der Sprache, der Sprache Schillers. Und weil sie die Bösen sind, dürfen sie auch radikale Zeit- und Gesellschaftskritik üben. Dies alles –so meine ich- fasziniert auch noch in der Gegenwart und müsste junge Menschen ergreifen, weil eine Ahnung von der Möglichkeit des Menschseins aufleuchtet, insbesondere in einer Zeit und einer (westlich-europäischen) Gesellschaft, in der der kastrierte Geist als Wächter über das freie öffentliche Denken bestimmt.

Schiller als Kind der Aufklärung und des schwäbischen Pietismus musste natürlich den bösen Menschen in seine Schranken weisen: deshalb die Drohung Pastor Mosers mit dem Jüngsten Gericht gegenüber Franz und die Selbsterkenntnis Karls, „dass zwei Menschen wie ich den Bau der sittlichen Welt zugrunde richten würden“ (V,2), die ihn dazu veranlassen, sich dem Gericht zu stellen und der bestehenden Ordnung zu unterwerfen. Mit dem Selbstbekenntnis des freien Individiums zur Verantwortung für seine Taten, nämlich „Todsünden, die die Harmonie der Welt stören“, löst Schiller das offensichtliche Missverhältnis zugunsten des Bösen in seinem Schauspiel wieder auf.

„Nun das Stück von seiten seiner Moral? – Vielleicht findet der Denker dergleichen darin (besonders wenn er sie mitbringt); Halbdenker und ästhetische Maulaffen darf man es kühnlich konfiszieren.“, so in Schillers Selbstbesprechung im „Wirtembergischen Repertorium.

3. Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

Auch Schillers „republikanisches Trauerspiel“ „Fiesco“ verliert nicht an Aktualität, geht es doch darum, den Menschen zu zeigen, wie zum einen ein großer politischer Kopf, Fiesco, einen politischen Umsturz intrigenreich inszeniert, in dem Machtkampf angeblich zur Erhaltung der Republik republikanische Ideale verrät um seinen eigenen Machtrausch zu stillen und zum anderen die Methoden des Machtspiels selbst vorzustellen. Schiller formulierte das Anliegen dieses Schauspiels in der Vorrede mit folgenden Worten: „die kalte unfruchtbare Staatsaktion aus dem menschlichen Herzen herausspinnen, und eben dadurch das menschliche Herz wieder anzuknüpfen – den Mann durch den staatsklugen Kopf zu verwickeln – und von der erfinderischen Intrige Situationen für die Menschheit zu entleihen – das stand bei mir.“

Die Republik Genua sieht sich in ihrer Staatsform durch den Neffen des greisen Andrea Doria bedroht, denn Gianettino Doria beabsichtigt die Alleinherrschaft an sich zu reißen, um ein (absolutes) Fürstentum zu errichten. Um dieses Zieles zu erreichen, manipuliert er offen die Wahl des Prokurators zugunsten seines Höflings Lamellino, entmachtet faktisch den Senat, entledigt sich der Friedensrichter, plant zwölf Senatoren zu ermorden und seinen Onkel zum Rücktritt zu zwingen. Außerdem versichert er sich des Rückhaltes des Kaisers und kauft von ihm 200 „Teutsche“ als persönliche Leibwache. Als das Ansinnen Gionettinos ruchbar wird, verschwören sich einige Republikaner, um das Haus Doria zu entmachten. Doch es fehlt noch der führende Kopf der Verschwörung für einen Umsturz. Die Republikaner sehen ihn im Grafen von Lavagno, Fiesco. Aber der gibt sich zunächst uninteressiert und geht öffentlich nur seinen Vergnügungen nach. Gianettino erkennt jedoch instinktiv in Fiesco seinen Widersacher, deshalb will er ihn durch den Mohren Hassan ermorden lassen. Der Anschlag misslingt wegen Fiescos Wachsamkeit. Stattdessen tritt der Mohr in Fiescos Dienste und erkundet und hetzt die politische Stimmung gegen die Dorias auf. Währenddessen planen die Republikaner, den Adel auf ihre Seite zu ziehen, um im Falle des politischen Aufstandes das Volk, „den Pöbel“, zu bändigen.

Um Fiesco für ihre Verschwörung zu gewinnen, instrumentalisieren sie die Kunst. Der Anblick heroischer Gestalten des Malers Romano – so die Überlegungen der Republikaner – soll Fiescos politischen Ergeiz auf Nachruhm anstacheln. Doch dieser durchschaut die Manipulation: „Machst Republikaner mit dem Pinsel frei – kannst deine eigenen Ketten nicht brechen? () Geh! Deine Arbeit ist Gaukelwerk – der Schein weicht der Tat. () Ich habe getan, was du – nur maltest.“ (II,17) und eröffnet nun seinerseits den Republikanern seine Unternehmungen für einen politischen Umsturz. So habe er 2 000 Soldaten aus Parma, Geld aus Frankreich und vier Galeeren vom Papst (für einen angeblichen Kreuzzug) organisiert. Er resümiert: „Rom, Frankreich und Parma bedecken mich. Der Adel ist schwürig. Des Pöbels Herzen sind mein. Die Tyrannen hab ich in Schlummer gesungen. Die Republik ist zu einem Umgusse zeitig.“ (II,18)

Nachdem ihn die Republikaner verlassen haben, erwägt er in Gedanken sich zum Alleinherrscher aufzuschwingen. „Republikaner Fiesco? Herzog Fiesco?“ „Engel findest du mit Sirenentrillern von Unendlichkeit – Menschen angelst du mit Gold, Weibern und Kronen.“ Andererseits findet er auch ein großes Vergnügen darin, großzügig auf die erreichbare Macht zu verzichten: „Ein Diadem zu erkämpfen ist groß. Es wegzuwerfen ist göttlich. (Entschlossen) Geh unter, Tyrann! Sei frei , Genua, und ich (sanft geschmolzen) dein glücklichster Bürger!“ (II,19) Doch der alte überzeugte Republikaner Verinna bemerkt Fiescos Machtgelüste und erkennt:

„Den Tyrannen wird Fiesco stürzen, das ist gewiß! Fiesco wird Genuas gefährlichster Tyrann werden, das ist gewisser!“ Und gegenüber Bourgognino, dem Verlobten seiner Tochter Berta, erklärt er, um die Republik zu erhalten, müsse er Fiesco töten: “Fiesco muß sterben!“ „sterben durch mich!“ (III,2) Und tatsächlich überwältigen Fiesco seine Machtgelüste. Am Morgen des Tages des Aufstandes entschließt er sich im Anblick der aufgehenden Sonne über Genua: „Diese majestätische Stadt .() Mein!...darüber brüten mit Monarchenkraft...“. (III,2)

Als er später vom Mohren Hassan erfährt, das Ginanettino einen Mordplan gegen ihn und elf weitere Senatoren ausheckt , um sich danach zum souveränen Herzog ausrufen zu lassen, wird Fiesco aktiv, während Hassan schon entsprechende Vorbereitungen getroffen hat: Die 2 000 fremden Soldaten wurden in die Stadt geschmuggelt und in Kapuzinerklöster versteckt, die 400 Abenteurer, die sich für den Kreuzzug meldeten, den Fiesco vorgibt führen zu wollen, damit die Galeeren aus Rom ungehindert im Genueser Hafen ankern können, werden für den Abend in den Schlosshof beordert und die Wachen an den Stadttoren sind bestochen. Nun werden die republikanischen Verschwörer zusammengerufen. Man einigt sich, nachdem Meuchelmordpläne verworfen worden sind, auf Anraten Verrinas auf den Abend als Zeitpunkt des Aufstandes, dessen Durchführung Fiesco plant: Er will den Adel zu einem Fest auf sein Schloss bitten, um sich dessen Loyalität nach dem Sturz der Dorias zu versichern, der Hafen wird besetzt, um den Dorias und ihren Anhängern den Fluchtweg über See abzuschneiden, auch die Plätze der Stadt und das strategisch wichtige Thomastor werden mit eigenen Leuten bestückt, beide Dorias sollen in ihren Palästen überfallen und ermordet und zum Schluss die Bürger und das Volk aufgerufen werden, sich den Aufständischen anzuschließen. Als Anführer des Umsturzes tritt Fiesco selbst auf. Doch dieser Plan lässt sich nicht hindernisfrei realisieren. So warnt, wenn auch vergebens, ein Teutscher Gianettino, indem er ihn über seltsame Vorgänge im Hafen, den Klöstern und an den Toren der Stadt unterrichtet. Fiesco begeht den Fehler, Hassan, den Mitwisser seiner intriganten Pläne, wissen zu lassen, dass er sich, nachdem er Herzog geworden sei, dessen entledigen wolle, worauf Hassan sofort die anstehenden Umsturzpläne dem alten Doria verrät. Als die aufständischen Republikaner von dem Verrat erfahren, wollen sie ängstlich das Vorhaben aufgeben, doch Fiesco vermag dies mittels einer List zu verhindern. Andererseits will auch Fiesco selbst seine Pläne aufgeben, als ihm der alte Doria großzügig den Mohren wieder zurückschickt mit der Mitteilung, dass er „ohne Leibwache schlafen“ (IV,9) werde und ihm so signalisiert, dass Fiesco als standesgemäß Gleicher wohl nicht wie ein gewöhnlicher Mörder handeln werde. Nun ist es Verrina, der, indem er Fiesco droht, ihn als Staatsverräter inhaftieren zu lassen, den Aufstand rettet.

Der Aufstand gelingt, auch wenn kurze Zeit die Gefahr besteht, dass die Kirche den Aufständischen die Unterstützung versagen könnte, Gianettino fällt, der alte Doria bittet um Gnade und die Menge huldigt Fiesco als Herzog. „Der Pöbel vergöttert ihn und fordert wiehernd den Purpur. Der Adel sah mit Entsetzen zu, und durfte nicht nein sagen.“ (V,15) Der alte überzeugte Republikaner Verrina versucht mit Appellen an Freundschaft, Fiesco davon zu überzeugen, den Herzogtitel abzulehnen: „Wirf diesen hässlichen Purpur weg...“ (V,16) Da Fiesco darauf nicht eingeht, wird er von Verrina ertränkt. Zwischenzeitlich meldet sich der alte Doria auf der politischen Bühne zurück und gewinnt erneut die Unterstützung des Volkes. Verrina, überzeugter Republikaner aber auch politischer Mörder, unterwirft sich schlussendlich den bestehenden Machtverhältnissen, dem Dogen: „Ich geh zum Andreas.“ (V,17) Die Republik, wenn auch altersschwach, hat gesiegt.

Reduziert man das Schauspiel auf seinen politischen Kern, dann geht es um einen Machtkampf innerhalb der herrschenden Klasse, dem Adel bzw. Patriziertum, denn zwei Adlige, Gianettino Doria und Fiesco, Graf von Lavagna, kämpfen um die Alleinherrschaft. Den beiden Protagonisten geht es dabei – abgesehen von Prestigeinteressen – eigentlich nur um Macht und die Befriedigung der mit der Macht verbundenen persönlichen Gefühle. Fiesco beschreibt diese in seinem Monolog im 3. Aufzug, 2. Auftritt als Überheblichkeit, Lebensgenuss, Fremdbestimmung und Gängelung der Untergebenen, des Volkes, Ergötzen am Ohnmachtgefühl der Gegner und Demütigung der eigenen Anhänger: „Zu stehen in jener schröcklich erhabenen Höhe – niederzuschmollen in der Menschlichkeit reißenden Strudel, wo das Rad der blinden Betrügerin Schicksale schelmisch wälzt – den ersten Mund am Becher der Freude – tief unten den geharnischten Riesen Gesetz am Gängelband lenken – schlagen zu sehen unvergoldete Wunden, wenn ein kurzarmiger Grimm an das Geländer Majestät ohnmächtig polteret – die unbändigen Leidenschaften des Volkes, gleich soviel stampfenden Rossen, mit dem weichen Spiele des Zügels zwingen – dem emporstrebenden Stolz der Vasallen mit einem – einem Atemzug in den Staub legen, wenn der schöpfrische Fürstenstab auch die Träume des fürstlichen Fiebers ins Leben schwingt. – Ha! Welche Vorstellung, die den staunenden Geist über seine Linien wirbelt! – Ein Augenblick Fürst hat das Mark des ganzen Daseins verschlungen. Nicht der Tummelplatz des Lebens – sein Gehalt bestimmt seinen Wert.“

Und diese Art des Machtrausches soll bestimmten Politikern oder anderen Machtmenschen in Wirtschaft und Gesellschaft heute fremd sein ?

Bezeichnenderweise dient sich als Helfer der Machtbesessenen der Schurke Hassan, ein Mohr aus Tunis, an. Er charakterisiert sich selbst als Gehilfe des Teufels: „Wenn Mephistopheles einen Gelust bekömmt, brauchts nur einen Wink, und er hat den Braten noch warm.“ () „Topp, Lavagna! Ich bin Euer, und zum Helfer führe das Privatleben.“ (I,9) Die Tyrannis bzw. die absolute Macht ist nach Schiller also Teufelswerk.

Die Position des Dramatikers gegenüber der Republik bleibt im Schauspiel inhaltlich vage und ambivalent. Da gibt es einen Sturkopf Verrina, dem es ausschließlich um die „Heiligkeit der Gesetze“ (I,10) und die Freiheit geht, welche Gesetze gemeint sind und wie die Freiheit aussieht, bleibt unklar. Da gibt es einen Sacco, dem die Staatsveränderung dazu dienen soll seinen „Gläubigern das Fordern“ (I,3) zu verleiten, einen Lüstling Calcagno, der Fiescos Ehefrau nachsteigt und der als erster Fiesco als „Herzog von Genua“ (V,12) ausruft, einen reichen Kaufmann Borgognino, der für Verrinas Tochter und seine Verlobte kämpft und dann aus Genua flieht, da gibt es die bestechlichen Seidenhändler und die tumben Handwerker, die sich von Fiescos Fabelerzählung einlullen lassen.

Die Republikaner können selbst keinen Anführer stellen, sie sind nicht selbstbewusst, sondern hängen am Gängelband der Aristokratie – wie das Bürgertum in Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Gerade darin zeigt sich die Aktualität des Dramas für die Gegenwart, denn auch heute besitzt das Land kein selbstbewusstes Bürgertum, es lässt sich am drosselnden Strick der Bürokratie und der sich repressiv tolerant gebenden, tatsächlich aber autoritären Institutionen gängeln.

4. Kabale und Liebe

Das junge, unschuldig - naive , 16jährige Mädchen Luise, Tochter des Stadtmusikanten und Kunstpfeifers Miller, und der 20jährige Major Ferdinand, Sohn des Präsidenten von Walter am Hofe eines Fürsten, glauben ihre erste stürmische Liebe ausleben und heiraten zu können. Hierin werden sie lediglich unterstützt von der einfältigen Mutter Miller, die meint, ihre Tochter sei „zu was Hohem gemünzt“ (II,2).

Dagegen will der Vater die Verbindung der beiden jungen Leute gelöst sehen, weil er erkennt, „meine Tochter ist zu schlecht zu Dero Herrn Sohn Frau, aber zu deren Herrn Sohnes Hure ist meine Tochter zu kostbar, und damit basta! Ich heiße Miller.“ (I,2)

Auch Ferdinands Vater ist gegen diese Verbindung, hat er doch große Pläne mit ihm: Ferdinand soll Minister, sogar Geheimrat werden und möglicherweise von dieser Position aus nach noch höherer Stellung streben. Deshalb wünscht er eine standesgemäße Heirat, entweder mit der Konkubine des Fürsten Lady Milford, damit „nun der Fürst im Netz der Familie bleibe“ (I,5) oder mit der Gräfin von Ostheim. Der Sohn widersetzt sich jedoch starrköpfig: „ durchreißen will ich alle diese eiserne Ketten des Vorurteils – Frei wie ein Mann will ich wählen, daß diese Insektenseelen am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln.“ (II,5) Da Zwang nichts nützt – „Zwang erbittert die Schwärmer immer, aber belehret sie nie“ (III,1) -, rät der Sekretär Wurm, der selbst ein Auge auf Luise geworfen hat, aber auf keine Gegenliebe stößt, dem Präsidenten zu einer List: „Machen Sie ihm das Mädchen verdächtig.“ (III,1) Die Intrige sieht vor, Vater und Mutter Miller zu inhaftieren, um Luise aus Liebe zu ihrem Vater zu zwingen, einen fingierten Liebesbrief an einen Dritten zu schreiben, damit der Vater wieder freikommt, und diesen Brief Ferdinand zuzuspielen. Der Plan wird umgesetzt und geht auf. Ferdinand fühlt sich folglich von Luise betrogen, getränkt und verletzt: „Tod und Rache! Nichts als daß ich betrogen sei?“ (IV,2) Blind vor Eifer- und Rachsucht vergiftet er Luise und sich selbst. Sein Vater lehnt zunächst eine Mitschuld und Mitverantwortung an der Katastrophe ab und bezichtigt stattdessen den Sekretär Wurm. Als dieser verhaftet wird, droht er alle Geheimnisse des Präsidenten, insbesondere einen Mord, aufzudecken: „Es soll mich kitzeln, Bursch, mit dir verdammt zu sein!“ (V,8) Kurz vor dem Ableben Ferdinands kommt es noch zur Versöhnung zwischen Sohn und Vater, der nun auch bereit ist, sich den Gerichten zu stellen.

In der Literatur wurde und wird hauptsächlich der sozialkritische, antifeudale Impetus des Schauspiels betont – das es zweifelsfrei besitzt. Es lässt sich aber auch als Drama verstehen, in dem der Generationenkonflikt, speziell der Vater – Sohn – Konflikt, im Vordergrund steht.

Ein junger Mann will leidenschaftlich und kompromisslos, ja schon egoistisch, seine Gefühle ausleben, nämlich zuerst seine Liebe, dann seine Rache, zeigt sich – im Gegensatz zu Luise – uneinsichtig gegenüber Bedenken und Einwänden konventioneller und gesellschaftlicher Art und fällt zuletzt in einen Größenwahn: „Ich einst ihr Gott, jetzt ihr Teufel.“ (IV,4), der zwei Menschen in den Tod führt und fünf weitere in Not und Verderben. Ferdinand ist aber nicht nur Täter sondern auch Opfer: Opfer eines an Akademien vermittelten weltfremden Idealismus (III,1). „Mein Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück. In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben.“ (I,7) und Opfer des Ehrgeizes des eigenen Vaters, der seinen Sohn zum Glück durch Macht zwingen will. „Du erkämpfst dein Glück von der zweiten Hand – das Verbrechen klebt nicht am Erbe.“ Doch: „Wenn es nach deinem Kopfe ginge, du kröchest dein Leben lang im Staub.“ (I,7)

Es sind also auch in diesem Schauspiel die großen Leidenschaften, die ins Verderben führen. Während in „Die Räuber“ die Herrschaft des Verstand zuungunsten des Herzens die Katastrophe bedingt, dominiert in „Kabale und Liebe“ das Herz und Gefühl.

Ist dieses wilde Ausleben der eigenen ungebildeten Gefühle nicht auch ein Zug der heutigen Zeit? Ist es deshalb nicht doch aktuell, was Schiller in seiner Vorlesung zur Schaubühne feststellt:

„Ich kenne nur ein Geheimnis, den Menschen vor Verschlimmerung zu bewahren, und dieses ist – sein Herz gegen Schwächen zu schützen.“

5. Don Carlos

Das Drama „Don Carlos. Infant von Spanien”, von Schiller “Ein dramatisches Gedicht” bezeichnet und in Blankversen verfasst, spielt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im spanischen Habsburg unter Philipp II (1556-98). Es ist eine Zeit kolossalen Umbruchs: die konfessionelle Spaltung der Christenheit ist vollzogen, die Idee des Nationalstaates setzt sich langsam aber stetig gegenüber der des Universalstaates durch und die Fürsten im Reich triumphieren; das Bürgertum bemächtigt sich des Kolonialhandels und das kapitalistisch – rationale Denken durchdringt das Wirtschaftsleben; die Existenz der Lehenstaaten des Osmanischen Reiches und des Kaiserreiches sind bedroht, unterhöhlt und können nur noch mittels grober Gewalt bestehen.

So ist die absolute Herrschaft Philipps II gekennzeichnet durch Beschneidung der Rechte der Stände, durch faktische Vertreibung des Kleinadels in die Überseekolonien, durch kirchlichen Terror mittels Inquisition und Ketzerverbrennung, durch Unterdrückung der sozialen Schichten, die Handel und Gewerbe fördern, nämlich Juden und Araber, und durch Raubkriege in Europa und Übersee. Alle diese Ereignisse zerstören die bestehende Herrschaftsordnung.

Doch die Herrschenden sind in ihrem der Gewalt verpflichtetem Herrschaftsdenken gefangen.

„Mich ruft mein königliches Amt. Die Pest / Der Ketzerei steckt meine Völker an, / Der Aufruhr wächst in meinen Niederlanden. / Es ist höchste Zeit. Ein schauriges / Exempel soll die Irrenden bekehren. / Den großen Eid, den alle Könige / Der Christenheit geloben, lös ich morgen. / Dies Blutgericht soll ohne Beispiel sein.“ (I,6)

In dieser Situation tritt ein Mann auf und fordert „Gedankenfreiheit“. Wer ist dieser Mann ?

Es ist Roderich Marquis von Posa, ein Malteser, Kleinadliger eines kleinen Inselreiches, das sowohl vom spanischen wie Osmanischen Reich bedroht wird. Aufgewachsen und erzogen am spanischen Hof wird er zum Spielgefährten und später zum engen Freund des Infanten, des Sohnes Philipp II, Don Carlos, der um Posas Liebe, die ihm von Elternseite nicht zuteil wird, buhlt und sich für Roderichs Streiche bestrafen lässt. (I,2) Beide besuchen die Hohe Schule Alkalas, die Posa als Achtzehnjähriger verlässt, um gegen die Türken, die Malta eingenommen hatten, zu kämpfen und es zurück zu erobern. Posa deckt auch eine Verschwörung in Katalonien, der wichtigsten spanischen Provinz, auf (III,8) und unternimmt dann Reisen durch ganz Europa, wobei er auch die flandrischen Provinzen besucht (I,2) und die Freiheitsbestrebungen miterlebt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
„Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt ..."
Untertitel
Friedrich Schillers Dramen
Veranstaltung
-
Autor
Jahr
2006
Seiten
38
Katalognummer
V116166
ISBN (eBook)
9783640176847
ISBN (Buch)
9783640176939
Dateigröße
600 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parteien, Gunst, Hass
Arbeit zitieren
Dr. Wilma Ruth Albrecht (Autor:in), 2006, „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt ...", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116166

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