Translatio imperii ad Bohemos und die Höfisierung Alexander des Großen in Ulrichs von Etzenbach „Alexander“


Seminararbeit, 2006

15 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichtsverständnis der Menschen im Mittelalter
2.1 Vier-Reiche-Lehre und die Idee von der translatio imperii

3. Die Darstellung Alexanders als Repräsentant des mittelalterlichen höfischen Wesens

4. Translatio imperii ad Bohemos – Legitimation der böhmischen Macht durch Parallelen zu Alexander dem Großen

5. Fazit

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der auffällig mittelalterlichen Gestaltung des „Alexander“ Ulrichs von Etzenbach und der These, dass damit vom Autor intendiert war, Ottokar II. mit Alexander dem Großen auf eine Stufe zu stellen, um so Machtansprüche des böhmischen Königs im Deutschen Reich zu untermauern. Um deutlich zu machen, warum Ulrich so verfahren haben sollte, ist es nötig, zunächst auf das Geschichtsverständnis der Menschen im Mittelalter und vor allem auf die Vier-Reiche-Lehre und die Idee der translatio imperii einzugehen.

Die Neuausrichtung des „Alexander“ wegen der Umwidmung auf Wenzel II. nach dem Tod seines Vaters Ottokar II. 1278 und wegen der aus der Niederlage auf dem Marchfeld resultierenden Verminderung der Macht der Přemysliden soll ebenfalls dargestellt werden.

In der Forschung besteht durchaus keine Einigkeit darüber, ob sich die oben genannte These, dass der „Alexander“ primär den politischen Zielen des böhmischen Hofes dienen sollte, anhand des Textes bestätigen lässt oder nicht. Starker Verfechter dieser These ist Hans-Joachim Behr der dies in mehreren Aufsätzen[1] und in seiner Monographie „Literatur als Machtlegitimation“[2] deutlich ausführt. Scharfe Kritik an dieser These hat Werner Schröder in seinem Aufsatz „Die Rolle der Mäzene und der wahre Patron Ulrichs von Etzenbach“[3] formuliert.

Weitgehende Einigkeit besteht in der Forschungsliteratur jedoch darin, dass der „Alexander“ Ulrichs von Etzenbach sehr stark an das höfische Leben des 13. Jahrhunderts angepasst ist, da z.B. mehrmals Ritterspiele veranstaltet werden und Alexander auch den Regeln der Minne folgt und Ulrichs Werk deshalb auch der Fürstenlehre diente.[4]

2. Geschichtsverständnis der Menschen im Mittelalter

Das Geschichtsverständnis der Menschen im Mittelalter unterschied sich deutlich von unserer heutigen Vorstellung vom Ablauf der Geschichte und auch darin, dass für uns die Zukunft ungewiss und unendlich ist, für den mittelalterlichen Menschen hingegen schon das Ende der Welt mit dem jüngsten Gericht feststand und er sich im göttlichen Heilsplan unausweichlich verankert sah.[5] Anstatt der heute üblichen Einteilung der Geschichte in Epochen wie z.B. Antike oder Neuzeit wurden im Mittelalter zum einen die so genannten 6 bzw. 7 Weltalter und zum anderen die Vier-Reiche-Lehre als Gliederung für den Geschichtsablauf genutzt. Gemeinsam ist diesen beiden Einteilungsmöglichkeiten, dass sie beide einen festen Anfang und im Prinzip auch ein festes Ende hatten und somit zur Vorstellung des göttlichen Heilsplans passten. (Die Einteilung nach Weltaltern ist für die Behandlung der Fragestellung nicht weiter von Bedeutung, so dass sie jetzt nicht ausführlicher behandelt werden kann, was jedoch keineswegs heißen soll, dass sie die weniger bedeutende Möglichkeit darstellte.[6] ) Zudem sind beide Gliederungsprinzipien auf Grundlage der Bibel entstanden, zum einen durch biblisch-christliche Umformung älterer Gliederungssystem und zum anderen durch Auslegung bestimmter Bibelstellen, wie z.B. des Propheten Daniel.[7] Dies zeigt wie fest der Glauben an die göttliche Bestimmtheit des Geschichtsablaufs war und dass die Bibel als historische Quelle galt, die für die mittelalterlichen historiographischen Schriften das Grundgerüst lieferte und auch Ulrich von Etzenbach z.T. als Quelle für seinen „Alexander“ diente.[8]

Ein weiterer wichtiger Punkt für das mittelalterliche Geschichtsbild war die Ansicht, dass sich Geschichte immer wieder gleicht und man deshalb aus den Taten der Vorfahren für das eigene Handeln lernen könnte. Aus diesem Grund waren die Taten Alexander des Großen, wenn auch oft modernisiert bei Ulrich, Gegenstand der Fürstenlehre, wie bereits oben angedeutet, da sie dem Herrscher zeigen sollten, wie er sich in ähnlichen Situationen verhalten sollte.[9] Negative bzw. gescheiterte Taten Alexanders, wie z.B. sein Flugversuch, wurden als Warnung dargestellt und zumeist mit Hochmut (superbia) begründet, die nicht dem höfischen Ideal des Herrschers entsprachen und ihn warnen sollten, sich ihr hinzugeben.

2.1 Vier-Reiche-Lehre und die Idee von der translatio imperii

Die Lehre von den vier Weltreichen ist neben der Einteilung in die 6 bzw. 7 Weltalter das bedeutendste Gliederungssystem für den Verlauf der Geschichte für die Menschen im Mittelalter. Es basiert auf der Deutung eines Traumes des Königs Nebukadnezar durch den Propheten Daniel im alten Testament. Der König hat von einem Standbild aus vier verschiedenen Metallen geträumt, die der Prophet Daniel den vier Weltreichen zuordnet. Der Auslegung des Kirchenvaters Hieronymus folgend galten im Mittelalter das babylonisch-assirische, das persisch-medische, das makedonisch-griechische und das römische Reich als die vier Weltreiche. Auch wenn es also Heiden waren die Weltreiche regierten, so hatten sie ihre Macht jedoch unwissend durch den christlichen Gott erhalten und sie konnte Ihnen auch durch ihn wieder entzogen werden. Die zentrale Stelle bei Daniel hierfür lautet „(Deus) transfert regna atque constituit“(Dan 2,21), d.h. Gott überträgt die Herrschaft und legt sie fest. Weiterhin ist bei Daniel zu lesen, dass Gott durch das Einsetzen von Tyrannen und Gewaltherrschern die Sünder bestraft.[10] Wichtig für die Sicht der Menschen im Mittelalter war, dass das römische Reich als das andauernde angesehen wurde und man davon ausging, dass wenn das römische Reich zu existieren aufhören würde, das Ende des göttlichen Heilsplans erreicht sei und der Tag des Jüngsten Gerichts stattfinden müsste, da dies noch nicht geschehen war, musste das römische Reich folglich weiterhin existieren. Diese Argumentation machte es nötig zu bestimmen, in welcher Form das römische Reich weiterhin existierte, da bekanntlich das westliche römische Reich 476 aufgehört hatte zu bestehen.

Hilfreich hierfür war die Idee von der translatio imperii, d.h. der Gedanke der Übertragung der Macht von einem Volk bzw. von einem Herrscher an den anderen entsprechend dem göttlichen Wunsch. Mit der Kaiserkrönung Karl des Großen 800 durch Papst Leo III. wurde allgemein der Übergang des römischen Kaisertums auf das fränkische und später auf das deutsche Reich gesehen und die neuen Kaiser sahen sich folglich als direkte Nachfolger der römischen Kaiser des Altertums. Diese Auslegung der Bibel diente zudem einer gewissen Stabilisierung und Legitimierung der Macht, da zum einen die göttliche Berufung der Könige somit eindeutig war und zum anderen dadurch, dass mit dem Ende des römischen Reiches das Ende der Welt und damit das jüngste Gericht drohte, bei dem alle Sünder für immer in die Hölle verbannt werden sollten und nur denjenigen Menschen, die ohne Sünde waren, das Paradies in Aussicht stand.

3. Die Darstellung Alexanders als Repräsentant des mittelalterlichen höfischen Wesens

Wie bereits angedeutet ist der Alexander Ulrich von Etzenbach eher ein höfischer Ritter als ein antiker Herrscher, „bei Ulrich vergißt man, daß der Held vor eineinhalb Jahrtausenden gelebt hat – er könnte für einen mittelalterlichen Eroberer […] durchgehen“.[11] Im Folgenden sollen einige Beispiele für diese mittelalterliche Gestaltung Alexander gegeben werden und auch darauf eingegangen werden, welchen Zweck Ulrich damit verfolgte, gerade auch nach der Umwidmung auf Wenzel II. Auf die These der Machtlegitimation durch die Gleichsetzung Ottokar II. mit Alexander geht der nächste Abschnitt näher ein.

Ein Beispiel an dem man verschiedene für das höfische Wesen typische Elemente in Ulrichs „Alexander“ wieder erkennen kann, ist die Belagerung und Eroberung Thebens. (vv. 3177-3922). Hier hat Ulrich abweichend von seiner lateinischen Vorlage mehrere Elemente hinzugefügt. So lässt Alexander bei Ulrich vor den Mauern der Stadt viele prächtige Zelte aufbauen (vv. 3334-3386), geht auf Beizjagd (vv. 3394-3432) und lässt ein Festessen und ein Ritterspiel veranstalten. (vv. 3461-3506) Zudem kommt es vor der Eroberung der Stadt zu einem Zweikampf zwischen dem Herzog von Theben und einem Fürsten Alexanders (vv. 3579-3618), was eher dem Bild eines mittelalterlichen Ritters entspricht.[12]

Ein weiterer wichtiger Hinweis auf die höfische Gestaltung des „Alexander“ durch Ulrich ist die die Dichtung durchziehende Verbindung von Kampf und Minne, welche für die Antike nicht üblich war. Ulrich hat sie in allen Verwendungsweisen, wie sie in der höfischen Literatur des 11. und 12. Jahrhunderts vorkam, in den „Alexander“ integriert. So werden z.B. Alexanders Leute und auch seine Gegner durch die Minne zum Kampf angetrieben (vv. 4699-4706, 6178, 6184, 7278f., 8211-8214, 11010-11012) und bekommen sie als Lohn für den Kampf. (vv. 7934-7936, 13862-13864, 19799-19802)[13] Durch diese Beispiele wird deutlich, dass Ulrich Alexander sowohl als Minneritter, der sich auf höfische Umgangsformen versteht, als auch als König, der im Kampf bestehen kann, dargestellt hat.[14]

Wie oben schon angedeutet, ist der Grund für diese „Modernisierungen“ durch Ulrich sicherlich u.a. darin zu suchen, dass er Alexander als Exempel für eine gute Herrschaftsführung darstellen wollte, da es in der damaligen Ansicht nur eine richtige Art der Herrschaftsführung gab, die überzeitlich ihre Richtigkeit behielt, da man davon ausging, dass sich Vergangenes immer wieder wiederholt. (s.o.) So formuliert auch der Aristoteles bei Ulrich die Anforderungen, die an einen idealen Herrscher gesetzt werden, welche Alexander dann im Laufe des Werks auch größtenteils erfüllt, wie bereits durch die obigen Beispiele gezeigt wurde und wie die weiteren Ausführungen noch zeigen werden.[15]

Ein Umstand, der es Ulrich zudem leichter machte Alexander positiv darzustellen, war, dass in seiner hauptsächlichen Quelle, der „Alexandreis“ des Walther von Châtillon, Alexander, im Gegensatz zu vielen anderen Bearbeitungen, ebenfalls recht positiv dargestellt wird.[16] Bei Walther ist Alexander nämlich bereits ein „bloßes Werkzeug des Christengottes“[17], auch wenn er diesen gar nicht kennt oder erahnt. Dieser Vorstellung folgend sind alle Taten des Helden Teil des göttlichen Plans und somit nicht von ihm persönlich zu verantworten, weshalb auch negative Taten oder schlechte Verhaltensweisen Alexanders von Walther gar nicht erwähnt werden bzw. abgeschwächt oder mit außerhalb seiner Person liegenden Gründen erklärt werden. Für Walther und auch für Ulrich war Alexander nach biblischem Vorbild der Begründer des dritten Weltreiches entsprechend der oben vorgestellten Vier-Reiche-Lehre.[18] So geht Ulrich im Laufe seines Werkes auch mehrmals direkt auf den Traum Daniels ein:

[...]


[1] vgl. z.B. Behr, Hans-Joachim, Literatur und Politik am Böhmerhof: Ulrich von Etzenbach, Herzog Ernst D und der sogenannte Anhang zum Alexander, in: ZfdPh 96 (1977), S. 410-429.

[2] Behr, Hans-Joachim, Literatur als Machtlegitimation, München 1989.

[3] Schröder, Werner, Die Rolle der Mäzene und der wahre Patron Ulrichs von Etzenbach, in: ZfdA 118 (1989), S. 243-279.

[4] vgl. z.B. Vollmann, Benedikt Konrad, Ulrich von Etzenbach "Alexander", in: Positionen des Romans im späten Mittelalter, Walter Haug, Burghart Wachinger (Hrsg.), Tübingen 1991, S. 59.

[5] vgl. Goetz, Hans-Werner, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im hohen Mittelalter, Berlin 1999, S. 92.

[6] vgl. Schmidt, Roderich, Aetates mundi. Die Weltalter als Gliederungsprinzip der Geschichte, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Folge V, 67 (1956), S. 288; Vollmann, Ulrich von Etzenbach „Alexander“, 1991, S. 58.

[7] vgl. Schmidt 1956, S.289.

[8] vgl. Buntz, Herwig, Die deutsche Alexanderdichtung des Mittelalters, Stuttgart 1973, S. 27.

[9] vgl. Vollmann 1991, S. 60.

[10] vgl. Goez, Werner, Translatio imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorie im Mittelalter und der frühen Neuzeit, Tübingen 1958, S.7.

[11] Vollmann 1991, S. 54.

[12] vgl. Vollmann 1991, S. 59f.

[13] vgl. Vollmann 1991, S. 60.

[14] vgl. Behr 1989, S. 147f.

[15] vgl. Behr 1995, Sp. 1259.

[16] vgl. Behr 1977, S. 415.

[17] Behr 1989, S. 144.

[18] vgl. Behr, Hans-Joachim, Ulrich von Etzenbach, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Burghart Wachinger (Hrsg.), Bd. 9, Berlin/New York 1995, Sp. 1258.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Translatio imperii ad Bohemos und die Höfisierung Alexander des Großen in Ulrichs von Etzenbach „Alexander“
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
ProSeminar: Ulrich von Etzenbach: Alexander
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V135933
ISBN (eBook)
9783640439638
ISBN (Buch)
9783640439621
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ulrich von Etzenbach, Alexander, Alexander-Roman, Geschichtsauffassung, Eschenbach, Höfischer Roman
Arbeit zitieren
Fabian Rühle (Autor:in), 2006, Translatio imperii ad Bohemos und die Höfisierung Alexander des Großen in Ulrichs von Etzenbach „Alexander“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135933

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