Beratung unter den Bedingungen des Mediums - Eine gesprächslinguistische Studie zur EinsLive-Sendung „Domian“


Masterarbeit, 2009

90 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Sendung „Domian“
2.1. Die Entstehung
2.2. Der Aufbau
2.3. Der Moderator
2.4. Die Rezipienten und Anrufer

3. Forschungsüberblick: Ratschlag und Beratung
3.1. Ratschlag: Definition
3.2. Verschiedene beraterische Konzepte
3.3. Die Kurzberatung
3.4. Beratung am Telefon

4. Domian in der Forschung: Ansätze von Cerovina, Willmann und Krause

5. Mediale Einflussfaktoren auf das Gespräch in der Sendung

6. Asymmetrische Strukturen
6.1. Begriffsdefinitionen: Asymmetrie, Macht, Hierarchie und Dominanz
6.2. Die asymmetrische Struktur der Beratungssituation
6.3. Die Problempräsentation und Aushandlung

7. Imagearbeit im situativen Kontext

8. Daten

9. Analyse
9.1. Asymmetrische Strukturen
9.1.1. Die Gesprächseröffnung
9.1.2. Die Gesprächsbeendigung
9.1.3. Die Problempräsentation
9.2. Imagearbeit der Interaktanten
9.2.1. Imagearbeit in der Beendigungsphase
9.2.2. Imagepflege des Moderators als Untersuchungsgegenstand
9.2.3. Sprachliche Ausdruckmittel der Imagearbeit

10. Fazit

11. Literatur

1. Einleitung

Die vorliegende Masterarbeit des Germanistischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum ist ein Beitrag zur linguistischen Gesprächsforschung, die sich mit dyadischer Kommunikation in den Medien befasst. Zu diesem Zweck wird das Korpus eines Gesprächstyps einer spezifischen Situation auf linguistischer Grundlage analysiert. Der kommunikative Handlungsrahmen, also die Öffentlichkeit und die Institutionalisierung der Verbindung, spielt dabei eine wichtige Rolle.

Die Rede ist von der Hörerkontaktsendung „Domian“ des öffentlich-rechtlichen WDR-Radiosenders EinsLive[1]. Diese bringt verschiedene außersprachliche Bedingungen mit sich, die in Kapitel zwei genauer dargestellt werden, ohne allerdings dem Anspruch einer medienwissenschaftlichen Analyse gerecht werden zu können. Vielmehr geht es darum, die etwaigen Handlungsmöglichkeiten kritisch zu beleuchten. Die Entstehung und der Aufbau der Sendung sind zu Beginn des Kapitels von Bedeutung. Danach werden der Moderator Jürgen Domian und die Rezipienten bzw. Anrufer genauer in den Blick genommen. Hierbei werden verschiedene Datenerhebungen vorgestellt, die sich auf die Rezeptionsmotive, die Wirkung sowie die Motivation und Gratifikation der Anrufer beziehen. Das Kapitel soll eine situative Verortung als Unterbau für die Gesprächsanalyse darstellen.

Abschnitt drei gibt den Forschungsüberblick der verschiedenen beraterischen Konzepte wieder. Dabei wird versucht, Ratschlag und Beratung anhand verschiedener Ansätze genauer zu bestimmen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Jürgen Domian sich zumindest diffus auf dem Feld der Beratung betätigt. Im Zuge der Recherche für diese Arbeit wurden „zig“ Gespräche der letzten Jahre rezipiert und als subjektiver Eindruck kann festgehalten werden, dass der Moderator beraterische Funktionen vertritt. Anhand der Darlegung beraterischer Konzepte soll also eine periphere, subjektive Beurteilung in Aussicht gestellt sein. Diese ist nicht Kernpunkt dieser Masterarbeit – sie allerdings zu vernachlässigen, scheint einer fundierten Analyse und Auseinandersetzung mit dem Thema abträglich zu sein. So werden der Ratschlag, die Beratung und - mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand - vor allem die Kurz- bzw. Telefonberatung skizziert.

Welchen Stellenwert die Sendung „Domian“ in der Forschung einnimmt, wird in Kapitel vier thematisiert. Die Ansätze von Krause, Willmann und im Besonderen Cerovina beschäftigen sich unter verschiedenen Fragestellungen und vor dem Hintergrund verschiedener Analyseschwerpunkte mit der Radiosendung. Die Ergebnisse ihrer Studien sollen kurz vorgestellt werden und dienen zum Teil der eigenen Analyse. Cerovinas Arbeit ist durch ihre thematische Nähe und Herangehensweise besonders interessant.

Gespräche im Kontext der live ausgestrahlten Radiosendung stehen unter dem Einfluss verschiedener Faktoren, welche sich der Vorstellung des Themas „Domian in der Forschung“ anschließen. Sei es der institutionelle Rahmen und die damit einhergehende spezielle Position des Moderators, die Sendestruktur oder das Verhältnis zu den Anrufern, sie alle sind Einflussfaktoren auf Gespräche in der Sendung. Warum und wie genau soll in Kapitel 5 thematisiert werden.

Kapitel sechs und sieben stellen den gesprächsanalytischen Untersuchungsgegenstand vor. Hier wird die asymmetrische Struktur nach einer abgrenzenden Definition auf den verschiedenen Ebenen dargestellt. Da wäre die Ebene der Situation: Wie steht es um das Verhältnis und der Rollenzuschreibung der Interaktanten? Wer hat welche Rechte und Pflichten und welchen Einfluss übt der institutionelle Rahmen aus? Neben den situativen Elementen der Asymmetrie wird auch die Mirkoebene von asymmetrischen Strukturen geprägt, welche in Bezug auf die Problempräsentation und Aushandlung umrissen werden.

Nachdem in diesem Kapitel das Konzept der „Imagearbeit“ vorgestellt wird, beginnt der eigentliche Forschungsteil dieser Masterarbeit. Hierbei werden Transkriptauszüge unter den verschiedenen Gesichtspunkten punktuell analysiert.

Ein erster Kernaspekt der Untersuchung bezieht sich auf den Faktor „Asymmetrie“ und wie sich dieser auf die Gesprächsführung der Interaktanten in den ausgewählten Phasen auswirkt. Inbegriffen ist die Frage nach der Steuerungsaktivität des Moderators unter Berücksichtigung seiner Funktionszuschreibung.

Der zweite Teil der Auswertung untersucht die Imagearbeit der Interaktanten, d.h. einmal allgemein in der Beendigungsphase sowie „imagepflegende Aktivitäten“. In welchem Maße findet sie zu welchen Zwecken statt? Ein letzter analytischer Schritt versucht anhand der Transkriptanalyse einen exemplarischen Katalog der Ausdrucksmittel der Imagearbeit zu erstellen.

Das angewendete Verfahren ist induktiv und dient der Ausarbeitung von Regelhaftigkeiten in Bezug auf die Auswirkung der asymmetrischen Gegebenheiten sowie der Imagearbeit. Die Analyse ist in Teilabschnitte gegliedert, so dass stets Zwischenergebnisse anschaulich dargestellt werden können.

Die Untersuchung basiert auf dem Transkriptkorpus der Sendung „Domian“ der Ruhr-Universität Bochum bzw. auf eigenen Transkripten (Sendungen auf CD-ROM beigefügt). Alle neun Transkripte sowie die Transkriptkonventionen sind der Arbeit angehängt und auszugsweise in der Analyse zitiert. Auf eine formale Abweichung aus Gründen der Lesbarkeit sei an dieser Stelle hingewiesen. Dieser Lesbarkeit ist ebenfalls die durchgehende Verwendung des männlichen Genus zu schulden.

2. Die Sendung „Domian“

Im Folgenden sollen die Entstehung der EinsLive Talksendung „Domian“ sowie deren Aufbau dargelegt werden. Darüber hinaus werden der Moderator und sein Werdegang ebenso wie das Publikum und dessen Motivation bzw. Gratifikation für Anrufe in die Sendung beleuchtet. Um eine gesprächsanalytische Untersuchung vorzunehmen, ist dieser Schritt unerlässlich, um das Vorgehen und die Ergebnisse fundiert zu gestalten und einzuordnen.

2.1 Entstehung der Sendung

Im Jahre 1991 ging beim WDR 1, heute EinsLive, ein Radioformat namens „Riff“ auf Sendung, bei dem sich auch die Zuhörer aktiv in die Sendung einschalten konnten und Gehör fanden[2]. Journalistisch aufbereitete Themen waren vorgegeben, was sich zwei Jahre später ändern sollte. Der Moderator gab nun immer freitagnachmittags das Wort an die Zuhörer weiter, die zu jedem
x-beliebigen Thema mit ihm sprechen konnten. „Die heiße Nummer“, so der Titel, entwickelte sich schnell zu einer der beliebtesten Radioformate und der WDR wagte das Experiment, an fünf Tagen der Woche dem Moderator das Wort und auch Bild zu erteilen. Denn die Sendung sah vor, nicht nur über das Radio, sondern auch über das WDR-Fernsehen ausgestrahlt zu werden. Schaarmann [1998] führt hierfür ökonomische Argumente ins Feld, denn neben der Hörerbindung und –gewinnung, stand auch die „Schaffung eines Kultcharakters“ im Vordergrund, „was sich als sehr erfolgreich erwies“ [Schaarmann 1998: 70].

Was anfänglich noch vom damaligen Direktor Pleitgen kritisch beäugt wurde, mauserte sich schnell zum Quotenhit zu nachtschlafender Zeit. Am 2.4.1995 ging das „bimediale“ [Huth 1998: 24] Talkradio, benannt nach seinem Moderator Jürgen „Domian“ auf Sendung.

2.2 Aufbau der Sendung

Das Format Domian ist aktuell über dreierlei Kanäle abrufbar, also mittlerweile trimedial: über das EinsLive-Radio, das WDR-Fernsehen und den digitalen Sender ARD-Festival sowie über das Internet. Die Sendezeit hat sich seit Ausstrahlungsbeginn im April 1995 nicht verändert. So beginnt der wöchentliche Sendezeitraum in der Nacht zum Dienstag und endet in der Nacht zum Samstag, jeweils einstündig von 1:00 bis 2:00 Uhr. An bis zu zwei Tagen der Woche ist die Sendung einem Themenschwerpunkt untergeordnet, der aber häufig viel Raum zu Interpretation lässt. So sind gerade die Themennächte recht weit gefasst: „Der Tag X“ oder „Aus eigener Kraft geschafft“[3]. Krause [2006] weist darauf hin, dass diese meist dienstags und donnerstags ausgestrahlten Sendungen häufig eine „Tendenz zum Intimen und Tragischen“ aufweisen [Krause 2006: 58].

Schon eine Stunde vor Sendungsbeginn wird auf die folgende Sendung „geteased“[4], um Anrufer zu animieren. Die Zahl derer, die versuchen durchzukommen, liegt laut Angaben der Dt. Telekom bei 40.000 - 60.000 Anrufern pro Nacht. Von diesen vielen Tausend kommen dann letztlich bis zu 200 zu den Rechercheuren der Sendung durch und 6 bis 10 schaffen es live zu Domian durchgestellt zu werden [Zbikowski 2001: 47]. Schätzungsweise 220.000 Zuschauer verfolgen täglich das Format [Voß 2009, Homepage].

Neben dem Moderator agieren im Hintergrund Rechercheure/ Redakteure, Realisatoren, Telefonisten, Techniker und Psychologen - ein Team von rund 21 Personen pro Abend [ebd.: 45]. Bevor ein Anrufer mit dem Moderator sprechen darf, wird seine Geschichte von der Redaktion in einem Vorgespräch geprüft. Erscheint eben diese Geschichte passend für das Konzept, wird der Anrufer zurückgerufen, um dann live in die Sendung geschaltet zu werden. Grundsätzlich scheiden alkoholisierte, unter Drogeneinfluss stehende oder von Mobilfunkgeräten Anrufende für die Sendung aus. Auch wird versucht, die Faker so gut es eben geht, auszusortieren. Es gibt eine Liste („Fake-List“) auf der die Personen vermerkt sind, die immer wieder versuchen, die Redaktion zu täuschen und mit einer erfundenen Geschichte zu Domian zu gelangen [vgl. Huth: 27/ Schweers 1995: 48]. Hat ein Anrufer alle Hürden genommen[5], wird seine Geschichte stichpunktartig auf Karteikarten vermerkt. Domian selbst erhält über die Regie nur Vornamen und Alter der anrufenden Person [Zbikowski: 61]. Auf Seiten „der Macher“ ist man sich bewusst, dass eine Themenselektion zu Zwecken der Unterhaltung stattfinden muss: „die wichtigste Frage ist: Bringt uns dieses Thema gute Geschichten? Wir verstehen unsere Sendung natürlich auch als Unterhaltungssendung“ [ebd.: 42].

Die Regie greift, von den Hörern unbemerkt, mit einem Tonsignal ein, wenn sich ein Gespräch im Kreis dreht, da die Rezipienten davon abgehalten werden sollen abzuschalten [Schweers zit. n. Cerovina: 23]. Nach der einstündigen Sendung halten der Moderator und sein Team noch eine Feedback-Runde ab. Hierbei wird besprochen, inwiefern die Rechercheure mit ihren Einschätzungen ggf. falsch lagen, ob Domian wichtige Fragen vergessen hat und auch die im Hintergrund agierenden Psychologen rekapitulieren die Sendung [Zbikowski: 106].

2.3 Der Moderator

Am 21. Dezember 1958 wurde Jürgen Domian in Gummersbach in „einfachen Verhältnissen“ als Sohn einer „Flüchtlingsfamilie (…) aus Westpreußen“ geboren [Domian 1998/ 2004 zit. n. Krause: 70]. Er absolvierte Hauptschule und Gymnasium, um dann ein Magisterstudium der Germanistik, Philosophie und Politik zu beginnen. Dieses finanzierte er u.a. als studentische Aushilfe beim Fernsehen: sein erster Schritt in die Medienwelt. In den folgenden 1980er Jahren durchlief er eine journalistische Volontärsausbildung beim WDR sowie beim Deutschlandfunk und seine erste Moderation fand in der Sendung „Blue Monday“ statt. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde Jürgen Domian fest beim WDR eingestellt und er moderierte die bereits erwähnte Radiosendung „Riff“, drei weitere Jahre später dann „Die heiße Nummer“ - den Domian-Vorläufer [vgl. Krause: 63].

Neben dem Bundesverdienstkreuz erhielt Jürgen Domian vor sechs Jahren von dem Kölner Oberbürgermeister Schramma die Verdienstmedaille des Bundesverdienstordnes für seine „wertvolle Sozialarbeit“ [Voß, Internetquelle]. Offiziell wurde die Verleihung so begründet, dass Jürgen Domian durch intensive und engagierte Gespräche ein akzeptierter Partner bei drängenden Problemen sei. Gelobt wurde ferner sein soziales Engagement für den Ausbildungskonsens NRW sowie für das AIDS-Präventionsprojekt „Herzenslust“. Hier erreiche er Zielgruppen, die die AIDS-Hilfe allein nicht anzusprechen in der Lage wäre [Krause: 63f]. Der heute 50-jährige lebt in Köln und bezeichnet sich selbst als „Zweidrittelschwul“ – inwieweit dieses outing auch einem Marketingkonzept entsprechen könnte, diskutiert u.a. Krause [ebd.: 72].

2.4 Die Rezipienten und Anrufer

Von dem Rezipienten zu sprechen gestaltet sich gerade bei Konsumenten von Massenmedien schwierig und das Publikum wird in der Forschung als „dispers“ und „diffuse Größe“ beschrieben [vgl. Burger 2005: 5]. Es wird davon ausgegangen, dass Zuschauer/ Zuhörer, die sich für Informationen interessieren, eher öffentlich-rechtliche Sender favorisieren, während Unterhaltungssuchende tendenziell an private Anbieter halten[6] [vgl. ebd.: 6].

Aus den wissenschaftlich repräsentativen sowie exemplarischen Studien sollen einige der Ergebnisse im Folgenden kurz skizziert werden, da sich diese Eindrücke in der späteren Analyse als hilfreich in Bezug auf die jeweilige Situationseinordnung erweisen könnten.

Während Schaarmann die allgemeine Hörerbindung an den WDR untersucht, hatte der Sender selbst im Jahr 1996 eine Telefonumfrage in 1000 Haushalten Nordrhein-Westfalens initiiert, wobei die Befragten älter als 14 Jahre waren. Die angesichts des Umfanges repräsentativen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen [vgl. folgend Krause 2006: 75ff]:

- 1/5 der Befragten hatte das Talk Radio schon einmal gehört/ gesehen
- den größeren Anteil machten gebildete, jüngere Männer aus
- davon jeder Zwanzigste rezipierte die Sendung 4-5 mal pro Woche
- Frauen bewerteten die Sendung auf einer Skala von 1 - 10 besser als Männer, Jüngere besser als Ältere und gering Gebildete besser als höher Gebildete (Mittel insg. 6/10)
- 5 Prozent haben schon einmal angerufen, 50 Prozent schlossen einen Anruf aus
- 60 Prozent fühlten sich gut unterhalten
- bzgl. der Gratifikationsaussagen stimmten tendenziell eher jüngere Personen zu

Eine exemplarische und tendenzielle Aussage kann Huth in ihrer Magisterarbeit machen, denn sie analysierte anhand einer Gruppendiskussion die Rezeptionsmotive von 19 Studierenden, die alle die Sendung kennen und mäßig bis häufig sehen [Huth zit. n. Krause, vgl.: 76f]. Die vornehmlichen Motive für den Konsum der Sendung Domian waren:

- Spannung
- Ablenkung
- Entspannung
- Unterhaltung und Zeitvertreib
- Gesprächsstoff
- Parasoziale Interaktion und Beziehung
- Stabilisierung und Erweiterung von Identität

Außerdem gaben die Studierenden ihre Meinung zur Sendung und ebenso zum Moderator preis, wobei diese überwiegend positiv ausfielen. Die Gratifikation schien hier die Person Jürgen Domian auszumachen (auf Seiten der Zuschauer).

An dieser Stelle setzt Krause an, denn er möchte ebenso die Gratifikation und Motivation für Domian-Anrufer ermitteln. Dessen methodisches Vorgehen, ebenso wie seine Abgrenzung von Schweers, ist schon angesprochen worden. Nun sollen seine Ergebnisse in Bezug auf Gratifikation und Motivation noch genauer skizziert werden, da sie in Bezug auf die vorliegende Arbeit eine Rolle spielen.

Bei seiner Typenbildung kategorisiert Krause die Anrufenden in: Orientierungssuchende, Bestärkungssuchende, Mitteilungsbedürftige, Sendungsbewusste sowie Faker und analysiert empirisch die Motivation und Gratifikation für ihre Anrufe bei der WDR-Sendung. Die Ergebnisse gestalten sich tendenziell wie folgt[7]: Bei den Bestärkungssuchenden konnte Krause feststellen, dass die Motivationen für die Anrufe in die Talksendung auch in der Person Jürgen Domian zu finden sind, denn es wird u.a. seine „Härte“ „Ungeduld“ und „klare Position“ geschätzt. Das Besondere der Anrufsituation bzw. die Spezifika des Sendekonzeptes sind weitere bestärkende Elemente der Anrufenden und sie äußern im Interview selbst, dass die einseitige Sichtbarkeit eine „günstige Hierarchie“ darstelle und es bei dem Anruf keinen „Gesichtverlust“ zu befürchten gebe. Gerade diese Aussagen sind bei der Fragestellung dieser Arbeit von Interesse und finden in der anschließenden Analyse Beachtung. Der gemeinsame Nenner in Bezug auf die Gratifikationen dieser Gruppe ist die Aktivierung sozialer Ressourcen.

Den verschiedenen Mitteilungsbedürftigen ist ein parasoziales Vertrauensverhältnis zum Moderator gemein. Domian als Ansprechpartner wird geschätzt. Darüber hinaus verstehen sich Anrufer als „Sprachrohr“ einer bestimmten Gruppe. Hier ist die aktuelle gesellschaftliche Lage und Stimmung von Bedeutung. Gratifikatorisch ist bei den Mitteilungsbedürftigen die „Entlastung durch Verbalisierung von Emotionen“ ausschlaggebend. Interessant ist an dieser Stelle, auch in Bezug auf die eigene Analyse der Autorin: Negativ bewertet wird der „Verknappungszwang der Medienrealität“.

Die Sendungsbewussten treten im Gegensatz zu vorherigen Anruftypen „engagiert-mitteilungsbedürftig“ und nicht „druckleidend-mitteilungsbedürftig“ in Erscheinung. Das Ziel ist Lobbyarbeit, da sie sich als Repräsentanten ihrer jeweiligen Gruppe einstuften.

Die Faker sind in erster Linie von Langeweile, Amüsement, sozialem Vergleich sowie Zeitvertrieb zum Anrufen bewegt. Sie fühlen sich dem Moderator und den „echten“ Anrufern gegenüber erhaben und hegen Zweifel an der Authentizität der Sendung „Domian“. Zur Gratifikation der Faker ermittelt Krause, dass das redaktionelle Prinzip der Anrufe einen nicht unwesentlichen Anteil hat. Hier werden die Mechanismen ausgehebelt, die dazu dienen, die Sendung bunt und interessant zu gestalten, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Die Belohnung ist also auch in der Gesprächssituation an sich zu suchen, denn dies bedeutet, das System erfolgreich untergraben zu haben. Die Sendung, deren Konzept sowie der Moderator werden negativ bewertet, was den Grad der Gratifikation hoch ausfallen lässt.

Die verschiedenen Ansätze zur Untersuchung der Anrufer in Bezug auf deren Rezeptionsverhalten, Motivation und Gratifikation geben einen Eindruck der Anrufermentalität, die in der noch zu leistenden Gesprächsanalyse einbezogen werden wird. Noch einmal ist zu betonen, dass es sich nicht ausschließlich um repräsentative Ergebnisse handelt, sondern vielerorts Tendenzen ermittelt werden. Dennoch können gerade Krauses Ergebnisse dazu beitragen, die spekulative Ebene zu verlassen und im gesprächsanalystischen Kontext etwas konkreter zu agieren – wenn auch unter Vorbehalt.

3. Forschungsüberblick: Ratschlag und Beratung

Bereits hier kann gesagt werden, dass die Sendung Domian meist nach einem ähnlichen Schema verläuft. Eine Person ruft an, schildert ein Anliegen und Domian vertritt seinen Standpunkt zum Erzählten. Meist erteilt er Ratschläge oder nimmt beraterische Haltung ein. Um diese intuitiven und vagen Eindrücke richtig interpretieren zu können, empfiehlt es sich, eine kategorische Einschätzung des Untersuchungsgegenstandes vorzunehmen. Der Blick richtet sich hierbei schon vorab auf Elemente, die in der Beratungssituation am Telefon bei „Domian“ eine Rolle spielen könnten. Der folgende Überblick soll also dazu dienen, die Arbeit Domians ein Stückweit genauer einzuschätzen. In der gesprächslinguistischen Analyse können diese Eindrücke in Bezug auf Domians Verhalten von interpretatorischem Interesse sein.

3.1 Ratschlag: Definition

Bevor dezidierter auf das komplexe Feld Beratung eingegangen wird, soll zuerst der Ratschlag definitorisch skizziert werden.

So geht Rogers [1995] im Rahmen seiner Beratungsforschung auf den Ratschlag und dessen Verwendung ein. Er klassifiziert diesen als Intervention, denn „hier bestimmt der Berater das zu erreichende Ziel und greift vermittelnd in das Leben des Klienten ein, um sicherzustellen, daß das Individuum sich in Richtung auf dieses Ziel bewegt“ [Rogers 1995: 31]. Speziell wird an dieser Stelle auf die Beratung im Rundfunk eingegangen, die mit Blick auf die Sendung „Domian“ interessant ist. Hierbei hat ein Moderator wenige Minuten Zeit, um sich die Problemschilderung des Anrufers anzuhören und diese zu verarbeiten. Was folgt, ist eine Ratschlagserteilung, wie sich das Individuum verhalten soll. Rogers merkt an, dass die Berater solcher Sendungen sich häufig nicht bewusst seien, in welchem Umfang sie Ratschläge erteilen und bis zu welchem Ausmaß in das Leben der Klienten eingegriffen werde [vgl. ebd.].

Willmann [1998] separiert in seiner Arbeit zu Radio Phone-In Sendungen zwei Formen von Ratschlägen, die thematisch für diese Untersuchung von Interesse sind, nämlich die direkten bzw. indirekten Empfehlungen. Er weist deutlich darauf hin, dass als Ergebnis seiner Analyse die direkten Empfehlungen in der Häufigkeit ihres Auftretens überwiegen, diese auch ggf. von indirekten gestützt werden und sie außerdem meist einen Zukunftsbezug besitzen. Gesprächslinguistisch manifestieren sich die direkten Ratschläge häufig an Imperativen und Modalsätzen oder der Berater versetzt sich via 1. Person Singular Konjunktiv in das entsprechende Gegenüber [vgl. Willmann 1998: 94ff]. Für dies Arbeit Domians ist also schon eine indirekte Einschätzung vorgenommen worden.

3.2 Verschiedene beraterische Konzepte

Einige theoretische Ansätze zum Thema „Beratung“ sind für diese Arbeit ebenfalls von Interesse und werden nachfolgend diskutiert.

Definitionen zum Thema Beratung finden sich in der Literatur zu Hauf und folgende Aspekte sind vielen von ihnen gemein. Beratungsgespräche sind interaktive Prozesse, bei denen der Ratsuchende für einen subjektiv negativ empfundenen Zustand keinen Ausweg findet und sich Hilfe durch einen Ratgeber sucht. Dieser muss vom Ratsuchenden als kompetent in Bezug auf beraterische Prozesse eingestuft werden, um im Idealfall Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten oder Wege aus der Misere weisen zu können.

Zimmermann [2003] merkt an, dass Beratung das Wort „Rat“ beinhalte und ferner also ein Ratgebender und ein Ratsuchender zusammenkämen, um ein Problem zu lösen. Dies findet laut Zimmermann in der Regel durch einen dyadischen kommunikativen Austausch statt, der bestimmte strukturelle Regelmäßigkeiten aufweisen könne. Psychologische Konzepte des nichtprofessionellen Beratungsgespräches sind bei Rechtien [1988] genauer dargestellt und analysiert. Hierzu grenzt er aufgrund der besonderen Zielsetzung das Beratungsgespräch von anderen Kommunikationsformen ab und liefert einen Vergleich von professioneller und nichtprofessioneller Beratung. Ein wesentlicher Unterschied liege laut Rechtien in dem schon bestehenden Vertrauensverhältnis, das bei nichtprofessioneller Beratung zum Tragen käme, während die professionelle Beratung sich dadurch kennzeichne, dass der Berater einen Beruf ausübe, für den er ausgebildet sei und als Gegenleistung bezahlt werde.[8] Für eine Beratungssituation und den Gesprächsverlauf konstitutiv ist hier die „triadische Struktur“ [Rechtien: 52]. Der Berater mitsamt seines Menschenbildes und seiner Vorstellungen von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen befasst sich mit Klienten. Diese bringen Erwartungen an sich, den Berater und die Situation mit, um ein Problem zu lösen. Mit der Problemherstellung bzw. der interaktiven Ausarbeitung des Problems in Beratungsgesprächen beschäftigt sich explizit Nothdurft [1984][9].

Schröder [1985] bewertet Beratungsgespräche auf zwei Ebenen: fachintern sowie fachextern. Erstere Bewertung besagt, dass Beratungsgespräche „rein dyadisch“ und die Rollen der Beteiligten sowie deren Aufgaben spezifisch verteilt sind. Außerdem „ist die Beratungssituation grundsätzlich asymmetrisch“, d.h. interaktive Rechte und Pflichten sind unterschiedlich verteilt, ebenso wie die Voraussetzungen der Gesprächsbeteiligung [Schröder: 15]. Seine fachexterne Einschätzung ist recht gesellschaftskritisch und bezieht sich auf die Entwicklung der Beratung und die Bedingungen, die diese Entwicklung beeinflussen. Es wird angeführt, dass das Beratungsangebot in der Gesellschaft ständig wachse und auch den Bereich Rundfunk und TV erreicht habe. Damit einhergehend „korrespondiert ein ständig wachsendes passives Beratungsbedürfnis der Bürger“ [ebd.: 16]. Kritisch gesehen wird, dass Beratung manipulativ einsetzbar sein könne, „mit handfesten kommerziellen Interessen“ und dass die „ursprünglich soziale Identität stiftende und sichernde Interaktionsform ihre Unschuld verloren hat“ [ebd.: 17].

Genauer untersucht Kallmeyer [2000], neben einem Definitionsansatz und einem Forschungsüberblick, beraterische Interaktionen. Hierbei legt er den Fokus auf die Einordnung der Grundstrukturen sowie typische Gesprächsstrategien von Ratsuchenden und Ratgebenden. Er liefert eine interessante Grundlage auf dem Gebiet der linguistischen Gesprächsanalyse im Feld der Beratung. Kallmeyer legt verschiedene Elemente fest, die bei der Herstellung des Gespräches und dessen Einbettung in relevante Kontexte wichtig sind: Die Ablaufstruktur, die Verständigungssicherung, die Modularisierung von Äußerungen sowie die Inszenierung des Sprechens [Kallmeyer 2000: 230].

3.3 Die Kurzberatung

Auf dem Gebiet der Kurzberatung sind verschiedene theoretische und praxisorientierte Ansätze interessant. Allein die ökonomischen Rahmenbedingungen der Sendung „Domian“ lassen eine Korrelation zur Kurzberatung vermuten. Wie sich diese definiert, wird im Folgenden skizziert.

Dryden/ Feltham [1994] verschreiben sich in ihrer Einführung zur Kurzberatung und Kurztherapie dem Ziel, den Blick für die zentralen Punkte dieser Beratungsform zu schärfen. Sie stellen fest, dass die Kurzberatung das Ziel verfolge, Leid zu lindern, Probleme zu lösen und Menschen zu einem zufriedenen Leben zu verhelfen. Unter dem Stichwort „pragmatischer Existentialismus“ vereinen sie, dass Klient und Berater gemeinsam eine Strategie verfolgen, die sich an Problemlösungen in einem zeitlich begrenzten Rahmen orientiere [Dryden/ Feltham: 10ff]. Sie setzen den Schwerpunkt auf die Praxisorientierung und jeweilige Eignung des Einsatzes von Kurzberatung. Sie konstatieren, dass seit Freud über die angemessene Dauer von Beratung und therapeutischer Behandlung gestritten werde und grenzen ab, dass die Kurzberatung keine oberflächliche Symptombehandlung sein müsse [vgl. ebd.]. Wohl aber bestehen sie darauf, dass sich in Fällen wie beispielsweise Alkoholismus oder Persönlichkeitsstörungen andere, langwierigere und intensivere Behandlungsformen besser eignen. Es kann also an dieser Stelle gesagt werde, dass sich der zeitliche Rahmen der Sendung Domian für solch langwierige Fälle nicht eignet. Wie der Moderator mit solchen Fällen verfährt, klärt sich im analytischen Teil dieser Arbeit.

Lohse [2003] beschreibt das methodische Vorgehen bei der Führung von Kurzgesprächen und gibt verschiedene Einblicke in deren Gesetzmäßigkeiten sowie Fallen und Möglichkeiten. Besonders hebt er die wesentlichen und wiederkehrenden interaktiven Elemente des Kurzgespräches hervor, trennt und untersucht diese darüber hinaus. Seine Analyse des Gesprächssettings definiert u.a. die günstige Gelegenheit, das asymmetrische Beziehungsmuster, die Hoffnungsinduktion und das Konfliktkarussell. Seiner Auffassung nach laufen diese Prozesse wechselseitig ab und die Weichenstellung zum Erfolg werde in entscheidender Weise vom Berater getätigt [Lohse: 19]. Aufbauend auf die Erkenntnisse über das Kurzgespräch formuliert Lohse die Methodik der Gesprächsführung, die sich seiner Ansicht nach an den Vor- und Eingaben des Klienten orientieren. Dem manchmal zufälligen Gesprächswunsch setzt der Berater eine bewusste, systemische und verbindliche Haltung gegenüber.

Instrumentarien auf der Ebene der Gesprächsführung sind u.a. das „Andocken, sich erkundigen, Ziele formen, Kraftquellen erschließen und Lösung erwirken“ [Lohse: 55]. Als allgemeines Grundmuster der Kurzberatung gilt hier, dass eine anfragende Person, der Klient, einen konkreten Impuls für einen Schritt aus einer Sackgasse erhalten möchte, was mit möglichst wenigen Interaktionen erreicht werden soll. Lohses Ansicht nach erwachse die Eigenart der Kurzberatung aus dem Willen und der Bereitschaft der ratsuchenden Person, sich zu öffnen und dem Entschluss des Beraters mit zielstrebigen Interaktionen zu helfen. Lohse stellt außerdem den Bezug zum systemischen Ansatz[10] über die „Verständigung“ und die „Veränderung“ des Verhaltens her [Lohse: 151]. Hierbei wird in Frage gestellt, ob eine Verhaltensänderung in der Regel ein langwieriger Prozess sei.

Einen modifizierten Ansatz zur lösungsorientierten Beratung liefert nun Bamberger [2005]. Modifiziert deshalb, da er auf das vornehmlich von de Shazer und Berg entwickelte Konzept der psychosozialen Beratung[11] aufbaut, um dann eigene systemische Überlegungen anzuführen. Er gibt nicht nur einen inhaltlichen und historischen Überblick über das Thema, sondern präsentiert selbst ein Stufenmodell der lösungsorientierten Kurzberatung. Diese definiert Bamberger u.a. als eine Beratungsform, die das vorgetragene Problem nicht vertieft untersucht, sondern darauf abzielt, die von den Klienten mitgebrachten Kompetenzen und Ressourcen zu fokussieren und auszuschöpfen. Ziel ist es, möglichst umwegslos zu einer Problemlösung zu gelangen. Die Kürze der Beratung oder Therapie ergebe sich aus der Haltung, dass für die Fortschritte und Veränderungen der Klienten in erster Linie Anregungen gegeben werden, die sich dann im Alltag manifestieren sollen. Die lösungsorientierte Maxime lautet: „Lösungen konstruieren statt Probleme analysieren“ [Bamberger: 29].

Speziell mit der Gesprächsstruktur, also den Ablaufmustern von Kurzberatungen, beschäftigt sich Schank [1979]. Diese Beratungsform selbst definiert Schank als „Beratungsgespräch, wie sie auch im Alltag ständig ohne speziellen Experten durchgeführt werden“ [Schank 1979: 177]. Es wird davon ausgegangen, dass für kurzfristig lösbare Konflikte seitens des Ratsuchenden in einem Einzelgespräch die Problembewältigung thematisiert werde. Voraussetzung hierfür sei die Bereitschaft, das „Problem zu verbalisieren und sich von einer Person des Vertrauens, meist durch einen expliziten Rat, helfen zu lassen“ [ebd.] Schank weist an dieser Stelle auch ausdrücklich auf den Unterschied zur Psychotherapie hin.

3.4 Beratung am Telefon

Das Konzept der Beratung am Telefon im seelsorgerischen Kontext ist u.a. bei Schohe [2006] thematisiert und für die Einordnung der Beratungszuordnung Domians hilfreich. Das „helfende Gespräch“ beinhaltet demnach Angebote wie Zuhören, Hinführen zu einer eigenen Entscheidung und dem Hinweis auf geeignete Fachleute [Schohe 2006: 26]. Die Verfügungsgewalt über das Gespräch wird hier an die Anrufenden übergeben, während der Berater über eine sorgfältige Ausbildung verfügen sollte [ebd.: 26f].

Allein das Sendeformat „Domian“ schließt einen psychotherapeutischen Anspruch nahezu aus. Dezidiert beschäftigt sich Krause [2006] in seiner Dissertation mit der Motivation und Gratifikation von Domian-Anrufern. Daneben arbeitet er aber auch die Unterschiede von Therapie und Beratung heraus. Er definiert als Gemeinsamkeit von Therapie und Beratung das „Herbeiführen von Veränderungen im Kontakt mir ratsuchenden Menschen“ [Krause 2006: 107]. Um dies zu verdeutlichen, seien die Unterschiede pro forma angeführt.

So ist bei einer Beratung der Alltagsbezug vorrangig, während eine Therapie darauf abzielt, pathologisches Verhalten zu vermindern und der langfristigen Reflexion mehr Raum zu geben. Eine weitere wesentliche Abweichung ist die schon angedeutete Diskrepanz in Bezug auf die Sitzungs- und Behandlungslänge. Beratung kann sich somit innerhalb eines Gespräches vollziehen, während eine therapeutische Behandlung über Jahre andauern kann. Ein weiterer Unterschied liegt in der jeweiligen Grundlage, auf die sich die Handlung bezieht. Während eine Beratung schematisch flexibel vorgehen kann, ist eine Therapie in der Regel auf eine bestimmte Schule (bspw. Psychoanalyse) gestützt [ebd.].

Dennoch hat auch ein Wandel in Bezug auf die Schnittmengen beider stattgefunden, denn das Selbstverständnis von Beratung hat sich von einem informativen hin zu einem sozialtherapeutisch geprägten Vorgang entwickelt [Belardi 2006 zit. n. Krause: 107]. Weiterhin ist Beratung nicht mehr nur als Wissensvermittlung, sondern als Möglichkeit des Klienten, eigene Lösungswege zu entwerfen. Ähnlich der Psychotherapie nimmt das Zusammenspiel von Berater und Klient hierbei eine wichtige Stellung ein. Also: Je mehr Therapieelemente die Beratung enthält, desto langfristiger ist sie einzuschätzen [ebd.: 108].

4. Domian in der Forschung: Ansätze von Cerovina, Willmann und Krause

Konkret mit der Radiotalksendung Domian befassen sich auf linguistischer Ebene u.a. Cerovina [2004] und auf soziologischer Ebene Willmann und Krause unter jeweils anderen Gesichts- bzw. Schwerpunkten.

Erstere veröffentlicht unter dem Titel: Radio-Phone-Ins: Zwischen Beratung und Medieninszenierung eine Arbeit, die gleich vier Fragen nachgeht und sich auf den Ebenen Struktur und Strategie bewegt. Sie bestimmt u.a., wie der Gesprächstyp „Beratungsgespräch“interaktiv hergestellt wird, welche Organisation Beratungsgespräche in Radiosendungen aufweisen und welchen Einfluss der mediale Rahmen auf das Gespräch ausübt.

Hierzu arbeitet Cerovina zunächst die wichtigsten Elemente der Beratungsgespräche heraus. Unter Verwendung der Ansätze von Schank und Willmann fasst sie die konstitutiven Phasen des Beratungsgespräches zusammen und belegt diese empirisch: die „Problemexplikation, die Erfassung der Lage und Person des Ratsuchenden und die Beratung“ [Cerovina: 17]. Cerovina bezieht sich auf Willmann wenn sie konstitutive und optionale Elemente der Beratungsgespräche herausarbeitet, nämlich: die Problemformulierung und Problemdeutung, die Interpretationsbestätigung sowie der Ratschlag. Für die vorliegende Arbeit sind ihre Ergebnisse bezüglich des medialen Rahmens und dessen Auswirkungen auf die sprachlichen Handlungen des Moderators interessant. Er habe die „sendungsstrukturelle“ Aufgabe, die Sendung zu eröffnen bzw. zu beenden und den Anrufer sowie die Zuschauer einzuführen und zu begrüßen. Cerovina stellt fest, dass der Zeitdruck sowie die Einschätzung über den Verarbeitungswert der Anrufer die Gesprächsführung Domians beeinflussen könnte. Konkret zu nennen wären an dieser Stelle interaktive Mittel und metakommunikative Äußerungen wie Fragen, Unterbrechungen und unmittelbare Anschlüsse. Diese werden von Seiten des Moderators benutzt, um das Gespräch in die gewünschte Richtung zu steuern. Da sich auch diese Arbeit mit den Steuerungsakten des Moderators beschäftigt, sind die Ergebnisse Cerovinas zu Vergleichszwecken interessant.

Die Dissertation von Krause ist soziologischer Natur und befasst sich mit der Motivation und Gratifikation der Domian-Anrufer, die schon in Kapitel 2.4. dargelegt wurde Er sich von Schweers [1995] ab, der in seiner Diplomarbeit 102 standardisierte Telefoninterviews mit Domian Anrufern durchgeführt hat. Krause legt den Schwerpunkt auf Anrufmotivationen, „die mit der psychosoziale[n] Verfassung und der vorausgegangenen Rezeptionshandlung in Zusammenhang stehen“ [Krause: 123]. Hierzu bevorzugt er den narrativen Interview-Modus aus Gründen der Tiefgründigkeit und Flexibilität. Es wurde eine Typenbildung vorgenommen, die die Probanden in folgende Anrufergruppen kategorisiert: Orientierungssuchende, Bestärkungssuchende, Mitteilungsbedürftige, Sendungsbewusste und Faker [Krause: 140]. Krause ermittelt in seiner empirischen Untersuchung die jeweilige Motivation und Gratifikation der Anrufer, die allerdings aufgrund der Probandenanzahl (15) nicht repräsentativ ist.

Willmann untersucht, ebenso wie Krause, die Radiosendung Domian unter soziologischen Gesichtspunkten. Es wird u.a. erforscht, ob und welche kommunikative Funktion Beratungsgespräche in Radio Phone-Ins haben, welches kommunikative Problem sie lösen und ob generell von einer eigenen Gattung die Rede sein kann. Er kommt zu dem Schluss, dass Beratungsgespräche in diesem bestimmten Rahmen keine autonome Gattung verkörpern. Seine Darstellung der konstitutiven Strukturelemente bildet eine Grundlage für die Arbeit Cerovinas.

5. Mediale Einflussfaktoren auf das Gespräch in der Sendung

Sendeformate wie „Domian“ überwinden die konzeptionelle und technische „Einbahnstraße“ und machen sie „in beide Richtungen befahrbar [Burger/ Imhasly 1978: 87]. Hier ist der Moderator demnach nicht der einzige kommunikative „Sender“, denn auch die Empfänger durchbrechen die rezeptive Rolle. Kommt ein Telefonat, das kein direktes face-to-face Gespräch ist, live in der Sendung zustande, wirken sich verschiedene Einflussfaktoren Gesprächsführung.

So sind zum einen die Bedingungen auf Seiten der „Macher“ zu beachten. Die Sendung „Domian“ kann nur gesendet werden, wenn sie rezipiert wird. Dies ist eine Grundvoraussetzung für das Überleben eines medialen Formates und dessen Initiatoren, denn stimmen die Einschaltquoten nicht, so ist eine Sendung aus ökonomie-politischer Sicht nicht tragbar. Es kann also davon ausgegangen werden, dass neben der jeweiligen Sendungsintention auch Faktoren des Gefallens zum Tragen kommen. Habscheid [2003] spricht diesbezüglich davon, dass Interesse am „eigenen Überleben“, sprich auch kommerzielle Gründe, Einfluss auf die Beratungsbeziehung haben können [Habscheid 2003: 133]. Für die Sendung „Domian“ bedeutet dies, dass informiert und unterhalten werden soll und - wenn nötig - auch Hilfe angeboten wird [Zbikowski: 42f]. Es ist demnach offenkundig, dass das Publikum in der Interaktion zwischen Moderator und Anrufer eine wesentliche Rolle spielt. Cerovina u.a. weisen auf den Einfluss der Situation der „split-audience“ hin [Cerovina: 32]. Hierbei spricht der Moderator das telefonisch verbundene Gegenüber direkt und das Publikum indirekt an. Den Gesprächsbeteiligten in öffentlichen Sendungen ist klar, dass eine anonyme Zuhörerschaft dem Gespräch beiwohnt. Dennoch ist es der Moderator, der versucht, die Sendung für diese Gruppe unterhaltsam zu gestalten und auf eine „Verallgemeinerung des Falls“ aus ist [ebd.]. Auf linguistischer Ebene äußert sich dies häufig in der „Mehrfachadressierung“ und im Rahmen der Radio Phone-Ins im doppelten „recipient design“ [ebd.: 33]. Berkenbusch [1998] merkt in diesem Zusammenhang an, dass die doppelte mediale Vermittlung für die Massenmedien konstitutiv ist und sie bis „in die Ebene der Gesprächsorganisation und deren einzelnen Verfahren der mündlichen Textproduktion“ nachgewiesen werden könne [Berkenbusch 1998: 60]. Die Situation des Gespräches in der Sendung ist als Kommunikationsform durch das Zusammenwirken des Moderators, der Anrufer, dem Medium und dem Publikum konstituiert. Ecker [1977] ist der Ansicht, dass das Wechselgespräch zwischen Interviewer und Interviewtem, die unmittelbar in Kontakt stehen, in einer „Primärsituation“ stattfindet. Das Publikum rezipiert den produzierten Text über das Medium in einer räumlich und ggf. auch zeitlich verlagerten „Sekundärsituation“ [Ecker 1977: 18f]. Die so gebildete Gesprächssituation ist in einen Kontext gesellschaftlicher Konventionen eingebunden: die soziale Situation. Das Verhalten der Beteiligten ist dadurch weitgehend determiniert [vgl. ebd. 19]. Für die Situation der Domian-Sendung muss hinzugefügt werden, dass die Anrufer Teil der Primärsituation sind und mit Beendigung des Gespräches in die Sekundärsituation überwechseln.Nowak [1994] weist darauf hin, dass die Anrufer Teil der Hörerschaft sind, während umgekehrt die Hörer auch potentielle Anrufer sein können. Daraus kann resultieren, dass sich die Hörer mit ihrem Stellvertreter identifizieren [Nowak 1994: 79]. In dieser Doppelung der Kommunikationssituation ist vielleicht eine weitere Begründung für Domians Sprechen zur „split-audience“ zu sehen. Die Orientierung auf das Publikum bewirkt, dass nicht die privaten kommunikativen Bedürfnisse gesprächsleitend sind. Stattdessen ist die „Funktion des Gesprächs (…) auf die Rezeption durch das Publikum – den zusätzlichen, nicht anwesenden Partner bzw. Adressaten ausgerichtet“ [ebd.: 81f].

Ein weiterer Aspekt, der Einfluss auf die Gesprächsführung nehmen kann, ist das gegebene Zeitfenster sowie die Sendestruktur. Die Gespräche in der Sendung sind erfahrungsgemäß selten länger als eine viertel Stunde. Koster [2000] weist darauf hin, dass die Gesprächsdauer restringiert ist, da die damit einhergehende höher ausfallende Anruferfluktuation dem Unterhaltungswert der Hörer zuträglich ist. Darüber hinaus lässt das Nachfragen und die zum Teil expliziten Klärungen des Moderators einen Dienst am Publikum erkennen [Koster 2000 zit. n. Cerovina: 34]. Der Zeitdruck, dem der Moderator unterliegt, ist also in linguistischer Hinsicht einflussreich und wird ebenfalls als Faktor dieser Arbeit in die Gesprächsanalyse eingehen.

Vorgreifend ist in diesem Zusammenhang auch auf verschiedene Einflüsse des Mediums einzugehen, die eine asymmetrische Gesprächsstruktur bedingen.

Burger [1991] betont die strukturelle Aufgabe des Moderators hinsichtlich auf die Gesprächsführung. Er verfügt demnach über die Eröffnungs- und Beendigungsgewalt und er nimmt die thematische Steuerung vor. Dies hat demnach eine „prinzipielle strukturelle Asymmetrie von Mediengesprächen zur Folge“ [Burger 1991: 276]. Bezüglich des medialen Kontextes hat der Moderator die Aufgabe, das Gespräch in das Programm zu integrieren, was sich ggf. in An- und Absagen widerspiegelt. Seine Person muss je nach Gesprächssituation in den Vorder- oder Hintergrund rücken, so dass der Anrufer eine Plattform zur Präsentation seines Falls erhält. Generell gilt aber, dass der Anrufer strukturell benachteiligt ist, was die Steuerung des Gespräches anbelangt. Seine Position ist im Vergleich zu der des Moderators weniger vielschichtig und somit unkomplizierter in Bezug auf den medialen Prozesse [Vgl. ebd.: 277f].

Es ist davon auszugehen, dass sich der Moderator dem Druck des Mediums beugt, da er meist ein „Vertreter seiner Institution“ ist [ebd.: 277]. Das bedeutet, dass der Sender und damit auch die Mitarbeiter zum Zweck der Selbsterhaltung an einer Fortführung des Formates interessiert sind. Den Machern der Sendung ist klar, dass „Domian“ auch eine Unterhaltungssendung und demnach auf das Wohlwollen und die Quote der Zuschauer angewiesen ist. Dass im Vorfeld der Sendung seitens der Rechercheure eine Vorauswahl der Anrufer stattfindet, ist bereits erwähnt worden. Zweck ist eine unterhaltsame Gestaltung des Programms unter zu Hilfenahme institutioneller Macht. Burger erwähnt weiterhin, dass der ritualisierte Telefondialog ein kommunikatives Paradox zeigt: „Wenn er ‚programmgemäß’ funktionieren soll, muss er kurz sein und hochgradig ritualisiert; andererseits soll er soviel kommunikative ‚Nähe’ bringen wie eben möglich“ [Burger 2005: 15].

[...]


[1] Oder 1Live.

[2] Die folgenden Informationen sind, sofern nicht anders gekennz. zit. n. Krause.

[3] 5.3.2009 bzw. 5.2.2009.

[4] Neudeutsch für vorangekündigt.

[5] Zur „Gatekeeper“-Funktion s. Krause.

[6] Obwohl hier auch partiell informative Inhalte erwartet werden.

[7] Die folgenden Ergebnisse sind aus Krause: 146ff.

[8] Rechtien geht hier auch genauer auf die Unterscheidung von Beratung und Therapie ein.

[9] S. Kap. 6.3.

[10] Vgl. zum systemischen Ansatz nach de Shazer u.a.: Steinhauser [2002].

[11] Milwaukee-Modell.

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Beratung unter den Bedingungen des Mediums - Eine gesprächslinguistische Studie zur EinsLive-Sendung „Domian“
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Linguistik: Beratung
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
90
Katalognummer
V139121
ISBN (eBook)
9783640472680
ISBN (Buch)
9783640472338
Dateigröße
813 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die in der Masterarbeit verwendeten Transkripte, die im Text auszugweise zitiert werden, sind z.T. Eigentum der Ruhr-Universtität und nicht im Anhang zu finden.
Schlagworte
Linguistik, Beratung, Domian, Gesprächsanalyse, Asymmetrie, Eins Live, Radio, Macht, Image, Ratschlag, WDR, Transkript
Arbeit zitieren
Ines Rothmeier (Autor:in), 2009, Beratung unter den Bedingungen des Mediums - Eine gesprächslinguistische Studie zur EinsLive-Sendung „Domian“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139121

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