Theorien des Erstspracherwerbs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Definition des Begriffes Spracherwerb

3. Spracherwerbstheorien
3.1. Die behavioristische Theorie
3.2. Die nativistische Theorie
3.2.1. Language Acquisition Device
3.2.2. Prinzipien und Parameter Modell
3.2.3. Kontinuitätstheorie
3.2.4. Reifungshypothese
3.3. Die kognitivistische Theorie
3.4. Die interaktionistische Theorie
3.4.1. Gebrauchsbasierter Spracherwerbsansatz nach Tomasello
3.5. Spracherwerb durch Selbstorganisation

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Über den Spracherwerb kleiner Kinder gibt es unterschiedliche Theorien und Erklärungsversuche. Diese Spracherwerbstheorien bilden das Fundament für mögliche Erklärungsmuster. Innerhalb der Spracherwerbsforschung fand immer wieder ein Paradigmenwechsel statt; der Ansatz des Behaviorismus wurde längst für obsolet erklärt und Piagets kognitivistische Theorie als eher unzutreffend kritisiert. In den letzten zwanzig Jahren dominierte das generative und nativistische Modell Chomsky’s, das jedoch inhaltlich nie hinreichend definiert werden konnte und nur einen Teilaspekt des Spracherwerbs erklärt, und zwar die Kerngrammatik. Neuere theoretische Ansätze stehen nun im Vordergrund, die als usage-based und Selbstorganisation bekannt sind. Sie zeigen, wie sprachliche Strukturen mittels allgemeiner kognitiver Fähigkeiten aus der sozialen Interaktion und dem Input konstruiert werden können.

Die folgende Arbeit betrachtet die wesentlichen Aspekte des kindlichen Erstspracherwerbs, jedoch kann die Darstellung der etablierten, teilweise hochkomplexen Spracherwerbstheorien den tiefergehenden Details aufgrund des begrenzten Rahmens der Arbeit nicht gerecht werden. Daher stellt diese Arbeit nicht den Anspruch sich als eine komplette Analyse dieser Theorien zu bezeichnen, sondern bietet lediglich eine zusammengefasste Übersicht über die Vielzahl der Theorien und die verschiedenen Forschungsergebnisse.

2. Definition des Begriffes Spracherwerb

Bevor das zentrale Thema dieser Arbeit, die verschiedenen Theorien des Spracherwerbs, dargestellt wird, soll zuerst definiert werden, was genau unter Spracherwerb zu verstehen ist.

Das wissenschaftliche Interesse an dem frühkindlichen Spracherwerb besteht schon seit mehreren Jahrhunderten und wurde in den verschiedensten Disziplinen zum umstrittenen Thema. Heute ist er hauptsächlich ein Forschungsgegenstand sowohl der Linguistik als auch der Entwicklungspsychologie. Erforscht werden der Prozess, mit dem Kleinkinder eine oder mehrere Erstsprache(n) erwerben, und das Erlernen bzw. die Verfügbarkeit der Fähigkeit grammatikalisch richtige Sätze zu bilden, sprachliche Mitteilungen zu verstehen und diese situationsgerecht anzuwenden. Hierbei wird zwischen der sprachlichen Kompetenz , welche die vorhandene Gesamtheit der syntaktischen, morphologischen und semantischen Regeln bezeichnet, und der Sprachperformanz, mit der das faktische Sprachverhalten, die aktuelle Sprachverwendung und der Gebrauch der Sprache in konkreten Situationen gemeint ist, unterschieden.

Die Frage, ob Kinder Sprache passiv durch Imitation und durch Übernahme des von der umgebenden Gesellschaft angebotenen sprachlichen ‚Inputs’ oder aktiv durch produktive Aneignung sprachlicher Strukturen und Fertigkeiten ihrer Umwelt verstehen und erwerben, ist immer noch aktuell, doch bis heute gibt es in der Forschung keine allgemeingültige Theorie über den Erwerb von Sprache. Deshalb gibt es zu diesem Thema kontroverse Annahmen, die im folgenden näher dargestellt werden.

3. Spracherwerbstheorien

Eine Theorie des Spracherwerbs erhebt den Anspruch, den Prozeß zu erklären, den ein Kind durchläuft, wenn es innerhalb eines begrenzten Zeitraums in der Auseinandersetzung mit einer endlichen Menge sprachlicher Äußerungen ein linguistisches Bezugssystem erstellt, das ihm – ein unbeeinträchtigtes Sprachverarbeitungssystem vorausgesetzt – erlaubt, eine im Prinzip unendliche Menge von Sätzen (qua Äußerungen) zu verstehen und zu produzieren. (Tracy 1991: 4).

3.1. Die behavioristische Theorie

Anfang des 20. Jahrhunderts gründete der amerikanische Psychologe John B. Watson mit dem Behaviorismus einen völlig neuen Zweig in der Psychologie, der „sich nur für das beobachtbare Verhalten interessierte“ (Zimmer 1986: 11). Vertreter des Behaviorismus definierten Verhalten, in Anlehnung an die Verhaltensforschungen von Iwan Pawlow, „als Reaktion auf bestimmte umweltbedingte, äußere oder innere Reize“ (Bußmann 1990: 140). Indem er seine Erfahrungen aus Experimenten mit Tieren auf das sprachliche Verhalten von Menschen übertrug, entwickelte Burrhus F. Skinner in den fünfziger Jahren seine behavioristische Sprachlerntheorie, welche davon ausgeht, dass Sprache insgesamt erlernt werden muss und hierzu allgemeine Lerngesetze heranzieht. Watsons Überzeugung, dass Sprache eine konditionierte Fähigkeit ist, lautet folgendermaßen:

Sind [...] Lautreaktionen einmal konditioniert, kann man natürlich die ganze Sprache als ‚Nachahmung’ betrachten, da im sozialen Kontakt das gesprochene Wort eines Menschen der Reiz ist, der bei einem anderen Menschen die gleiche oder eine andere verbale Reaktion auslöst. (Watson 1968: 231)

Mit anderen Worten, indem wir unsere Kinder in unseren eigenen verbalen Fußstapfen aufziehen, werden sie konditioniert, so wie auch wir auf die Wörter selbst [...], auf ihre Aussprache und Flexion konditioniert worden sind. (Watson 1968: 234)

Auch nach Skinner unterliegt der Erwerb der Sprache denselben Gesetzmäßigkeiten wie der Erwerb jedes anderen Verhaltens; er ist also mit dem von Behavioristen entwickelten Stimulus-Response Modell, welches die Reiz-Reaktionsprozesse beschreibt, zu erklären. Demnach gilt der Lernvorgang als Imitation; indem der Lerner bzw. das Kind das Gehörte (Stimulus) nachahmt oder übt (Response) und dafür gelobt oder getadelt wird (positive oder negative Verstärkung) bilden sich die sprachlichen Strukturen heraus. Die Nachgeahmten Laute, Wörter und Sätze der Umgebung werden von Erwachsenen korrigiert und der Prozess der Nachahmung wird in dieser Weise gesteuert. Wichtig für das erfolgreiche Lernen ist die positive oder negative Verstärkung. Hierbei spricht man von operanter oder klassischer Konditionierung. Das Lernen über das Stimulus-Response-Paradigma wird auch Assoziationslernen genannt, da der Lernerfolg durch die Verbindung von Reiz und Reaktion zustande kommt.

Die Vertreter des Behaviorismus stützten sich, wie bereits erwähnt, nur auf beobachtbare Fakten und messbare Daten (vgl. Klann-Delius 1999: 13) und wurden bestimmten Aspekten, wie der Kreativität der Sprache, ihrem Ursprung und den entwicklungsspezifischen Strukturfehlern beim Spracherwerb, die sich trotz negativer oder positiver Verstärkung über längere Zeiträume halten, nicht gerecht (vgl. Zimmer 1986: 63). Auch die aktive Produktion vorher nie gehörter sprachlicher Äußerungen und ihrer Unendlichkeit kann durch Imitationslernen nicht erklärt werden. Die beobachteten Reize und Reaktionen folgen im Sinne des Behaviorismus einer regelhaften Apparatur, in welcher der Lerner ausschließlich passiv bleibt.

Der Nativist Noam Chomsky hat den behavioristischen Ansatz in 1959, also zwei Jahre nach der Publizierung von Skinner’s Sprachlerntheorie „Verbal Behavior“, stark kritisiert und für ungültig erklärt. Die plausiblere Spracherwerbstheorie des Nativismus wird im folgenden Kapitel dargestellt.

3.2. Die nativistische Theorie

Im Gegensatz zum Behaviorismus, nach der jeder Einzelne seine Sprache aus der Außenwelt durch Erfahrung aufnimmt, geht der nativistische Ansatz davon aus, dass der Spracherwerb die Entfaltung angeborener sprachlicher Fähigkeiten ist, welchem ein biologisch fertiges Schema zugrunde liegt, das die Klasse von möglichen Grammatiken von vorneherein einschränkt. Im Rahmen der von ihm entwickelten generativen Transformationsgrammatik nahm Noam Chomsky bei der Erklärung des Spracherwerbsprozesses grundsätzlich an, dass der Spracherwerb mit angeborenen sprachlichen Universalien verbunden ist, die in allen Sprachen vorzufinden sind (vgl. Klann-Delius: 1999: 50). Das heisst, dass jeder Mensch eine genetische Ausstattung zum Spracherwerb, die Universalgrammatik (UG), mitbringt, welche Prinzipien beinhaltet, die beim Erwerb einer Einzelsprache durch das Kind parametrisch festgelegt werden. So bringt die Entwicklung des Kindes wiederum die Entfaltung der genetischen Disposition mit sich (vgl: Lenneberg 1972b: 81). Die einzelsprachliche Grammatik des Kindes entwickelt sich also aus der UG.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Theorien des Erstspracherwerbs
Hochschule
Universität zu Köln  (Germanistik)
Veranstaltung
Spracherwerb
Note
gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V57398
ISBN (eBook)
9783638518697
ISBN (Buch)
9783640864478
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorien, Erstspracherwerbs, Spracherwerb
Arbeit zitieren
Kader Aki (Autor:in), 2005, Theorien des Erstspracherwerbs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57398

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