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Sind Gebrauchsanleitungen zu gebrauchen?

2009
978-3-8233-7406-0
Gunter Narr Verlag 
Marianne Grove Ditlevsen
Peter Kastberg
Christiane Pankow

Sind Gebrauchsanleitungen zu gebrauchen? Mit anderen Worten: Klappt die Kommunikation zwischen Textproduzenten und Verbrauchern? Diesen sehr berechtigten Fragen gehen die Autorinnen und Autoren dieses Bands detailliert nach. Dabei stehen in den einzelnen Untersuchungen Aspekte der Textproduktion, Dekodierungsprozesse sowie kulturelle Faktoren für Gebrauchsanleitungen im Mittelpunkt. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die vielfältigen Anforderungen an Instruktionstexte für unterschiedliche Kommunikationsbereiche. Die Beiträge schaffen ein Gesamtbild von Instruktionstexten als komplexen semiotischen Gebilden mit multimodalen und mehrmedialen Eigenschaften.

Sind Gebrauchsanleitungen zu gebrauchen? Linguistische und kommunikativ-pragmatische Studien zu skandinavischen und deutschen Instruktionstexten Marianne Grove Ditlevsen / Peter Kastberg Christiane Andersen (Hrsg.) Gunter Narr Verlag Tübingen Sind Gebrauchsanleitungen zu gebrauchen? Europäische Studien zur Textlinguistik herausgegeben von Kirsten Adamzik (Genf) Martine Dalmas (Paris) Jan Engberg (Aarhus) Wolf-Dieter Krause (Potsdam) Arne Ziegler (Graz) Band 6 Marianne Grove Ditlevsen / Peter Kastberg Christiane Andersen (Hrsg.) Sind Gebrauchsanleitungen zu gebrauchen? Linguistische und kommunikativ-pragmatische Studien zu skandinavischen und deutschen Instruktionstexten Gunter Narr Verlag Tübingen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Ilmprint, Langewiesen Printed in Germany ISSN 1860-7373 ISBN 978-3-8233-6406-1 Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................... 3 TEIL 1 Markus Nickl Die Zukunft der Anleitungstexte ............................................... 8 Oddný G. Sverrisdóttir Wenn es „keine“ Gebrauchsanleitung gibt… Kulturelle Faktoren der Textproduktion und -rezeption im Isländischen ........................................................... 29 TEIL 2 Peter Kastberg Zur Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts und erste Erfahrungen .......................................................................... 38 TEIL 3 Christiane Andersen Instruktion und Multimedialität. Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext in deutschen und schwedischen Gebrauchsanweisungen ...................................... 69 2 Jan Engberg Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg ...................................................... 86 Kåre Solfjeld Informationsstrukturierung in Instruktionstexten. Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen ...................................... 106 TEIL 4 Sigmund Kvam Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen ................................ 127 Luise Liefländer-Leskinen Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche. Ein Erfahrungsbericht ................................................................. 150 Index ............................................................................................. 165 Autorenverzeichnis …………………………………………….. 167 Vorwort Instruktionstexte sind integrativer Bestandteil der heutigen Gesellschaft. Gebrauchsanweisungen, Bedienungsanleitungen, Montageanleitungen (ganze Handbücher, Broschüren oder Packungsbeilagen wie Beipackzettel und Patentinformationen), Stylingtipps verschiedener Art, Kochrezepte (Kochbücher), Reiseführer, Sprachführer, Gesundheitsbücher (z. B. alle Arten von Diätanleitungen, Sportanleitungen) usw. usw. gehören in den Alltag der meisten Menschen. Wer sich eine Kaffeemaschine, einen Kühlschrank, einen Computer oder ein Handy kauft, erhält gleichzeitig eine Instruktion in kodifizierter Form - auf Papier (Faltblatt, Broschüre, Buch), als CD, DVD oder als Computerprogramm im Internet. Solche Instruktionstexte sind in Europa in der Regel mehrsprachig, das heißt, sie werden in verschiedenen Sprachfassungen mitgeliefert. Die technische Gebrauchsanleitung eines Teleskops von einem deutschen Hersteller enthält z. B. neben Deutsch auch eine englische, französische, italienische, spanische, portugiesische, niederländische, finnische, dänische, griechische, polnische und tschechische Fassung. Verschiedene Haushaltsgeräte werden häufig mit Gebrauchsanweisungen in den Sprachen der Verkaufsregionen wie z. B. Deutsch, Englisch, skandinavische Sprachen und Finnisch versehen. Gebrauchanweisungen und Bedienungsanleitungen werden im Alltag nicht selten missverstanden. Die Ursachen solcher Missverständnisse sind sehr vielfältig und nicht allein auf den rein sprachlichen Transfer zurückzuführen. Auf den ersten Blick scheinen sich die verschiedenen Fassungen eines Instruktionstextes nicht viel voneinander zu unterscheiden, ja sie wirken optisch (gleiches Layout) häufig identisch. Der erste Anschein ist aber trügerisch, beim zweiten Hinsehen fällt bereits ins Auge, dass die verschiedenen sprachlichen Fassungen unterschiedliche Länge aufweisen, etwas ist hinzugefügt oder weggelassen worden; beim weiteren Hinschauen fällt auf, dass Anweisungen verschieden dargestellt werden - es können unterschiedliche sprachliche Strukturen verwendet und Begriffe ausgetauscht werden. Manche Beschreibungen scheinen in der einen Sprache einfacher in der anderen komplizierter zu sein. Es ist unschwer zu erkennen, dass der instruktive Text - was seine Konzeption, seine Produktion und seine Rezeption betrifft - ein ausgesprochen komplexes Phänomen ist. Daher darf es auch nicht verwundern, dass bereits bei der Plannung des vorliegenden Sammelbandes dieser Komplexität Rechnung getragen wurde. Konsequenterweise hatten sich die Autoren und Autorinnen gemeinsam die Aufgabe gestellt, alltägliche Instruktionstexte als komplexe semiotische Gebilde mit multimodalen und multimedialen Eigenschaften genauer zu umreißen und die Grenzen ihrer wissenschaftlichen Beschreibung interdisziplinär abzutasten. Dabei stehen in den einzelnen Vorwort 4 Untersuchungen Aspekte des sprachstrukturellen Transfers, der Ontogenese, Dekodierungsprozesse von multimedialen und verbalen Teiltexten und kulturelle Faktoren der Produktion und Rezeption von Instruktionstexten im Mittelpunkt. Thematisch setzt sich dieser Sammelband aus vier Teilen zusammen; die Beiträge, die in den Sammelband Eingang gefunden haben, sind nach einem sorgfältigen Auswahlverfahren seitens der Herausgeber ausgewählt und durchgesehen worden. Im ersten Teil beschäftigen sich die Autoren mit dem instruktiven Text aus einer eher übergeordneten Perspektive. In seinem Beitrag „Die Zukunft der Anleitungstexte“ beleuchtet Markus Nickl Entwicklungstendenzen der Instruktionstexte bzw. Anleitungstexte aus der Sicht des multimediale Texte produzierenden Unternehmers, indem er auf Innovationsstrategien im Unternehmen doctima eingeht. Dabei geht er von den aus seiner Sicht zukunftsbestimmenden Textprozessen Automatisierung, Prozessorientierung, Standardisierung, Modularisierung und Forschungsorientierung aus. Nickl zeigt ausführlich, wie komplex multimodal die Produktion von Anleitungstexten bereits heute schon ist, so dass Schreiben und Übersetzen nur Anteile der Gesamtproduktion ausmachen. In vielen Fällen werden für diese standardisierbaren Tätigkeiten im Textproduktionsprozess Textproduzenten eingesetzt 1 , die aus vergleichsweise schreibfernen Ausbildungsgängen kommen (z. B. Ingenieure, Informatiker, Verwaltungsfachleute). Durch die Industrialisierung des Schreibens wird es zu einer deutlichen Vervielfältigung von Informationen und Informationskanälen kommen. Nickl schlägt daher u. a. eine Textproduktionsstrategie vor, die konsequent relevante Informationen auszuwählen vermag und eine Kultur des Informationsverzichts aufbaut. Im Artikel von Oddný G. Sverrisdóttir „Wenn es ‘keine’ Gebrauchsanweisungen gibt... Kulturelle Faktoren der Textproduktion und Rezeption im Isländischen” wird der Status der Gebrauchsanweisung in Island beschrieben. Ausgangspunkt ist der Umstand, dass der instruktive Text bisher nicht als Textsorte wahrgenommen und aus dem Grunde keinen Wert auf dessen Übersetzung ins Isländische gelegt wurde 2 . Die mündliche Kommunikation erfüllt die Funktion des instruktiven Textes in schriftlicher Form. Es ist jedoch anzunehmen, dass der instruktive Text auch in Island Bedeutung gewinnen wird. Die Handhabung von komplexeren technischen Geräten setzt in der Zukunft voraus, dass sich der isländische Verbraucher durch schriftlich kodifizierte Gebrauchsanleitungen gründlicher informiert. Thema des zweiten Teils ist die Entstehungsgeschichte des instruktiven Textes. In seinem Beitrag, „Zur Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts und erste Erfahrungen“ untersucht Peter Kastberg 1 Vgl. u. a. Nickl, Markus, Erstellen komplexer elektronischer Dokumente mit Schema- Text, in: Jakobs, Eva-Maria/ Knorr, Dagmar/ Pogner, Karl-Heinz, Textproduktion. Hypertext, Text, Kontext, Frankfurt a. Main, 1999, 201 - 210. 2 Vgl. u. a. Baldur Jónsson, Sprachpolitik auf Island, Greifswald 1999. Vorwort 5 exemplarisch die Ersttextproduktion einer Bedienungsanleitung und die authentische Situation ihrer Entstehung 3 . In einer einwöchigen Feldstudie in einem mittelgroßen dänischen Übersetzungs- und Textproduktionsbüro wird eine an der Arbeitspraxis orientierte Schreibontogenese zu ermitteln versucht. Anhand der durchgeführten Observation am Arbeitsplatz wird erstmals ein Methodengerüst zur Beschreibung einer Ersttextproduktion von dänischen Instruktionstexten entwickelt. Dieser ethnologisch orientierte Zugang zur Textproduktion hat sich insgesamt sowohl theoretisch als auch methodisch als vielversprechend gezeigt, doch ist er auch mit vielen praktischen Problemen behaftet gewesen, u. a. wird eine geradezu unüberschaubare Datenmenge zu unterschiedlichen Kontextbedingungen generiert, die sowohl theoretisch als auch methodisch nach und nach ausgewertet werden muss. Gegenstand der Beiträge im dritten Teil des Sammelbands ist der instruktive Text in seiner Eigenschaft als Text. In ihrem Aufsatz „Instruktion und Multimedialität. Dekodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext in deutschen und schwedischen Gebrauchsaweisungen“ betrachtet Christiane Andersen deutsche und schwedische Gebrauchsanweisungen als Medium aus semiotischer Perspektive 4 . Es wird gezeigt, auf welche Weise der visuelle Textteil mit dem sprachlichen Textteil korrespondiert. Ausgehend von Sprach- oder Bilddominanz werden Hauptperspektiven der Vermittlungsfunktion untersucht. In Gebrauchsanweisungen treten häufig symbolische und ikonische Zeichen auf, die direkt in die lineare Kette der graphemischen Zeichen eingebaut sind. Diese Einbettung von Symbolen und Ikonen in den sprachlichen Textteil wird in den Übersetzungen unterschiedlich realisiert. Solche Unterschiede sind sowohl sprachlich als auch kulturell determiniert. Kulturelle Unterschiede ergaben sich auch im sprachlichen Teil im Zusammenhang mit der Decodierung von Bildern. Jan Engberg richtet in seinem Beitrag „Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg“ das Augenmerk auf die Ermittlung des vermittelten Wissens in deutschen und dänischen Gebrauchsanleitungen, d. h. die im Text gegebenen Informationen über Gegenstände und Zusammenhänge in der Welt. Mithilfe eines auf semantische Netzwerke basierenden Verfahrens werden systematisch unterschiedliche Sprachversionen einer Gebrauchsanleitung analysiert. Dabei kann ermittelt werden, welche inhaltlichen Elemente im Text enthalten sind, wie diese miteinander verbunden sind und welche Elemente die zentralen inhaltlichen Rollen spielen 5 . Engberg zeigt, wie Un- 3 Vgl. u. a. Daymon, Christine/ Holloway, Immy, Qualitative Research Methods in Public Relations and Marketing Communications, London/ New York 2004. 4 Vgl. u. a. Hess-Lüttich, Ernest W. B./ Schmauks, Dagmar, Multimediale Kommunikation, in: Posner, Roland/ Robering, Klaus/ Sebeok, Thomas A. (Hrsg.), Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, Berlin/ New York 2004, 3487-3504. 5 Vgl. u. a. Gerzymisch-Arbogast, Heidrun, Termini im Kontext: Verfahren zur Erschlie- Vorwort 6 terschiede in den semantischen Netzwerken der verschiedenen Sprachversionen eines Instruktionstextes indizieren, und dass die jeweiligen sprachlichen Formulierungen Anlass zu einem unterschiedlichen Input zum Verstehensprozess geben können. Schließlich untersucht Kåre Solfjeld in seinem Aufsatz „Informationsstrukturierung in Instruktionstexten. Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanweisungen“ in einer syntaktischen Studie Fälle von Subordination in deutschen und norwegischen Gebrauchsanweisungen 6 mit englischem Ersttext. Anhand der untersuchten Beispielpaare kann gezeigt werden, dass durch die relativ starke Ausnutzung von Adjungierung im Deutschen sich die Möglichkeit eröffnet, Information zu integrieren, ohne die Anzahl von Sätzen zu erhöhen. Einige Textstellen in der norwegischen Fassung legen die Frage nahe, inwieweit einer Satzteilung, d. h. einer etwas umfassenderen aus mehreren Sätzen bestehenden Variante aus dem Wege gegangen und dabei zugleich eine weniger ausführliche Variante als auf Deutsch in Kauf genommen wird. Im vierten und letzten Teil des Sammelbandes wird der instruktive Text in der Übersetzungssituation behandelt. Hier stellt sich Sigmund Kvam in seinem Beitrag „Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen“ die Frage, welche invarianten Größen bei der Übersetzung von funktionskonstanten Gebrauchsanleitungen eine Rolle spielen. Auf der Grundlage eines englischen Ersttexts von einer Gebrauchsanleitung für eine Kaffeemaschine und seiner deutschen und norwegischen Übersetzung wird das Verhältnis zwischen identischer Textfunktion einerseits und verschiedenen sprachlich-kommunikativen Lösungen andererseits analysiert 7 . Dabei wird die Komplexität auch funktionskonstanter Übersetzungsaufträge bestätigt und die Notwendigkeit einer Binnendifferenzierung funktionskonstanter Übersetzungen nach der logisch-semantischen Kategorie Invarianz gezeigt sowie auch die Relevanz textlinguistischer Kategorien für die Bestimmung von Invarianz betont. Abschließend berichtet Luise Liefländer-Leskinen im Aufsatz „Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche. Ein Erfahrungsbericht“ über die Art des Übersetzens von finnischen Sicherheitsvorschriften im Unterricht von Handarbeit, technischem Werken und Textilgestaltung. In dem zugrunde liegenden Übersetzungsprojekt 8 , das mit fortgeschrittenen Übersetzerstudentinnen der Universität Joensuu/ Savonlinna durchgeführt wurde, sind deutschsprachige Austauschstudenten die intendierte Zielgruppe. Als Er- ßung und Übersetzung der textspezifischen Bedeutung von fachlichen Ausdrücken, Tübingen 1996. 6 Vgl. u. a. Ramm, Wiebke/ Fabricius-Hansen, Cathrine, Coordination and Discourse- structural Salience from a Cross-linguistic Perspective, SPRIKreport 30, Oslo 2005. 7 Vgl. u. a. Nord, Christiane, Translating as a Purposeful Activity, Manchester 1997. 8 Vgl. u.a. Göpferich, Susanne, Wie man aus Eiern Marmelade macht: Von der Translationswissenschaft zur Transferwissenschaft, in: Göpferich, Susanne/ Engberg, Jan (Hrsg.), Qualität fachsprachlicher Kommunikation, Tübingen 2004, 3-29. Vorwort 7 gebnis der Übersetzungsarbeit entstand eine aufgrund skoposrelevanter Evaluation und adressatenspezifischer Transformation eine stark verkürzte Übersetzung des Ausgangstextes. Wie man an diesen Beispielen der Beschreibung von Instruktionstexten sieht, verbergen sich dahinter eine Reihe bisher keineswegs hinreichend diskutierter Probleme sowohl theoretischer als auch praktischer Natur. Dieser Sammelband soll dazu anregen, den IN- STRUKTIONSTEXT als Forschungsgegenstand vielfältiger und komplexer Fragestellungen zu verstehen und hoffentlich auch zu ihrer Beantwortung beitragen. Die Herausgeber bedanken sich an dieser Stelle herzlich bei cand.ling.merc. Birgitte Junge für die sorgfältig ausgeführte Korrektur des Manuskripts und die Zusammenstellung des Sachwortregisters. Aarhus und Göteborg, im Februar 2009 Marianne Grove Ditlevsen Peter Kastberg Christiane Andersen Markus Nickl Die Zukunft der Anleitungstexte 1 Texte und Anleitungen - gestern, heute und morgen Sich über die Zukunft von Anleitungstexten zu äußern, scheint auf den ersten Blick ein wenig vermessen. Denn zum einen sind Vorhersagen - so will es eine gängige Redewendung - immer ungewiss, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Zum anderen sind Anleitungstexte an sich schon recht disparat, umfassen sie doch solch unterschiedliche Textsorten wie Checklisten, Montageanleitungen, Kochrezepte und Stylingtipps. Lassen sich da denn sinnvolle Aussagen zu ihrer Zukunft treffen? Klar ist zunächst einmal, dass Textsorten sich im Laufe der Zeit schon immer gewandelt haben, dass neue entstanden und alte verschwunden sind. Es ist aber auch offensichtlich, dass Anleitungstexte eine Zukunft haben müssen, und dass diese anders sein wird als die Gegenwart. Gleichzeitig ist kaum davon auszugehen, dass Anleitungstexte in ihrer Gesamtheit aussterben werden, stellt das Anleiten doch geradezu eine menschliche Grundkonstante dar. Dem trägt z. B. auch Searle in seiner Sprechakttheorie Rechnung, indem er die direktiven Sprechakte als eine der fünf grundlegenden Illokutionen klassifiziert (Searle 2003). Dass Anleitungstexte aussterben, ist auch in Anbetracht unserer differenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft kaum anzunehmen. Vielmehr lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein sehr viel stärkerer Bedarf an Orientierung, Erklärung und eben Anleitung ablesen. Bestätigt wird diese Beobachtung z. B. durch das verstärkte Interesse an Ratgeberliteratur oder auch an dem stark gestiegenen Umfang von Gebrauchsanleitungen. Doch lassen sich jenseits dieser vergleichsweise allgemeinen Mutmaßungen auch konkretere Aussagen treffen? Gibt es vielleicht sogar einen Systembruch oder wenigstens Systemwandel zu beobachten? Wie lassen sich solche Entwicklungen aufspüren und charakterisieren? Und warum macht sich ein Unternehmen wie doctima, das Technische Kommunikation in den Fokus seiner Aktivitäten stellt, überhaupt Gedanken zur Zukunft des Anleitungstextes? Fragen, die in den weiteren Kapiteln geklärt werden sollen. Die Zukunft der Anleitungstexte 9 2 Innovation als Unternehmensmotor Warum beschäftigt sich doctima mit der Frage, wie die Zukunft des Anleitungstextes aussehen könnte? Eine Antwort darauf liegt in der Wichtigkeit von Innovationen für unser Geschäft. Deshalb möchte ich zunächst einige Worte zur Wichtigkeit von Innovationen und zum Innovationsmanagement vorausschicken. Innovationen sind eine wichtige Grundlage des unternehmerischen Handelns. Denn nur wer regelmäßig sein Produktportfolio erweitert und ergänzt kann auch langfristig erfolgreich sein (Little 1988: 9 - 12). Innovation wird von Laien oft mit technischen Innovationen assoziiert. In diesem Bereich sind Neuentwicklungen ohne Frage wichtig; sie werden in der Öffentlichkeit breit rezipiert und oftmals auch kontrovers diskutiert. Doch auch für ein Unternehmen in der technischen Kommunikation sind Innovationen (über)lebenswichtig. Denn auch hier entstehen stets neue Softwarelösungen, Formulierungstechniken und rechtliche Normen, die in den Textprodukten unseres Unternehmens ihren Niederschlag finden. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Technische Redakteure waren beim Einsatz von Hypertexten eine echte Pionier-Gruppe. Schon Ende der achtziger Jahre wurde für Software-Dokumentation die innovative Vertextungsform genutzt. Bereits damals waren z. B. Winhelp und unixbasierte Systeme wie die sogenannten manpages weit verbreitet. Gerade wegen dieser frühen Pionierleistung hatten es aber HTMLbasierte Hypertexte und Internettechnologien in den Technischen Redaktionen vergleichsweise schwer. Die Übernahme erfolgte dort nur zögerlich und wird in einigen Redaktionen bis heute abgelehnt. Auf diese Weise wurde in den Technischen Redaktionen ein Innovationsvorsprung verspielt, der dazu hätte führen können, dass Technische Redakteure eine wesentlich zentralere Rolle in den Unternehmen einnehmen. Obwohl also das Innovationsmanagement für jedes Unternehmen und jede Unternehmenseinheit wichtig ist, wird es in vielen Firmen oft als Stiefkind behandelt. Ob Innovationen entstehen und welche Innovationen entstehen ist dann eine Frage des Zufalls. Ein solch laxes Innovationsmanagement birgt jedoch deutliche Gefahren. Gefährlich sind besonders Zeiten mit starken Auftragseingängen - eine Tatsache, die im ersten Moment verblüfft. Doch gerade Zeiten mit hoher operativer Belastung führen oft zum Erliegen des Innovationsprozesses. So berichten mir Redakteure immer wieder, dass sie aufgrund ihres Arbeitsvolumens keine Zeit haben, neue Technologien in ihrer Redaktion einzuführen, auch wenn sie überzeugt sind, dass diese Technologien ihnen Aufwand sparen würden. Der Innovationsstau erscheint den Beteiligten zunächst auch kaum als Gefahr, da ja genügend Aufgaben anliegen. Ebbt der Boom allerdings ab, stellen Unternehmen fest, dass sie unter den veränderten Marktbedingungen keine neuen, richtungsweisenden Produkte in der Hinterhand haben. Markus Nickl 10 Das bestehende Produktportfolio stößt auf immer weniger Interesse, und im schlimmsten Fall droht die Insolvenz des Unternehmens. In Technischen Redaktionen kann sich das so äußern, dass die Kostensituation durch den vermehrten, ineffizienten Bearbeitungsaufwand aus dem Ruder läuft, gleichzeitig aber durch den verringerten Auftragsbestand keine Budgets für Neuinvestitionen (z. B. in Software-Lösungen) zur Verfügung stehen. Ähnlich problematisch kann sich eine ungesteuerte Entwicklung von Innovationen auswirken. Denn ohne klare Innovationsstrategie besteht die Gefahr, dass sich das Unternehmen mit zu vielen neuen Produkten und Ideen verzettelt. Zwischen den einzelnen Projekten entstehen dann keine Synergie-Effekte mehr und jedes Projekt muss wieder grundlegende Entwicklungsleistungen erbringen. Die Folge sind ineffiziente Prozesse, die in wirtschaftlich prekären Zeiten schnell das Aus für ein Unternehmen bedeuten können. In einer solchen Situation besteht zudem die Gefahr, dass das Unternehmen seine Alleinstellungsmerkmale verliert. Das Angebot des Unternehmens ist zu disparat, für Kunden erschließt sich das Leistungsportfolio nur unter Mühen. Hier haben Unternehmen mit einem eindeutigen Fokus einen klaren Vorteil. Ihr Produktspektrum wird dem Kunden sofort ersichtlich. Er kann dadurch schnell erkennen, ob die Leistungen des Unternehmens für seine spezifischen Aufgaben geeignet sind. Die Auftragsanbahnung wird so wesentlich beschleunigt oder überhaupt erst ermöglicht. 3 Trendanalyse als Basis für Unternehmensinnovationen doctima ist ein Unternehmen, dessen thematischer Fokus im Bereich der Anleitungstexte liegt. Aus diesem Grund ist es für unsere Innovationsstrategie unerlässlich zu beobachten welche neuen Entwicklungen sich im Bereich der anleitenden Texte zeigen, ob sich diese Entwicklungen zu Gruppen zusammenfassen lassen und ob und inwiefern sich daraus Trends für die Zukunft aufbauen lassen. Diese Beobachtungen bilden quasi die Hintergrundfolie, auf der wir unsere strategischen Entscheidungen für Innovationen treffen. Sie helfen uns, bevorzugt Innovationen umzusetzen, die sich an größere Trends anschließen. Dadurch wird es für uns wahrscheinlicher, dass auch unsere Kunden eine Neuentwicklung als relevant erkennen können. Gleichzeitig ist das Erkennen von übergreifenden Trends notwendig, um Marktneuheiten zu entwi- Die Zukunft der Anleitungstexte 11 ckeln und damit Standards für den gesamten Bereich der Technischen Kommunikation zu setzen. Die oben genannten Trends gilt es jedoch nicht nur zu beobachten, sondern sie müssen auch bewertet und in ihren Auswirkungen auf die Zukunft extrapoliert werden. Dazu hilft der Blick in die Vergangenheit: Ein Aspekt ist hier die Analyse der Textsortengeschichte. Sie macht deutlich, dass manches Phänomen, das wir heute wahrnehmen, sich in eine seit längerem andauernde Entwicklung einfügt. Auch ein Vergleich mit anderen Textsorten und deren Entwicklung kann helfen, Trends aufzuspüren. Übrigens: Neben der Hilfe für das Ermitteln von sprachlichen Trends ist der Blick in die Textsortengeschichte aber auch selbst oft Anlass für Innovationen. Hilft er doch vergessene Lösungen wieder zu erschließen und Irrwege der Vergangenheit zu vermeiden. Ein anderer Aspekt für die Identifizierung von sprachlichen Veränderungslinien ist der Vergleich und die Analogie zu anderen gesellschaftlichen Entwicklungen. Diese können durchaus außersprachliche Ursachen haben; ja sie müssen nicht einmal notwendigerweise sprachlicher Natur sein. Wichtig ist jedoch die Erklärungskraft, die die Analogie entfaltet. Ebenso wichtig ist es aber auch, zu erkennen, wo die Analogie an ihre Grenzen stößt. Im Folgenden will ich nun Phänomene und Trends aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln aufzeigen: Zum einen auf der Ebene der Textgestalt und zum anderen auf der Ebene der Texterstellungs-Prozesse. Dadurch können wir uns einerseits auf den Text als Objekt fokussieren und die Frage klären: Wie werden zukünftig Anleitungstexte aussehen? Andererseits können wir aber auch die Produzenten in den Blick fassen und uns mit der Frage beschäftigen „Wie werden in Zukunft Texte verfasst werden? “ Dabei wird sich zeigen, dass in der modernen Textproduktion Entwicklungen deutlich werden, wie sie im 19. Jahrhundert bei der Produktion von Waren abgelaufen sind. 4 Die multimodale Textgestalt Im Laufe des 20. Jahrhunderts entstand ein seltsames Phänomen: Die zuvor so deutlich getrennten Medien gesprochene Sprache und Text begannen sich aufeinander zuzubewegen. Durch Rundfunk, Film und Fernsehen erlangte gesprochene und geschriebene Sprache Qualitäten, die zuvor nur dem jeweils anderen Medium zukamen: Rede wurde speicherbar, konnte über weite Strecken und an sehr große Adressatengruppen verteilt werden. Gleichzeitig gewannen geschriebene Texte gesprochen-sprachliche Qualitäten, wenn z. B. Fax und Telex, später dann die Internettechnologien wie E- Mail, Web und Chat, eine unmittelbare Kommunikation ermöglichten. Doch nicht nur zwischen gesprochener und geschriebener Sprache kam es zu Vermischungen. Auch zwischen Dialog und Monolog entstanden vielfältige Übergänge. Vor allem die dialogischen Kommunikationsformen ha- Markus Nickl 12 ben sich stark ausgeweitet. Mittlerweile haben wir uns an E-Mail und Chat als dialogische Medien bereits gewöhnt. Dass Dialogizität aber nicht auf gesprochene und geschriebene Sprache beschränkt sein muss, zeigen z. B. Videodiskussionen, wie sie z. B. bei Flickr über die Zensurversuche in Deutschland geführt wurden. Videodiskussionen bedeutet dabei nicht, dass eine Diskussion auf Video aufgezeichnet wird, sondern, dass (Kurz-)Videos als Beiträge eines Diskussionszusammenhangs ausgetauscht werden. Besonders im Web 2.0 wird die Aufweichung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie von Monolog und Dialog geradezu zum Programm. Podcasts fungieren dort wie klassische Zeitschriftenbeiträge, sind jedoch gesprochen-sprachlich realisiert. Interessant dabei ist, dass das Web 2.0 nicht auf neuen Technologien beruht, sondern auf im weitesten Sinne soziologischen Veränderungen. Bis zum Jahrtausendwechsel waren die meisten Informationsangebote autorenzentriert und monologisch. Sie stellten in dieser Beziehung keine wesentliche Veränderung zu herkömmlichen Publikationsformen wie Zeitschriften oder Fernsehbeiträgen dar. Seit einigen Jahren lässt sich hier nun eine Veränderung beobachten. Gespeist aus der Opensource- und anderen „Grassroots“-Bewegungen wurde die Informationserstellung zunehmend kooperativ: „The central principle behind the success of the giants born in the Web 1.0 era who have survived to lead the Web 2.0 era appears to be this, that they have embraced the power of the web to harness collective intelligence” (O’Reilly 2005). Blogs (Fraas/ Barczok 2006), eine verbreitete Textform des Web 2.0, sind zwar Texte, die zunächst nur vom Bloginhaber verfasst werden; sie ähneln dadurch klassischen Zeitschriftenartikeln. Ihre besondere Komponente erhalten sie jedoch durch die Diskussionsbeiträge der jeweiligen Leser und durch die Reaktionen anderer Leser auf diese Beiträge. Bereits oben wurde eine weitere Form der Multimodalität kurz angerissen: Die zunehmende Integration von Text, Sprache, Bild, Ton und Video. Auch hier handelt es sich um einen Trend der sich bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert beobachten lässt: Solch unterschiedliche Textsorten und mediale Formen, wie Film, Rundfunk, Fax, Comics oder Unternehmenspräsentationen unterliegen alle diesem Trend. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die klassischen, fast schon „intuitiven“ Kategorien, nach denen wir Texte einordnen, zunehmend durchlässiger geworden sind. Monolog und Dialog, Gespräch und Schrifttext, Sprache und Bilder - alles fließt ineinander, vermischt sich und ermöglicht so auch neue Ausdrucksformen. Doch ist bei all der Komplexität der Ausdrucksformen, die wir mittlerweile erreicht haben, nicht bereits ein Ende dieser Entwicklung absehbar? Zwei neuere Beispiele zeigen, dass wir mit einem Ende der Multimodalität vorerst wohl nicht zu rechnen brauchen. Mittlerweile sind Navigationssysteme in Neuwagen aber auch als sogenannte Stand-Alone-Geräte weit verbreitet. Bisher wurde in der Linguistik meines Wissens nicht thematisiert, Die Zukunft der Anleitungstexte 13 dass hier in wenigen Jahren eine komplexe Anleitungstextsorte entstanden ist, die zwar einige Ähnlichkeiten zu den bereits seit langem untersuchten Wegbeschreibungen (vgl. Wunderlich 1976) aufweist, jedoch auch eine Fülle von Besonderheiten bietet: Komplexe Verschränkung aus Schrifttext, Kartenmaterial, Bildzeichen, gesprochener Sprache und (zumindest in einigen Systemen) photographischen Darstellungen markanter Wegpunkte. Eine zweite neue Entwicklung stellt die Internetplattform Second Life dar. Hier können Mitglieder über eine virtuelle 3D-Umgebung miteinander kommunizieren, neue Gegenstände gestalten oder Informationen visualisieren. Interessanterweise werden auch Unternehmensinformationen über diese Plattform ausgetauscht. So werden mittlerweile z. B. Stellenausschreibungen und Produktpräsentationen schon häufig über Second Life abgewickelt. Auf medialer Ebene bedeutet dies nun eine Integration von 3D- Animation, Video, und geschriebenen Texten - mit der Option auf weitere mediale Kanäle. Was ist nun für die Zukunft zu erwarten, außer der Integration von immer mehr medialen Darstellungsmöglichkeiten und der immer häufigeren Nutzung von mehreren Wahrnehmungsmodi? Wir denken, dass ein wichtiger Schritt darin besteht, die Anleitungstexte medienunabhängig zu erstellen und die Wahl des jeweiligen Mediums den Rezipienten zu überlassen. Dadurch lassen sich zielgerichtet Informationsnischen erschließen, z. B. auch der Zugang behinderter Benutzer zu barrierefreien Informationsprodukten. Andererseits sinkt die Reichweite der einzelnen medialen Darstellungsformen, d. h. immer weniger Nutzer nehmen Informationen auf dieselbe Weise wahr. 5 Die virtuelle Textgestalt Mit der Multimodalität der Texte ist immer auch eine zweite Erscheinung verbunden. Texte werden zunehmend virtuell. Konkret bedeutet das, dass ein Text vom Autoren bzw. Herausgeber nicht mehr in seiner endgültigen Gestalt produziert wird. Stattdessen erstellt er nur einen potentiellen „Textraum“, aus dem die späteren Texte entstehen. Denn der Leser entscheidet erst während des Rezeptionsvorgangs, in welcher Form er den Text wahrnehmen wird. Das mag im ersten Moment ungewöhnlich erscheinen. Tatsächlich ist das aber schon weit verbreitet. So erlauben moderne Webseiten fast immer die Veränderung wichtiger Textmerkmale wie Schriftgrößen und Schriftbilder. Oft bieten auch die Betreiber der Websites aktiv mehrere Designs zur Auswahl an. Dies ist meist nicht nur reine Spielerei, sondern ein wesentliches Element der Barrierefreiheit von Websites: Durch unterschiedliche Designs lassen sich die Bedürfnisse verschiedener behinderter Zielgruppen genauer berücksichtigen. Markus Nickl 14 Websites sind virtuelle Texte nicht nur wegen der Einflussmöglichkeiten, die die Besucher auf die Gestaltung der Website haben, sie sind es auch deshalb, weil jeder Leser sich durch das Verfolgen von Links seinen eigenen Text synthetisiert. Wenngleich also oft nur eine Minderheit der Besucher die Möglichkeit nutzt, von den angebotenen Standarddesigns abzuweichen, ist doch jeder Hypertext als virtueller Text anzusehen. Dieses Prinzip treiben datenbankgenerierte Texte sogar noch weiter. Denn hier sind nicht nur die einzelnen Pfade zwischen den Webseiten virtualisiert. Sogar die einzelne Seite ist virtuell auf den jeweiligen Leser und seine konkreten Abfrageparameter zugeschnitten. Und das oft, ohne dass es dem Leser bewusst wird. Denn aus Sicht des Lesers unterscheidet sich eine datenbankgenerierte Seite nicht von einer „handgefertigten“ - also von einer von einem oder mehreren Autoren in dieser Form erstellten - Seite. So erlauben viele Nachrichtenportale heute, ein eigenes Profil zu hinterlegen und die angebotenen Informationen speziell auf sich selbst zuschneiden zu lassen. Anhand eines hinterlegten Cookies identifiziert die Webseite den Benutzer beim nächsten Besuch und bietet nur noch die Rubriken an, die den Benutzer interessieren. Für den Leser ist anhand der Gestaltung allein jedoch nicht mehr zu erkennen, dass er Informationsangebote ausgeblendet oder höhergewichtet hat. Ebenfalls unter dem Vorzeichen der Virtualität kann die in Web 2.0- Anwendungen verbreitete Erscheinung gesehen werden, dass Webseiten einer multiplen Autorenschaft unterliegen. Als prominentestes und wahrscheinlich erfolgreichstes Beispiel ist hier die Wikipedia zu nennen, jedoch gibt es auch viele andere, weniger prominente Beispiele. Im Unterschied zu traditionellen Texten mit Mehrfachautorenschaft - ein naheliegendes Beispiel sind hier wissenschaftliche Publikationen - ist die Zahl der potentiellen Autoren bei Web 2.0-Texten unbegrenzt. Im Normalfall kennen sich die Autoren nicht. Dementsprechend verabreden sie auch keinen gemeinsamen Textplan. Der Text entsteht vielmehr interaktiv im gemeinsamen Verfolgen eines nur grob spezifizierten Textziels. Mindestens ebenso stark wird der Text aber durch den Widerstreit der unterschiedlichen Weltsichten und der z. T. unterschiedlichen sprachlichen Fähigkeiten der Autoren geformt. Und im Gegensatz zu traditionellen Texten mit Mehrfachautorenschaft ist das Textprodukt zu einem gegebenen Zeitpunkt stets als vorläufig zu betrachten. Einen vorläufigen Endpunkt erreicht die Virtualität in diesem Zusammenhang, wenn Texte ohne das Mitwirken eines Autors erzeugt werden. Ein einfaches Beispiel sind Börsennachrichten, bei denen die Kurse verschiedener Börsenwerte für die Leser automatisiert zu einem Text zusammengefasst werden. Auch in anderen Zusammenhängen werden Messwerte, die in einem System automatisiert erstellt werden, zu Texten zusammen gefasst, z. B. bei Wetternachrichten oder Staumeldungen. Dies funktioniert bei stark standardisierten Texten bereits sehr gut. In Zukunft sollen Computersysteme jedoch fähig werden, auch komplexere Aufgaben zu bewältigen und z.B. Die Zukunft der Anleitungstexte 15 Benutzeranfragen per E-Mail mit individuell zugeschnittenen, automatisierten Nachrichten zu beantworten. 6 Charakteristika von Anleitungstexten - wohin geht die Reise? Was lässt sich nun aus diesen Beobachtungen lernen? Mit welchen Veränderungen können wir im Bereich der Anleitungstexte rechnen? Generell lässt sich wohl sagen, dass Anleitungstexte in Zukunft sehr viel flexibler werden. In vielen Fällen werden unterschiedliche Wahrnehmungsmodi gemischt werden, z. B. Textanleitungen, in denen Utility-Filme integriert sind und die dadurch Handlungsabläufe konkret veranschaulichen. Die entscheidende Rolle spielen dabei die bereits bestehenden Trends zu Multimodalität. Zwar mag man sich fragen, ob hier nicht bereits der Höhepunkt der Entwicklung überschritten ist. Angesichts der immer noch zunehmenden Elektronifizierung von Alltagsgegenständen ist das eher unwahrscheinlich. Hinzu kommt die steigende Vernetzung der Geräte untereinander. Ein aktuelles Beispiel mag das verdeutlichen: Handys synchronisieren sich heute mit GPS-Satelitten und werden so zu Navigationsgeräten; aus dem traditionellen Rundfunk rufen sie über TMC die aktuelle Verkehrslage ab und können so vor Staus warnen und Alternativrouten vorschlagen. Für viele Benutzer ist das mittlerweile Normalität geworden; notwendig ist dafür jedoch ein komplexes System, das vergleichsweise alte Informationskanäle wie den Rundfunk mit modernen Kanälen verbindet, und das sich materiell bis an die Grenze des Weltraums erstreckt. Texte werden unterschiedliche Wahrnehmungsmodi ansprechen, sie werden aber auch auf sehr viel mehr medialen Kanälen publiziert werden. So ist zu erwarten, dass die Konvergenz von Computertechnik und Unterhaltungselektronik, wie wir sie heute bei den sogenannten Smart Phones sehen, auch zu einer sehr viel weiteren Verbreitung von Anleitungstexten führen wird. So könnte man sich z. B. folgendes Szenario vorstellen: Geräte aktualisieren in Zukunft ihre Software automatisch über Internet- Downloads. Die Gebrauchsanleitung liegt dann nicht mehr dem Gerät bei, sondern sie wird automatisch mit übertragen und dann entweder textuell auf dem Handy oder als Sprachdatei auf einem Mp3-Player dargestellt. Gleichzeitig werden sich Instruktionen auch individueller an den Leser anpassen, sei es so, dass mehrere Varianten desselben Textes an den Leser ausgeliefert werden (z. B. Printvarianten und Hypertexte), oder sei es, dass die Leser ihre Variante selbst wählen (z. B. das Design an ihre Bedürfnisse anpassen), oder dass an verschiedene Zielgruppen individuelle angepasste Textvarianten versendet werden (z. B. unterschiedliche Varianten für Laien und Fachleute). Umgekehrt werden die Leser sehr viel stärker in den Erstellungsprozess von Anleitungstexten einbezogen. So existieren schon jetzt Online- Anleitungen, die eine Bewertungs- und Feedbackfunktion anbieten. In Zu- Markus Nickl 16 kunft lässt sich durchaus vorstellen, dass Anleitungen nur in der Ausgangsfassung vom Hersteller erstellt werden und die Benutzer der Produkte die Anleitungen mit Tipps und Tricks, Korrekturen usw. anreichern. Insgesamt werden also die Autoren einen Teil der „Herrschaft“ über den Text abgeben müssen. Unternehmen stellt dies vor die Herausforderung, dennoch rechtssichere Anleitungen zu liefern, Missverständnisse auszuschließen und insgesamt für eine hohe Textqualität zu sorgen. 7 Textprozesse: effizienter, standardisierter, mehr In den letzten Jahren haben wir eine erstaunliche Vervielfältigung der publizierten und unpublizierten Textmengen gesehen. Am deutlichsten wird dies im Internet, das sich innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten zu einer neuen Bibliothek von Alexandria gemausert hat. Doch auch an anderer Stelle ist ein enormer Text-Ausstoß zu beobachten. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Wodurch lässt er sich bewältigen? Und welche zukünftigen Entwicklungen sind zu erwarten? Ich denke, niemand wird überrascht sein, wenn ich hier feststelle, dass an der Wurzel dieser Entwicklung der Computer und die modernern Möglichkeiten der automatisierten Textanalyse, -bearbeitung, -verarbeitung und -erzeugung stehen. Weniger offensichtlich dürfte allerdings sein, dass sich die Entwicklungen in modernen Textproduktionsprozessen recht zwanglos mit einer anderen Entwicklung vergleichen lassen: Im 18. Jahrhundert kam es im Rahmen der industriellen Revolution zu einer gewaltigen Steigerung des Ausstoßes in der Warenproduktion. Wie allgemein bekannt ist, spielt dabei auf der materiellen Ebene die Dampfmaschine eine wesentliche Rolle. Erst durch dieses Werkzeug wurde eine entsprechende Verarbeitungskapazität geschaffen, da nun der Produktionsprozess unabhängig von menschlicher bzw. tierischer Kraft wurde. Wichtiger als dieses Werkzeug waren aber Veränderungen in den Arbeitsprozessen. Denn nur die effiziente Anwendung der neuen Kraftquelle konnte die industrielle Revolution in Gang setzen. Ähnliche Veränderungen zeigen sich nun auch bei der Erstellung von Texten in unserer postindustriellen Welt. Dabei zeigt sich eine Differenzierung der Erstellungsprozesse nach Textsorten, die in herkömmlicher - eher handwerklicher - Weise hergestellt werden, und Textsorten, die auf industrielle Weise gefertigt werden. Weiterhin nach handwerklichen Verfahren werden vor allem Texte erstellt, bei denen eine ästhetische oder emotionale Wirkung im Vordergrund steht. Es dürfte nicht verwundern, dass im Unternehmensumfeld gerade im Marketing besonders viele solcher Textsorten entstehen. Auf industrielle Weise gefertigt werden hingegen vor allem Texte aus dem Bereich der Instruktion und Hilfestellung. Hier kommt es meist auf Die Zukunft der Anleitungstexte 17 schnelle Reaktion an oder die Kommunikation beinhaltet große Textvolumina; ästhetische und emotionale Kriterien sind dem gegenüber nachgeordnet. Im Folgenden will ich nun die Faktoren vorstellen, die der industriellen Revolution zu ihrem Durchbruch verhalfen - und die sich jetzt auch im Bereich der Textproduktion zeigen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um vier Prozess-Dimensionen. Diese lassen sich zwar analytisch trennen, sind aber in der Realität wechselseitig stark voneinander abhängig. Im Einzelnen handelt es sich dabei um: Automatisierung Prozess-Orientierung Standardisierung und Modularisierung Forschungs-Orientierung. 8 Textprozesse: Automatisierung In der Wirtschaftwelt ist für uns die Automatisierung vollkommen selbstverständlich geworden. Zwar gibt es auch heute noch handwerklich gefertigte Waren, doch meist nur im oberen Qualitätssegment und zu hohen Preisen. Der Großteil der Produkte, welche die Verbraucher heutzutage konsumieren, ist hingegen in (teil-)automatisierten Prozessen gefertigt. Handarbeit ist hier letztlich nur noch in ausgesprochenen Billiglohnländern praktikabel. Zu Beginn der Industrialisierung gab es bei den Unternehmern ein ausgesprochen breites Bedürfnis an Automatisierung. Gleichzeitig stieß die Automatisierung bei den Arbeitern auf starke Ablehnung. Aus der Zeit der Frühindustrialisierung sind z. B. die Maschinenstürmer bekannt, die mit der Besetzung und Sabotage von Maschinen ein deutliches Zeichen gegen die Automatisierung setzten, sie letzten Endes aber nicht aufhalten konnten. Letzten Endes führte die Automatisierung in der industriellen Revolution zum massenhaften Ausstoß an Wirtschaftsgütern. Breite Teile der Bevölkerung konnten sich nun Waren leisten, die zuvor für sie unerschwinglich waren. Erreicht wurde das durch den gesteigerten Einsatz von Maschinen. Da die Maschinen Arbeitsabläufe von den Menschen unabhängig machen, wurde es außerdem nötig, stärker auf die Planung und Abfolge der Arbeitsabläufe zu achten. Wo zuvor Menschen im Einzelfall je nach Bedarf flexibel reagieren konnten, musste nun Rücksicht auf die immer gleichen Abfolgen von maschinellen Arbeitsschritten genommen werden. So gesehen rückt der Mensch gerade durch seine Flexibilität aus dem Zentrum der Arbeitsprozesse. Stattdessen wurden die Bedürfnisse der Maschinen in den Mittelpunkt gestellt, an die sich die Arbeiter anpassen mussten. Unbemerkt von der Allgemeinheit hat Automatisierung auch bei der Textproduktion seit langem Einzug in unseren Alltag gehalten. Dabei mag man sich heute kaum mehr vorstellen, welchen Aufwand allein der Versand Markus Nickl 18 einer größeren Menge Serienbriefe bedeutet hat. Heute erledigt das fast jedes beliebige Textverarbeitungsprogramm ohne größere Schwierigkeiten. Die Einladung zur großen Geburtstagsparty ist so innerhalb einer knappen Stunde erledigt. In der Wirtschaft wiederum haben eine ganze Reihe außersprachlicher Gründe den Bedarf an Textvarianten enorm erhöht. Durch die zunehmende Globalisierung der Unternehmenstätigkeiten muss heute ein Großteil der Kundentexte, aber auch Texte in der internen Kommunikation in mehreren Sprachvarianten vorhanden sein. Ein durchschnittliches Maschinenbau- Unternehmen bedient nach unserer Erfahrung heutzutage etwa sechs bis sieben Sprachen, bei größeren Unternehmen sind Dokumente in bis zu 30 Sprachen - viele davon aus dem außereuropäischen Sprachraum - nicht ungewöhnlich. Gleichzeitig hat sich die Anzahl der Produktvarianten, die ein Unternehmen produziert, stark erhöht. Da jede Produktvariante aber auch kommunikativ betreut werden muss, erhöht sich fast zwangsläufig der Bedarf an produktbegleitenden Texten wie z. B. Anleitungen, Stücklisten, Werbematerial, Vertriebsunterlagen oder Mängelprotokollen. Da sich die einzelnen Produktvarianten oft jedoch nur in Details voneinander unterscheiden, entsteht hier ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen den Texten. Zum erhöhten Textausstoß tragen auch werbliche Texte bei. Moderne Marketingmaßnahmen suchen eine möglichst individuelle Ansprache der Kunden. Dies sorgt wiederum für eine Fülle von Varianten, die zu bewältigen sind. Internationale Kampagnen tun hier ein Übriges. Auch die Multiplikation der Medien und Kommunikationskanäle sorgt darüber hinaus für eine enorme Vervielfältigung des Textausstoßes. Denn häufig werden dieselben Informationen für unterschiedliche Medien aufbereitet. Nun mag man sich fragen, ob denn diese unterschiedlichen Gründe wirklich für solch eine starke Erhöhung des Textausstoßes sorgen. Tatsächlich ist die Situation aber noch gravierender, als sie im ersten Moment erscheint. Denn die einzelnen Anlässe für Textvarianten addieren sich nicht nur in der Textmenge; sie erhöhen sich exponentiell, da sie miteinander gekoppelt sind. Die unten abgebildete Darstellung zeigt den Effekt, wie er für eine Informationseinheit bei lediglich 3 Faktoren auftritt - in der Realität sind vier oder mehr Faktoren jedoch nichts Ungewöhnliches. Die Zukunft der Anleitungstexte 19 Exponentielle Vermehrung von Informationseinheiten Die außerordentliche Vermehrung von Texten schreit nun geradezu nach automatisierter Bearbeitung. Denn jenseits einer gewissen Textmenge und Aktualisierungsfrequenz lassen sich solche Textmengen von Hand einfach nicht mehr bewältigen. Die Grundlage für die Automatisierung stellen dabei bestehende Textkorpora, die modular zusammengefügt werden und sich in verschiedensten Zusammenhängen wiederverwenden lassen. In diese Standardtextteile werden nun individualisierende Informationen eingefügt. Individualisierende Textteile können dabei spezielle, sozusagen „handgearbeitete“ Informationen sein, ebenso aber auch automatisch generierte Daten. Für diese Automatismen ist eine komplexe Produktionskette notwendig. Diese bilden Content-Management-Systeme (vgl. Nickl 1999) und Projektplanungssoftware ab. Dadurch können die manuellen Eingriffe auf ein Minimum beschränkt werden. Prominente Beispiele für Automatisierung in der Textbearbeitung sind Translation Memory Systeme (Reinke 2004). Tatsächlich ist dies ein halbautomatisiertes Verfahren. Denn im Gegensatz zum maschinellen Übersetzen wird dabei nur eine vorliegende Übersetzung eines menschlichen Übersetzers immer wieder genutzt. Dennoch lassen sich mit solchen Translation Memories bereits erhebliche Effizienzgewinne erzielen. 9 Textprozesse: Prozess-Orientierung Wie schon oben angesprochen rücken in der industriellen Revolution durch die Automatisierung die Arbeitsprozesse in den Mittelpunkt der Überle- Markus Nickl 20 gung. Wesentlich ist die Prozess-Orientierung auch für die Arbeitsteilung in einem Unternehmen. Ihren materiellen Niederschlag findet dies im Fließband, das ja geradezu eine Metapher für Prozess-Orientierung in der Industrialisierung darstellt. Im Laufe der Industrialisierung hat die Prozess-Orientierung zu ausgefeilten Mechanismen zur Kontrolle von Arbeitsabläufen geführt. Ganze Unternehmensabteilungen beschäftigen sich mit der Planung und Kontrolle der Produktionsprozesse. Die internationale Norm ISO 9001ff beschäftigt sich mit der Dokumentation und Standardisierung von Unternehmensprozessen. Sie beschreibt dabei eine ganze Reihe von verschiedenen Rollen und benennt typische Aufgaben und Berechtigungsstufen. Seit einigen Jahren etabliert sich sogar eine Tendenz, nicht nur die Produktion einer Ware als Prozess zu verstehen. Beim Life Cycle Management wird der gesamte „Lebenszyklus“ eines Produkts betrachtet: Von der Idee über Planung, Entwurf und Einsatz bis hin zur Entsorgung und ggf. Wiederverwertung. Auch bei der Texterstellung zeichnet sich mittlerweile eine starke Standardisierung von Prozessen ab: In einer typischen Internetredaktion lassen sich z. B. acht verschiedene Rollen unterscheiden. Mitunter teilen sich mehrere Personen dieselbe Rolle. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass eine Person mehrere Rollen innehat. Es ist deshalb bei Optimierungsmaßnahmen in Web-Publikationsprozessen darauf zu achten, Rollen und Personen deutlich voneinander zu trennen. Rollen in modernen CM-Umgebungen Ermöglicht werden Textprozesse erst durch gemeinsame Standards. Sie organisieren, wie unterschiedliche Autoren an einem Dokumentbestand arbeiten und setzen einen gemeinsamen Qualitätsstandard. In Redaktions- Die Zukunft der Anleitungstexte 21 umgebungen übernehmen Styleguides (Nickl 2007) diese Funktion. Sie erlauben es, einheitliche Qualitätskriterien bei Publikationen anzulegen, und ermöglichen der Freigabe-Instanz eine effiziente Qualitätssicherung. Seit einiger Zeit zeigen sich auch Tendenzen, sicherheitsrelevante Dokumente - z. B. Gebrauchsanleitungen - aus dem Blickwinkel des Life Cycle Management zu betrachten. Dabei wird geregelt, unter welchen Bedingungen Texte entstehen, wie sie verbreitet und aktualisiert werden, wie und wann sie für ungültig erklärt werden und in welcher Form sie archiviert werden. 10 Textprozesse: Standardisierung und Modularisierung Standards bildeten während der Industrialisierung eine wichtige Grundlage für die Erhöhung der Produktionszahlen. Denn nur standardisierte Bauteile lassen sich flexibel in unterschiedlichen Umgebungen einsetzen. Gleichzeitig erfordert der Einsatz von Maschinen schon eine Standardisierung der erzeugten Waren. Denn zumindest zu Beginn der Industrialisierung waren Maschinen so ausgelegt, dass sie oft nur ein Produkt herstellten. Und auch heute sind die Umrüstkosten von Maschinen meist sehr hoch, so dass sich die Herstellung kleiner Stückzahlen oft nicht lohnt. Im nächsten Schritt führte die Standardisierung von Produkten zur Standardisierung der Produktteile. Waren wurden dadurch zunehmend als Module gefertigt, die sich wieder in andere Produkte integrieren lassen. Eine einheitliche Qualität konnte durch verschriftlichte, nationale - später auch internationale - Standards erreicht werden; bekanntestes Beispiel sind in Deutschland die DIN-Normen. Durch Standardisierung und Modulfertigung konnte ein komplexes System aus wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen einzelnen Unternehmen entstehen. Dies führte zu komplexen Produktionsketten, in denen letzten Endes kein Hersteller mehr die Oberhoheit über sein Produkt hat. So wird z. B. gerne kolportiert, dass heute kein Autohersteller mehr in der Lage ist ein eigenes Auto zu bauen - zu diffizil und vielschichtig sind die Kenntnisse, die für die Entwicklung und Fertigung der einzelnen Komponenten notwendig sind. Standardisierung und Modularisierung machen jedoch nicht bei den Bauteilen halt. Arbeitsprozesse und einzelne Aufgaben werden ebenfalls modularisiert. Dadurch werden komplexe, arbeitsteilige Prozesse möglich, nicht nur innerhalb der Unternehmen, sondern auch über die Firmengrenzen hinweg. Standardisierung und Texten - widerspricht sich das nicht gegenseitig? Ist Texten nicht eine Aufgabe, die hauptsächlich Kreativität, den freien Flug des Geistes, erfordert? Die Realität sieht in vielen Unternehmen bereits anders aus, denn in vielen Fällen, z. B. bei der Erstellung von Anleitungen für Industrieanlagen, ist Kreativität und sprachliche Ästhetik bestenfalls von Markus Nickl 22 sekundärer Bedeutung. Sie können sogar kontraproduktiv werden, etwa wenn Autoren versuchen, sogenannte „Wiederholungsfehler“ zu vermeiden, und dadurch die Eindeutigkeit der Terminologie gefährden. Stattdessen versuchen moderne Redaktionen Texte in Module zu zerlegen, die möglichst oft wieder verwendbar sind. Aus zunächst textsorten- und medienneutralen Textteilen werden so modulweise neue Dokumente zusammengestellt und mit einem Layout versehen. So entsteht aus einem einzigen Datenbestand eine potentiell unbegrenzte Anzahl von Texten. Modularisierung in Content-Management Systemen Dies senkt nicht nur die Kosten bei der Erstellung neuer Dokumente, in denen bereits vorhandene Textmodule integriert werden können. Es erleichtert auch Anpassungen über verschiedene Dokumente hinweg, da die Textmodule selbständige Einheiten bleiben und in den Texten nur referenziert werden. Änderungen müssen deshalb nur am Originalmodul vorgenommen werden; in den daraus erstellten Dokumenten werden sie automatisch angezeigt. Gleichzeitig spart eine modulweise Fertigung Übersetzungskosten. Denn nur die jeweils neuen Textanteile müssen übersetzt werden; bereits übersetzte Teile sind hingegen schon im Translation Memory enthalten. 11 Textprozesse: Forschungs-Orientierung Ein letztes Kennzeichen der Industrialisierung ist die starke Einbindung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in Wirtschaftsprozesse. Vor der Industriellen Revolution fanden wissenschaftliche Ergebnisse meist nur punktuell Eingang in die Wirtschaftswelt; meist durch das Engagement einflussreicher Förderer aus dem Adel. Verbreiteter war das traditionelle Die Zukunft der Anleitungstexte 23 handwerkliche Fertigen nach den einschlägigen Regeln der Zunft, meist mit allenfalls behutsamen Fortentwicklungen. Mit dem Beginn der Industrialisierung ist der Aufstieg der Naturwissenschaften eng verknüpft. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse bildeten die Grundlage für viele Basistechnologien der Industrialisierung. Gleichzeitig wurde durch den Bedarf an diesen Erkenntnissen das Interesse an der Erforschung der materiellen Welt gestärkt. So entstand ein sich gegenseitig verstärkendes System das letzten Endes in der Abspaltung der Technikwissenschaften aus den naturwissenschaftlichen Forschungsfeldern mündete. Gleichzeitig nimmt auch die Forschungstätigkeit innerhalb der Firmen zu. Es entstehen Forschungsabteilungen, die eigenständige Beiträge zur inhaltlichen Weiterentwicklung der technischen Themenfelder leisten. Verstärkt wird dieser Trend noch durch den Aufbau des Patentwesens im 19. Jahrhundert. Durch Patente gewährt die Gesellschaft dem Erfinder ein zeitlich begrenztes Alleinverwertungsrecht (Nickl 2006: 43). Es sorgt dadurch für eine Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschritts, da handfeste wirtschaftliche Vorteile mit Patentierungen erreicht werden können. Zusätzliche Dynamik entsteht durch die zeitliche Befristung der Patente, die verhindert, dass durch initiale Forschungserfolge eines Unternehmens wirtschaftliche Bereiche auf Dauer für andere Unternehmen blockiert bleiben. Spätestens hier endet wohl die Analogie zur Entwicklung im Bereich berufliches Schreiben - möchte man meinen. Ich denke allerdings, dass die Situation in Wahrheit ein wenig besser ist, als man aufgrund der vielfältige Klagen in der Linguistik meinen könnte. Zunächst einmal sollte man sich vor Augen führen, dass in den letzten fünfzehn Jahren diverse neue Berufsbilder entstanden sind, die originär linguistische Anteile enthalten: Dies trifft auf mittlerweile etablierte Berufe wie Online-Autoren und Technische Redakteure ebenso zu wie auf weniger bekannte Berufsbilder wie Information Broker und Wissensmanager. Auch traditionelle linguistische Berufszweige wie etwa Übersetzer erfahren eine vermehrte Nachfrage und stoßen in der Wirtschaft auf neues Interesse als Lieferanten von Textprozessen. Letztere werden zunehmend als ein Baustein gesehen, um Produktionsprozesse effizienter zu gestalten. Mit der Professionalisierung linguistischer Themenfelder einher geht auch ein verstärktes Interesse an angewandter Forschung in diesen Bereichen. Am deutlichsten wird dieses Interesse im Bereich der Technischen Redaktion, wo in den vergangenen Jahren diverse Studiengänge an Fachhochschulen und Universitäten eingerichtet wurden. Aber auch in den traditionellen linguistischen Studiengängen lässt sich ein zunehmendes Interesse an betrieblichen Fragestellungen beobachten. So werden etwa betriebliche Besprechungen untersucht und damit die Arbeitswelt näher erkundet. Umgekehrt werden neue linguistische Fragestellungen aber auch anhand von Materialien aus der Unternehmenswelt entwickelt, z. B. untersucht Bendel die Frage der Individualität in der Sprache Markus Nickl 24 anhand von Gesprächstranskripten aus dem Callcenter einer Bank (Bendel 2007). Unternehmen wiederum zeigen in den letzten Jahren verstärkt Interesse an und Wertschätzung für die Linguistik. So wird in der Technischen Kommunikation mittlerweile häufiger mit dem Qualitätsprädikat „Linguistik“ geworben. Doch auch außerhalb der Technischen Dokumentation stoßen linguistische Erkenntnisse auf vermehrtes Interesse. Sogar ein - zugegebenermaßen noch sehr kleiner - Markt für linguistische Beratungsangebote und entsprechende Dienstleister hat sich in den letzten Jahren etabliert. Darüber hinaus beschäftigt sich die Wirtschaft ganz allgemein vermehrt mit Fragestellungen, bei denen sich die Linguistik gut einbringen könnte. So ist in den Unternehmen das Wissensmanagement in den letzten Jahren zunehmend wichtiger geworden. Dass Wissen auch mit Sprache zu tun hat, ist auf den ersten Blick ersichtlich. Dennoch halten sich Linguisten bis auf punktuelle Ausnahmen (z. B. Antos/ Weber 2005) in diesem Themengebiet noch weitgehend zurück, im Gegensatz zu den Psychologen und Soziologen, die neben den Informatikern die Diskussion weitgehend dominieren. 12 Textprozesse: Blick in die Kristallkugel Wie in den vorhergehenden Kapiteln deutlich wurde, ähneln die Prozesse, die bei der Industrialisierung zu einer Erhöhung des Warenausstoßes geführt haben, den heutigen Entwicklungen, die sich in Unternehmen bei der Publikation von Texten zeigen. Es dürfte deshalb nicht zu gewagt sein, diese Parallelen auf zukünftige Entwicklungen anzuwenden, sie quasi als Kristallkugel zu verwenden und mit ihrer Hilfe einen Blick in die Zukunft zu werfen. Doch welche Entwicklungen sind nun plausibel? Zunächst einmal dürfte es in den nächsten Jahren zu einem deutlichen Verlust an gering qualifizierten Textarbeiten kommen. Einfaches Lektorat und die Erstellung von reinen Dokumentationsvarianten werden zunehmend verschwinden. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass eine neue Form des Proletariats entsteht - auch wenn die in der Presse gerne aufgegriffenen Fälle des Prekariats in diese Richtung zu deuten scheinen. Denn alles in allem scheint der Bedarf an sprachlich-redaktionellen Dienstleistungen schneller zu steigen, als die Effizienzgewinne durch eine Industrialisierung des Schreibens. Vielmehr dürfte das Verschwinden einfacher redaktioneller Tätigkeiten dazu führen, dass die Tätigkeitsprofile komplexer werden. Konzeptionelle Fähigkeiten, Projektmanagementerfahrungen sowie ein Verständnis von Software und einfache Programmierkenntnisse dürften auch bei Redakteuren immer öfter gefordert sein. Insgesamt dürften die geschilderten Entwicklungen zu einem massiv vergrößerten Ausstoß an Texten führen. Dabei werden die klassischen Druckwerke zwar immer noch einige Wichtigkeit behalten. In Zukunft wer- Die Zukunft der Anleitungstexte 25 den aber die sogenannten neuen Medien noch weiter an Relevanz gewinnen. Und es werden weitere neue Medienformen entstehen, die Sprache und andere Ausdrucksformen mischen. Gleichzeitig werden die publizierten Texte aber immer ähnlicher. Dieselben Nachrichten werden für unterschiedlichste Medien aufbereitet: Anleitungen im Druck und auf dem Bildschirm, auf dem Handy und per Kopfhörer - mediale Wiederverwertung wird ebenso zum Standard, wie die inhaltliche Wiederverwertung dies in weiten Teilen der Technischen Dokumentation bereits ist. Nicht nur von den Inhalten werden sich Anleitungstexte in der Zukunft ähneln. Dasselbe gilt auch für die Textbaupläne. Schon jetzt werden Textstrukturen durch XML standardisiert, z. B. durch die Docbook-Dtd (Effner 2007). Es steht zu erwarten, dass sich dieses Phänomen mit zunehmender Automatisierung noch weiter verbreiten wird. Erfreulich für Linguisten dürfte jedoch das zunehmende Interesse der Wirtschaft an sprachlichen Analysemethoden und Erkenntnissen sein. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass dieses Interesse auch auf die Linguistik zielt. Genügend andere Wissenschaften machen sich auf, diesen Bedarf mit ihren - teils linguistisch naiven - Methoden zu befriedigen. Es ist hier die Aufgabe der Wissenschaft, diese Gelegenheit zu mehr Einfluss und gesellschaftlichem Engagement zu nutzen. Sie wird nicht auf Dauer bestehen bleiben. 13 Fazit Wie soll man nun die geschilderten Entwicklungen einschätzen, wie sie bewerten? Entsteht hier eine Welt, bei der Schreiben eine mechanische, niedere Tätigkeit ist, bei der sämtliche literarische Kreativität verloren gegangen ist? Für die Antwort auf diese Frage ist es zunächst wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass von den genannten Entwicklungen nur ein begrenzter Ausschnitt der Textproduktion betroffen ist, ja sogar für das berufliche Schreiben nur in Teilen diese Entwicklung zutrifft. Denn in vielen Bereichen - genannt seien hier nur z. B. Marketing, interne Kommunikation und Kundenberatung - werden weiterhin individuelle, quasi handwerklich orientierte Schreibprozesse die Regel sein. Es steht nicht zu erwarten, dass sich hier industrielle Strukturen durchsetzen. Ähnlich wie in der Produktion von Waren wird es auch hier zu einem ausdifferenzierten System kommen, bei dem industrielle und handwerkliche Produktionsweisen nebeneinander bestehen und jeweils unterschiedliche Bedarfe decken. In den Bereichen, bei denen das Schreiben industrialisiert wird, wird es dagegen durchaus einen Verlust der Kreativität beim Schreiben geben. Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass die Betroffenen ihre Arbeit als weniger erfüllend empfinden. In vielen Fällen sind für diese standar- Markus Nickl 26 disierbaren Tätigkeiten Mitarbeiter eingesetzt, die aus vergleichsweise schreibfernen Ausbildungsgängen kommen (z. B. Ingenieure, Informatiker, Verwaltungsfachleute). In der Beratungspraxis unseres Unternehmens hat sich nun oft gezeigt: Diese empfinden die Kreativitätsanforderungen bei Schreibprozessen nicht als positive Herausforderung, sondern als einschüchternde, verunsichernde Aufgabe, der sie sich nicht gewachsen glauben. Diese Autoren sehnen sich oft geradezu nach verbindlichen Regeln, Standards und Formulierungshilfen. So wurde mir z. B. in einem Beratungsprojekt berichtet, dass ein Mitarbeiter bei unserem Kunden grundsätzlich nur Standardbriefe verschickt. Ist für eine ungewöhnlichere Situation kein Standardbrief vorhanden, versendet er einen Standardbrief, in dem er um einen telefonischen Rückruf bittet. Solche Mitarbeiter empfinden industrialisierte Schreibprozesse geradezu als Befreiung. Als Schreibprofis ist uns natürlich bewusst, dass dies nicht eine Lösung des Problems ist. Wünschenswert wäre, wenn solche Mitarbeiter auch in ihrer Schreibkompetenz besser qualifiziert würden, statt nur die Prozesse zu ändern. Dies lässt sich in der Praxis jedoch nur selten durchführen. Zum einen ist der Nutzen einer solchen Maßnahme für Unternehmen nicht ohne weiteres ersichtlich. Zum anderen steht dem aber oft auch das Selbstbild der Mitarbeiter entgegen, die sich mit ihren mangelnden Schreibkenntnissen abgefunden haben und resigniert haben: „Ich kann halt nicht schreiben, dafür fehlt mir die Begabung.“ Nun mag sich der eine oder andere fragen, ob die Industrialisierung des Schreibens nicht zu einer Verflachung der Texte führt, zu standardisierten Schriftstücken, die die Leser nur langweilen? Im Großen und Ganzen scheint sich jedoch ein Qualitätsgewinn abzuzeichnen. Zwar werden durch die Industrialisierung des Schreibens die leuchtenden Beispiele, die Glanzstücke der beruflichen Textproduktion, wohl verschwinden. Doch wenn man ehrlich ist, sind solche Perlen des beruflichen Schreibens auch bisher eher rar gesät. Gleichermaßen verschwinden werden aber auch die vielen hingepfuschten, inkompetent verfassten Dokumente, mit denen man sich heute oft abplagen muss. Denn es ist sehr viel einfacher, einen zentralen, überschaubaren Dokumentenstandard in einer ordentlichen Qualität vorzuhalten, als die Einhaltung der Qualitätsstandards bei sämtlichen Dokumenten der Mitarbeiter eines Unternehmens zu gewährleisten. Tendenziell werden wir also bei industrialisierten Schreibprozessen zu einer mittleren Qualität gelangen. Die seltenen Ausreißer nach oben werden genauso wenig vorkommen wie die bisher häufigen Ausreißer nach unten, die vergleichsweise mehr Schaden anrichten können. Zweifellos wird es durch die Industrialisierung des Schreibens zu einer deutlichen Vervielfältigung von Informationen und Informationskanälen kommen. Schon jetzt beklagen viele die Überfrachtung des Alltags mit einem Heer an Informationen, das um unsere Aufmerksamkeit buhlt. Abhilfe schaffen hier zum Teil verbesserte Techniken für die Suche, Verschlagwortung, Verbreitung und Archivierung von Informationen. Die Zukunft der Anleitungstexte 27 Letzten Endes hilft hier aber nur eine Änderung unseres Kommunikationsverhaltens. Wir müssen lernen konsequent relevante Informationen auszuwählen und eine Kultur des Informationsverzichts aufbauen. So experimentieren einige Unternehmen seit kurzem mit E-Mail-freien Arbeitstagen. Erste Erfahrungen zeigen, dass durch den zeitweisen Verzicht auf das beliebte Medium die Produktivität der Mitarbeiter steigt. Ähnliche Erfahrungen machen Unternehmer auch bei dem zeitweisen Verzicht auf Handys. Gerade die permanente Erreichbarkeit senkt die Produktivität der Mitarbeiter. Kommunikative Auszeiten führen zu verbesserten Arbeitsergebnissen - eine Erkenntnis, die nicht neu ist, die es aber wiederzuentdecken gilt. Schöne neue Welt, also? Alles nur halb so schlimm? Im Überblick gesehen scheint es tatsächlich so, dass sich positive und negative Entwicklungen die Waage halten, vielleicht sogar die positiven ein wenig überwiegen. Individuell gesehen wird es aber dennoch zu schwierigen Einzelschicksalen kommen, wird Leuten die Grundlage ihrer bisherigen Existenz entzogen. Wie auch in der industriellen Revolution werden vor allem gering qualifizierte Tätigkeiten auf der Strecke bleiben. Um so wichtiger ist es deshalb, die Entwicklungen im Bereich der instruktiven Texte zu erkennen, einzuordnen und in ihren Folgen abzuschätzen. Denn nur dann lassen sich frühzeitig Gegenmaßnahmen entwickeln und eigene Akzente setzen. Hingegen wäre es ein Kampf gegen Windmühlenflügel, zu versuchen, die Veränderungen hin zu einem industrialisierten Schreiben ganz aufzuhalten. Zu eindeutig fügen sich diese Veränderungen in übergreifende gesamtgesellschaftliche Trends ein. 14 Literaturverzeichnis Antos, Gerd/ Weber, Tilo, Transferqualität. Bedingungen und Voraussetzungen für Effektivität, Effizienz, Erfolg des Wissenstransfers, Frankfurt a. Main u. a. 2005. Bendel, Sylvia, Sprachliche Individualität in der Institution. Telefongespräche in der Bank und ihre individuelle Gestaltung, Tübingen, Basel 2001. Effner, Oliver, Automatisierte Dokumentation mit DocBook. Dokumentation und Realisierung, Saarbrücken 2007. Fraas, Claudia/ Barczok, Achim unter Mitarbeit von di Gaetano, Nina, Intermedialität - Transmedialität. Weblogs im öffentlichen Diskurs, in: Germanistische Linguistik, 186-187/ 2006, 132-160. Little, Arthur D., Innovation als Führungsaufgabe, Frankfurt a. Main, New York 1988. Nickl, Markus, Erstellen komplexer elektronischer Dokumente mit Schema- Text, in Eva-Maria Jakobs, Dagmar Knorr, Karl-Heinz Pogner, Textproduktion. Hypertext, Text, Kontext, Frankfurt a. Main u. a. 1999, 201-210. Markus Nickl 28 Nickl, Markus, Linguistische Gutachten für Patente, in: Hermes. 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Sverrisdóttir Wenn es „keine“ Gebrauchsanleitung gibt… Kulturelle Faktoren der Textproduktion und -rezeption im Isländischen 1 Einleitung Wer bei der Handhabung von Gebrauchsanweisungen und anderen instruktiven Texten davon ausgeht, dass die Benutzer die schriftlichen Informationen, die mit den Produkten geliefert werden, gründlich konsultieren, sollte den Blick auf die Lage in Island richten. Die isländische Sprachgemeinde ist eine sehr kleine Sprachgemeinde, die großen Wert auf ihre Sprache legt. Aufgrund dieser Behauptung könnte man annehmen, dass der instruktive Text und seine Übersetzung in Island eine wichtige Rolle spielen. Da dies jedoch keineswegs der Fall ist, werden in diesem Beitrag Erklärungen dafür gesucht. Die Einstellung zu und die Rezeption der Textsorte Gebrauchsanleitung kann u. a. mithilfe kultureller Faktoren erläutert werden. Um den Umgang der Isländer mit instruktiven Texten nachvollziehen zu können, sind einige Hintergrundinformationen zur isländischen Sprachpolitik sowie zu kulturhistorischen Begebenheiten einer Fischernation notwendig. Aus diesem Grunde werden zuerst ausgesuchte kulturhistorische Fakten dargelegt. Im darauffolgenden Abschnitt über die isländische Sprachpolitik wird der Stellenwert der Landessprache aufgezeigt. Anhand von Beispielen und einer kleinen Umfrage wird die Lage veranschaulicht. Ein kurzer Abschnitt zeigt schließlich, wie eine Firma die isländische Sprachpolitik und den instruktiven Text werbestrategisch einsetzt. Die Darstellung dieser Aspekte bildet die Vorssetzung für ein Nachvollziehen dafür, dass die Informationen, die durch den instruktiven Text vermittelt werden, zwar bislang nicht in schriftlicher Form in Island weitergegeben werden, jedoch auf eine andere Art und Weise weitervermittelt werden. Es mag paradox erscheinen, dass eine Nation, die sich sehr stark durch ihre Sprache definiert, dem instruktiven Text kaum Beachtung schenkt und sich damit nicht auseinandergesetzt hat. Ziel des Beitrags ist zu zeigen, wie sich die Isländer Informationen, die in der Regel durch instruktive Texte vermittelt werden, beschaffen können. Oddný Sverrisdóttir 30 2 Sprachpolitische Aspekte in einer überschaubaren Gesellschaft 2.1 Kultureller Hintergrund Island wurde im 9. Jahrhundert von Norwegen aus besiedelt. Die wichtigste Voraussetzung für die Besiedlung des Landes waren die seemännischen Leistungen der Wikinger und die Tatsache, dass die Landnehmer die Seeroute von Norwegen nach Island beherrscht haben und in der Lage waren, den Ozean regelmäßig zu überqueren. Die Wikingerfahrten führten zunächst nach Süden und Osten. In diesen Fällen handelte es sich ausschließlich um Binnen- und Küstenschifffahrt. Die Fahrten über den Nordatlantik dagegen waren Hochseefahrten, die eine sichere Navigation, geeignete Schiffe und Wagemut verlangten (vgl. Sverrisdóttir 1987: 232). Die Schiffe der Wikinger waren gut dazu geeignet, den Wellen des Ozeans standzuhalten. Sie waren sowohl zum Segeln als auch zum Rudern eingerichtet. Die Wikinger selbst haben anscheinend keine Navigationsinstrumente entwickelt. Auf ihren Fahrten werden sie sich an verschiedenen Naturphänomenen orientiert haben, z. B. an Landvögeln, an der Farbe des Meeres, an Walen in bestimmten Breiten und an astronomischen Erscheinungen. Darüber hinaus haben sie die damals bekannten Navigationsinstrumente verwendet (vgl. Schnall 1975: 48f). Wie sich die frühen Siedler Islands in Island und in den Fischgründen um Island orientiert haben, zeigt ebenfalls das isländische Wort mið n. ‘Fischgrund, Zeichen’ geht auf miðr ‘mittlerer’ und miða v. ‘zielen’ zurück (Jóhannesson 1956: 663). Das Lexem mið verrät viel über die Methode der Seeleute, die Fischgründe wiederzufinden. Die Stelle, an der der Fisch erfahrungsgemäß zu finden war, wurde durch Bezug auf Berggipfel, Inseln, Schären oder Ähnliches markiert. In einer der isländischen Sagas heißt es z. B. „ok setjast þar sem fjallasýn landsins merkir eptr gömlum vana, at fiskrinn hafi stöðu tekit; þessháttar sjóreita kalla þeir mið” ‘und bleiben dort, wo die Bergsicht nach alter Tradition den Ort bezeichnet, wo der Fisch zu finden ist; diese abgegrenzten Meeresgebiete heißen mið (Fischgrund)’ (Biskupa Sögur 1858-78: 179). Dieser Text der Bischofssaga aus dem 12. Jahrhundert zeigt deutlich, wie naturverbunden die Siedler waren und wie sie sich in der Natur zurechtfanden. Mündlich wurde berichtet, wo die Fischgründe lagen, nicht schriftlich festgelegt oder aufgezeichnet. Einiges spricht dafür, dass ein solches Verhalten die Isländer geprägt und sich durch die Jahrhunderte in der isländischen Bauern- und Fischergesellschaft nicht nur gefestigt hat, sondern auch auf verschiedene soziale Bereiche übertragen wurde. Die Isländer haben mündlich Informationen weitergegeben, die in anderen Ländern schriftlich fixiert waren. Dies war wahrscheinlich aufgrund der Überschaubarkeit der Gesellschaft möglich. Kulturelle Faktoren der Textproduktion und -rezeption im Isländischen 31 Ein Beispiel für das Überschaubarsein der isländischen Gesellschaft bietet der Fahrplan der öffentlichen Verkehrsmittel. Im September 2007 wurden die Haltestellen in der Hauptstadt Reykjavik zum ersten Mal mit Namen versehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat man gewusst, wo man einbzw. aussteigen soll. Angaben wie „Du steigst aus an der Haltestelle gegenüber der Bústaðarkirkja [Name einer Kirche in Reykjavík]” oder „Du steigst zwei Haltestellen nach Hlemmur [Ort] aus” sind üblich. Das dies möglich ist, geht u. a. auf die Tatsache zurück, dass die isländische Sprachgemeinde nur etwas mehr als dreihunderttausend Einwohner hat. Man ging davon aus, dass sich jeder auskennt, sich durchfragt und sich so orientieren kann. Man hat nicht als notwendig erachtet, Orte wie Haltestellen mit Markierungen oder Instruktionen anderer Art zu versehen. Ausländische Gäste haben selbstverständlich daher oft große Schwierigkeiten, sich in der Stadt und auch auf dem Land zurechtzufinden. Mit zunehmendem Tourismus und wachsender Imigration ändert sich das allmählich. Dieses Verhalten spiegelt sich aus meiner Sicht beim Umgang mit instruktiven Texten wider. Die Verbraucher informieren sich über informelle Wege, mündlich im Bekannten- und Familienkreis, statt auf Anleitungen, die meist in einer Fremdsprache vorliegen, zurückzugreifen. 2.2 Isländische Sprachpolitik Die Sprache, die man anfangs in Island gesprochen hat, war eine Art Norwegisch. Im 13. Jahrhundert haben sich dann Isländisch und Norwegisch beträchtlich voneinander unterschieden (Jónsson 1999: 9). Im Jahre 1380 geriet Island unter dänische Macht, eine Tatsache, die kaum Spuren in der isländischen Sprache hinterlassen hat. Das Isländische veränderte sich nur wenig, was ohne Zweifel u. a. auf die Isolation im Nordatlantik zurückgeführt werden kann. Eine große Rolle für das Isländische spielt auch die mittelalterliche Literatur, die ihre Blütezeit von 1100 bis etwa 1400 hatte. In dieser Zeit entstanden Werke (Sagas, Edda usw.), die heute noch mühelos gelesen werden können. So geringfügig hat sich die isländische Sprache geändert. Die isländische Sprache wurde durch die Jahrhunderte bewahrt. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Sprachpflege, die Förderung und Bewahrung der isländischen Sprache ein wichtiges Thema. Die Isländer hatten das Ziel, ihre Sprache zu bewahren. Zu diesem Zweck wurden Initiativen ergriffen und Terminologiekommissionen gebildet, die von Vereinen, Organisationen und auch Einzelpersonen ausgingen und ehrenamtlich gearbeitet haben (vgl. Jónsson 1999: 22). Im Jahre 1919 hat der Verband der Ingenieure beispielsweise eine Terminologiekommission gegründet. Es war den Ingenieuren bewusst geworden, dass sie nach dem Studium im Ausland - zu dieser Zeit meist Dänemark oder Deutschland - nicht in der Lage waren, sich in ihrem Fach auf Isländisch auszudrücken. In den Terminologiekommissionen wurden Neuwortschöpfungen gebildet. Diese Oddný Sverrisdóttir 32 Arbeit wurde in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen durchgeführt. So entstanden Wortsammlungen in verschiedenen Teilbereichen unterschiedlicher Disziplinen. Eine Neologismenkommission (Nýyrðanefnd) war Vorgänger der Isländischen Sprachkommission (Íslensk málnefnd). Beide waren staatlich. Im Jahre 1979 kam die Arbeit der Sprachkommission richtig in Gang und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Terminologiekommissionen wuchs. 1985 wurde das Isländische Sprachbüro (Íslensk málnefnd) gegründet (Jónsson 1999: 22). Die Isländer bemühen sich, kaum Fremdwörter im Isländischen zu haben und die Lehnwörter dem isländischen Sprachsystem anzupassen, oder wie Jónsson sich dazu äußert: „Wir Isländer haben jedoch eine 1100jährige Sprachtradition zu verteidigen. Eines ihrer Hauptmerkmale ist die geringe Zahl an Fremdwörtern, insbesondere an sogenannten aus griechisch-lateinischen Stämmen gebildeten Internationalismen. Wenn wir einen unveränderten Kurs halten wollen, dann müssen wir darauf achten, dass der Anteil an Fremdwörtern nicht weit über das traditionelle Maß hinausgeht. Ebenso müssen wir darauf achten, dass unsere Lehnwörter so gut wie irgend möglich dem isländischen Sprachsystem angepaßt werden.” (Jónsson 1999: 35) Internationalismen sind im Isländischen kaum vorhanden. Telefon heißt ‚sími’, (ein altes Wort für Draht), Jet ist ‚þota’, und Helikopter ist ‚þyrla’. Computer ist im Isländischen ‚tölva’, eine Zusammensetzung aus Zahl ‚tala’ und Wahrsagerin ‚völva’, Atom heißt ‚frumeind’ um nur einige Beispiele zu nennen. 1989 wurde Málræktarsjóður, ein Fonds zur Förderung der Sprachkultur, gegründet. Mit Ausschüttungen aus dem Fonds sollte die isländische Sprachkultur gefördert werden. Zum 50jährigen Jubiläum der isländischen Republik 1994 wurde ein besonderer staatlicher Fonds Lýðveldissjóður (Fonds der Republik) eingerichtet, der zwei Förderungsschwerpunkte hatte, und zwar isländische Sprache und Meeresbiologie. Im selben Jahr begann ebenfalls die Zusammenarbeit der isländischen Molkereigenossenschaft und der Sprachkommission, die unter anderem darin bestand, eine Werbekampagne mit Hinweisen zum isländischen Sprachgebrauch auf den Milchpackungen durchzuführen 1 . Im Jahre 1996 beschloss die isländische Regierung der isländischen Sprache einen Tag zu widmen. Die Wahl fiel auf den 16. November, den Geburtstag des isländischen Dichters Jónas Hallgrímsson (1807- 1845). An diesem Tag werden jährlich Aktivitäten zur Förderung der isländischen Sprache veranstaltet. Die oben erwähnten Aktionen unterstreichen, dass die isländische Sprache und ihre Bewahrung einen großen Stellenwert haben. Umso erstaunlicher ist es, dass der Textsorte Gebrauchsanleitung kaum Beachtung geschenkt wird. Die Gründe dafür können nicht im fehlenden Sprachbewusstsein zu suchen sein. Die Erklärung dafür könnte darin liegen, dass der instuktive Text nicht als Textsorte wahrgenommen wurde und aus dem Grunde wurde kein Wert auf dessen Übersetzung ins Isländische gelegt. 1 Vgl. die Homepage von Mjólkursamsala Íslands www.ms.is. Kulturelle Faktoren der Textproduktion und -rezeption im Isländischen 33 Durch mündliche Kommunikation wurde die Funktion des instruktiven Textes erfüllt. 2.3 Stein des Anstoßes Gebrauchsanweisungen sind bislang nicht ins Isländische übersetzt worden. Diese Tatsache ist vor allem vor dem Hintergrund der isländischen Sprachpolitik erstaunlich. Es wäre im Sinne der isländischen Sprachpolitik, alle Anleitungen und Gebrauchsanweisungen auch in der Landessprache vorzufinden. In dieser Richtung gibt es jedoch kaum Bemühungen. Die Gebrauchsanleitungen haben bei den zuständigen Gremien noch keine Aufmerksamkeit gefunden. Es gibt widerum Beispiele, dafür, dass die Verbraucher den Stellenwert von instruktiven Texten hochschätzen und Gebrauchsanleitungen in der Landessprache verlangen. Am Silvesterabend in der Zeit vom 23: 30 bis 00: 15 gibt es in Island ein großartiges Feuerwerk. In Reykjavík und den umliegenden Gemeinden leuchtet der Himmel in allen möglichen Farben und der Lärm ist ohrenbetäubend. Dieses Feuerwerk ist nicht von der Stadt oder einer Firma organisiert, es wird von der Bevölkerung veranstaltet. Der Verkauf der Feuerwerkskörper stellt eine wichtige Einnahmequelle für die ehrenamtlich arbeitenden Rettungsmannschaften in Island dar. Dieses spektakuläre Farbenspiel am Himmel hat dazu geführt, dass zunehmend ausländische Reisegruppen Reykjavík über Neujahr besuchen. Die Textsorte Gebrauchsanweisung fällt einem zwar nicht als Erstes ein, wenn von Silvester und Neujahrsfeiern die Rede ist. Es gibt jedoch einen Zusammenhang. Das Abbrennen der Silvesterraketen hat einige schwere Verbrennungen verursacht, die auf falsche Handhabung der Feuerwerkskörper zurückzuführen waren. Vor einem Jahrzehnt entflammte in den ersten Tagen des neuen Jahres eine Diskussion über die Gefahren. Es wurde mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass es keine Gebrauchsanleitungen auf den aus China importierten Feuerwerkskörpern gab. Die Diskussion war wirklich fruchtbar: Seit einigen Jahren sind die Feuerwerkskörper mit Aufklebern mit isländischer Anleitung versehen. Darüber hinaus gibt es in den Tagen vor Silvester eine Werbekampagne, die auf sichere und sachgemäße Handhabung der Feuerwerkskörper aufmerksam macht. Die Isländer sind sich der Gefährdung bewusster geworden. Sie stellten fest, wie wichtig es ist, Gebrauchsanweisungen vorzufinden und sie zu beachten. Es ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich zu untersuchen, welche Funktion Beipackzettel bei Medikamenten haben. Bis vor einigen Jahren wurden die Beipackzettel nämlich entfernt. Die Begründung der Mediziner und der Apotheker lautete, es sei gefährlich, einen Beipackzettel mit einem Medikament zu liefern, der nicht in der Landesprache abgefasst ist. Der Patient bekam das Medikament mit einem Aufkleber, auf dem auf Isländisch stand, wie es einzunehmen sei. Die EU-Bestimmungen sehen Oddný Sverrisdóttir 34 allerdings vor, dass Medikamente samt Beipackzetteln ausgehändigt werden. Aus diesem Grunde werden die Beipackzettel jetzt mit einer isländischen Übersetzung oder wenigstens mit kurzer Inhaltsangabe mitgeliefert. Da die Preise der Medikamente in Island wesentlich höher sind als in den anderen nordischen Ländern, hat der isländische Gesundheitsminister im Januar 2007 mitgeteilt, dass er eine Ausnahmeregelung für Island bei den zuständigen EU-Behörden beantragen werde. Den Isländern soll genehmigt werden, Medikamente ohne isländische Übersetzung des Beipackzettels zu verkaufen. Aus meiner Sicht wäre es hingegen geradezu ein Rückschritt, wenn der Zugang der Patienten zu muttersprachlichen Informationen über die Medikamente auf diese Art und Weise verringert würde. Der Zugang zu solchen gesundheitsrelevanten Informationen sollte unbedingt gewährleistet sein. Die Reaktion des Ministers zeigt aber deutlich, dass dem instruktiven Text in diesem Zusammenhang noch keine ausreichende Bedeutung beigemessen wird. 3 Verbraucher ohne Gebrauchsanleitungen Die isländischen Verbraucher sind daran gewöhnt, dass die Gebrauchsanweisungen nicht in ihrer Muttersprache vorliegen. Sie haben bei dem Kauf eines neuen Haushaltsgerätes nicht die Wahl zwischen isländischen und ausländischen Geräten, denn es werden keine isländischen Elektrogeräte hergestellt. Das Fehlen einer isländischen Übersetzung der instruktiven Texte sollte auf sehr gute Fremdsprachenkenntnisse der Isländer hindeuten. Die Hersteller gehen wohl davon aus, dass sich die Verbraucher über die sachgemäße Handhabung eines neu erstandenen Gerätes informieren. Dies ist nicht nur wichtig für die richtige Benutzung eines Gerätes, sondern auch für die Garantie und die Sicherheitsvorschriften. In den sechziger und siebziger Jahren wurden in Island z. B. Waschmaschinen mit deutschem Bedienfeld und Gebrauchsanweisungen auf Deutsch verkauft. Der Grund lag nicht in den überzeugenden Deutschkenntnissen der Isländer, sondern erklärt sich durch die entsprechenden Steckdosen. Waschmaschinen mit englischem Bedienfeld sind für die isländischen Steckdosen nicht geeignet. Eine kleine Befragung unter einigen isländischen Verbrauchern beim Kauf eines Waschautomaten stellt die Lage in Island dar. Folgende vier Fragen, die den Informationsstand der Verbraucher demonstrieren sowie ihr Verhalten bei Störungen darlegen sollen, wurden an eine kleine Gruppe von Verbrauchern gerichtet. 1. Wie informierten Sie sich über die Waschmaschine vor dem Kauf des neuen Gerätes? 2. Fragten Sie im Handel danach, ob eine Gebrauchsanleitung auf Isländisch mitgeliefert wird? 3. Wie lernten Sie, mit dem neuen Gerät umzugehen? Kulturelle Faktoren der Textproduktion und -rezeption im Isländischen 35 4. Wie reagieren Sie, wenn Störungen auftreten? Bei der ersten Frage gaben alle Befragten zur Antwort, dass sie sich gar nicht über das Gerät informieren, wohl aber in den meisten Fällen eine genaue Vorstellung davon hatten, welche Marke sie kaufen wollten. Die Entscheidung haben sie u. a. nach Beratung im Familien- und Freundeskreis getroffen. Einige wollten auch einfach ein neueres Modell der gleichen Marke, die sie bereits zu Hause hatten. Bei der zweiten Frage verriet ein Drittel der Befragten, dass sie eine bestimmte Marke gekauft haben, weil die Fabrikate mit einem Bedienfeld und einer Gebrauchsanweisung auf Isländisch ausgestattet sind. Einige gaben kund, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen waren, dass Anleitungen in isländischer Übersetzung vorhanden sein könnten. Eine der Befragten hat jedoch danach gefragt, wohlwissend, dass die Antwort „Nein“ lauten würde, während eine weitere Befragte mit: „Gebrauchsanleitung auf Isländisch. Das wäre aber schön! ” geantwortet hat. Die meisten Firmen liefern den Waschautomaten ins Haus und mit einem geringen Aufpreis wird die Maschine von einer Fachkraft aufgestellt und montiert. Davon haben alle Befragten Gebrauch gemacht. Die Fachkraft hätte des Weiteren die richtige Handhabung demonstriert. Das wäre sehr hilfreich und notwenig. Die meisten haben sich danach vorangetastet, im Freundeskreise gefragt und sich so zurechtgefunden. Auf die vierte Frage, wie sie bei Störungen reagieren, gab etwa ein Drittel an, dass sie sich mit anderen beraten und erst danach versuchen, die Gebrauchsanleitung zu konsultieren. Zwei Drittel gaben an, beim Kundendienst angerufen und eine Fachkraft ins Haus bestellt zu haben. Eine Befragte gab an, die Hilfe ihrer Schwiegertochter in Anspruch genommen zu haben. Nach den Gesprächen mit den Verbrauchern habe ich mich beim Kundendienst zweier Haushaltsgeschäfte darüber informiert, mit welchen Fragen und Anliegen die Kunden bei ihnen Rat suchen. Dazu gibt es keine statischen Angaben, beide Stellen gaben aber an, dass sie viele Anfragen bekommen, die darauf zurückzuführen sind, dass sich die Kunden mit dem Gerät nicht richtig auskennen. Einige Störungen könnten vermieden werden, wenn die Geräte richtig gereinigt und gepflegt würden. Die meisten Kunden würden z. B. die Laugenfilter und die Laugenpumpe nie reinigen, da sie nicht wissen, dass es notwendig ist und sie es nicht in der Gebrauchsanleitung lesen bzw. lesen können. Die Servicestellen wollten keine Anzahl von Störungsfällen nennen, die direkt darauf zurückzuführen sind. Sie gaben aber an, dass es sich nicht um einzelne, sondern mehrere Fälle handele. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es gerade bei dem Kauf von größeren Haushaltsgeräten von Nachteil ist, wenn die Verbraucher nicht auf Instruktionen in ihrer Muttersprache zurückgreifen können. In diesem Zusammenhang sollte der Einsatz der Firma Bræðurnir Ormsson hf, die Elektrogeräte importiert und verkauft, erwähnt werden. Oddný Sverrisdóttir 36 Diese Firma bietet als einzige isländische Firma Waschmaschinen und Trockner mit isländischem Bedienfeld und ins Isländische übersetzte Gebrauchsanleitung an. Vor dem Hintergrund, dass die Gebrauchsanweisungen bislang nicht ins Isländische übersetzt wurden, ist es interessant zu erfahren, was zu dieser Änderung geführt hat. Ein Abteilungsleiter stellte in einem Interview dar, wie es dazu kam (Ólafur Már Sigurðsson 12. September 2007). Die Firma Bræðurnir Ormsson ist seit Jahrzehnten Alleinimporteur für deutsche Waschmaschinen der Marke AEG. Mit der Eröffnung des Elektrogroßmarkts Elko im Jahre 1998 änderte sich das. Elko hat diverse Elektrogeräte verkauft, u. a. einige AEG-Geräte. Bei der Firma Bræðurnir Ormsson hf machte man sich Gedanken über die beste Reaktion auf die neue Konkurrenz. Die Firmenpolitik legt besonderes Augenmerk auf eine sehr gute Kundenbetreuung. Man kam auf die Idee, Gebrauchsanweisung und Bedienfeld übersetzen zu lassen. Dies wurde mit dem Stammhaus abgesprochen und durchgeführt. Die neue Waschmaschine wurde am oben erwähnten Tag der isländischen Sprache, Dagur íslenskrar tungu, d. h. am 16. November 1999, mit einem Inserat in der größten isländischen Zeitung bekannt gegeben. In der Werbung wird auf die Sprachpolitik der Isländer Bezug genommen. Der Begriff málhreinsun wird dort verwendet. ‚Hreinsun’ bedeutet Reinhaltung und ‚málhreinsun’ Reinhaltung der Sprache. Es wird einerseits Bezug auf die Sprachpolitik und andererseits auf den Waschvorgang des Waschautomaten genommen. Seitdem wirbt die Firma immer am 16. November. Sie haben an das Sprachbewusstsein der Isländer appelliert und sich mit der Werbekampagne auch einen größeren Marktanteil gesichert. Der Verkaufserfolg hat die Erwartung der Firma übertroffen. Es hat sich herausgestellt, dass die Isländer es schätzen, wenn der Waschautomat mit einem isländischen Bedienfeld ausgestattet ist und die Gebrauchsanleitungen auf Isländisch mitgeliefert werden. Eine Nebenerscheinung ist laut Sigurðsson die Tatsache, dass die Anrufe beim Kundendienst der Firma rapide abgenommen haben. Die Kunden hatten vorher aus unterschiedlichen Gründen angerufen. Oft musste eine Reparatur vorgenommen werden, wo ein Blick in die Gebrauchsanweisung genügt hätte. Jetzt lesen die Kunden die übersetzte Gebrauchsanweisung und senken dadurch ihre Reparaturkosten. Sigurðsson teilte des Weiteren mit, dass das Unternehmen AEG vorhabe, in der Zukunft für den Auslandsmarkt die verschieden Sprachen im Bedienfeld verschwinden zu lassen. Es solle nur noch ein englisches Bedienfeld oder ein Bedienfeld mit Symbolen geben. Weitere Sprachen werden im Bedienfeld nicht zugelassen. Die Firma Bræðurnir Ormsson hf. hat im Jahre 2005 eine „isländische” Waschmaschine und einen „isländischen“ Trockner in ihrer Werbung als „eftirsóttasta par landsins“ d. h. „das begehrteste Paar des Landes“ vorgestellt. Beide Geräte sind von der Marke AEG. Das Isländische an dem AEG Waschautomaten und dem AEG-Trockner war, dass sie mit einem Bedien- Kulturelle Faktoren der Textproduktion und -rezeption im Isländischen 37 feld auf Isländisch ausgestattet waren und eine isländische Übersetzung der Gebrauchsanleitung mitgeliefert wurde. Festzuhalten ist, dass zunehmende Konkurrenz die Firma Bræðurnir Ormsson hf dazu bewogen hat, die Geräte mit übersetzten Gebrauchsanweisungen und Bedienfeld auf Isländisch zu versehen. Mit Bezug auf die isländische Sprachpolitik und werbestrategisch geschickt, nämlich für die Präsentation den Tag der isländischen Sprache zu wählen, haben sie an das Nationalitätsgefühl der Isländer appelliert. 4 Ausblick Der isländische Verbraucher kennt es nicht, sich in seiner Muttersprache über richtige Handhabung von Elektrogeräten oder anderen Geräten zu informieren. Wer Information braucht, schlägt deshalb informellere Wege ein und holt sehr oft über die mündliche Kommunikation die notwendigen Instruktionen ein. Diese Tatsache unterstreicht die Bedeutung der mündlichen Kommunikation in der isländischen Gesellschaft. Sie zeigt des Weiteren die Verhaltensweisen der Isländer, sich seit Jahrhunderten ohne schriftliche Anleitung in ihrer Umgebung zurechtzufinden. Es ist jedoch anzunehmen, dass der instruktive Text auch in Island an Stellung gewinnen wird. Die Handhabung von komplexeren technischen Geräten setzt in der Zukunft voraus, dass sich der isländische Verbraucher durch Gebrauchsanleitungen gründlich informiert bzw. informieren kann. 5 Quellen Biskupa Sögur, Kopenhagen 1958-1975. Jóhannesson, Alexander, Etymologisches Wörterbuch, Bern 1956. Jónsson, Baldur, Sprachpolitik auf Island, Greifswald 1999. Schnall, Uwe, Navigation der Wikinger. Nautische Probleme der Wikingerzeit im Spiegel der schriftlichen Quellen, Oldenburg/ Hamburg 1975. Sverrisdóttir, Oddný G., Land in Sicht. Eine kontrastive Untersuchung deutscher und isländischen Redensarten aus der Seemannssprache, Frankfurt am Main 1987. Peter Kastberg Zur Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts und erste Erfahrungen Abstract This article presents a real-life ontogenesis of a written instructional text. The article begins with a brief introduction to the research field dealing with the analysis of instructional texts. Based on a critique of the current research interests within said field - especially focussing on the lack of authenticity of the models developed so far - an approach is called for that takes into account the real-life practice of technical writers. Turning to ‘grounded theory’ and the interpretive paradigm, an ethnographically oriented approach to the analysis of real-life text production is proposed. Since no commonly accepted method for an approach of this kind exists, an analytical macro design is developed. The integrative innovative design - encompassing e.g. analysis on the levels of work practice, observations and textual analysis - was aimed at addressing the issue of authenticity and at reaching a “thick description” of the actions of professional writers. The design was subsequently tested during a field study in a Danish translation and technical writing agency, where it was employed to document, analyze and evaluate the ontogenesis of an instructional text. The article ends by pointing to the explanatory potential of an approach to professional text production that takes into account an ethnographically oriented and multi-facetted approach. 1 Einführung Im deutschsprachigen Raum sind instruktive Texte seit geraumer Zeit linguistisch untersucht worden (als Einstieg vgl. z. B. das Sammelwerk von Ehlich/ Noack/ Scheiter von 1994). Dieses linguistische Interesse wurde dann Mitte/ Ende der neunziger Jahre um eine textlinguistische Komponente erweitert (vgl. dazu z. B. Göpferich 1995 und Nickl 2001). Mit dieser textlinguistischen Perspektive einhergehend entstand auch das Interesse, instruktive Texte aus einer Technical-Writing-Perspektive zu untersuchen (vgl. z. B. Göpferich 1998). Und es sieht in der Tat so aus, als wäre eben diese Perspektive besonders attraktiv, wenn es um die Analyse instruktiver Texte geht, denn es lassen sich zwei darauf aufbauende Forschungsrichtungen nachwei- Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 39 sen, die sich im deutschsprachigen Raum als sehr fruchtbar erwiesen haben. Einerseits die fachlich orientierte Schreibprozessforschung (vgl. z. B. Göpferich 2002), und andererseits das „Schreiben am Arbeitsplatz“ (Jakobs 2005 und 2007) bzw. „fremdsprachliches Schreiben am Arbeitsplatz“ (Pogner 1997 und 1999). Durch diese ideengeschichtliche Optik gesehen, lässt sich nicht leugnen, dass sich eine wissenschaftliche Bewegung vollzogen hat, die sich von Text über Textsorte Richtung Kontext bewegt. Ist der instruktive Text also als Forschungsgegenstand kein unbeschriebenes Blatt, so gilt dies keineswegs im selben Maße für die Bedingungen seiner Entstehung; besonders was die Entstehung in seinem „natürlichen“ Kontext anbelangt, d. h. in authentischen beruflichen oder professionellen Settings (vgl. dazu auch Jakobs 2005: 15). Diese Tatsache dient deshalb als Ausgangspunkt für die einleitende kritische Stellungnahme zur Aussagekraft tradierter Schreibforschungsansätze. 1.1 Kritik der Aussagekraft vorherrschender Modellbildungen Innerhalb der Schreibprozessforschung sind zwar theoretische Vertextungsmodelle (oft ihren nordamerikanischen Vorbildern Flower und/ oder Hayes folgend 1 ) entwickelt worden, die weit verbreitete Akzeptanz und Anwendung gefunden haben. Gesagt werden muss aber gleichzeitig, dass als deren Bezugsrahmen typischerweise entweder das so genannte „composition“ oder „creative writing“ gilt - eben nicht „technical writing“ bzw. fachliches Schreiben. Wobei, und das sei betont, sowohl „composition“ als auch „creative writing“ in diesem nordamerikanischen Sinne als eine besondere schulische Varietät von Essayistik aufgefasst werden kann. Gegen Modelle, die sich auf Schularbeiten beziehen, ist im Prinzip natürlich nichts einzuwenden. Die Einwände beziehen sich vor allem auf die Generalisierbarkeit solcher Modelle. Wenn wir uns also wissenschaftlichen Arbeiten zuwenden, die Vertextungsprozeduren abstrahieren, beschreiben und evaluieren, dann müssen wir auch mit in Betracht ziehen, wo, wieso und wie sie entwickelt worden sind, und von wem. Einer solch grundlegenden Kritik folgend sind hier ein paar Beobachtungen am Platz: Erstens ist die Textverfassungssituation solcher Studien, d. h. der institutionelle Rahmen einer Schule, schon vorgegeben, und damit einbegriffen die Rollenfestlegung „Lehrer“ und „Lerner“ - sowie deren institutionell vorgegebene Machtverteilung. Zweitens ist die Funktion eines solchen Schreibens vordergründig die, den Lehr- und Lernverpflichtungen der Schule bzw. des dafür zuständigen Kultusministeriums zu genügen 2 - nicht etwa den Ver- 1 Zum derzeit neusten Stand des Hayesschen Modells vgl. Hayes (2004). 2 Auf eine tiefergehende Auseinandersetzung mit eben dieser Thematik wird hier verzichtet, da es an dieser Stelle nicht zweckmässig ist. Es sei aber - gewissermaßen als Begründung für meine Aussage - auf Luhmann (1987) verwiesen und seine Überlegungen Peter Kastberg 40 pflichtungen des „wirklichen Lebens“ (was die nun auch seien mögen 3 ). Drittens sind die Informanten bzw. Probanden „Lerner“, nur im besten Falle angehende Textverfasser. Viertens - und das gilt in dieser Argumentation gewissermaßen als Dreh- und Angelpunkt - lässt sich sowohl Schreibauftrag wie Schreibprodukt mit dem Prädikat nicht-authentisch versehen. Der fast präwissenschaftliche, dafür aber berechtigte Einwand lautet nun, dass der Geltungsbereich und die Aussagekraft der aus solchen Studien hervorgegangenen Modelle limitiert ist, und zwar prinzipiell auf die Situation bzw. den Situationstyp ihrer Entstehung. Es stellt sich nun also die Frage, wie man zu Einsichten gelangt, deren Generalisierbarkeit nicht durch die „schulische“ Komponente limitiert ist? Der Lösungsvorschlag, die Entstehung authentischer Fachtexte zu beobachten, bietet sich geradezu an. Eine Idee, die, obwohl sie gewiss keine neue ist, nur wenig Anschluss gefunden hat: ”[…] eher selten sind Erhebungen am Arbeitsplatz, die mit Methoden arbeiten wie teilnehmende Beobachtung, Analyse des organisationalen Kontexts, Dokument-, Skript- und Revisionsanalyse, Netzwerkanalyse, Aufzeichnung von Schreibprozessen, Logbuch, Aufzeichnung textproduktionsbegleitender Interaktionen etc.“ (Jakobs 2005: 15) Dem Zitat ist unschwer zu entnehmen, wieso es an authentischen Studien zum Schreibprozess derzeit fehlt. Die Komplexität - methodisch, theoretisch wie auch praktisch - ist geradezu atemberaubend. Wenn es sich also nicht um eine „Tabula rasa“ handelt - die Idee ist da, entsprechende Methoden stehen im Prinzip zur Verfügung etc. -, so doch um eine „Terra incognita“ - nur ganz wenige haben sich getraut, die Entstehung authentischer Fachtexte tatsächlich zu erforschen 4 . dazu, dass der intrinsische Trieb eines jeden Systems, so auch einer Schule, der des Selbsterhaltens ist. 3 Ich übersehe hier nicht, dass eine Fülle von moderneren Pädagogiken - vor allem seit den siebziger Jahren des letzen Jahrhunderts - bemüht sind, auf verschiedene Art und Weise das altbewährte Credo „non scholae, sed vitae“ einzuführen bzw. „leben“. 4 Hier kann nun wieder auf die Studie von Pogner (op.cit.) zurückgegriffen werden, denn obwohl Pogner sich mit der Entstehung von Fachtexten befasst, so unterscheiden sich sein Zugang und seine Forschungsinteressen an manchen Stellen von diesem: Pogner arbeitet mit L2-Fachtextproduktion, nicht mit L1-Fachtextproduktion; Pogner untersucht vordergründig die Textsorte „Energiekonzept“, nicht die Instruktion; Pogner befasst sich mit Fachleuten, d. h. Ingenieuren, die (nebenbei) schreiben, nicht mit „career writers“, wie es für diese Studie der Fall ist; Pogners wissenschaftstheoretischer Ausgangspunkt ist der des sozialen Interaktionismus (social interactionism) (Pogner 1997: 119), nicht der der Ethnographie (vgl. Abschnitt 3). Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 41 2 Forschungslücke Es zeichnet sich demnach eine Forschungslücke ab, wo es um unser Wissen darüber geht, was professionelle Fachtextverfasser oder Technical Writers eigentlich tun, wenn sie instruktive Fachtexte am Arbeitsplatz verfassen. Forschungsmäßig lässt sich diese Lücke in drei methodische Grundsatzfragen umsetzen, und zwar geht es darum, die tatsächlichen Bedingungen der Entstehung instruktiver Texte „in der Wirklichkeit“ zu dokumentieren, zu analysieren und zu interpretieren 5 . Im Idealfall erlauben diese drei Dimensionen in ihrer Synthese eine so genannte ‚thick description’ (Geertz 1993: 6pp) oder ‚dichte Beschreibung’. D. h. eine Beschreibung, die sich nicht nur mit dem eher quantitativen „was passiert“ befasst (denn das wäre eine sogenannte ‚dünne Beschreibung’), sondern sich gezielt mit dem qualitativen „warum passiert es“ sowie mit den interpersonellen und kontextuellen Bedingungen dieses qualitativen „warum“ kritisch auseinandersetzt 6 . Laut Geertz (1973) ist eine dichte Beschreibung eine Beschreibung menschlichen Verhaltens - in diesem konkreten Zusammenhang also ausgewählte Aspekte der Arbeitspraxis -, bei der der soziale Kontext und die Diskurse, in die das Verhalten eingebettet ist, als deren Erklärungsrahmen herangezogen werden. Dies bildet gewissermaßen den Gegensatz zur dünnen Beschreibung, bei der das Verhalten (bloß) registriert wird. Unschwer zu erkennen ist der Sprung vom quantitaitven ‚was’ auf das qualitative ‚wieso’ bzw. von der Registrierung der Texte und der Textfolge auf eine Erklärung der sich hinter der Bühne abspielenden Entscheidungsprozesse der Autoren. Den Brückenschlag von der Dokumentation über die Analyse bis hin zur Interpretation und Evaluierung zu wagen, muss demnach das Ziel einer jeden Studie sein, die sich mit obiger Forschungslücke beschäftigt 7 . Die tragende Idee hinter der Studie, deren methodische Vorüberlegungen (in diesem Aufsatz) im Folgenden vorgestellt werden sollen, lässt sich auf die fast formelhafte Äußerung des namhaften Kulturforschers und Anthropologen Clifford Geertz zurückführen: ”Anthropologists don’t study villages they study in villages.” (Geertz 1993: 22) 5 Und (damit einbegriffen) zu evaluieren. Auf eine pädagogisierende Rückkopplung von der Evaluierung und zurück in die Praxis sehe ich in diesem Aufsatz jedoch ab. 6 Für eine aktuelle Kritik der Geertzschen ‚thick description’ vgl. Hammersley 2008. 7 So auch z. B. Jakobs (2005: 15), Nickl (2005: 55) und Schmidt (2005: 73), wenn auch aus anderen Perspektiven gesehen. Peter Kastberg 42 Daraus können nun zwei Konsequenzen gezogen werden: Wenn es erstens die Intention ist, herauszufinden, wie instruktive Texte entstehen, dann sollen nicht vordergründig die Texte untersucht werden (dass sei pauschal der Linguistik und der Textsortenlinguistik überlassen), sondern deren Kontext. Zweitens kann dieser Kontext kein „schulischer“ sein, sondern er muss authentisch sein, d. h. als Kontext gilt der Arbeitsplatz. 2.1 Forschungsintention und Forschungsfragen Von besonderem Interesse ist an dieser Stelle also die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Kontext und Text - gesehen nicht am statischen Endprodukt „Bedienungsanleitung“, sondern am dynamischen Erstellungsprozess. Somit kann das Forschungsvorhaben nun folgendermaßen beschrieben werden: Es soll ein erster theoretischer Beitrag für ein zukünftiges Modell einer in der Arbeitspraxis begründeten Schreibontogenese entwickelt und zur Diskussion gestellt werden. Dem ‚grounded theory approach’ folgend entsteht diese Modellierung aus der Wechselwirkung zwischen einer exemplarischen Analyse der Ontogense einer dänischen Bedienungsanleitung sowie deren authentischer Entstehungssituation und den Einflüssen des in Anspruch genommenen methodischen und theoretischen Gedankengutes. Die von diesem Vorhaben abgeleiteten und für diesen Aufsatz behandelten Fragen sind: - „Was passiert? ” Im Sinne von: Dokumentieren, welche Arbeitsprozesse und welche Texte/ Textversionen zu verzeichnen sind. - „Was passiert wann? ” Im Sinne von: Analysieren, wie die Textfolge in den Arbeitsprozess integriert ist. - „Wieso passiert was wann? ” Im Sinne von: Interpretieren, wie das Zusammenspiel von Text und Kontext verläuft, um dadurch zu einer tiefergreifenden Einsicht zu gelangen, was die Bedingungen der ontogenetischen Entscheidungsprozesse einer Instruktion anbelangt. Ehe zum ethnographischen Fundament der Studie (Abschnitte 3, 4 und 5) und zur eigentlichen Studie (Abschnitte 6 und 7) weitergeleitet wird, sollen an dieser Stelle noch ein paar metatheoretische Vorüberlegungen eingefügt werden, und zwar Überlegungen, die aus dem kritischen Lesen der einschlägigen (vordergründig) deutschsprachigen Literatur hervorgegangen sind. Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 43 2.1.1 Metatheoretische Vorüberlegungen Im Zuge ihrer konsequenten Hinwendung zur Arbeitspraxis bei der Analyse von Textproduktion bemängelt Jakobs besonders die z. T. nicht existierende Modellbildung: ”Ein Defizit betrifft die Modellbildung und die Wahl von Untersuchungsmethoden. Benötigt werden u. a. Modelle, die organisationale und kommunikative Aspekte des Schreibens am Arbeitsplatz systematisch aufeinander beziehen. Es gibt nur wenige Untersuchungen, die die Genese von Textproduktionsprozessen anhand empirisch (am Arbeitsplatz) erhobener Daten untersuchen.“ (Jakobs 2005: 34) Dem stimme ich völlig zu. Hinzugefügt werden muss jedoch, dass die fehlende Modellbildung und der ebenso fehlende Konsensus über die einzusetzenden Untersuchungsmethoden 8 nur einen Teil des Problemkomplexes ausmachen. Es lässt sich nämlich aus der Lektüre der Untersuchungen in deutscher Sprache relativ einfach feststellen, dass die fehlenden modellmethodischen Einsichten nur die Spitze (bzw. die Mitte) des Eisberges ausmachen. Das wissenschaftliche Defizit lässt sich als das Nicht-Vorhandensein schlechthin einer einheitlichen Disziplinbzw. Wissenstaxonomie festlegen, und zwar als: 1. fehlendes Wissen darüber, was in der Praxis tatsächlich passiert, 2. fehlendes Wissen darüber, wie man das tatsächlich Passierte analysiert, 3. fehlendes Wissen darüber, wie man die Analyseergebnisse interpretiert und evaluiert, 4. fehlendes Wissen darüber, wie man die interpretierten und evaluierten Ergebnisse wieder in die Praxis zurückführt - z. B. als wissenschaftlich begründete Optimierungsvorschläge 9 . Eine Synthetisierung dieser Taxa würde m. E. das Fundament der Disziplin ausmachen, aus der das Phänomen „Schreiben am Arbeitsplatz“ exhaustiv behandelt werden könnte 10 . Es sei hier bemerkt, dass innerhalb der Rahmen dieses Aufsatzes nur auf die ersten drei Punkte eingegangen wird, zumal es 8 Zu bemerken ist, dass die Problematik, die Jakobs (2005) durch obiges Zitat in den deutschsprachigen Raum einführt, schon seit fast drei Jahrzehnten in Nordamerika lebhaft diskutiert wird, vgl. z. B. Latour/ Woolgar (1986[1979]). 9 Wobei übrigens ersichtlich wird, dass diese Taxonomie überdies einen (Lern-)Zyklus aufweist. 10 Dabei übersehe ich keineswegs die prinzipiell problematische Transdisziplinarität der Taxonomie; ich verweise an dieser Stelle auf Kastberg (2007), wo das hinter obiger Taxonomie stehende Prinzip als „3rd Order Discipline” behandelt worden ist. Peter Kastberg 44 um die Entstehung einer Bedienungsanleitung und eben nicht deren Optimierung bzw. „Umsetzung“ geht. 3 Zur Erarbeitung eines ethnographisch fundierten Methodengerüsts Wie lässt sich nun die Entstehung eines authentischen instruktiven Textes verfolgen? Die Hauptinspiration entstammt an dieser Stelle dem Gedankengut der Anthropologen bzw. Ethnographen. Besonders einflussreich sind in diesem Zusammenhang die sogenannten „Laboratory Studies“ gewesen, eine ethnographische Richtung, die seit Mitte des letzten Jahrhunderts ihren Blick auf eben die Lebensbedingungen in abendländischen Organisationen und Unternehmen gerichtet hat 11 : „Since the turn of the [last] century, scores of men and women have penetrated deep forests, lived in hostile climates, and weathered hostility, boredom, and disease in order to gather the remnants of socalled primitive societies. By contrast to the frequency of these anthropological excursions, relatively few attempts have been made to penetrate the intimacy of life among tribes which are much nearer at hand.“ (Latour/ Woolgar 1986[1979]: 17) Als Forschungsschwerpunkt dieser „Laboratory Studies“ gilt die Arbeitspraxis: „An important point about the ethnographic study of work practice is that it must be done in the situation in which the work normally occurs, that is, work must be seen as situated practice, in which the context is part of the activity.“ (Orr 1996: 10) Gerade weil es hier darum geht, die tatsächlichen Bedingungen der Arbeitspraxis „Entstehung einer dänischen Bedienungsanleitung“ zu dokumentieren, analysieren und interpretieren (vgl. oben), bietet es sich geradezu an, den Ausgangspunkt in genau diesem Theorie- und Methodenkomplex zu nehmen. Abgesehen davon gilt als vielversprechend ebenso die Integrationsfreudigkeit des Theorie- und Methodenkomplexes selbst, die es dem Forscher erlaubt, einen ethnographischen Rahmen um eine Vielzahl anderer Ansätze zu ergänzen 12 . Dabei sei bemerkt, dass die Linguistik bzw. Text(sorten)linguistik natürlich nicht verlassen wird, sondern sie wird in das Methodengerüst integriert. Die Integration erfolgt, um dem Forschungsvor- 11 Eine wissenschaftshistorische Studie der Disziplin ist Ellen (1984) zu entnehmen. 12 Typischerweise Diskursanalyse und politologische oder soziologische Analysen, zunehmend aber auch (profanere) Disziplinen wie z. B. Marketinganalysen. Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 45 haben Genüge zu tun. Dies hat wiederum weitreichende Konsequenzen für das Design der Analyse. Denn im Zuge einer Hinwendung zur Ethnographie (in die Textlinguistik integriert worden ist und nicht etwa umgekehrt) vollzieht sich auch eine explizite Hinwendung zum interpretativen Paradigma (vgl. dazu Yanow/ Schwartz-Shea 2006), wobei diese Studie sich innerhalb dieses Paradigmas der ‚grounded theory’ zuwendet (vgl. dazu vor allem Strauss/ Corbet 1998). Das bedeutet für diese Studie vor allem, dass die Analyse und - konsequenterweise - das sich aus der Analyse ergebende Datenmaterial von drei qualitativen bzw. interpretativen Aspekten geprägt sind und sein müssen: „explorativity”, d. h. erforschend und open-ended im wahrsten Sinne des Wortes: “Typically in a grounded theory approach, you start with an area of interest and go straight into collecting the data. You then analyze and reflect on them, while exploring the literature at the same time.” (Daymon/ Holloway 2004: 118) ”richness”, d. h., dass qualitative Interpretation nicht nur erlaubt, sondern gefragt ist: “Theory building seems to require rich description, the richness that comes from anecdote. We uncover all kinds of relationships in our “hard” data, but it is only through the use of this “soft” data that we are able to “explain” them, and explanation is, of course, the purpose of research. I believe that the researcher who never goes near the water, who collects quantitative data from a distance without anecdote to support them, will always have difficulty explaining interesting relationships.” (Mintzberg 1979: 587) ”complexity”, d. h., dass man sich bewusst ist, dass es eine Vielzahl an interkonnektiven und interdependenten Relationen und Korrelationen zwischen den zu untersuchenden Elementen gibt, und zwar solche, die unter Umständen unlogisch sein mögen bzw. deren Ursachen und Folgen nicht positiv eruierbar sind 13 : „Complex responsive processes of relating may be understood as acts of communication, relations of power, and the interplay between people’s choices arising in acts of evaluation.“ (Stacey/ Griffin 2005: 3) 13 Zum Thema Komplexitätstheorie verweise ich auf Stacey/ Griffin (2005: 7pp). Peter Kastberg 46 Ethnographisch fundiert heißt also vor allem interpretativ orientiert. Mit dieser Orientierung als Leitfaden können nun Methoden und Materialien vorgestellt werden, die in ihrer Integration den ersten Schritt zu einem Methodengerüst zur Abfassung instruktiver Texte ausmachen können. 3.1 Methoden und Materialien Aus zeitlichen Gründen und in Ermangelung anderer Ressourcen wurde die Form einer Einzelstudie gewählt (mehr dazu bei Yin 1994). Die Tatsache, dass die Studie sich hier auf einen einzelnen Fall beschränkt, bedeutet wiederum, dass der Schwerpunkt nicht auf Breite, sondern auf Tiefe liegt. Es ist hier somit keineswegs die Rede von Repräsentativität oder rali sierbarkeit, und das wird auch nicht behauptet. Vielmehr geht es rum, exemplarisch zu zeigen , dass eine solche ethnographisch orientierte Studie zur Analyse von Fachtextproduktion zu neuen Einsichten beitragen kann. Es soll aber gleichzeitig hervorgehoben werden, dass die Erkenntnisse, zu denen man im Laufe einer solchen Studie kommt, es einem erlauben, Hypothesen aufzustellen, und zwar solche, die dann nachfolgend als Ausgangspunkt für vergleichbare Studien gelten können, in denen sie verifziert bzw. falsifiziert werden können (vgl. dazu auch Kastberg 1997: 81pp). Im Einklang mit der Forschungsintention und der Hinwendung zur Ethnographie wurde die konkrete Studie als eine Feldstudie konzipiert, in die die Dimensionen Arbeitspraxis (Abschnitt 3.1.1), Observationen (Abschnitt 3.1.1.1) und observierte Handlungen (Abschnitt 3.1.1.1.1) integriert sind. 3.1.1 Zur untersuchten Arbeitspraxis In der arbeitsteiligen Wirtschaft ist jede Arbeitspraxis in verschiedene Teilprozesse eingeteilt, so auch die Produktion einer Bedienungsanleitung in einer Einzelsprache. Für das Unternehmen ist die Bedienungsanleitung ein Produkt, und als Produkt weist sie einen Lebenszyklus, eine Ontogenese, auf - in grober Vereinfachung: Vom Auftragseingang über die Produktion bis zur Abgabe. Narrativ organisiert und auf den Textproduktionsprozess appliziert, sieht der Geschäftsgang als Rahmen für die darauf folgenden Analyseebenen (vgl. Abschnitt 6) so aus: I. Vor der Textproduktion, d. h. beginnend mit dem Marketing Research des Unternehmens bis zum Auftragseingang II. Während der Textproduktion, d. h. die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, und die Arbeit, die geleistet werden muss, um den Text herzustellen III. Nach der Textproduktion, d. h. von der Abgabe des fertigen Textes an den Kunden bis zum Eingang der Zahlung für das Produkt Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 47 Jede dieser Phasen ist von Texten begleitet bzw. gilt als Auslöser für Texte (z. B. Auftragsbestätigung, verschiedene Versionen der Bedienungsanleitung, Rechnung etc.) 14 . Für diesen Aufsatz ist die zweite Phase die zentrale, weshalb auf die anderen beiden an verschiedenen Stellen nur kurz eingegangen wird. Innerhalb dieses Rahmens der Arbeitspraxis sollen nun die zwei weiteren Hauptelemente des Methodengerüstes situiert werden. 3.1.1.1 Observationen Die ethnographische Methode par excellence ist die Observation (dazu vor allem Spradley 1980), denn: „[o]bservation enables you to identify the conscious as well as the takenfor-granted actions that informants rarely articulate despite participating in them.” (Daymon/ Holloway 2004: 203) Die tragende Idee ist die, dass man als Quasi-Insider (ebd.) vieles von dem mitbekommen kann, was man als (bloßer) Outsider nicht mitbekommen kann. Dabei gibt es als Beobachter ein Kontinuum an Rollen, die man spielen kann, vom völlig unauffälligen „Spion“ bis hin zum „Mitarbeiter“ (Daymon/ Holloway 2004: 206pp). Dem Forschungsvorhaben folgend war es wichtig, dass nicht nur beobachtet werden konnte, sondern ebenso wichtig war der Zugang zu den Überlegungen der Beobachteten, weshalb die ‚direkte, reaktive Observation’ (Spradley 1980) gewählt wurde. Dass die Wahl eben auf diese Methode fiel, führt zwei Konsequenzen mit sich: Erstens dass man ganz offen sagt, wer man ist, wieso man die Feldstudie macht, und wen man beobachten möchte. Zweitens - und das wäre dann das „reaktive“ dabei - dass man während seiner Observationen Fragen an die Observierten stellen kann. Dies mag sich so anhören, als würde man dabei Gefahr laufen, die Testpersonen zu beeinflussen, und in der Tat: Dem ist auch so. Mag es (wohl eher naiv) als Ideal gelten, dass man sich unauffällig in seinem Kontext bewegen kann, um ein wahrheitsgemäßes, ein neutrales Bild davon bekommen zu können, was man untersuchen möchte, so entspricht dies nicht der Wirklichkeit, und dafür gibt es zwei Hauptursachen: Erstens kann man es als Beoabchter nicht vermeiden, seine Testpersonen allein durch die eigene Anwesenheit zu beeinflussen, denn die Anwesenheit eines Fremden kann in manchen Fällen die Beobachteten veranlassen, anders zu reagieren, als sie dies, d. h. unbeobachtet, tun würden. Dazu kommt, dass dieser Fremde eben als Beobachter anwesend ist, d. h. dass er die Arbeitsprozesse und Arbeitsrelationen untersucht und analysiert, was auch für manche als unkomfortabel gelten mag. Zweitens ist es für den Beoabachter unumgäng- 14 Zum Thema Ontogenese in diesem Zusammenhang vgl. Kastberg (2002) und Kastberg/ Askehave (2001). Peter Kastberg 48 lich, dass er die Beobachteten und deren Handlungen aus seiner eigenen Perspektive interpretiert; Interpretationen also, die womöglich nicht mit denen der Beobachteten übereinstimmen bzw. ideosynkratisch sind. 3.1.1.1.1 Handlungen Zur Beschreibung des Phänomens Beobachtung gehört nun auch eine Auseinandersetzung mit dem Objekt der Beobachtung. In diesem Falle ist das Objekt der Beobachtung nicht - wie sonst in der Erforschung von Bedienungsanleitungen üblich - Lexem, Satz, Bild oder Text, sondern es sind die Handlungen, die Lexeme, Sätze, Bilder und Texte hervorbringen. Nach Talcott Parsons, dem Gründer der modernen Handlungstheorie, gehören zu einer Handlungseinheit folgende Elemente: 1. Ein Handelnder 2. Ein Handlungsziel 3. Eine Situation, darunter die Bedingungen, die in der Situation vorgegeben sind 4. Die subjektive Orientierung des Handelnden, die in seinen Handlungswahlen zum Ausdruck kommen 15 . Die ersten drei Elemente lassen sich für die konkrete Studie übergeordnet und unmittelbar so erfassen: 1. Der Handelnde ist der Technical Writer, der beobachtet wird. 2. Das Handlungsziel ist das Ziel des Technical Writers, nämlich eine dänische Bedienungsanleitung zu verfassen. 3. Die Situation ist durch das spezifische Unternehmen, seine Praxen und Normen, vorgegeben. Was das vierte Element angeht: 4. Die subjektive Orientierung des Handelnden, die in seinen Handlungswahlen zum Ausdruck kommt, ist die Lage anders, denn dies lässt sich nicht unmittelbar erfassen. Hier geht es zunächst darum, den Interaktionen einerseits zwischen Personen, die die Arbeitspraxis teilen (Kollegen, Manager und Kunden), und andererseits zwischen Personen und verschiedenen Artefakten (PCs, Bücher, verschiedene Geräte usw.) näher auf den Grund zu gehen. Darauf aufbauend kann eine 15 Die vier Dimensionen stammen ursprünglich aus Talcott Parsons (1937) „The Structure of social action“, hier sind sie jedoch adaptiert aus Andersen/ Kaspersen (2000: 243). Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 49 Analyse nach der Motivation (der subjektiven Orientierung) des Beobachteten für seine Wahlen und Abwahlen erfolgen. Eine Analyse, die wiederum mit dem „Reaktiven“ (oben) gewissermaßen im Einklang ist, denn um die subjektive Orientierung des Beobachteten darzulegen, bedarf es eines Zugangs zum Bewusstsein des Beobachteten; ein Zugang, den man nur über Gespräche mit dem Beobachteten erreichen kann. Aus dieser kurzen Skizzierung des Themas Handlung ist unschwer zu erkennen, dass diese Wahlen im vierten Element an sich auch selber Handlungen darstellen (sei es auch auf einer anderen Abstraktionsebene). Es stellt sich somit die Frage, wie man die übergeordnete Handlung „Produzieren einer dänischen Bedienungsanleitung“ in für diese Studie relevante Teil- oder Einzelhandlungen zerlegen kann. Problematisch ist dabei prinzipiell immer die Delimitation einer Einzelhandlung, im Falle der übergeordneten Handlung „Produzieren einer dänischen Bedienungsanleitung“ sei jedoch auf den Geschäftsgang verwiesen (vgl. Abschnitt 3.1.1), der - wenn auch lakonisch - der übergeordneten Handlung Anfang und Ende setzt. Für die aktuellen Forschungszwecke (vgl. Abschnitt 2.1) reicht es jedoch längst nicht aus, die Handlung so zu dokumentieren. Dementsprechend kann auf Luhmann (1987) Bezug genommen werden, wo es zur Zerlegung von Handlungszusammenhängen heißt: „Was eine Einzelhandlung ist, lässt sich [...] nur auf Grund einer sozialen Beschreibung ermitteln. Das heißt nicht, dass Handeln nur in sozialen Situationen möglich wäre; aber in Einzelsituationen hebt sich eine Einzelhandlung aus dem Verhaltensfluss nur heraus, wenn sie sich an eine soziale Beschreibung erinnert. Nur so findet die Handlung ihre Einheit, ihren Anfang und ihr Ende, obwohl die Autopoiesis des Lebens, des Bewusstseins und der sozialen Kommunikation weiterläuft. Die Einheit kann, mit anderen Worten, nur im System gefunden werden. Sie ergibt sich aus Abzweigmöglichkeiten für anderes Handeln.“ (Luhmann 1987: 229) Im Verhaltensfluss des tagtäglichen Lebens eines Unternehmens - bei Luhmann ein Ausdruck für das soziale System „Organisation“ - gibt es eine Fülle von Handlungen wie z. B. „Rechnung erstellen“, „Mahnen“, „Personal einstellen“ und so auch „Produzieren einer dänischen Bedienungsanleitung“. Im Verhaltensfluss „Produzieren einer dänischen Bedienungsanleitung“ wiederum findet man eine Fülle von Handlungsketten (Auftrag annehmen, Kollegen befragen z. B.), aus denen sich dann Einzelhandlungen ausheben (schreiben, recherchieren, korrigieren z. B.), die sich wiederum in noch feinmaschigere Teilhandlungen zerlegen lassen usw. Wichtig zu bemerken ist dabei, dass die Handlung bei Luhmann sich nicht positiv(istisch) definieren lässt, sondern sich nur auf interpretativem Wege eruieren lässt (vgl. Abschnitt 3). Peter Kastberg 50 4 Zum Kontext der Feldstudie An erster Stelle einer jeden ethnographischen Untersuchung einer Arbeitspraxis stellt sich die Frage, wie man sich überhaupt Zugang zum Kontext beschaffen kann, denn nur wenige Unternehmen sind a priori daran interessiert, Fremde in ihre Arbeitspraxis einzuweihen. Die Ursache dafür lässt sich hauptsächlich darauf zurückführen, dass die Unternehmen befürchten, dass ein Forscher durch Untersuchungen zu einigen für das untersuchte Unternehmen unbequemen Einsichten gelangen könnte. Unbequem in dem Sinne, dass der Forscher z. B. vertrauliche oder sensitive Informationen oder sogar Firmengeheimnisse entdecken könnte und diese - qua der Publikationsforderung des Forschers - publik machen könnte. Dies bedeutet dann auch, dass das Unternehmen - auch wenn es dem Forscher den gewünschten Zugang zum Kontext einräumt - dem Forschungsvorhaben Restriktionen auferlegen kann, die potentiell die Forschungsfreiheit einengen können. Z. B. kann stipuliert werden, was untersucht werden darf, was für Dokumente eingesehen und welche Fragen gestellt werden dürfen, an wen der Forscher sich wenden darf bzw. soll, was publiziert werden darf usw. Der Forscher muss sich also selbst die Frage stellen, ob und gegebenenfalls welche Einschränkungen für ihn akzeptabel bzw. nicht akzeptabel sind. Dank persönlichen Verbindungen hatte ich uneingeschränkten Zugang zum Kontext, wobei das für solche Studien wichtige gegenseitige Vertrauen auch schon da war. 4.1 Das Unternehmen Das Unternehmen, in dem die Studie durchgeführt wurde, war ein mittelgroßes dänisches Übersetzungs- und Textverfassungsbüro, das in Aarhus, der zweitgrößten Stadt Dänemarks, seinen Sitz hatte. Als Übersetzungs- und Textverfassungsbüro gehörte das Unternehmen zur Kategorie der wissensintensiven Firmen 16 . Das Büro hatte sich der Übersetzung und der Ersttextproduktion von technischen Texten gewidmet 17 ; die vorherrschende Textsorte war die Instruktion. Im Büro verfolgte man das Prinzip, das man in jede Sprache/ aus jeder Sprache übersetzen würde, hauptsächlich wurde jedoch mit den skandinavischen Sprachen sowie Deutsch und Englisch gearbeitet. Zum Zeitpunkt der Studie (Mai 2005) existierte das Unternehmen seit etwa zehn Jahren und hatte in dieser Zeit mehrmals seinen Sitz gewech- 16 „The category of knowledge intensive firms [...] refers to firms where most of the work is said to be of an intellectual nature and where well-educated, qualified employees form the major part of the work force.” (Alvesson 2001: 863) 17 Zu bemerken wäre an dieser Stelle, dass das Unternehmen sich also über die tradierte disziplinäre Kluft zwischen Ersttextproduktion und Übersetzung spannt; auf diese eigentlich interessante Beobachtung kann an dieser Stelle aus Platzgründen jedoch nicht näher eingegangen werden. Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 51 selt und ständig neue Wissensarbeiter (Übersetzer, Technical Writers, Projektleiter etc.) angestellt 18 . Insgesamt waren 21 Personen im Büro tätig: - 1 Gründer/ Geschäftsführer - 1 Controller - 4 Projektleiter, davon waren zwei ausschließlich als Projektleiter tätig, während ein Projektleiter auch Marketing Manager und ein weiterer auch als IT Manager tätig war - 15 Übersetzer, davon waren zwei (dann) auch als Technical Writers/ Technische Redakteure tätig dazu kamen noch über hundert selbständige Übersetzer - Freelancers -, die der Firma zwar dauerhaft angehörten, aber nicht im Büro selbst arbeiteten. Organisatorisch war das Unternehmen als Projektorganisation strukturiert, d. h., dass alle Geschäftsprozeduren an Projekte geknüpft waren, die wiederum als Übersetzungsaufträge/ Textverfassungsaufträge definiert wurden. Wenn also Aufträge eingingen, wurden sie einem Projektleiter übergeben, der dann seinerseits dafür sorgte, die konkrete Übersetzungsarbeit/ Textverfassungsarbeit an eine geeignete Person bzw. Gruppe von Personen innerhalb oder außerhalb des Büros weiterzuleiten. Was die Einrichtung des Büros angeht, lässt sie sich skizzenhaft so darstellen: 18 “A knowledge worker is somebody who is primarily working as a “symbolic analyst”, i.e. somebody who works with symbols rather than, say, machinery. When the translator translates, when the communicator communicates, and when the tech writer writes then s/ he is working with symbols - the symbols of our trade being words, texts, and images.” (Kastberg/ Oersted 2006: 3) Peter Kastberg 52 Obwohl das Unternehmen als Projektorganisation strukturiert war, geht hervor, dass die räumliche Verteilung von Projektleitern und Übersetzern nicht auf der Basis von Projekten erfolgte - gegebenenfalls hätten die Projektmitarbeiter zusammensitzen müssen und dazu noch laufend in neuen Konstellationen -, sondern auf der Basis von eher tradierten arbeitsteiligen Funktionen. Die Übersetzer/ Technical Writers saßen zusammen in einem großen Raum (von ihnen selbst schmunzelnd „Maschinenraum“ genannt). Jeder Angestellte hatte einen eigenen, festen Schreibtisch, ein eigenes Telefon und je 2 bis 3 PCs. Im Großraum gab es auch eine kleine Handbibliothek, die mit verschiedenen Handbüchern, Nachschlagewerken und Wörterbüchern bestückt war. Die Projektleiter, der Gründer/ Geschäftsführer und der Controller verteilten sich auf zwei kleinere, dem Großraum angeschlossene Räume. Wo es zwischen den einzelnen Arbeitsräumen überhaupt Türen gab, standen diese ständig offen; zwischen dem Großbüro und dem Gemeinschaftsspeiseraum sowie zwischen dem Großbüro und dem einen Projektleiterraum bestanden die Wände hauptsächlich aus großen Glasflächen. Gemeinschaftsspeiseraum Küche Aufbewahrung Eingang WC Übersetzer und Technical Writers (”Maschinenaum”) Projektleiter Projektleiter, Controller, Gründer/ Geschäftsführer Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 53 5 Das Sammeln der Daten: Textwelt und Textfolge 19 Die Beschreibung und der Einsatz ethnographischer Methoden sind in der einschlägigen Literatur (vgl. oben) relativ tiefgehend, wenn nicht gerade systematisch, erklärt; und da das spezifische Forschungsvorhaben in diesem Sinne (dazu) noch neu ist, stand also kein tradierter Methodenmix beim Einholen der Daten zur Verfügung. Die Elemente eines solchen praktisch anwendbaren Methodengerüsts mussten also erst definiert und zu einem in sich konsistenten und funktionalen Ganzen zusammenfügt werden. Zum Zwecke der Datensammlung wurde dementsprechend von vornherein eine Textwelt definiert, die aus einer textsortenbezogenen Kategorisierung der antizipierten Daten bestand: Primärtexte, d. h. die Texte, die von den Testpersonen produziert werden - von der ersten Skizze über potentielle Korrekturphasen bis zum fertigen Text Sekundärtexte, d. h. die Texte, die den Arbeitsprozess initiieren (z. B. Auftragszettel), begleiten (z. B. E-mails vom Projektleiter, vom Kollegen), und beenden (z. B. Akzept vom Kunden) Tertiärtexte, d. h. die Texte, die aus den Beobachtungen entstehen (konkret: Notizen) Referenztexte, d. h. die Texte, auf die die observierte Person Bezug nimmt, um ihre Arbeit durchführen zu können (z. B. Mustertexte, Parallel- und Hintergrundliteratur usw.) Damit ist dann auch auf dieser Ebene den drei Dimensionen einer qualitativen Studie (vgl. oben) Rechnung getragen worden. Was das eigentliche Produzieren der Notizen (der Tertiärtexte) betrifft, ist der Anleitung von Spradley (1980) gefolgt worden, bei der diese Arbeit in drei Phasen eingeteilt wird: The condensed account (d. h. kurze, konzise Notizen mit der Hand geschrieben, die auf der Stelle / in der Situation schnell aufgezeichnet werden) The expanded account (d. h. eine Elaborierung der ersten, ganz kurzen Notizen) The fieldwork journal (d. h. das eigentliche Protokoll zur Feldstudie bestehend aus einer Zusammenfassung der verschiedenen Notizen) Analysis and interpretative notes (d. h. die eigentliche Bewertung der Studie sowie deren Daten - dieser Aufsatz wäre ein Beispiel dafür) 19 Zu Textfolge bzw. Textesukzession vgl. Kastberg (1997). Peter Kastberg 54 Da es - wie oben erwähnt - derzeit noch kein Design für eine ethnographisch orientierte Studie dieser Art gibt, bei der es um die Arbeitspraxis „Produzieren einer dänischen Bedienungsanleitung“ geht, wurde untenstehendes Makrodesign zum Zwecke dieser Studie entwickelt: - Absprache - Vorbereitung - Durchführung und Dokumentation Ein Design, dessen Elemente unten näher beschrieben und kontextualisiert werden sollen. 5.1 Absprache Im Frühjahr 2005 wurde vereinbart, dass ich mich als Beobachter im obenerwähnten Unternehmen eine Woche lang aufhalten dürfte und dabei uneingeschränkten Zugang zu relevanten Dokumenten haben sollte, und dass das Unternehmen keine Einsicht in die Notizen erhalten würde. Ferner wurde abgesprochen, dass die Studie sich hauptsächlich mit den beiden Übersetzer-cum-Technical-Writers (vgl. oben) beschäftigen würde, da die beiden mit eben dem Produzieren von Bedienungsanleitungen in dänischer Sprache vertraut waren. 5.2 Vorbereitung Vor dieser Woche waren jedoch etliche Vorbereitungen verschiedener Art zu treffen gewesen. Als erstes erhielten alle Angestellten vom Gründer/ Geschäftsführer eine Mail, in der ihnen erklärt wurde, dass ein Beobachter komme würde und wieso. Ich hatte auch selber ein Schreiben verfasst, das über die Forschungsziele berichtete; dieses Schreiben wurde dann einige Tage später auch an die Angestellten geschickt. Nach diesen beiden Mails war ich dann mehrmals im Unternehmen, und dies vor allem aus zwei Gründen: Erstens damit ich mich mit dem Unternehmen, seiner Einrichtung und seinen Angestellten bekannt machen konnte. Zweitens damit die Angestellten sich allmählich an mich und meine Anwesenheit gewöhnen konnten. Und gerade letzterer Grund war in diesem Zusammenhang sehr wichtig, denn eben die Bekanntschaft mit dem Gründer/ Geschäftsführer konnte auch bewirken, dass ich von den Angestellten quasi als Spion des Gründers/ Geschäftsführers aufgefasst werden würde. Wie bereits angedeutet, müssen sich die tradierten Anthropologen/ Ethnographen stets vor Augen halten, dass ihre bloße Anwesenheit die von ihnen beobachteten Menschen, Interaktionen etc. beeinflusst. Für diese konkrete Studie kamen nun noch zwei weitere Dimensionen hinzu. Erstens galt es zu bedenken, dass die An- Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 55 gestellten um meine Freundschaft mit ihrem Chef wussten, und dass dieses Wissen Einfluss auf ihren Umgang mit mir würde haben können. Zweitens konnte die Tatsache, dass ich von der Wirtschaftsuniversität Aarhus kam - d. h. von eben der Universität der Region, die Fachtextproduzenten und Fachübersetzer ausbildet - sehr wohl dazu führen, dass ich nicht als eher neutraler Beobachter, sondern stattdessen gewissermaßen als der „Dozent“ aufgefasst werden würde, was ebenfalls ihren Umgang mit mir würde beeinflussen können. Folglich war es in der Vorbereitungsphase sehr wichtig, den Angestellten deutlich zu machen, dass sämtliche Notizen (sowie alle Einsichten insgesamt) eben nicht dem Chef übergeben werden würden, und dass ihre Leistungen im „schulischen“ Sinne nicht bewertet werden würden. Zwei Wochen vor Beginn der eigentlichen Studie wurden mit den beiden Übersetzer-cum-Technical-Writers informelle Gespräche geführt. Am letzten Freitag vor Beginn der Feldstudie hatte ich dann bei einem Mitarbeitermeeting die Gelegenheit, alle Angestellten mündlich noch einmal über die Studie zu informieren. 5.3 Durchführung und Dokumentation Von Montag, dem zweiten, bis Freitag, dem sechsten Mai 2005, von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags, fanden dann die Beobachtungen im Unternehmen statt. Ich hatte während dieser Zeit meinen eigenen, festen Schreibtisch im „Maschinenraum“, bekam meinen eigenen PC zur Verfügung gestellt und wurde auch in die hausinterne Mailliste aufgenommen. Die Kaffeepausen habe ich jeden Tag mit den Übersetzern/ Technical Writers verbracht und auch das Mittagessen mit ihnen im Gemeinschaftsspeiseraum eingenommen. Am Vormittag des ersten Tages wurden mit den beiden Technical Writers individuelle Gespräche geführt. Bei diesen Gesprächen ging es um zwei Sachen: Erstens dass sie dadurch ihr Vertrauen zum „Fremden“, dem „Dozenten“, verfestigen konnten. Denn für die Studie war ausschlaggebend, dass eine gute Zusammenarbeit mit den beiden etabliert und aufrechterhalten werden konnte. Zweitens konnten einige für die Studie relevante demo- und soziographische Hintergrunddaten der beiden gewonnen werden. Ferner wurde vereinbart, dass sie mich rufen sollten, wenn sie den Auftrag bekämen, eine dänische Bedienungsanleitung zu verfassen, damit ich dann zu ihnen kommen könnte, um der Entstehung von Anfang an beizuwohnen 20 . 20 Während dieser Woche hatte ich die Gelegenheit, die Arbeit an zwei Bedienungsanleitungen vom Auftragseingang bis zur Abgabe an den Kunden mitzuverfolgen. In diesem Aufsatz wird aus Platzgründen nur eine der beiden Entstehungsgeschichten besprochen. Peter Kastberg 56 Nachdem diese methodisch-praktischen Elemente des vorgeschlagenen Methodengerüsts nun kurz dargestellt worden sind, kann jetzt die Studie selbst näher besprochen werden. In Übereinstimmung mit dem Forschungsvorhaben wurden sowohl quantitative als auch qualitative Daten erhoben. Dies spiegelt sich in den beiden nächsten Abschnitten wieder 21 . 6 Zur Erhebung der quantitativen Daten der Studie - Zusammenspiel von Primär-, Sekundär- und Referenztexten Sämtliche Unterlagen des in Frage stehenden Textproduktionsauftrages wurden zur Verfügung gestellt, auch solche, die im Umfeld des eigentlichen Texteproduzierens lagen, wie z. B. Auftragszettel vom Kunden. Insgesamt konnten so 5 Primär-, 4 Sekundär- und 5 Referenztexte gesammelt werden, die direkt oder indirekt mit der Entstehung der Bedienungsanleitung in Verbindung standen. Die 14 Texte wurden in den Analyserahmen der narrativen Grobstruktur des (prototypischen) Geschäftsgangs eingepasst (vgl. Abschnitt 3.1.1), wobei die Analyseebenen so um konkrete Texte ergänzt werden konnten: I. Vor der Textproduktion Vier Sekundärtexte - 3 E-mails vom Kunden (Erläuterungen zum Auftrag) - Unternehmensinterner Auftragszettel Zwei Referenztexte - 2 Produktblätter zum Gerät (vom Kunden bereitgestellt) II. Während der Textproduktion Drei Referenztexte - Englischer Referenztext (eine vom Büro produzierte, ‚alte’ Instruktion) - ”Schablone“/ Mustertext (‚style guide’ des Büros für die Textsorte Instruktion) - Ein Bild vom Produkt 21 Konkret sei an dieser Stelle auf das Gedankengut des ‚Mixed Methods Research’ verwiesen, aus dem hervorgeht, wie qualitative und quantitative Daten erhoben und sy nthetisiert werden können (Tedlie/ Tashakkori 2008). Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 57 Erster Primärtext - Zieltext # 1 (der erste vom Technical Writer verfasste Rohtext) Zweiter Primärtext - Zieltext # 2 (mit Korrekturanmerkungen von einem Kollegen; interne Korrektur) Dritter Primärtext - Zieltext # 3 (in dem die Korrekturen implementiert worden sind) Vierter Primärtext - Zieltext # 4 (mit Korrekturanmerkungen vom Kunden; externe Korrektur) III. Nach der Textproduktion Fünfter Primärtext (bzw. das textuelle Endprodukt) - Zieltext # 5 (in dem die Korrekturen vom Kunden implementiert worden sind) Was auf dieser Analyseebene zu finden ist, sind die Texte, d. h die quantitaven „hard data“ (vgl. Minzberg oben). Obwohl diese keineswegs ausreichend sind, um zu einer dichten Beschreibung zu gelangen, so geht doch schon aus dieser Textfolge hervor, dass die (rationalistische) Idee von „plan, write, edit“ vieler Schreibmodelle, wenn sie den Bedingungen der „wirklichen Welt“ ausgesetzt werden, ganz einfach zu kurz greift. Obwohl diese narrative Struktur also schon eine Komplexität aufweist, die sich von „plan, write, edit“ entscheidend abhebt, so muss an dieser Stelle auch bemerkt werden, dass die Struktur eine grobe Vereinfachung darstellt; was hier nicht abgebildet worden ist, sind so z. B. die Bezüge, die Interaktionen und die Feedback Loops, die zwischen den kommunikativen Instanzen auch zu verzeichnen waren. Um von obiger ‚dünnen’ zur gewünschten ‚dichten Beschreibung’ zu kommen, bedarf es einer interpretativen, einer qualitativen Analyse. Die Daten, die für die qualitative Analyse bereitstehen, sind den Tertiärtexten zu entnehmen, in denen die Aufzeichnungen zu den die Textfolge begleitenden und mit ihr auf verschiedene Art und Weise interagierenden einhergehenden Prozessen zu finden sind. Peter Kastberg 58 7 Zur Erhebung der qualitativen Daten der Studie - Zusammenspiel der Tertiärtexte Die Tertiärtexte lassen sich in sechs Gruppen einteilen: 1. Interviews mit den beiden Technical Writers vor der Textproduktion 2. Observation und laufende Befragung 22 der Technical Writers während der Textproduktion 3. Interviews mit Projektleitern während der Textproduktion 4. Observation und laufende Befragung der Technical Writers während der Korrekturphase 5. Interviews mit Projektleitern nach der Textproduktion 6. Interviews mit den Technical Writers nach der Textproduktion 23 In dieser exemplarischen Analyse sollen nur Tertiärtexte aus der zweiten Gruppe berücksichtigt werden, und zwar nur die, die sich auf einen ganz genau begrenzten Zeitraum beziehen - Dienstag, den 3. Mai zwischen 9.00 Uhr und 11.34 Uhr. Denn an diesem Tag kurz vor neun Uhr morgens bekam einer der Technical Writers (im Weiteren durch T gekennzeichnet) die Aufgabe, eine dänische Bedienungsanleitung für ein Küchengerät „Multimixer“ zu verfassen. Während dieser Zeit führte die Testperson T die übergeordnete Handlung „Produzieren einer dänischen Bedienungsanleitung“ durch. Wie aus der obigen Diskussion zur Delimination einer Handlung hervorgangen ist, lassen sich Handlungen in Teilhandlungen untergliedern, wobei das Untergliederungskriterium stets als ein Einbettungsverhältnis angesehen werden darf. Im Zuge der Analysearbeit wurde mit insgesamt fünf solch eingebetteten Analyseebenen gearbeitet, die allesamt den vier Parsonsschen Dimensionen (oben) Genüge tun. Jede Analyseebene ist somit in einer jeweils höher liegenden Ebene eingebettet, und jede Handlung ist Teilhandlung einer jeweils höher liegenden Handlung. Die Idee ist, dass man sich durch die fünf Ebenen analytisch durcharbeitet, um dem Endziel einer „dichten Beschreibung“ systematisch näher kommen zu können. Zu betonen ist an dieser Stelle erneut, dass es sich um einen exemplarischen Durchgang der fünf Handlungsanalyseebenen handelt, und dass zum Zwecke dieser Illustration nur mit einem isolierten Fall gearbeitet wird. 22 Vgl. die Methode der Protokolle lauten Denkens. 23 Leider war der Zugang zu den Kunden und ihren etwaigen Kommentaren nicht möglich. Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 59 7.1 Die fünf Handlungsanalyseebenen Aus dem angefertigten Protokoll wurden zum übergeordneten, dem Geschäftsgang entsprechenden Handlungsuniversum, fünf generische Handlungsanalyseebenen extrahiert: Erste Handlungsanalyseebene: Arbeitsauftrag Zweite Handlungsanalyseebene: Globale Handlungskette Dritte Handlungsanalyseebene: Ausgewählte Teilhandlungskette Vierte Handlungsanalyseebene: Ausgewählte Teilhandlung Fünfte Handlungsanalyseebene: Entscheidungsprozesse der ausgewählten Teilhandlung Wie zu ersehen ist, lässt sich jede Ebene in eine jeweils höherliegende Ebene einbetten 24 , die wiederum den Rahmen um die jeweils tieferliegende Ebene bildet. Jede Handlungsebene wurde mit einem spezifischen, d.h. auf die Bedingungen dieser Studie zurückgreifenden Untertitel versehen, wobei die Analyseebenen exemplarisch so beschrieben werden können: Erste Handlungsanalyseebene: Arbeitsauftrag - „Verfassen einer dänischen Bedienungsanleitung“ Dienstag 3. Mai 2005 Zeitraum Beobachteter Arbeitsauftrag Methodisches 09.00 - 11.34 Technical Writer T Verfassen einer dänischen Bedienungsanleitung für ein Küchengerät „Multimixer“ Direkte und reaktive Beobachtung durch PK Wie schon angesprochen (vgl. Abschnitt 3.1.1.1.1) stellt dieser Eintrag nur den übergeordneten Rahmen um die Observation. Die für die Studie relevanten Einzelhandlungen, die aus dem beobachteten Verhaltensfluss herausgehoben werden konnten (vgl. Luhmann oben), sind auf der nächsten Ebene folgendermaßen protokolliert: Zweite Handlungsanalyseebene: Globale Handlungskette - „Beim Verfassen einer dänischen Bedienungsanleitung“ 24 Der Arbeitsauftrag, der zum Zwecke dieser Studie hier die erste Ebene ausmacht, ist seinerseits in den Verhaltensfluss des Unternehmens integriert usw. Peter Kastberg 60 03.05.2005 Technical Writer T und Beobachter PK 09.00 T bekommt den Auftrag vom Projektleiter; mit dem Auftrag zusammen bekommt T auch einen Prototyp des Küchengerätes, zu dem eine Bedienungsanleitung produziert werden soll 09.06 T nimmt das Gerät mit sich in einen anderen Raum, den Gemeinschaftsspeiseraum, und besichtigt es 09.10 T macht sich mit Referenztexten vertraut (Produktblatt und Mustertext vgl. oben), um sich mit dem fachlichen Thema und der Textsorte vertraut zu machen 09.20 T geht zum Kopierer, der sich im selben Raum befindet, und kopiert die für sie relevanten Seiten aus dem Referenztext 09.22 Zwei Projektleiter kommen in den Gemeinschaftsspeiseraum und diskutieren unter sich und mit T 09.24 Der Geschäftsführer/ Gründer kommt in den Raum und spricht mit T über ”sprachliche Dummheiten”, beide lachen 09.25-09.35 T liest wieder den Referenztext, blättert hin und her 09.41-09.42 T liest gezielt die Einleitung des Referenztextes. 09.42-09.47 T verlässt den Raum, um eine digitale Kamera zu finden. T kommt zurück. T schraubt das Gerät auseinander T macht 3 Fotos von den Geräteteilen 09.47 T verlässt den Raum und geht zu ihrem eigenen Schreibtisch im „Maschinenraum“, T speichert die Bilder im eigenen PC T evaluiert die Bilder 09.53 T arbeitet mit der Bildgröße 09.55 T versieht jedes Geräteteil mit einer Nummer 10.03 T sucht nach einer bereits vorhandenen Bedienungsanleitung, die als Mustertext dienen soll 10.08-10.15 PK interveniert, weil es im großen Raum kaum möglich ist, „reaktiv“ zu sein T findet einen anderen PC in einem anderen Raum Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 61 10.15 PK stellt Fragen zum Prozess T listet auf, worum es nun geht beim Verfassen T arbeitet dabei am Primärtext 11.28 Die PC-Batterie läuft leer 11.34 Observation beendet Schon aus dem Protokoll zu dieser zweiten Ebene geht nicht nur hervor, welche Fülle von Einzelhandlungen sich vollzogen haben, sondern auch, wie heterogen die Handlungen sind. Manche Handlungen sind mit der Textproduktion nur mittelbar verbunden (z.B. „T verlässt den Raum, um eine digitale Kamera zu finden“), andere entstehen durch die Anwesenheit des Beobachters (z.B. „T findet einen anderen PC in einem anderen Raum“) usw. Innerhalb des Rahmens dieses Aufsatzes konnte natürlich nicht allen Handlungen analytisch nachgegangen werden 25 . D.h., dass nur solche Handlungen und Teilhandlungen näher observiert wurden, die einen unmittelbaren und textuell konkret nachweisbaren Einfluss auf die Textproduktion hatten. Trotz dieser Abwahl lässt sich der analytische Reichtum (vgl. oben) exemplarisch schon deutlich illustrieren. Im Folgenden soll zu diesem Zweck auf eine zeitlich abgegrenzte Teilhandlungskette näher eingegangen werden, und zwar: 10.15-11.28 T arbeitet dabei am Primärtext Dritte Handlungsanalyseebene: Ausgewählte Teilhandlungskette - „T arbeitet am Primärtext“ Die Observationen auf dieser dritten Ebene von 10.15 Uhr bis 11.28 Uhr lassen sich in folgende 12 Teilhandlungen unterteilen: 1. T öffnet den Mustertext als Word-Dokument 2. T fängt an, an ihm zu arbeiten I. Gibt überall den korrekten Produktnamen ein II. Löscht Bilder im Mustertext III. Fügt eigenes Bild ein 25 An dieser Stelle werden einige potentiell einflussreiche Faktoren bewusst ausgegrenzt wie: Der Einfluss der Unternehmenskultur, der internen Machtverhältnisse, der Intera ktion zwischen T und dem Geschäftsführer/ Gründer, der Einfluss des Zeitdrucks, der Anwesenheit des Gerätes selbst usw. Wie aus dem Abschnitt zur Forschungsintention und zu den Forschungsfragen hervorging, wird keine exhaustive, sondern eine exemplarische Studie vorgestellt. Peter Kastberg 62 3. T skaliert Bild 4. T erstellt neue Liste von nummerierten Geräteteilen 5. T löscht einen nicht relevanten Teiltext vom Mustertext 6. T verfasst den Teiltext „Warnung“ 7. T verfasst den Teiltext „Reinigung“ 8. T verfasst Bildlegende/ Bildtext 9. T liest und redigiert die verfassten Teiltexte 10. T vergleicht den eigenen Text mit einem Paralleltext 11. T kondensiert neuen Teiltext auf der Basis von mehreren Teiltexten im Mustertext 12. T entfernt Teiltexte, die im dänischen Kontext auffallen würden Hinter dem, was in der Protokollierung am Anfang als bloßes Prädikat auftaucht (vgl. Handlungsanalyseebene 1), verbirgt sich also ein weitgefächertes Mehr an Handlungen, und mit jeder Analyseebene lässt sich dieses Mehr weiter aufschlüsseln. Vierte Handlungsanalyseebene: Ausgewählte Teilhandlung - „4. T erstellt eine neue Liste von nummerierten Geräteteilen“ Zum Zwecke der Illustration der vierten Analyseebene wird die Teilhandlung 4) „T erstellt eine neue Liste von nummerierten Geräteteilen“ als Beispiel genommen. Hier zeigt sich, dass die Analyse der Handlungsstruktur noch feinmaschiger werden kann, denn diese relativ einfache Teilhandlung setzt sich aus folgenden Handlungen zusammen: 1. T liest die Termini im Sekundärtext Produktblatt 2. T fängt an zu schreiben auf der Basis des Sekundärtextes Produktblatt 3. T ist mit der Terminologie nicht ganz zufrieden 4. T besichtigt das Gerät noch einmal 5. T korrigiert Sprachliches in der Liste An dieser Stelle ist zu bemerken, dass natürlich sämtliche Einträge auf der ersten Analyseebene im Protokoll sich - so wie oben vorgeführt - untergliedern lassen. Mögen die ersten vier Analyseebenen als eher ‚mechanistisch’ und deshalb als einfach eingeschätzt werden, so soll gleich gesagt werden, dass bislang eine solche Analyse noch nicht entwickelt und durchgeführt wurde. Attraktiv scheint die Methode vor allem deshalb, weil man durch die vier Ebenen zu empirisch begründeten (und neuen) Einsichten gelangen kann bezüglich dessen, ‚was passiert’ und ‚wann es passiert’ - und zwar in der authentischen Textproduktion. Auf der fünften und letzten Analyseebene erfolgt nun gezielt die Auseinandersetzung mit dem ‚wieso‘. Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 63 Fünfte Handlungsanalyseebene: Entscheidungsprozesse der ausgewählten Teilhandlung - „5. T korrigiert Sprachliches in der Liste“ In der fünften der obigen Teilhandlungen korrigiert T mehrere sprachliche Probleme in der Liste (vgl. Punkt 5 oben). Hier soll - wieder exemplarisch - jedoch nur ein Beispiel gegeben werden. Während dieser Korrekturhandlung ist die Testperson laufend nach ihren Beweggründen gefragt worden. Die reaktive Komponente fand auf dieser Ebene ihren Ausdruck in einem Protokoll des lauten Denkens, das von mir als Beobachter initiiert und (zugegebenermaßen) bewusst gelenkt wurde, damit ich einer ‚dichten Beschreibung’ näher kommen konnte. Wir steigen also in den Textproduktionsprozess dort ein, wo die Testperson T sich über Sprachliches im Text Gedanken macht, konkret über eine korrekte bzw. motivierte Terminologie. Folgendes Zitat der Testperson soll die Gedanken von T näher erläutern: „Mixerglas geht ja nicht, weil es aus Kunststoff hergestellt ist, Mixerbecher ist besser.“ (aus dem Dänischen) Unschwer zu erkennen ist, dass die Testperson hier für ihre Wahl bzw. Abwahl eines Lexems argumentiert. Als reaktiver Beobachter habe ich an dieser Stelle die Lautdenkprotokolle der Testperson unterbrochen und nach den Elementen der Begründung für diese Wahl gefragt. Der argumentativen Grundstruktur von Toulmin (1958) folgend lie ß sich der Entscheidungsprozess der Testperson so erfassen: Daten (nach Toulmin argument) Das Objekt, das ich vor mir habe, besteht aus Kunststoff. Entscheidungsparameter (nach Toulmin warrant) Etwas, was aus Kunststoff besteht, kann man nicht mit „Glas“ benennen. Schlussfolgerung (nach Toulmin claim) Deshalb soll es in Bezug auf das Material neutral benannt werden 26 . Kurz und prägnant subsumiert ist somit also nicht nur gezeigt worden, ‚was’ die Testperson T am Dienstag, dem 3. Mai 2005, gegen Ende des Vormittags auf einer bestimmten Seite in der dritten Version des Zieltextes in der Auflistung von Geräteteilen zum „Mixerbecher“ schreibt, sondern es ist ebenso ein Einblick in das ‚wieso’ gewonnen worden. Zur dichten Beschreibung gehört aber nicht nur diese fünfte und letzte Handlungsanalyseebene, 26 Eine solche Argumentation wird bei einer ‚dichten Beschreibung’ nicht auf ihre etwaige Logik hin evaluiert. Peter Kastberg 64 welche (lediglich) das auf additivem Wege gewonnene Endprodukt ist. Zur dichten Beschreibung gehört der Gesamtkontext, der die Testperson dazu veranlasst hat, eben diese Entscheidung an eben dieser Stelle im Textproduktionsprozess zu treffen. Darin einbegriffen sind die quantitativen Daten (vgl. Abschnitt 6). 8 Evaluierung und Perspektivierung Auf die Einsicht bauend, dass tradierte Textproduktionsmodelle in mancherlei Hinsicht zu kurz kommen, wenn es darum geht, die Entstehungssituation authentischer Texte abzufassen und (konsequenterweise) der Situation Rechnung zu tragen (Abschnitt 1), entstand die Intention, die Ersttextproduktion einer dänischen Bedienungsanleitung und die authentische Situation ihrer Entstehung exemplarisch zu untersuchen. Die tragende Idee war, einen ersten tentativen Beitrag für ein zukünftiges Modell einer in der Arbeitspraxis begründeten Schreibontogenese zur Diskussion zu stellen (Abschnitt 2). Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Methodengerüst entwickelt und vorgestellt worden, das ethnographisch fundiert und interpretativ orientiert ist (Abschnitt 3). Zu den formativen Charakteristika des Gerüsts zählen „explorativity”, „richness“ und „complexity“. Um das Methodengerüst exemplarisch vorzustellen, wurde eine Feldstudie durchgeführt (vgl. Abschnitt 4). Danach wurden die textuellen Datenkategorien (Textwelt und Textfolge) der Feldstudie vorgestellt (Abschnitt 5). Darauf folgte ein exemplarischer Durchgang der quantitativen und der qualtitativen Daten der Studie (Abschnitte 6 und 7). Etwas detaillierter ausgelegt und auf die Forschungsfrage zurückgreifend, konnte in der Analyse dank des ethnographisch orientierten Methodengerüsts exemplarisch gezeigt werden: - ”Was passiert? ” Im Sinne von: Dokumentieren, welche Arbeitsprozesse und welche Texte/ Textversionen zu verzeichnen sind. Zu diesem Zweck wurden der Geschäftsgang und die Arbeitspraxis im Unternehmen beschrieben, sowie ein Makrodesign für eine ethnographisch fundierte Analyse entwickelt. - ”Was passiert wann? ” Im Sinne von: Analysieren, wie die Textesukzession im Arbeitsprozess integriert ist. Zu diesem Zweck wurden eine Textwelt und eine Textesukzession entwickelt und anschließend mit authentischen Texten bestückt. - "Wieso passiert was wann? ” Im Sinne von: Interpretieren, wie Text und Kontext zusammenspielen, um dadurch zu einer tiefergreifenden Einsicht zu gelangen, was die Bedingungen der Entstehung einer Instruktion Ontogenese einer Instruktion. Erarbeitung eines Methodengerüsts 65 anbelangt. Zu diesem Zweck wurden Arbeitspraxis und Textesukzession mit Observationen auf fünf Analyseebenen observiert und in ihrer Integration betrachtet. Somit wurde festgestellt, dass ein Zugang zur Analyse authentischer Textproduktion, der sich dem interpretativen Paradigma zuwendet, in mancherlei Hinsicht vielversprechend ist. Grundlegend konnte nicht nur gezeigt werden, dass der Kontext die Textproduktion determiniert, sondern andeutungsweise auch, a) wo im Prozess b) welche Entscheidungen c) wieso getroffen worden sind. Um somit auf die Textlinguistik bzw. den Text zurückzukommen (vgl. Abschnitt 1), kann nun auf die schon 1991 von Heinemann und Viehweger an die Entwicklungs- und Anwendungsperspektiven der Textlinguistik gestellten Anforderungen Bezug genommen werden. Denn zu den Aufgaben der Textlinguistik gehört nach Heinemann und Viehweger, dass „[...] textlinguistische Untersuchungen zukünftig auf einem wesentlich breiteren empirischen Fundament durchzuführen [...]“ sind (1991: 277). Diese Breite wurde demonstriert (vgl. Abschnitte 5 und 6) und muss als vielversprechend gelten. Ist der Zugang zwar (meta)theoretisch und methodisch sowohl vielversprechend als auch intuitiv ansprechend, so ist er doch nicht ohne komplexe praktische Probleme. Bei einem ‚grounded theory approach’ muss der Forscher sein Design selber entwickeln, etablieren und ständig revidieren. Was die Daten angeht, so produziert ein ‚grounded theory approach’ potentiell eine geradezu unüberschaubare Menge an Daten. In diesem Aufsatz wurde dementsprechend nur ein Bruchteil der gesammelten Daten präsentiert und diskutiert. Nicht übersehen, sondern bewusst ausgegrenzt wurden potentiell einflussreiche Faktoren (vgl. Fußnote 25). Noch exhaustivere Studien mögen dazu beitragen, dass auch diesen Kontextbedingungen der Ontogenese einer Instruktion Rechnung getragen wird. Eine Studie, die sich auf ‚grounded theory’ bezieht, geht auf die Praxis ein, ohne diese von vornherein zu inszenieren, zu manipulieren - man ist bewusst explorativ. Eine Studie, die sich auf ‚grounded theory‘ bezieht, akzeptiert, dass die Praxis komplex ist, und versucht sie nicht unbedingt zu strukturieren, sondern in ihrer Komplexität zu erklären. Diese Einsicht darf nun gewissermaßen als Sprungbrett dienen, um ein zweites Mal auf Heinemann und Viehweger (1991) zurückzugreifen, denn dort geht aus der Kritik bisheriger textlinguistischer Arbeiten deulich hervor, dass eben das Explorative in diesem Sinne gefragt ist: „An der bisherigen Entwicklung textlinguistischer Modellvorschläge wird in evidenter Weise sichtbar, dass konkrete Textanalysen fast ausnahmslos dazu dienten, bestimmte theoretische bzw. methodologische Positionen zu demonstrieren“ (1991: 277). Peter Kastberg 66 Die vorgelegte Studie, die sich auf ‚grounded theory’ bezieht, suchte eben nach den ‚reichen’ Geschichten, nach dem, was - in dieser konkreten Einzelstudie - die Textfolge zusammengeknüpft und deren Entstehung bedingt hat. Daraus sind neue Einsichten und neue Fragen entstanden, die zu neuen Analysen anspornen mögen und mit der Zeit Eingang finden können in authentische Schreibmodelle. 9 Literaturverzeichnis Alvesson, Mats, Knowledge work: Ambiguity, image and identity, in: Human Relations, 54(7), Lund 2001, 863-886. Andersen, Heine/ Kaspersen, Lars Bo (Hrsg.), Klassisk og moderne samfundsteori, København 2000. Daymon, Christine/ Holloway, Immy, Qualitative Research Methods in Public Relations and Marketing Communications, London/ New York 2004. Ehlich, Konrad/ Noack, Claus/ Scheiter, Susanne (eds.), Instruktion durch Text und Diskurs: Zur Linguistik ‚technischer Texte’, Opladen 1994. Ellen, R. F. (ed.), Ethnographic Research: A Guide to General Conduct, London 1984. Geertz, Clifford, The Interpretation of Cultures - Selected Essays. New York 1993. Göpferich, Susanne, Textsorten in Naturwissenschaft und Technik. 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OBJEKT [Abbildung des Objekts Verbale Beschreibung] OBJEKT INSTRUKTION (Gebrauchsanweisung) Abb. 1: Objekt und Instruktion Gebrauchsanweisungen sind daher instruktive Texte, die nur mit einem dazugehörigen Objekt ihre eindeutige kommunikative Funktion erfüllen (vgl. Abb. 1). Nicht alle Instruktionen sind auch gleichzeitig Gebrauchsan- Objekt Objekt Objekt Objekt Objekt Objekt Objekt Objekt Christiane Andersen 70 weisungen. Jemand kann jemanden mündlich oder schriftlich instruieren, indem man denjenigen über ein besonderes Ereignis in Kenntnis setzt oder in ein soziales Regelsystem einweist oder einfach nur jemanden anleitet, bestimmte Handlungen auszuführen. Die Gebrauchsanweisungen, um die es sich im Folgenden handeln wird, sind immer an bestimmte Objekte gebunden (in unserem Fall sind es Haushaltsgeräte) und diese Art von instruktiven Texten liegen in verschriftlichter Form vor. Erstens soll mit einem kultursemiotischen Ansatz überlegt werden, warum Gebrauchsanweisungen auch im weiteren Sinne als Texte angesehen werden können. Zweitens sollen Gebrauchsanweisungen aus semiotischer Perspektive als Medium betrachtet werden. Am Beispiel von Bildern in ausgewählten Gebrauchsanweisungen wird gezeigt, wie der visuelle Textteil mit dem sprachlichen Textteil korrespondiert. Drittens soll anhand von Beispielen aus Gebrauchsanweisungen exemplarisch gezeigt werden, wie die Dekodierung zwischen sprachlichen und bildlichen Codes durch sprachliche und kulturelle Unterschiede beeinflusst wird. 2 Die Instruktion als Text Eine erste Inbetriebnahme von Haushaltsgeräten wird gewöhnlich mit Hilfe von mitgelieferten Instruktionstexten vorgenommen. Solche Instruktionstexte werden in unterschiedlicher Form hergestellt. Es können Beipackzettel, Broschüren oder Hefte sein, Instruktionstexte können auch in Buchform oder als audiovisuelle Medien (z. B. CD oder DVD) beigelegt oder über das Internet abgerufen werden. Es gibt somit eine große Vielfalt technischer Medien, die als Instruktionstexte genutzt werden können. Ein Instruktionstext soll in formaler Hinsicht als materielles Gebilde angesehen werden, das Zeichen unterschiedlicher Zeichensysteme enthält. Der hier benutzte weite Textbegriff ist zwar aus den Traditionen der Philologie aus einer Vielzahl von Verallgemeinerungen hervorgegangen, er hat aber nur noch wenig mit dem ursprünglichen philologischen und später sprachwissenschaftlichen Textbegriff gemeinsam. Im Rahmen der Kultursemiotik ist ein Textbegriff entwickelt worden, der auch vom Sprachsystem abstrahiert, „[...] so dass heute jedes mehr oder weniger komplexe codierte Zeichentoken >Text< genannt werden kann, gleich ob es ein einzelnes Verkehrszeichen, eine Sequenz von Verkehrszeichen, ein Gemälde, eine Plastik, ein Gebäude, ein Musikstück, ein Tanz oder eine sprachliche Äußerung ist.“ (Posner 2003: 52) Dieser kultursemiotische Textbegriff umfasst zwar auch sprachliche Zeichengebilde aber immer in Relation zu anderen komplexen codierten Zeichentoken (vgl. Rentel 2004, Pankow 1998, Posner 2003). Dann ist alles Text, was intendiert, mit einer Funktion versehen und kodiert ist. Man kann daraus folgernd von einem Text sprechen, „[...] wenn etwas ein Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext 71 Artefakt ist und in einer Kultur nicht nur eine Funktion hat, sondern auch ein Zeichen ist, das eine codierte Botschaft trägt, [...]“ (Posner 2003: 51). Danach können aus kultursemiotischer Perspektive nicht nur die Gebrauchsanweisung, sondern auch das Gerät selbst als Text aufgefasst werden, denn es ist ein Artefakt, das mit einer Funktion versehen ist und eine codierte Botschaft trägt. Damit hat die Gebrauchsanweisung die Funktion, die Arbeitsweise eines Geräts, d. h. seine codierte Botschaft, zu erklären. Viele Haushaltsgeräte sind so kompliziert, dass ihre Funktion nur durch bloße Betrachtung und ohne instruktiven Text nicht verstanden wird, d. h. sie sind nicht ohne weiteres lesbar. Die im Weiteren zu betrachtenden Gebrauchsanweisungen sind nicht nur im traditionellen Sinne Texte, weil hier Sprachliches verschriftlicht wurde. Sie sind auch materielle Gebilde aus meist weißem Papier, die in Form eines gefalteten Blattes (bzw. mehrerer Blätter) oder einer Broschüre der Verpackung des Haushaltsgerätes beigelegt werden. Der europäische Verbraucher erhält gewöhnlich die Gebrausanweisung als Broschüre, die eine Instruktion in mehreren Sprachen enthält. Beispielsweise ist in einer ca. 60seitigen Bedienungsanleitung für eine Kaffeemaschine eine Bedienungsanleitung auf Deutsch und noch in 17 weiteren Sprachen enthalten. Man kann sagen, dass eine Textfunktion, in diesem Fall die Instruktion, in verschiedene Texte dieser Kulturen umgesetzt wurde. Für den einzelnen Verbraucher sind solche Broschüren meistens eher unhandlich, denn es wird ja immer nur ein Text benötigt, obwohl Texte für verschiedene Kulturen bereitgestellt werden. Häufig bleiben Bilder (Fotos, Abbildungen, Piktogramme, graphische Zeichen u. a.), Schriftsatz und graphische Gestaltung unverändert. 3 Die Instruktion als Medium Bisher ist gesagt worden, dass in einer Gebrauchsanweisung die Arbeitsweise eines Gerätes beschrieben wird. Diese Beschreibung hat den Zweck, das Gerät funktionsgerecht verwenden zu können. Aus dem bereits Angedeuteten und aus eigener Erfahrung wissen wir, dass dies keine einfache Aufgabe für den Textproduzenten ist. Eine Gebrauchsanweisung sollte nur relevante Informationen vermitteln, d. h. nur solche Informationen, die die Arbeitsweise eines Gerätes möglichst für jeden Benutzer eindeutig und problemfrei beschreiben. Man kann auch sagen, dass eine Gebrauchsanweisung ein Medium zwischen dem Geräteproduzenten und dem Benutzer des Gerätes darstellt. Instruktive Texte sind somit eine Art Vermittlungsglied zwischen Geräteproduzenten und Verbrauchern, denn beide Partner sind stark an der Funktionsweise eines Gerätes interessiert. Der Begriff des Mediums wird zwar in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und auch in unterschiedlichen praktischen Anwendungsbereichen sehr häufig benutzt, er ist aber deswegen nicht leichter zu erklären. Daher Christiane Andersen 72 soll kurz auf die Vielfalt und Klassifikation von Medientypen eingegangen werden. Man unterscheidet inzwischen häufig einen biologischen, physikalischen, technologischen, soziologischen, kulturellen, systemischen und strukturellen Medienbegriff (vgl. Hess-Lüttich/ Schmauks 2004: 3488f). Für die Beschreibung der Instruktion als Medium kommen bereits mehrere Medienbegriffe in Frage. Mit Hilfe des technologischen Medienbegriffs, der sich auf die technischen Apparaturen der Zeichenvermittlung und ihre Produkte bezieht, kann man z. B. die Unterschiede einer Gebrauchsanweisung, die als Broschüre und CD oder als Computerprogramm vorliegt, untersuchen. Der kulturelle Medienbegriff (vgl. Hess-Lüttich/ Schmauks 2004: 3489) wird bisweilen auch als funktionaler Medienbegriff (vgl. Posner 2003: 45) bezeichnet. Er charakterisiert die Zeichenprozesse nach dem Zweck der Botschaften und bezieht sich in verallgemeinerter Form auf die Gattung oder Textsorte der übermittelten Botschaft. „Der Kommunikationszweck verleiht den Botschaften unabhängig davon, durch welche biologischen, physikalischen, technischen und sozialen Medien sie laufen, gleichartige Strukturen.“ (Posner 2003: 45) Mit Hilfe des funktionalen Medienbegriffs kann überhaupt erst davon ausgegangen werden, dass wir es bei Gebrauchsanweisungen mit Medien zu tun haben. Gebrauchsanweisungen als Textsorten zu bezeichnen, ist etwas einseitig auf die sprachliche Codierung ausgerichtet, daher ist der Medienbegriff auch für die folgenden Überlegungen vorzuziehen. Weiterhin spielen der systemische und der strukturelle Medienbegriff zur Charakterisierung von Gebrauchsanweisungen eine wichtige Rolle. Während sich der systemische Medienbegriff auf Regeln der Zuordnung von Botschaften und Zeichenträgern bezieht (sprachliche, bildliche, musikalische Codes u. Ä.), wird mit Hilfe des strukturellen Medienbegriffs der semiotische Modus der Zeichenvermittlung untersucht (z. B. ikonische, indexikalische und symbolische Zeichenmodalitäten). Systemischer und struktureller Medienbegriff spielen eine wichtige Rolle bei der Beschreibung von Decodierungsprozessen zwischen den Zeichenträgern und zwischen den Zeichenmodalitäten. Gebrauchsanweisungen sind fast ausschließlich multimedial. Denn sie bestehen fast immer aus sprachlichen und bildlichen Codes. Eine Gebrauchsanweisung ohne Bilder ist kaum vorstellbar, d. h. der visuelle Textteil ist für die Textfunktion der Gebrauchsanleitungen konstitutiv. In der schwedischen Version des EU-Informationsblattes Rådet werden u. a. Richtlinien für Gebrauchsanweisungen von technischen Konsumwaren formuliert, wodurch auch bestätigt wird, dass solche instruktiven Texte kulturelle Medien sind. Es heißt dort u. a. im Abschnitt „Zur Sprache in den Anleitungen“ (Rådet C 411/ 4, vom 17.12.1998), dass die Konsumenten (Empfänger der Instruktionstexte) schnellen Zugang zu Gebrauchsanweisungen in ihrer eigenen EU-Sprache haben sollten, und dass die verschiedenen Sprachversionen getrennt voneinander platziert werden müssten. Die Übersetzungen sollten nur von der Originalsprache ausgehen und die kulturellen Besonderheiten in der Zielsprache beachten. Weiterhin wird auch auf die multi- Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext 73 medialen Charakteristika von Gebrauchsanweisungen hingewiesen, indem im Abschnitt „Vermittlung von Informationen“ darauf aufmerksam gemacht wird, dass Bilder nicht ohne Text verwendet werden sollten, weil Texte oft nicht genügend eindeutig seien (vgl. Rådet C 411/ 4; Übersetzung von der Verf.). 4 Bilder und Instruktion Die meisten Untersuchungen zu Wechselbeziehungen zwischen Bild und Sprache sind an Werbetexten (vgl. dazu ausführlich Rentel 2004) gemacht worden, nicht aber an Instruktionstexten. Das Besondere an Gebrauchsanweisungen sind die Beziehungen zwischen Instruktion und Objekt. Der visuelle Textteil besteht meistens aus Abbildungen des Objekts. Allgemein bedeutet die Eigenschaft „visuell“ das Sehen betreffend. Wenn man diese Eigenschaft auf visuelle Zeichen überträgt, dann sind visuelle Zeichen optische Wahrnehmungsobjekte, die aus einer Einheit von Farbe, Licht und Form bestehen. Bilder sind Darstellungen auf einer Fläche: Es können z. B. alle Arten von Zeichnungen, Skizzen und Fotografien sein. Von Abbildungen spricht man hingegen bei gedruckten Bildern (Illustrationen) in wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Darstellungen. Sie genießen in der Regel den Schutz des Urheberrechts. In der Terminologie der Semiotik sind Bilder unmittelbar und somit in höchstem Grade ikonisch, weil sie das bezeichnete Objekt auf Grund einer Ähnlichkeitsbeziehung repräsentieren. Bilder haben Merkmale, die auch dem bezeichneten Objekt eigen sind, daher werden sie auch als Zeichen (Abbilder) für das entsprechende Objekt interpretiert (vgl. Nöth 2000: 193). In Gebrauchsanweisungen sind zum größten Teil Fotos bzw. Bilder des gesamten Geräts oder Teile von ihm enthalten. Sie spiegeln als Abbilder des Gerätes seine Eigenschaften mehr oder weniger deutlich wieder. Das kann man daran erkennen, dass der Benutzer häufig die Abbildung mit dem Gerät vergleichen möchte. Das Abgebildete wird beim Lesen der Gebrauchsanweisung mit dem realen Objekt ständig in Beziehung gebracht. Anstelle von Fotos werden häufig gezeichnete Bilder mit hervorgehobenen Merkmalen des Geräts in den verbalen Teiltext eingefügt. Solche oft schematischen Zeichen sind sowohl ikonisch, weil sie sich durch eine nahe Realitätsbezogenheit auszeichnen, als auch indexikalisch, da sie auf ein Objekt oder Sachverhalt verweisen. Das Verhältnis zwischen bildlichem und verbalem Teiltext kann als Multimedialität von Gebrauchsanweisungen angesehen werden. Dabei ist zu beobachten, dass in einigen Instruktionstexten der bildliche Textteil überwiegt - meist bei kleineren Geräten mit einfacher Technik. Bei Geräten mit komplizierter Technik ist die verbale Beschreibung und Bedienungsanleitung häufig umfangreicher, die bildlichen Teiltexte beschreiben oft nur Teile des Geräts oder Teile von Bedienungshandlungen, was sich zumindest in der untersuchten Gebrauchanweisung Christiane Andersen 74 gezeigt hat. Dennoch scheint es sinnvoll, auch hier von multimedialen Texten zu sprechen. Um multimediale Instruktionstexte handelt es sich aber auch in solchen Fällen, wo einfache Bildzeichen wie Piktogramme und andere graphische Zeichen, die keine Schriftzeichen sind, auftreten. Zu den Schriftzeichen werden gewöhnlich die graphemischen Zeichen gerechnet. Dazu gehören Buchstaben, Ziffern, Leerstellen und Satzzeichen, Wortteilzeichen usw. Auch die Schriftzeichen sind visuelle Zeichen; doch sind Texte, die nur aus Schriftzeichen bestehen, m. E. noch keine multimedialen Texte. Obwohl es streng genommen semiotisch keine unimedialen Texte geben kann, denn kein Text besteht nur aus Schrift. Schriftzeichen werden durch Schriftträger und Schreibgeräte (Papier, Farbe, Format, Schreibstifte, Computerprogramme usw.) übertragen. Die graphemischen Zeichen werden auch ständig ergänzt durch andere typographische und visuelle Zeichen wie verschiedene Punkte, Asterisken, Zeilen, Absätze, Spalten u. Ä. Als multimedial ist ein Text dann zu bezeichnen, wenn neben der Fixierung von Botschaften durch den sprachlichen Code auch andere Codes verwendet werden. In den hier untersuchten Gebrauchsanweisungen sind es die bildlichen Codes, die zentral sind. In allen von uns untersuchten Gebrauchsanweisungen von Haushaltsgeräten werden die Instruktionsobjekte in irgendeiner Form abgebildet, sei es durch Fotos, Zeichnungen, Skizzen, Grundrisse, Schnittzeichnungen oder durch andere stilisierte bildliche Darstellungen, z. B. durch Piktogramme. Daher sind auch verschiedene Decodierungsprozesse zwischen Sprache und Bildern in beiden Richtungen zu erwarten. 5 Dekodierungsrichtungen zwischen sprachlichen und bildlichen Codes Bisher ist festgestellt worden, dass Gebrauchsanweisungen multimediale Texte sind, in denen meistens (jedoch nicht ausschließlich) sprachliche und bildliche Zeichensysteme zur Anwendung kommen, um die Textfunktion „Instruktion“ umzusetzen. Wenn sprachliche und bildliche Codes verwendet werden, kann auch von bimedialen Texten gesprochen werden. Häufig versteht man in der Semiotik unter einem Code nichts anderes als ein Zeichensystem. Unter dem Einfluss der Informations- und Kommunikationstheorie ist der Codebegriff zu einem Schlüsselbegriff in der Semiotik geworden. In der weiteren Untersuchung von einer Konnexion sprachlicher und bildlicher Codes zu sprechen, scheint deswegen sinnvoll zu sein, weil mit Code nicht nur ein bloßes Zeichenrepertoire gemeint ist, sondern entsprechende Zuordnungsvorschriften zwischen verschiedenen Einheiten der Ausdrucks- und Inhaltsebene einerseits und zwischen mindestens zwei verschiedenen Zeichensystemen andererseits. Ein Code besteht daher aus einer Menge von Signifikanten (im weiteren Sinne: Formen), einer Menge von Signifikaten (im weiteren Sinne: Vorstellungen, Konzepte, Bedeutun- Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext 75 gen) und einer Menge von Regeln, die diese einander zuordnen (vgl. Nöth 2000: 216-226). Für die bimediale Textverknüpfung in Gebrauchsanweisungen heißt es herauszufinden, auf welche Weise die sprachlichen und bildlichen Zeichensysteme einander zugeordnet sind. Die sprachlichen Codes sind in der Linguistik bereits gut beschrieben, während die visuellen Codes weitaus schwieriger zu analysieren sind. Der wichtigste Kontext zu Bildern ist die Sprache. So wie der gedruckte sprachliche Textteil ist das Bild in der Gebrauchsanweisung ein komplexes visuelles Zeichen mit einem zweidimensionalen Medium, der Bild- und Schreiboberfläche. Die Bilder stellen hauptsächlich das Visuelle des Gerätes dar, seine äußere und innere Ansicht, sie können auch seine einzelnen Teile besonders hervorheben. Schwieriger wird es, wenn Bilder andere Sinneseindrücke wie akustische, thermische, olfaktorische und taktile Sinneseindrücke und instruktive Handlungen repräsentieren sollen. Darin ist die Sprache gegenüber den Bildern überlegen. Sie kann alles Bildliche repräsentieren, aber nicht alles sprachlich Repräsentierte kann durch Bilder visualisiert werden (vgl. Nöth 2000: 482). Was die äußere Gestalt eines Objekts betrifft, können durch seine Abbildung in der Regel Informationen komplexer und zeitsparender erfasst werden. Besonders wenn in Gebrauchsanweisungen in mehrere Sprachen übersetzt wird, nimmt das Bild des Objekts in allen seinen Formen eine zentrale Position in der Bedienungsanleitung ein. Die Bauanleitungen vom Möbelhersteller IKEA kommen beispielsweise fast ohne sprachlichen Textteil aus. Im Weiteren sollen die Decodierungsrichtungen nach Bilddominanz und Sprachdominanz untersucht werden. Bilddominanz liegt vor, wenn überwiegend durch das Bild eine Botschaft an den Verbraucher vermittelt wird. 5.1 Bilddominanz In der untersuchten Gebrauchsanleitung für einen Toaster wird seine Bedienung sowohl anhand von 11 Abbildungen in chronologischer Reihenfolge erklärt (Abb. 2) als auch durch einen sprachlichen Textteil, in dem die Instruktion verbalisiert wird. Der Instruktionstext wird in Form eines Faltblatts beigefügt, das neben dem Bildteil die Instruktion auf Deutsch (Ausgangstext) und die Übersetzungen in skandinavische Sprachen und Finnisch enthält. Das Blatt ist so gefaltet, dass der Verbraucher den Bildteil und den Sprachteil gleichzeitig überblicken kann. Die einzelnen Abbildungen des Geräts sind nummeriert und werden im sprachlichen Textteil noch einmal beschrieben. Diese Art eines Instruktionstextes findet man häufig bei Haushaltsgeräten mit einfacher Technik. Christiane Andersen 76 Abb. 2: Bildteil zum Instruktionstext für einen Toaster Zum Problem der Verständlichkeit von Bildern und bildlichen Codes in Gebrauchsanweisungen liegen bisher wenig empirische Untersuchungen vor. Es gibt jedoch inzwischen einige Untersuchungen zur Informationsaufnahme in der kommerziellen Werbung. Sie bestätigen, dass bildlich codierte Informationen, die auf konkret-anschauliche Sachverhalte und reale Objekte bezogen sind, in der Regel besser erinnert werden als verbale (vgl. Beimel/ Maier 1987: 35f). Der vorliegende Bildteil unterscheidet sich von anderen in Gebrauchsanweisungen dadurch, dass hier anhand der einzelnen Abbildungen der gesamte Bedienungsablauf chronologisch dargestellt wird. Die Reihenfolge der Abbildungen ist nicht ohne weiteres austauschbar, denn dann wäre der Bedienungsablauf gefährdet: Die Toastscheiben müssen zuerst eingelegt werden, danach wird der Timer eingestellt und dann erst der Hebel heruntergedrückt, um den Toaster in Betrieb zu setzen. Der Ablauf von Bild 1 bis 3 kann demnach nicht umgekehrt werden. Die einzelnen Bedienungshandlungen müssen nacheinander in einer bestimmten Reihenfolge stattfinden, Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext 77 wenn das Gerät richtig funktionieren soll. Daher wird davon ausgegangen, dass der bildliche Textteil eine Art narrativer Struktur aufweist. Um nachvollziehen zu können, inwieweit Bilddominanz vorliegt, ist eine Befragung von 16 potenziellen Verbrauchern vorgenommen worden. Es sollte kurz aufgeschrieben werden, welche Handlung (evtl. mehrere) auf jeder Abbildung des Toasters visualisiert wird. ABBIL- DUNG FALSCHE DEKODIERUNG. IN PROZENT VON 16 BEFRAGTEN (100 %) 1 6 2 12 3 25 4 0 5 19 6 62 7 25 8 0 9 19 10 6 11 37 Abb. 3: Auswertung der Befragung Hierbei ist noch zu bemerken, dass die Befragten sowohl Deutsch als auch Dänisch und Schwedisch als Muttersprache haben. Toaster sind kulturelle Artefakte und können bei allen Befragten als bekannt vorausgesetzt werden. Damit wird auch angenommen, dass die bildlichen Codes im Unterschied zu den sprachlichen für die Befragten sehr ähnlich, wenn nicht sogar gleich sind. In der Auswertung hat sich gezeigt, dass alle Befragten aus ihrer Sicht nur die Bilder 4 und 8 (vgl. Abb. 2 und 3) mit dem sprachlichen Teil adäquat beschrieben haben. Der Wortlaut zu den Bildern ist folgender: „Wenn der Toast fertig ist, springt er hoch, und das Gerät wird automatisch ausgeschaltet (Bild 4). När brödet är färdigt ‚hoppar det upp’ automatiskt och brödrösten stängs av, fig 4.“ „Krümel aus dem Toaster entfernen: Ziehen Sie zuerst den Stecker aus der Steckdose (Bild 8). Att tömma ut brödsmulor ur brödrosten: Drag först ut stickproppen ur vägguttaget, fig. 8.“ Die Pfeile in Bild 4 (vgl. Abb. 2) sind deutlich an den Teilen des Toasters platziert, wo auch die Handlungen vollzogen werden. Außerdem wird bereits im Bild 3 durch den Pfeil nach unten gezeigt, wie die Brotscheiben ein- Christiane Andersen 78 gelegt werden müssen. Damit entsteht eine chronologische Handlungskette. Bei Bild 8 haben einige Befragte auch hinzugefügt, dass „die Krümel aus dem Toaster“ entfernt werden können, obwohl diese Handlung im Bildteil noch nicht ersichtlich ist. Hier erklären wahrscheinlich sowohl kulturelle Faktoren als auch der narrative Ablauf in den Abbildungen diesen Umstand. Am wenigsten wurden die Handlungsabläufe in den Bildern 6 und 11 verstanden. Die entsprechenden sprachlichen Abschnitte lauten: „Das Toasten kann unterbrochen werden, indem sie den Schiebeschalter heraufdrücken (Bild 6). Om så önskas kan röstningen avbrytas manuellt genom att skjuta upp nedsänkningstangenten, fig 6.“ „Das Gerät lässt sich an beiden Griffen leicht transportieren (Bild 11) Du kann bära brödrösten med hjälp av handtagen i underkanten, fig 11.“ Die Handlungen TOASTEN, UNTERBRECHEN und TRANSPORTIEREN (Bild 6 und 11 in Abb. 2) sind selten durch ein einzelnes Bild identifiziert worden. Im Bild 11 scheint der Pfeil nach oben in Richtung des Toasters nur die Handlung ANHEBEN zu beschreiben nicht aber den Abtransport des Geräts. In den zugeordneten sprachlichen Teilen werden weitere Handlungen beschrieben, die nicht im Bildteil enthalten sind, d.h. der sprachliche Teil disambiguiert in solchen Fällen erwünschte anweisende Handlungen, die nicht ohne Weiteres aus dem Bild ersichtlich sind. Weiterhin ist bemerkt worden, dass das Bildverständnis trotz verschiedener Muttersprachen sehr einheitlich war, obwohl der sprachliche Teil im Deutschen und Schwedischen unterschiedlich realisiert wurde. Man kann daher sagen, dass der Bildteil in der Bedienungsanleitung des Geräts relative Autonomie aufweist. Abgesehen von einigen sprachsystematischen Unterschieden, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, unterscheidet sich die schwedische Übersetzung dadurch, dass der Übersetzer offensichtlich noch weitere kulturelle Faktoren mit in Betracht gezogen hat. Dabei wird entweder konkretisiert oder auch verallgemeinert, je nachdem, wie es der Übersetzer für angemessen hält, z. B.: leichte Bräunung... ljus rostning, för små brödskivor... (Hinzufügung: „kleine Brotscheiben“) mittlere Bräunung... „normal“ rostning („normal“ in Anführungszeichen) ... bis zum Anschlag angehoben werden... skjuta upp... ytterligare en liten bit (Hinzufügung: „noch ein bisschen“) Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext 79 ... lässt sich an den beiden Griffen leicht transportieren... bära ... med hjälp av handtagen i underkanten (Hinzufügung: „an der Unterseite“) Obwohl im vorliegenden Instruktionstext Bilddominanz vorliegt, ist der sprachliche Teil auch ohne Bildteil eindeutig zu verstehen, außerdem sind im Sprachteil weitere Informationen über die einzelnen Teile des Geräts und seine Bedienung enthalten. 5.2 Sprachdominanz Eine Bedienungs- und Montageanleitung eines Einbau-Backofens liegt als ca. 30-seitige Broschüre auf Deutsch und als Übersetzung in u.a. skandinavischen Sprachen vor. Der Instruktionstext ist deutlich sprachdominant. Der sprachliche Teil ist anteilmäßig umfangreicher als die einzelnen Bildteile. Obwohl es insgesamt 34 Bilder gibt (die Toasterinstruktion hatte einen abgegrenzten Bildteil mit nur 11 Bildern), wird das Gerät nicht ein einziges Mal in seiner gesamten Innen- und Außenansicht abgebildet, wie es in Instruktionstexten kleinerer Geräte mit einfacher Technik üblich ist. Die Bildteile sind außerdem durchweg in den sprachlichen Teil integriert. Als reine Ergänzung zum sprachlichen Teil taucht eine Gesamtabbildung des Geräts gleich zu Anfang der Bedienungsanleitung auf. Sie dient lediglich als schmückende Beigabe und wird im sprachlichen Teil nicht wieder aufgenommen. 1 Die einzelnen Bildteile sind durchgehend schematische Zeichnungen von Teilansichten des Backofens, die zur Illustration des so gut wie autonomen sprachlichen Textteils dienen. Der bildliche Textteil weist im Unterschied zur Toasterbeschreibung keine narrativen Strukturen auf, sondern ergänzt durch seine bildlichen Codes die verbale Beschreibung von Teilobjekten und Zuständen. Das heißt aber nicht, dass die sprachliche Beschreibung immer disambiguierend ist. Zwar sind die Informationen aus den Bildteilen vergleichbar mit denen aus dem sprachlichen Teil, es ergibt sich aber in den Zuweisungen von Sprache und Bild eine komplizierte Wechselwirkung zwischen bildlichen und sprachlichen Codes auf der Mikroebene des Instruktionstextes, die auch noch in der Übersetzung des sprachlichen Teils unterschiedlich realisiert wird. Am Beispiel der Übersetzung des sprachlichen Teils ins Schwedische wurden einige Codierungsrichtungen zwischen Bild und Sprache etwas genauer betrachtet. 1 Kalverkämper spricht von gleichwertigen (textintegrierten), überwertigen (textdominierenden) und unterwertigen (textergänzenden) Beziehungen zwischen Text und Bild (vgl. Kalverkämper 1993: 223). Ich schließe mich dieser Unterscheidung an, spreche aber immer von Sprache und Bild. Christiane Andersen 80 5.2.1 Codierungsrichtungen zwischen Begriff und Bild Im Instruktionstext für den Backofen sind für die Garebenen, auf denen die Backbleche eingeschoben werden, verschiedene Begriffe verwendet worden. In der deutschen Bedienungsanleitung werden Einschubhöhe (3 Belege), Einschubleiste (4 Belege), Einschubebene (1 Beleg) und Ebene (2 Belege) und in der schwedischen Übersetzung nivå (2 Belege), steg (2 Belege), våning (2 Belege), fals (2 Belege) und läge (1 Beleg) verwendet. 2 Die deutschen Bezeichnungen eines Geräteteils sind in acht von zehn Fällen ein Kompositum mit der Bestimmung Einschub-, die in der schwedischen Übersetzung keine Entsprechung hat. Sie sind expliziter als die schwedischen, ermöglichen ein eindeutigeres Verstehen und beugen daher Ambiguität vor. Einschubhöhe impliziert, dass etwas an einem gewissen Punkt auf einer vertikalen Skala eingeschoben wird. Damit wird ein assoziativer Bezug zu dem, was eingeschoben werden kann (z. B. ein Backblech) und dem, worin etwas eingeschoben wird (Rillen im Backofen), hergestellt. Bei dem allgemeinen schwedischen Begriff nivå (dt. Ebene) hingegen, wird die Bedeutung nicht in eine bestimmte assoziative Richtung gelenkt. 3 Der schwedische Leser ist hier auf den bildlichen Kontext angewiesen. In der schematischen Zeichnung, die sich direkt neben dem sprachlichen Textteil befindet, sind drei Backbleche in der Ofenröhre abgebildet. Die Rillen, in denen die Backbleche stecken, sind deutlich sichtbar. So kann die Ebene (schw. nivå) eindeutig identifiziert werden. Der Bildteil ist für den schwedischen Leser eine wichtige komplementäre Ergänzung, für den deutschen Leser ist er eher illustrierend, weil der deutsche Terminus präziser ist. Die deutschen Begriffe sind im Unterschied zu den schwedischen kontextautonomer, denn sie sind terminologischer, während in der schwedischen Übersetzung Lexik aus dem allgemeinen Sprachgebrauch u. a. auch metaphorisch verwendet wird wie steg (dt. Schritt, Stufe) und våning (dt. Etage, Stockwerk). An einigen Stellen wurde in der schwedischen Übersetzung auf korrespondierende Begriffe ganz verzichtet und stattdessen der Sachverhalt aus einer anderen Perspektive beschrieben, z. B.: Bei dieser Betriebsart können Sie nur auf einer Ebene backen. Med denna funktion kann man bara grädda en plåt i taget. (dt. ein Blech nach dem anderen) 2 Die Belege und die folgenden Überlegungen gehen auf eine Semesterarbeit von Carl- Johann Lind zurück (vgl. Lind 2004). 3 Der Begriff Ebene wird wenig und erst dann verwendet, nachdem Einschubebene eingeführt wurde. Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext 81 Durch eine Paraphrasierung des Sachverhalts im Schwedischen tritt damit eine Disambiguierung durch den verbalen Textteil ein. Die Explizitheit der deutschen Begriffe unterstützt die Autonomie des verbalen Textteils, während durch die Verwendung von Lexik aus dem allgemeinen Sprachgebrauch im Schwedischen der Bildteil eine wichtige komplementäre Ergänzung darstellt. Doch sind in der schwedischen Übersetzung auch Codierungsstrategien nachzuweisen, die den sprachlichen Teil vom bildlichen weitgehend unabhängig machen. Diese Beispiele zeigen auch deutlich, dass Decodierungsprozesse zwischen Sprache und Bild weitaus komplizierter sind, als bisher allgemein angenommen. Es lässt sich eben nicht alles allein auf indexikalische Verweisrelationen zurückführen. 4 5.2.2 Intermediale Textverknüpfung bei Sprachdominanz In Gebrauchsanweisungen findet man häufig symbolische und ikonische Zeichen, die direkt in die lineare Kette der graphemischen Zeichen eingebaut sind. Oft sind es Symbole und Ikone, die bereits auf dem Gerät vorhanden sind: beispielsweise auf dem Display mit Bedienelementen von elektronischen Geräten u. Ä. In vielen Instruktionstexten ist der sprachliche Teil völlig von symbolischen und ikonischen Zeichen durchwachsen. Die Symbole sind so in den Satz integriert, dass sie anstelle der Lexeme stehen, d. h. für sie ist aus Gründen der Platz- und Zeitersparnis keine verbale Paraphrasierung vorgenommen worden. An einigen Stellen der Bedienungsanweisung eines DVD-Players überwiegen sogar die Symbole, was zumindest in der deutschen Instruktion zu Verstehensproblemen führen dürfte. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die Symbole sind hier Stellvertreter von Begriffen: Der Benutzer soll mit einer Taste an einer Stelle (Adverbial) etwas (Objekte) auswählen. Die Begriffe sind durch die Symbole nicht sofort eindeutig zu ermitteln. In der schwedischen Übersetzung ist die Zuordnung der Symbole im Satz möglicherweise etwas einfacher, weil die Infinitivgruppe för att välja (dt. um auszuwählen) vor den Objekten erscheint. Die Einbettung von Symbolen und Ikonen in die Verbalketten wird in den Übersetzungen unterschiedlich realisiert. Solche Unterschiede sind sowohl kulturell als auch sprachsystematisch determiniert. Eine eingehende Untersuchung auch für andere intermediale Textformen steht hier noch aus. 4 Im Forschungsbereich Computergraphik und Simulation ist die Frage, wie der Verbalisierungsprozess des Benutzers in interaktiven Visualisierungssystemen beeinflusst werden kann, von entscheidender Bedeutung für die Gestaltung der Visualisierung. Eine Verbalisierung wird vor allem in Anwendungen durchgeführt, bei denen das Betrachten eines Bildes zu einer bewussten kognitiven Handlung führt. Ein Beispiel ist die Verwendung von Instruktionen. Hier müssen Benutzer Erkenntnisse aus Bildern gewinnen, in bereits vorhandenes Wissen einordnen und Schlussfolgerungen ziehen (vgl. Strothotte/ Preim 1998: 33-46). Die daraus resultierenden Forschungsergebnisse könnten auch für Sprache-Bild-Beziehungen in Instruktionstexten genutzt werden. Christiane Andersen 82 Symbole und Ikone können ohne verbale Explikation oder auch mit verbalen Paraphrasierungen eingebettet werden. So dienen im Instruktionstext des Einbaubackofens die mit Plusbzw. Minuszeichen gekennzeichneten Tasten der Zeitprogrammierung. In der deutschen Instruktion werden die Plus- und Minussymbole entweder mit dem Lexem Taste zu einem Kompositum bebildet, oder Taste wird dem Symbol vorangestellt. Beides sind explizite verbale Einbettungen: Je länger sie bei der Zeitprogrammierung auf die + bzw. - Taste drücken, desto schneller läuft die Zeit im Display ab. Falsch programmierte Werte können sie durch gleichzeitiges Drücken der Tasten + und löschen. In der schwedischen Übersetzung stehen die Plus-Minus-Symbole als selbstständiges Lexem und in Anführungszeichen: Ju längre du trycker på „+“ eller „-“ när du programmerar tillagningstiden, desto snabbare visas tiden på displayen. Im Deutschen werden Genus, Numerus und Kasus durch den freistehenden Artikel markiert, im Schwedischen, das den definiten Artikel als Suffix am Substantiv realisiert, sind Kasus und Genus seltener gekennzeichnet. Das könnte eine sprachsystematische Erklärung dafür sein, warum Symbole in die schwedische Satzstruktur ohne verbale Einbettung leichter integriert werden. In der Backofeninstruktion steht in der deutschen Bedienungsanleitung neben dem Ikon häufig eine explizite Erklärung in runden Klammern. Solche Unterschiede in den Übersetzungen zeigen, dass Einbettungen von Symbolen und Ikonen in den verbalen Textteil von kulturellen Faktoren abhängig ist. Der Übersetzer ist sich durchaus der Bimedialität des Instruktionstextes bewusst und bemüht, dem Leser das Verständnis zu erleichtern. Die Erstellung von multimedialen Texten ist aber nicht ausreichend konventionalisiert bzw. normiert, so dass häufig verschiedene Explikationsstrategien im gleichen Instruktionstext verwendet werden. 6 Ergebnisse und Perspektiven Die Untersuchung hat den multimedialen Ansatz von instruktiven Texten aus semiotischer Perspektive als besonders produktiv hervorgehoben. Es hat sich deutlich gezeigt, dass die Funktion von instruktiven Texten im weiteren Sinne und Gebrauchsanweisungen von Haushaltsgeräten im engeren Sinne nur über ihre multimedialen Eigenschaften komplex beschrieben werden Decodierungsprozesse zwischen verbalem und visuellem Teiltext 83 kann. Folgende Beschreibungsansätze haben sich dabei als produktiv erwiesen: 1. Nicht nur die Gebrauchsanweisung, sondern auch das Gerät selbst ist aus kultursemiotischer Perspektive als Text aufzufassen, denn sie sind Artefakte, die mit einer Funktion versehen sind und eine codierte Botschaft tragen. Damit hat die Gebrauchsanweisung die Funktion, die Arbeitsweise eines Geräts, d. h. seine codierte Botschaft, zu erklären. Viele Haushaltsgeräte sind so kompliziert, dass ihre Funktion nur durch bloße Betrachtung und ohne instruktiven Text nicht verstanden wird, d. h. dass sie nicht ohne weiteres lesbar sind. Die Gebrauchsanweisung ist damit das verschriftlichte Bindeglied zwischen Instruktion und Objekt. 2. Gebrauchsanweisungen fungieren wie ein Medium zwischen dem Geräteproduzenten und dem Benutzer eines Gerätes. Instruktive Texte sind somit eine Art Vermittlungsglied zwischen Geräteproduzenten und Verbrauchern, denn beide Partner sind an der Funktionsweise eines Gerätes interessiert. 3. Gebrauchsanweisungen sind multimediale Texte, d. h. zumindest der visuelle Textteil ist für die Textfunktion der Gebrauchsanleitungen konstitutiv. Dabei konnte beobachtet werden, dass in einigen Instruktionstexten der bildliche Textteil überwiegt - meist bei kleineren Geräten mit einfacher Technik. Bei Geräten mit komplizierter Technik ist die verbale Beschreibung und Bedienungsanleitung umfangreicher, die bildlichen Teiltexte beschreiben oft nur einzelne Teile des Geräts oder Bedienungsteilhandlungen. Sprachdominanz und Bilddominanz sind Hauptperspektiven der Vermittlungsfunktion. 4. In Gebrauchsanweisungen sind häufig symbolische und ikonische Zeichen gefunden worden, die direkt in die lineare Kette der graphemischen Zeichen eingebaut sind. Hier wird von intermedialer Textverknüpfung gesprochen. Diese Einbettung von Symbolen und Ikonen in den sprachlichen Textteil wird in den Übersetzungen unterschiedlich realisiert. Solche Unterschiede sind sowohl sprachlich als auch kulturell determiniert. Kulturelle Unterschiede ergaben sich auch im sprachlichen Teil im Zusammenhang mit der Decodierung von Bildern. Instruktionstexte wie Gebrauchsanweisungen sind bekanntlich in der alltäglichen Kommunikation eine häufig verwendete Textsorte, die mehr als andere besonders im internationalen Austausch missverstanden werden können. Die Ursachen dafür, das hat die vorliegende Untersuchung recht deutlich gezeigt, sind sehr komplexer theoretischer und praktischer Natur. Die Codierung des sprachlichen Teils ordnet sich häufig multimedialen Prinzipien unter. Diese Einsicht müsste besonders bei Übersetzungen mehr berücksichtigt werden. Christiane Andersen 84 7 Literaturverzeichnis Androutsopoulos, Jannis, Zur Beschreibung verbal konstituierter und visuell strukturierter Textsorten. Das Beispiel Flyer, in: Fix, Ulla/ Wellmann, Heinrich (Hrsg.), Bild im Text - Text im Bild, Heidelberg 2000, 343- 368. 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Innerhalb dieses Rahmens möchte ich mit meinem Beitrag das Augenmerk auf die Ermittlung des in solchen Texten vermittelten Wissens richten, verstanden als den deklarativen Textinhalt, d. h. die im Text gegebenen Informationen über Gegenstände und Zusammenhänge in der Welt. Dabei stehen der Vergleich des Inhalts unterschiedlicher Sprachversionen derselben Gebrauchsanleitung und die darauf aufbauende Untersuchung des Effekts von Unterschieden im Mittelpunkt. Die praktische Analyseaufgabe, die ich mir in dieser Arbeit stelle, besteht darin zu bestimmen, inwiefern unterschiedliche Sprachversionen einer Gebrauchsanleitung inhaltlich identisch oder so sehr ähnlich sind (trotz formeller Unterschiede in der Realisierung), dass sie zu ähnlichen Wissensstrukturen bei ihren jeweiligen Lesern führen können. Dabei möchte ich mich mit dem Einfluss der eigentlichen Formulierungen auseinandersetzen und sehen, wie weit ein solcher textorientierter Ansatz trägt. Mit dem vermittelten deklarativen Inhalt der einzelnen Gebrauchsanleitungen wird das Thema des Verstehens ins Visier genommen. Damit klingt der Bereich der linguistisch orientierten Untersuchung von Kognition als mentalen und sozialen Prozess und von Kognitionsprodukten (= Einsichten) an. Dies ist ein weites Feld, von dem im begrenzten Rahmen dieses Beitrags natürlich nur ein kleiner Zipfel behandelt werden kann. Innerhalb des generellen Bereichs von Verstehen als Zusammenspiel zwischen Text, individueller Kognition und sozialer Kognition habe ich deshalb hier gewählt, mich auf den Bereich des Textes und seiner Beschreibung in kognitionsrelevanten Termini zu konzentrieren. Die Untersuchung von Gebrauchsanleitungen als Textsorte hat gezeigt, dass diese Texte funktional eindeutig sind, und zwar dominant instruktiv (z. B. Göpferich 1995: 203; Nickl 2001: 19, 33-34). Im Prinzip ist es deshalb recht einfach zu testen, inwiefern ein bestimmter relevanter Inhalt durch eine bestimmte Formulierung vermittelt wird. Unter der Annahme nämlich, dass der relevante Inhalt der Formulierungen hauptsächlich zur Wirksamkeit der Instruktion beiträgt, muss lediglich getestet werden, ob die Leser nach der Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 87 Rezeption des Instruktionstextes in der Lage sind, die gewollte Handlung auszuführen (Stichwort Usability Testing). Solche Usability Tests werden auch regelmäßig für die Überprüfung der instruktiven Effizienz von Gebrauchsanleitungen eingesetzt. Nun enthalten Gebrauchsanleitungen aber nicht nur explizit instruktive Textteile, sondern auch solche, die ihrer Form nach informativ sind (Nickl 2001: 245-46). Bei einer Gruppe von diesen Textteilen handelt es sich dabei um informative Teiltexte, die instrumental in Bezug auf die übergeordnete instruktive Funktion der Anleitung sind, indem sie Informationen erteilen, die für die korrekte oder sichere Anwendung des Geräts notwendig sind. Solche informativen Teiltexte können im Kontext der Gebrauchsanleitung als indirekte Instruktionen interpretiert werden, obwohl es sich formal um informative Textteile handelt (Aitken 2002a; Aitken 2002b: 100-101). Aus dieser Perspektive ließe sich wiederum über ein Usability Testing ermitteln, inwiefern sie ihre indirekte instruktive Funktion erfüllen. Das Augenmerk läge dann aber wiederum auf der Funktion und nicht auf der inhaltlichen Grundlage dafür, wie die Funktion erzielt wird. Bei der zweiten Gruppe von informativen Teiltexten, die eine werbende Funktion haben (Göpferich 1995: 278, 285; Nickl 2001: 257), kommt das Usability Testing gänzlich zu kurz. Solche Textteile haben nämlich weder direkt noch indirekt eine instruktive Funktion, sondern vermitteln Informationen über den Gegenstand der Instruktion, die für die positive Einschätzung dieses Gegenstandes relevant sind. Bei beiden Typen von informativen Teiltexten gibt es somit gute Gründe, nach Untersuchungsmethoden zu suchen, die das Augenmerk auf den vermittelten deklarativen Inhalt richten, um relevante Aspekte des Textes abschätzen und Sprachversionen sinnvoll vergleichen zu können. Als Ansatz für eine solche Aufgabe, dessen methodischer Wert hier zu prüfen ist, ist der Ansatz der semantischen Netzwerke ausgewählt worden, wie er von Gerzymisch-Arbogast und Mudersbach als Teil ihres umfassenden methodologischen Ansatzes zum wissenschaftlichen Übersetzen entwickelt worden ist (siehe insbesondere unten Abs. 2.2). Die Wahl ist auf diesen Ansatz gefallen, weil er recht textnah ist (und somit voraussichtlich den Textinhalt genau wiedergeben kann) und weil er von seinen Entwicklern u. a. für den Vergleich von Übersetzungen und Ausgangstexten verwendet worden ist und somit für den interlingualen Vergleich von Texten in Bezug auf ihre inhaltliche Übereinstimmung geeignet erscheint. Die Wahl des Ansatzes wird in Abs. 2 erstens durch eine Sichtung von alternativen Untersuchungsmethoden und ihren Merkmalen begründet. Zweitens enthält dieser Absatz eine detailliertere Darlegung der relevanten Merkmale des Ansatzes, der dann in Abs. 3 für den Vergleich von Sprachversionen eingesetzt wird. Im letzten Teil des Beitrags (Abs. 4 und 5) soll dann aus methodischer Sicht erörtert werden, welche Rolle die semantischen Netzwerke, die durch die Methode erfasst werden, als Beschreibungsinstrumente für die Beschreibung der erwähnten Relation zwischen Text und Individualkognition spielen können, und wo die Grenzen des Ansatzes liegen. Ich werde dabei aus Jan Engberg 88 methodenkritischer Sicht auf der Grundlage des Analysebeispiels den folgenden Fragen nachgehen: Worüber sagen semantische Netzwerke etwas aus? Welche Teile des menschlichen Kognitionsprozesses sind für eine Bewertung von Gebrauchsanleitungen relevant? In welchem Maße Stimmen diese beiden Punkte überein? Der Beitrag beinhaltet somit sowohl einen analytischen (Abs. 2-3) als auch einen methodenkritischen Teil (Abs. 4-5). 2 Ansätze zur Untersuchung der Formulierung von Gebrauchsanleitungen 2.1 Abgrenzung des Ansatzes gegenüber verwandten Ansätzen Schon in den 80er Jahren wurden für die Untersuchung der inhaltlichen Struktur von Fach- und Gebrauchstexten Ansätze entwickelt, die ihr Augenmerk auf die Relation zwischen Umgebungssituation und Text gerichtet haben. Es handelte sich dabei primär um Ansätze, die mithilfe der Annahmen der Speech Act Theory oder anderer sprachhandlungsorientierter Theorien Texte als Produkte kommunikativer Handlungen untersuchten. Eine frühe einschlägige Arbeit stellt Brandt et al. (1982) dar, in der die hierarchische Handlungsstruktur von Geschäftsbriefen und ihre sprachliche Realisierung untersucht werden. Ebenfalls früh an Handlungsstrukturen von Fachtexten interessiert ist Rothkegel gewesen (z. B. Rothkegel 1984). Ihr Interesse galt zwar ursprünglich solchen Texten, die wie staatliche Abkommen die Interaktion zwischen vom Text betroffenen Parteien regeln. In neuerer Zeit (z. B. Rothkegel 2005) hat sie ihren Ansatz aber auch auf Gebrauchsanleitungen übertragen. Sie beschäftigt sich dabei mit dem Zusammenhang zwischen dem Weltwissen über die Handlung, über die es anzuleiten gilt, und der funktionalen Struktur des Textes. Zur selben Familie der Ansätze gehören auch Arbeiten, die Gebrauchsanleitungen aus der Perspektive der Fachtextsortenforschung, d. h. aus der Perspektive funktionaler und situationaler Ähnlichkeiten beschreiben. Einschlägige Beispiele sind hier die Arbeiten von Göpferich (1995), die Gebrauchsanleitungen in ein umfassendes System von Textsorten auf der Grundlage pragmatischer und sprachlicher Kriterien einordnet, und von Nickl (2001), der sich mit der geschichtlichen Entwicklung der Textsorte und darunter auch seiner funktionalen Makrostruktur beschäftigt. Allen genannten Arbeiten ist gemeinsam, dass sie in der Weise textorientiert sind, dass sie ihren Ausgangspunkt in der hierarchischen Struktur von Texten nehmen und diese beschreiben und erklären. Sie sind aber gleichzeitig auf die funktionale Perspektive konzentriert und beschäfti- Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 89 gen sich folglich nicht zentral damit, wie der deklarative Inhalt des Textes genau aussieht. Als Kandidaten für die hier gestellte Aufgabe der Untersuchung von auch inhaltlicher Übereinstimmung von Sprachversionen sind sie somit nicht optimal. Nach ihrer Bezeichnung könnten Ansätze für unseren Zweck interessant sein, die sich mit der so genannten Informationsstruktur beschäftigen. Dabei stellt sich aber bei einer genaueren Sichtung heraus, dass es sich bei diesen Ansätzen eher um Strukturdenn um Inhaltsaspekte im hier relevanten Sinne handelt. Es handelt sich entweder um syntaktisch orientierte Ansätze, mit denen z. B. die Thema-Rhema-Verteilung, also die Verteilung neuer und alter Elemente im Satz, untersucht und beschrieben wird (Hoffmann 2000: 344-349). Wegen seiner Syntax- und somit Satz- und Form-Orientierung ist dieser Ansatztyp für unsere Zwecke nicht optimal geeignet. Oder aber es handelt sich um textbezogene Ansätze, die sich z. B. mit der thematischen Entfaltung befassen (Hoffmann 2000: 352-354). Auch diese letztgenannten Ansätze sind stärker an der Verteilung inhaltlicher Elemente im Text als an der eigentlichen inhaltlichen Beschreibung solcher Elemente interessiert. An das Zusammenwirken von Textoberfläche und erfasster Bedeutung interessiert ist der Ansatz der Makropropositionen (van Dijk 1980). Hier liegt das Augenmerk darauf zu erklären, wie eine regelgeleitete Erfassung des Gesamtthemas eines Textes mithilfe paraphrasierender Reduktionen aussehen könnte. Damit ist der Ansatz eher an reduzierenden Paraphrasen als an einer Erfassung des detaillierten Beitrags von Textelementen interessiert. Darüber hinaus liegt im Ansatz das Hauptgewicht auf der Erfassung der so genannten Makroregeln, nach denen die Paraphrasen erstellt werden. Auch dieser Ansatz ist somit für unsere hiesige Aufgabe nicht optimal geeignet. Und schließlich gibt es eine Reihe von Arbeiten, in denen zwar Texte aus einer Verstehens- und damit auch Vermittlungsinhaltsperspektive untersucht werden, ohne jedoch zentral den im Text enthaltenen Bedeutungsgehalt zu erfassen. Vielmehr geht es dabei darum, das Hintergrundwissen zu erschließen, das benötigt wird, um besonders einen Fachtext sinnvoll zu verstehen, und die Spuren dieses Hintergrundwissens im Text zu beschreiben. Diese Ansätze beschäftigen sich zwar mit der Schnittstelle Text - Individualkognition, aber aus der Perspektive des Individuums und nicht aus der Perspektive des Textes. Ein Beispiel für eine Arbeit, die dieses Ziel hat, ist die von Rothkegel ( 2000). Sie beschäftigt sich mit der Beschreibung und dem interlingualen Vergleich der Handlungsstruktur einer Apothekenanzeige und bezieht als relevantes Hintergrundwissen das Objektwissen über medizinische Produkte ein (Rothkegel 2000: 195-96). Es handelt sich nicht um eine Beschreibung des im Text enthaltenen Wissens im eigentlichen Sinne, sondern um das Hintergrundwissen, das als Grundlage für das (funktional orientierte) Verstehen des Textes anzunehmen ist. Das Interesse dieser Arbeiten an der Darstellung des tatsächlich durch den Text vermittelten Jan Engberg 90 Inhalts ist damit zu gering, um sie als für die vorliegende Aufgabe optimal geeignet einzuschätzen. Meine Sichtung existierender Arbeiten hat ergeben, dass keiner der bisher genannten Ansätze für die aufgestellte Analyseaufgabe absolut geeignet ist. Es gibt aber einen Ansatz, der sowohl der Anforderung nach Textnähe als auch der Anforderung nach Fokus auf dem tatsächlichen Textinhalt genügt, und zwar der Ansatz der textbasierten semantischen Netzwerke. Diesen wollen wir im nächsten Abschnitt genauer vorstellen. 2.2 Semantische Netzwerke Semantische Netzwerke werden mindestens seit Quillian (1967) im Rahmen der Erforschung Künstlicher Intelligenz eingesetzt. Sie werden zur Darstellung von Relationen zwischen Begriffen mit Bedeutung für das Textverstehen benutzt: A semantic network or net is a graphic notation for representing knowledge in patterns of interconnected nodes and arcs. Computer implementations of semantic networks were first developed for artificial intelligence and machine translation, but earlier versions have long been used in philosophy, psychology, and linguistics. What is common to all semantic networks is a declarative graphic representation that can be used either to represent knowledge or to support automated systems for reasoning about knowledge (Sowa 2006). Wesentlich für unsere Zwecke ist hier, dass es sich um graphische Notationen von Wissensmustern handelt, die zur Repräsentation von Wissen verwendet werden. Innerhalb der Künstlichen Intelligenz wird dieses Repräsentationsverfahren besonders verwendet, um das Grundlagenwissen zu strukturieren, das beim Verstehen von Texten und beim Argumentieren darin zum Einsatz kommt. Mit seinem grundlegenden Kategorien-Inventar (concepts, named relations, modifiers, Fisher/ Hoffman 2005: 2) ist der Ansatz aber eng genug an die Grundstrukturen der sprachlichen Kommunikation aus linguistischer Sicht angelehnt, um auch für die Darstellung von vermitteltem Inhalt in Texten eingesetzt zu werden. 1 Ein entsprechendes für den übersetzungsrelevanten Vergleich von Textinhalten angepasstes Verfahren ist das Modell der semantischen Netze von Gerzymisch-Arbogast und Mudersbach, wie es zuerst in Mudersbach/ Gerzymisch-Arbogast (1989) vorgestellt wurde (siehe dazu auch Gerzymisch-Arbogast 1994; Gerzymisch-Arbogast 1996; Gerzymisch- Arbogast/ Mudersbach 1998; Gerzymisch-Arbogast 1999). Ihr Verfahren basiert grundsätzlich auf den Annahmen der Dependenzgrammatik: Aus- 1 So z. B. bei Fisher/ Hoffman (2005: 4), die den Einfluss unterschiedlicher verbal ausgedrückter Relationskonzepte auf die Unterscheidung zwischen Fachbereichen untersuchen, die ähnliche Untersuchungsgegenstände aus unterschiedlicher Perspektive behandeln. Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 91 gangspunkt ist der Satz mit seinen syntaktischen Relationen. Wir sehen hier eine Verwandtschaft zum oben genannten Ansatz der Informationsstruktur von Sätzen oder Texten. Von Interesse bei semantischen Netzwerken ist jedoch nicht die Erfassung von stellungsbezogenen Regelmäßigkeiten, sondern in Übereinstimmung mit dem oben generell zu semantischen Netzwerken Gesagten die graphische Darstellung der Argumente und Relatoren im Satz und ihrer jeweiligen syntaktisch angezeigten Relationen. 2 Die Syntax wird als Grundlage für die Erfassung von Relationen verwendet. Auf dieser Basis wird eine visuelle Repräsentation der Relationen in Sätzen aufgebaut. In eigentlichen dependenzgrammatischen Darstellungen wird dabei sehr viel Wert darauf gelegt, wie die logischen Wertigkeiten der dargestellten Elemente sind. Der hier vorgestellte Ansatz ist dagegen nicht unbedingt an solchen Wertigkeiten interessiert. Stattdessen wird der Detaillierungsgrad der Darstellung den Bedürfnissen der jeweiligen Analyse angepasst. So reicht die Spanne in den Arbeiten von Gerzymisch-Arbogast und Mudersbach von sehr detaillierten und textnahen Darstellungen von Elementen und Isotopien in Mudersbach/ Gerzymisch-Arbogast (1989) hin zu einfacheren Darstellungen in Gerzymisch-Arbogast ( 1999). Und in anderen Arbeiten (Dam et al. 2005; Engberg 2007a) habe ich selber mit einer restringierten Version des Verfahrens gearbeitet, bei der lediglich die assoziativen Relationen zwischen Elementen angezeigt werden, ohne das diese weiter qualifiziert werden. Die restringierte Version ist besonders einfach zu verwenden, weil sie keine Interpretationen der Relationstypen voraussetzt. Für die vorliegende Arbeit ist diese Version jedoch nicht spezifisch genug, zumal hier für den Vergleich u. a. relevant ist, welche Art von Relation (Subjekt, Objekt, adverbiale Ergänzung) zwischen einem Argument und einem Relator besteht. So ist es beim Vergleich unterschiedlicher Sprachversionen mit z. B. der deutschen Formulierung Bei Heißluftfunktion auf ihren inhaltlichen Beitrag zum Verstehen hin von Bedeutung, ob in allen anderen Versionen eine ähnliche Bedingungsrelation zum Ausdruck gebracht wird, oder ob einige Versionen andere Relationstypen anführen. Es genügt nicht zu wissen, dass das Argument [Heißluftfunktion] assoziativ mit dem Relator [garen] verbunden ist. Deshalb folge ich hier eher dem detaillierten Ansatz von Mudersbach/ Gerzymisch-Arbogast (1989). Dies bedeutet, dass die Subjekt- Relation zwischen einem Argument und einem Relator durch einen vom Argument zum Relator gerichteten Pfeil, alle sonstigen Relationen zwischen Relator und Argumenten dagegen als gerichtete Pfeile vom Relator zum jeweiligen Argument angegeben werden. Und darüber hinaus wird bei adverbialen Relationen die Art der Relationen zwischen Relator und Argument in der Form einer ‚Sprechblase’ beim Argument angegeben. Grundlage für diese Angaben ist das Kategorienraster für die Beschreibung von Adverbialen in der Duden-Grammatik (Kunkel-Razum 2005: 794-797). 2 Sowa (2006) spricht bei dieser Art von Netzwerken von assertion oriented networks. Jan Engberg 92 Semantische Netze nach dem hier vorzustellenden Verfahren stellen eine Perspektive des Beitrags von Texten zum individuellen Verstehensprozess dar, und zwar die Perspektive des deklarativen Inhalts aus der Sicht seiner Bestandteile und deren Zusammenhang. Es handelt sich damit in hohem Maße um die Perspektive der Kohärenzrelationen: Das Augenmerk liegt auf der Ermittlung davon, welche inhaltlichen Elemente im Text enthalten sind, wie diese miteinander verbunden sind und welche Elemente die zentralen inhaltlichen Rollen spielen (Gerzymisch-Arbogast 1996: 41-43). Unterschiede in den auf der Grundlage unterschiedlicher Sprachversionen eines Textes aufgestellten Netzwerken indizieren, dass die Formulierungsunterschiede Anlass zu einem unterschiedlichen Input zum Verstehensprozess geben können. Durch den Einsatz einer solchen Methodik müssten wir somit Indikationen der verstehensmäßigen Konsequenzen von Formulierungsvariationen auf der sprachlichen Oberfläche erhalten können. 3 In den Repräsentationen erscheinen Argumente (prototypisch: Substantive) und Relatoren (prototypisch: Verben). Substantivierte Verben (darunter insbesondere substantivierte Infinitive) werden als Verben dargestellt, wenn sie nicht als Substantive lexikalisiert sind. Relationen bestehen entweder zwischen Argumenten und Relatoren (z. B. in der Relation Subjekt-Verb oder Verb-Objekt), zwischen Argumenten (z. B. in der Genitiv-Relation) oder zwischen Relatoren (z. B. in der Relation zwischen Hauptsatz- und Nebensatzverb bei dass-Sätzen). Die beiden letztgenannten Relationen werden durch einen zwischengeschalteten leeren Relator (leerer Kreis) angezeigt. Als Beispiel seien hier ein Satz aus dem unten zu untersuchenden Beispiel und seine Repräsentation angeführt. Es handelt sich um den zweiten Satz des Teiltextes, der unten in Abs. 3 die Grundlage für Abb. 2 darstellt. Beispiel 1 „Sie können mit Heißluft backen, braten, auftauen und sterilisieren.“ (Gaggenau Einbau-Backofen EB 210. Bedienungs- und Montageanleitung, S. 7) 3 In der Soziologie und der Psychologie gibt es Ansätze einer so genannten Inhaltsanalyse, in denen ebenfalls mit der wissenschaftlich haltbaren Erfassung von textlichen Inhalten gearbeitet wird. Für einen Überblick über diese Ansätze siehe Kriz (2000). Hier wird methodisch zwischen Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung unterschieden (Kriz 2000: 222-223). Die hier vorgestellte Methode der Darstellung semantischer Netzwerke gehört in dieser Klassifikation zur dritten Art, bei der „bestimmte Aspekte aus dem Material herausgefiltert, geordnet oder aufgrund bestimmter Kategorien eingeschätzt wird“ (ibid.). Der herausgefilterte Aspekt gehört zu den Dependenz- und Kohärenzrelationen. Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 93 Abb. 1: Satz aus Bedienungsanleitung In der Repräsentation verschwinden Artikel, Konjugationsmerkmale, Konnektoren, Präpositionen etc. Dafür wird hier die Art der adverbialen Relation zwischen können und Heißluft durch eine „Sprechblase“ angegeben. Mit der Repräsentation wird der Versuch gemacht, den inhaltlich-deklarativen Kern des Satzes unter Berücksichtigung von Unterschieden bei den Relationstypen zu erfassen. Dahinter steckt der Wunsch, nicht die volle aktuelle Bedeutung eines Satzes im Kopf des Lesers zu modellieren, sondern den Beitrag des Satzes zum Auf- und Ausbau deklarativer Wissensstrukturen darzustellen. 4 Folgerichtig erscheinen, wenn die Ebene des Satzes verlassen wird, bei der so genannten synchron-optischen Repräsentation ganzer (Teil- )Texte (bei der die Repräsentationen mehrerer Sätze kombiniert werden) auch wiederholte oder wieder aufgenommene Elemente nicht mehrmals in den Repräsentationen, sondern lediglich die neuen Relationen werden in die Repräsentation aufgenommen. Als Beispiel sei das Element [Leser] in Abbildung 2 genannt, das an drei Satznetzwerken beteiligt ist, aber lediglich einmal erscheint. In der folgenden Analyse verwende ich ausschließlich synchron-optische Darstellungen von Relationen in Teiltexten, da beim Vergleich unser Augenmerk auf diese Auflösungsebene liegen soll: Es ist nicht von Bedeutung, in welchem Satz oder Satzteil die unterschiedlichen Sprachversionen die studierten Informationen geben. Wichtig ist dagegen, in welchem Maße die Texte in ihrer Wissensvermittlung identisch oder fast identisch sind. 4 Als Beispiel eines Repräsentationsverfahrens, das eher Vollständigkeit anstrebt, kann auf die Diskursrepräsentationstheorie von Kamp (Kamp/ Reyle 1993) verwiesen werden. [Leser] können backen braten auftauen sterilisieren Heißluft M ITTEL Jan Engberg 94 3 Analyse Um die Anwendbarkeit des Ansatzes sowie ihre Grenzen in Verbindung mit der Untersuchung des Vermittlungsinhalts unterschiedlicher Sprachversionen von informativen Textteilen von Gebrauchsanleitungen zu prüfen, sollen drei unterschiedliche Sprachversionen daraufhin untersucht werden, inwiefern die semantischen Netzwerke übereinstimmen, die auf der Grundlage der jeweiligen Texte aufgestellt werden können. Da das Augenmerk auf die Möglichkeiten und Grenzen des Ansatzes liegt und eine Untersuchung eines großen Korpus deshalb nicht notwendig ist, beschränke ich mich auf die Untersuchung eines einzelnen Teiltextes. Fangen wir mit der Darstellung des deutschen Textes an, zumal beim Hersteller Gaggenau (Firmenhauptsitz in München) davon ausgegangen werden kann, dass dieser der Ausgangspunkt für die beiden anderen zu untersuchenden Texte bildet. Heißluft Im Heißluftbetrieb werden alle zubereiteten Speisen mit der gleichen Temperatur gegart. Auf mehreren Einschubhöhen können verschiedene oder gleichartige Speisen - ohne Geschmacksübertragung - zubereitet werden. Sie können mit Heißluft backen, braten, auftauen und sterilisieren. (Gaggenau Einbau-Backofen EB 210: Bedienungs- und Montageanleitung, S. 7) In der Form eines synchron-optischen semantischen Netzwerks sieht der Teiltext wie folgt aus: Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 95 Abb. 2: Semantisches Netzwerk der deutschen Version des Beispieltextes Das Netzwerk hat drei Hauptbestandteile, zentriert um die Relatoren garen, zubereiten und können. Kohärenz wird u. a. dadurch erzielt, dass das Argument Leser an allen drei Hauptbestandteilen beteiligt ist. Die gestrichelte Verbindung zwischen Leser und garen bzw. zwischen Leser und können soll angeben, dass diese Verbindung nicht expliziert wird, sondern über die Interpretation der Agensrolle im Passiv inferiert werden muss. Die Zuschreibung ist aber m.E. unproblematisch. Ähnlich ist auch das Argument Speisen an zwei der Hauptbestandteile beteiligt. Es handelt sich somit um einen kohärenzmäßig recht dicht geknüpften Teiltext, in dem drei Aussagen über mögliche Aktivitäten des Lesers gemacht werden. Wir bemerken auch, dass die fettgedruckte Überschrift (Heißluft) an zwei Stellen im Netz identisch bzw. als Teil eines Kompositums wiederaufgenommen wird. Dadurch wird auch angegeben, dass der Kern des Teiltextes nicht eigentlich Heißluft an sich ist, sondern der Umgang des Lesers mit der Heißluft. Sehen wir uns jetzt die entsprechende dänische Sprachversion an: garen Heißluftbetrieb Speisen gleiche Temperatur können zubereiten Einschubhöhen Geschmacksübertragung [Leser] können backen braten auftauen sterilisieren Heißluft B EDINGUNG M ITTEL O RT F OLGE M ITTEL Jan Engberg 96 Beispieltext Dänisch Varmluft Med varmluftfunktion steges alle tilberedte fødemidler med samme temperatur. Forskellige eller samme slags fødemidler kan - uden at smagen overføres - tilberedes på forskellige niveauer. De kan bage, stege, optø og henkoge med varmluft. [Mit Heißluftfunktion braten-PASSIV alle zubereiteten Nahrungsmittel mit selber Temperatur. Unterschiedliche oder selbe Art Nahrungsmittel können - ohne dass Geschmack-der übertragen-PASSIV - zubereiten-PASSIV auf unterschiedliche Niveaus. Sie können backen, braten, auftauen und sterilisieren mit Heißluft] (Gaggenau EB 210 Indbygningsovn; Brugsog monteringsvejledning, S. 7) Das synchron-optische Netzwerk zu diesem Teiltext sieht wie folgt aus: Abb. 3: Semantisches Netzwerk der dänischen Version des Beispieltextes Wenn wir das semantische Netzwerk der dänischen Sprachversion mit dem deutschen Netzwerk vergleichen, finden wir eine Anzahl von Unterschieden und Ähnlichkeiten. Was die Ähnlichkeiten angeht, haben wir auch hier eine Struktur mit drei Hauptbestandteilen, zentriert um drei Relatoren (stege, tilberede, kunne). Auch in der dänischen Sprachversion ist das Argument Læser an allen drei Hauptbestandteilen beteiligt, wie auch das Argument fødemidler an zwei Hauptbestandteilen beteiligt ist. Auch hier kommt die Überschrift Varmluft in zwei der Hauptbestandteile vor und signalisiert stege varmluftfunktion fødemidler samme temperatur kunne tilberede niveauer smag overføre [Læser] kunne bage optø henkoge varmluft M ITTEL M ITTEL F OLGE O RT M ITTEL Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 97 somit dieselbe Konsistenz im Text wie oben. Die strukturellen Unterschiede bestehen erstens darin, dass die adverbiale Ergänzung zu tilberede über die Geschmacksübertragung im dänischen Text in der Form eines Relators und nicht wie im Deutschen als Argument realisiert ist. Und zweitens ist im dänischen Netz das Argument stege an das Teilnetz um kunne angeschlossen und fungiert gleichzeitig als Zentrum eines eigenen Teilnetzes. Es wird damit eine zusätzliche Kohärenzrelation signalisiert. Wenn wir mit dem deutschen Netz vergleichen, wird im dänischen Text angegeben, dass die Aussage im ersten Satz des Teiltextes lediglich für eine der Zubereitungsmöglichkeiten, und zwar stege, gilt. Und schließlich ist die adverbiale Ergänzung im ersten Teilnetzwerk in Form des Arguments varmluftfunktion inhaltlich hier eine Mittel- und keine Bedingungsangabe. Zur Bewertung des Einflusses dieser Unterschiede auf den vermittelten deklarativen Inhalt, siehe unten. Ehe zur Analyse des schwedischen Textauszugs übergegangen wird, sei angemerkt, dass ich mich zwar in dieser Arbeit auf die Konsequenzen für die Informationsvermittlung konzentrieren möchte, die aus der Struktur der semantischen Netzwerke erwachsen. Deshalb verzichte ich generell auf eine Besprechung der Adäquatheit der Auswahl konkreter Relatoren oder Argumente in den jeweiligen Sprachversionen. Es soll jedoch hier erwähnt werden, dass die Wahl des Arguments fødemidler zwar die Beibehaltung der Struktur des deutschen Textes gewährleistet, dass dieses Argument aber recht ungewöhnlich in einem gastronomischen Kontext wie der hiesige ist und somit kaum als optimale Lösung aus übersetzungspraktischer Sicht gesehen werden kann. Schließlich wollen wir uns die entsprechende schwedische Sprachversion anschauen: Beispieltext Schwedisch Varmluft I varmluftsfunktionen tillagas all mat med samma temperatur. Fördelen är att du kan laga olika eller liknande maträtter på flera nivåer utan att någon av maträtterna tar åt sig smak. Med varmluft kan du baka, steka, tina djupfryst och sterilisera. [In Heißluftfunktion-der zubereiten-PASSIV alles Essen mit selber Temperatur. Vorteil ist dass Du kannst machen unterschiedliche oder ähnliche Speisen auf unterschiedlichen Niveaus ohne dass eine der Speisen Geschmack aufnimmt. Mit Heißluft kannst Du backen, braten, Tiefgefrorenes auftauen und sterilisieren] (Gaggenau EB 210 Inbygnadsugn; Bruksoch monteringsanvisning, S. 7) Das synchron-optische Netzwerk sieht wie folgt aus: Jan Engberg 98 Abb. 4: Semantisches Netzwerk der schwedischen Version des Beispieltextes Auch hier besteht das Netzwerk aus drei Hauptbestandteilen, zentriert um drei Relatoren (tillaga, laga, kunna), und auch hier ist Läser an allen Teilnetzen beteiligt (hier jedoch in zwei Fällen statt in einem Fall in direkter Form) und die Überschrift (Varmluft) in zwei Teilnetzen vertreten. Alle adverbialen Relationen sind inhaltlich mit ihren deutschen Entsprechungen identisch. Im deutschen und dänischen Netzwerk sind die Teilnetze um garen und zubereiten bzw. stege und tilberede dadurch miteinander verbunden, dass ein Element (Speisen bzw. fødemidler) an beiden Netzwerken beteiligt ist. In der schwedischen Version ist diese Relation nicht direkt gegeben: Das Element ist durch zwei unterschiedliche Wörter wiedergegeben, und zwar mat bzw. maträtter. Die primären Unterschiede zur deutschen Version bestehen erstens darin, dass ähnlich wie in der dänischen Version die adverbiale Ergänzung zu laga durch einen Relator (ta åt sig) statt mit einem Argument realisiert wird. Und zweitens enthält das gesamte Netzwerk eine ergänzende Relator-Argument-Kombination (fördel + vära), die in keinem der beiden anderen Netzwerke vertreten war. Sie besagt, dass die im Teilnetz gegebene Information einen Vorteil ausdrückt. tillaga varmluftsfunktion mat samma temperatur kunna laga nivåer smak [Läsaren] kunna baka steka tina djupfryst sterilisera varmluft fördel vära maträtter ta åt sig B EDINGUNG M ITTEL O RT M ITTEL F OLGE Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 99 Da uns in diesem Zusammenhang primär die Erfassung von Unterschieden im jeweiligen Vermittlungsinhalt der Sprachversionen interessiert (um zu sehen, ob die mit dieser Methodik ermittelten Unterschiede auch verstehensrelevant sind), möchte ich mich im Folgenden auf diese beschränken. Die Analyse hat die folgenden Unterschiede aufgezeigt: 1. Relator (DK, S) statt Argument (D) bei zubereiten / tilberede / laga 2. Mat + maträtter (S) vs. Speisen (D) / fødemidler (DK) 3. Zwei (S) vs. eine (D, DK) direkte Netzwerkbeteiligung von Leser / Læser / Läser an den Teilnetzwerken 4. Fördel + vara (S) vs. Ø (D, DK) 5. M ITTEL (DK) vs. B EDINGUNG (D, S) 6. Garen (D) / tillaga (S) vs. stege (DK) Bei Unterschied 1 handelt es sich darum, dass eine im Deutschen nominalisierte Formulierung (Geschmacksübertragung) im Schwedischen und Dänischen durch eine verbale Formulierung wiedergegeben wird (ta åt sig smak bzw. overføre smag). Es handelt sich um einen typischen Kontrast zwischen dem Deutschen und den skandinavischen Sprachen, der hier keinen Einfluss auf den vermittelten Inhalt hat. Dass der Unterschied im semantischen Netzwerk zum Vorschein kommt, ist auf die Nähe des Erfassungssystems zur sprachlichen Oberfläche zurückzuführen. Auch bei Unterschied 2 handelt es sich um einen eher oberflächenorientierten Unterschied. In der schwedischen Version werden zur Wiedergabe von Speisen aus dem Deutschen zwei Wörter verwendet, die lediglich teilidentisch sind (mat und maträtter). Folglich kann hier lediglich eine indirekte Assoziationsrelation zwischen den beiden Argumenten angenommen werden. Womöglich ist dadurch der Kohärenzeffekt geringfügig schwächer. Ich nehme aber an, dass auch dieser Unterschied nicht verstehensrelevant ist. Bei den Unterschieden 3 und 4 handelt es sich um tatsächliche Unterschiede bezüglich des deklarativen Inhalts, wenn auch ohne schwerwiegende Bedeutung. Bei 3 handelt es sich darum, dass die Relation zwischen dem Argument und den Relatoren in der schwedischen Version in zwei Fällen, in den beiden anderen Versionen lediglich einmal direkt (in der Form einer Subjekt-Relation) und sonst durch Inferierung des Agens beim Passiv indirekt ausgedrückt wird. Da die Relation aber in allen Versionen ausgedrückt wird, handelt es sich bei der schwedischen Version lediglich um eine Explizitmachung einer sonst mitgemeinten Relation. Bei 4 haben wir einen ähnlichen Fall. Hier wird durch die eingefügte Relator-Argument- Kombination (fördel + vara) eine Präsupposition aus der Textsorte Gebrauchsanleitung explizitiert, die bei den anderen Texten mitgemeint wird. Es handelt sich dabei um die Präsupposition, dass Informationen in Gebrauchsanleitungen eine werbende Funktion ausüben können (siehe Abs. 2). In den Unterschieden 5 und 6 handelt es sich bei den Ergebnissen der Modellierung im eigentlichen Sinne um inhaltlich unterschiedliche Formu- Jan Engberg 100 lierungen. Bei 5 ist das angesprochene Adverbial von einem anderen inhaltlichen Typ. Für die zentralen kommunikativen Aufgaben der Gebrauchsanleitung (Instruktion und Information mit Bezug auf den Gebrauch des Backofens) ist dieser Unterschied kaum von Bedeutung. Ich nehme deshalb an, dass der Inhaltsunterschied zwischen den Versionen nicht problematisch ist. Beim Unterschied 6 handelt es sich dagegen um einen nach meiner Auffassung problematischen Unterschied zwischen den Versionen. Denn hier wird durch die Formulierung angezeigt, dass die Angaben im ersten Satz lediglich für eine der Zubereitungsmethoden gelten. Dadurch ist der deklarative Inhalt, der durch den dänischen Text vermittelt wird, grundsätzlich anders als derjenige, der durch die beiden anderen Versionen vermittelt wird. Die dänischen Leser müssen selber auf der Grundlage ihres Weltwissens inferieren, dass die indizierte Information so nicht stimmen kann und daraufhin eine korrekte mentale Repräsentation bilden. Der Vermittlungsinhalt der dänischen Version ist somit durch die Formänderung beeinträchtigt, wenn diese Version mit den beiden anderen Versionen verglichen wird. 4 Überlegungen zur Methode In Absatz 3 haben wir gesehen, dass mit der ausgewählten Methode Formulierungsvarianten so in graphische Darstellungen „übersetzt“ werden können, dass sie trotz der sprachsystematischen Unterschiede auf ihren deklarativen Inhalt hin verglichen werden können. Jedoch hat die Sichtung der durch die Methode erfassten Unterschiede gezeigt, dass ihre Nähe zur Formulierungsoberfläche nicht nur relevante Unterschiede zutage fördert: Die Unterschiede 1 und 2 haben keinen Einfluss auf den Vermittlungsinhalt, sondern sind lediglich auf Unterschiede in der Wahl sprachlicher Mittel zurückzuführen. Die restlichen Unterschiede sind dagegen schon für die hier ausgewählte Fragestellung potentiell relevant: Teils handelt es sich um Unterschiede im Explizitheitsgrad, und teils handelt es sich um eine im eigentlichen Sinn andere Darstellung des Inhalts in der einen Sprachversion (DK) verglichen mit den beiden anderen Sprachversionen. Und auch wenn in einer konkreten Bewertung in den meisten Fällen die fehlenden Übereinstimmungen nicht als schwerwiegend angesehen werden, ist der Ansatz geeignet, um die Formulierung von Texten auf Unterschiede in ihrem deklarativen Inhalt hin zu überprüfen und potentiell relevante Nicht-Übereinstimmungen auch explizit darzustellen. Der Ansatz kann zum Vergleich des Inputs von unterschiedlichen Texten zum individuellen Verstehensprozess verwendet werden. Es ist jedoch wichtig zu sehen, dass man mit solchen textbasierten Methoden lediglich den Input-Teil des Verstehensprozesses erfassen kann. Es kann sozusagen die Zugänglichkeit des Textes, aber nicht seine eigentliche Verständlichkeit ermittelt werden. Dies hängt damit zusammen, dass der Prozess des aktuellen Verstehens als reiner Dekodierungsprozess nicht adä- Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 101 quat beschrieben werden kann. Vielmehr handelt es sich um einen Prozess der Wissenskonstruktion, bei dem der Textempfänger den Input mit seinem Bestand an Wissen und vorheriger kommunikativer und inhaltlicher Erfahrung abgleicht und zu einem damit in etwa kompatiblen Ergebnis kommt: Understanding an input means finding the closest approximation in one’s past experience to the input and coding the input in terms of the previous memory by means of an index that indicates the difference between the new input and the old memory. … Understanding is reminding, and reminding is finding the correct memory structure to process an input (Schank 1999: 108). Und dabei spielt die Oberflächenstruktur eine wesentliche, aber nicht unbedingt die entscheidende Rolle. So wird der dänische Leser sich z. B. zwar wahrscheinlich über die Aussage wundern, dass die Eigenschaft, auf mehreren Ebenen bei gleichbleibender Temperatur Essen zuzubereiten, lediglich für das Braten gelten soll. Ein Abgleich mit dem Vorwissen wird bei den meisten Empfängern dazu führen, dass der Darstellungsfehler als solcher erkannt wird (u. a. auf der Grundlage des Erfahrungswissens, dass Gebrauchsanleitungen oft übersetzt sind, wobei entsprechende Fehler entstehen können). Die Unterschiede im Input, die wir mit dem Ansatz des semantischen Netzwerks ermittelt haben, müssen also nicht zwangsläufig eine Konsequenz für das Verstehensergebnis haben. Und dieser Teil des Verstehensprozesses, wo Elemente konkret in Anbetracht der individuellen Situation eingeordnet werden, ist mit einem textbasierten Ansatz nicht erfassbar (Göpferich 2002: 153). Eine solche Erfassung des eigentlichen Verstehensprozesses ist dagegen nur über das Hinzuziehen von Verfahren möglich, die an anderen Stellen der Relation des Verstehens wie z. B. Merkmale der Empfänger greifen. Ein Beispiel eines solchen Verfahrens ist die Kombination von Protokollen des Lauten Denkens und Logfiles, die Göpferich für das Studium des Verstehensergebnisses beim schriftlichen Reformulieren von populärwissenschaftlichen Texten eingesetzt hat (Göpferich 2006a; Göpferich 2006b; Göpferich 2006c). Dabei lesen Versuchspersonen die Texte und reformulieren sie auf der Grundlage ihres Verstehens. Und in diesem Prozess erzählen sie, welche Überlegungen sie sich machen, sowie alle Tastenbewegungen, Pausen, etc. automatisch aufgezeichnet werden. Mit einem solchen Verfahren lässt sich ermitteln, welche Verstehensergebnisse sich aus der Begegnung mit dem Text ergeben, und somit auch wo tatsächlich Verstehensprobleme entstehen. Wie aus der Beschreibung zu ersehen ist, sind solche Verfahren aber recht arbeits- und zeitaufwendig. Und deshalb gibt es Bedarf für textbasierte Verfahren wie das hier Vorgestellte, um Hypothesen aufzustellen, die dann gezielt durch empfängerfokussierte Verfahren getestet werden können. Jan Engberg 102 5 Ausblick Mit dem Ansatz semantischer Netzwerke habe ich hier einen Ansatz vorgestellt, der textnah Hypothesen über die mentalen Repräsentationen zutage fördert, zu denen ein Text Anlass gibt. Das Augenmerk liegt auf dem aktuellen Repräsentationsprozess. Der in Abs. 4 vorgestellte Ansatz zur Erfassung des unmittelbaren Verständnisses durch einen Empfänger fokussiert ebenfalls diesen aktuellen Repräsentationsprozess. Man kann sagen, dass beide Ansätze in der Weise online-orientiert sind, dass sie sich für den unmittelbaren Prozessablauf bei der Textrezeption, d. h. primär für Prozesse im Kurzzeitgedächtnis, interessieren. Dieses Objekt steht traditionell im Mittelpunkt sprachlich orientierter Untersuchungen des Verstehens. Ein wesentlicher Teil des Verstehensprozesses wird dabei aber nicht erfasst, und zwar der Teil des Prozesses, der im Langzeitgedächtnis abläuft und das Ausbilden und Modifizieren von Gedächtnisstrukturen umfasst: And it became clear that if we wanted to know about how people processed language, we were going to have to study learning. So, we needed to study how the mind adapts to new information and derives new knowledge from that information (Schank 1999: 5-6). Erst, wenn auch dieser Aspekt mit erfasst wird, können wir ein im Ansatz umfassendes Bild des Verstehens von Texten als Prozess des Wissensaufbaus erstellen. Dabei muss zwischen Repräsentations- und Lernprozessen (Kurzzeitvs. Langzeitgedächtnis) unterschieden werden und entsprechend angepasste Fragestellungen und Methoden gefunden und angepasst werden. Auf der Grundlage der hiesigen Überlegungen erscheinen mindestens die folgenden Fragestellungen relevant: Welche Zusammenhänge zwischen Argumenten werden durch einen Text potentiell indiziert? (mögliche Methode: semantische Netzwerke) Welche Repräsentationen bilden konkrete Empfänger des Textes? (mögliche Methode: Reformulierung unter Überwachung) Wie sieht die Gedächtnisstruktur, d. h. die mentale Basis, aus, die den Repräsentationsprozess mitsteuert (top-down) und die gleichzeitig durch den Repräsentationsprozess in seiner Struktur beeinflusst wird (bottom-up)? Der beschränkte Rahmen dieses Beitrags lässt keine weiteren Ausführungen zur letzten Frage zu, aber in anderen Arbeiten (z. B. Engberg 2007b) habe ich gezeigt, dass diese Fragestellung u. a. mit Hilfe von Ansätzen wie Matrix-Frames (Konerding 1993) und der Untersuchung von Subjektiven Theorien (Groeben et al. 1988) erfasst werden kann. In diesen Bereich fallen auch Arbeiten wie die oben in Abs. 2 erwähnte von Rothkegel (2000) über das eingesetzte Hintergrundwissen. Inhaltsvergleich von Gebrauchsanleitungen über Sprachgrenzen hinweg 103 Mit diesen drei Fragestellungen ist es möglich, jeweils drei unterschiedliche Instanzen im Verstehensprozess zu fokussieren, und zwar den Text, den Empfänger in seiner aktuellen Kommunikationssituation und den Empfänger als Ergebnis persönlicher und gesellschaftlicher Entwicklungprozesse. Damit kann ein umfassendes Bild des Wissenserwerbsprozesses gezeichnet werden. Und in der Entstehung dieses Bildes haben Ansätze wie die semantischen Netzwerke eine wesentliche Rolle zu spielen. 6 Literaturverzeichnis Aitken, Martin, Generic assumptions in utterance interpretation: the case of indirect instructions, in: Hermes. Journal of Language and Communication Studies (28)/ 2002a, 109-134. 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Ausgehend von (u. a.) Sachprosaübersetzungen Deutsch-Norwegisch sind übersetzerische Herausforderungen thematisiert worden, die durch die stärkere Ausnutzung syntaktischer Subordination im Deutschen als im Norwegischen ausgelöst werden (Fabricius-Hansen 1996, 1999, Ramm und Fabricius-Hansen 2005, Fabricius-Hansen, Ramm, Solfjeld und Behrens 2005, Solfjeld 2004, 2005, 2007 und Ramm 2006). Typisch erscheinen Übersetzungsstrategien, bei denen Adjunkte auf NP- oder VP-Ebene, vornehmlich Attribute und Adverbialien verschiedenen Typs, abgespalten werden und als selbständige Sätze bzw. Konjunkte koordinativer Strukturen wiedergegeben werden. Dabei wird die hypotaktische Originalstruktur durch eine flachere parataktische Struktur im Norwegischen ersetzt. Vgl. die nachstehenden, Solfjeld (2000: 223 bzw. 126) entnommenen Beispiele. In Beispiel 1 ist das NP-Adjunkt der deutschen Quellenfassung, das so genannte erweiterte Attribut in alle möglichen Richtungen weisenden, im Übersetzungsprozess in eine finite Verbalphrase umgeformt worden. Diese VP stellt in der norwegischen übersetzten Fassung das erste Konjunkt einer koordinativen Struktur dar, d. h. sie geht in eine nebengeordnete, durch og verbundene Struktur ein. In Beispiel 2 ist entsprechend das deutsche VP-Adjunkt, das Adverbial durch die außergewöhnlich starke symbolische Ausdruckskraft des Autos, auf Norwegisch als selbständiger Satz wiedergegeben worden 2 : 1. Auch die in alle möglichen Richtungen weisenden “Pfeile” passten nicht ins Konzept. 1 Språk i kontrast, Universität Oslo, www.uio.no/ forskningsprosjekter/ sprik. Ich danke den an diesem Projekt teilnehmenden ForscherInnen für sehr hilfreiche Diskussionen. 2 Sämtliche Unterstreichungen in den Beispielen stammen von mir. Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 107 “Pilene” pekte i alle mulige retninger og passet ikke inn i bildet. [“Die Pfeile” wiesen in alle möglichen Richtungen und passten nicht ins Konzept] 2. Durch die außergewöhnlich starke symbolische Ausdruckskraft des Autos benützt der Traum das Auto, um eine bestimmte Lebenssituation aufzuzeigen. Bilen har en usedvanlig sterk symbolsk uttrykkskraft. Derfor benytter drømmen seg av bilen for å skissere en bestemt livssituasjon. [Das Auto hat eine besonders starke symbolische Ausdruckskraft. Deswegen benützt der Traum das Auto, um eine bestimmte Lebenssituation aufzuzeigen] Durch Übersetzungsstrategien dieser Art kann die Gewichtung der einzelnen Informationsteile leicht beeinträchtigt werden. Die Signale, die durch die syntaktische Subordination des Originals vermittelt werden - oft dass die Information eine Art begleitende Rolle hat, die die thematische Hauptlinie des Textes gewissermaßen ‘ungestört’ lässt (Stutterheim 1997: 245) - müssen (im Idealfall) alternativ zum Ausdruck gebracht werden: In der Sequenz von selbständigen Sätzen/ Konjunkten müssen einige demnach als diskursmäßig untergeordnet, andere hingegen als diskursmäßig übergeordnet gekennzeichnet werden. In authentischen Sachprosaübersetzungen geschieht dies zum Teil durch den Einbau von koordinativen Strukturen oder Konnektiven. Oft sind die LeserInnen jedoch ausschließlich auf den propositionalen Gehalt der einzelnen Sätze/ Konjunkte angewiesen (Fabricius- Hansen, Ramm, Solfjeld und Behrens 2005, Solfjeld 2005). Zugleich zeigen authentische Übersetzungsfälle, dass durch die zielsprachlichen parataktischen Versionen nicht immer gleich eindeutig zu Tage tritt, welche Sätze/ Konjunkte den thematischen Hauptstrang weitertragen und welche nicht (Ramm 2006, Solfjeld 2005). Zweck der vorliegenden Studie ist zu überprüfen, inwiefern Fragestellungen, die sich auf Subordination auf syntaktischer Ebene und auf Textebene beziehen, für die Textsorte Gebrauchsanweisung relevant sind. Weisen die norwegischen Gebrauchsanleitungen im Vergleich zu den deutschen tatsächlich eine flachere, parataktischere Struktur auf, und entsteht (gegebenenfalls) dadurch eine weniger klare Gewichtung der einzelnen Informationskomponenten? 2 Untersuchungsgegenstand Untersuchungsgegenstand dieser Studie, die nur als explorativ aufzufassen ist, sind acht Textpaare, die aus sich entsprechenden deutschen und norwegischen Fassungen von Gebrauchsanleitungen zu technischen Haushaltsgeräten bestehen. Jedes Textpaar begleitet das gleiche Produkt und ist demnach für den gleichen kommunikativen Zweck geschrieben; vgl. die nachstehende Übersicht: Kåre Solfjeld 108 Untersuchte Gebrauchsanweisungen Braun, Aroma Passion, Type 3104, Kaffeemaschine/ kaffetrakter Braun, Independent Steam and Straight/ slettetang Philips Azur, Bügeleisen/ strykejern Braun, Multiquick/ Minipimer, Type 4193, Stabmixer/ stavmikser Philips Essence, Zitruspresse/ fruktpresser Bauknecht, EMZD 5960, Herd/ komfyr Bosch 2005, Kühlschrank/ kjøleskap Bosch TWA 30, Waffeleisen/ vaffeljern Die ausgewählten Texte treten alle mit zusätzlichen Versionen in noch mehr Sprachen in der gleichen Broschüre zusammen auf - und zugleich größtenteils mit Illustrationen und Abbildungen als Instruktionshilfe. Bei sechs Textpaaren, die Produkte von drei verschiedenen Konzernen begleiten, sind die deutschen und die norwegischen Versionen aus der gleichen englischen Vorlage übersetzt worden. Dieser Entstehungsprozess scheint für Gebrauchsanweisungen typisch zu sein. Zudem wird großer Wert darauf gelegt, dass die gleiche Information in jeder Sprache vermittelt wird (Jämtelid 2002: 60). Bei zwei Textpaaren, dem gleichen Konzern entstammend, ist die norwegische Fassung direkt auf der Basis eines deutschen Originaltextes übersetzt worden. Aus ein paar Texten wurden Auszüge gewählt, zum einen weil eine Untersuchung dieser Art ausschließlich Instruktionsteile (im engen Sinne) mit einbeziehen sollte, und nicht etwa Garantieteile oder Rezepte, die oft in Instruktionstexte integriert sind. Zum anderen setzt diese Untersuchung voraus, dass deutsche und norwegische Varianten (zumindest annähernd) die gleiche Information vermitteln. Die untersuchten Gebrauchsanweisungen umfassen Text(teil)e von 1,5 bis etwa 8 Seiten. Insgesamt besteht das Material aus etwa 32 Seiten pro Sprache. 3 Thesen Die primäre Funktion eines Instruktionstextes - und hierunter einer Gebrauchsanleitung - ist die Wiedergabe einer Reihe von sequenziell geordneten Handlungsschritten, die die LeserInnen dazu befähigen sollen, diese Handlungsschritte nachzuvollziehen und entsprechend in die Praxis umzusetzen. Diese Handlungsprädikate beantworten die so genannte Quaestio, welche Handlungen in welcher Reihenfolge vorzunehmen sind, um das erwünschte Ergebnis zu erreichen (Stutterheim 1997). Die Gebrauchsanweisung muss die LeserInnen dazu befähigen, das gegebene Produkt in Betrieb zu setzen und funktionsgerecht anzuwenden. Die Prädikate, die die Sequenz von Handlungsschritten vermitteln, bilden die Hauptstruktur des Instrukti- Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 109 onstextes (in der Terminologie von Klein und Stutterheim 1992 und Stutterheim 1997). Die prototypische sprachliche Realisierung dieser Handlungsschritte sind im Norwegischen Imperativformen, im Deutschen so genannte Höflichkeitsformen des Imperativs bzw. Infinitivformen; vgl. Pelka (1982: 96), Möhn (1991: 201), Kohlmann (1992: 98), Donceva (1990: 171), Klauke (1993: 163ff) und auch die Übersicht in Priem (1997: 81ff). Die folgenden Beispiele (3 und 4) stellen prototypische Träger von Handlungsschritten in norwegischen bzw. deutschen Instruktionstexten dar. 3. Sett vispen inn i girkoplingen (stavmikser) Fyll vanntanken med vann fra springen ... (strykejern) 4. Schlagbesen in das Getriebeteil stecken (Stabmixer) Füllen Sie mit dem Becher Leitungswasser in den Behälter ... (Bügeleisen) In diese Kette von Handlungsprädikaten gehen jedoch auch weitere Informationen ein, die eher eine ergänzende oder begleitende Funktion haben. Diese Information gehört zu der so genannten Nebenstruktur (Klein und Stutterheim 1992 und Stutterheim 1997), d. h. sie geben keine direkten Beiträge zur Beantwortung der Quaestio. Ausgehend von den Kontrasten zwischen deutschen und norwegischen Sachprosatexten (Fabricius-Hansen und Solfjeld 1994, Fabricius-Hansen 1999, Solfjeld 2000) können Hypothesen formuliert werden, die anhand des erstellten Materials zu überprüfen sind. Zu vermuten ist, dass sich die Information in den norwegischen Versionen auf mehr Sätze/ Konjunkte verteilt als in den deutschen. Es ist anzunehmen, dass in den norwegischen Versionen mehr Satzteilungen vorliegen im Sinne von Sequenzen selbständiger Sätze oder Konjunkte koordinativer Strukturen, die informationell einem einzigen deutschen Satz entsprechen, als umgekehrt Satzteilung in der deutschen Version gegenüber einem einzigen Satz in der norwegischen Version. Diese Fragestellung wird im Abschnitt 4.1 aufgegriffen. Sollten sich im Material Unterschiede im Hinblick auf Satzteilungen abzeichnen, ist im nächsten Schritt einen näheren Blick auf die Satzpaare zu werfen, wo Satzteilungen/ Konjunktsequenzen im Norwegischen monosententialen deutschen Versionen gegenüberstehen. Obwohl sicherlich ein heterogenes Bild zu verzeichnen ist, kann - ausgehend von den Befunden für Sachprosa - angenommen werden, dass gewisse wiederkehrende Muster zu Tage treten: Selbständige Sätze bzw. Konjunkte in den norwegischen Fassungen entsprechen informationell syntaktisch subordinierten Gliedern - NP- oder VP-Adjunkten - in den deutschen Versionen. Zugleich ist zu vermuten, dass diese NP- oder VP-Adjunkte eine auch aus informativer Sicht untergeordnete Rolle in dem Sinne spielen, dass sie Information vermitteln, die der sequenziell geordneten Kette von Handlungsprädikaten nicht zuzuordnen ist. Ihre verselbständigten Satz- oder Konjunktgegenstücke Kåre Solfjeld 110 in den norwegischen Versionen sind demnach eher der Nebenstruktur als der Hauptstruktur (im Sinne von Stutterheim 1997) der gegebenen Gebrauchsanweisung zuzurechnen. Diese Fragen werden im Abschnitt 4.2 und 4.3 aufgegriffen. Schließlich ist zu überprüfen, inwiefern diese (evtl.) unterschiedliche Realisierung der Information zu einer (in)effektiven Vermittlung der gegebenen Instruktionsschritte beiträgt. Zu fragen ist, inwiefern die parataktische Struktur - die Satzteilung/ Konjunktsequenz - Interpretationen nahe legt, bei der die Information fälschlich als ein Beitrag zur Hauptstruktur, d. h. als Teil der Handlungskette, aufgefasst wird und somit die Funktion des Textes beeinträchtigt. Diese Fragestellung wird im Abschnitt 4.4 diskutiert. 4 Analyse der Informationsstrukturierung 4.1 Satz-/ Konjunktsequenzen in der einen Sprache gegenüber einem Satz in der anderen; quantitative Unterschiede Es wurden im ersten Schritt die Textstellen identifiziert, für die festgestellt werden konnte, dass die Information, die in der einen Version in einem Satz zusammengehalten ist, auf zwei selbständige Sätze bzw. Konjunkte in der anderen Version verteilt ist. Es liegt in der einen Version eine Satzteilung/ Konjunktsequenz vor, in der anderen hingegen nicht. Konjunktsequenzen umfassen in dieser Studie sowohl VPals auch S-Konjunkte, d. h. nebengeordnete mit der Konjunktion og/ und verbundene Verbalphrasen oder zwei mit der Konjunktion og/ und verbundene vollständige Sätze. Die Ergebnisse lassen sich aus der nachstehenden Tabelle 1 ersehen. Die Zahlen unter DG (deutsche Gebrauchsanweisungen) geben an, wie viele Satzteilungen/ Konjunktsequenzen in den deutschen Versionen inhaltlich einem einzelnen selbständigen Satz in der norwegischen Version entsprechen. Parallel hierzu geben die Zahlen unter NG (norwegische Gebrauchsanweisungen) an, wie viele Satzteilungen/ Konjunktsequenzen in den norwegischen Versionen einem einzelnen selbständigen Satz in der deutschen Fassung entsprechen. In der linken Spalte wird angegeben, inwiefern sowohl der norwegische Text als auch der deutsche Text auf ein englisches Original (EO) zurückgehen, oder inwiefern die norwegische Version aus einem deutschen Text (DO - deutsches Original) direkt übersetzt worden ist. Zur Information ist für jedes Textpaar die untersuchte Seitenzahl eingeklammert angegeben. Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 111 Tabelle 1 Satzteilungen DG NG Kaffeemaschine/ kaffetrakter (EO, 1,5 S.) 0 2 Steam and Straight/ slettetang (EO, 2 S.) 1 2 Bügeleisen/ strykejern (EO, 6 S.) 1 2 Stabmixer/ stavmikser (EO, 3 S.) 2 0 Zitruspresse/ fruktpresser (EO, 2 S.) 2 2 Herd/ komfyr (EO, 8 S.) 2 7 Kühlschrank/ kjøleskap (DO, 8 S.) 1 8 Waffeleisen/ vaffeljern (DO, 2 S.) 0 0 ____________________________________________________________________ Insg. 9 23 Die Ergebnisse weisen in die Richtung, die man auf der Basis von Sachprosatexten erwarten würde. Es gibt mehr als doppelt so viele norwegische Satzteilungen/ Konjunktsequenzen, die einer monosententialen deutschen Version gegenüberstehen als umgekehrt Satzteilung/ Konjunktsequenz im Deutschen gegenüber monosententialer norwegischer Version. Die absoluten Zahlen sind allerdings sehr gering und erlauben deswegen keine Verallgemeinerungen. Die Ergebnisse tragen jedoch zumindest zu einer Erhärtung der eingangs formulierten Hypothese bei. Relativ starke Kontraste finden wir im Textpaar ’Herd/ komfyr’ und im Textpaar ’Kühlschrank/ kjøleskap’. Im ersten Textpaar liegt eine gemeinsame englische Vorlage zugrunde, im zweiten hingegen ist die norwegische Version aus der entsprechenden deutschen Version übersetzt worden. Interessanterweise lassen sich starke Kontraste in Bezug auf Satz-/ Konjunktsequenz gegenüber monosententialer Version auch in den aus einer gemeinsamen englischen Vorlage übersetzten Textpaaren verzeichnen. Zudem ist zu bemerken, dass in Bezug auf Nominalisierungsdichte die deutschen Versionen auch höhere Werte aufweisen als die norwegischen. Dieser Kontrast ist offensichtlich unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Texte. Die Tendenz findet sich bei den aus einer englischen Vorlage übersetzten Texten, sie lässt sich aber auch verzeichnen, wenn die norwegischen Texte direkt aus dem Deutschen übersetzt worden sind. Vgl. die nachstehende Tabelle. In der linken Spalte (DG) ist die Anzahl der Nominalisierungen in den deutschen Versionen der jeweiligen Textpaare angegeben, in der rechten Spalte (NG) ist die Anzahl der Nominalisierungen in den norwegischen Versionen der jeweiligen Textpaare aufgeführt: Kåre Solfjeld 112 Tabelle 2 Nominalisierungen DG NG Kaffeemaschine/ kaffetrakter (EO) 34 24 Steam and Straight/ slettetang (EO) 35 21 Bügeleisen/ strykejern (EO) 43 28 Stabmixer/ stavmikser (EO) 37 32 Zitruspresse/ fruktpresser (EO) 6 4 Herd/ komfyr (EO) 103 73 Kühlschrank/ kjøleskap(DO) 96 91 Waffeleisen/ vaffeljern(DO) 57 41 __________________________________________________________________ Insg. 411 314 Nominalisierte Versionen und Satzversionen bleiben jedoch weitgehend syntaktisch integriert, und insofern ist die Nominalisierungsfrequenz für die zentrale Fragestellung dieser Studie nicht direkt relevant. Interessant ist jedoch, dass auch in diesem Parameter die Gebrauchsanweisungen die Befunde für Sachprosatexte widerspiegeln (Fabricius-Hansen und Solfjeld 1994, Solfjeld 2000). Die Kontraste in Bezug auf Nominalisierungsfrequenz unterstützen demnach die Annahme, dass die in Sachprosatexten aufgezeigten Kontraste auch für andere, zumindest verwandte, Textsorten Gültigkeit haben. 4.2 Strukturen der monosententialen Versionen, die dem Konjunkt/ Satz entsprechen Im Folgenden ist ein näherer Blick auf die Struktur der deutschen monosententialen Versionen zu werfen, die den norwegischen Satz- / Konjunktsequenzen inhaltlich entsprechen. Bei den norwegischen Satzteilungen/ Konjunktsequenzen, die einem einzelnen deutschen Satz gegenüberstehen, findet sich das informationelle Gegenstück des einen norwegischen Satzes/ Konjunkts größtenteils in einem VP- oder NP-Adjunkt in der deutschen Version. Vgl. hierzu die als typisch anzusehenden Beispiele 5 und 6. Es soll vermerkt werden, dass Adjunkt hier in einem sehr weiten Sinne verstanden wird. Der Begriff umfasst Attribute innerhalb von Nominalphrasen, wie auch Appositionen, Adverbialien und so genannte freie Prädikative verschiedenen Typs, d. h. Glieder, die eine Art syntaktischen Ausbau zum Hauptgerüst des Satzes darstellen und dabei die Hauptprädikation in verschiedener Weise modifizieren. (Siehe im Übrigen zu dem Begriff Adjunkt Lang, Maienborn und Fabricius-Hansen 2003). Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 113 5. Hochprozentigen Alkohol nur verschlossen, stehend, lagern (Kühlschrank). Oppbevar sterkt alkoholholdige drikkevarer i helt tette beholdere og plasser dem alltid i oppreist stilling (Kjøleskap). [Hochprozentigen Alkohol nur in verschlossenen Behältern lagern und sie immer in aufrechter Position platzieren] 6. Mit zunehmender Temperatur leuchten die Anzeigen ... nacheinander auf dem Display 0C----auf (Herd). Indikatorene på displayet ... vil gradvis tennes 0C---og vise at temperaturen stiger. [Die Anzeigen auf dem Display ... leuchten nacheinander 0C und zeigen, dass die Temperatur steigt] (komfyr). Unter den übrigen Fällen von Satzteilung/ Konjunktsequenz in der einen Version gegenüber einem Satz in der anderen lässt sich die unterschiedliche Realisierung oft durch lexikalische Kontraste wie auch durch auseinandergehende Präferenzen in Bezug auf Implizitbzw. Explizitheit erklären. Das Material zeigt zum Beispiel, dass lexikalische Präferenzen - und vielleicht auch die lexikalischen Möglichkeiten der beiden Sprachen - gelegentlich ein verschiedenes Präzisierungsniveau und somit Satzteilungen/ Konjunktsequenzen in der einen, jedoch nicht in der anderen auslösen. Als Illustration kann das folgende Satzpaar 7 dienen. Das Präzisierungsniveau ist in der norwegischen Version gegenüber der deutschen verfeinert worden, indem die im Prädikat betreiben enthaltenen Handlungsschritte in der norwegischen Version einzeln wiedergegeben werden. 7. Betreiben Sie das Gerät vor dem Erstgebrauch, nach längerer Nichtbenutzung oder nach dem Einsetzen einer neuen Wasserfilter-Kartusche einmal mit der Maximalmenge kalten Wassers, ohne Kaffeemehl (Kaffeemaschine). Før apparatet tas i bruk første gang, når kaffetrakteren ikke har vært i bruk på en stund, eller innstallering av nytt vannfilter, fylles vanntanken til maksimumsmerket med kaldt vann. Slå på kaffetrakteren, og la vannet strømme gjennom uten kaffe (Kaffetrakter). [Ehe das Gerät das erste Mal gebraucht wird, nachdem es lange nicht mehr benutzt worden ist oder nach dem Einsetzen einer neuen Wasserfilter-Kartusche, wird der Behälter mit der Maximalmenge kalten Wassers gefüllt. Machen Sie die Kaffeemaschine an, und lassen Sie das Wasser durchfließen ohne Kaffeemehl] Zudem können Entscheidungen seitens der ÜbersetzerInnen, wie viel Information mitzunehmen ist und was als implizit gelassen werden kann, Kåre Solfjeld 114 Satzteilung/ Konjunktsequenz in der einen Sprache gegenüber der anderen bedingen. Das Satzpaar 8, wo in der norwegischen Version kein direktes Gegenstück zum unterstrichenen deutschen Satz vorliegt, liefert ein Beispiel hierfür. Dabei stehen zwei selbständige Sätze in der deutschen Fassung einem Satz in der norwegischen gegenüber. 8. Schneiden Sie die Zitrusfrucht quer in zwei Hälften. Das Gerät wird eingeschaltet, sobald Sie eine Hälfte auf den Preßkegel drücken (Zitruspresse). Slå på apparatet ved å presse frukt ned på safttoppen (fruktpresser). [Schalten Sie das Gerät ein, indem Sie die Frucht auf den Preßkegel drücken] Für Textpaare dieses Typs kann sicherlich diskutiert werden, inwiefern in den beiden Versionen der gleiche Inhalt vermittelt wird. Unser Weltwissen sagt uns jedoch, dass die Zitrusfrucht erst nach dem Schneiden in zwei Hälften gepresst werden kann. Somit ist das Schneiden in zwei Hälften aus der norwegischen Fassung ableitbar. Insofern ist auch klar, dass sich aus der norwegischen Version die gleichen Handlungsschritte wie die in der deutschen Fassung explizit angegebenen inferieren lassen. Es zeigt sich, dass etwa die Hälfte der deutschen Satzteilungen/ Konjunktsequenzen, die monosententialen norwegischen gegenüberstehen (die Fälle, die dem erwarteten Bild gewissermaßen zuwiderlaufen), ungefähr wie 8 aussehen: Die deutschen Autoren bevorzugen etwas explizitere Versionen. Bei deutschen Satzteilungen/ Konjunktsequenzen, die einem einzelnen norwegischen Satz gegenüberstehen, findet somit der eine Satz/ das eine Konjunkt der deutschen Fassung weitgehend kein explizites Gegenstück in der norwegischen Version. Insofern erscheinen die deutschen Versionen etwas ausführlicher, indem die vorgeschriebenen Handlungsschritte auf einem feineren Granularitätsniveau - d. h detaillierter - beschrieben werden (zu Granularitätsniveau in Instruktionen siehe Stutterheim 1997: 103). Dieser Kontrast in Teilen des Materials stellt zumindest zur Diskussion, inwieweit für gewisse Textsorten die Normen im Hinblick auf überflüssige gegenüber notwendiger Information in den beiden hier diskutierten Sprachgemeinschaften divergieren. Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten: Das Material weist eine relativ starke Heterogenität auf. Beim typischen Muster Satz-/ Konjunktsequenz in der norwegischen Fassung gegenüber monosententialer deutscher Version entspricht der eine Satz/ das eine Konjunkt der norwegischen Fassung jedoch weitgehend einem NP- oder VP-Adjunkt (im weiten Sinne) in der deutschen monosententialen Fassung. Die eingangs formulierte Erwartung lässt sich demnach im hier untersuchten Material zumindest als eine wiederkehrende Tendenz identifizieren. Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 115 4.3 Syntaktisch subordinerte Glieder als Träger von Handlungsschritten Es wurde angenommen, dass die deutschen NP- oder VP-Adjunkte und die informationell entsprechenden Sätze/ Konjunkte der norwegischen Fassung begleitende Information enthalten und dass sie demnach keine Handlungsschritte in der sequenziell geordneten Instruktionskette darstellen. Die norwegischen Sätze/ Konjunkte und die inhaltlich entsprechenden deutschen VP- oder NP-Adjunkte laufen jedoch diesem Bild größtenteils zuwider: Sätze/ Konjunkte, die in der norwegischen Version eindeutige Hauptstrukturäußerungen darstellen, entsprechen in der deutschen Version subordinierten Strukturen, aus denen sich (allerdings etwas indirekter) genau die gleichen Handlungsschritte seitens des Adressaten herauslesen lassen. Das Satzpaar 5 (oben) wie auch die Satzpaare 9 und 10 spiegeln ein wiederkehrendes Muster wider: Eine in einer Partizipform vermittelte Prädikation über ein Objekt, das auf eine bestimmte Art und Weise an der Aktivität beteiligt ist, entspricht in der norwegischen Fassung einer Imperativform oder evt. einer anderen Struktur, die direkt zu einem Handlungsschritt seitens des Adressaten instruiert. Im nachstehenden Satzpaar 9 wird durch die Partizipform zerkleinert in der deutschen Fassung die gleiche Handlungsmöglichkeit vermittelt wie durch das Konjunkt Pappen kan bli redusert til biter im Norwegischen. In 10 entspricht das deutsche erweiterte Attribut zur Hälfte mit Wasser gefüllt dem Konjunkt Fyll kokekar halvveis opp med vann in der norwegischen Fassung: 9. Der Karton kann zerkleinert der Altpapiersammlung beigefügt werden (Kühlschrank). Pappen kan bli redusert til biter og sendt til et resirkuleringssenter for brukt papir (kjøleskap) [Der Karton kann zerkleinert werden und der Altpapiersammlung beigefügt werden] 10. Stellen Sie dabei einen zur Hälfte mit Wasser gefüllten Topf mit einem angemessenen Bodendurchmesser auf jede Kochzone (Herd). Fyll kokekar med riktig størrelse halvveis opp med vann og sett dem på hver av platene (komfyr). [Füllen Sie Töpfe mit einem angemessenen Bodendurchmesser zur Hälfte mit Wasser und stellen Sie sie auf jede Kochzone] Zu einigen von diesen Beispielen kann allerdings vermerkt werden, dass die in den Partizipien vermittelten Handlungsschritte von den durch die finiten Verbformen vermittelten gewissermaßen abhängig sind, vgl. etwa 9. Nur Kåre Solfjeld 116 wenn man entschieden hat, den Karton der Altpapiersammlung beizufügen, wird relevant, dass der Karton zerkleinert werden muss. Insofern scheint unter den Handlungsschritten oft eine Art Hierarchie vorzuliegen, wobei der sekundäre, abhängige Handlungsschritt in der deutschen Version in syntaktisch subordinierter Form wiedergegeben wird. Durch solche Fälle wird auch klar, dass eine strikte Zweiteilung in Haupt- und Nebenstruktur problematisch ist, weil unter den Hauptstrukturäußerungen offensichtlich eine gewisse Rangordnung besteht. Nicht nur Partizipien, die Prädikationen über Objekte vermitteln, sondern auch subordinierte Strukturen anderen Typs in den deutschen Versionen - teilweise satzförmige, teilweise nicht-satzförmige - entsprechen selbständigen Sätzen bzw. Konjunkten in den norwegischen Versionen. Aus der syntaktisch subordinierten Struktur im Deutschen lässt sich ein Handlungsschritt seitens des Adressaten ableiten. Dieser Handlungsschritt wird in der norwegischen Version direkter in der Form eines Imperativs wiedergegeben; vgl. z. B. das Satzpaar 11: 11. Damit die Bügelsohle glatt bleibt, sollte sie nicht in Berührung mit Metallgegenständen kommen (Bügeleisen) Hold sålen glatt. Unngå kontakt med metallgjenstander (strykejern). [Halten Sie die Bügelsohle glatt. Vermeiden Sie den Kontakt mit Metallgegenständen] Allerdings finden sich auch Satzpaare, die in das erwartete Bild einpassen. Die norwegischen Sätze/ Konjunkte vermitteln keine Handlungsschritte. Sie sind somit eher als Nebenstrukturäußerungen zu klassifizieren und entsprechen syntaktisch subordinierten Strukturen der deutschen Fassung. Das Satzpaar 12 bietet ein Beispiel. Die Information, die im syntaktisch subordinierten Satz damit er gut gereinigt wird gegeben wird, stellt keinen Handlungsschritt dar, sondern gibt eher eine Art Begründung für die Handlung, die durch die vorausgehende Imperativform Drücken Sie … beschrieben wird. Die entsprechende norwegische Nebenstrukturäußerung ist als selbständiger Satz realisiert: Med tuten i denne posisjonen forenkles rengjøringen: 12. Drücken Sie den Ausguß ganz hinunter, damit er gut gereinigt wird (Zitruspresse) Skyv tuten helt ned. Med tuten i denne posisjonen forenkles rengjørigen (fruktpresser) [Drücken Sie den Ausguss ganz hinunter. Mit dem Ausguss in dieser Position wird die Reinigung einfacher] Festzuhalten ist Folgendes: Norwegische Sätze/ Konjunkte, die durch Imperativformen oder andere typische Strukturen direkt zu den entsprechenden Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 117 Handlungsschritten instruieren, entsprechen oft syntaktisch subordinierten Strukturen in den deutschen Versionen. Aus den syntaktisch subordinierten Strukturen der deutschen Fassungen lassen sich entsprechende Handlungsschritte ableiten. Trotz der unterschiedlichen Realisierung der Handlungsschritte tritt die relevante Handlungskette gleich klar zu Tage. Z. B. scheinen weder die norwegischen noch die deutschen Fassungen in 5, 9, 11 und 12 Interpretationsschwierigkeiten auszulösen. 4.4 Diskursstruktur - Interpretationsschwierigkeiten? Einleitend wurden Fragestellungen zur Diskursstruktur norwegischer Satz- / Konjunktsequenzen im Vergleich zu entsprechenden monosententialen deutschen Versionen umrissen. Nun hat sich erwiesen, dass die Sätze/ Konjunkte der norwegischen Fassungen, die NP- oder VP-Adjunkten in den deutschen Fassungen gegenüberstehen, weitgehend Hauptstrukturäußerungen - Teile der Handlungskette - ausmachen. Insofern ist die Frage, inwiefern die syntaktische Aufwertung der norwegischen Version im Vergleich zur deutschen zugleich eine nicht-intendierte diskursmäßige Aufwertung auslöst, irrelevant. Allerdings enthält das Material (wenn auch nicht viele) potentielle Problemfälle: Information, die in die sequenziell geordnete Handlungskette nicht eingeht, findet sich in einer subordinierten Struktur in der deutschen Version - und zugleich in einem selbständigen Satz in der norwegischen Version. Interessanterweise scheinen einige von diesen Satzpaaren die Annahme zu unterstützen, dass die parataktischeren norwegischen Varianten die intendierten Handlungsschritte etwas weniger klar vermitteln. Satzpaar 10, diesmal um den Kontext erweitert, bietet ein Beispiel: 10’. Wenn Sie die Kochzonen das erste Mal benutzen, drehen Sie die Knöpfe auf die Stellung 6. Lassen Sie die Kochzonen etwa 3 Minuten lang eingeschaltet, sodass der Geruch aufhört. Stellen Sie dabei einen zur Hälfte mit Wasser gefüllten Topf mit einem angemessenen Bodendurchmesser auf jede Kochzone (Herd). Drei bryterne til posisjon 6 og la kokeplatene stå på i omlag tre minutter før du bruker kokeplatene for første gang. Slik unngår du lukt. Fyll kokekar med riktig størrelse halvveis opp med vann og sett dem på hver av platene (komfyr). [Drehen Sie die Knöpfe auf die Stellung 6 und lassen Sie die Kochzonen etwa 3 Minuten lang eingeschaltet, wenn Sie die Kochzonen das erste Mal benutzen. So vermeiden Sie den Geruch. Füllen Sie Töpfe mit einem angemessenen Bodendurchmesser zur Hälfte mit Wasser und stellen Sie sie auf jede Kochzone] In der deutschen Version finden wir zwei syntaktisch untergeordnete Strukturen, die Sätzen/ Konjunkten in der norwegischen Version entsprechen: sodass der Geruch aufhört - Slik unngår du lukt und zur Hälfte mit Wasser gefüll- Kåre Solfjeld 118 ten (Topf) - Fyll (kokekar) ... halvveis opp med vann. Dadurch entsteht in der norwegischen Version eine Sequenz von mehreren Handlungsprädikaten in der Form von Imperativen: drei bryterne til posisjon 6, la kokeplatene stå på ..., fyll kokekar... halvveis opp med vann und sett dem på hver av platene. Zwischen la kokeplatene stå på ... und fyll kokekar schiebt sich Information ein, die als eine Art Ergebnis aufzufassen ist: Slik unngår du lukt. In einem Instruktionstext dieser Art stellt jeder Imperativ (oder genereller jedes Handlungsprädikat) einen potentiell neuen Handlungsschritt in der sequenziell geordneten Kette dar. In der deutschen Version sorgt die syntaktische Subordination von sodass der Geruch aufhört mitsamt dem Konnektiv dabei dafür, dass keine sequenzielle Interpretation entsteht: Stellen Sie dabei einen ... Topf vermittelt, dass eben keine temporale Verschiebung in Relation zum eben eingeführten Handlungsprädikat - dem übergeordneten Prädikat des direkt vorausgehenden Ganzsatzes: Lassen Sie die Kochzonen ... eingeschaltet - stattfinden darf. In der norwegischen Version ist dies unklarer: Die syntaktische Selbständigkeit des Prädikats, das das Ergebnis vermittelt: Slik unngår du lukt, legt nahe, dass die vorausgehenden Handlungsschritte in dieses Resultat münden und an sich nicht unbedingt andere diskursfunktionale Zwecke erfüllen müssen. Dies heißt wiederum, dass die danach folgenden Imperativformen: Fyll kokekar med riktig størrelse og sett dem ... in Einklang mit der grundlegenden Erwartung an Imperativformen eines Instruktionstextes als temporal verschoben, d. h. als neue Handlungsschritte aufgefasst werden können. Die Imperativformen mitsamt fehlenden expliziten Gegenstücken zu dabei erschweren die intendierte nicht-sequenzielle Lesart und bereiten zumindest nicht-erwünschte so genannte Garden-Path-Effekte: Die Struktur eröffnet zunächst mehrere Interpretationsmöglichkeiten, von denen sich die richtige erst nach weiterem Lesen - unter Einbeziehung des weiteren Kontextes - herauskristallisiert. (Vgl. zur Funktion von dabei unter kontrastiver Perspektive Fabricius-Hansen 2005: 36). Anfang des folgenden (hier nicht abgedruckten) Absatzes dieser Gebrauchsanleitung wird allerdings explizit geschrieben, dass die Kochzonen ohne Töpfe nicht eingeschaltet werden dürfen, was heißt, dass auch in der norwegischen Version sich die Interpretation auf die intendierte nicht sequenzielle Lesart einpendelt. Der Weg ist aber weniger direkt und somit in gewisser Hinsicht nicht optimal. Bemerkenswert ist, dass in der englischen Fassung, die nach Angaben der betreffenden Firma sowohl der norwegischen als auch der deutschen Fassung zugrunde liegt, ein ing-Adjunkt in Postposition auftritt. Dadurch scheint auch eine nicht-sequenzielle Lesart gesichert zu sein. 10’’ When the hot plates are used for the first time turn the knobs to position 6 and leave on for about 3 minutes to eliminate smells, positioning an appropriate size pan half filled with water on each plate. Offensichtlich wird die Informationsstrukturierung des englischen Originals einen Einfluss auf die Gestaltung der Zielversion(en) haben. Obwohl das Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 119 englische Original die zielsprachliche Ausformung beeinflussen wird, scheinen Deutsch und Norwegisch jedoch - durch die verschiedenen zur Verfügung stehenden Strukturmöglichkeiten und Präferenzregeln - Versionen zu bedingen, die in Bezug auf die Interpretation der Diskursstruktur divergieren. In dem nachstehenden Textpaar 13 ist ein ähnlicher Effekt wie in 10 zu verzeichnen: 13. Bei Bedarf kann die Dampffunktion des Braun Independent Steam & Straight zugeschaltet werden: Dampf tritt aus den Dampföffnungen, wenn Sie die Rippenfläche (G) des Dampfaufsatzes nach unten ziehen oder auf die Spitze des Dampfaufsatzes (A) drücken. Sie können entweder einen kurzen Dampfstoß auf einen einzelnen Haarabschnitt einwirken lassen oder Dampf permanent zuschalten, während Sie das Gerät entlang einer Strähne bis zu den Haarspitzen gleiten lassen (Steam and Straight). Braun Independent Steam & Straight tilfører ”Damp etter ønske”: Damp tilføres ved å trykke nedover den rillete delen av dampbeholderen (G) alternativt trykke på tuppen av dampdispenseren (A). Damp tilføres fra åpninger i trommelen. Du kan enten tilføre korte dampskudd til mindre seksjoner av håret, eller tilføre damp mens du beveger apparatet i hårseksjonen fra hodebunnen til hårtuppene (slettetang). [Bei Bedarf kann die Dampffunktion des Braun Independent Steam & Straight zugeschaltet werden: Dampf wird zugeführt, indem Sie die Rippenfläche (G) des Dampfaufsatzes nach unten ziehen oder alternativ indem Sie auf die Spitze des Dampfaufsatzes (A) drücken. Dampf wird aus den Dampföffnungen zugeführt. Sie können entweder einen kurzen Dampfstoß auf einen einzelnen Haarabschnitt einwirken lassen oder Dampf permanent zuschalten, während Sie das Gerät entlang einer Strähne bis zu den Haarspitzen gleiten lassen] Der Ganzsatz nach dem Doppeltpunkt in der deutschen Fassung enthält zwei Adjunkte: die Präpositionalphrase aus den Dampföffnungen und den Satz wenn Sie die Rippenfläche (G) des Dampfaufsatzes nach unten ziehen oder auf die Spitze des Dampfaufsatzes (A) drücken. In der norwegischen Version sind die Gegenstücke dieser Adjunkte in zwei aneinandergereihten selbständigen Ganzsätzen integriert: Damp tilføres ved å trykke nedover den rillete delen av dampbeholderen (G) alternativt trykke på tuppen av dampdispenseren (A). Damp tilføres fra åpninger i trommelen. Die Information, die in der deutschen Version in einem Ganzsatz zusammengehalten ist, verteilt sich auf zwei Ganzsätze in der norwegischen Version, wobei das Prädikat tilføres als Gegenstück zu tritt (aus) zweimal auftritt. Der zweite selbständige Ganzsatz Damp tilføres fra åpninger i trommelen gibt eine weitere Präzisierung, eine Elaborierung des im vorangehenden Satz eingeführten Handlungsschrittes: Damp tilføres ved å ... Wiederum könnte die norwegische Struktur zu einer nicht-intendierten sequenziellen Lesart verführen. Damp tilføres fra åpningen i trommelen könnte als ein eigenständi- Kåre Solfjeld 120 ger, nach dem ersten Drücken folgender Handlungsschritt aufgefasst werden, bei dem die Öffnungen z. B. irgendwie zu aktivieren wären. Somit entsteht in der norwegischen Version ein (zumindest schwacher) Garden-Path- Effekt. Die S-Passivform ist im norwegischen Material ein frequenter Träger von sequenziell geordneten Handlungsschritten. S-Passivformen gehen somit häufig in die Hauptstrukturen der Texte ein. Ihre Verwendung im Satz: Damp tilføres fra åpninger i trommelen entschlüsselt somit nicht, dass es sich um eine Präzisierung des schon eingeführten Handlungsschrittes handelt. Durch eine Alternative wie Dampen kommer ut fra åpninger i trommelen (Der Dampf kommt aus den Dampföffnungen), die sich strukturell von den Hauptstrukturäußerungen abhebt, hätte klarer vermittelt werden können, dass der Satz keinen selbständigen Handlungsschritt einführt. Die englische Fassung, die sowohl der norwegischen als auch der deutschen Fassung zugrunde liegt, lautet: 13’ The Braun Independent Steam & Straight supplies “Steam on Demand”: Steam is released if you pull down on the ribbed section of the steam dispenser (G), or alternatively if you press the tip of the steam dispenser (A). Steam is dispensed from the openings of the barrel. Offensichtlich vermeidet man auf Deutsch durch den Einbau einer syntaktisch subordinierten Struktur einen Garden-Path-Effekt, der auch im englischen Original relativ nahe legt und analog auf die norwegische Version übertragen worden ist. Das hier untersuchte Material zeigt, dass die parataktischere Struktur, die für die norwegischen Varianten der Gebrauchsanweisungen gewählt worden ist, Interpretationsschwierigkeiten bereiten kann. Strukturen, die keine neuen Handlungsschritte einführen, können fälschlich als Teil einer sequenziell geordneten Kette gesehen werden. Zudem zeigen Auszählungen im hier zugrunde gelegten Material, dass in den norwegischen Versionen Hauptstrukturäußerungen, die finite Verben enthalten, tendenziell eine größere Vielfalt von Realisierungen aufweisen als in den deutschen. Ein höherer Anteil der Handlungsschritte wird im Norwegischen durch Sätze im Indikativ - z. B. Passivsätze oder Strukturen mit Modalverben - vermittelt als im Deutschen. Weil sich die Instruktionsschritte in geringerem Grad strukturell von der übrigen Information abheben, verstärkt sich vermutlich in den norwegischen Fassungen die Tendenz dazu, dass gewisse Sätze fälschlich als Träger neuer Handlungsschritte gedeutet werden können. 5 Zusammenfassung und Ausblick Es konnten im untersuchten Material Kontraste verzeichnet werden, die die Ergebnisse in vergleichenden Studien deutscher und norwegischer Sachprosa widerspiegeln: Tendenziell stehen norwegische Satz-/ Konjunkt- Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 121 sequenzen häufiger monosententialen deutschen Varianten gegenüber als umgekehrt. Es besteht auch eine relativ starke Tendenz, dass syntaktisch subordinierte Strukturen in den deutschen Versionen informationell selbständigen Sätzen/ Konjunkten in den norwegischen Versionen entsprechen. Die syntaktisch subordinierten Strukturen der deutschen Fassungen, die Sätzen/ Konjunkten in den norwegischen Versionen entsprechen, vermitteln durchaus nicht nur begleitende Information oder Hintergrundinformation, sondern sie vermitteln mehr oder weniger direkt Handlungsschritte, die sich in die Handlungskette des Instruktionstextes eingliedern lassen. Ihre norwegischen Satz- oder Konjunktgegenstücke sind somit der Hauptstruktur des gegebenen Instruktionstextes zuzuordnen. Interessanterweise kodieren die deutschen syntaktisch subordinierten Strukturen oft einen sekundären Handlungsschritt. Sie geben einen Handlungsschritt an, der vom Handlungsschritt abhängig ist, der durch die Imperativform bzw. eine andere finite Verbform des gleichen Satzes vermittelt wird. Dieser sekundäre Handlungsschritt wird erst relevant, wenn die Handlung, die durch die finite Verbform vermittelt wird, realisiert wird. Zugleich ist jedoch festzustellen, dass durch die parataktische Struktur der norwegischen Fassungen die sequenziell geordnete Handlungskette manchmal weniger klar zu Tage tritt. Potentielle Missverständnisse entstehen, wenn Strukturen, die im Prinzip sequenziell geordnete Handlungsschritte realisieren können, die Handlungskette eben nicht weiterführen - und damit eine sehr grundlegende Erwartung bezüglich Gebrauchsanweisungen enttäuschen. Es geht hier oft um Information, die weitere Präzisierungen oder Elaborierungen von schon eingeführten Handlungsschritten - oder etwa begleitende gleichzeitig durchzuführende Handlungsschritte - vermittelt. Offensichtlich handelt es sich demnach um satzübergreifende Relationen, die unter die Termini Elaborierungen oder Accompanying Circumstances fallen (Fabricius-Hansen und Behrens 2001, Behrens und Fabricius-Hansen 2005). Es kann diskutiert werden, welchem Status Elaborierungen und Accompanying Circumstances in dem Modell von Stutterheim (1997) zukommen. Sie verletzen das Kriterium der sequenziellen Abfolge der Handlungsschritte, das konstitutiv für Hauptstrukturäußerungen eines Instruktionstextes ist, vermitteln aber wichtige Merkmale zur Kennzeichnung und Bestimmung der gegebenen Handlungsschritte. Zum Teil vermitteln sie auch parallel verlaufende Handlungsschritte. Somit sind sie keine prototypischen Nebenstrukturäußerungen. (Vgl. Stutterheim 1997: 101, und zum Status der Elaborierungen auch Stutterheim 1997: 226 und die Diskussion in Asher und Vieu 2005: 596). In den hier untersuchten authentischen Gebrauchsanweisungen scheinen Elaborierungen und Accompanying Circumstances häufig aufzutreten. Viele instruierende Handlungsprädikate referieren präzisierend auf vorhin eingeführte Handlungsschritte oder auf neue gleichzeitig auszuführende Handlungen. Dabei erfüllen sie eben nicht die Bedingung, Handlungsschritte einzuführen, die sich in eine lineare Abfolge eingliedern. Anzunehmen ist somit, dass die lineare Abfolge nicht für Kåre Solfjeld 122 alle Instruktionstexte gleich grundlegend ist. Das in Stutterheim (1997) für die Textproduktion konzipierte Modell für Instruktionstexte muss offensichtlich für die Vielfalt authentischer Gebrauchsanweisungen etwas differenzierter erfasst werden. In dieser Studie ist davon ausgegangen, dass sich für jedes Textpaar eine Hauptstruktur von identifizierbaren Handlungsprädikaten als tertium comparationis etablieren lässt, die in beiden Sprachen im Prinzip realisiert wird. Durch die Arbeit mit dem Material erscheint diese Annahme jedoch schnell problematisch. In der Praxis musste eher von der Vermutung ausgegangen werden, dass die Handlungsschritte, die in der einen Sprache prototypisch realisiert werden, auch in der anderen vorhanden sind - eventuell über Inferenzmechanismen ableitbar. Für eine explorative Untersuchung dieser Art, in der es primär um den Vergleich gewisser konkreter Textstellen geht, mag dieses Verfahren akzeptabel sein. Theoretischer gelagerte Fragen, etwa inwiefern Handlungsschritte, die aus Partizipformen wie zerkleinert in der deutschen Fassung von 9 ableitbar sind, in die Hauptstruktur im Sinne von Stutterheim (1997) mit einbefasst sind oder nicht, lassen sich aber nicht leicht beantworten. Erstens geht dieser Handlungsschritt (wie oben gezeigt) in eine gewisse Hierarchie ein und befindet sich somit nicht so richtig auf der gleichen Stufe wie der in der finiten Verbform vermittelte Handlungsschritt. Zweitens gerät man leicht in Zirkelschlüsse, wo die sprachliche Form entscheidet, welche Strukturen als Hauptstrukturäußerungen aufzufassen sind und welche nicht. Wiederum stößt das unter produktiver Perspektive entwickelte Quaestio-Modell in Stutterheim (1997), wo die Handlungsschritte in Instruktionstexten - kontrolliert - in außersprachlicher Form als Video oder Film vorliegen, an Grenzen. Offensichtlich sind für gedruckte authentische Gebrauchsanweisungen in stärkerem Grad Modelle anzuwenden, die die grundlegende Konzeptualisierung (irgendwie) mit einbeziehen. Die Arbeit mit dem Material wirft (wie oben schon angeschnitten) Fragen bezüglich Explizitheit/ Implizitheit auf. Durch die relativ starke Ausnutzung von Adjungierung im Deutschen eröffnet sich die Möglichkeit, Information zu integrieren, ohne die Anzahl von Sätzen zu erhöhen. Gewisse Textstellen in der norwegischen Fassung legen die Frage nahe, inwieweit einer Satzteilung, d. h. einer etwas umfassenderen aus mehreren Sätzen bestehenden Variante aus dem Wege gegangen ist und dabei zugleich eine weniger ausführliche Variante als auf Deutsch in Kauf genommen worden ist. Zum Beispiel lassen sich in den deutschen Varianten einige so genannte erweiterte Attribute verzeichnen, die keine direkten expliziten Gegenstücke auf Norwegisch finden. Vgl. hierzu 14: 14. Geben Sie weder Parfum, Essig, Wäschestärke, Entkalker, Bügelzusätze, noch chemisch entkalktes Wasser oder andere Chemikalien in den Wasserbehälter (Bügeleisen). Ein Vergleich zwischen deutschen und norwegischen Gebrauchsanleitungen 123 Ikke fyll parfyme, eddik, stivelse, rensemidler, stryketilsetningsstoffer, renset vann eller andre kjemikalier på vanntanken (strykejern). [Geben Sie weder Parfum, Essig, Wäschestärke, Reinigungsmittel, Bügelzusätze, noch gereinigtes Wasser oder andere Chemikalien in den Wasserbehälter] Durch die Verwendung eines erweiterten Attributs chemisch entkalkt vermittelt z.B. die deutsche Variante in 14 ein Element chemisch, das in der norwegischen Fassung nicht explizit ausgedrückt wird. Die norwegische Entsprechung lautet renset vann. Dadurch wird gewissermaßen auch mehr Weltwissen seitens der LeserInnen des norwegischen Textes vorausgesetzt. Sie müssen ergänzen, dass es sich um eine chemische Reinigung des Wassers handelt. Vielleicht verfügen sie nicht über die notwendigen Kenntnisse für eine solche Ergänzung. Das anaphorische andere in andere Chemikalien muss allerdings eine Verankerung im Vorkontext finden, wobei für renset vann - als Weiterführung einer Liste von teils als Chemikalien einzustufenden Stoffen - möglicherweise die Akkommodierung nahe gelegt wird, dass es sich um einen chemischen Reinigungsprozess handelt. Durch das fehlende chemisch erscheint die norwegische Fassung jedoch zumindest als weniger kohärent als die deutsche Fassung und stellt in höherem Maße als die deutsche Fassung eine mögliche Quelle für Missverständnisse dar. Zudem kann festgestellt werden, dass im Hinblick auf den Explizitheitsgrad offensichtlich zwischen den deutschen und norwegischen Versionen von Gebrauchsanweisungen Kontraste bestehen, die denen für Sachprosaübersetzungen ähnlich sind (vgl. hierzu Solfjeld 2004). Diese Beobachtung verstärkt die Annahme, dass die für Sachprosatexte geltenden Kontraste weitgehend auch für Gebrauchsanweisungen relevant sind. In mehreren Parametern, die als Niederschlag divergierender Strategien für Informationsstrukturierung aufgefasst werden können, spiegeln die Gebrauchsanweisungen die Ergebnisse in Studien von Sachprosatexten wider. Interessanterweise zeichnen sich für die Textpaare Deutsch-Norwegisch, denen eine gemeinsame englische Vorlage zugrunde liegt, ähnliche Kontraste ab wie für die Textpaare, wo die norwegische Version direkt auf der Basis der deutschen Version übersetzt worden ist. Im nächsten Schritt müssten natürlich die englischen Vorlagen, die vielen Textpaaren hier zugrunde liegen, mit einbezogen werden. (Vgl. hierzu Kvam in diesem Band). Bemerkenswert ist ferner, dass durch die strukturellen Kontraste und die potentiellen Interpretationsschwierigkeiten ein wichtiger Aspekt beim Verfassen von Instruktionstexten ins Blickfeld rückt. Abweichungen bezüglich der grundlegenden Erwartung für Instruktionstexte, dass die Handlungskette schrittweise, und somit gewissermaßen ikonisch satzweise, vorangetrieben wird, können weniger funkionsgerechte Textstrukturen ergeben. Fürs Verfassen gut funktionierender Instruktionstexte ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Handlungsschritte schnell identifiziert werden müssen, wobei entsprechende strukturelle Markierungen - d. h. eine Struktur, die Kåre Solfjeld 124 sich von der übrigen Information abhebt - vor allem wichtig zu sein scheinen. Zum Schluss ist nochmals vor Augen zu führen, dass den hier vorgelegten Ergebnissen eine sehr begrenzte Textauswahl zugrunde liegt. Es ist eine explorative Studie, die höchstens einen Beitrag zur weiteren Hypothesenbildung abgeben kann. Die Fragestellungen, die sich durch kontrastive Studien von Sachprosatexten herauskristallisieren, scheinen jedoch auch für Instruktionstexte fruchtbar zu sein. 6 Literaturverzeichnis Asher, Nicholas/ Vieu, Laure, Subordinating and coordinating discourse relations, in: Lingua 115(4), 2005, 591-610. Behrens, Bergljot/ Fabricius-Hansen, Cathrine, The relation Accompanying Circumstance across languages. Conflict between linguistic expression and discourse subordination? , SPRIKreport 32, Oslo 2005. Donceva, Galina, Sprachhandlungsziele von Anleitungstexten, in: Deutsch als Fremdsprache 27/ 1990, 166-172. Fabricius-Hansen, Cathrine, Informational density: A problem for translation and translation theory, in: Linguistics 34/ 1996, 521-565. 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Dieser ist dann nach bestimmten Vorgaben in insgesamt 17 Sprachen übersetzt worden. 1 Solche Vorgaben sind für eine Analyse der verschiedenen Übersetzungen von entscheidender Bedeutung. Dabei handelt es sich um konkrete Empfehlungen des Produzenten, der Firma Braun GmbH, und Gebote für die sprachliche und nicht-sprachliche Gestaltung der Zieltexte. Diese Vorgaben konstituieren den Übersetzungsauftrag, verstanden als spezifische Forderungen an die Gestaltung des Zieltextes zur Erreichung einer intendierten Wirkung bei einer intendierten Zielgruppe. Der hier zu analysierende Übersetzungsauftrag 2 lässt sich kurz wie folgt beschreiben: Der Inhalt des Zieltextes sei so weit wie möglich wortgetreu wiederzugeben, außer dem Abschnitt Garantie, der nach der Gesetzgebung in den jeweiligen Zielländern zu gestalten sei. Eine wortgetreue Wiedergabe des Inhalts bedeute auch eine Kopie der Textstruktur des englischen Ausgangstexts, so dass die Textstruktur in sämtlichen Zieltexten - unabhängig von Textsortenkonventionen in den Zielsprachen - mit dem englischen Ausgangstext identisch zu sein habe. Die konkrete sprachliche Gestaltung der Zieltexte habe jedoch nach den grammatisch-stilistischen Regeln für die Textsorte Gebrauchsanleitung in den jeweiligen Zielsprachen zu erfolgen. Ziellandspezifische Hinzufügungen und Änderungen juristischer Art, vor allem im Abschnitt Garantie, seien gestattet, ansonsten dürfe dem Ausgangstext nichts hinzugefügt werden. Zur Qualitätskontrolle der Zieltexte werden diese an das Unternehmen Braun geschickt, um zu prüfen, ob die oben beschriebe- 1 Dabei handelt es sich um die Zielsprachen Deutsch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Holländisch, Dänisch, Norwegisch, Schwedisch, Finnisch, Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Türkisch, Griechisch, Russisch und Arabisch. 2 Nach Gespräch mit Braun (Norwegen) im März 2006. Sigmund Kvam 128 nen Vorgaben für die Gestaltung der jeweiligen Zieltexte eingehalten worden seien. 2 Forschungsobjekt, Problemstellung und Vorgehensweise 2.1 Zum Forschungsobjekt: Der komplexe Übersetzungsauftrag einer Gebrauchsanleitung Das Forschungsobjekt der vorliegenden Arbeit sind die Übersetzungen des englischen Ausgangstextes der Gebrauchsanweisung für die Kaffeemaschine Braun Aroma Passion ins Deutsche und Norwegische. Der diesen Übersetzungen zugrundeliegende Übersetzungsauftrag kann als stark ausgangtextbezogen charakterisiert werden: Zentrale Merkmale der Zieltexte 3 sind dem Ausgangstext direkt zu entnehmen. Nicht nur das Thema, hier verstanden als die propositionale Struktur und die thematische Progression, ist in den Zieltexten zu kopieren, sondern auch die Situation, verstanden als Interaktionspartner und Handlungskontext, wird im Auftrag als identisch festgelegt. Dies bedeutet, dass von kulturellen Unterschieden zwischen den Zielsprachengemeinschaften abgesehen wird und dass die Textgliederung im Ausgangstext in sämtlichen Zieltexten zu wiederholen ist. Dies alles ist der identischen Textfunktion für den Ausgangstext und die Zieltexte zu entnehmen: Für die intendierte Zielgruppe, den Käufern von Braun Aroma Passion, einen guten Instruktionstext zu schaffen, der auch die juristischen und wirtschaftlichen Interessen der Firma Braun berücksichtigt. Der vorliegende Übersetzungsauftrag ist jedoch in einem wichtigen Bereich zieltextbezogen: Bei der textlichen Kohärenz und Kohäsion sowie auch für den syntaktischen Stil schreibt der Übersetzungsauftrag einen angemessenen zielsprachlichen Stil vor. Während in sprachexternen Bereichen der Zieltexte eine Identität mit dem Ausgangstext vorgegeben ist, schreibt der Übersetzungsauftrag im sprachinternen Bereich der Zieltexte einen zielsprachlich textsortenkonformen syntaktischen Stil, d. h. einen im Vergleich mit dem Ausgangstext entsprechenden Stil vor. 4 Durch die Zweigleisigkeit dieses Übersetzungsauftrags - einerseits einige Textaspekte in sämtlichen Zieltexten mit dem Ausgangstext identisch zu gestalten, andererseits andere Textaspekte nach sprachlich-kommunikativen Regeln für die einzelnen Zielsprachen zu realisieren - werden u. E. zwei Fragen deutlich: zum einen die problematische typologische Einordnung solcher Übersetzungsfälle, zum anderen die Frage nach den Kontrasten zwischen den Sprachen im zielspra- 3 Vgl. hierzu Adamzik (2004: 48), die als prototypische Textmerkmale Textfunktion, Thema, Situation und Kohäsion/ Kohärenz vorschlägt. Eine Diskussion und detaillierte Auflistung von Textualitätsmerkmalen finden sich u. a. in Glück (2000: 728). 4 Siehe hierzu auch die Überlegungen in Teich (2002: 199ff.). Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 129 chenkonformen Teil des Übersetzungsauftrages, also im syntaktischen Stil der beiden Zieltexte. Die typologische Einordnung solcher Übersetzungsfälle ist im Rahmen gängiger Übersetzungstypologien nicht unproblematisch: Zwar scheint hier ein Standardfall einer so genannten äquivalenten oder im Rahmen der funktionalen Übersetzungstypologie von Christiane Nord (1997: 50) funktionskonstanten bzw. äquifunktionalen Übersetzung vorzuliegen, doch ist dieser durchaus normale und anscheinend konstante Übersetzungsauftrag nicht eindimensional, sondern enthält - um bei der Terminologie von Nord zu bleiben - sowohl instrumentelle als auch dokumentarische Vorgaben. Hier liegt also anscheinend eine Art ‚widersprüchliche Doppelklassifizierung’ vor - also ein nicht zu unterschätzendes translationstypologisches Problem. Die Kontraste zwischen dem deutschen und dem norwegischen Zieltext sind gerade vor dem Hintergrund der Forderung nach einem zielsprachlich angemessenen syntaktischen Stil in einem sonst ausgangstextkopierenden Übersetzungsauftrag interessant. Mit dem Ausgangstext als Maßstab für weite Teile des Zieltextes, besteht die Gefahr, dass der syntaktische Stil des Ausgangstextes anders als im Übersetzungsauftrag angegeben, im Zieltext mit kopiert wird. 2.2 Zur Problemstellung: Beschreibung und Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen Die Problemstellung der vorliegenden Arbeit ist zweigeteilt: Zum einen ist die problematische Beschreibung, insbesondere die Binnendifferenzierung funktionskonstanter bzw. pragmatisch äquivalenter Übersetzungsfälle aufzugreifen. Dabei ist am Beispiel der vorliegenden Übersetzungen zu zeigen, dass Kategorien wie beispielsweise Äquivalenz und Funktionskonstanz zu undifferenziert sind, um komplexere funktionskonstante Übersetzungsfälle zu beschreiben. Stattdessen wird vorgeschlagen, eine Binnendifferenzierung funktionskonstanter Übersetzungsfälle auf der Grundlage der in der Übersetzungswissenschaft bewährten Analysekategorie Invarianz vorzunehmen. Zum anderen sind die beiden Zieltexte in Bezug auf den hier geforderten angemessenen syntaktischen Stil zu vergleichen, um in diesem invarianzintensiven Übersetzungsauftrag eventuelle Interferenzen vom englischen Ausgangstext in den jeweiligen Zieltexten zu untersuchen. Dadurch wird zwischen den beiden Teilen der Problemstellung eine Brücke geschlagen: Da Invarianz mit dem Ausgangstext als ein grundlegendes Textgestaltungsprinzip für die makrolinguistischen, d. h. textstrukturellinhaltlichen Ebenen des Zieltextes vorgeschrieben wird, dürfte es von Interesse sein, auch diejenigen Ebenen des Zieltextes zu untersuchen, für welche im Auftrag explizit eine zielsprachlich entsprechende und nicht identische Textgestaltung verlangt wird. Dies gilt für die mikrolinguistische, d. h. Sigmund Kvam 130 lexiko-grammatische, Ebene des Zieltextes. Für diese Ebene besteht dann die Gefahr, dass die Invarianzforderung für die makrolinguistische Ebene auf die genannte mikrolinguistische Ebene übertragen werden könnte und dabei eindeutig auftragsinkompatible Textstellen zur Folge haben könnte. Durch diese Zweiteilung der Problemstellung wird also beabsichtigt, die Relevanz von Invarianz nicht nur als Beschreibungs-, sondern auch als Evaluationskategorie zu zeigen. 2.3 Zur Vorgehensweise In (3) sind zunächst drei zentrale Typologien in der Übersetzungswissenschaft kurz vorzustellen und in Bezug auf den hier zu untersuchenden Übersetzungen kritisch zu analysieren. Anschließend wird ein alternatives Beschreibungskonzept auf der Grundlage der Kategorie Invarianz als Differenzierungskriterium für funktionskonstante Übersetzungsfälle vorgeschlagen. Ausgehend von der intendierten gemeinsamen Handlungsstruktur werden in (4) die beiden Zieltexte in Bezug auf den im Übersetzungsauftrag vorgegebenen zielsprachenangemessenen syntaktischen Stil verglichen, um Fragen zu sprachenspezifischen Textproduktionsstrategien zu beleuchten. Eine Schlussfolgerung mit Thesen für weitere Analysen schließt die Darstellung in Abschnitt 5 ab. 3 Zum Problem der Binnendifferenzierung 5 funktionskonstanter Übersetzungen 3.1 Vorbemerkung Funktionskonstante Übersetzungen bilden keine einheitliche Gruppe. Was über die Funktion hinaus als konstant zu gelten hat, variiert von Fall zu Fall. 6 Das ist auch in übersetzungstypologischer Hinsicht problematisch - was 5 Unter Binnendifferenzierung wird hier generell die Einteilung in Subkategorien verstanden, ohne dass etwaige Einteilungskriterien (z. B. binär, monotypisch/ polytypisch) festgelegt werden. 6 Ein Beispiel wäre die Übersetzung deutscher Geschäftsbriefe ins Norwegische, wo im Übersetzungsauftrag nicht selten festgelegt wird, dass bei inhaltlich-propositionaler Identität die Textsortenkonventionen der Zielsprache zu gelten haben. Dies hat u. a. zur Folge, dass viele Elemente der ausgangstextlichen Textstruktur, wie beispielsweise die Anrede geändert bzw. gestrichen werden müssen. In dem hier untersuchten Fall dagegen gilt, wie in 1 und 2.1 gezeigt, die direkte Übernahme der Textstruktur des Ausgangstextes. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 131 jetzt am Beispiel von drei ausgewählten Typologien 7 aus sowohl funktionalen als auch äquivalenzorientierten Richtungen kurz zu zeigen ist. 3.2 Die zu analysierenden Typologieansätze im Überblick Ausgangspunkt der Übersetzungstypologie von Werner Koller ist Äquivalenz als spezifische Übersetzungsbeziehung zwischen Ausgangstext und Zieltext. Diese Beziehung sei jedoch im konkreten Fall genauer anzugeben und von Textqualitäten des Ausgangstextes abhängig (Koller 2004: 214ff.). Konkret bedeutet das, dass bestimmte Qualitäten des Ausgangstextes in der Übersetzung beibehalten werden müssen. Jeder Text habe denotative, konnotative, textnormative, pragmatische und formal-ästhetische Dimensionen (ebd., 215f.). Diese Dimensionen sind bei Koller die Bezugsrahmen, „die bei der Festlegung der Art der Übersetzungsäquivalenz einer Rolle spielen“ (ebd., 216). Dabei sind in einem gegebenen Text grundsätzlich alle Dimensionen vorhanden, diese sind aber bei einer genaueren Analyse des Ausgangstextes nicht gleich wichtig. Bei der Übersetzung eines Textes kommt es deshalb darauf an, der dominanten Textdimension den Vorrang zu geben, also diese beim Übersetzen äquivalent zu halten. Ein Beispiel wären formalästhetische Textqualitäten, die ja bekanntlich nicht nur in literarischen Texten auftreten können. Aber diese Textqualitäten „sind konstitutiv für literarische Texte, d.h., ein literarischer Text, der dieser Qualitäten verlustig geht, verliert seine Literazität“ (ebd., 253). Aus diesem Grunde ist laut Koller die Erhaltung einer formal-ästhetischen Äquivalenz bei der Übersetzung von literarischen Texten vorrangig. Auch die Einteilung von Juliane House in covert und overt translation basiert auf Äquivalenz zwischen Ausgangstext und Zieltext. Je nach den dominanten Textqualitäten des Ausgangstextes wird ein Text als overt oder covert translation übersetzt. Unter overt translation versteht House Übersetzungen, bei denen „the receptors of the translation are quite ‚overtly’ not being addressed, an overt translation is thus one which must overtly be a translation, not a ‘second original’” (House 2001: 139f.). Ausgangstexte von overt translations sind Texte mit einem “established worth in the source text 7 Interessant wäre auch eine Diskussion anderer Typologieansätze, wie beispielsweise der (äquivalenzorientierten) Typologie von Schreiber (1993). Diese Typologie ist allerdings mehr auf den Unterschied zwischen Übersetzen und Bearbeiten und nicht so sehr auf eine Binnendifferenzierung von Übersetzungstypen ausgerichtet. Aus diesem Grund - sowie aus den üblichen Platzgründen - wird auf diese Typologie nicht eingegangen. Dies betrifft auch eine Diskussion des Problems der Typologisierung von Übersetzungen in Albrecht (2005: 39ff.): Albrecht stellt hier mögliche Kriterien für die Typologisierung von Übersetzungen auf (z. B. Grad der Ausgangstextgebundenheit, Inhalt des Ausgangstextes, Ausgangstexttyp bzw. Textsorte des Ausgangstextes, Übersetzungsrichtung). Diese werden nur historisch-rückblickend kurz beschrieben und teils polemisch-normativ angegriffen, wie die Skopos-Theorie (ebd., 45-49). Er schlägt aber selbst keine eigene Übersetzungstypologie vor. Sigmund Kvam 132 community” (ebd., 140), bei denen die Aufgabe des Übersetzers darin bestehe, „to give the target culture members access to the original text and its impact on source culture members” (ebd., 141). Covert translation ist dagegen ‘verdeckt’ in dem Sinne, dass die Übersetzung “enjoys the status of an original source text in the target culture” (ebd., 140). Im Gegensatz zur overt translation sei diese Übersetzungsklasse nicht als Übersetzung markiert, „but may, conceivably, have been created in ist own right“ (ebd.). Folglich bedeute eine covert translation „to reproduce in the target text the function the original has in its frame and discourse world“ (ebd., 141). Als Beispiel erwähnt House die Übersetzung eines mit Text versehenen Bilderbuches für Kinder aus dem Englischen ins Deutsche. Die deutsche Übersetzung wurde in den 70er Jahren in der Bundesrepublik gängigen Konventionen in der Kindererziehung angepasst. Der deutsche Zieltext weicht vom englischen Ausgangstext deutlich ab und wird auf dieser Grundlage als „a covert translation, in which a cultural filter has been applied“ (ebd., 154) charakterisiert. Dies sei laut House für diesen Text unzulässig, weil der Übersetzer eigenhändig Änderungen bzw. Manipulationen im Text vornimmt, „thus barring children from access to the original’s voice“ (ebd.). Solche Ausgangstexte verlangen laut House eine overt translation. Ein konkretes Beispiel solcher nicht-angemessenen Übersetzungen sei die Wiedergabe von SHINE, SHINE went the sun durch Und die Sonne schien immer heller (ebd., 150). Wie bei Juliane House, findet sich bei Christiane Nord auch eine binär aufgebaute Typologie. Nord unterscheidet zwischen dokumentarischen und instrumentellen Übersetzungen: Bei einer instrumentellen Übersetzung wird der Zieltext als eigenständiger Text in der Zielsprache konzipiert und produziert: „The result of an instrumental translation is a text that may achieve the same range of functions as an original text“ (Nord 1997: 50). Eine dokumentarische Übersetzung habe dagegen eine metatextuelle Funktion, indem inhaltliche und/ oder formale Aspekte des Ausgangstextes in der Zielsprache abzubilden oder zu ‚dokumentieren’ sind: „The target text, in this case, is a text about a text, or about one or more particular aspects of a text“ (ebd., 47). Dies bedeutet, dass eine dokumentarische Übersetzung wegen ihrer Funktion, Aspekte eines anderen Textes zu dokumentieren, grundsätzlich zusammen mit dem Ausgangstext, also mit der Grundlage für die ‚Dokumentation’, gelesen werden sollte. Dokumentarische Übersetzungen werden weiterhin nach dem Grad oder Umfang des vom Ausgangstext Abzubildenden unterteilt (exotisierendes, philologisches, wörtliches und Wort-für-Wort-Übersetzen, 8 instrumentelle Übersetzungen nach dem Grad der vom Ausgangstext abweichenden Textproduktionssituation und -intention für den Zieltext (funktionskonstantes, funktionsvariierendes und korrespondierendes Übersetzen). 9 Ein klassisches Beispiel einer dokumentarischen Übersetzung wäre Das Münchener Neue 8 Vgl. hierzu ausführlicher in Nord (1989: 103) sowie in Nord (1997: 47ff.). 9 Vgl. hierzu ausführlicher in Nord (1989: 103ff.) sowie in Nord (1997: 50ff.). Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 133 Testament, 10 in dem das Neue Testament so gut wie wortwörtlich ins Deutsche übersetzt worden ist, um theologisch Interessierten den griechischen Ausgangstext mit einer interlinearen deutsche Übersetzung vorzustellen, die teilweise grammatisch inkorrekt ist wie in Sich aufteilend aber seine Gewänder, warfen sie Lose (Lukas 23,24). Die traditionelle Luther- Bibel 11 stellt aber eine instrumentelle Übersetzung dar, indem hier der Zieltext als eigenständiger deutscher Text konzipiert ist, wie an gleicher Stelle bei Lukas: Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los darum. Die hier analysierten Typologien weisen sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede auf. Koller und House gehen beide von Äquivalenz im Sinne einer zielsprachlichen Entsprechung des Ausgangstextes als Definition von einer übersetzerischen Beziehung zwischen einem Ausgangstext und Zieltext aus. Bei beiden ist der Ausgangstext das Maß aller Dinge. Textqualitäten von diesem entscheiden, welcher Übersetzungstyp (overt, covert im Sinne von House) oder welche Textdimension bei der Übersetzung zu wählen ist (Prioritierung von Äquivalenzdimensionen bei Koller). Eine sozial definierte Übersetzungssituation mit sozialen Rollen, die nicht nur auf der Grundlage des Ausgangstextes alleine, sondern auch auf der Grundlage von Handlungsinteressen der am Übersetzungsprozess Beteiligten konstituiert wird, d. h. was meist als Übersetzungsauftrag mit einem Auftraggeber oder Initiator als zentraler Instanz in der als Übersetzen genannten sprachlich-kommunikativen Handlung bezeichnet wird, wird in den äquivalenzbasierten Modellen nicht thematisiert. Gerade hier findet sich der große Unterschied zu Nords Modell. Grundlage der funktionalistischen Typologie von Nord sind eben die unterschiedlichen Übersetzungssituationen, nämlich Auftragssituationen, die bei ein und demselben Text möglich sind. Der oben zitierte Bibeltext ist hier ein gutes, authentisches Beispiel. Je nach Handlungsinteresse - entweder die Bibel als historischphilologisches Dokument oder als Gottes Wort in einem verständlichen, grammatisch korrekten und textsortenangemessenen Stil für den heutigen Leser im deutschsprachigen Sprach- und Kulturraum übersetzen - wird der Zieltext unterschiedlich gestaltet. Für eine Übersetzungstypologie hat dies zur Folge, dass grundsätzlich jeder Text, je nach Handlungsinteresse und Auftragssituation, in unterschiedliche Richtungen übersetzbar ist, wie z. B. dokumentarisch als historisch-philologisches Dokument oder instrumentell als Gebrauchstext in irgendeinem Handlungskontext in der Zielsprachenkultur. 10 Münchener Neues Testament, hrsg. vom Collegium Biblicum München. 5. Auflage. Düsseldorf, 1998. 11 Die Bibel, nach der Übersetzung Martin Luthers, hrsg. von der Deutschen Bibelgesellschaft. Stuttgart, 1984. Sigmund Kvam 134 3.3 Kritischer Durchgang der Typologien am Beispiel der hier analysierten Gebrauchsanleitung 3.3.1 Die Übersetzungstypologie von Christiane Nord Der vorliegende Übersetzungsauftrag ist zwar im Sinne von Nord (1997: 50f.) eindeutig als funktionskonstant bzw. äquifunktional zu betrachten, da man ja hier auf der Basis eines ausgangssprachlichen Instruktionstextes für die Benutzung einer Kaffeemaschine einen zielkulturell funktionierenden Instruktionstext für die Benutzung der gleichen Kaffeemaschine zu verfassen beabsichtigt. 12 Eine funktionskonstante bzw. äquifunktionale Übersetzung im Einklang mit Nord (1997) bedeutet, dass die Funktion von Ausgangstext und Zieltext, verstanden als die intendierte Wirkung des Textes bei der intendierten Rezipientengruppe, gleichwertig zu sein hat. Das ist in den hier untersuchten Textpaaren zweifellos auch das übergeordnete Handlungsinteresse. Die Tatsache, dass die Texte in Bezug auf das übergeordnete Handlungsinteresse 13 als gleichwertig zu betrachten sind, sagt jedoch nichts darüber, wie die Intertextrelationen zwischen Ausgangstext und Zieltext in anderen Textbereichen als beim übergeordneten Handlungsinteresse sind: Ausgehend von Nords Typologie, ist dieser Übersetzungsfall nämlich nicht nur instrumentell-funktionskonstant, sondern auch deutlich dokumentarisch-philologisch. Die Textmerkmale des Ausgangstextes sind hier in wesentlichen Textbereichen nicht gleichwertig zielkulturell nachzubilden, sondern schlicht und einfach vom Ausgangstext zu kopieren: Dies betrifft die propositionale Struktur, die Funktionsbzw. Handlungsstruktur und die gesamte Textmakrostruktur. Die inhaltlichen Elemente sollen identisch sein, Art und Verteilung der Handlungsschritte auch, die Abschnittsgliederung und deren graphische Gestaltung ebenfalls. Die Identität dieser Textaspekte ist im Übersetzungsauftrag vorgegeben und kann auch empirisch nachgewiesen werden. 14 Das übergeordnete Handlungsinteresse als Instruktionstext im Sinne einer Gebrauchsanleitung wird im Auftrag durch ein als identisch definiertes Handlungsziel festgelegt. Nur auf der transphrastischen, syntaktischen und lexikalischen Ebene des Textes wird der Auftrag wieder deutlich instrumentell - hier gelten zusätzlich zu den allgemeinen grammatischen Regeln in den Zielsprachen auch textsortenangemessene Stilregeln der Zielsprachen. Nach Nords Modell ist dieser Übersetzungsfall also nicht nur instrumentell, sondern in vieler Hinsicht auch dokumentarisch, und 12 Zum funktionskonstanten (äquifunktionalen), instrumentellen Übersetzen, vgl. hierzu Nord (1997: 50f.). 13 Zum übergeordneten Handlungsinteresse gehören vor allem eine leserfreundliche Instruktion durch Handlungsanweisungen für die Benutzung der Kaffeemaschine sowie auch eine juristische Absicherung des Produzenten durch Empfehlungen und Anweisungen dafür, was man nicht tun darf - alles zum Zweck der Erhaltung zufriedener Kunden im Rahmen einer übergeordneten wirtschaftlichen Effizienz. 14 Vgl. hierzu die Beispielanalyse in 4. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 135 zwar nicht im Sinne einer Gleichwertigkeit, sondern im Sinne einer Identität - und so gesehen in Bezug auf ihre Übersetzungstypologie ein Problem (Nord 1997: 47ff.). 3.3.2 Die Übersetzungstypologie von Juliane House Auch die Einteilung von House (1997) ergibt eine Doppelklassifizierung dieses Übersetzungsfalls. Wie in 3.2. erwähnt, unterscheidet House zwischen overt translation einerseits und covert translation andererseits. Der hier untersuchte Übersetzungsfall ist overt in dem Sinne, dass den Lesern des Zieltextes die gesamte Textstruktur vom Ausgangstext zu kopieren ist, ohne spezifische Textsortenkonventionen in der Zielsprache zu berücksichtigen. Bei einer solchen Vorgabe für die Gestaltung des Zieltextes könnte der Zieltext - je nach zielsprachlichen Textsortenkonventionen - eine in der Zielsprache völlig textsortenfremde Textstruktur erhalten. Der hier untersuchte Übersetzungsfall ist aber auch covert oder ‚verdeckt’, aber nur auf der im Auftrag genannten Textmikroebene, also zielsprachlich textsortenangemessen im Bereich der Transphrastik und der Satzlinguistik. Der hier analysierte Übersetzungsfall ist also sowohl covert als auch overt: auf der Textmakroebene, also in Bereichen wie Abschnittsgliederung, Makrostruktur und Handlungsstruktur, gilt als Maßstab die nachweisbare Identität mit dem Ausgangstext, also eine overt translation, während auf der genannten Textmikroebene der zielsprachengerechte Stil durch ein Verfahren im Sinne einer covert translation vorgegeben ist. 3.3.3 Die Typologie von Werner Koller Ein weiteres bereits klassisches Typologiebeispiel sei erwähnt, nämlich Kollers Äquivalenzdimensionen. Werner Koller unterscheidet, wie in 3.2 kurz dargelegt, zwischen denotativen, konnotativen, textnormativen, pragmatischen und formal-ästhetischen Dimensionen der Äquivalenz (2004: 214ff.). Im hier analysierten Fall ist nur ‚ganz oben’ und ‚ganz unten’ im Text von Äquivalenz im Sinne von Koller die Rede: Im allgemeinen, übergeordneten pragmatischen Bereich ist eine als Identität festgelegte Relation zwischen Ausgangstext und Zieltext als Instruktionstexte in der Gestalt einer Gebrauchsanleitung vorgeschrieben - in denotativer, konnotativer und formalästhetischer Hinsicht liegt ebenfalls als explizite Vorgabe für die Produktion des Zieltextes eine mit dem Ausgangstext nachzuweisende Identität vor. In der textnormativen Dimension gilt allerdings auf der Mikroebene des Textes Äquivalenz im Sinne einer Gleichwertigkeit zwischen Ausgangstext und Zieltext, indem hier ein gleichwertiger, aber zielsprachengerechter, syntaktischer Stil vorgeschrieben wird. Dieser Übersetzungskontext ist also in Bezug auf Kollers Äquivalenzdimensionen unterschiedlich - in einigen Dimensio- Sigmund Kvam 136 nen könnte von einer Äquivalenz im Sinne der Produktion eines gleichwertigen Zieltextes die Rede sein, in anderen Dimensionen liegt eben keine solche Gleichwertigkeit, sondern eher eine Identität von Textmerkmalen vor, bei denen also der Ausgangstext ohne Rücksicht auf etwaige zielsprachenspezifische Textsortenkonventionen die Regeln für die zielsprachliche Textproduktion angibt. 3.4 Invarianz als Differenzierungskriterium funktionskonstanter Übersetzungen? Der englische Ausgangstext wird im Fall der Gebrauchsanleitung für die Kaffeemaschine Braun Aroma Passion nicht nur einfach übersetzt, sondern auf eine bestimmte Art und Weise übersetzt. Wie in 3.2 am Beispiel der Bibelübersetzung gezeigt, kann je nach Auftragssituation ein und derselbe Zieltext z.B. dokumentarisch oder instrumentell übersetzt werden: Da Übersetzungsaufträge, also die sprachlich-kommunikativen Vorgaben für die Gestaltung des Zieltextes 15 , variieren, liegen grundsätzlich mehrere Übersetzungsrichtungen vor, von denen in der jeweiligen Übersetzung eine bzw. einige gewählt werden. Dies ist bei einer Gebrauchsanleitung auch nicht anders. Eine Gebrauchsanleitung muss nämlich, wie in dem hier untersuchten Fall, nicht notwendigerweise als Kopie des Ausgangstextes - außer im transphrastisch-syntaktischen Bereich konzipiert werden: Ein Gegenbeispiel findet sich in einer Gebrauchsanleitung des Unternehmens Bosch. 16 Hier wird im Auftrag zwar auch eine funktionskonstante Übersetzung verlangt, indem auch in diesem Übersetzungsfall die Funktion im Sinne des übergeordneten Handlungsinteresses zwischen Ausgangstext und Zieltext als identisch definiert wird, doch gelten über das gemeinsame übergeordnete Handlungsinteresse hinaus für den Zieltext die sprachlich-kommunikativen Textsortenkonventionen der Zielkultur und nicht diejenigen für den Ausgangstext: Bei der Bosch-Gebrauchsanleitung ist also im Gegensatz zu der hier untersuchten Braun-Gebrauchsanleitung nur der propositionale Inhalt des Ausgangstextes zu kopieren. Für die Gesamtheit, nicht nur für einen Teilbereich der Textsortenkonventionen, gelten die sprachlich-kommunikativen Regeln der jeweiligen Zielsprachen. In einer solchen Übersetzungssituation handelt es sich eindeutig um einen typischen funktionskonstanten Übersetzungsfall (Nord 1997: 50), eine covert translation (House 2001: 139f.) oder eine Übersetzung mit pragmatischer bzw. auch textnormativer Äquivalenz (Koller 2004: 247ff.). 15 Fragen zur Komplexität des Begriffs Übersetzungsauftrag bzw. Translationsauftrag werden in 5 kurz angesprochen. 16 Dabei handelt es sich um die Übersetzung von Gebrauchsanleitungen für Kühl-Gefrier- Geräte aus dem Deutschen ins Norwegische. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 137 In der hier untersuchten Gebrauchsanweisung der Kaffeemaschine Aroma Passion ist dagegen eine andere Richtung der übersetzerischen Zieltextproduktion zu wählen und zwar ausgangstextidentisch und dabei nicht notwendigerweise zielsprachenkonform im Textmakrobereich, hier verstanden als propositionale Struktur und Textgliederung, dagegen zielsprachenkonform im Textmikrobereich, hier verstanden als Transphrastik und Satzlinguistik. Es lässt sich nachweisen, dass die Intertextrelationen zwischen Ausgangstext und Zieltext nicht nur zwischen zwei funktionskonstanten Übersetzungsfällen, wie zwischen den oben erwähnten Gebrauchsanleitungen von Bosch einerseits und von Braun andererseits, sondern auch innerhalb ein und desselben funktionskonstanten Übersetzungsfalls variieren können. Dies hat (mindestens) drei wichtige Folgen für die Beschreibung funktionskonstanter Übersetzungen: - Die oben beschriebenen variierenden Intertextrelationen zeigen, dass nicht der Ausgangstext die Richtung einer Übersetzung automatisch angibt, sondern der Übersetzungskontext, und zwar der Übersetzungsauftrag im Rahmen der konventionell gegebenen Möglichkeiten des Übersetzens einer spezifischen Textsorte bzw. eines spezifischen Textexemplars. - Die Annahme einer Äquivalenz ohne die Berücksichtigung eines grundsätzlich variierenden Übersetzungskontextes und ausschließlich auf der Basis des Ausgangstextes lässt sich somit noch einmal empirisch widerlegen. Hier ist dem funktionalen Grundsatz der entscheidenden Rolle des Übersetzungsauftrages und der These von zwei getrennten Textproduktionsvorgängen mit grundsätzlich variierenden Intertextrelationen zuzustimmen. - Innerhalb der funktionalen Übersetzungstypologie ist allerdings die typologische Kategorie funktionskonstantes Übersetzen zu vage und deshalb differenzierungsbedürftig. Im vorliegenden Übersetzungsfall liegt zwar Funktionskonstanz vor: Der Zieltext soll die gleiche Funktion wie der Ausgangstext im Sinne einer intendierten Wirkung bei einer spezifischen Rezipientengruppe haben. Aber der untersuchte Text zeigt auch, dass eine Binnendifferenzierung des funktionskonstanten Übersetzens nach der Art der Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Texten, nach Textebenen differenziert, sinnvoll sein könnte. Dadurch sind wir zu der alten Kernfrage der Vielschichtigkeit der Intertextrelation in der Übersetzungswissenschaft gelangt. Dabei erscheint es bei funktionskonstanten Übersetzungen wichtig, die Relevanz der in der Übersetzungswissenschaft nicht unbekannten Kategorie der Invarianz wieder hervorzuheben. Diese ist nun nicht mit Äquivalenz zu verwechseln: Invarianz bedeutet nachweisbare Identität, Äquivalenz eher Gleichwertigkeit im Sinne einer entsprechenden Wiedergabe eines Inhalts einer Sprache in eine andere. 17 17 Vgl. hierzu Näheres zur Unterscheidung zwischen Äquivalenz und Invarianz u. a. in Albrecht (2005: 32ff.) sowie auch die Diskussion von unterschiedlichen Dimensionen Sigmund Kvam 138 Invariant im Sinne einer Identität zwischen Ausgangs- und Zieltext sind in der hier untersuchten Braun-Gebrauchsanweisung wie gesagt Handlungsstruktur, Denotation und Textmakrostruktur. Diese Textaspekte sollten ohne Rücksicht auf zielsprachenspezifische Konventionen vom Ausgangstext direkt und vollständig übernommen werden. Diese Identität setzt auch den Maßstab für die Evaluation, d.h. die Qualitätssicherung des Zieltextes muss auch nachgeprüft werden können. Variant im Sinne einer Entsprechung des Ausgangtextes ist der zielsprachlich zu gestaltende syntaktische Stil und zwar so, dass hier textsortenspezifische Regeln der Zielsprache auf Textmikroebene, also im Bereich der Transphrastik und Syntax, zu beachten sind. Der hier untersuchte Übersetzungsauftrag verlangt also Invarianz zwischen Ausgangtext und Zieltext in weiten Bereichen der Textgestaltung, in anderen Bereichen dagegen nicht. Dies ermöglicht die These, dass Invarianz im Sinne von nachprüfbarer Identität zwischen Textualitätsmerkmalen von Ausgangstext und Zieltext ein mögliches definitorisches Merkmal in der schwierigen Frage einer Abgrenzung des Phänomens Übersetzen darstellt. 18 Denn das gemeinsame - und dann auch definitorische - Merkmal von funktionskonstanten Übersetzungen besteht eben darin, dass die Funktion im Sinne des übergeordneten Handlungsinteresses zwischen Ausgangstext und Zieltext als konstant bzw. identisch festgelegt wird. 19 Zusätzlich zu dieser Funktionskonstanz kann - je nach Übersetzungsauftrag - Invarianz auch auf anderen Textebenen verlangt werden. Funktionskonstante Übersetzungen werden also über eine für die Funktion festgelegte Invarianz definiert und könnten über den weiteren Umfang dieser Identität auf anderen Textebenen als nur auf der intentionalen Ebene weiter differenziert werden. Denn nicht nur zwischen Übersetzungen, sondern auch innerhalb ein und derselben Übersetzung lassen sich variierende Invarianzforderungen nachweisen. Im hier analysierten Fall umfasst die Invarianz viele Textualitätsaspekte, andere Übersetzungen von Gebrauchsanleitungen ‚ver- des tertium comparationis bei der kontrastiven Analyse von Übersetzungen in Chesterman (1998: 29ff.). 18 Deutliche Beispiele dieser unterschiedlichen Beziehungen zwischen Ausgangstext und Zieltext finden sich im letzten Abschnitt des norwegischen Zieltextes: Hier ist Subject to change without notice in propositionaler Hinsicht invariant, also auftragskompatibel übersetzt: Med forbehold om endringer. Der norwegische Zieltext ist dagegen strukturell anders als der englische Ausgangstext, entspricht aber den norwegischen Textsortenkonventionen, auch wie im Auftrag verlangt. Die Überschrift Best practices for best results wird zwar in propositionaler Hinsicht invariant (Beste praksis for beste resultat) wiedergegeben, ist aber stilistisch schlecht und daher nicht mit diesem Aspekt des Übersetzungsauftrages kompatibel. 19 Vgl. hierzu die Beschreibung des Übersetzungsauftrages der Firma Braun in 1, in dem die Funktion als identisch festgelegt wird und die Einhaltung der Vorgaben im Auftrag nach Verfassen einer Übersetzung auch von der Firma zu prüfen ist. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 139 langen’ nur eine Identität in zentralen Inhaltsbereichen. 20 Auch die vorliegende Übersetzung - sie wurde ursprünglich als Übersetzungsauftrag konzipiert und die Zieltexte auch in den jeweiligen Diskursgemeinschaften als Übersetzungen akzeptiert - weicht von der Invarianzforderung in einem Punkt ab: Wie bereits in 1 erwähnt, ist der Abschnitt Garantie der Gesetzgebung im jeweiligen Zielland anzupassen. Dieser Abschnitt muss einerseits den Interessen der Firma Braun entsprechen und andererseits im Einklang mit den unterschiedlichen juristischen Vorschriften in den jeweiligen Zielländern sein. Der englische Ausgangstext könnte sich je nach der Gesetzgebung im jeweiligen Zielland und damit für diesen Textabschnitt als völlig unbrauchbar erweisen. Dies betont die zentrale Stellung des Übersetzungsauftrages in der Übersetzungstheorie - und zwar u. a. auch für die Festlegung von Invarianzforderungen in den jeweiligen Übersetzungen. 4 Zur besonderen appellativen Handlungsstruktur im untersuchten Übersetzungsfall 4.1 Funktionsbegriff und Kommunikationszweck Bei Gebrauchsanleitungen wie bei geschriebenen Texten generell liegt eine zeitliche und räumliche Distanz zwischen Produktion und Rezeption des Textes vor. Aus diesem Grunde haben wir es also nicht mit einer, sondern mit mehreren, grundsätzlich unterschiedlichen Rezeptionssituationen zu tun. Funktion wird in der vorliegenden Arbeit daher nicht verstanden als soziale Wirkung auf der Basis der jeweiligen Rezeptionssituation, sondern aus der Produzentenperspektive als intendierte Wirkung im Hinblick auf spezifische Rezeptionssituationen interpretiert. Denn gerade in der professionellen Kommunikation versucht der Textproduzent im Rahmen eines institutionellen übergeordneten Handlungsinteresses, die Rezeption der intendierten Leser in eine spezifische Richtung zu lenken und so gesehen den Rezeptionsspielraum einzuengen. Wie in der Wirtschaftskommunikation generell dürfte das übergeordnete Handlungsinteresse auch für eine Gebrauchsanleitung die wirtschaftliche Effizienz sein. Wirtschaftliche Effizienz wird dabei als die Maximierung des Gewinns ohne redundante Handlungen betrachtet. Dies bedeutet, dass nicht nur der Gewinn in der Form von Profit relevant ist, sondern auch die positive Einstellung der Kunden zum Unternehmen und dessen Produkten. Dies wird auch in der Textsorte Gebrauchsanleitung deutlich. Denn eine Gebrauchsanleitung soll gerade die einfache und reibungslose Verwendung eines erworbenen Produkts durch eine für den Kunden verständliche und kohärente appellative, hier vorwiegend anweisende, Handlungsstruktur 20 Ein Beispiel wäre hier die in Anmerkung 16 erwähnte Übersetzung der Gebrauchsanleitung für Kühl-Gefrier-Geräte der Firma Bosch ins Norwegische. Sigmund Kvam 140 ermöglichen. Zentral bei dieser Interaktion ist eben die Absicht, den Käufer als Kunde zu behalten und u. a. über eine erfolgreiche Gebrauchsanleitung den zufriedenen Kunden auch als potentiellen Marketingfaktor zu gewinnen. Im vorliegenden Text wird dieser Kommunikationszweck durch eine konsistente appellative Handlungsstruktur, in der Anweisungshandlungen den zentralen Teil bilden, realisiert: In den meisten Abschnitten 21 werden Gebote, Verbote und Empfehlungen an den Benutzer der Kaffeemaschine präsentiert. Dies kommt in den Überschriften der einzelnen Abschnitte vor allem durch die Verwendung von Präsens Partizip zur Angabe von Handlungsanweisungen im weitesten Sinne zum Ausdruck: Setting into operation, Making coffee, Cleaning, Decalcifying. Auch der Abschnitt Caution enthält eine Reihe von Handlungsanweisungen, vor allem das, was man nicht machen sollte, wie (1) Do not microwave glass carafe. In den jeweiligen Teilabschnitten werden dann, oft mittels einer weiteren Unterteilung in Punkten, Teilanweisungen, im englischen Ausgangstext durch die Verwendung von Imperativformen, angegeben, wie im Abschnitt Setting into operation, vgl. (2) 1. Unpack the water filter cartridge. 2. Remove the space compensator from the water tank. 3. Install the water filter cartridge … Die Konsistenz dieser Handlungsstruktur in sämtlichen Übersetzungen wird beispielsweise dadurch gesichert, dass die Textstruktur des englischen Ausgangstextes in den jeweiligen Übersetzungen unabhängig von etwaigen zielsprachlichen Textsortenkonventionen in sämtlichen Zieltexten zu übernehmen ist. Diese identische Textstruktur ist somit eine wichtige und von der Funktion für den Zieltext direkt ableitbare Invariante für die Übersetzung des englischen Ausgangstextes in die jeweiligen Zielsprachen. 4.2 Zur appellativen Handlungsstruktur im englischen Ausgangstext Die appellative Handlungsstruktur 22 im englischen Ausgangstext ist dadurch gekennzeichnet, die Handlung X zu vollziehen in der Form einer Anwei- 21 Der Abschnitt Description ist rein informativ, indem hier nur die Einzelteile der Kaffeemaschine aufgezählt werden. Der Abschnitt Guarantee ist ebenfalls informativ, indem hier angegeben wird, was von der Garantie gedeckt und vor allem nicht gedeckt wird. 22 Appellativ wird hier im Sinne von Brinker (2005: 117) definiert: „Ich (der Emittent) fordere dich (den Rezipienten) auf, die Einstellung (Meinung) X zu übernehmen/ die Handlung X zu vollziehen“. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 141 sung, Empfehlung oder eines Ge- oder Verbots oder nach dem Wortlaut der in Anmerkung 22 zitierten Brinkerschen Definition von appellativer Textfunktion: Ich (das Unternehmen Braun) weise dich (den Benutzer der Kaffeemaschine Braun Aroma Passion) an bzw. empfehle dir, die Handlung(en) X (z. B. die Taste G zu drücken) zu vollziehen. Hier wird das generelle fordere dich auf in der Brinkerschen Definition in die appellativen Sonderhandlungen Empfehlen und Anweisen differenziert. Das Appellativ wird in der vorliegenden Arbeit daher als eine Skala betrachtet, die zwischen einem absoluten Gebzw. Verbot einerseits und einer indirekten und vagen Empfehlung andererseits angesiedelt werden kann. 23 In dem hier untersuchten Text sind die häufigsten und dominantesten appellativen Handlungsschritte nicht unerwartet Anweisungen 24 wie in (3) Always unplug the appliance before cleaning. (4) Always use cold water to make coffee. (5) Never clean the appliance under running water. (6) Important: Replace water filter with the space compensator during any decalcification procedure. Sehr viel seltener finden sich Empfehlungen als appellative Handlungsschritte wie in (7) Carafe should be immediately returned to hotplate to prevent the filter basket from overflowing. (8) If your coffeemaker takes much longer than usual to brew, it should be decalcified. 23 Zur Frage der möglichen Einteilung von Textfunktionen in Großklassen wie appellativ, informativ, obligativ etc. und der Multifunktionalität von Textfunktionen vgl. u. a. Adamzik (2004: 107ff.). 24 Der Ausgangstext - ohne den Abschnitt Guarantee - lässt sich in insgesamt 56 Handlungsschritte einteilen. Handlungsschritt wird hier in Anlehnung an Brinker (2005: 113ff.) als Realisierung von Textfunktionen auf kleinstmögliche Textabschnitte verstanden. Wie die Textfunktion für den gesamten Text, ist dies eine interpretative und funktionale Kategorie, die sich mit verschiedenen formal definierten Einheiten decken könnte. Beispielsweise könnte ein Handlungsschritt durch einen einfachen Satz realisiert werden wie in (5), oder durch einen Hauptsatz mit einer finalen Infinitivkonstruktion als Plausibilisierung wie in (7), oder noch komplexer wie in (12), wo die Anweisung repairs … must only be carried out by X durch bestimmte Kohärenzrelationen durch den vorangehenden und nachfolgenden Satz plausibilisiert wird. Eine Grobanalyse der 56 Handlungsschritte im untersuchten Text zeigt, dass von insgesamt 42 appellativen Handlungsschritten 38 als Anweisungen interpretierbar sind. Von den restlichen Handlungsschritten wurden in Anlehnung an Brinker (2005: 113) 13 als informativ, wie in Braun water filters are available at your retailer or Braun service centre , interpretiert, einer - This product conforms to the EMC-Directive 89/ 336/ EEC and to the Low Voltage Regulation 73/ 23 EEC - im Sinne von Brinker (2005: 128) als deklarativ oder auch informativ. Sigmund Kvam 142 Deutlich seltener als appellative Handlungsschritte finden sich informative Handlungsschritte 25 wie in (9) All removable parts are dishwasher-safe (10) This appliance was constructed to process normal household quantities. Die informativen Handlungsschritte finden sich vor allem in Abschnitten, wo Teile der Kaffeemaschine aufgelistet werden, sowie in kurzen Erläuterungen zu Besonderheiten einzelner Modelle von Braun Aroma Passion, vgl. (11) Model KF 550 is equipped with an automatic shut-off feature (auto-off). After a minimum of two hours of operation the coffeemaker will automatically switch off. Die meisten Anweisungsschritte stehen im vorliegenden Text allein, aber einige von diesen sowie auch einige Empfehlungen werden durch semantisch unterschiedliche Plausibilisierungen ergänzt wie in (12) Braun electric appliances meet applicable safety standards. Repairs on electric appliances (including cord replacement) must only be carried out by authorized service centres. Faulty, unqualified repair work may cause accidents or injury to the user. In (12) dient der erste kursivierte Hauptsatz als Voraussetzung für die Anweisung im nächsten Hauptsatz. Diese Anweisung wird dann im darauf folgenden Satz durch die Angabe der möglichen Folgen unsachgemäßer Reparaturen durch eine kausal-konsekutive Konnexion verdeutlicht. Grob gesehen kann man die grundlegende Handlungsstruktur von dieser Gebrauchsanleitung 26 als eine Reihe von Anweisungen betrachten, die durch Informations- und Empfehlungshandlungsschritte ergänzt werden, die alle dann in unterschiedlichem Ausmaß durch semantisch unterschiedliche explizit oder implizit realisierte Konnektionen plausibilisiert werden können. 4.3 Invarianzforderungen und Handlungsstruktur in den Zieltexten Im vorliegenden Fall lässt sich wie im Übersetzungsauftrag verlangt auch eine Identität zwischen den Handlungsschritten im Ausgangstext und in 25 Diese informative Textfunktion wird nach Brinker (2005: 113) wie folgt definiert: „Ich (der Emittent) informiere dich (den Rezipienten) über den Sachverhalt X (Textinhalt)“. Informative Handlungsschritte finden sich wie oben erwähnt in 13 von 56 Fällen, appellative in 42 von 56 Fällen. 26 Vgl. hierzu Nickl (2001: 33ff.) und dortige Literaturhinweise. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 143 den untersuchten Zieltexten in sowohl quantitativer als auch qualitativer Hinsicht, nachweisen, wie in der Anweisung (13) Fill tank with cold, fresh water, press filter button G to open filter basket, insert No. 4 paper filter, put in ground coffee, place the carafe on the hotplate and switch on the coffeemaker. (13a) Kaltes Wasser einfüllen. Taste G drücken, um den Filterkorb zu öffnen, Filterpapier einlegen (Größe 1x4), Kaffeemehl einfüllen, die Glaskanne auf die Warmhalteplatte stellen und das Gerät einschalten. (13b) Fyll tanken med kaldt, frisk vann, trykk ned utløserknappen G for å åpne filterholderen, sett i et papirfilter No. 4 og fyll i filterkaffe, sett kannen på varmeplaten og slå på kaffetrakteren. Hier sind insgesamt sechs Anweisungsschritte in allen drei Texten vorhanden, im Englischen durch die Imperativformen fill, press, insert, put in, place, switch on, im Deutschen durch die Infinitivformen einfüllen, drücken, einlegen, einfüllen, stellen, einschalten und im Norwegischen durch die Imperativformen fyll, trykk, sett i, fyll i, sett, slå på, wobei der zweite Anweisungsschritt (press/ drücken/ trykk) durch eine finale Infinitivkonstruktion (to open filter basket/ um den Filterkorb zu öffnen/ for å åpne filterholderen) plausibilisiert wird. 27 Die Handlungsstruktur im deutschen Zieltext ist in Bezug auf Anzahl, Abfolge und Art der Handlungsschritte mit dem englischen Ausgangstext identisch, daher nachweislich invariant. Der norwegische Text erfüllt auch weitgehend diese Invarianzforderung - es finden sich aber hier einige Abweichungen, wie beispielsweise in (7) Carafe should be immediately returned to hotplate to prevent the filter basket from overflowing. (7a) Kannen skal omgående settes tilbake på varmeplaten for å hindre at det renner over filterholderen. Hier scheint eine Interferenz im Bereich der Modalverbverwendung vorzuliegen (should - skal statt bør). Im englischen Text liegt eine Empfehlung vor, im norwegischen Text dagegen eine Anweisung. Dagegen wird an der entsprechenden Stelle im deutschen Zieltext die Empfehlung durch die Verwendung von sollte beibehalten, vgl. 27 Es würde hier zu weit führen, auf eine detaillierte Analyse der Handlungsstruktur einzugehen, deshalb werden Befunde nur kurz erwähnt, die den oben beschriebenen Übersetzungsauftrag beleuchten. Sigmund Kvam 144 (7b) Um ein Überlaufen des Filters zu vermeiden, sollte die Glaskanne jedoch sofort wieder zurückgestellt werden. Auch in der Makrostruktur und der thematischen Progression des Textes lässt sich eine Identität, d. h. eine Invarianz zwischen dem englischen Ausgangstext und dem deutschen Zieltext nachweisen. Auch hier weicht der norwegische Zieltext vom Ausgangstext ab, indem zwei Abschnitte ersatzlos gestrichen worden sind: zum einen der Hinweis auf EU-Richtlinien (die ja auch im EWR-Land Norwegen gelten), zum anderen der Abschnitt über die Entsorgung der Kaffeemaschine. Diese beiden Abweichungen - sowie auch die oben erwähnten Beispiele der abweichenden Modalität - könnte man daher auf der Grundlage der Invarianzforderungen im Übersetzungsauftrag als eindeutige Übersetzungsfehler im norwegischen Zieltext interpretieren. 4.3 Mikrolinguistik als zielspracheneigener Bereich dieses Übersetzungsauftrages Im mikrolinguistischen Bereich, in den Transphrastik, Syntax und Lexik einbezogen sind, gelten im vorliegenden Übersetzungsauftrag keine Invarianzforderungen. Ganz im Gegenteil: Von der Satzverknüpfungsebene bis zur lexikalischen Ebene im Text gelten Textsortenkonventionen und grammatisch-stilistische Regeln der Zielsprache. Hier soll die Übersetzung eindeutig instrumentell (Nord 1997) bzw. covert (House 2001; 2002) sein, während jedoch der Textmakrobereich invariant und daher dokumentarisch (Nord 1997) bzw. overt (House 2001; 2002) zu sein hat. 28 In solchen Fällen dürfte es allerdings für den Übersetzer schwierig sein, von einer total ausgangstextidentischen Übersetzungsstrategie für die Textmakrostruktur auf einen den Zielsprachenkonventionen entsprechenden syntaktischen Stil für die sententielle Ebene des Textes umzuschwenken. Im Gegenteil, es wäre anzunehmen, dass der Ausgangstext auch im Bereich der Satzstruktur - also hier deutlich gegen den Übersetzungsauftrag - mehr oder weniger weitgehend kopiert werden könnte. Die Gefahr von unerwünschten ausgangssprachlichen Interferenzen in gerade solchen invarianzintensiven Übersetzungsaufträgen ermöglicht die Hypothese, dass hier ein Verlust nationalsprachlicher Textsortenkonventionen zugunsten globalisierter Textsortenkonventionen in einzelsprachlicher Ausprägung vorliegen könnte. Im vorliegenden Zieltextpaar finden sich sowohl auftragsinkompatible ausgangstextliche Interferenzen als auch zielsprachlich textsortenkonforme und auftragskompatible strukturelle Alternativen. Dabei deutet eine erste, vorläufige Analyse darauf hin, dass Interferenzen im norwegischen Zieltext häufiger sind als im deutschen Zieltext. Ohne hier auf eine ausführliche 28 Vgl. hierzu die Präsentation der Typologien von Nord und House in 3.2. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 145 Diskussion von übersetzerischer Interferenz 29 eingehen zu können, handelt es sich im norwegischen Text um etwa 20-25 relativ deutlich nachweisbare Fälle von Interferenzen aus dem Ausgangstext. Vgl. hierzu Beispiele wie: (14) On/ Off switch (14a) På/ Av bryter (15) a No. 4 paper filter (15a) et papirfilter No. 4 (16) Braun water filters are available at your retailer. (16a) Braun vannfilter er tilgjengelig hos din forhandler. (14a) ist wörtlich übersetzt und nicht ganz korrekt - der genannte Schalter nennt sich im Norwegischen Av/ på-bryter. (15a) ist dem Englischen auch wörtlich übernommen und entspricht nicht der kommunikativen Praxis in Norwegen. In norwegischen Lebensmittelgeschäften ist von kaffefilter 1X4 die Rede. (16a) ist zwar grammatisch korrekt, aber stilistisch schlecht und auch wörtlich übersetzt; besser wäre etwa Braun vannfilter får du kjøpt hos din forhandler. Im deutschen Text waren bei der ersten kursorischen Analyse kaum, wenn überhaupt, Interferenzen zu finden, dagegen viele Beispiele einer konsequenten Verwendung eines textsortengerechten Nominalstils, vgl. (17) Before you start preparing a new pot of coffee, always allow the coffeemaker to cool down for approx. 5 minutes (switch off the appliance), otherwise steam can develop when filling the tank with cold water. (17a) Vor erneuter Kaffeezubereitung das Gerät mindestens 5 Minuten ausschalten und auskühlen lassen, um Dampfbildung zu vermeiden. Der englische Ausgangstext enthält hier vier Sätze, eine Infinitivkonstruktionen und eine (konjunktional eingeleitete) Partizipialkonstruktion; der deutsche Zieltext dagegen nur eine Nominalphrase und eine Infinitivkonstruktion, dafür aber deverbative Nomen wie in vor erneuter Kaffeezubereitung, Dampfbildung. Ein sehr deutliches Beispiel ist die Übersetzung der Überschrift Best practices for best results. Der norwegische Zieltext ist eine wörtliche und stilistisch sehr schlechte Übersetzung, vgl. (18) Beste praksis for beste resultat. Die unbeholfene und im Sinne von House overt translation, wo der Übersetzungsauftrag eine stilistisch angemessene, d. h. nach House eine covert translation fordert, ist ein deutlicher Nachweis eines Übersetzungsverfahrens, wo 29 Vgl. hierzu die Diskussion von übersetzerischer Interferenz in Kvam (2007: 107). Sigmund Kvam 146 Wörter und Syntagmen des Ausgangstextes und nicht der Übersetzungsauftrag die Wahl zielsprachlicher Alternativen steuert. Übersetzungsalternativen wie beispielsweise (18a) Tips for topp aroma oder (18b) Tips for topp kaffe wären mit der sehr viel besseren deutschen Übersetzung (18c) Tipps für bestes Kaffee-Aroma vergleichbar: In (18c) wird der Inhalt in der Form einer Empfehlung behalten und daher die Invarianzforderung eingehalten. Außerdem wird hier eine in der Zielsprache stilistisch angemessene Konstruktion gewählt und daher werden auch die Vorgaben des Auftrags für den syntaktischlexikalischen Bereich des Zieltextes eingehalten. Die Beispiele dieser ersten und äußerst vorläufigen Befunde könnten darauf hindeuten, dass bei norwegischen Gebrauchsanleitungen Textsortenkonventionen nachweisbar wären, die auf eine Art global English zurückzuführen sind und die nicht nur im Textmakrobereich, sondern auch auf der lexiko-grammatischen Ebene zum Ausdruck kommen. Das Deutsche scheint hier wesentlich restriktiver zu sein und realisiert - im Einklang mit der Arbeitshypothese von House (2002: 6ff.) - weitgehend zielsprachenkonforme Textsortenkonventionen, die von entsprechenden englischen Textsortenkonventionen strukturell deutlich abweichen können. Aber zur Überprüfung einer solchen sehr generellen Arbeitshypothese sind selbstverständlich sowohl mehr Empirie als auch qualitativ differenziertere Analysen notwendig. 5 Schlussbemerkung und Thesen Durch die vorliegende Arbeit wird die Komplexität auch funktionskonstanter Übersetzungsaufträge deutlich. Zwar handelt es sich dabei nur um eine Fallanalyse von Übersetzungen einer Gebrauchsanleitung und somit um eine empirisch viel zu magere Grundlage für endgültige Schlussfolgerungen. Doch erlaubt eine solche Fallstudie schon einige Annahmen zur Beschreibung und Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen. Erstens wird hier nochmals die funktionale Grundthese vom Übersetzungsauftrag als Ausgangspunkt einer Übersetzungstypologie bestätigt: Nur durch die Berücksichtigung der besonderen Vorgaben für den Zieltext lassen sich die in jeder Übersetzung spezifischen Intertextrelationen zwischen dem Ausgangstext und dem Zieltext ermitteln und erst dadurch wird Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 147 der für die jeweilige Übersetzung spezifische Übersetzungskontext konstituiert. Ausgehend von der grundlegenden Tatsache, dass jeder Text sozial kontextualisiert ist und nicht bloß als linguistische Struktureinheit existiert, könnte man den Übersetzungskontext kurz charakterisieren als eine Beschreibung der kommunikativen Rahmenbedingungen und somit auch der Restriktionen einer gegebenen Übersetzung. Zentral in diesem Zusammenhang wäre zusätzlich zu den Vorgaben für die Gestaltung des Zieltextes u.a. eine Analyse der am Übersetzungsvorgang beteiligten Diskursgemeinschaften (z. B. Ausgangssprachengemeinschaft, Auftraggeber/ Initiator 30 , intendierte Leserschaft) sowie der Textsorte des Ausgangstextes. Es würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen, die Kategorie des Übersetzungskontextes weiter zu problematisieren. Aber diese eigentlich sozialwissenschaftliche Kategorie stellt eine wichtige Bedingung für sowohl mögliche Definitionen als auch für Typologien vom Übersetzen dar. 31 Zweitens werden hier die Notwendigkeit einer Binnendifferenzierung funktionskonstanter Übersetzungen nach der logisch-semantischen Kategorie Invarianz gezeigt sowie auch die Relevanz textlinguistischer Kategorien für die Bestimmung von Invarianz betont: Es lassen sich ohne weiteres Übersetzungskontexte mit textlinguistisch definierten unterschiedlichen Invarianzforderungen nachweisen, die alle im Einklang mit Nord (1997) eindeutig als funktionskonstante bzw. äquifunktionale Übersetzungen zu klassifizieren wären. Drittens bietet die vorliegende Arbeit eine Grundlage für empirisch breiter begründete Arbeitshypothesen und weitere Analysen zum einzelsprachlichen Domänenverlust von Textsortenkonventionen zugunsten globaler Textsortenkonventionen bei invarianzintensiven Übersetzungsaufträgen wie dem hier analysierten. Denn Invarianz als übersetzungswissenschaftlich fundierte Intertextkategorie und vor allem die Reichweite von Invarianzforderungen im jeweiligen Übersetzungskontext könnten eine ausgangstextkopierende Zieltextproduktion auch in denjenigen Textbereichen fördern, in denen dies nicht verlangt wird. Das könnte wiederum zu einer Stärkung der nicht unbekannten Tendenz zur übersetzerischen Interfe- 30 Vgl. hierzu eine Analyse eines authentischen Beratungsgespräches zwischen dem Auftraggeber/ Initiator und dem Übersetzer in Kvam (2001: 96ff.). Hier wird an Hand der Aufnahme eines authentischen Gesprächs zwischen Übersetzer und Auftraggeber die gemeinsame interaktive Leistung vom Initiator in der Rolle des Ratsuchenden und dem Übersetzer in der Rolle des Ratgebers zur Ausarbeitung der Vorgaben für die Produktion des Zieltexts genauer analysiert. 31 Vgl. hier das Konzept der Loyalität zwischen den am Übersetzungsvorgang beteiligten Handlungspartnern in Nord (1997: 123-125); die Diskussion zur Unterscheidung zwischen Übersetzungsfehler und Manipulation im Übersetzen in Malmkjær (2005: 64ff.) sowie die Diskussion von der Rolle eines Kulturfilters beim Übersetzen in House (2001: 142f.) und House (2002: 150ff.). Zu erwähnen sind auch der kurze historische Überblick über Typologieansätze in der Übersetzungswissenschaft in Albrecht (2005: 39ff.). Sigmund Kvam 148 renz 32 und somit auch zu einem endgültigen Domänenverlust von einzelsprachlichen Textsortenkonventionen in Gebrauchsanleitungen beitragen. Für eine angemessene Analyse von Übersetzungskontexten mit variierender Invarianz ist natürlich mehr Empirie erforderlich, sowohl in Bezug auf zuverlässige Frequenzangaben zu verschiedenen Klassen funktionskonstanter Übersetzungen von (möglichen Klassen von) Gebrauchsanleitungen als auch eine detaillierte text- und satzlinguistische Analyse der einzelnen Textexemplare nach dem Grad an Ausgangstexttransferenzen einerseits und zielspracheneigenen Konstruktionen andererseits. 6 Literaturverzeichnis Adamzik, Kirsten, Textlinguistik. Eine einführende Darstellung, Tübingen 2004. Albrecht, Jörn, Übersetzung und Linguistik, Tübingen 2005. Brinker, Klaus, Linguistische Textanalyse, Berlin 2005. Chesterman, Andrew, Contrastive Functional Analysis, Amsterdam 1998. Glück, Helmut, Text, in: Glück, Helmut (Hrsg.), Metzler Lexikon Sprache, Stuttgart 2000, 728. House, Juliane, Translation Quality Assessment. A Model revisited, Tübingen 1997. 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Ein Beitrag zur Textsortengeschichte seit 1950, Tübingen 2001. 32 Vgl. hierzu u. a. Nord (1996) und Kvam (2007). In diesen Arbeiten wird vor allem aus didaktischer Perspektive auf globale, hier text- und auftragsgesteuerte, Strategien für die Produktion des Zieltextes einerseits und lokale, hier Satz-für-Satz-gesteuerte, ausgangstextkopierende Übersetzungsverfahren eingegangen. Zur Rolle der Invarianz bei der Evaluation von funktionskonstanten Übersetzungen 149 Nord, Christiane, Loyalität statt Treue. Vorschläge zu einer funktionalen Übersetzungstypologie, in: Lebende Sprachen 3/ 1989, 100-105. Nord, Christiane, Wer nimmt mal den ersten Satz? , in: Lauer, Angelika et al. (Hrsg.), Übersetzungswissenschaft im Umbruch, Tübingen 1996, 313- 327. Nord, Christiane, Translating as a Purposeful Activity, Manchester 1997. Schreiber, Michael, Übersetzung und Bearbeitung. Zur Differenzierung und Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs, Tübingen 1993. Teich, Elke, System-oriented and Text-oriented Comparative Linguistic Research. Cross-linguistic Variation in Translation, in: Languages in Contrast 2/ 2002, 187-210. Luise Liefländer-Leskinen Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche. Ein Erfahrungsbericht 0 Vorwort Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem Übersetzungsprojekt, das mit fortgeschrittenen Übersetzerstudentinnen der Universität Joensuu/ Savonlinna im Frühjahr 2005 durchgeführt wurde. Im Rahmen dieses Projekts wurden Sicherheitsvorschriften aus dem Finnischen ins Deutsche übersetzt, wobei als Zielgruppe die deutschsprachigen Austauschstudenten der Universität im Auge behalten wurden. Die Sicherheitsvorschriften mussten dabei aus einem umfangreichen allgemeinen Werk 1 extrahiert und dann übersetzt werden. Es ist das Ziel dieser Studie deutlich zu machen, wie die unten von Göpferich (2004) beschriebenen theoretischen Vorgaben in der Praxis Anwendung finden. Damit kann zugleich die Funktionalität und Angemessenheit dieses theoretischen Gerüsts gezeigt werden. 1 Theoretischer Rahmen Mit Göpferich (2004) definiere ich Translationswissenschaft „(...) als Wissenschaft vom vermittelnden funktions- und adressatengerechten Aufbereiten von Informationsangeboten, bei dem nicht gegen die Loyalitätsforderungen im Sinne Nords verstoßen wird“. (Göpferich 2004: 20). Translatoren schaffen demzufolge ein Metawissen über das Wissen, das im Text steckt und sie haben hierbei folgende Aufgaben: 1. Sie müssen das Wissen evaluieren (ob skoposrelevant oder nicht), 2. sie müssen eine „zweck- und adressatenspezifische `Transformation´“ vornehmen und 3. sie müssen das Wissen „etikettieren“, d. h. den gezielten und selektiven Zugriff darauf ermöglichen. Im Folgenden wird die Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften im Bereich „Technisches Werken“ ins Deutsche behandelt, d. h. die Sicher- 1 Vgl. Kapitel 3. Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche 151 heitsvorschriften sind als das „Informationsangebot“ im Sinne Göpferichs zu sehen. Es kann gezeigt werden, wie die skoposrelevante Evaluation (und Extraktion in diesem Falle) des zu vermittelnden Wissens erfolgte, und welche Arten von adressatenspezifischer Transformation des Textes vorgenommen wurden. Auch die „Etikettierung“ der vermittelten Informationen mit Hilfe von fettgedruckten Überschriften, die es den Benutzern der Sicherheitsvorschriften erleichtern, sofort die relevanten Anweisungen zu finden, kann anhand von Beispielen gezeigt werden. 2 Sicherheitsvorschriften und adressatenspezifische Transformation 2.1 Allgemeine Beschreibung des Auftrags Beim hier vorgestellten Fall handelt es sich um einen echten Übersetzungsauftrag: Ich wurde von einem Dozenten des benachbarten Instituts für Lehrerausbildung, der Technisches Werken bei den Studierenden unterrichtet, darum gebeten, die finnischen Sicherheitsvorschriften für die deutschsprachigen Austauschstudenten/ -innen ins Deutsche zu übersetzen. Die Übersetzung erfolgte im Rahmen eines Fachsprachenprojekts am Institut für Interkulturelle Kommunikation der Universität Joensuu, an dem sechs fortgeschrittene Studentinnen unter meiner Leitung teilnahmen. Zu Beginn des Projekts wurde der gesamte Text an die Studierenden verteilt und von ihnen durchgelesen. Auch ein Besuch vor Ort, d. h. in den Lehrräumen für Technisches Werken am Institut für Lehrerausbildung, erfolgte gleich zu Anfang, so dass die Studierenden einen Eindruck von den Maschinen und Geräten bekamen, die in den Sicherheitsvorschriften vorkamen. Anschließend wurde der Text aufgeteilt und es wurden jeweils einzelne Abschnitte des Gesamttextes von den Studierenden übersetzt, die dann gemeinsam behandelt, integriert und zusammengesetzt wurden. Beim zu übersetzenden Text handelt es sich um ein Kapitel eines vom finnischen Unterrichtsministerium herausgegebenen Führers zum Arbeitsschutz in Ausbildungsstätten 2 , der neben den eigentlichen Arbeitsschutzvorschriften eine allgemeine Einleitung, Hinweise auf finnische Gesetzesvorlagen und Bedingungen des Arbeitsschutzes in finnischen Ausbildungsstätten enthält. 2 Zum finnischen Gesamttext vgl. Kapitel 3. Luise Liefländer-Leskinen 152 2.2 Textsortenproblematik Beim vorliegenden finnischen Text handelt es sich um einen instruktiven Text im weiteren Sinne, gesprochen werden kann von einer „Mischtextsorte“ bestehend aus Warnung, Vorschrift und Anweisung. Diese „Mischtextsorte“ setzt sich zusammen aus: - Allgemeinen Sicherheitshinweisen („Verhalte dich immer ruhig und überlege vorher genau, was du tun willst … verwende erforderliche persönliche Schutzausrüstungen ... sei sorgfältig beim Befestigen von Teilen etc.“) - Spezifischen Sicherheitshinweisen für einzelne Maschinen („die Maschine nicht allein und unbewacht laufen lassen“) - Genauen Verwendungshinweisen/ Instruktionen für einzelne Maschinen, die aus Gründen der Sicherheit und Funktionstüchtigkeit zu befolgen sind („Stelle die obere Bandführung der Bandsäge auf die richtige Stelle ein gemäß der Höhe des Werkstücks.“) - Allgemeinen Warnungen vor der Gefahr, die der Umgang mit den technischen Geräten mit sich bringt („Die elektrischen Leitungen der Handbearbeitungsmaschinen sind vor der Bedienung zu kontrollieren.“) - Speziellen Warnungen vor der Gefahr von einzelnen Geräten bei Nichtbefolgung der Anweisungen, z. B. vor Verblitzen der Augen beim Schweißen („Schweiße niemals ohne einen Schutzschild, der den richtigen Dunkelheitsgrad hat.“) 3 Es ist demnach auch zu unterscheiden zwischen expliziten und impliziten Sicherheitshinweisen, sowie allgemeinen und spezifischen Warnungen, die miteinander verwoben im Text zu finden und oft zugleich mit Anweisungen verbunden sind. 2.3 Adressatenspezifische Transformation und Evaluation Auf der Basis von skoposrelevanter Evaluation kamen wir zu dem Ergebnis, dass die allgemeine Einführung nebst den Hinweisen auf finnische Vorschriften und Gesetzesvorlagen für deutschsprachige Austauschstudierende irrelevant und daher nicht zu übersetzen sind. Bei dem finnischen Werk handelt es sich nämlich um einen allgemeinen „Führer für Sicherheit im Unterricht bei Handarbeit, technischem Werken und Textilgestaltung“ [Käsityön, teknisen työn ja tekstiilityön opetuksen työturvallisuusopas], der von der obersten Schulbehörde in Finnland herausgegeben worden ist. Wir konzentrierten uns entsprechend der Bitte des finnischen Dozenten auf die 3 Die zitierten Beispiele stammen aus der Übersetzung. Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche 153 für die Studierenden wichtigen Sicherheitshinweise im Zusammenhang mit den verwendeten technischen Anlagen und Geräten. Bevor wir die konkrete Übersetzungsarbeit anfangen konnten, mussten wir demnach entscheiden: - welche Textpassagen relevant waren und welche wegzulassen waren (skoposrelevante Evaluation) - wie wir die Sicherheitshinweise so übersetzen konnten, dass sie ihre wichtige Schutzfunktion für die ausländischen Studierenden erfüllten (adressatenspezifische Transformation des Textes) - welche Anredeform wir benutzen wollten, d. h. an welchen kultur- und sprachspezifischen Konventionen wir uns orientieren wollten. Hervorzuheben sind noch die besonderen Rahmenbedingungen bei dieser Übersetzung: Die Zeitvorgabe war ein Semester, 4 d. h. wir begannen mit dem Projekt im Januar und lieferten die fertige Übersetzung dem Dozenten für Technisches Werken Ende Mai ab. Da die Räumlichkeiten für Technisches Werken, in denen sich die Maschinen und Geräte befinden und der Unterricht stattfindet, direkt neben unserem Gebäude liegen, konnten wir die beschriebenen technischen Anlagen, wie u. a. Kreissäge, Fräsmaschine und Schweißanlage, mehrmals direkt vor Ort überprüfen und mit der Darstellung im Text vergleichen. Daher war eine ständige Kontrolle von Übereinstimmung zwischen Text und Bezugsgröße, d. h. technischer Vorrichtung, möglich und hinsichtlich der Übersetzung sehr hilfreich. Weiterhin konnten wir auch die Geräte, Anlagen und ihre Teile mit im Internet verfügbaren deutschen Texten und den entsprechenden Abbildungen vergleichen und so sicherstellen, dass die Übersetzung zutraf. Schwierigkeiten bereitete besonders die Eruierung der angemessenen Fachterminologie („Werkstück“, „Führung“, „Schiebestock“, „Messerwellenschutz“ etc.) und des Fachjargons bei Sicherheitsvorschriften. 5 3 Finnische Vorlage: „Käsityön, teknisen työn ja tekstiilityön opetuksen työturvallisuusopas“ 6 hrsg. von Pirkko Liisi Kuhmonen Das finnische Werk zum Arbeitsschutz im handwerklichen und Handarbeitsunterricht umfasst 139 Seiten und befasst sich nicht nur mit Arbeitssi- 4 Das Frühjahrssemester dauert an finnischen Universitäten meist von Anfang Januar bis Mitte Mai. 5 Z. B. die Sicherheitsvorschriften für jugend forscht unter www.jugend-forscht.de waren uns hierbei sehr hilfreich. 6 „Führer für Sicherheit im Unterricht bei Handarbeit, Technischem Werken und Textilgestaltung“. Luise Liefländer-Leskinen 154 cherheit im Unterricht, sondern auch mit Arbeitsschutzaktivitäten von Lehrern, Beamten, Behörden und Versicherungen überhaupt. Die Sicherheitsvorschriften für das Technische Werken umfassen davon insgesamt nur 40 Seiten mit dem Titel: OBJEKTE DER SICHERHEITSMAßNAH- MEN IM TECHNISCHEN WERKEN [TEKNISEN TYÖN TURVALLI- SUUSTOIMINNAN KOHTEET]. 7 Nach einer allgemeinen Einleitung wird eine kurze Wortliste der möglichen im Unterricht verwendeten Geräte und Maschinen für Lehrer gegeben mit Anmerkungen wie: Darf nicht verwendet werden [ei saa käyttää], darf verwendet werden nach Anweisung und Unterricht unter Aufsicht des Lehrers [saa käyttää opetuksen ja harjoittelun jälkeen silmälläpidon alaisena]. Es folgen „Allgemeine (für alle Arbeitsmaschinen bestimmte) Anweisungen“ [Yhteiset (kaikkia työkoneita koskevat) ohjeet] und im Anschluss daran die detaillierten Anweisungen zur Verwendung von verschiedenen Sägetypen, Hobelmaschinen, Bohrmaschinen, Schweißanlagen, sowie zum Umgang mit Gas- und Stromgeräten. Das Kapitel schließt mit Anweisungen zur ersten Hilfe beim Umgang mit Chemikalien ab. 4 Deutsche Version: „Arbeitssicherheitshinweise besonders für Studierende“ 4.1 Allgemeine Übersetzungsstrategie und Anredeform Entsprechend der Adressaten und der Funktion, die unsere deutsche Version haben sollte, sie war bestimmt für deutschsprachige Studierende und sollte diese in erster Linie über die richtige und sichere Verwendung der Arbeitsgeräte und Maschinen aufklären, gestalteten wir unseren Text: Als Titel setzten wir über die gesamte Übersetzung: ARBEITSSICHER- HEITSHINWEISE BESONDERS FÜR STUDIERENDE, woran sich die allgemeinen Sicherheitshinweise 8 anschlossen, und das nächste Hauptkapitel, das die detaillierten Anweisungen zur Verwendung einzelner Maschinen und Geräte enthält, überschrieben wir: OBJEKTE DER SICHERHEITSMAß- NAHMEN IM TECHNISCHEN WERKEN. In der Projektgruppe diskutierten wir auch über die passende Anredeform, die wir in der deutschen Version verwenden wollten. Die Unterschiede zwischen dem finnischen und deutschen Anredesystem waren bekannt, d. h. die duale Du-/ Sie-Anredekonvention im Deutschen im Kontrast zum 7 Großbuchstaben und Fettdruck sind im Text beibehalten worden entsprechend der Verwendung in Originaltext und Übersetzung. 8 Vgl. dazu Kapitel 4.2 unten. Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche 155 weit mehr verbreiteten Duzen im Finnischen. 9 Die Studierenden plädierten für die Du-Anrede, da diese unter den jungen Leuten in Finnland üblich sei. Zudem wird an den Hochschulen generell geduzt auch zwischen Studierenden und Dozenten. Wir beschlossen also, die deutschsprachigen Adressaten unseres Textes, die Austauschstudierenden, zu duzen und damit zugleich „kulturell zu integrieren“. Auf die grammatische Struktur der Aufforderungen, die u. a. auch Infinitivgebrauch und Passiv beinhalten, kann hier nicht näher eingegangen werden. 10 4.2 Allgemeines Wissen Wie oben bereits ausgeführt konzentrierten wir uns bei der Übersetzung auf die für die Studierenden wichtigen Schutzhinweise und Instruktionen zur Sicherheit, wobei auch allgemeine Passagen der finnischen Texteinleitung wie die folgende aufgenommen wurden: Beispiel 1 In den Werkstätten befinden sich viele verschiedene Maschinen, Geräte, Werkzeuge, Werkstoffe und Chemikalien, die gefährliche Situationen verursachen können. Den Studierenden muss erklärt und beigebracht werden, welche Folgen Unvorsichtigkeit hat und wie Unfälle verhütet werden können. (Teknisen työn tiloissa on paljon erilaisia työstökoneita, laitteita, välineitä, materiaaleja sekä kemikaaleja. Ne voivat aiheuttaa erilaisia vaaratilanteita. Oppilaille on selvitettävä ja opetettava, millaisia seurauksia varomattomuudesta voi olla ja miten onnettomuksia voidaan ehkäistä.) Aufgrund unserer skoposrelevanten Evaluation entschieden wir, dass dieser Abschnitt zwar nicht direkt für die Studierenden sei, da er einmal als Adressaten offensichtlich Dozenten bzw. Lehrpersonal überhaupt im Auge hatte und zum anderen sehr allgemein war und keine spezifische Anweisung, die für die Sicherheit der Studierenden relevant gewesen wäre, enthielt. Er stellte jedoch eine gute Einführung im Kapitel OBJEKTE DER SICHERHEITS- MAßNAHMEN IM TECHNISCHEN WERKEN dar und zeigte zugleich die Perspektive des Dozenten, dem es um die Sicherheit der Studierenden gehen muss. Auch die folgenden allgemeinen Arbeitssicherheitshinweise, die direkt an die Studierenden gerichtet sind, bewerteten wir als skoposrelevantes Wissen und nahmen sie in die deutsche Textversion auf: 9 Es wird noch eine Te-Form = Ihr-Form im Finnischen verwendet, wie z.B. bei sehr offiziellen Anredesituationen wie: Fernsehinterviews mit Politikern, Anrede von Kunden in Geschäften oder bei der Anrede von wesentlich älteren Personen. 10 Vgl. hierzu auch den Hinweis in Kapitel 5. Luise Liefländer-Leskinen 156 Beispiel 2 1. Verhalte dich immer ruhig und überlege vorher genau, was du tun willst. (Käyttäydy rauhallisesti. Harkitse kaikkea, mitä teet.) 2. Mache dich mit den Funktionen der Arbeitsgeräte bekannt und informiere dich über mögliche Gefahren bei der Bedienung der Maschinen. Befolge Anweisungen und Sicherheitsvorschriften sorgfältig. (Tutustu työkoneiden toimintaan. Ota selvää siitä, mitä vaaroja niiden käyttöön liittyy. Noudata tarkasti ohjeita ja turvallisuusmääräyksiä.) 3. Kontrolliere vor der Arbeit, dass die Maschine und die Schutzausrüstungen in Ordnung sind. (Tarkista, että kone ja välineet ovat kunnossa, ennen kuin aloitat työskentelyn.) 4. Informiere den Lehrer sofort, falls eine Schutzkappe fehlt oder kaputt ist. Die Schutzvorrichtungen der Maschinen dürfen nicht entfernt werden. (Ilmoita heti opettajalle, jos jokin suojus on rikki tai poissa. Koneiden suojalaitteita ei saa poistaa.) 5. Kontrolliere, dass es an deiner Kleidung nichts gibt, dass Gefahr verursachen kann. Gefährlich sind hängende Ärmel, Schlipse, offene Schnürsenkel, Halsketten, Armreife, hängende Gürtel usw. Auch langes Haar kann gefährlich sein und muss geschützt werden u. a. bei der Arbeit mit Feuer und bei der Benutzung der Bohrmaschine. (Tarkista, ettei vaatteissasi ole mitään, mistä aiheutuu vaaraa. Vaarallisia ovat roikkuvat hihat, solmiot, avonaiset kengännauhat, riippuva vyö, kaulaketjut, rannerenkat yms. Myös pitkät hiukset voivat olla vaaralliset, ja ne on suojattava mm. tulta käsiteltäessä tai porakonetta käytettäessä.) Hier werden allgemeine Anweisungen zum Verhalten im Maschinenraum, zum Zustand der Maschinen und zur Kleidung der Benutzer gegeben. Wir entschieden, dass diese Hinweise wichtig für die Sicherheit der Studierenden seien und nahmen eine entsprechende adressatenspezifische Transformation der finnischen Anweisungen vor - wie auch bei den folgenden Beispielen, die sich auf die eigene Arbeit der Studierenden an und mit den Maschinen und technischen Geräten beziehen: Beispiel 3 6. Verwende notwendige persönliche Schutzausrüstungen. (Käytä tarvittavia suojaimia.) 7. Kontrolliere, dass deine Arbeit möglichst ungestört verläuft und dass du selbst keine Störung oder Gefahr verursachst. (Varmista, että voit työskennellä niin, ettei sinua häiritä, ja niin, että sinä et tuota häiriötä tai vaaraa muille.) 8. Setze dich in gestützter, zweckmässiger Arbeitshaltung an die Maschine; nicht an die Maschinen anlehnen! Kopf, Hände und Beine sind nicht zu nah an bewegliche Maschinenteile zu halten, weil das gefährlich sein kann. (Ota tukeva ja tarkoituksenmukainen työasento koneen vierellä. Koneisiin ei saa nojata. Älä pitä käsiäsi, päätäsi tai jalkojasi vaarallisen lähellä liikkuvia koneenosia.) 9. Sei sorgfältig beim Befestigen von Teilen! (Ole huolellinen kappaleen kiinnityksessä.) Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche 157 10. Überlege den Verlauf der Arbeit vor Einschalten der Maschine. (Käy työn kulku mielessäsi läpi ennen koneen käynnistystä.) 11. Erst wenn der Lehrer es erlaubt hat, darf die Maschine eingeschaltet werden und nur durch denjenigen, der die Maschine bedient. (Koneen saa käynnistää vasta, kun opettaja on antanut luvan, ja vain se, joka työskentelee koneella.) Wieder wird hier auf die Gefährlichkeit der Arbeit mit den Maschinen hingewiesen, wobei eine genaue Befolgung der Anweisungen zugleich der Sicherheit der Benutzer dient. Auch die allgemeinen Anweisungen, die sich auf die Kontrolle und Betreuung von Maschinen und Arbeitsraum beziehen, waren als skoposrelevant anzusehen und für die Studierenden zu transformieren, wie z. B.: Beispiel 4 12. Falls sich die Maschinengeräusche während der Arbeit verändern oder die Maschine sonst überraschend anders funktioniert, schalte die Maschine aus und informiere den Lehrer darüber. (Jos koneen ääni muuttuu työskentelyn aikana tai kone käyttäytyy muutoin yllättävästi, pysäytä kone ja ilmoita asiasta opettajalle.) 13. Die Maschine nicht allein und unbewacht laufen lassen. (Älä jätä konetta pyörimään yksikseen. 14. Reinige die Maschine und Arbeitsstelle nach der Arbeit. Fange damit erst an, wenn die Maschine zum völligen Stillstand gekommen ist. (Puhdista kone ja työpiste, kun olet lopettanut työskentelyn. Odota, että kone on kokonaan pysähtynyt, ja aloita vasta sitten. 15. Bringe den Abfall zu einer für Abfall bestimmten, feuersicheren Stelle. (Kerää jätteet niille osoitettuun, paloturvalliseen paikkaan.) Hier werden die Studierenden auf ihre eigene Verantwortung beim Umgang mit den Maschinen hingewiesen und es wird an eine kompetente und verantwortungsbewusste Haltung der Studierenden appelliert, die zugleich ihrer eigenen Sicherheit dient. 4.3 Transformation speziell relevanten Wissens Die speziellen Sicherheitshinweise bezogen sich im Wesentlichen auf den Umgang mit den verwendeten Geräten und Maschinen, wie: Bandsäge, Kreissäge, Abrichthobelmaschine, Dickenhobelmaschine, Bohrmaschine, Schlagschere, Meißelbohrer, Schleifmaschine, Holzdrehbank, Metalldrehbank, Fräsmaschine, Schweißanlagen, Druckluftwerkzeuge und Spanabsauganlage, d. h. sie waren gleichzeitig Instruktionen zum (richtigen und sicherheitsbewussten) Umgang mit den technischen Geräten und Sicherheitshinweise. Luise Liefländer-Leskinen 158 Beispiel 5a Bandsäge (Vannesaha) Maßnahmen vor dem Sägen (Toimet ennen sahausta) (1) Kontrolliere, dass die Schutzvorrichtungen an ihrem Platz sind. (Katso, että suojalaitteet ovat paikoillaan.) (2) Prüfe das Sägeband: (Tarkista sahan terä: ) Ist das Band zu fest angezogen? (Onko terä liian kireällä? ) Drückt das Band zu stark gegen die Bandführungen? (Painaako terä liikaa teräohjaimiin? ) Ist das Band frei von Harz, Sägespänen etc.? (Onko terä puhdas pihkasta, lastuista…? ) Gibt es Spuren von Rissen? (Onko merkkejä murtumisesta? ) (3) Stelle die obere Bandführung auf die richtige Stelle ein gemäß der Höhe des Werkstücks. (Aseta terän ylempi ohjain paikkalleen työkappaleen korkeuden mukaan.) (4) Stelle die Seitenführung richtig ein oder setze die Ablängeführung an ihren Platz. (Aseta sivuohjain tai katkaisuohjain paikalleen.) (5) Schalte die Absauganlage ein. (Käynnistä puruimuri.) Schon bei diesen vorbereitenden Maßnahmen wird deutlich, worauf es beim sicherheitsbewussten Umgang mit der Bandsäge ankommt, und durch die Detailliertheit der Anweisungen wird zugleich ihre didaktische Funktion klar: Es handelt sich hier eben um Studierende bzw. Schüler, die mit gefährlichen Geräten arbeiten, und denen die einzelnen Arbeitsschritte - anders als z. B. bei Fachleuten - genau erklärt werden müssen, und dieses wird auch in der Übersetzung berücksichtigt. Beim Vorgang des Bandsägens selbst werden ebenso detailliert die Arbeitsschritte vorgeschrieben: Beispiel 5b Bandsägen (Vannesahaus) (1) Halte das Werkstück gut fest. (Tartu työkappaleeseen lujasti.) (2) Presse das Werkstück fest auf den Tisch und gegen die Führung. (Pidä työkappaletta pöytää ja ohjainta vasten.) (3) Trage Schutzbrille und bei Bedarf Gehörschutz. (Käytä kasvosuojainta ja tarvittaessa kuulosuojainta.) (4) Stütze deine Handkante auf den Tisch bei der exakten Bearbeitung eines Werkstücks und beim Sägen kleiner Teile. (Tue kämmensyrjääsi pöytään tarkassa työstössä ja pienten kappaleiden sahauksessa.) (5) Wenn du das Werkstück rückwärts ziehen musst, sei sehr vorsichtig! (Älä vedä työkappaletta taaksepäin muutoin kuin äärimmäisen varovasti.) (6) Sei vorsichtig, wenn du bei einem Ast sägst: Die Kante des Astes könnte das Sägeband steuern. (Ole varovainen sahatessasi oksakohtaa: oksan sivu voi ohjata sahan terää.) Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche 159 (7) Kontrolliere, dass niemand neben dem Tisch steht: Das Sägeband kann abbrechen. Die, die beim Sägen zusehen wollen, müssen mindestens einen Abstand von 1,5 Metern halten. (Katso, ettei kukaan seiso pöydän sivulla: sahanterä voi katketa. Sahausta seuraavien on oltava ainakin 1,5 metrin etäisyydellä pöydästä.) Das obige Beispiel wurde ausführlich zitiert, um deutlich zu machen, wie sehr Instruktionen zur Benutzung des Gerätes und zur Sicherheit dabei miteinander verwoben sind. 11 Gerade für die Studierenden ist es wichtig, detaillierte Anweisungen zu den einzelnen Arbeitsschritten zu bekommen, denn dieses dient zugleich zu ihrem Schutz beim Umgang mit den gefährlichen Maschinen. Darum wurde diese Textform auch bei der Transformation des Textes beibehalten. Sichtbar wird hier auch die Form der Etikettierung des Wissens durch Verwendung von Haupt- und Zwischenüberschriften mit Fettdruck. Hierdurch wird ein schneller und selektiver Zugriff auf die benötigten Informationen möglich. Das Überprüfen der beschriebenen Maschine vor Ort und gleichzeitige Verfolgen des Arbeitsganges erwiesen sich für das Übersetzen z. B. beim folgenden Beispiel als sehr wichtig: Beispiel 6 Abrichthobelmaschine (Oikohöylä) Maßnahmen vor dem Hobeln (1) Prüfe, dass die Maschine in Ordnung ist. (Tarkista, että kone on käyttökunnossa.) (2) Stelle den Messerwellenschutz auf die richtige Stelle ein, vertikal oder horizontal, gemäß den Brettmaßen. Der Messerwellenflug sollte möglichst abgedeckt sein. (Aseta suojalaite oikein korkeusja sivusuunnassa puun mittojen mukaan. Kutterin on peityttävä niin pitkälti kuin mahdollista. (3) Prüfe die Tischhöhe. (Tarkista etupöydän korkeus.) (4) Sichere, dass die Absauganlage eingeschaltet ist. (Varmista, että lastuimuri on toimimassa.) Abrichthobeln (Oikohöyläys) (1) Stelle den Messerwellenschutz gemäß dem Werkstück ein. Die Breitseite des Brettes kann auf zwei Weisen abgehobelt werden. (Säädä suojalaite höylättävän kappaleen mukaan. Laudan lape höylätään jommallakummalla tavalla.) (a) unter dem Messerwellenschutz, indem die Hände auf das Brett drückend über den Messerwellenschutz gleiten und der Messerwellenschutz bis zur Seitenführung reicht oder (suojalaitteen ali, jolloin puuta pitävät kädet liukuvat painaen suojalaitteet yli ja suojalaite ulottuu sivuohjaimeen saakka tai) 11 Vgl. dazu auch Kapitel 2.2 zur Textsortenproblematik. Luise Liefländer-Leskinen 160 (b) mit dem Schiebestock, wo es Platz für beide Hände gibt und unten einen Ansatz, der das Brett stützt. So gleitet das Brett zwischen der Seitenführung und dem Messerwellenschutz durch. (työntökahvalla, jossa on sija molemmille käsille ja alapuolella kynnys, johon laudan pää vastaa. Tällöin lauta kulkee sivuohjaimen ja suojalaitteen pään välistä.) (2) Halte das Werkstück gut fest, damit (Pidä työkappaleesta tukevasti, jotta) die Hände nicht ausrutschen (kädet eivät lipsahtaisi) das Werkstück nicht wackelt (työkappale ei horjahtaisi) das Werkstück nicht aus den Händen gestoßen wird (työkappale ei tempautuisi käsistäsi) Äste und gemasertes Holz das Stück nicht aus deinen Händen stoßen. (oksat ja visainen puu eivät irrottaisi kappaletta käsistäsi...) Beim obigen Beispiel wird deutlich, dass die Sicherheit der hobelnden Person nur gewährleistet ist, wenn sie sich genauestens an die Instruktionen hält: Halte das Werkstück gut fest, damit es dir nicht aus den Händen gestoßen wird - und du dich nicht verletzt könnte hinzugefügt werden, denn wenn das Werkstück wackelt, können die Hände in die Maschine geraten, oder wenn es aus den Händen gestoßen wird, kann der Arbeitende selbst oder jemand in der Umgebung dadurch verletzt werden. Die expliziten Hinweise enthalten also implizites Wissen, das bei den Rezipienten vorausgesetzt wird. Möglich ist auch, dass der Lehrer oder Dozent dieses implizite Wissen für die Studierenden mündlich expliziert. Auch im folgenden Beispiel, wo es um den Umgang mit Schweißanlagen geht, wird implizites Wissen vorausgesetzt. Die Übersetzung erfolgt unter der Berücksichtigung ihrer wichtigen Funktion: Sie gibt genaue Anweisungen und ist dadurch sicherheitsorientiert. Beispiel 7 Schweißanlagen (Hitsauslaitteet) Gasschweißen (Kaasuhitsaus) (1) Schweißbrenner gegen Umstoßen sichern. (Varo, ettei hitsauspoltinta kolhita.) (2) Nicht die Gewinde, die Anschlussstücke, die Dichtungen und die Ventile der Sauerstoffanlagen schmieren. (Älä voitele happilaitteiden kierteitä, liittimiä, tiivisteitä ja venttiileitä.) (3) Überprüfe den Zustand der Anlagen immer, bevor du sie wieder in Betrieb nimmst. (Tarkista hitsauslaitteiden kunto aina ennen käyttöä.) Sicherheitsausrüstungen beim Schweißen (Hitsauksessa tarvittavat suojavälineet) Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche 161 (1) Verwende beim Schweißen und Schneiden immer eine Schutzbrille mit dem richtigen Dunkelheitsgrad. (Hitsausja leikkutöissä on aina käytettävä sopivan tummusasteen laseja.) (2) Gasrücktrittssicherungen sind direkt an den Brenner oder an die Gasschläuche (maximal 1 Meter vom Brenner entfernt) montiert. Rückschlagsicherungen finden sich an den Druckminderern der Gasflasche (Sauerstoff+Brenngase), oder an den Entnahmestellen der Versorgungsanlagen. (Kaasuhitsausletkussa tulee olla takatulisuojat, jotka on kiinnitetty suoraan polttimen varteen tai hitsausletkuihin enintään yhden metrin päähän polttimen varresta. Takaiskusuojat liitetään kaasupullon (happi+polttokaasut) paineenalennusventtiiliin tai kaasuverkoston ottopisteeseen.) (3) Neben den Gasflaschen sollte sich ein langer Schutzhandschuh, der aus nicht entflammbarem Material besteht, befinden. (Kaasupullojen lähellä tulee olla pitkävartinen syttymätöntä materiaalia oleva kinnas.) (4) Der Schweißende muss lange Lederhandschuhe und eine aus nicht brennbarem Material bestehende Schutzschürze tragen. (Hitsaajalla tulee olla pitkävartiset nahkakintaat ja syttymättömästä aineesta tehty suojaesiliina.) (5) Die Gase werden sowohl im Schweißraum als auch vom Schweißobjekt separat und effektiv abgesaugt. (Hitsauspaikasta sekä hitsauskohteesta erikseen on järjestettävä tehokas kaasujen poisto.) Explizite Hinweise zum richtigen Schweißen werden im Folgenden wieder mit eindringlichen Warnungen, die zur Wahrung der Sicherheit dienen, verknüpft. Beispiel 8 MIG/ TIG - Schweißen (Kaarihitsaus ja kaasukaarihitsaus (Mig ja Tig)) (1) Schaue nie in den Lichtbogen ohne einen mit Filterglas ausgerüsteten Schweißschutz. (Älä koskaan katso valokaarta ilman suodatinlasein varustettua kasvosuojainta.) (2) Schweiße niemals ohne einen Schutzschild, der den richtigen Dunkelheitsgrad hat. (Älä koskaan hitsaa ilman sopivan tummuusasteen laseilla varustettua kasvosuojainta.) (3) Schweißvorhänge und Wände schützen die anderen Arbeitenden vor Blendung und Funkenflug. (Hitsauspaikka on ympäröitävä seinillä tai verhoilla, jotta toiset eivät häikäisty.) Interessant ist in Beispiel 8 die Vermischung von direkten Aufforderungen 12 und Warnungen an die Arbeitenden sowie die beschreibenden Feststellungen über die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes. Die Benutzer werden einerseits beruhigt: Es handelt sich um einen sicheren Arbeitsplatz mit allen mög- 12 Im Deutschen wird der Appell an die Studierenden mit der direkten Du-Anrede statt Gebrauch des Infinitivs noch verstärkt. Zu den Aufforderungsstrukturen siehe auch Kapitel 4. Luise Liefländer-Leskinen 162 lichen Schutzvorrichtungen (Schweißvorhänge und Wände schützen die anderen Arbeitenden... Schweißgase werden abgesaugt…). Andererseits wird an die Benutzer selbst appelliert, Schutzkleidung und Schutzschild zu verwenden und fachgerecht mit den Schweißanlagen umzugehen, um so ihre Sicherheit zu gewährleisten. 5 Zusammenfassung und Ergebnisse Bei der Übersetzung aus dem Finnischen bzw. bei der Transformation des finnischen Textes für deutschsprachige Studierende, entstand ein aufgrund skoposrelevanter Evaluation und adressatenspezifischer Transformation stark verkürzter - nur 40 Seiten von 139 Seiten waren relevant - Text AR- BEITSSICHERHEITSHINWEISE BESONDERS FÜR STUDIERENDE. Bei der „zweck- und adressatenspezifischen Transformation“ des Textes wurden die Studierenden als Zielgruppe berücksichtigt. Bei der Anredeform entschieden wir uns daher für das in Finnland unter Studierenden und Dozenten übliche Du, obwohl diese Anredeform nicht den deutschen Paralleltexten entsprach - abgesehen von den Sicherheitsvorschriften in jugend forscht. 13 Wir trafen diese Entscheidung deswegen, weil ja eine Nutzung der deutschen Version in Finnland - im benachbarten Institut für Technisches Werken - vorgesehen war und dieser Text damit zugleich seinen Beitrag zur Integration der deutschsprachigen Studierenden in die finnische Kultur und Umgebung leisten kann. Die primäre Funktion des Textes war, durch genaue Anweisungen zur Verwendung der Geräte und Appelle betreffs des richtigen Verhaltens im Maschinenraum die Sicherheit der ausländischen Studierenden zu gewährleisten. Diese Funktion des Textes wurde auch durch das entsprechende „Etikettieren“ des Wissens, das durch die Verwendung von Haupt- und Zwischenüberschriften im Fettdruck erfolgte, gestützt. Hinsichtlich der Gliederung des Textes orientierten wir uns weitgehend an der finnischsprachigen Vorlage und nahmen nur an Stellen, wo aufgrund der skoposrelevanten Evaluation Text fortgefallen war, eine neue Gliederung vor, so dass die deutsche Version als Gesamttext einen logischen Aufbau hat. Als wesentliche Funktion des im deutschen Text vermittelten Metawissens über das im Text enthaltene Wissen ist also der Schutz der Studierenden vor Verletzungen beim Umgang mit den oben beschriebenen technischen Geräten und Maschinen anzusehen. Es zeigte sich, dass das von Göpferich (2004) dargestellte theoretische Modell von skoposrelevanter Evaluation, zweck- und adressatenspezifischer Transformation und Etiket- 13 www.jugend-forscht.de erwies sich als eine nützliche Quelle. Zur Übersetzung von finnischen Sicherheitsvorschriften ins Deutsche 163 tieren des (Meta-)Wissens, um so einen schnellen und selektiven Zugriff zu ermöglichen, sinnvoll anwendbar war. In Bezug auf die didaktische Perspektive beim Übersetzerunterricht lassen sich folgende Punkte hervorheben: 1. Die Studentinnen lernten, dass der zu übersetzende Ausgangstext Mängel haben kann, bzw. fast ungeeignet sein kann für eine Übersetzung als solche. 2. Sie stellten auch fest, dass die skoposrelevante Evaluation dazu führen musste, dass ganze Textpassagen als irrelevant wegzulassen waren und eine Auswahl der relevanten Textpassagen zu erfolgen hatte, d. h. der Mut zur radikalen Bearbeitung des Textes wurde verlangt und trainiert. 3. Sie lernten auch zu entscheiden, was als skoposrelevant anzusehen war 14 , nämlich z. T. auch allgemeine Arbeitssicherheitshinweise zusätzlich zu den speziellen Anweisungen. 4. Eine gezielte Berücksichtigung der Rezipienten - in diesem Fall Studierende, die relativ unerfahren im Umgang mit den technischen Geräten sind - bei der Übersetzung wurde ebenfalls geübt, und dieses zeigt sich nicht nur in der Verwendung des (in deutschsprachigen Ländern unüblichen) Duzens, sondern auch bei der Explikation des Textes. Dass es sich bei den hier angeführten Textbeispielen nur um eine mögliche Übersetzungsvariante handelt, versteht sich von selbst, und in der Diskussion von den sechs unterschiedlichen vorgelegten Varianten lag ein ganz wesentlicher Lerneffekt. Fakt ist aber auch, dass nur eine Übersetzung abgeliefert werden konnte, und die angeführten Beispiele stammen aus dieser. Hinsichtlich von Textsortenkonventionen, syntaktischer und terminologischer Klarheit halfen uns vor allem Paralleltexte aus dem Internet, sowie die dort gezeigten Abbildungen. Wir konnten diese mit den Maschinen und ihren Teilen, sowie den technischen Geräten vor Ort vergleichen. Auf diese Weise konnte eine zutreffende Transformation weitestgehend gesichert werden. Zur Terminologiearbeit und ihren Problemen wäre allerdings ein weiteres Forschungsprojekt notwendig. Auch auf die grammatischen Strukturen der Aufforderungen konnte in diesem Rahmen nicht genauer eingegangen werden und dieses wäre zweifelsfrei ein weiteres wichtiges Forschungsfeld. 6 Literaturverzeichnis Primärliteratur und Vergleichstexte: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.de/ english.htm www.feinewerkzeuge.de www.hema-schneckenkiller.de/ anleitung.htm Kuhmonen, Pirkko Liisi (toim.), Käsityön, teknisen työn ja tekstiilityön opetuksen TYÖTURVALLISUUSOPAS, Opetushallitus 1994. 14 Vgl. Hierzu Kapitel 4.2 Allgemeines Wissen. Luise Liefländer-Leskinen 164 Sicherheitsvorschriften: www.jugend-forscht.de Werken, Technik: www.bildungsserver.de Werken, Technisches Werken: www.werken.at Sekundärliteratur: Fluck, Hans R., Fachsprachenforschung, in: Handbuch Translation, Tübingen 1998, 72-76. Gläser, Rosemarie, Lehrbücher, in: Handbuch Translation, Tübingen 1998, 217-219. Göpferich, Susanne/ Engberg, Jan (Hrsg.), Qualität fachsprachlicher Kommunikation, Tübingen 2004. Göpferich, Susanne, Wie man aus Eiern Marmelade macht. Von der Translationswissenschaft zur Transferwissenschaft, in: Göpferich, Susanne/ Engberg, Jan (Hrsg.), Qualität fachsprachlicher Kommunikation, 3-29. Hönig, Hans G., Konstruktives Übersetzen, Tübingen 1995. Hönig, Hans G., Opportunität als Prinzip. Der Übersetzungsprozess als neuronales Geschehen, in: TextConText 10/ 1995, 211-226. Liefländer-Koistinen, Luise, Zur Textsorte „Kochrezept“ im Deutschen und Finnischen. Eine übersetzungstheoretisch relevante Textanalyse, in: Schröder, Hartmut (Hrsg.), Fachtextpragmatik, Tübingen 1993, 129- 139. Liefländer-Koistinen, Luise, Textverstehen und Übersetzen als kreative Handlung im kulturellen Kontext, in: Liefländer-Koistinen, Luise (Hrsg.), Aus eigener Werkstatt. Eine Auslese aus Unterricht und Forschung der deutschen Abteilung, Veröffentlichungen des Instituts für Interkulturelle Kommunikation 2, Joensuu 2001, 7-20. Liefländer-Koistinen, Luise, Die Rolle von Modalpartikeln beim Textverstehen und Übersetzen, in: Blühdorn, Hardarik, Breindl, Eva und Waßner, Ulrich H. (Hrsg.), Institut für Deutsche Sprache, Jahrbuch 2005, Text - Verstehen - Grammatik und darüber hinaus, Berlin 2006, 368-371. Snell-Hornby, Mary (Hrsg.), Handbuch Translation, Tübingen 1998. Stolze, Radegundis, Der übersetzerische Umgang mit Fachtexten, in: Lsp and Theory of Translation, University of Vaasa, Faculty of Humanities, Vaasa 2002, 9-30. Index A Adjunkt 112 adressatenspezifische Transformation 151 Arbeitspraxis 043 Äquivalenz 129 B Bilddominanz 075 Bræðurnir Ormsson 035 C Code 074 covert translation 131 D deklarativer Textinhalt 086 Dependenzgrammatik 090 ‚dichte‘ Beschreibung 041 direkte, reaktive Observation 047 dokumentarische Übersetzung 132 F Funktion 139 funktionskonstante Übersetzung 138 G Garden-Path-Effekt 118 grounded theory 042 H Handlungseinheit 048 I informativer Teiltext 087 Innovation 009 Instruktionstext 070 instrumentelle Übersetzung 132 isländische Sprachpolitik 031 K Kohärenzrelation 092 komplekse Anleitungstextsorte 013 Konjunktsequenz 110 L Laboratory Studies 044 Lebenszyklus 046 M Medium, Medienbegriff 072 mið 030 Mischtextsorte 152 multimedialer Text 074 multimodale Textgestalt 011 O Ontogenese 046 overt translation 131 P primäre Funktion 108 Prozess-Orientierung 019 Projektorganisation 051 Q Quaestio 108 S semantisches Netzwerk 090 skoposrelevante Evaluation 151 166 Sprachdominanz 079 Sprachpflege 031 T Terminologiekommission 031 Textwelt 053 Translationswissenschaft 150 Ü Übersetzungsauftrag 127 V virtuelle Textgestalt 013 visuelles Zeichen 073