Gesellschaftsordnung im Mittelalter - am Beispiel zweier Sangsprüche


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zur politischen Lyrik im Mittelalter
2.1 Was versteht man eigentlich unter politischer Lyrik?
2.2 Autoren und Publikum politischer Lyrik

3 Vorstellungen und Ideen zur Gesellschaftsordnung im Mittelalter
3.1 Derordo-Gedanke
3.2 Ständeordnung innerhalb der Gesellschaft

4 Mittelalterliche Ständeordnung in politischer Lyrik
4.1 Regenbogen:Ir pfaffen und ir ritter, tribent von uch nit
4.1.1 Kleine Einführung zu Autor und Entstehungszeit des Spruches
4.1.2 Streit zwischen den Ständen
4.1.3 Idealbild der mittelalterlichen Gesellschaft
4.1.4 Aufruf zur Erfüllung des Idealbildes
4.2 Der Marner: Got helfe mir, daz miniu kinder niemer werden alt
4.2.1 Kleine Einführung zu Autor und Entstehungszeit des Spruches
4.2.2 Konflikte im Stand des Klerus
4.2.3 Anrede an den Papst
4.2.4 Entartung der geistlichen Gewalt
4.3 Kurze Zusammenfassung

5 Literaturverzeichnis

6 Anhang (metrische Analyse der Sprüche)

1. Einleitung

Diese Arbeit befasst sich mit mittelhochdeutscher politischer Lyrik, die sich die Gesellschaftsordnung und Gesellschaftskritik zum Thema gemacht hat. Insbesondere soll hier die mittelalterliche Ständeordnung behandelt werden. Denn auch wenn das Mittelalter eine genau definierte Ordnung für seine Gesellschaft vorgab, hielt sich nicht immer jeder an seine vorgesehenen Aufgaben. Dieser Umstand wurde dann von Autoren in ihren politischen Sangsprüchen aufgezeigt, verarbeitet und vor allem auch kritisiert.

Bevor nun aber im letzten Kapitel der Arbeit in Hinblick auf diesen Umstand zwei politische Sangsprüche analysiert und interpretiert werden, sollen zunächst die Begrifflichkeiten ‚mittelhochdeutsche Lyrik’ und ‚politische Lyrik’ definiert und Autoren und Publikum dieser Dichtung vorgestellt werden. Außerdem wird dann im Anschluss die Gesellschaftsordnung des Mittelalters mit ihren Grundlagen detaillierter dargestellt. Zu guter letzt folgt dann die Analyse und Interpretation des Spruches „Ir pfaffen und ir ritter“ von Regenbogen und des Spruches „Got helfe mir daz miniu kinder niemer werden alt“ von Marner, welche eine kurze Beschreibung des Autors und eine historische Einordnung zum besseren Verständnis mit einschließen.

2. Zur politischen Lyrik im Mittelalter

2.1 Was versteht man unter politischer Lyrik?

Eine einheitliche Definition von Lyrik und gar noch politischer Lyrik lässt sich für die Werke im Mittelalter nur schwierig finden. Zu diesem Thema haben sich seither viele Forscher Gedanken gemacht, wissenschaftliche Abhandlungen dazu verfasst und jeder ist zu einem anderen Schluss gekommen. Im folgendem soll jedoch die Definition U. Müllers gelten, der ebenfalls die Ansätze mehrerer Autoren verglichen und daraus gewissermaßen einen Kompromiss gebildet hat: Demnach soll zur mittelhochdeutschen Lyrik alles das gerechnet werden, was sich aus „(sangbaren) Strophen oder (wohl nicht gesungenen) paar-, drei- oder kreuz-gereimten Versen aufbaut; einen mittleren Umfang (ca. 1000 Verse) nicht überschreitet; inhaltlich [...] keinen eindeutig erzählenden Charakter hat und auch nicht Teil einer größeren Erzähl-Einheit [...] ist“1. Politisch wird Lyrik dann dadurch, dass sie inhaltlich wertend und mit preisender, tadelnder, klagender, mahnender, auffordernder, ablehnender oder parteilich-berichtender Intention über aktuelle und vor allem bestimmte Ereignisse und Personen berichtet.2

Anhand dieser Definition lässt sich ein weiterer wichtiger Aspekt politischer Lyrik erkennen: Da bestimmte Ereignisse und manchmal auch die Namen von Personen genannt werden, kann diese Art der Lyrik, im Gegensatz zu vielen anderen literarischen Werken des Mittelalters, zumindest annähernd datiert werden. In dem Spruch oder Reim findet der Leser immer etwas, das auf die damals aktuellen Verhältnisse hinweist und mit Hilfe geschichtlicher Daten und Fakten ist so eine historische Einordnung möglich.

2.2 Autoren und Publikum politischer Lyrik

Die Sangspruchdichter des 12., 13. und 14. Jahrhunderts waren in der Regel fahrende Berufsdichter. Das heißt, sie lebten nicht an einem festen Ort, sondern reisten immer wieder durch das ganze Land, um vor immer neuem Publikum ihre Dichtung vorzutragen und so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es kam aber auch vor, dass ein Dichter sich in Adelsdienste begab und für die Zeit, die er für seinen Gönner dichtete, fest an dessen Hof lebte. Ein Sangspruchdichter konnte dabei generell jedem Stand und jeder Berufsrichtung entstammen, jedoch fand man nur sehr selten mächtige Ministerialen oder Adelige unter ihnen.3 Insgesamt muss man den Stand der Sangspruchdichter noch einmal unterscheiden. Denn es gab nur eine relativ kleine Schicht produktiver Dichter, die sich durch ihre selbst gedichteten Werke von der Masse der nur reproduzierenden Sänger und Sprecher abhoben.

Die Sangsprüche wurden vornehmlich zur Aufführung an großen Adelshöfen und geistlichen Höfen gedichtet. Wir wissen zwar, dass die Sprüche auch vorgelesen wurden, doch lassen die in den Handschriften überlieferten Miniaturen erkennen, dass die Dichter zusammen mit Musikanten auftraten und ihre Werke vorsangen. Manche Dichter begleiteten sich auch selbst, zum Beispiel mit der Fidel. Zum Publikum gehörten demnach die Angehörigen der weltlichen und geistlichen Höfe, doch existierte bei der deutschsprachigen Sangspruchdichtung keine Sprach-Barriere, wie bei der lateinischen Dichtung, so dass auch ‚einfaches Volk’ gerne an Aufführungen der Dichter teilnahm, wenn diese durchs Land reisten. Im Laufe des 14. Jahrhunderts wurde das Interesse der Stadtbürger für Sangspruchdichtung ebenfalls stärker und sie luden Dichter ein, in der Stadt zu bleiben, stadtfreundliche Sprüche zu verfassen und diese auch vorzutragen.4

Damit ist nun beschrieben, was mittelhochdeutsche politische Lyrik ist, wer sie dichtete und wo sie vorgetragen wurde. Dass Politik thematisch in politischer Lyrik eine entscheidende Rolle spielt, sagt ja schon der Name, zudem soll jetzt noch die mittelalterliche Gesellschaftsordnung exakter dargestellt werden, da diese sich von unserer Ordnungsvorstellung deutlich unterscheidet und oft ein Ansatzpunkt für Dichter war, politische Zustände zu kritisieren.5

3. Vorstellungen und Ideen zur Gesellschaftsordnung im Mittelalter

3.1 Der ordo-Gedanke

Derordo-Gedanke spielte für die Menschen im Mittelalter eine zentrale Bedeutung. Doch was genau bedeutetordo? Bemüht man sich zunächst um eine semantische Klärung, wird man herausfinden, dassordoein lateinischer Begriff ist. Daraus leitet sich das althochdeutsche Wortordound daraus wiederum das mittelhochdeutsche Wortordenab. Ins Neuhochdeutsche übersetzt, heißt es einerseits soviel wie „Anordnung, Gesetz, Befehl, [aber meint andererseits auch] das Gesetz, die Regel, unter welcher eine Klasse von Menschen steht (=leben) [...]; den Stand, die Würde derselben; endlich die Menschen, welche diese Klasse ausmachen, selbst.“6

Der zentrale Begriff bei dieser Übersetzung ist ‚Stand’. Zur Bezeichnung der Stände innerhalb der Gesellschaft wurden im Mittelalter die lateinischen Worteordo, status,corpusundgradusfast synonym verwendet. Das Deutsche kannte damals die Begriffename, leben,ê, reht, orden, artundambet. Stantist begrifflich erst im 14. Jahrhundert aufgekommen und wurde erst im 15. Jahrhundert dazu verwendet die Ständeordnung in den Ländern zu beschreiben (stende des lands).7

Halten wir nun die begriffliche Verwendung vonordofest und widmen uns der praktischen Bedeutung, die der Begriff für das Leben der Menschen hatte. Es war Thomas von Aquin, der sich in seinen philosophischen Überlegungen intensiv mit dem ordo-Gedanken beschäftigte. Seine Ideen prägten die christliche Lehre im Mittelalter nachhaltig. Ausgehend von seiner Philosophie predigte die Kirche, dass das Weltbild des Mittelalters letztlich ein geschlossenes, hierarchisch gegliedertes Bild einer kosmischen Ordnung ist. Gott steht dabei an der Spitze der Seinspyramide. Der Mensch, als Krönung der Schöpfung, steht zwischen der göttlich geistig-spirituellen (guten) und der irdischen materiellen (bösen) Welt. Er verkörpert daher den Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel, Erlösung und Erbsünde. Dieser Kampf war gleichbedeutend mit Leid auf Erden für die Menschen. Erlösung fanden sie nach einem gläubigen und gotttreuem Leben im Jenseits. Begründen konnte die Kirche dies mit der Heilsgeschichte, die

beginnend mit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies bis hin zum Jüngsten Gericht, nach dem das Reich Gottes auf Erden existieren wird, ebenfalls eine Leidensgeschichte erzählte. Als Vorläufer des Gottesreichs wurden die christlichen König- und Kaiserreiche verstanden, womit gleichzeitig deren Existenz und die Vormachtstellung der Herrschenden gerechtfertigt wurde.

3.2 Die Ständeordnung innerhalb der Gesellschaft

Es ist vielleicht schon klar geworden, aber an dieser Stelle sei es zur Verdeutlichung noch einmal wiederholt: Derordo-Gedanke gliederte die mittelalterliche Gesellschaft streng hierarchisch und wies jedem Menschen seine Funktion in der Gesellschaft zu. Somit war die in Deutschland vorherrschende Ständegliederung eine statische, von Gott fest vorgegebene Ordnung, in die man hinein geboren wurde, in der es keinen Aufstieg gab und die auch nicht anfechtbar war.

Die einfachste Vorstellung zur Ständeordnung unterschied nur Obrigkeit und Untertan. In Deutschland, wie auch in vielen anderen Ständegesellschaften, kannte man jedoch drei Stände, die sich, wie schon Freidank festhielt, ingebûre, ritter und pfaffengliederten. Eine durchaus exponierte Stellung in der Ständeordnung besaßen die Kleriker durch ihre direkte Verbindung zu Gott. Kleriker war jeder Geistliche, vom kleinen Dorfpfarrer bis zum Erzbischof und Papst. Ihnen war zugedacht, sich um das Seelenheil aller Menschen zu kümmern.

An der Spitze des Adels hingegen stand der König. In Deutschland wurde er von den wichtigsten ihm unterstehenden Fürsten, ebenfalls Angehörige des Adelstands, gewählt. Im Spätmittelalter waren dies die sieben Kurfürsten, die diese Aufgabe erfüllten, zu denen aber auch Bischöfe, die am Klerikerstand partizipierten, zählten. Ebenfalls noch zum Stand des Adels gehörte der nicht-fürstliche Adel, sowie seit dem 13. Jahrhundert die Ritter. Ursprünglich waren Ritter einfache berittene Krieger, im Laufe des 13. Jahrhunderts wurde der Begriff jedoch zunehmend nur noch für adelige Kämpfer verwendet. Im 14. Jahrhundert warritterdann fest zur Bezeichnung des niederen kämpfenden Adels geworden.8 Und genau hier zeigt sich auch die Aufgabe des Adelstandes: Sie hatten zu kämpfen und Klerus und arbeitende Bevölkerung vor Angriffen und Feinden zu verteidigen.

Der dritte Stand war der Bauernstand, verantwortlich für Arbeit und Versorgung der gesamten Gesellschaft mit Nahrung und anderen lebenswichtigen Gütern. An diesem partizipierten auch die Ministerialen, welche verwaltungstechnische Aufgaben für die Fürsten des Landes erfüllten, sowie die Stadtbevölkerung. Die Bauern auf dem Land befanden sich meist in Abhängigkeiten, weshalb sie ein unfreies Leben führten. Insgesamt hatten Reichtum oder Verdienst in diesem statischen Gesellschaftsmodell wenig Einfluss darauf, welchem Stand man angehörte. So war es möglich, dass ein Stadtbürger, der als Kaufmann viel Geld erwirtschaftet hatte, wesentlich vermögender war als ein armer Landadeliger.

So sah das Idealbild der mittelalterlichen Gesellschaft aus. Doch wurde das Bild nicht immer erfüllt. Es kam vor, dass Adel oder Klerus seine Vormachtstellung ausnutzte oder aus seinem Stand heraustrat und nicht mehr seine vorgegebene Rolle erfüllte. Dies war dann der Ansatzpunkt für Spruchdichter, die unrechtmäßige und falsche Realität zu dokumentieren und zu kritisieren.

[...]


1 Nach: Müller, Ulrich: Untersuchungen zur politischen Lyrik des deutschen Mittelalters. Göppingen. 1974. (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr. 55/56); S. 5 - 6

2 Ebd.; S. 8

3 Ebd.; S. 311 - 314

4 Ebd.; S. 316

5 Dieses Kapitel wurde mit Hilfe von Tervooren, Helmut: Sangspruchdichtung. 2.Auflg. Stuttgart 2001 geschrieben

6 Nach: Benecke, Georg Friedrich; Müller, Wilhelm; Zarnke, Friedrich (Hrsg.): Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Bd. 2. Stuttgart. 1990.; S. 439 - 441

7 Vgl.: Bumke, Joachim: Höfische Kultur - Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 8.Auflg. München. 1997.; S. 40

8 Ebd.; S. 69 - 71

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Gesellschaftsordnung im Mittelalter - am Beispiel zweier Sangsprüche
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V38637
ISBN (eBook)
9783638376419
ISBN (Buch)
9783640775835
Dateigröße
404 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesellschaftsordnung, Mittelalter, Beispiel, Sangsprüche
Arbeit zitieren
Melanie Strieder (Autor:in), 2004, Gesellschaftsordnung im Mittelalter - am Beispiel zweier Sangsprüche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38637

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