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Genus im Sprachvergleich

2009
978-3-8233-7403-9
Gunter Narr Verlag 
Brigitte Schwarze

Für das Genus der Nomina sind vor allem zwei Aspekte konstitutiv: Kongruenz und Klassifikation. Über die Kongruenz ist das Genus von anderen Formen nominaler Klassifikation abgrenzbar, über die Klassifikation unterscheidet es sich von anderen nominalen Kategorien. Obgleich beide Aspekte in älteren wie neueren Arbeiten zum Thema als bestimmend erachtet werden, hat man sich in der Auseinandersetzung mit dem Genus häufig auf nur einen der beiden Aspekte konzentriert, zumeist auf die Klassifikation. Im vorliegenden Band werden beide Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. das Buch bietet eine detaillierte Beschreibung der Genussysteme des Spanischen, Französischen und Deutschen; darüber hinaus wird auch die englische Sprache berücksichtig. der Vergleich der Genussysteme der genannten Sprachen erlaubt eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage nach der Funktion der Genuskategorie sowie mit den Annahmen zum Verhältnis von Genus und Sexus.

Brigitte Schwarze Genus im Sprachvergleich Klassifikation und Kongruenz im Spanischen, Französischen und Deutschen Gunter Narr Verlag Tübingen Genus im Sprachvergleich TBL_Schwarze_Titelei.indd 1 17.12.2008 9: 47: 59 Uhr Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 511 TBL_Schwarze_Titelei.indd 2 17.12.2008 9: 48: 00 Uhr Brigitte Schwarze Genus im Sprachvergleich Klassifikation und Kongruenz im Spanischen, Französischen und Deutschen Gunter Narr Verlag Tübingen TBL_Schwarze_Titelei.indd 3 17.12.2008 9: 48: 00 Uhr Die Arbeit wurde mit dem drupa-Preis 2007 ausgezeichnet. Die drupa - print media messe - stiftete im Jahr 1977 anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens den drupa-Preis, um die Veröffentlichung hervorragender geisteswissenschaftlicher Arbeiten zu fördern. D 61 Zugl.: Düsseldorf, Univ. Diss. 2005 u. d. T.: Genus im Sprachvergleich. Überlegungen zu Form und Funktion der Genuskategorie im Spanischen, Französischen, Deutschen und Englischen. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Informationsdesign D. Fratzke, Kirchentellinsfurt Druck und Bindung: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6403-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. TBL_Schwarze_Titelei.indd 4 17.12.2008 9: 48: 00 Uhr Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2005 als Dissertation unter dem Titel „Genus im Sprachvergleich. Überlegungen zu Form und Funktion der Genuskategorie im Spanischen, Französischen, Deutschen und Englischen“ von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen. Für die Druckfassung wurde die Dissertation überarbeitet und aktualisiert. Mein Dank für die fachliche Unterstützung und Hilfe beim Zustandekommen der Arbeit gilt vor allem meinem Doktorvater Professor Hans Geisler sowie Professor Frank Liedtke und Professorin Mechtild Bierbach. Für fachliche Anregungen und Diskussionen sowie persönliche Unterstützung möchte ich auch meinen Kollegen und Freunden, vor allem Detmer Wulf und Dr. Yvonne Stork danken. Meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, meinem Mann und meinem Sohn, danke ich für ihre Geduld und für die vielfältigen Ermunterungen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 5 16.12.2008 13: 08: 25 Uhr TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 6 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Thema der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Aufbau der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Teil 1 Was ist Genus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.1. Nominale Klassifikationssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.1.1. Klassifikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.1.2. Nominalklassen- und Genussysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.1.3. Deklinationsklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.1.4. Graduelle vs. absolute Differenzen, typologische Korrelationen und ‚interne‘ Abgrenzungsprobleme. . . . . . . . . . 27 1.2. Genus und Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.2.1. Kongruierende Elemente (agreement targets) . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.2.1.1. Targets der internen Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.2.1.2. Targets der externen Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.2.2. Zur Form von Kongruenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.2.3. Kongruenzverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.2.3.1. Syntaktische Kongruenz vs. semantische Kongruenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1.2.3.2. Die agreement hierarchy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.2.4. Was Kongruenz offen lässt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.3. Das Genus im Verhältnis zu anderen grammatischen Kategorien des Substantivs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1.3.1. Genus versus Numerus/ Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1.3.2. Zur Interaktion von Genus und Numerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1.4. Zur Behandlung und Beurteilung des Genus in der Sprachwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1.4.1. Genus: funktionale, afunktionale oder semantisch motivierte Kategorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1.4.2. Das Genus aus psycholinguistischer Perspektive . . . . . . . . . . . . 87 TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 7 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr 8 Inhalt Teil 2 Genus im Sprachvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.1. Kongruenz und syntaktische Leistung des Genus im Spanischen, Französischen und Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.1.1. Klassenzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.1.2. Genuskongruenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2.1.3. Form und Durchgängigkeit der Genusmarkierung via Kongruenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2.1.3.1. Genusmarkierung im Spanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2.1.3.2. Genusmarkierung im gesprochenen und geschriebenen Französisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.1.3.3. Genusmarkierung im Deutschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2.1.4. Fazit: Überlegungen zur syntaktischen Leistungsfähigkeit der Genuskategorie im Spanischen, Französischen und Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2.2. Formale Kriterien für die Genuszuweisung im Spanischen, Französischen und Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2.2.1. Genuszuweisung im Spanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2.2.2. Genuszuweisung im Französischen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2.2.3. Genuszuweisung im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2.3. Genus und Semantik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2.3.1. Semantische Gesamtcharakterisierungen: Die Sexustheorien. . 133 2.3.2. Möglichkeiten semantischer Teilcharakterisierungen . . . . . . . . 139 2.3.2.1. Differentialgenus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2.3.2.2. Kritik am Begriff des Differentialgenus . . . . . . . . . . . . . 148 2.4. Zum Zusammenspiel von formaler Durchsichtigkeit und semantischer Nutzung der Genusklassifikation . . . . . . . . . . . . . . . 153 2.5. Interlinguale Differenzen hinsichtlich der Grammatikalisierung der Genuskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2.6. Genus und Personenbezeichnungen im Englischen . . . . . . . . . . . . . . . 171 2.6.1. Genus im Englischen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2.6.2. Personenbezeichnungen und Möglichkeiten der Geschlechtsspezifikation im Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 8 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr Inhalt 9 Teil 3 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik - Ein wissenschaftshistorischer Abriss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3.1. Feministische Linguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3.1.1. Hauptuntersuchungsgebiete der feministischen Linguistik . . . 183 3.1.2. Zur theoretischen Einordnung feministischer Sprachbetrachtung und -kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3.1.3. Grundannahmen der feministischen Linguistik . . . . . . . . . . . . . 191 3.2. Generisches Maskulinum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.3. Die Kontroverse um das generische Maskulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3.3.1. Feministische Position(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3.3.1.1. Aussagen zu gesellschaftlichen Ursachen . . . . . . . . . . . 203 a) Das generische Maskulinums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) ‚generic he‘ im Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3.3.1.2. Aussagen zu den Wirkungen, die durch die Verwendung des generischen Maskulinums hervorgerufen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3.3.2. Das generische Maskulinum aus strukturalistischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.3.2.1. Systematische Beschreibung des generischen Maskulinums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.3.2.2. Kritik am feministischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3.4. Kritischer Vergleich der feministischen und der ‚antifeministischen‘ Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3.4.1. Die unterschiedlichen Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3.4.2. Prüfung der einzelnen Argumente und Gegenargumente. . . . . 231 3.5. Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum? Die empirischen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3.5.1. Untersuchungen zu Gebrauch und Verständnis des ‚generic he‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3.5.2. Untersuchungen zum Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3.5.3. Untersuchungen zum Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen im Spanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3.5.4. Gesamteinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 9 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr 10 Inhalt Schluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 10 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr Einleitung 1. Thema der Arbeit Das Genus der Substantive gehört zu den am häufigsten thematisierten, aber auch umstrittensten Kategorien innerhalb der Sprachwissenschaft. Es ist immer wieder unter ganz verschiedenen Perspektiven betrachtet worden und hat in vielerlei Hinsicht Anlass zu kontroversen Diskussionen gegeben. Im Zentrum zahlreicher älterer und neuerer Arbeiten zum Thema stehen Fragen des Ursprungs und der weiteren historischen Entwicklung des Genus im Indoeuropäischen und in anderen Sprachfamilien ebenso wie Funktion und Nutzen der Genuskategorie, Fragen zum Zusammenhang von Genus und den übrigen grammatischen Kategorien des Substantivs, insbesondere des Numerus, die Rolle des Genus in der Sprachverarbeitung etc. Neben Arbeiten, die sich eher allgemein mit dem Genus beschäftigen - sei es mit den Genussystemen bestimmter Einzelsprachen, sei es mit übergeordneten Themen der oben beschriebenen Art -, stehen solche, in denen die Genuskategorie aus dem Blickwinkel der Sprachtypologie, unter dem Aspekt des Spracherwerbs (sowohl Erstals auch Zweitspracherwerb) oder in der Perspektive der Fremd- und Lehnwortforschung betrachtet wird. Als eine Form nominaler Klassifikation unter anderen nimmt das Genus ferner im Rahmen der Grammatikalisierungsforschung ebenso wie in kognitiv ausgerichteten linguistischen Arbeiten, speziell solchen, die sich mit dem Aspekt der Kategorisierung beschäftigen, einen wichtigen Stellenwert ein. Zu den besonders strittigen Punkten innerhalb der Forschungen zum Thema zählen u.a. die Abgrenzung zwischen Genus-, Nominalklassen- und Klassifikatorsystemen (classifier systems), die Frage nach Funktion und Nutzen der Genuskategorie sowie die Frage nach dem Zusammenhang von Genus und Semantik und insbesondere Genus und Sexus, die z.B. im Rahmen der Beschäftigung mit dem Ursprung des Genus und - in neuerer Zeit - in der von der feministischen Linguistik initiierten Diskussion um das sogenannte ‚generische Maskulinum‘ auf zum Teil höchst polemische Art und Weise erörtert worden ist. Der problematische Charakter der Genuskategorie ist in unterschiedlichen Publikationen zum Thema auch immer wieder explizit hervorgehoben worden. So bezeichnet Meillet das Genus in einem Aufsatz aus dem Jahre 1919 als „l’une des catégories grammaticales les moins logiques et les plus inattendues“ (in: Meillet 2 1982: 202), 40 Jahre später schreibt Fodor (1959: 1): „The category of grammatical gender (genus) is one of the still unsolved puzzles of linguistic science“, und auch heute werden diese Einschätzungen noch geteilt, was sich TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 11 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr 12 Einleitung z.B. darin offenbart, dass Corbett in der Einleitung seines 1991 erschienenen Buches Gender in ähnlicher Weise feststellt: „Gender is the most puzzling of the grammatical categories“ (Corbett 1991: 1). Das Genus wirft nun aber nicht nur viele Fragen allgemeiner Art auf, sondern es erweist sich auch im Hinblick auf bestimmte Einzelsprachen als prekär; Uneinigkeit herrscht hier etwa darüber, ob bestimmte Sprachen - wie z.B. das Englische - (noch) als Genussprachen anzusehen sind, und auch die Anzahl der unterschiedlichen Teilklassen, der einzelnen Genera, ist - wie im Falle des Spanischen und Rumänischen - nicht immer unumstritten. Angesichts der zahlreichen Forschungsperspektiven, die das Genus dem Linguisten eröffnet, kann es nicht erstaunen, dass dieses Thema bis heute nicht an Aktualität verloren hat. Hiervon zeugt bereits die Fülle von Veröffentlichungen der letzten Jahre. Die Online-Bibliographie der Modern Language Association (MLA) führt unter dem Stichwort ‚grammatical gender‘ nicht weniger als 1094 verschiedene Publikationen auf (Stand März 2008), wobei weit mehr als die Hälfte auf die Jahre 1990 bis 2008 entfallen. 1 In diesem Zeitraum ist Genus bzw. Nominalklassifikation im Allgemeinen auch immer wieder Thema unterschiedlicher Symposien und größerer Projekte: So erschienen z.B. im Jahr 2000 unter dem Titel Gender in Grammar and Cognition und Systems of Nominal Classification gleich zwei umfangreiche Sammelbände, die auf drei unterschiedliche Tagungen zum Thema zurückgehen (vgl.: Unterbeck/ Rissanen eds. 2000 und Senft ed. 2000). 2 Eine insgesamt 30 Sprachen umfassende Studie zu grammatischem Genus und außersprachlichem - natürlichem und sozialem - Geschlecht wurde in den Jahren 2001 bis 2003 von Marlis Hellinger und Hadumod Bußmann unter dem Titel Gender across Languages herausgegeben; eine sprachvergleichende Arbeit, die im Rahmen des am Institut für Deutsche Sprache laufenden Projekts ‚Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich‘ entstanden ist, hat Ursula Hoberg im September 2004 veröffentlicht. 3 2006 erschien in der Zeitschrift Lingua ein Themenheft zum Genus, dessen Beiträge sich u.a. auf die Verbindung zwischen aktuellen Forschungen zum Genus und zeitgenössischen linguistischen Theorien (z.B. Optimalitätstheorie) konzentrieren (vgl. Enger/ Nesset/ Rice 1 Die genannte Bibliographie umfasst einen Berichtszeitraum ab 1926; zu berücksichtigen ist, dass neueste Arbeiten auch in den aktuellen Updates größtenteils noch nicht auftauchen. 2 In das Jahr 2000 fällt ferner die Veröffentlichung von Aikhenvalds typologisch ausgerichteter Monographie zur nominalen Klassifikation. 3 Für genauere Angaben zu diesem Projekt sei auf die Homepage des IDS verwiesen. Gesamtziel ist „die Erarbeitung einer Grammatik des Deutschen unter auf das Deutsche gerichteter Kontrastierung mit europäischen Kontrastsprachen, die ihrerseits variabel gewichtet, nicht hierarchisiert und nicht exhaustiv beschrieben werden“ (http: / / www.ids-mannheim.de/ gra/ eurostudien.html). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 12 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr Thema der Arbeit 13 2006). 4 Weitere Publikationen zum Genus sind in Vorbereitung. Zum Beispiel stellen Klaus-Michael Köpcke und David A. Zubin ein Buch in Aussicht, „in dem die Genuszuweisung als ein wichtiges kognitives Organisationsprinzip neben anderen nominalen Klassifikationsphänomenen in den Sprachen der Welt aufgefasst wird“ und das unter dem (sprechenden) Titel The Irrgarden: Natural Categories in Language: A Study of Nominal Classification Systems with Particular Reference to Gender in German erscheinen soll; 5 Don Nelson und Donald Steinmetz kündigen eine Monographie mit dem Titel Indo-European Gender an, in der sie sich mit formalen und semantischen Prinzipien der Genusklassifikation beschäftigen und dabei auch auf unterschiedliche romanische Sprachen eingehen. 6 Selbstverständlich können und sollen nicht alle Aspekte, die in der mittlerweile unüberschaubaren Fülle linguistischer Publikationen zum Thema Genus behandelt worden sind, im Rahmen der vorliegenden Arbeit berücksichtigt werden; der Schwerpunkt der Arbeit lässt sich vielmehr wie folgt skizzieren: Zum einen geht es um eine vergleichende Betrachtung der Genussysteme zweier romanischer (Französisch und Spanisch) und zweier germanischer Sprachen (Deutsch und - wenn auch marginaler - Englisch), zum anderen um eine kritische Darstellung und Prüfung sowohl älterer als auch neuerer Thesen zur Funktion der Genuskategorie und zum Verhältnis von Genus und Semantik und insbesondere Genus und Sexus. Mit dieser Ausrichtung soll sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht ein Beitrag zur aktuellen Forschung geleistet werden, die - wie schon die obigen Angaben zu einigen zeitgenössischen Veröffentlichungen zeigen - ein verstärktes Interesse an kontrastiven Untersuchungen sowie an der Genus/ Sexus-Relation erkennen lässt. 4 Die Publikation des genannten Themenhefts steht in Zusammenhang mit dem Teilprojekt gender assignment, das am norwegischen Center for Advanced Study in Theoretical Linguistics (CASTL) in 2003 und 2004 durchgeführt wurde. Auch im Falle der CASTL-Projekte stehen - wie die Zielformulierung erkennen lässt - Aspekte des Sprachvergleichs im Vordergrund: „The center’s objective is to conduct comparative studies to explore the characteristic elements of linguistic variation, and to determine the parameters along which languages differ“ (http: / / uit.no/ castl/ 2612/ ). 5 So lauten die Angaben, die sich auf Köpckes Homepage unter ‚Veröffentlichungen‘ resp. ‚Projekte‘ finden (vgl.: http: / / deuserv.uni-muenster.de/ IDSLD/ forschen_und_lehren/ koepcke_k/ ). 6 Vgl. Nelson 2005: 37, FN 10. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 13 16.12.2008 13: 08: 26 Uhr 14 Einleitung 2. Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei große Teile. Im ersten und für die weiteren Abschnitte grundlegenden Teil werden einige allgemeine Überlegungen zum Genus angestellt, wobei vorwiegend, aber nicht ausschließlich auf die Genussysteme der indoeuropäischen Sprachen Bezug genommen wird. Zu Beginn des ersten Teils soll skizziert werden, was Nominalklassifikation im Allgemeinen ausmacht, welche Formen nominaler Klassifikation zu unterscheiden sind und anhand welcher Kriterien verschiedene (prototypische) Klassifikationssysteme charakterisiert werden können. Besonderes Ziel dieser Ausführungen ist es, eine terminologische wie begriffliche Klärung des Verhältnisses von Nominalklasse, Genus und Klassifikator zu leisten. Der anschließende Abschnitt ist dem entscheidenden Kriterium für das Vorliegen von Genus, der Kongruenz, gewidmet; vor allem über dieses Kriterium kann das Genus von anderen Formen nominaler Klassifikation eindeutig abgegrenzt werden. Wir wollen uns hier mit einigen grundsätzlichen Fragestellungen auseinandersetzen, die das ‚Wesen‘ der Kongruenz und insbesondere der Genuskongruenz betreffen, sowie auf einzelne Aspekte - u.a. kongruierende Elemente und Form der Genuskongruenz - genauer eingehen. Dabei soll auch deutlich gemacht werden, dass die Kongruenz im Hinblick auf die Beschaffenheit der Genussysteme verschiedener Sprachen sehr große Spielräume offen lässt. Es variieren z.B. Anzahl und Art der kongruierenden Elemente, Ort und Art der Genusmarkierung an diesen Elementen, Anzahl der Genera und Umfang der einzelnen Klassen, der Grad an formaler und semantischer Durchsichtigkeit der Klassifikation etc. Die Heterogenität unterschiedlicher Genussysteme, die sowohl unmittelbar mit der Kongruenz zusammenhängt als auch dadurch bedingt ist, dass bestimmte Eigenschaften von Genussystemen nicht oder nur sehr eingeschränkt durch das Kriterium der Kongruenz tangiert werden, wird in diesem Abschnitt durch die exemplarische Darstellung verschiedener indoeuropäischer und nicht-indoeuropäischer Sprachen illustriert. Im Anschluss wird das Genus im Verhältnis zu anderen grammatischen Kategorien des Substantivs, insbesondere Numerus, betrachtet. Durch den Vergleich des Genus mit diesen ebenfalls durch Kongruenz gekennzeichneten Kategorien sollen zunächst die spezifischen Charakteristika des Genus (Nicht- Ablösbarkeit des Genus am Substantiv und Fehlen einer Genus-Semantik) herausgestellt werden. Dann wird auf die in verschiedenen Einzelsprachen je unterschiedlich ausgeprägte ‚Verwobenheit‘ der Genus- und der Numeruskategorie eingegangen. Auch in diesem Zusammenhang wird auf ganz unterschiedliche Genussysteme rekurriert. Sowohl die spezifischen Charakteristika des Genus gegenüber anderen grammatischen Kategorien des Substantivs als auch die Heterogenität der TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 14 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Aufbau der Arbeit 15 Genussysteme können als Grund dafür angesehen werden, dass das Genus in der Sprachwissenschaft eine besondere Stellung einnimmt und immer wieder unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet wird. Im letzten Abschnitt des ersten Teils werden wir uns mit diesem Aspekt, der Behandlung und Beurteilung des Genus innerhalb der Sprachwissenschaft, auseinandersetzen. Im Rahmen einer vorwiegend problemorientierten Darstellung sollen vor allem diejenigen Ansätze und Schwerpunkte skizziert werden, die für die weiteren Teile der Arbeit von Bedeutung sind (z.B. Theorien zum Ursprung des Genus im Indogermanischen und Überlegungen zum Zusammenhang von Genus und Semantik, Untersuchungen zur syntaktischen Leistung des Genus, zu formalen und/ oder semantischen Kriterien für die Genuszuweisung). Nach den allgemeinen Erläuterungen im ersten Teil werden wir uns im zweiten Teil der Arbeit speziell auf die Darstellung und den Vergleich der Genussysteme der spanischen, französischen, deutschen und englischen Sprache konzentrieren. Da sich die englische Sprache in puncto Genus sehr stark von den drei anderen Sprachen unterscheidet - so stark, dass zu fragen ist, ob das Englische überhaupt (noch) als Genussprache angesehen werden kann -, erscheint es jedoch sinnvoll, die Betrachtung des Englischen zurückzustellen und die Ausführungen zunächst auf die drei zuerst genannten Sprachen zu beschränken. Diese werden in einem ersten Schritt im Hinblick auf die Kongruenz und die daraus resultierende syntaktische Leistungsfähigkeit des Genus verglichen: Über die Analyse der Kongruenz sollen zum einen die Unterschiede in den Genussystemen der genannten Sprachen herausgestellt werden, zum anderen wird gezeigt, wie sich sowohl diese Unterschiede als auch von der Genuskategorie unabhängige Charakteristika der Sprachen - z.B. die Differenz zwischen phonischer und graphischer Repräsentation im Französischen - auf die syntaktische Leistungsfähigkeit des Genus auswirken. Anschließend wird der Blick auf die Klassifikation und auf die klassifizierten Elemente - die Substantive selbst - gerichtet. Zunächst geht es um die Darstellung der Korrelationen von (phonologischer und/ oder morphologischer) Form der Substantive und deren Genus. Den Ausgangspunkt der Darstellung bilden hier die in Teil 1 präsentierten neueren Arbeiten zum Genus, innerhalb derer man sich auf die Frage nach der muttersprachlichen Kompetenz bei der Genuszuweisung konzentriert und versucht, bestimmte genusrelevante Kriterien der Nomina herauszuarbeiten. Vorwiegend auf der Grundlage dieser Arbeiten sollen die drei Sprachen hinsichtlich der formalen Durchsichtigkeit ihrer Genussysteme verglichen werden. Im nächsten Abschnitt wird auf den Zusammenhang von Genus und Semantik der Substantive eingegangen: Wir beginnen mit einer kritischen Be- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 15 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr 16 Einleitung schreibung der im ersten Teil bereits vorgestellten semantischen Gesamtcharakterisierungen der Genuskategorie, die sich vor allem in älteren Arbeiten zum Ursprung des Genus finden (z.B. bei Grimm, Adelung u.a.). Vor diesem Hintergrund soll dann zunächst deutlich gemacht werden, inwiefern Semantisches am Genus sinnvollerweise berücksichtigt werden kann und muss. Ist diese Vorarbeit geleistet, so können die französische, die spanische und die deutsche Sprache im Hinblick auf die semantische Nutzung der Genusklassifikation gegenübergestellt werden. In einem weiteren Schritt wird auf den Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Graden formaler Durchsichtigkeit und dem divergierenden Maße an semantischer Nutzung der Genusopposition in den untersuchten Sprachen hingewiesen. Schließlich werden wir zeigen, dass die herausgestellten interlingualen Differenzen im Sinne unterschiedlicher Grammatikalisierungsgrade des Genus im Spanischen, Französischen und Deutschen interpretiert werden können. Im letzten Abschnitt des zweiten Teils wird dann auf das Genussystem des Englischen eingegangen: Auf der Grundlage der bisherigen Erläuterungen soll hier vor allem diskutiert werden, inwieweit das Englische überhaupt als Genussprache angesehen werden kann. Im dritten, vorwiegend wissenschaftshistorisch orientierten Teil der Arbeit soll ein Gegenstand betrachtet werden, der seit Mitte der 1970er Jahre vor allem in Deutschland (BRD), aber auch in anderen Ländern (USA, Frankreich, Spanien u.a.) im Zuge der ursprünglich von der Frauenbewegung initiierten allgemeinen Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Sprache und Geschlecht‘ zu größeren und oft recht polemisch geführten Diskussionen Anlass gegeben hat. Es handelt sich um das sogenannte ‚generische Maskulinum‘ im Bereich der Personenbezeichnungen, d.h. um die im System vieler indoeuropäischer Sprachen angelegte Möglichkeit, mit einer maskulinen Personenbezeichnung nicht allein auf männliche Referenten, sondern vom Merkmal ‚Geschlecht‘ abstrahierend auf männliche und weibliche Referenten Bezug nehmen zu können. Dieses spezielle Thema ist insbesondere von drei verschiedenen Seiten betrachtet worden: Zuerst wurde es von feministischer Seite, d.h. im Rahmen der feministischen Linguistik diskutiert, und zwar zumeist im Hinblick auf eine bestimmte Einzelsprache, da die Möglichkeiten der generischen Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen je nach Einzelsprache variieren. Die Diskussion und die vorgebrachten sprachkritischen Äußerungen zu den Ursachen und zu der für Frauen benachteiligenden Wirkung des generischen Maskulinums, die in Form allgemeingültiger Aussagen aufgestellt wurden, blieben nicht unbeachtet, sondern sind dann vor allem von Sprachwissen- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 16 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Aufbau der Arbeit 17 schaftlerinnen und -wissenschaftlern aufgegriffen worden, die „sich dem wertfreien und vorurteilslosen struktural-systematischen Zugang zum Phänomen ‚Sprache‘ verpflichtet“ fühlen (Kalverkämper 1979: 55). Außerdem ist eine Reihe von Arbeiten entstanden, die sich auf empirischer Ebene mit dem generischen Maskulinum beschäftigen und die vor allem darüber Aufschluss geben, wie maskuline Personenbezeichnungen in neutralen Ko- und Kontexten interpretiert werden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll zum einen die eher theoretische Diskussion zwischen feministisch und strukturalistisch orientierten Linguisten und Linguistinnen geschildert werden, zum anderen sollen einige der empirischen Untersuchungen vorgestellt werden, wobei auch hier auf die Sprachen Spanisch, Französisch, Deutsch und Englisch Bezug genommen wird. Um die Aussagen beider Seiten kritisch beleuchten zu können und um die generellen Diskrepanzen zwischen strukturalistischen und feministischen Positionen, die auch für die Diskussion um das generische Maskulinum charakteristisch sind, in aller Deutlichkeit darlegen zu können, erscheint es notwendig, in einem ersten Schritt einige allgemeine Angaben zur feministischen Linguistik zu machen, insbesondere über die verschiedenen Untersuchungsbereiche und über die dieser Strömung zugrunde liegenden Annahmen zu unterrichten. Der erste Abschnitt des dritten Teils ist also gewissermaßen als eine recht knapp gehaltene Skizze der feministischen Linguistik zu verstehen. Im Anschluss sollen die in Teil 2 im Rahmen der Beschäftigung mit dem Verhältnis von Genus und Semantik gemachten Beobachtungen zur Genus/ Sexus-Relation durch die Beschreibung der generischen Verwendbarkeit maskuliner Personenbezeichnungen (bzw. Pronomina) im Spanischen, Französischen, Deutschen und Englischen ergänzt werden. Sind diese Vorarbeiten geleistet, kann die Diskussion um das generische Maskulinum betrachtet werden. Zunächst werden die feministischen, dann die von strukturalistischer Seite vorgetragenen Aussagen zusammengestellt. Im Anschluss sollen die beiden Positionen verglichen und die einzelnen Argumente unter Berücksichtigung der in den vorangegangenen Teilen der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse kritisch geprüft werden. Im darauffolgenden Abschnitt werden die empirischen Untersuchungen zum generischen Maskulinum beschrieben, deren Ergebnisse die feministische Kritik in Teilen als berechtigt ausweisen. Wir beschließen diesen Teil mit einer Gesamteinschätzung der empirischen Untersuchungen und weisen in diesem Zusammenhang auch darauf hin, wie die empirisch gewonnenen Erkenntnisse unter Rückgriff auf einige innerhalb der kognitiven Linguistik bzw. Prototypentheorie vertretene Ansätze theoretisch begründet werden können. Erstaunlicherweise sind diese Ansätze, die sich für die Erklärung der von feministischer Seite konstatierten TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 17 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr 18 Einleitung und empirisch belegten Auswirkungen der asymmetrischen Strukturen im Bereich der Personenbezeichnungen besonders eignen, bislang kaum berücksichtigt worden. Die Zusammenfassung der wichtigsten in den verschiedenen Teilen angesprochenen Punkte und erzielten Ergebnisse bildet den Schlussteil der Arbeit. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 18 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Teil 1 Was ist Genus? Es ist zunächst festzustellen, dass der Ausdruck Genus innerhalb der Linguistik in doppelter Weise verwendet wird; er dient nämlich zum einen der Bezeichnung einer grammatischen Oberkategorie und besagt, dass die Substantive bestimmter Sprachen in verschiedene Klassen eingeteilt werden, zum anderen wird er benutzt, um die Teilklassen dieser Kategorie, also die einzelnen Gruppen von Substantiven zu bezeichnen. Man kann also sagen, dass eine Sprache über (die Oberkategorie) Genus verfügt, ohne etwas darüber auszusagen, wie viele Genera (Teilkategorien) unterschieden werden. Diese Doppeldeutigkeit zeigt sich natürlich auch bei den Bezeichnungen anderer grammatischer Kategorien (Numerus, Kasus, Tempus u.a.). Genus ist aber noch in anderer Hinsicht mehrdeutig, wird es doch nicht nur mit Bezug auf das Substantivparadigma verwendet, sondern ebenfalls im Bereich der Verbalkategorien zur Bezeichnung des Diathesenunterschieds; auf das ‚Genus des Verbs‘ (genus verbi) wird im Folgenden allerdings nicht eingegangen, unsere Darstellung beschränkt sich allein auf das Genus als eine Form nominaler Klassifikation. Nun gibt es prinzipiell sehr viele Kriterien, nach denen sich Substantive in verschiedene Klassen gliedern lassen. Man könnte etwa aufgrund semantischer Kriterien Klassen bilden und beispielsweise Substantive, die zur Bezeichnung von Menschen dienen, von solchen unterscheiden, die verwendet werden können, um auf Tiere zu referieren; eine weitere Klasse könnte dann aus Nomina bestehen, die das semantische Merkmal [-belebt] aufweisen. Auch formale Klasseneinteilungen sind denkbar: So könnte beispielsweise eine Klasse einfacher Nomina (Simplizia) von einer Klasse, die aus Komposita besteht, unterschieden werden; es ließe sich auch eine Klasse bilden, die von Verben abgeleitete Substantive enthält, eine andere, die aus deadjektivischen Ableitungen besteht etc. Der Möglichkeiten gibt es viele, doch teilte man etwa die Nomina der deutschen, spanischen, französischen oder englischen Sprache nach einem dieser Kriterien ein, so erhielte man nicht verschiedene Genera. Was also zeichnet die Kategorie Genus aus bzw. wann bezeichnet man eine Sprache als Genussprache? Und wo liegen die Unterschiede (und Gemeinsamkeiten) zwischen Genussystemen und anderen Systemen der nominalen Klassifikation wie Nominalklassen- und Klassifikatorsystemen (classifier systems)? Eben dies soll in den folgenden Abschnitten erörtert werden, bevor wir im weiteren Verlauf des Kapitels auf das Verhältnis des Genus zu anderen grammatischen TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 19 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr 20 Was ist Genus? Kategorien des Substantivs und auf die Behandlung und Beurteilung des Genus in der Sprachwissenschaft eingehen und so von unterschiedlichen Seiten die übergeordnete Fragestellung ‚Was ist Genus? ‘ zu beantworten suchen. Beginnen wir mit einem allgemeinen Blick auf die verschiedenen Typen nominaler Klassifikation und deren Abgrenzung. 1.1. Nominale Klassifikationssysteme In einigen zeitgenössischen Arbeiten, die sich mit nominalen Klassifikationssystemen beschäftigen, wird der terminologische Wirrwarr in diesem Bereich moniert; so heißt es etwa bei Grinevald (1999: 101): […] il semble régner actuellement une confusion terminologique endémique dans ce domaine qu’il serait bon de dissiper à une époque où (re)surgit un grand intérêt pour ces systèmes de classification nominales […]. (Vgl. auch Aikhenvald 2000: 1, 8ff., Löbel 2000: 259f.) Tatsächlich ist festzustellen, dass man selbst innerhalb eines Sammelbandes zum Thema auf unterschiedliche Verwendungsweisen der Bezeichnungen ‚Genus‘, ‚Nominalklasse‘ und ‚Klassifikator‘ trifft. 7 Diskrepanzen bestehen aber nicht nur in terminologischer, sondern auch in substantieller Hinsicht. Umstritten ist hierbei nicht so sehr, welche verschiedenen Typen nominaler Klassifikation zu unterscheiden sind und anhand welcher Kriterien eine Typisierung bzw. Differenzierung vorgenommen werden kann, vielmehr erweist sich die genaue Abgrenzung der verschiedenen Typen untereinander als problematisch. Dies manifestiert sich in doppelter Hinsicht: einerseits variieren die Grenzziehungen, die in der Literatur zum Thema vorgenommen werden, 8 andererseits zeigen genauere Analysen ganz unterschiedlicher Sprachen aber auch, dass sich das Klassifikationssystem einer bestimmten Einzelsprache nicht immer exakt einem der etablierten Typen zuordnen lässt. 9 Vor allem neuere 7 Vgl. z.B. Unterbeck/ Rissanen (eds.) (2000): hier wird beispielsweise Genus bzw. gender sowohl als übergeordneter Terminus verwendet, der jegliche Art nominaler Klassifikation umfasst (vgl. Janhunen 2000: 689), als auch in Abgrenzung zu Nominalklasse einerseits und Klassifikator andererseits (vgl. u.a. Unterbeck 2000: xxv, Hurskainen 2000: 665). Neben diesen beiden Verwendungsweisen gibt es - wie wir unten sehen werden - eine dritte, die in der Mehrzahl zeitgenössischer Arbeiten vorzuherrschen scheint und der sich in dem genannten Sammelband z.B. Dahl anschließt (vgl. Dahl 2000). 8 Die erwähnten terminologischen Diskrepanzen sind zum Teil auf unterschiedliche Grenzziehungen zurückzuführen. 9 Der Einfachheit halber ist hier vom Klassifikationssystem einer Sprache (im Singular) die Rede, obwohl zu berücksichtigen ist, dass einige Sprachen über mehrere Klassifikationssysteme gleichzeitig verfügen (s.u.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 20 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Nominale Klassifikationssysteme 21 Untersuchungen zu denjenigen Sprachen, die - anders als die indoeuropäischen, afrikanischen und südostasiatischen - nicht schon traditionell unter dem Aspekt nominaler Klassifikation betrachtet worden sind und deren Daten folglich für die Aufstellung unterschiedlicher Typen nicht maßgeblich waren, belegen, dass von einer rigiden Kategorisierung - auch in diesem Bereich - abgesehen werden muss. Zubin (1992: 42) stellt in diesem Sinne Folgendes fest: Recent research on other language families and areas - e.g. in the Amazon Basin, Australia and New Guinean - brings into question the traditional typology of discrete types, particularly with increasing evidence for mixed types. In zeitgenössischen Arbeiten wird dieser Erkenntnis insofern Rechnung getragen, als man davon ausgeht, dass die verschiedenen Klassifikationssysteme auf einem Kontinuum zwischen (stärker) lexikalischen und (stärker) grammatischen Systemen zu verorten sind. Entsprechend werden nicht bestimmte Klassifikationstypen postuliert, die sich durch eine Reihe notwendiger und hinreichender Bedingungen unterscheiden ließen und denen die einzelsprachlichen Systeme eindeutig zuzuordnen wären, sondern es wird angenommen, dass sich anhand eines Bündels verschiedener semantischer und formaler Merkmale, die entlang dieses Kontinuums kovariieren, bestimmte ideal- oder prototypische Systeme unterscheiden lassen, denen bestimmte Einzelsprachen dann mehr oder weniger entsprechen. Man verabschiedet sich also durchaus nicht von jeglicher Typisierung, sondern von einer starren Unterscheidung, zugunsten einer prototypischen Konzeption. Bevor wir auf verschiedene (Proto-)Typen nominaler Klassifikation, ihre Merkmale und ihren Grammatikalisierungsgrad eingehen, muss geklärt werden, unter welchen Bedingungen überhaupt von Nominalklassifikation gesprochen werden kann. Was macht das ‚Wesen‘ der Klassifizierung von Substantiven ganz allgemein aus? Mit Wurzel (1986: 77) kann diese Frage wie folgt beantwortet werden: Eine Klassifizierung von Substantiven liegt dann vor, wenn die Substantive in eine begrenzte Anzahl von Klassen eingeteilt sind, wobei sich die Klassenzugehörigkeit zumindest in bestimmten Kontexten formal am Wort und/ oder über das Wort hinaus auswirkt. Es ist zu unterstreichen, dass die Markierung der Klassenzugehörigkeit nicht rein fakultativ, sondern „zumindest bei bestimmten Substantivgruppen und/ oder in bestimmten syntaktischen Kontexten“ obligatorisch erfolgen muss, „so daß die Klassifizierung nicht mehr den Bedürfnissen der Diskursgestaltung in der Kommunikation, sondern den Regeln der Grammatik folgt“ (ebd.: 78). 10 10 Obwohl eine explizite Nennung der Kriterien für Nominalklassifikation im Allgemeinen eher die Ausnahme ist, gibt es natürlich alternative Definitionen, z.B. von Serzisko (1982) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 21 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr 22 Was ist Genus? Unter die von Wurzel vorgeschlagene Bestimmung fallen nun ganz unterschiedliche Formen nominaler Klassifikation: Verschiedene Arten von Klassifikatorsystemen (u.a. Numeral-, Nominal-, Verbalklassifikatoren), die z.B. in südostasiatischen, (indigenen) mittel- und nordamerikanischen Sprachen vorkommen, Nominalklassen, die für die meisten afrikanischen Sprachen charakteristisch sind, Genusklassen, wie man sie besonders häufig in indoeuropäischen Sprachen findet, und Deklinationsklassen, die z.B. im Lateinischen und Deutschen anzutreffen sind. Eine Abgrenzung und genauere Charakterisierung der verschiedenen Systemtypen kann mit Hilfe der folgenden z.T. interdependenten Kriterien vorgenommen werden: 11 1. Grad an Geschlossenheit des Systems 2. Klassenzahl und Klassengröße 3. Art der Klassenmarkierung 4. Möglichkeit des Klassenwechsels von Substantiven und semantisch-referentieller Effekt desselben 5. Grad an Obligatorik der Klassenzuordnung und Klassenmarkierung 6. Semantische Durchsichtigkeit der Klassifikation und García-Miguel (2000). Serzisko (ebd.: 96) legt - verglichen mit Wurzel - einen engeren Klassifikationsbegriff zugrunde; z.B. fordert er, dass die Klassenmarkierung nicht allein am Nomen erfolgt. García-Miguel (2000) kommt zwar zu demselben Ergebnis wie Wurzel, d.h. er fasst im Endeffekt all das unter Nominalklassifikation, was den von Wurzel aufgestellten Kriterien genügt, er formuliert aber weit weniger genau und bezieht außerdem auch semantische Kriterien ein, die dann jedoch nicht weiter erläutert werden; vgl.: „Entenderemos […] por clasificación nominal todo sistema que permita la distribución de los nombres en clases gracias a la existencia de unidades o procesos morfológicos que marquen explícitamente propiedades inherentes del nombre, con tal que la expresión de clase pueda situarse fuera del nombre y que la clasificación al menos parcialmente tenga un fundamento semántico (García-Miguel 2000: 94). Auf eine wichtige Einschränkung Wurzels, nämlich diejenige, die besagt, dass die Klassenzugehörigkeit nur in bestimmten Kontexten formal ausgedrückt sein muss, verzichtet García-Miguel. Diese Einschränkung bzw. Präzisierung ist aber insofern wichtig, als die Markierung der Klassenzugehörigkeit weder bei Klassifikatorsystemen noch bei Nominalklassen- oder Genussystemen allgegenwärtig ist, d.h. das Fehlen jeglicher Markierung in bestimmten Umgebungen scheint eher die Regel als die Ausnahme zu sein. 11 Die folgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; es handelt sich um eine Zusammenschau der wichtigsten Kriterien, die auch in unterschiedlichen Arbeiten zum Thema angegeben werden (vgl. u.a. Greenberg 1978, Dixon 1986, Wurzel 1986, Seiler 1986, Zubin 1992, García-Miguel 2000, Grinevald 1999, 2000). Zumindest partiell lassen sich die angeführten Kriterien unmittelbar mit den von Lehmann aufgestellten Grammatikalisierungsparametern in Beziehung setzen (vgl. Lehmann 1982: 233ff. u.a.); wir wollen diese jedoch erst im zweiten Teil der Arbeit genauer betrachten, im Rahmen der kontrastiven Analyse der Genussysteme des Französischen, Spanischen, Deutschen und Englischen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 22 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Nominale Klassifikationssysteme 23 Wie sich unschwer erkennen lässt, haben diese Kriterien, anders als die durch die oben angegebene Definition von Nominalklassifikation geforderten, nicht den Status notwendiger und hinreichender Bedingungen. Es handelt sich vielmehr um übergeordnete Merkmale, die je nach Klassifikationsform anders ausgeprägt sind. 12 1.1.1. Klassifikatoren Eine Sprache mit typischem Klassifikatorsystem ließe die folgende Merkmalkonfiguration erkennen: Sie verfügt über ein eher offenes System von sogenannten Klassifikatoren (Kriterium 1), die für eine Subklassifikation der Nomina sorgen. Die Anzahl der Klassifikatoren ist verhältnismäßig hoch (Kriterium 2) - nach Dixon (1986: 106) liegt sie üblicherweise über 100. Die Klassengröße, d.h. die Zahl der jeweils klassifizierten Substantive, ist - im Vergleich zu anderen nominalen Klassifikationssystemen - dementsprechend relativ gering bzw. überschaubar (Kriterium 2). Klassifikatoren sind typischerweise selbstständige Elemente, freie Formen, die häufig nominalen Ursprungs bzw. mit Nomina identisch sind (Kriterium 3). Die Markierung der Klassenzugehörigkeit eines Nomens durch den Klassifikator erfolgt typischerweise nur einmal innerhalb der Nominalphrase und nicht am Nomen selbst (Kriterium 3). Viele Nomina können - je nachdem unter welchem Blickwinkel der Referent betrachtet wird bzw. welche Eigenschaften des Referenten hervorgehoben werden - mit unterschiedlichen Klassifikatoren auftreten; Klassenwechsel ist also möglich (Kriterium 4). Nicht alle Nomina sind von der Klassifikation erfasst, d.h. es existiert eine (begrenzte) Anzahl von Substantiven, die nicht mit einem Klassifikator zusammen auftreten kann (Kriterium 5). Ferner kommt die Klassifizierung nicht in allen, sondern nur in bestimmten syntaktischen Kontexten zum Tragen (Kriterium 5). Die Semantizität der einzelnen Klassen ist zumeist noch gut erkennbar: die Substantive einer Klasse weisen in der Regel ein gemeinsames semantisches Merkmal auf, wenn auch einige Nomina in ihrer Bedeutung abweichen (Kriterium 6). Als Beispiel für ein solches (weitgehend prototypisches) Klassifikatorsystem können die Numeralklassifikatoren des Vietnamesischen angeführt werden: 13 Im Vietnamesischen werden die Substantive, welche - so Wurzel 12 Übergeordnet sind die Merkmale auch insofern, als sie sich nicht auf eine, sondern - zumindest zum Teil - auf mehrere Eigenschaften eines bestimmten Systems beziehen; so ist beispielsweise unter 5. anzugeben, ob (a) alle Nomina oder nur bestimmte (Gruppen von) Nomina von der Klassifikation erfasst sind und ob (b) die Markierung der Klassenzugehörigkeit in allen oder nur in bestimmten Kontexten zum Tragen kommt. 13 Numeralklassifikatoren gelten generell als prototypische Klassifikatoren: „numeral classifier languages are considered to be the paradigmatic type of classifier languages“ (Senft 2000: 21). Da auf andere, weniger prototypische Klassifikatorsysteme hier nicht eingegangen TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 23 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr 24 Was ist Genus? (1986: 79) - als „allgemeine Klassenbegriffe“ aufzufassen sind, „die man mit deutschen Mitteln am ehesten durch Kollektivbildungen nachvollziehen kann“ (etwa Gestühl vs. Stuhl), durch unterschiedliche Klassifikatoren mit ‚Wortcharakter‘ subklassifiziert; die Klassifikation wirkt sich also nicht auf die Form der Substantive aus. Das Auftreten der Klassifikatoren ist auf bestimmte Kontexte beschränkt: Sie treten zumeist in quantifizierenden Konstruktionen, d.h. zusammen mit Numeralia auf (daher: Numeralbzw. Zahlklassifikatoren). Vgl. (Wurzel 1986 und insb. Löbel 2000): (1) (a) một con cá ein KLF: ‚Tier‘ Fisch ‚ein Fisch‘ (b) sáu con mèo sechs KLF: ‚Tier‘ Katze ‚sechs Katzen‘ (c) một cái bàn ein KLF: ‚Gegenstand‘ Tisch ‚ein Tisch‘ (d) ba cái ghê ´ drei KLF: ‚Gegenstand‘ Stuhl ‚drei Stühle‘ (e) hai người mẹ zwei KLF: ‚Mensch/ Person‘ Mutter ‚zwei Mütter‘ (f) hai người bạn zwei KLF: ‚Mensch/ Person‘ Freund ‚zwei Freunde‘ Die Hauptfunktion der Klassifikatoren ist in der Individualisierung zu sehen, d.h. sie werden benutzt, wenn ein Substantiv referentiell gebraucht wird, wenn es sich „auf konkrete einzelne Individuen beziehen [soll]“ (Wurzel 1986: 79). Allerdings sind nicht alle Substantive von der Klassifikation erfasst: Kollektiva und Abstrakta können z.B. nicht mit einem Klassifikator verbunden werden, was mit der genannten Individualisierungsfunktion der Klassifikatoren zusammenhängt, die mit der Semantik solcher Nomina unvereinbar scheint; werden kann, da aber zu berücksichtigen ist, dass „classifier languages and their respective classifier systems are just as diverse as gender systems in languages exhibiting gender“ (Löbel 2000: 262), sei für eine umfassende Darstellung verschiedener Typen von Klassifikatorsystemen auf die Arbeiten von Grinevald (1999, 2000) sowie auf die Monographie von Aikhenvald (2000: Kap. 3-7) verwiesen; eine überblicksartige Charakterisierung bietet z.B. Bisang (2002: 290ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 24 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Nominale Klassifikationssysteme 25 von der Klassifikation ausgenommen sind außerdem sogenannte direkt zählbare Substantive (vgl. ebd.: 80). Die Zahl der Klassifikatoren ist - verglichen mit der Anzahl der unterschiedlichen Genera bzw. Nominalklassen in indoeuropäischen und afrikanischen Sprachen - sehr hoch, es werden bis zu ca. 140 angegeben; da es sich um ein (eher) offenes System handelt und die Grenzen zwischen Nomen und Klasssifikator fließend sind (vgl. Löbel 2000: 271ff.), erweist sich die genaue Bestimmung der Klassifikatoren als schwierig, und entsprechend schwanken die Angaben über ihre Anzahl. Die durch einen Klassifikator jeweils erfassten Substantivgruppen weisen - wie in den oben angeführten Beispielen gut erkennbar - in der Regel gemeinsame semantische Eigenschaften auf, enthalten aber z.T. auch Substantive, die nicht unter den entsprechenden ‚semantischen Nenner‘ gebracht werden können. Ferner ist „die Zuordnung der Substantive zu den Klassen verhältnismäßig locker“ (Wurzel 1986: 81); d.h. die Substantive können mit verschiedenen Klassifikatoren verbunden werden. Aufgrund der Ausprägung der einzelnen Merkmale ist ein solches System am oberen, am (eher) lexikalischen Ende der Grammatikalisierungsskala anzusiedeln. 14 1.1.2. Nominalklassen- und Genussysteme Wesentlich stärker grammatikalisiert sind Nominalklassen- und Genussysteme. Bei diesen handelt es sich um (eher) geschlossene Systeme (Kriterium 1), die eine wesentlich geringere Klassenzahl aufweisen (Kriterium 2) - es werden zwei bis ca. 20 Klassen unterschieden; die Anzahl der jeweils klassifizierten Elemente ist entsprechend groß (Kriterium 2), und es lässt sich - wenn überhaupt - nur für bestimmte Klassen eine gemeinsame semantische Basis der Substantive erkennen, d.h.: die in einer Klasse vereinten Nomina weisen in der Regel kein gemeinsames semantisches Merkmal auf (Kriterium 6). Die Zuordnung der Substantive zu den einzelnen Klassen ist fest: Klassenwechsel ist nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Nomina möglich, typischerweise ist die Klassenzugehörigkeit als inhärentes Merkmal der Substantive anzusehen (Kriterium 4). Von der Klassifikation ist im Normalfall das gesamte nominale Lexikon erfasst (Kriterium 5). Die Klassenzugehörigkeit wird - anders als im Falle von Klassifikatoren - morphologisch markiert, und zwar durch Affixe, die oftmals zugleich 14 Gemäß der oben angegebenen Definition von Nominalklassifizierung im Allgemeinen ist natürlich jede der hier besprochenen Klassifizierungen als grammatisch bzw. grammatikalisiert anzusehen; es bestehen aber durchaus Unterschiede hinsichtlich des Grades der Grammatikalisierung. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 25 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr 26 Was ist Genus? andere grammatische Kategorien wie Numerus und/ oder Kasus spezifizieren (Kriterium 3). Diese klassenindizierenden Affixe treten in der Regel an unterschiedlichen Elementen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Nominalphrase und gegebenenfalls (jedoch nicht zwingend) am Nomen selbst auf. Die Klassenzugehörigkeit eines Nomens wird also an verschiedenen Wörtern markiert, die mit dem jeweiligen Nomen verbunden sind (Kongruenz) (Kriterium 3). Die Markierung der Klassenzugehörigkeit ist prinzipiell nicht auf spezifische Konstruktionen beschränkt, sie mag aber dennoch in bestimmten syntaktischen Kontexten fehlen (Kriterium 5). Als prototypische Genusresp. (Nominal-)Klassensprachen indoeuropäischer bzw. afrikanischer Provenienz können z.B. das Lateinische und das Swahili, eine zum Sprachzweig des Benue-Kongo und somit zur Sprachfamilie des Niger-Kongo gehörende Bantu-Sprache, angeführt werden. 15 (In Anbetracht der folgenden Kapitel kann auf eine exemplarische Darstellung der Systeme an dieser Stelle verzichtet werden.) 1.1.3. Deklinationsklassen Deklinationsklassen stellen eine im Vergleich zu Nominalklassen- und Genussystemen noch stärker grammatikalisierte Form nominaler Klassifikation dar; sie sind folglich am unteren, d.h. am grammatischen Ende der Grammatikalisierungsskala zu verorten. Anhand der angegebenen Kriterien sind Deklinationsklassen wie folgt zu charakterisieren: Sie bilden ein geschlossenes Paradigma (Kriterium 1), das nur wenige Klassen umfasst (Kriterium 2). Die Klassenzugehörigkeit der Nomina ist über die verschiedenen Flexionsformen am Nomen - und nur dort - ablesbar; es handelt sich also um „strikt morphologische Klassen, die damit per definitionem nicht über das Wort hinaus wirken“ (Wurzel 1986: 76) (Kriterium 3). 16 Klassenwechsel ist nicht möglich, die Substantive sind den Klassen fest zugeordnet (Kriterium 4). Die Klassifizierung ist obligatorisch, insofern sie alle Nomina erfasst (Kriterium 5). Die Klassenmarkierung kommt prinzipiell in allen syntaktischen Kontexten zum Tragen, wobei jedoch Syn- 15 Zu den Bantu-Sprachen bemerkt Hurskainen (2000: 672f.): „Typical of this language group is the noun class system, which, with a few exceptions, is found in all Bantu languages“; Welmers (1973: 159) stellt fest: „It is the Bantu languages which are the most commonly associated with noun class systems“. In der Tat scheint die Behandlung der Bantu-Sprachen (insbesondere ihres ‚größten‘ Vertreters Swahili) im Rahmen der Beschäftigung mit Nominalklassensystemen nahezu unumgänglich zu sein. 16 Vor allem aufgrund dieses Merkmals werden Deklinationsklassen im Rahmen der Darstellung nominaler Klassifikationssysteme häufig nicht berücksichtigt; wie bereits erwähnt, ist etwa Serziskos engere Definition von Nominalklassifikation daran gebunden, dass die Klassenzugehörigkeit (auch) außerhalb des Nomens markiert wird (s.o.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 26 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Nominale Klassifikationssysteme 27 kretismus möglich ist (Kriterium 5). Die Klasseneinteilung ist semantisch nicht transparent; in der Regel lassen nicht einmal bestimmte Gruppen von Substantiven innerhalb der einzelnen Klassen gemeinsame semantische Merkmale erkennen, so dass auch von einer semantischen ‚Basis‘ der Klassifikation nicht gesprochen werden kann (Kriterium 6). Als Beispiel für eine Sprache mit Deklinationsklassen kann wiederum das Lateinische angeführt werden, das somit über zwei nominale Klassifikationssysteme gleichzeitig verfügt (Genus- und Deklinationsklassen). Das Deklinationssystem des Lateinischen besteht - gemäß traditioneller Auffassung - bekanntlich aus 5 Klassen. Die Klassifizierung erfasst sämtliche Substantive und die Substantive sind den Klassen fest zugeordnet, Klassenwechsel ist also in der Regel nicht möglich. Die lateinischen Deklinationsklassen sind reine Formklassen, die sich aufgrund unterschiedlicher Flexionsmuster der Substantive ergeben. Entsprechend ist die Klassenzugehörigkeit ausschließlich am Nomen selbst markiert, und zwar durch bestimmte Suffixe, die zugleich andere grammatische Kategorien (Numerus/ Kasus) ausdrücken. Die Markierung kommt in allen Kontexten zum Tragen, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass es formale Übereinstimmungen geben kann; so gehören beispielsweise Nomina auf -us der o-Deklination (z.B. dominus), der konsonantischen Deklination (z.B. tempus) oder der u-Deklination (z.B. fructus) an. 17 Eine semantische Basis der Klassifikation lässt sich nicht erkennen, d.h., dass die in einer Deklinationsklasse vereinten Substantive keine gemeinsamen semantischen Merkmale aufweisen. Zum Verhältnis der beiden nominalen Klassifikationssysteme des Lateinischen ist festzustellen, dass einige Deklinationsklassen zwar mehrheitlich aus Substantiven einer bestimmten Genusklasse bestehen (so weist beispielsweise die a-Deklination überwiegend Feminina auf), dass dies aber keineswegs für alle Klassen gilt und dass eine Übereinstimmung von Deklinations- und Genusklassen natürlich schon aufgrund der unterschiedlichen Anzahl der Teilklassen (5 Deklinationsresp. 3 Genusklassen) nicht gegeben ist (vgl. hierzu auch Comrie 1999: 458 und Polinsky/ Van Everbroeck 2003: 360ff.). 1.1.4. Graduelle vs. absolute Differenzen, typologische Korrelationen und ‚interne‘ Abgrenzungsprobleme Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass eine Abgrenzung der verschiedenen (Proto-)Typen nominaler Klassifikation anhand der zugrunde gelegten Kriterien möglich ist, dass aber die Mehrzahl der genannten Krite- 17 Ambiguitäten bestehen gegebenenfalls nicht nur im Hinblick auf die Klassenzugehörigkeit, sondern auch bezüglich Kasusund/ oder Numerusmarkierung (so erscheint z.B. -us nicht nur im Nominativ Singular, sondern - etwa im Falle von tempus - auch im Akkusativ etc.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 27 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr 28 Was ist Genus? rien nicht zu einer absoluten Differenzierung der verschiedenen Systemtypen führt. Vielmehr zeigen sich überwiegend graduelle Differenzen; so in Bezug auf Geschlossenheit des Systems, Klassenzahl und -größe, Möglichkeit des Klassenwechsels der Substantive, Obligatorik der Klassenzuordnung und -markierung und semantische Durchsichtigkeit der Klassifikation. Allein das oben unter 3 genannte Kriterium - Art der Klassenmarkierung - ist in den verschiedenen Systemen gänzlich anders ausgeprägt und erweist sich so als absolutes Differenzierungsmerkmal. Wie wir gesehen haben, treten in Klassifikatorsprachen üblicherweise klassifizierende Elemente mit ‚Wortcharakter‘ auf, in Genus- und Nominalklassensprachen wird die Klassenzugehörigkeit der Nomina hingegen an kongruierenden Elementen (und gegebenenfalls zusätzlich am Nomen) markiert, und im Falle von Deklinationsklassen erfolgt die Markierung ausschließlich am Substantiv selbst. Dies ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst mag es in Anbetracht dieser Unterschiede nicht erstaunen, dass es bestimmte Korrelationen zwischen den verschiedenen Klassifikationssystemen und den auf morphologischer Grundlage differenzierten Sprachtypen gibt, die sich wie folgt darstellen: In isolierenden Sprachen sind Klassifikatorsysteme vorherrschend (z.B. Vietnamesisch, Thai, Chinesisch), während in agglutinierenden und flektierenden Sprachen - wie z.B. vielen afrikanischen und indoeuropäischen - Genus-/ Nominalklassen und gegebenenfalls Deklinationsklassen auftreten: Languages that tend towards isolating (such as most of those in east and south-east Asia) most typically employ noun classifiers, whereas languages that are strongly agglutinative (as in Africa) or inflectional (most Indo-European tongues) prefer systems of noun classes. (Dixon 1986: 109; vgl. auch García Miguel 2000: 97) Angesichts der unterschiedlichen Arten der Klassenmarkierung sind diese Zusammenhänge wenig erstaunlich. Es erscheint selbstverständlich, dass nominale Klassifikation - sofern sie überhaupt vorhanden ist - in Sprachen ‚ohne Morphologie‘, d.h. in isolierenden Sprachen, lexikalisch - über freie Formen - erfolgt, während sie in agglutinierenden und flektierenden Sprachen syntaktisch-morphologisch - über Formveränderung kongruierender Elemente - oder rein morphologisch - über unterschiedliche Formklassen der Substantive - markiert wird. Darüber hinaus ist die je spezifische Ausprägung des Kriteriums der Klassenmarkierung, die - wie gesagt - in nicht unerheblichem Maße zur Klarheit der Unterscheidung von Klassifikatorsystemen, Genus-/ Nominalklassensystemen und Deklinationsklassen beiträgt, ein wichtiger Grund für die Schwierigkeit einer anderen, ‚internen‘ Differenzierung, nämlich derjenigen zwischen Nominalklassen und Genus. Mit anderen Worten: Über die Kon- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 28 16.12.2008 13: 08: 27 Uhr Nominale Klassifikationssysteme 29 gruenz sind Nominalklassen und Genussysteme zwar eindeutig von (prototypischen) Klassifikatorsystemen einerseits und Deklinationsklassen andererseits abgrenzbar, gleichzeitig spricht dieses gemeinsame Merkmal aber gegen eine (strikte) Trennung von Klassensprachen und Genussprachen. Die traditionelle Unterscheidung von Nominalklassen, die vor allem als Charakteristikum vieler afrikanischer, insbesondere der Niger-Kongo Sprachen gelten, und der Kategorie Genus in indoeuropäischen Sprachen entbehrt zumindest einer eindeutigen formalen Grundlage. Erkennt man die Kongruenz als Hauptkriterium des Genus an, so deckt dieser Terminus auch die traditionell als Nominalklassen bezeichneten Systeme ab; ‚Genus‘ und ‚Nominalklasse‘ können synonym gebraucht werden. Dennoch wird auch in neueren Arbeiten auf diese traditionelle Unterscheidung zwischen Nominalklassen und Genussystemen zum Teil weiter rekurriert, und zwar selbst wenn man - wie Seiler (1986: 111) - explizit anerkennt, dass „no major morpho-syntactic difference can be found“. Insgesamt ist festzustellen, dass bis heute keine Einigkeit darüber besteht, ob hier von verschiedenen Systemtypen ausgegangen werden sollte. Entsprechend trifft man - wie eingangs bereits angedeutet - besonders in diesem Bereich und auch in aktuellen Publikationen auf nicht unerhebliche begriffliche und terminologische Unterschiede; so wird in einigen Arbeiten strikt zwischen Genus und Nominalklassen unterschieden (vgl. u.a. Unterbeck 2000, Hellinger/ Bußmann 2001-2003), während andere, die - wie Seiler - einräumen, dass eine eindeutige Abgrenzung nicht möglich scheint, sehr wohl latent an einer Differenzierung festhalten. Zumeist wird einer der beiden Termini sowohl als Oberbegriff als auch im engeren Sinne (im Unterschied zum jeweils anderen) verwendet; Seiler (1986: insb. 110ff.) gebraucht „GENDER as a cover term“ einerseits und „NOUN CLASS vs. GENDER in the narrower sense“ andererseits; ähnlich verfährt auch García Miguel (2000). Bei Hellinger/ Bußmann (2001-2003) dient „noun class language“ als übergeordneter Terminus, der Genussprachen („gender languages“) und Nominalklassensprachen im engeren Sinne („noun class languages“) umfasst; ebenso verfährt Aikhenvald (2000). Als Argument für eine Trennung von Nominalklassen- und Genussystemen werden graduelle formale und semantische Unterschiede geltend gemacht: Las clases nominales y el género […] forman un continuum en el que intervienen como criterios potencialmente diferenciadores: el número de clases, el grado de fusión de los morfemas de clase, el grado de motivación semántica de las clases, la movilidad derivativa de los nombres respecto de las clases, etc. … (García-Miguel 2000: 99) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 29 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 30 Was ist Genus? Hierbei wird in vielen Arbeiten, vor allem in solchen, die eindeutig zwischen Genus und Nominalklassen zu unterscheiden suchen, einem bestimmten semantischen Kriterium besonderer Wert beigemessen, und zwar der Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts im Falle von Personenbezeichnungen bzw. Nomina, die das Merkmal [+ belebt] aufweisen. Dies wird beispielsweise in der folgenden von Hellinger/ Bußmann (2001-2003: 5) unter der Überschrift „gender languages“ vorgenommenen Bestimmung offenbar: […] These languages [i.e. ‚gender languages‘] have only a very small number of ‚gender classes‘, typically two or three. Nouns do not necessarily carry markers of class membership, but, of course, there is obligatory agreement with other word classes […]. Most importantly - for our distinction - class membership is anything but arbitrary in the field of animate/ personal reference. For a large number of personal nouns there is a correspondence between the ‚feminine‘ and the ‚masculine‘ gender class and the lexical specification of a noun as female-specific or male-specific. Languages of this type will be called ‚gender languages‘ or ‚languages with grammatical gender‘. 18 Diese Abgrenzungsversuche erweisen sich aber insgesamt als problematisch. Zunächst ist zu konstatieren, dass vergleichbare Systeme - offenbar aufgrund der Zugehörigkeit der entsprechenden Sprachen zu verschiedenen Sprachfamilien - unterschiedlich beschrieben werden. Corbett (1991: 146) stellt fest: There is little point in trying to maintain a strict distinction between gender and noun class since similar systems are described as genders in one language family and as noun classes in another. Er verdeutlicht dies am Beispiel einer nordostkaukasischen und einer drawidischen Sprache, Karataisch und Tamil, deren nominale Klassifikationssysteme sich u.a. in Bezug auf Klassenzahl und semantische Durchsichtigkeit stark ähneln; beide unterscheiden 3 Klassen und beide Systeme sind semantisch transparent, wobei - ebenfalls in beiden - ein deutlicher Zusammenhang zwischen männlichen resp. weiblichen Personenbezeichnungen und den verschiedenen Klassen besteht (vgl. ebd.: 8ff. und 24). Nichtsdestotrotz werden diese Sprachen je anders zugeordnet: Tamil is said to have three genders, since it is a Dravidian language, while Karata is described as having three noun classes, because it is a North-East Caucasian language. The difference is one of grammatical tradition rather than of linguistic data. (Ebd.: 146) 18 Vgl. auch Heines Unterscheidung von „‚sex-based‘ vs. ‚nature-based‘ gender systems“ (Heine 1982: 190ff.) sowie die oben erwähnten Arbeiten von Unterbeck (2000) und Hurskainen (2000) u.a. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 30 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr Genus und Kongruenz 31 Doch selbst wenn sich derlei Unstimmigkeiten durch strikte Anwendung bestimmter Differenzierungskriterien und entsprechende Umkategorisierungen vermeiden bzw. korrigieren ließen, so bleiben die folgenden Probleme bestehen: Zum einen gibt es Sprachen, die sich einer eindeutigen Zuordnung widersetzen und dies führt dann dazu, dass sie mehr oder weniger willkürlich als Genus- oder als Klassensprachen bezeichnet werden (vgl. García-Miguel 2000: 99); zum anderen weisen (vermeintlich) typische Nominalklassen- und Genussysteme mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede und nicht unbedingt die jeweils als charakteristisch angenommenen Merkmale auf, wie Creissels (1999) anhand des detaillierten Vergleichs zwischen indoeuropäischen ‚Genussystemen‘ und den ‚Klassensystemen‘ der Niger-Kongo Sprachfamilie, zu der - wie bereits erwähnt - auch die Bantu-Sprachen gehören, überzeugend dargelegt hat. In vielen zeitgenössischen Arbeiten wird aufgrund dieser Probleme auf eine Differenzierung zwischen Genussprachen und Klassensprachen bewusst verzichtet (vgl. u.a. Corbett 1991, Creissels 1999, Truscott 2000). Wir schließen uns dieser Haltung an und verwenden - ausgehend vom Kriterium der Kongruenz - ‚Genus‘ und ‚Nominalklasse‘ synonym. Hierbei sollen aber keineswegs die Unterschiede, die zwischen verschiedenen Genussystemen bestehen, verwischt werden. Vielmehr wird in den folgenden Abschnitten immer wieder explizit darauf hingewiesen, wie heterogen die unter dem gemeinsamen Nenner der Kongruenz vereinten Systeme tatsächlich sind. 1.2. Genus und Kongruenz Wie bereits festgestellt, wird Genus im Wesentlichen unter Rückgriff auf das Kriterium der Kongruenz bestimmt. Eine bestimmte Einzelsprache, deren Substantive in verschiedene, disjunkte Klassen eingeteilt werden, gilt nur dann als Genussprache, wenn die Klassenzugehörigkeit der Substantive aufgrund von Kongruenzerscheinungen an verschiedenen Wörtern markiert wird, die mit den jeweiligen Substantiven verbunden sind: „Genders are classes of nouns reflected in the behavior of associated words“ (Hockett 1958: 231). 19 19 Hocketts überaus bündige Definition ist allgemein anerkannt und findet sich sowohl in verschiedenen Publikationen zum Genus (z.B. Ibrahim 1973: 63, Bergen 1978: 868f., Corbett 1991: 1, Bußmann 1995: 118 sowie 2005: 496, Polinsky/ Van Everbroeck 2003: 356, Roca 2005: 22) als auch in sprachwissenschaftlichen Lexika (vgl. u.a. Lewandowski 6 1994: 354). Natürlich gilt die Kongruenz auch unabhängig von Hocketts Formulierung und schon lange vor Hockett als entscheidendes Merkmal des Genus. Aus Royens historischem Abriss der verschiedenen Aussagen zum Genus geht deutlich hervor, dass sie bereits bei den griechischen und lateinischen Grammatikern berücksichtigt wurde (vgl. Royen 1929: Kap. 1 und 2, 1-270); neuere Arbeiten zum Genus, in denen nicht (auch) auf das Kriterium der Kongruenz rekurriert wird, gibt es unseres Wissens nicht. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 31 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 32 Was ist Genus? Für Genus sind demnach insgesamt zwei Aspekte konstitutiv: Klassifikation einerseits und Kongruenz andererseits. Bei Greenberg (1978: 50) heißt es: A noun gender system may be regarded […] as involving the intersection of two basic factors, classification and agreement, the two being in relation of mutual determination, the gender being defined by the agreements and the agreements being determined by the genders. Agreement bzw. Kongruenz (von lat. congruentia ‚Übereinstimmung‘) bezieht sich in diesem Fall auf die Übereinstimmung der „associated words“ mit dem entsprechenden Nomen hinsichtlich der grammatischen Kategorie Genus; sie sorgt dafür, dass ein Element als die (Genus-)Klassenzugehörigkeit des (Bezugs-)Nomens ‚widerspiegelndes‘ Element aufgefasst werden kann (s.o.: „[…] classes of nouns reflected in the behavior of associated words“). Generell gilt, dass es sich bei Kongruenz um „eine bestimmte Art von Übereinstimmung zweier sprachlicher Zeichen in einer grammatischen Kategorie handelt“ (Lehmann 1993: 722). Zu beachten ist zugleich, dass nur dann von einem Kongruenzphänomen auszugehen ist, wenn diese Übereinstimmung syntaktisch notwendig ist: Zwischen den beiden Elementen muss eine syntagmatische Relation bestehen. Für den Fall, dass beide Elemente nicht Konstituenten derselben Nominalphrase sind (s.u.), ist diese Relation entweder eine anaphorische (im Falle von (kongruierendem) Pronomen und Bezugsnomen bzw. Nominalphrase) oder eine syntaktische (etwa im Falle von (kongruierendem) Verb und Bezugsnomen bzw. Nominalphrase), die notwendigerweise durch Dependenz gekennzeichnet ist. Beispiele zufälliger Identität hinsichtlich einer grammatischen Kategorie (oder mehrerer) - etwa bei koordinierten Nominalphrasen oder in Kopulasätzen mit nominalem Prädikat - sind demnach auszuschließen; 20 vgl.: (2) Sp. mi hermano (M.S) y su compañero (M.S) (3) Lat. homo (M) homini lupus (M) [est] (4) Dt. der Mensch (M) ist ein Wolf (M) Im spanischen Beispiel ist die Übereinstimmung zwischen hermano und compañero in Genus und Numerus nicht syntaktisch notwendig, sondern rein zufällig; im lateinischen und deutschen Beispiel gilt dies für die Identität des Genus von homo und lupus resp. Mensch und Wolf. Vgl.: 20 Diese Darstellung ist zugegebenermaßen stark kontrahiert; da eine Detaildiskussion aber unangebracht erscheint, sei für eine genauere Erörterung hier lediglich auf die Arbeiten von Lehmann (insb. 1982, auch 1988 und 1993) und auf die Monographie von Corbett (2006) verwiesen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 32 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr Genus und Kongruenz 33 (2’) Sp. mi hermano (M.S) y sus compañeras (F-PL) (3’) Lat. homo (M) homini clementia (F) [est] (4’) Dt. der Mensch (M) ist ein Tier (N) Aus dem Gesagten folgt, dass es sich bei der Kongruenzbeziehung um eine asymmetrische handelt. Die beiden Elemente stimmen nicht einfach in einer grammatischen Kategorie überein, vielmehr ist ein Element hinsichtlich dieser Kategorie spezifiziert, und diese Spezifikation wird auf das andere übertragen und formal an diesem ausgedrückt. Im Falle des Genus ist dies besonders offensichtlich, da die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Genusklasse ja als inhärentes Merkmal des Nomens anzusehen ist, das dort oftmals gar nicht markiert wird. 21 Bekanntermaßen ist Kongruenz aber keineswegs ein Phänomen, das ausschließlich die Genuskategorie betrifft; vielmehr kongruieren auch andere grammatische Kategorien, besonders häufig Numerus, Person und Kasus. Mit den Unterschieden, die zwischen dem Genus und den anderen, ebenfalls durch Kongruenz charakterisierten grammatischen Kategorien bestehen, und mit möglichen ‚Überschneidungen‘ hinsichtlich der Markierung dieser Kategorien werden wir uns in Abschnitt 1.3. genauer beschäftigen. Für den Augenblick genügt es festzustellen, dass die erwähnte Asymmetrie ein ‚Wesensmerkmal‘ der Kongruenz im Allgemeinen ist und dass wir folglich zwei Klassen von Elementen zu unterscheiden haben: den Kontrolleur der Kongruenz (im Folgenden auch controller) und den Kongruenten (im Folgenden auch target). 22 Die grammatische Kategorie, die sich in der Kongruenz manifestiert, ist, unabhängig davon, um welche es sich im Einzelnen handelt, „eine grammatische Kategorie des Kontrolleurs, die am Kongruenten ausgedrückt wird“ (Lehmann 1993: 723). 23 21 Corbett (2006: 126) bezeichnet das Genus daher auch als „canonical agreement feature“. 22 Kontrolleur und Kongruent verwendet Lehmann (1993) (s.u.); die äquivalenten englischen Termini (agreement) controller und (agreement) target finden sich z.B. in Ferguson/ Barlow (1988) und Corbett (1991, 2006). Im Sinne von Kongruent bzw. target gebraucht Hockett „associated word(s)“. Auf Argumente, die gegen die Direktionalität der Kongruenz sprechen, kann und soll hier nicht eingegangen werden; vgl. hierzu aber Ferguson/ Barlow (1988: 12f.). Für eine eingehende Diskussion der Relation von controller und target und deren Modellierung in unterschiedlichen syntaktischen Theorien vgl. auch Corbett (2006: 114ff.). 23 In eben diesem Punkt unterscheidet sich die Kongruenz von der Rektion: Anders als bei der Kongruenz liegt im Falle der Rektion keine kategoriale Übereinstimmung zwischen kontrollierendem Element (Regens) und abhängigem Element (Rektum) vor; vielmehr gilt, dass das Regens eine bestimmte kategoriale Ausprägung des Rektums festlegt, ohne selbst die entsprechende Kategorie zu spezifizieren. (Für weitere typische Differenzierungsmerkmale vgl. Corbett 2006: 7f.). Dass Rektion und (externe) Kongruenz zusammenwirken, wird im folgenden Abschnitt noch einmal erläutert. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 33 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 34 Was ist Genus? Speziell für den Fall der Genuskongruenz kann (zumindest vorläufig) angenommen werden, dass der Kontrolleur durch ein Nomen repräsentiert wird; als äußerst heterogen erweist sich aber die Menge derjenigen Elemente, die als Kongruenten in Frage kommen. Anzahl und Art dieser Elemente sind nicht allgemein, sondern für jede Einzelsprache gesondert zu bestimmen, und ebenso verhält es sich im Hinblick auf die Morphologie der Kongruenz, d.h., auch in Bezug auf den formalen Ausdruck der Genusklassen sind interlinguale Unterschiede zu konstatieren. Wir werden uns im Folgenden zunächst mit den Elementen beschäftigen, die potentiell als Träger der (Genus-)Kongruenz in Frage kommen, und im Anschluss auf den formalen Aspekt der Klassenmarkierung an den kongruierenden Elementen eingehen. 24 1.2.1. Kongruierende Elemente (agreement targets) Wenn man diejenigen Elemente, die als targets der Kongruenz fungieren, nicht einfach in mehr oder weniger unsystematischer Form aufzählen möchte, so bieten sich prinzipiell zwei Möglichkeiten, sie zu ordnen: Zum einen können sie in Wortklassen, zum anderen in Konstituenten mit bestimmten syntaktischen Funktionen gruppiert werden. Eine Einteilung nach dem zweiten Kriterium zeigt, dass „zwei hauptsächliche Arten der Kongruenz“ (Lehmann 1993: 725) - und dies bezieht sich natürlich nicht allein auf die Genuskongruenz - zu unterscheiden sind, die mit Lehmann als interne und externe Kongruenz bezeichnet werden können. Targets der internen Kongruenz sind Konstituenten innerhalb der Nominalphrase, die den Kontrolleur der Kongruenz (dar-)stellt, d.h. das Bezugsnomen enthält; targets der externen Kongruenz sind entsprechend Elemente, die keine Subkonstituenten dieser Nominalphrase bilden. 24 Es soll hier nicht gänzlich verschwiegen werden, dass die Bestimmung der agreement targets, ungeachtet der interlingualen Variation, generell weniger Probleme aufwirft als die Bestimmung des Kontrolleurs der Kongruenz: „Determining the targets of agreement poses fewer problems than determining the source of agreement relations, since targets, by definition, carry the agreement markers“ (Ferguson/ Barlow 1988: 9). Dies gilt auch für die Genuskongruenz: Die traditionelle Auffassung vom Bezugsnomen als dem Kontrolleur der Kongruenz ist, wie Lehmann (1988, 1993 und insb. 1982: 221ff.) zeigt, durchaus auch im Falle des Genus mit einigen Schwierigkeiten verbunden, die ihn letztlich dazu veranlassen, die Nominalphrase als Quelle jeglicher Kongruenz anzusehen: „All agreement […] refers to an NP. Loosely speaking, one may say that the source of agreement is always an NP“ (Lehmann 1982: 227). Auch wenn auf diesen Punkt hier nicht eigens eingegangen wird, so werden wir doch an unterschiedlichen Stellen der Arbeit auf einige der Probleme stoßen, die die traditionelle, aber auch die revidierte Auffassung mit sich bringen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 34 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr Genus und Kongruenz 35 Die Genuskongruenz kommt - ebenso wie die Numeruskongruenz - in beiden Bereichen zum Tragen. 25 Innerhalb der kontrollierenden Nominalphrase sind nach Lehmann folgende (Genus-)Kongruenten zu finden: 26 Determinantien (z.B. Artikel, Demonstrativa, Possessiva), Attribute (Adjektive, Numeralia), possessive Attribute (Genitivattribute) und Relativsätze. Für den Bereich der externen Kongruenz unterscheidet Lehmann die Kongruenz des Possessums mit dem Possessor, Kongruenz der Adposition, Kongruenz des Verbs, das mit Subjekt, direktem Objekt, indirektem Objekt und - in seltenen Fällen - mit anderen Argumenten übereinstimmen kann, und schließlich die Kongruenz des Personalpronomens. Targets der internen Kongruenz stehen in einer Modifikationsrelation zum Kontrolleur, während die Relation zwischen target und controller bei der externen Kongruenz durch Rektion charakterisiert ist (Kongruenz des Regens mit dem Rektum) bzw. - im Falle der Personalpronomina - als anaphorische Relation erscheint: In the first set of constructions [i.e. constructions in which internal agreement may be found] modifiers appear to agree with their heads, while in the second kind [i.e. external agreement] governing terms agree with their dependent NPs. (Lehmann 1988: 57f.) Um der Heterogenität der verschiedenen Genussysteme in diesem Punkt Rechnung zu tragen, werden in der folgenden exemplarischen Darstellung auch Kongruenten berücksichtigt, die für die im zweiten Hauptteil im Detail zu untersuchenden Sprachen nicht charakteristisch sind; sofern ein bestimmtes Element aber (auch) im Französischen, Spanischen oder Deutschen als target der Genuskongruenz in Erscheinung tritt, werden Beispiele aus diesen Sprachen bevorzugt herangezogen. 27 25 Kasus- und Personenkongruenz sind im Gegensatz dazu komplementär über diese Bereiche verteilt, und dies hat Lehmann überhaupt erst zur Unterscheidung von interner Kongruenz (auch: case-domain agreement) und externer Kongruenz (auch: person-domain agreement) geführt. 26 In der nachstehenden Auflistung der unterschiedlichen kongruierenden Elemente folgen wir weitgehend Lehmann (1982, 1988 und 1993); zusätzlich wird auf Corbett (1991: 106ff., 2006: 40ff.) zurückgegriffen. García-Miguel (2000: 100ff.) hat unter Zugrundelegung der Beispiele in Corbett (1991) und in Auseinandersetzung mit Lehmann (1982) eine etwas andere Systematik entwickelt, auf die wir hier lediglich hinweisen können. 27 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Corbett (2006: 49ff.) über die bei Lehmann genannten targets hinaus Beispiele für die Kongruenz von subordinierenden sowie koordinierenden Konjunktionen und Partikeln gibt; zumindest bei einigen der angeführten Beispiele ist aber strittig, ob es sich tatsächlich um Kongruenz handelt. Ferner wird - u.a. mit Verweis auf die romanischen Sprachen - immer wieder auf die (Genus-)Kongruenz von Adverbien hingewiesen (vgl. etwa Corbett 2006: 45). Unseres Erachtens handelt es sich in den angegebenen Fällen aber nicht wirklich um kongruierende Adverbien, sondern um TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 35 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 36 Was ist Genus? 1.2.1.1. Targets der internen Kongruenz Viele der oben genannten targets der internen Kongruenz sind in ganz unterschiedlichen Sprachen als solche geläufig und kommen auch im Französischen, Spanischen und Deutschen vor. So fungieren in allen drei Sprachen diverse Determinantien als Genuskongruenten. Vgl.: (5) Fr. le journal (M) - la revue (F) (6) Sp. un periódico (M) - una revista (F) (7) Dt. dieser Bericht (M) - diese Zeitung (F) - dieses Nachrichtenmagazin (N) In (5), (6) und (7) ist die Genusklassenzugehörigkeit der Nomina am bestimmten Artikel (5), am unbestimmten Artikel (6) und am Demonstrativum (7) ablesbar. Als weitere targets kommen die (sogenannten) Possessiv- und Indefinitpronomina in Frage; auch diese sind in den genannten Sprachen prinzipiell zu finden, wie etwa die folgenden Beispiele belegen: (8) Fr. mon frère (M) - ma sœur (F) (9) Sp. nuestro hermano (M) - nuestra hermana (F) (10) Fr. dans certains pays (M) - dans certaines régions (F) (11) Sp. algún día (M) - alguna noche (F) In (8) und (9) liegt Kongruenz des Possessivpronomens der 1. Person Singular (8) bzw. Plural (9) mit dem Bezugsnomen vor, in (10) und (11) kongruieren die Indefinitpronomen certain und alguno. Die Kongruenz unterschiedlicher Attribute ist - aus (indo-)europäischer Sicht - ebenso wenig exotisch; insbesondere Adjektive scheinen generell zu den prototypischen Kongruenten zu gehören. 28 In (12)-(14) ist die Variation der (attributiven) Adjektive groß, peligroso und vert durch die Genusklassenzugehörigkeit der Nomina bedingt: (12) Dt. (ein) großer Hund (M) - (eine) große Katze (F) - (ein) großes Kind (N) (13) Sp. (un) perro (M) peligroso - (una) araña (F) peligrosa (14) Fr. (un) pull (M) vert - (une) blouse (F) verte adverbial gebrauchte Adjektive (und die Verwendung von (kongruierenden) Adjektiven in adverbialer Funktion ist - wie z.B. Detges (1998) feststellt - in der Tat sprachübergreifend eine geläufige Erscheinung). Wir gehen auf diese möglichen target-Elemente hier nicht weiter ein. 28 Zumindest stellt die Kongruenz des attributiven Adjektivs eines der Standardbeispiele für Kongruenz überhaupt dar: „In traditional textbook-style descriptions of agreement the typical examples provided are adjective agreement with head noun in gender, number and case, and verb agreement with subject in person and number […]“ (Ferguson/ Barlow 1988: 3). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 36 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr Genus und Kongruenz 37 Da die Beziehung zwischen nominalem Prädikat und Subjekt derjenigen zwischen modifizierendem Element und Bezugsnomen gleicht, wird auch die Kongruenz des prädikativen Adjektivs dem Bereich der internern Kongruenz zugerechnet, obwohl sie, eben da es sich um Kongruenz des Prädikats handelt, per definitionem nicht hierher gehört (vgl. Lehmann 1982: 226, García-Miguel 2000: 102). Diese Form der Kongruenz ist ebenfalls geläufig. Wie die folgende Abwandlung der Beispiele (12)-(14) zeigt, ist sie (auch) im Französischen und Spanischen, nicht aber im Deutschen zu finden; vgl.: (12’) Dt. der Hund/ die Katze/ das Kind ist groß (13’) Sp. el perro es/ está peligroso (M) - la araña es/ está peligrosa (F) (14’) Fr. le pull est vert (M) - la blouse est verte (F) Vergleichsweise weniger geläufig ist die Kongruenz von Numeralia. Im Spanischen, Französischen und Deutschen ist sie im Wesentlichen auf die mit den indefiniten Artikeln konvergierenden Formen für ‚eins‘ (dt.: ein - eine, fr.: un - une, sp.: un(-o) - una) und entsprechende Komposita begrenzt. 29 In anderen Sprachen können aber durchaus auch andere Kardinalzahlen als targets der Kongruenz fungieren; im Chichewa, einer in Malawi gesprochenen Bantu-Sprache, kongruieren beispielsweise Kardinalia von ‚eins‘ bis ‚fünf‘ (vgl. Corbett 2006: 43), im Swahili außerdem die ‚acht‘ (vgl. Polomé 1967: 104). Generell gilt, dass sich die Kongruenz von Kardinalzahlen vorwiegend auf lower numerals beschränkt (vgl. Corbett 2006: 42). Insgesamt selten ist - Lehmann zufolge - die Kongruenz von nominalen possessiven Attributen. Man findet sie z.B. im Tschamalal, einer nordostkaukasischen Sprache. In (15) (a)-(e) gehört das Bezugsnomen je einer der in dieser Sprache unterschiedenen fünf Genusklassen an; die Klasssenzugehörigkeit wird am Genitivattribut durch ein Suffix markiert; vgl. (Corbett 1991: 109, Lehmann 1982: 209): 29 Im Spanischen kongruieren außerdem die Bezeichnungen für ein Vielfaches von hundert inkl. Komposita, nicht aber ‚(ein)hundert‘ und Komposita (vgl. z.B.: cien, ciento sesenta, cien mil etc. capítulos/ páginas vs. doscientos/ as, quinientos/ as, mil trescientos/ as etc. capítulos/ páginas). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass sich Ordinalzahlen - im Unterschied zu Kardinalia - häufig wie Adjektive verhalten und entsprechend zu den frequenteren targets gehören. Im Spanischen und Deutschen kongruieren sie durchgehend, im Fanzösischen ist die Genusvariabilität hingegen auf die (ererbten) Formen premier und second begrenzt; die von den Kardinalia abgeleiteten Ordinalzahlen sind invariabel (vgl.: sp. primero/ a, segundo/ a, tercero/ a … vigésimo/ a etc. capítulo/ página; dt. erster/ erste/ erstes, zweiter/ zweite/ zweites, dritter/ dritte/ drittes … hundertster/ hundertste/ hundertstes etc. Teil/ Seite/ Kapitel; fr. premier/ première, aber deuxième, troisième, quatrième … vingt-et-unième etc. chapitre/ page). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 37 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 38 Was ist Genus? (15) (a) hek’wa-s ¯ u-ø wac Mann-GEN-KL1 Bruder ‚des Mannes Bruder‘ (b) hek’wa-s ¯ w-i jac Mann-GEN-KL2 Schwester ‚des Mannes Schwester‘ (c) hek’wa-s ¯ u-b č’atw Mann-GEN-KL3 Pferd ‚des Mannes Pferd‘ (d) hek’wa-s ¯ u-l ĩsa Mann-GEN-KL4 Käse ‚des Mannes Käse‘ (e) hek’wa-s ¯ w-i anna Mann-GEN-KL5 Ohr ‚des Mannes Ohr‘ 30 Ein etwas anderer Fall begegnet im Swahili und in anderen Niger-Kongo Sprachen (z.B. Tswana; vgl. Creissels 1999). Hier wird das Attribut durch ein ‚Assoziativmorphem‘ angeschlossen, das im Hinblick auf die Genusklasse mit dem Bezugsnomen kongruiert (Lehmann 1993: 725): (16) vy-atu vy-a mw-alimu KL8-Schuh [KL8-ASS KL1-Lehrer] ‚Schuhe des Lehrers‘ Da Klassenpräfix und Assoziativmorphem (zusammen) ein proklitisches Element bilden, werden sie - wie die Klammerung verdeutlicht - dem Possessor zugeschlagen, und aus diesem Grunde kann die gesamte Konstruktion ebenfalls als Beispiel für die Kongruenz des Possessors mit dem Possessum aufgefasst werden. Obwohl selten, ist diese Form der Kongruenz auch in den indoeuropäischen Sprachen nicht völlig abwesend. Wir finden sie z.B. im Serbischen/ Kroatischen; in (17) variiert der Eigenname Ivan (= Possessor) je nach Genus des Possessums (Creissels 1999: 181): (17) Ivanov kaput (M) - Ivanova kuc’a (F) ‚Ivans Mantel‘ ‚Ivans Haus‘ Als weitere targets der internen Kongruenz kommen - wie erwähnt - Relativsätze in Frage. Auch sie kongruieren insgesamt selten; unter den in Lehmann (1982: 208f.) in diesem Zusammenhang angegebenen Beispielen ist keines zu finden, bei dem (u.a.) das Genus des Bezugsnomens am Relativsatz markiert 30 Die formale Übereinstimmung der Kongruenzmarker für Klasse 2 und Klasse 5 in (15) beschränkt sich auf den Singular, im Plural liegen unterschiedliche Formen vor (vgl. Lehmann 1982: 209). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 38 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr Genus und Kongruenz 39 würde. Zu berücksichtigen ist aber, dass Relativpronomina, auf die Lehmann weder hier noch an anderer Stelle eingeht, durchaus zu den „common agreement targets“ (Corbett 2006: 42) zählen; vgl. z.B.: (18) Dt. der Schmuck, der (M) … - die Uhr, die (F) … - das Buch, das (N) … 1.2.1.2. Targets der externen Kongruenz Wie bereits festgestellt, befinden sich die Konstituenten, die als targets der externen Kongruenz fungieren, außerhalb der Nominalphrase, deren Nukleus das klassifizierte Nomen ist. Externe Kongruenz liegt z.B. dann vor, wenn, in Umkehrung der oben vorgestellten Form der Kongruenz innerhalb einer possessiven Konstruktion, das Possessum als target der Kongruenz erscheint. Im Abchasischen, einer nordwestkaukasischen Sprache, ist diese Art der Genuskongruenz nachzuweisen. Insgesamt sind im Abchasischen drei semantisch durchsichtige Genusklassen zu unterschieden, die - ihrer Semantik entsprechend - als male human (im Folgenden Klasse 1), female human (im Folgenden Klasse 2) und non-human (im Folgenden Klasse 3) bezeichnet werden (vgl. Hewitt 1979: 152; auch Corbett 1991: 113). Die Klassenzugehörigkeit der Nomina wird im Abchasischen generell durch gebundene Morpheme ausgedrückt, die zugleich andere grammatische Kategorien spezifizieren, nämlich Person und Numerus der NP. Diese von Hewitt (1979: 101) als „pronominal affixes“ bezeichneten Elemente treten an unterschiedlichen Kongruenten, nicht jedoch am Nomen selbst auf. In (19) ist ein solches Morphem als Präfix am Possessum realisiert (ebd.: 116; auch zitiert in Lehmann 1982: 211, Corbett 1991: 108): (19) à-č’k°´ Ə n y Ə -y°n Ə ` ART-Junge OBL.3.S.KL1-Haus ‚das Haus des Jungen‘ Gerade die Genuskongruenz des Possessums scheint aber - im Unterschied zu Numerus- und Personenkongruenz - eher selten zu sein (vgl. García-Miguel 2000: 102, Ostrowski 1982: 255). Dies gilt auch für die Kongruenz von Adpositionen, die wiederum durch Beispiele aus dem Abchasischen illustriert werden kann; vgl. (Hewitt 1979: 113f.; auch zitiert in Corbett 1991: 113): (20) (a) Àxra y ә -z Ə ` Àxra OBL.3.S.KL1-für ‚für Àxra‘ (b) a-žaħ°à à-la ART-Hammer OBL.3.S.KL3-mit ‚mit dem Hammer‘ TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 39 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 40 Was ist Genus? In (20) wird die Genusklassenzugehörigkeit der Kontrolleure (u.a.) durch jeweils unterschiedliche Präfixe an der Postposition markiert: In (20) (a) gehört das Bezugsnomen, vertreten durch den Eigennamen Àxra, wie in (19) der male human Klasse (= Klasse 1) an; auch hier dient das Präfix y ә als Kongruenzmarker. In (20) (b) erscheint ein anderes Präfix, da das Bezugsnomen in diesem Fall das semantische Merkmal [-menschlich] aufweist und somit zur non-human Klasse (= Klasse 3) gehört. 31 Wesentlich geläufiger als die Genuskongruenz des Possessums und der Adposition ist die Genuskongruenz des Verbs, auch wenn sie aus dem Blickwinkel unserer Sprachen eher außergewöhnlich erscheint. 32 Allein im Französischen und hier in erster Linie im Geschriebenen begegnet sie in Form des accord du participe passé nicht nur bei Passivsätzen, sondern auch beim passé composé; vgl.: (21) Le bâtiment a été détruit (M) - La ville a été détruite (F) (22) Il est rentré (M) tard hier soir - Elle est rentrée (F) tard hier soir (23) Et mes livres ? Je les ai déjà pris (M) tout à l’heure ? - Et mes clés ? Je les ai déjà prises (F) tout à l’heure ? In (21) und (22) kongruiert das participe passé im Genus (und im Numerus) mit dem Subjekt des Satzes; in (21) bildet es zusammen mit dem Hilfsverb être das Passiv, in (22) das passé composé. In (23) kongruiert das Partizip - obwohl mit avoir zum passé composé verbunden - nach den Regeln der normativen französischen Grammatik mit dem (vorangestellten) direkten Objekt. 33 Ob hier tatsächlich von verbaler Genuskongruenz ausgegangen werden kann, ist aber fraglich. Dagegen spricht vor allem, dass die Hilfsverben, die ‚eigentlichen‘ Träger der Person- und Numerusmerkmale der Subjekt- NP, keine Genusmarkierung tragen. Auch wenn die Partizipien in den genannten Beispielen einen Bestandteil der Verbform bilden, ist es unseres Erachtens gerechtfertigt, sie ebenso zu behandeln wie andere (attributiv oder 31 Weitere Beispiele für die zuletzt genannten targets der externen Kongruenz finden sich in Corbett (2006: 46ff.); Corbett weist auch darauf hin, dass die Adposition mit der Bedeutung ‚von‘ mit Abstand am häufigsten kongruiert und als möglicher Ausgangspunkt der Kongruenz des Possessums fungiert (vgl. ebd.: 48). 32 Allerdings gilt auch hier, dass Genuskongruenz seltener ist als Person- und Numeruskongruenz. Ferner setzt die Genuskongruenz des Verbs - Greenberg (1963: 112) zufolge - die des Adjektivs voraus; das Verb tritt also insgesamt weniger häufig als target der Genuskongruenz auf als das Adjektiv. 33 In (21) und (23) ist die Genusmarkierung sowohl in der Graphie als auch in der Phonie greifbar, in (22) beschränkt sie sich auf den graphischen Code, im phonischen Code liegt keine Differenzierung vor. Man spricht in diesem Zusammenhang, d.h. im Falle einer rein graphischen Markierung grammatischer Kategorien, auch von orthographe grammaticale. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 40 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr Genus und Kongruenz 41 prädikativ verwendete) Partizipien; diese aber verhalten sich nicht anders als Adjektive und sind daher ebenfalls dem Bereich der internen Kongruenz zuzuordnen. Eindeutige Beispiele für die Genuskongruenz des Verbs findet man aber - wie bereits angedeutet - durchaus in vielen Sprachen, auch in indoeuropäischen wie etwa im Russischen. Hier kann, wie (24) illustriert, das Genus der Subjekt-NP durch ein Suffix am Verb ausgedrückt werden. Vgl. (Corbett 1991: 110): (24) (a) žurnal ležal-ø na stole Zeitschrift lag-M auf Tisch ‚die Zeitschrift lag auf dem Tisch‘ (b) kniga ležal-a na stole Buch lag-F auf Tisch ‚das Buch lag auf dem Tisch‘ (c) pis’mo ležal-o na stole Brief lag-N auf Tisch ‚der Brief lag auf dem Tisch‘ Als Kontrolleur der verbalen Kongruenz kommen neben dem Subjekt auch andere Elemente in Frage. So kann das Verb im Swahili sowohl mit dem Subjekt als auch mit dem direkten oder indirekten Objekt kongruieren (Corbett 1991: 110, Krifka 1995: 1399f.): (25) (a) m-tu a-li-anguka KL1-Person KL1-PRÄT-fallen ‚eine Person/ Jemand fiel (hin)/ ist (hin-)gefallen‘ (b) m-shale u-li-anguka KL3-Nagel KL3-PRÄT-fallen ‚ein Nagel fiel (herunter)‘ (26) (a) wa-toto wa-le wa-na-ya-ona KL2-Kind KL2-DEM: ‚jener‘ KL2-PRÄS-KL6-sehen ma-chungwa ha-ya KL6-Orange DEM: ‚dieser‘-KL6 ‚Jene Kinder sehen diese Orangen‘ (b) mw-alimu a-li-wa-pa wa-nafunzi KL1-Lehrer KL1-PRÄT-KL2-geben KL2-Schüler mpira KL9.Ball ‚Der Lehrer gab den Schülern den Ball‘ In (25) (a) und (b) kongruiert das Verb - wie im Russischen - mit dem Subjekt; die Klassenzugehörigkeit des kontrollierenden Nomens wird hier TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 41 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 42 Was ist Genus? aber - im Unterschied zum Russischen - durch ein Präfix am Verb markiert, gleichzeitig ist sie am Nomen selbst, ebenfalls durch ein Klassenpräfix, gekennzeichnet. In (26) (a) kongruiert das Verb sowohl mit dem Subjekt als auch mit dem direkten Objekt, wobei die Klassenzugehörigkeit des Subjekts - wie in (25) - per Präfix am Verb markiert wird; die Klassenmarkierung des direkten Objekts tritt zwischen Tempusmarker und Verbstamm. Darüber hinaus ist die Klassenzugehörigkeit auch hier innerhalb der beiden NPs ablesbar, und zwar sowohl am Nomen als auch am (kongruierenden) Demonstrativum. In (26) (b) sind neben dem Subjekt zwei weitere Argumente des Verbs zu unterscheiden, ein direktes und ein indirektes Objekt. Das Verb kongruiert hier mit dem Subjekt und dem indirekten, nicht aber mit dem direkten Objekt. Kongruenz mit beiden ist ausgeschlossen, da das Verb neben der Stelle, die der Markierung der Subjektkongruenz vorbehalten ist, generell nur einen weiteren agreement slot aufweist (vgl. Polomé 1967: 110ff.). 34 Im Hinblick auf die Kongruenz des Verbs kann insgesamt Folgendes festgehalten werden: Die Kongruenz mit dem Subjekt stellt den ‚Normalfall‘ verbaler Kongruenz dar, die Kongruenz mit dem direkten oder indirekten Objekt ist aber ebenfalls geläufig. Andere Argumente treten hingegen nur vereinzelt als Kontrolleure in Erscheinung, wenn ihre grammatischen Merkmale überhaupt am Verb ausgedrückt werden, dann an der Stelle, die üblicherweise durch ein anderes Argument besetzt wird; wie auch im Falle des indirekten Objekts im Swahili, steht für sie kein eigener agreement slot am Verb zur Verfügung. Als weitere targets der externen Kongruenz kommen auch Personalpronomina bzw. substantivische Pronomina im Allgemeinen in Frage, die zum Bezugsnomen, genauer: zur Nominalphrase in anaphorischer Beziehung stehen. Diese Form der Kongruenz ist häufig. Es ist allerdings nicht unumstritten, ob Anaphern überhaupt in den Bereich der Kongruenz fallen, oder ob zwischen Kongruenz und Anapher unterschieden werden sollte. Wir wollen dann von Genuskongruenz sprechen, wenn die formale Variation anaphorischer Pronomina - ebenso wie die Variation anderer Elemente - letztlich auf Unterschiede hinsichtlich der Klassenzugehörigkeit von Substantiven zurückgeführt werden kann. In Beispielen wie den folgenden ist dies der Fall: 34 Bemerkenswert ist, dass in (26) nicht alle Nomina durch ein Klassenpräfix gekennzeichnet sind: im Falle von mpira ‚Ball‘ liegt keine overte Genusmarkierung vor. Dies gibt uns einen Hinweis darauf, dass die Klassenzugehörigkeit auch im Swahili nicht immer am Nomen selbst ablesbar ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 42 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr Genus und Kongruenz 43 (27) Dt. Der Tisch steht hier einfach im Weg. Man müsste ihn/ den mal woanders hinstellen. - Die Pflanze steht hier einfach im Weg. Man müsste sie/ die mal woanders hinstellen. - Das Bett steht hier einfach im Weg. Man müsste es/ das mal woanders hinstellen. (28) Sp. La película de la que me hablaste ayer ¿cómo se llamaba? - El libro del que me hablaste ayer ¿cómo se llamaba? (29) Fr. Quel pantalon est-ce que tu préfères ? Je préfère celui-là. - Quelle robe est-ce que tu préfères ? Je préfère celle-là. In (27) liegt Genuskongruenz des Personalpronomens bzw. des im Gesprochenen häufig äquivalent gebrauchten Demonstrativpronomens vor; in (28) kongruiert das Relativpronomen el que, in (29) das Demonstrativpronomen celui-là. Es ist unseres Erachtens durchaus gerechtfertigt, von Genuskongruenz zu sprechen, da die Formveränderung der anaphorischen Pronomina in diesen Beispielen analog zur Variation anderer Kongruenten (Artikel bzw. adjectif interrogatif) verläuft, die zweifellos als genusbedingt aufzufassen ist. Dass anaphorische Pronomina, speziell Personalpronomina eine besondere Stellung unter den kongruierenden Elementen einnehmen, wird in Abschnitt 1.2.3. noch zu zeigen sein und hiermit keineswegs geleugnet; ebenso wenig behaupten wir, dass ihre formale Variation immer auf Kongruenzerscheinungen beruht. So soll vorerst offen bleiben, ob die Einschätzung zutrifft, die besagt, dass die Genusvariabilität anaphorischer Pronomina erhalten bleibt, selbst wenn - wie im Falle des Englischen - das Genussystem ansonsten weitgehend abgebaut wurde. 35 Mit anderen Worten: Wir klären zunächst nicht, inwieweit wir es - etwa in den folgenden Beispielen - tatsächlich mit Genuskongruenz zu tun haben und ob das Englische folglich als Genussprache anzusehen ist: (30) the boy … he … - the girl … she - the bird … it 36 Vielmehr wenden wir uns jetzt, nachdem wir illustriert haben, welche Elemente als targets der Genuskongruenz auftreten können, den verschiedenen Möglichkeiten der Markierung der Genuskongruenz an eben diesen Elementen zu. 35 Vgl. hierzu z.B. die folgende Feststellung Hjelmslevs ( 2 1970: 231): „[…] les langues qui abandonnent le genre dans le nom (y compris l’adjectif, l’article etc.) le conservent pourtant dans cette position-clef qu’est le pronom, et surtout le pronom anaphorique […].“ 36 Dennoch sei - der Vollständigkeit halber - schon hier darauf hingewiesen, dass Hjelmslev das Englische durchaus zu den Genussprachen rechnet. An der oben zitierten Stelle fährt er folgendermaßen fort: „Il faut bien reconnaître que les noms auxquels on se rapporte, en anglais moderne, par he, she et it sont du masculin, du féminin et du neutre respectivement […]“. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 43 16.12.2008 13: 08: 28 Uhr 44 Was ist Genus? 1.2.2. Zur Form von Kongruenz Unabhängig davon, welche Einheiten in unterschiedlichen Sprachen zur Markierung der Genuskategorie verwendet werden, kann gefragt werden, auf welche Art und Weise oder: in welcher Form die Markierung der Klassenzugehörigkeit erfolgt. Diese Frage bezieht sich sowohl auf das Wie als auch auf das Wo der Markierung. Was das Wie der Markierung betrifft, so haben wir in Abschnitt 1.1.2. bereits explizit festgestellt, dass Genusklassenzugehörigkeit im Normalfall durch Affixe, sprich: durch gebundene Morpheme ausgedrückt wird. Was den Ort der Markierung, also das Wo anbelangt, so zeigen die bislang angeführten Beispiele, dass hier vor allem zwei Möglichkeiten bestehen: Kongruenzmarker treten entweder in Form von Präfixen (z.B. Swahili, Abchasisch) oder in Form von Suffixen (z.B. Russisch, Tschamalal, Spanisch, Französisch, Deutsch) auf. Größer angelegte Untersuchungen, d.h. Arbeiten, in denen eine Vielzahl unterschiedlicher Sprachen berücksichtigt wird, belegen, dass diese Orte der Markierung in der Tat die häufigsten sind; Corbett (1991: 115) stellt fest: […] typically we find inflectional affixes, which stand before or after the stem. Agreement markers occur before the stem in Bantu languages […]. Agreement markers typically come after the stem in Indo-European […]. Eine sehr marginale Rolle nehmen demgegenüber andere prinzipiell gegebene Möglichkeiten ein, z.B. Markierung durch Infixe (für Beispiele vgl. ebd.: 116), durch Zirkumfixe bzw. Prä- und Suffixe (vgl. Welmers 1973: 201ff., Hurskainen 2000: 667) und durch Suprafixe (vgl. z.B. Heine 1982: 214). 37 Die allgemeine Bestimmung des Wie der Markierung durch die Angabe „gebundenes Morphem“ bzw. „inflectional affix“ lässt aber ebenfalls einigen Spielraum. Interlinguale Unterschiede zeigen sich hier z.B. hinsichtlich der Art dieser gebundenen Morpheme: So kann für bestimmte Einzelsprachen ein (eigenes) Genusmorphem anzusetzen sein, während Genus in anderen Sprachen grundsätzlich im Verbund mit einer (oder mehreren) anderen grammatischen Kategorien ausgedrückt wird. Ersteres ist z.B. für das Spanische anzunehmen, Letzteres - wie in (19) und (20) aufgezeigt - u.a. für das Abchasische. 37 Die Markierung der Genusklassenzugehörigkeit sowohl durch Präfixe als auch durch Suffixe ist nach der konsultierten Literatur für einige Niger-Kongo Sprachen am Nomen selbst belegt; ob auch die kongruierenden Elemente diese Form der Markierung aufweisen, geht aus diesen Quellen nicht zweifelsfrei hervor. Zu beachten ist, dass die Position der agreement markers in einigen Sprachen in Abhängigkeit vom target-Element variiert, die Genuskongruenz also nicht unbedingt einheitlich durch Präfixe oder Suffixe (o.a.) markiert wird (vgl. Corbett 1991: 115.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 44 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 45 Darüber hinaus sind Unterschiede zu konstatieren, die die Realisierung dieser abstrakten Größe ‚Genusmorphem‘ (oder ggf. kumulatives Morphem) betreffen. Einzelsprachen variieren z.B. in Bezug auf die Anzahl der Allomorphe, die diese Morpheme jeweils umfassen, sowie (natürlich) hinsichtlich ihrer Distribution. Im ‚einfachsten‘ Fall tritt ein und dasselbe Allomorph an allen targets und zusätzlich am Kontrolleur, d.h. am Nomen selbst auf, so dass eine Art Alliteration entsteht, weswegen man in diesem Zusammenhang auch von alliterativer Kongruenz spricht. Beispiele dieses Typs findet man etwa im Swahili (31) (Welmers 1973: 171), aber auch im Lateinischen (32) (Lehmann 1982: 208): (31) ki-kapu ki-kupwa ki-moja ki-li-anguka KL7-Korb KL7-groß KL7-ein KL7-PRÄT-fallen ‚ein großer Korb fiel (herunter)‘ (32) (a) illorum duorum bonorum virorum (M.GEN.PL) ‚jener zwei/ beiden guten Männer‘ (b) illarum duarum bonarum feminarum (F.GEN.PL) ‚jener zwei/ beiden guten Frauen‘ 38 Derart extreme Formen alliterativer Kongruenz sind aber keineswegs besonders geläufig. Sie bilden sowohl allgemein als auch im Hinblick auf die genannten Sprachen eher die Ausnahme: Weder im Lateinischen noch im Swahili weisen die unterschiedlichen Kongruenten typischerweise ein identisches Affix auf. In diesem Sinne konstatiert Scherer (1975: 97), dass „im Lateinischen ein Satz wie illae sanctae feminae primae vivae combustae sunt eine Karikatur der Kongruenz [wäre]“, und Creissels (1999: 180) stellt fest, dass die in unterschiedlichen ‚manuels de linguistique générale‘ standardmäßig angeführten Swahili-Beispiele, die ähnlich ausfallen wie (31), die Dinge zu stark vereinfachen; ferner warnt er davor, sich aufgrund solcher Beispiele ein falsches Bild vom Funktionieren der Kongruenz in den Niger-Kongo Sprachen zu machen: […] même en swahili, les choses sont loin d’être aussi simple, et on aurait une idée totalement fausse des accords en classes des langues Niger-Congo en s’imaginant qu’à chaque classe correspond toujours de façon simple une marque […] unique qui se répète sur tous les mots concernés par un accord. En règle générale, les marques de l’appartenance d’un mot à une classe donnée varient selon la nature des mots en question […]. 38 Es sei hier noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die formale Variation der Substantivendungen (virorum vs. feminarum) in diesem und vergleichbaren lateinischen Beispielen nicht als genusbedingt anzusehen ist, sondern auf die unterschiedliche Deklinationsklassenzugehörigkeit der Nomina zurückgeht. Prinzipiell lassen allein die kongruierenden Elemente (und diese - wie unten zu zeigen sein wird - auch nicht immer) auf das Genus des Bezugsnomens schließen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 45 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 46 Was ist Genus? Gehen wir dieser letzten Feststellung Creissels, dass die Markierung von der „nature des mots en question“ abhänge, etwas genauer nach. Mit „mots en question“ sind zweifelsohne die „mots concernés par un accord“, also die kongruierenden Elemente gemeint. Inwiefern kann aber nun - nicht nur mit Bezug auf das Swahili, sondern generell - davon ausgegangen werden, dass die Natur der Kongruenten für die Art der Markierung und das heißt für die allomorphische Variation der Genuskennzeichnung ausschlaggebend ist? Es sind hier (mindestens) zwei Fälle zu differenzieren, die sich aus unterschiedlichen Lesarten von ‚Natur der Kongruenten‘ ergeben. ‚Natur der Kongruenten‘ kann sich nämlich einmal auf spezifische Eigenschaften ganz konkreter kongruierender Elemente einer Einzelsprache beziehen; andererseits kann aber auch im Hinblick auf übergeordnete Merkmale und ohne auf eine bestimmte Einzelsprache zu rekurrieren von ‚Natur der Kongruenten‘ gesprochen werden, etwa dann, wenn man auf die verschiedenen Typen von Kongruenten abzielt. Es liegt auf der Hand, dass im Rahmen einer allgemeinen sprachübergreifenden Darstellung der Form von (Genus-)Kongruenz vor allem die zweite Lesart von Interesse ist. Dennoch sei zunächst kurz erläutert, inwieweit die Natur der Kongruenten im zuerst skizzierten Sinne für die Art der Klassenmarkierung relevant sein mag. Abhängigkeit der Klassenmarkierung von der Natur der kongruierenden Elemente im zuerst skizzierten Sinne liegt beispielsweise dann vor, wenn das Auftreten unterschiedlicher Allomorphe auf die phonologische Struktur der Kongruenten zurückgeht. Vorstellbar ist hier etwa, dass die Alternation der Allomorphe eines Klassenmorphems (im Falle präfigaler Markierung) durch den Anlaut des target-Elements determiniert ist, was auf die Klassenpräfixe des Swahili (und anderer Bantu-Sprachen) in der Tat zutrifft (vgl. z.B. Welmers 1973: 169ff.). In dieser Lesart erweist sich die Natur der Kongruenten als ein ausschlaggebender Faktor für die Variation der Klassenmarkierung unter anderen möglichen Faktoren, die für jede Einzelsprache gesondert zu bestimmen sind. 39 Handelt es sich - wie im angenommenen Fall - um phonologisch bedingte Variation, so dürfte diese aufgrund allgemeiner phonotaktischer oder morphophonologischer Regeln der entsprechenden Einzelsprache(n) vorhersagbar sein. Was den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kongruenten- Typen und der Art der Klassenmarkierung anbelangt, so ist festzustellen, dass auch das Gegenteil des skizzierten Extremfalls alliterativer Kongruenz, also 39 Dass nicht ausschließlich bestimmte Eigenschaften der kongruierenden Elemente für die Allomorphie verantwortlich sind, kann schon mit Verweis auf das Französische belegt werden, wo sich - wie im zweiten Teil der Arbeit noch näher zu untersuchen sein wird - Liaison und Elision auf die Art der Klassenmarkierung auswirken. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 46 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 47 ausgeprägte Allomorphie in Form je unterschiedlicher Markierung aller zur Verfügung stehenden target-Typen, nicht geläufig ist. 40 Vielmehr scheint die Allomorphie in gewissem Maße mit der Unterscheidung von interner und externer Kongruenz zu korrelieren; einerseits gilt: „[…] the morphological forms of internal and external agreement are normally different“ (Lehmann 1988: 59); andererseits weisen aber die unterschiedlichen targets innerhalb dieser beiden Bereiche in der Regel keine oder nur in eingeschränktem Maße je spezifische morphologische Formen auf. 41 Bleiben wir beim Beispiel des Swahili, so stellen wir z.B. fest, dass die Klassenmarkierung für Elemente innerhalb der NP im Normalfall identisch ausfällt, während für Pronomina und Verben oftmals andere, in zahlreichen Fällen aber untereinander übereinstimmende Formen zur Verfügung stehen. 42 Insgesamt kann festgehalten werden, dass die allomorphischen Schwankungen, denen die Genuskennzeichnung an den verschiedenen Kongruenten unterworfen ist, je nach Einzelsprache unterschiedlich stark ausfallen, dass die formale Übereinstimmung der Klassenmarkierung umso wahrscheinlicher ist, wenn die unterschiedlichen targets demselben Kongruenzbereich (intern vs. extern) angehören und dass absolute Einheitlichkeit ebenso selten ist wie absolute Divergenz. Fasst man alliterative Kongruenz wie Corbett (1991: 118) nicht als etwas auf, „which languages simply have or do not have“, sondern als „one pole of a scale along which languages can be measured“, dann kann mit Bezug auf diese Form der interlingualen Variation auch von unterschiedlichen Graden alliterativer Kongruenz gesprochen werden. 40 Lehmann (1982: 228) bemerkt: „It may be seriously doubted whether there is a language which has a distinct set of agreement markers for each of the syntactically different constructions […].“ 41 Aufgrund des vorliegenden Datenmaterials stellt Lehmann (1982: 228) folgende als (implikative) Universalie formulierte Hypothese auf: „if a language has both internal and external agreement, it will also have at least two sets of morphologically distinct agreement markers“. Demzufolge sind also auch mehr als zwei kongruententypspezifische ‚Markierungssätze‘ (sets of markers) möglich. Dass interne und externe Kongruenz prinzipiell unterschiedlich ausgedrückt werden, ist - so Lehmann (ebd.) - „a natural consequence“ der erwähnten komplementären Verteilung der Kasus- und Personenkategorie auf diese beiden Bereiche. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass sich die agreement markers der internen und der externen Kongruenz üblicherweise aus unterschiedlichen Quellen speisen bzw. auf je spezifische Entwicklungen zurückgehen (vgl. hierzu Aikhenvald 2000: insb. 391ff., Corbett 1991: 137ff.). 42 Seiler (1986: 116) spricht von „two series of mostly divergent prefixes: a nominal one for the noun and its modifiers (internal agreement), and a pronominal one for pronouns and pronominal elements in the verb (external agreement)“. Welmers (1973: 172ff.) stellt „attributive/ primary“ und „referential/ secondary concords“ gegenüber. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 47 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 48 Was ist Genus? Ein weiterer Punkt, der unseres Erachtens im Rahmen der Darstellung formaler Aspekte der Genuskongruenz Beachtung finden sollte, betrifft die Durchgängigkeit der Klassenmarkierung, die sich ebenfalls auf den Grad der alliterativen Kongruenz auswirkt. Aufgrund der bisherigen Erörterungen könnte man zu denken geneigt sein, dass in der Regel jedes Element einer Einzelsprache, welches eine für diese Sprache grundsätzlich als target der Kongruenz identifizierte Konstituente bildet, immer mit bestimmten genusklassenindizierenden Markierungen ausgestattet ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Abgesehen davon, dass die Form der kongruierenden Elemente aufgrund von Synkretismen nicht immer eindeutig auf die Genusklassenzugehörigkeit des Bezugsnomens schließen lässt, kann die Kongruenz auch gänzlich aufgehoben sein. Mit anderen Worten, die Feststellung, dass bestimmte Konstituenten bzw. Wortklassen in einer Einzelsprache im Genus kongruieren, lässt offen, ob (i) alle Elemente der jeweiligen Klasse kongruieren und ob (ii) die Elemente in jedem Fall, d.h. unter allen Umständen kongruieren; 43 falls Genuskongruenz vorliegt, bleibt ferner offen, ob (iii) die Markierung der unterschiedlichen Genera formal eindeutig erfolgt. Die Genuskongruenz ist demnach durchaus gewissen Beschränkungen unterworfen, die wiederum für jede Einzelsprache gesondert zu bestimmen sind. Einschränkung und Aufhebung der Klassenmarkierung an den kongruierenden Elementen sind hierbei prinzipiell durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren bedingt. Wie Corbett (1991: 123ff.) anhand der exemplarischen Darstellung zahlreicher Genussprachen zeigt, sind lexikalische, syntaktische, phonologische und morphologische Restriktionen (im engeren Sinne) möglich; außerdem wirken sich unterschiedliche grammatische Kategorien (Tempus, Person, Numerus, Kasus) auf die Durchgängigkeit und Eindeutigkeit der Genuskongruenz aus (= morphologische Restriktionen im weiteren Sinne). Viele dieser Faktoren sind auch in den im zweiten Teil ausführlich zu untersuchenden Sprachen relevant und werden dort an entsprechender Stelle behandelt; speziell auf die Interaktion von Genus und Numerus wird im Rahmen des nächsten Kapitels (1.3.) einzugehen sein. Daher kann hier auf eine exhaustive Erläuterung verzichtet werden. In der folgenden Auflistung wird also ganz bewusst nur eine Auswahl der genannten Faktoren vorgestellt, wobei wir an einige der in den vergangenen Abschnitten angeführten (nicht 43 Vgl. hierzu auch Corbett (1991: 123f.): „In descriptions of individual languages, we may find it stated that members of a particular word class show agreement in gender. Such statements can be misleading. It may well be that all members of the word-class in question […] always show agreement. But it may be that all members of a word-class show agreement, but not under all circumstances. Or it may be that some but not all members of the word-class show agreement in gender.“ TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 48 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 49 deutschen, spanischen oder französischen) Beispiele anknüpfen und die in diesem Zusammenhang gemachten Angaben präzisieren. 1) Lexikalische Restriktionen: Von lexikalischen Restriktionen kann gesprochen werden, wenn eine bestimmte Gruppe von Elementen sowohl solche umfasst, die kongruieren, als auch solche, die nicht (oder nur eingeschränkt) kongruieren, ohne dass hierfür allgemeinere Gründe erkennbar wären. Wir sind auf derlei Restriktionen durchaus bereits gestoßen. So hatten wir beispielsweise festgestellt, dass im Chichewa, im Swahili sowie in vielen anderen Sprachen nur wenige Elemente innerhalb der Gruppe der Numeralia tatsächlich genusvariabel sind. 2) Morphologische Restriktionen im engeren Sinne: Morphologische Restriktionen im engeren Sinne liegen dann vor, wenn kongruierende und nicht-kongruierende (und/ oder eingeschränkt kongruierende) Elemente einer bestimmten Gruppe je unterschiedlichen Flexionsklassen angehören, so dass die Flexionsklassenzugehörigkeit letztlich für die die Kongruenz betreffenden Unterschiede verantwortlich gemacht werden kann. Wie (32) zeigt, gehören die Adjektive im Lateinischen prinzipiell zu den kongruierenden Elementen. Allerdings weisen nur die Adjektive der 1./ 2. Deklination durchgängig drei unterschiedliche (Nominativ-)Formen auf. Die Adjektive der 3. Deklination ‚zerfallen‘ hingegen in drei Typen: solche, die im Nominativ Singular nicht genusvariabel sind und folglich nicht (im Genus) kongruieren, solche, die im Nominativ Singular zwei Formen unterscheiden (M/ F vs. N), also in eingeschränktem Maße (im Genus) kongruieren, und solche, die - ebenso wie die Adjektive der 1./ 2. Deklination - im Nominativ Singular drei Formen aufweisen und somit eindeutig auf die Genusklassenzugehörigkeit des jeweiligen Bezugsnomens schließen lassen. Von morphologischen Restriktionen kann hier insofern gesprochen werden, als Einschränkung und Aufhebung der Genuskongruenz innerhalb der Gruppe der Adjektive auf eine bestimmte morphologische Klasse, die 3. Deklination, begrenzt ist. 44 3) Restriktionen, die sich aus der Interaktion von Genus und Numerus ergeben: Dass die Kategorie Numerus nicht ohne Einfluss auf die Genusmarkierung ist, kann anknüpfend an das unter (15) angeführte Beispiel zur Kongruenz von Genitivattributen im Tschamalal veranschaulicht werden. Wie oben 44 Dies gilt natürlich wiederum nur eingeschränkt, d.h. nur für den Nominativ Singular; prinzipiell ist die Genusvariabilität der Adjektive (und anderer Elemente) von der Kasus- und Numerusmarkierung abhängig. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 49 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 50 Was ist Genus? festgestellt, werden im Tschamalal fünf Genusklassen unterschieden. Dies gilt allerdings nur für den Singular, d.h., nur im Singular weisen die kongruierenden Elemente in der Regel fünf unterschiedliche Formen auf; 45 im Plural reduziert sich die Zahl auf zwei: die Klassen 1/ 2 und 3/ 4/ 5 werden im Plural identisch markiert (vgl. Corbett 1991: 109, 190f., 315f.). 4) Restriktionen, die sich aus der Interaktion von Genus und Person ergeben: Im Abchasischen ist neben der Numeruskategorie auch die Personenkategorie für die Genusmarkierung ausschlaggebend. Die in der Diskussion der Beispiele (19) und (20) erwähnte genusbedingte Variation der pronominalen Affixe kommt hier nämlich nur dann zum Tragen, wenn der Kontrolleur in der 2. oder 3. Person Singular steht, wobei allein für die 3. Person Singular tatsächlich drei Formen unterschieden sein können (vgl. Hewitt 1979: 101ff.). 5) Restriktionen, die sich aus der Interaktion von Genus und Tempus ergeben: Abhängigkeit der Genuskongruenz von der Kategorie Tempus ist für das Russische zu konstatieren, da die Genusvariabilität des Verbs - wie in (24) - auf das Präteritum (und Konditional) beschränkt ist (vgl. Corbett 1991: 125f.). Von der Aufhebung der Genuskongruenz im skizzierten Sinne, d.h. im Sinne eingeschränkter Markierung oder Nicht-Markierung, sind Fälle zu unterscheiden, in denen die Genuskongruenz insofern aufgehoben ist, als eine dem Genus des Bezugsnomens (bzw. der kontrollierenden NP) widersprechende, aber dennoch normgerechte Markierung am target-Element auftritt. Diese Form der Aufhebung - der Verstoß gegen die Kongruenz - ist Thema des folgenden Abschnitts. 1.2.3. Kongruenzverstöße Kongruenzverstöße liegen wie gesagt dann vor, wenn die (Genus-)Markierung des kongruierenden Elements nicht mit der Genusklassenzugehörigkeit des Kontrolleurs übereinstimmt. 46 Oben waren wir davon ausgegangen, dass 45 Vom Zusammenfall der Markierungen für Klasse 2 und Klasse 5 im Singular in (15) kann hier abgesehen werden. (Dieser Zusammenfall ist auf bestimmte Lautwandelprozesse zurückzuführen und nur für einen bestimmten Dialekt charakteristisch; außerdem betrifft er nicht alle target-Elemente; vgl. hierzu Corbett 1991: 315f.). 46 Wie am Ende des letzten Abschnitts angedeutet, beziehen wir uns hier nur auf solche Verstöße, die der Norm (im Sinne von deskriptiver Norm) entsprechen und daher nicht als ungrammattisch gelten; nicht regelhafte, zufällige Verstöße, z.B. solche, die durch Versprecher o.Ä. zustande kommen, werden nicht berücksichtigt. Kongruenzverstoß heißt also immer normkonformer Verstoß. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 50 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 51 der Kontrolleur der Genuskongruenz immer durch ein Nomen bzw. durch eine Nominalphrase, deren Nukleus das klassifizierte Nomen ist, repräsentiert wird; wir hatten aber ebenfalls darauf hingewiesen, dass an dieser Annahme nur vorläufig festgehalten werden sollte. Damit ist implizit bereits gesagt, dass die Stelle des Kontrolleurs nicht notwendigerweise durch ein Nomen besetzt wird, und das heißt wiederum, dass mehrere durch Koordination verbundene Nomina bzw. Nominalphrasen oder andere, nicht nominale Elemente an diese Stelle treten können; außerdem kann die Stelle des Kontrolleurs durch ein Pronomen gefüllt oder - im Falle von Pro-drop-Sprachen - auch leer sein. Demgemäß wären verschiedene Arten des Kongruenzverstoßes oder „Fälle von Diskordanz“ (Lehmann 1993: 727) zu unterscheiden, je nach ‚Natur‘ des Kontrolleurs. Vgl.: (33) Dt. Das Mädchen hat die Schule um 12.00 Uhr verlassen. Spätestens um 13.00 Uhr hätte sie zu Hause sein müssen. (34) Fr. Le garçon et la fille sont contents. (35) Dt. Es überrascht mich nicht, dass Du zu spät kommst. (36) Fr. Je suis heureux. - Je suis heureuse. (37) Sp. Estoy cansado. - Estoy cansada. In (33) stimmt das feminine Genus des Personalpronomens sie nicht mit dem Genus Neutrum des Bezugsnomens Mädchen überein. In (34) besteht insofern ein Kongruenzverstoß, als das Adjektiv im Maskulinum und nicht im Maskulinum und Femininum steht. Für (35) und (36) könnte von einem Verstoß ausgegangen werden, da dass Du zu spät kommst resp. je gar kein Genus aufweist; die (Genus-)Markierung am target widerspricht folglich der Genuslosigkeit des Kontrolleurs. Ähnlich kann mit Bezug auf (37) argumentiert werden: Da überhaupt kein Kontrolleur vorhanden ist, kann auch hier nicht von Genuskongruenz, d.h. von Übereinstimmung zwischen controller und target in dieser grammatischen Kategorie gesprochen werden. Dennoch wollen wir Kongruenzverstoß in einem engeren Sinne verwenden, und zwar nur mit Bezug auf die Diskordanz zwischen Bezugsnomen und kongruierendem Element, also nur für Fälle wie (33). Alle anderen Formen der Nicht-Übereinstimmung werden als Sonderfälle angesehen und im Folgenden aus der Betrachtung ausgeklammert. Wir gehen davon aus, dass die spezifischen Charakteristika der Kontrolleure - Genuslosigkeit bzw. Zugehörigkeit zu verschiedenen Klassen - prinzipiell Kongruenzprobleme aufwerfen, die je nach Einzelsprache unterschiedlich gelöst werden; der Kongruenzverstoß ist hierbei häufig die Regel. So kann mit Blick auf die genannten Beispiele Folgendes festgestellt werden: Bei koordinierten Nominalphrasen unterschied- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 51 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 52 Was ist Genus? licher Genuszugehörigkeit steht das kongruierende Element im Französischen regelhaft im Maskulinum; im Deutschen tritt bei der pronominalen Wiederaufnahme nicht-prototypischer controller (Infinitivkonstruktionen, Sätze u.a.) immer die neutrale Form auf. Für ‚genuslose‘ Pronomina im Französischen und ‚fehlende‘ controller im Spanischen gilt schließlich, dass die - referentiell zu begründende - Variation der kongruierenden Elemente unumgänglich ist. Kongruenz ist in all diesen Fällen schlechterdings unmöglich, da Mehrfachmarkierung bzw. Nicht-Markierung der targets ausgeschlossen ist. 47 Im Unterschied dazu haben Diskordanzen zwischen (einem) Bezugsnomen und kongruierendem Element Ausnahmestatus. Zu einem Kongruenzverstoß im engeren Sinne kommt es nur bei einer begrenzten Anzahl von Nomina und unter bestimmten Bedingungen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. 1.2.3.1. Syntaktische Kongruenz vs. semantische Kongruenz? Grundvoraussetzung für den Kongruenzverstoß im engeren Sinne ist, dass die Genusunterscheidung partiell mit außersprachlichen Differenzierungen korreliert. Im Deutschen, Französischen, Spanischen und zahlreichen anderen indoeuropäischen, aber auch nicht-indoeuropäischen Sprachen liegt eine solche Korrelation insbesondere im Bereich der Personenbezeichnungen vor. Wie in Abschnitt 1.1.4. im Rahmen der Darstellung der Abgrenzungsversuche zwischen Nominalklassen- und Genussystemen bereits angedeutet wurde, besteht hier ein - wenn auch eingeschränkter - Zusammenhang zwischen Genusdistinktion und Sexusunterscheidung: Es gilt, dass Bezeichnungen für weibliche Personen in der Regel feminin, Bezeichnungen für männliche Personen hingegen maskulin sind. Zu einer vom Genus des Bezugsnomens abweichenden Markierung am kongruierenden Element kann es nun immer dann kommen, wenn das Bezugsnomen zur Gruppe der Personenbezeichnungen gehört, nicht aber das in Anbetracht der Genus/ Sexus-Relation zu erwartende Genus aufweist. In 47 Corbett (1991), der sich den hier unterschiedenen Phänomenen - Kongruenzverstoß im engeren Sinne, Umgang mit koordinierten Nominalphrasen und ‚Kongruenz‘ bei genuslosen Kontrolleuren - ebenfalls in je unterschiedlichen Abschnitten seiner Arbeit widmet, zeigt, dass diese Feststellung auch über die genannten Fälle hinaus Gültigkeit beanspruchen kann; vor allem die Unumgänglichkeit der Genusmarkierung stellt einen gemeinsamen Zug zahlreicher Genussprachen dar: „In a nutshell, if an agreement target can agree then typically it must agree, even if the agreement controller lacks the appropriate features“ (ebd.: 204). Corbett spricht daher auch von „‚enforced‘ gender agreement“. Wir werden im zweiten Teil, im Rahmen der Darstellung der Genuskongruenz im Französischen, Spanischen und Deutschen, aber auch im dritten Teil der Arbeit auf die skizzierten ‚Problemfälle‘ der Kongruenz und deren Lösung noch einmal zurückkommen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 52 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 53 (33) ist dies der Fall: Das Genus Neutrum von Mädchen widerspricht dem bei Personenbezeichnungen üblichen Muster, da aufgrund der Semantik, genauer: aufgrund des semantischen Merkmals [+weiblich] feminines Genus zu erwarten wäre. Der Widerspruch zwischen Genus und Semantik des Nomens, die ‚lexikalische Asymmetrie‘ - wie Schafroth (2004: 338) formuliert - schlägt sich in der Kongruenz insofern nieder, als die kongruierenden Elemente nur z.T. im Neutrum stehen müssen; für das Personalpronomen ist das Femininum möglich und auch üblich. In diesem Zusammenhang ist nun häufig von grammatischer (auch: syntaktischer oder mechanischer) Kongruenz vs. semantischer Kongruenz die Rede. 48 Wir erachten diese Differenzierung jedoch als problematisch. Gegen ‚semantische Kongruenz‘ spricht zunächst einmal die Tatsache, dass die vom inhärenten Genus abweichende Markierung nicht unbedingt durch den Widerspruch zwischen Genus und Semantik des jeweiligen Nomens zustande kommt; vgl.: (38) Dt. Unser Ehrenmitglied, Maria Kopperschlag, ist letzte Woche von uns gegangen. Sie verstarb im Alter von nur 56 Jahren an einer schweren Lungenentzündung. - Unser Ehrenmitglied, Hermann Zacharias, ist letzte Woche von uns gegangen. Er verstarb im Alter von nur 56 Jahren an einer schweren Lungenentzündung. 49 (39) Sp. … pretendieron imponer a las gentes del campo libre una dominación muy gravosa, los trataron como súbditos … (Ortega y Gasset 1950: 134, zit. nach Wonder 1985: 280) 48 Dies gilt insbesondere für deutsch- und englischsprachige Arbeiten zum Thema (vgl. u.a. Lehmann 1982: 250f., 1993: 727, Ferguson/ Barlow 1988: 14, Corbett 1991: 225, 2006: 155ff., Heine 1982: 194f.). In spanisch- und vor allem in französischsprachigen Arbeiten scheinen entsprechende oder ähnliche Bezeichnungen - z.B. concordancia gramatical vs. concordancia semántica oder natural resp. accord formel vs. accord avec le sens - insgesamt seltener aufzutauchen, wobei concordancia natural resp. accord avec le sens auch in einem weiteren Sinne, d.h. auch für andere Arten des Kongruenzverstoßes verwendet wird. Häufig wird hier von der traditionellen und unseres Erachtens weniger problematischen Bezeichnung constructio ad sensum (auch: Syllepse) Gebrauch gemacht (vgl. z.B. Wonder 1985 (Sp.), Mok 1968: 68f., Grevisse 13 1993: 658ff. (Fr.); kritisch äußert sich Martínez 1999: insb. 2701ff. (Sp.)). Bleibt darauf hinzuweisen, dass die genannten Termini immer auch auf Fälle von Kongruenz/ Diskordanz hinsichtlich der Numeruskategorie bezogen werden, auf die wir hier nicht eingehen können - z.B. sp. La gente, lo que quieren es …, dt. Eine ganze Reihe von Schülern wissen nicht, dass … 49 Weitere authentische Beispiele dieser Art - etwa der Sprintstar und ihre Freundinnen oder die Ikone des Horrorfilms versteht sein Handwerk - finden sich z.B. bei Oelkers (1993) und Thurmair (2006). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 53 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 54 Was ist Genus? Der Wahl des femininen bzw. maskulinen Pronomens in (38), das im Gegensatz zum Genus Neutrum von Mitglied steht, liegt zwar ebenfalls die erwähnte Korrelation zwischen Genus- und Sexusdifferenzierung zugrunde, dennoch kann sie nicht auf die Semantik des Substantivs zurückgeführt werden; sie ist in erster Linie durch die spezifische Referenz auf eine weibliche resp. männliche Person zu erklären. Entsprechendes gilt für (39); die Substitution von las gentes (F) durch los (M) kann ebenfalls mit der Referenz, nicht jedoch mit der Semantik von gente(s) begründet werden. Es erscheint daher unangemessen, auch hier von semantischer Kongruenz zu sprechen. Wollte man am Terminus ‚semantische Kongruenz‘ festhalten, so müsste man diese Form des Verstoßes ausklammern. 50 Ein weiterer und zugleich grundlegender Einwand gegen die genannte Differenzierung besteht darin, dass sie nicht mit der üblicherweise zugrunde gelegten Definition von Kongruenz vereinbar ist: Wie eingangs festgestellt, bezieht sich Kongruenz auf die Übereinstimmung sprachlicher Zeichen in einer grammatischen Kategorie, nicht aber in einem semantischen Merkmal o.Ä. Angesichts dieser Bestimmung ist die Unterscheidung von semantischer und grammatischer Kongruenz schlichtweg unsinnig. Kongruenz ist per definitionem grammatische Kongruenz; der Terminus semantische Kongruenz erscheint in dieser Hinsicht als contradictio in adjecto. 51 Die einzige Alternative zur grammatischen (Genus-)Kongruenz ist folglich der Verstoß, und da nicht davon ausgegangen werden kann, dass Mädchen und Mitglied mehreren Genusklassen gleichzeitig angehören, liegt ein solcher sowohl in (33) als auch in (38) und (39) vor, unabhängig davon, dass einmal bestimmte semantische Merkmale des Bezugsnomens, einmal Eigenschaften des Referenten dafür verantwortlich sind. 52 50 Lehmann scheint dies zu tun, denn er betont ausdrücklich, dass semantische Kongruenz immer durch semantische Eigenschaften des Kontrolleurs bedingt ist, und differenziert entsprechend zwischen (semantischer) Kongruenz und Konkordanz (concord): „The difference between semantic agreement and concord is that while concord may contain information lacking in its referent, semantic agreement is determined by the semantic properties of the agreement triggerer […]“ (Lehmann 1982: 251). Bei Corbett (1991: 225ff.) wird sowohl die semantisch als auch die referentiell zu begründende Abweichung vom Genus des Bezugsnomens unter ‚semantic agreement‘ subsumiert, wobei er zugesteht, dass hier sowohl semantische als auch pragmatische Faktoren involviert sind (es heißt: „[…] the factors involved may be pragmatic as well as strictly semantic […]“). Dies ist unseres Erachtens eher widersprüchlich als überzeugend. 51 Das Gleiche gilt für den von Wonder (1985) u.a. benutzten Terminus concordancia natural sowie für den der ‚biologischen Kongruenz‘, der z.B. von Weinrich (1993) und Oelkers (1996) verwendet wird; beide sind lediglich von dem zuerst geäußerten Kritikpunkt nicht betroffen. 52 Oben wurde angedeutet, dass wir die traditionelle Bezeichnung constructio ad sensum für adäquater halten als ‚semantische Kongruenz‘; wir können nun präzisieren warum: Con- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 54 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 55 Worin aber unterscheiden sich Nomina wie Mädchen, Mitglied, gente u.a. von denjenigen, die traditionellerweise als communis (sp. común de dos, fr. commun de deux) bezeichnet werden (vgl. hierzu Burr 2001), etwa fr. enfant, sp. estudiante? Anders gefragt: Was spricht dagegen, erstere ebenfalls mehreren Genera zuzuordnen anstatt anzunehmen, dass ein Kongruenzverstoß vorliegt? Die Antwort auf diese Frage ist implizit bereits gegeben worden: Dagegen spricht, dass die unterschiedlichen Genusmarkierungen - anders als im Falle der sogenannten communis - nicht gleichberechtigt sind; nur ein Genus ist für alle in Frage kommenden targets möglich - in den genannten Beispielen ist dies das Neutrum resp. Femininum, nur bestimmte targets können tatsächlich in unterschiedlichen Genera stehen - in (33), (38) und (39) z.B. die Personalpronomen, nicht aber die Determinantien (vgl. z.B.: *die Mädchen, *unsere Ehrenmitglied, *los gentes). Angesichts dieser Tatsachen kann für die in Frage kommenden Nomen - so wie es der gängigen lexikographischen Praxis entspricht - nur von einem inhärenten Genus ausgegangen werden; zusätzlich wäre aber anzugeben, dass bestimmte targets von diesem Genus abweichen können, zugunsten der Kennzeichnung semantischer und/ oder referentieller Eigenschaften. 53 1.2.3.2. Die agreement hierarchy Bisher haben wir festgestellt, dass der Kongruenzverstoß nicht nur auf bestimmte Nomen begrenzt, sondern auch targetabhängig ist. Interessant ist nun, dass diejenigen targets, die eine vom Genus des Bezugsnomens divergierende Markierung zulassen, nicht willkürlich von Fall zu Fall variieren, sondern dass es hier allgemeine Gesetzmäßigkeiten gibt: Einige der kongruierenden Elemente sind generell stärker an die Kongruenz gebunden, andere sind freier und weichen eher vom Genus (und Numerus) des Bezugsnomens ab. structio ad sensum erlaubt einerseits die Abgrenzung zur Kongruenz, andererseits kann dieser Terminus problemlos auf semantisch und referentiell motivierte Verstöße bezogen werden (Entsprechendes gilt für den von Thurmair (2006) benutzten Terminus der Sexuskonvergenz (vs. Genuskongruenz)). 53 Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Differenzierung von semantic vs. syntactic agreement vgl. auch Dahl (2000: insb. 105ff.). Dahl geht speziell auf die Aussagen von Corbett (1991) ein, diskutiert diese an verschiedenen Beispielen und führt eine ganze Reihe von Gegenargumenten an. Er spricht sich letztlich dafür aus, zwischen lexical gender und referential gender zu unterscheiden, und betont, dass die von Corbett in diesem Zusammenhang angeführten Nomina nur ein inhärentes Genus (lexical gender) aufweisen; allerdings ist auch bei ihm von „agreement depending on referential gender“ (ebd.: 112), von referentieller Genuskongruenz die Rede; dies läuft der von uns zugrunde gelegten Bestimmung - wie gesagt - zuwider. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 55 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 56 Was ist Genus? Zunächst ist zu konstatieren, dass sich auch in diesem Punkt die Unterscheidung von interner und externer Kongruenz als relevant erweist: Kongruenzverstöße sind für targets der externen Kongruenz nämlich wesentlich häufiger als für diejenigen der internen Kongruenz. Dies erscheint nur natürlich, da externe targets in der Regel eine größere Distanz zum Kontrolleur der Kongruenz aufweisen als interne und da davon ausgegangen werden kann, dass der Faktor Distanz den Kongruenzverstoß generell begünstigt; es gilt: Je größer die Entfernung zwischen Kontrolleur und Kongruent, umso wahrscheinlicher die Diskordanz, d.h. die Abweichung des Letzteren von den grammatischen Merkmalen des Ersteren. 54 Über diese recht allgemeine Gesetzmäßigkeit hinaus sind, wie Corbett (1991: Kap. 8) zeigt, noch präzisiere Angaben zur relativen Kongruenzgebundenheit der targets möglich. Die Analyse zahlreicher sogenannter hybrider Nomen veranlasst Corbett zur Unterscheidung vier verschiedener target- Typen und zur Aufstellung der folgenden Ordnung, die er als agreement hierarchy bezeichnet: 55 attributive > predicate > relative pronoun > personal pronoun Corbett (ebd.: 226) kommentiert diese Aufstellung wie folgt: „As we move rightwards along the hierarchy, the likelihood of semantic agreement will increase monotonically (that means with no intervening decrease).“ Dies besagt nicht nur, dass der Kongruenzverstoß für das Personalpronomen generell wahrscheinlicher ist als für das Relativpronomen, dieser wiederum wahrscheinlicher als für das Prädikat etc., sondern auch, dass implikative Beziehun- 54 Vgl. hierzu Lehmann (1982: 251): „[…] it is universally the case […] that the possibility for semantic agreement to obtain increases with the syntactic distance of the agreeing term from the agreement triggerer.“ Vgl. in diesem Zusammenhang ferner Weinrichs Unterscheidung von Nah- und Fern-Kongruenz (z.B. in Weinrich 1982, 1993). Für empirische Evidenzen vgl. z.B. Thurmair (2006). 55 Es sei hier angemerkt, dass diejenigen Nomen, die Corbett zur Gruppe der hybriden Nomen rechnet, nicht unbedingt mit denjenigen übereinstimmen, die wir - in Ermangelung einer geeigneten, einfachen Sammelbezeichnung - als ‚Nomen mit möglichem Kongruenzverstoß‘ bezeichnen wollen. Zum einen zählt Corbett die sogenannten Epikoina (z.B. gente, Mitglied u.a.) offenbar nicht zu den hybriden Nomen (vgl. Corbett 1991: 66ff.); zum anderen werden auch solche Nomen unter hybride Nomen subsumiert, für die nicht von nur einem inhärenten Genus und möglichem Verstoß ausgegangen werden kann, da es - anders als bei Mädchen etc. - nicht eine Genusmarkierung gibt, die an allen targets auftreten kann, sondern unterschiedliche Genusmarkierungen, die für bestimmte targets obligatorisch sind (vgl. hierzu ebd.: 225ff.). Für eine Typologie der ‚Nomen mit möglichem Kongruenzverstoß‘, die speziell auf der Auswertung deutscher, französischer und italienischer Daten fußt, vgl. Schafroth (2004: 339). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 56 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 57 gen bestehen, derart, dass die Möglichkeit einer vom (inhärenten) Genus des Bezugsnomens abweichenden Markierung am Relativpronomen voraussetzt, dass eben diese Möglichkeit auch für das Personalpronomen besteht etc. 56 Besonders hervorzuheben ist, dass Personalpronomen eine gewisse Sonderstellung unter den kongruierenden Elementen einnehmen: Die agreement hierarchy macht deutlich, dass sie diejenigen Elemente sind, die am stärksten nach semantisch-referentiellen Merkmalen ausgerichtet sind, und daher am ehesten vom Genus (wie auch vom Numerus) des Kontrolleurs abweichen. Dies mag in Anbetracht der ausgeprägten deiktischen Funktion von Personalpronomen nicht erstaunen. 1.2.4. Was Kongruenz offen lässt Bislang haben wir festgestellt, dass für die Genuskategorie insgesamt zwei Aspekte konstitutiv sind: Klassifikation einerseits und Kongruenz andererseits. Verständlicherweise haben wir uns innerhalb dieses Abschnitts, im Rahmen der Ausführungen zu ‚Genus und Kongruenz‘, in erster Linie auf den zweiten Aspekt, die Kongruenz, konzentriert. Hierbei wurde auch auf interlinguale Unterschiede aufmerksam gemacht, z.B. im Hinblick auf Anzahl und Art der kongruierenden Elemente sowie bezüglich der Form der Klassenmarkierung an diesen Elementen. Die Heterogenität der Genussysteme verschiedener Sprachen erschöpft sich nun aber keineswegs in der unterschiedlichen Ausprägung derjenigen Merkmale, die unmittelbar mit dem Kriterium der Kongruenz zusammenhängen; vielmehr erweisen sich auch und gerade solche Eigenschaften von Genussystemen als variabel, die durch Kongruenz nicht oder nur in eingeschränktem Maße tangiert werden. Dies sind all jene, die die Klassifikation und die klassifizierten Elemente, die Substantive selbst, betreffen. So lässt das allgemeine Kriterium der Kongruenz (weitgehend) offen, wie viele Genera unterschieden werden, wie umfangreich die einzelnen Klassen sind, ob bzw. in welchem Maße die Klassenzugehörigkeit aufgrund formaler und/ oder semantischer Merkmale am Nomen selbst ablesbar ist, wie diese Merkmale gegebenenfalls beschaffen sind u.a. In Abschnitt 1.1. wurden diese Aspekte zwar angesprochen, doch haben wir uns dort ja in erster Linie um die Abgrenzung des Genus gegenüber anderen Formen nominaler Klassifikation und um die Skizzierung typischer Eigenschaften von Genussystemen bemüht; auf die spezifischen Charakte- 56 Eine Übersicht über unterschiedliche (empirische) Arbeiten, die die agreement hierarchy (insgesamt oder in Teilen) bestätigen, findet sich in Corbett (2006: 218); ferner ist in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die Untersuchungen von Oelkers (1993) und Thurmair (2006) hinzuweisen. Schafroth (2004: 340) zeigt auf, dass möglicherweise auch weitere Faktoren wie Kasus den Kongruenzverstoß begünstigen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 57 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 58 Was ist Genus? ristika einzelner Sprachen sind wir hingegen nicht eingegangen. Um einen weiteren Einblick in die Heterogenität der Genuskategorie zu gewährleisten, soll daher an dieser Stelle exemplarisch dargestellt werden, wie die ‚kongruenzunabhängigen‘ Merkmale in verschiedenen Sprachen ausgeprägt sind. Wir wollen hierbei erneut auf diejenigen Sprachen eingehen, die bislang zur Illustration herangezogen worden sind. Einige Punkte werden dann auch in den folgenden Teilkapiteln und, soweit sie das Spanische, Französische oder Deutsche betreffen, im zweiten Teil der Arbeit noch einmal aufgegriffen und gegebenenfalls präzisiert. Zunächst zur Klassenzahl: Bei der Diskussion der bislang angeführten Beispiele sowie in Abschnitt 1.1.2. wurde bereits deutlich, dass die Zahl der Genusklassen in unterschiedlichen Sprachen einigen Schwankungen unterliegt. Viele indoeuropäische Sprachen weisen zwei oder drei Genusklassen auf; so geht man beispielsweise für das Französische und Spanische üblicherweise von zwei, für das Lateinische, Deutsche und Russische von drei unterschiedlichen Genera aus. Diese Klassenzahl findet sich durchaus auch in vielen nicht-indoeuropäischen Sprachen. Wie oben festgestellt, werden auch im Abchasischen (Nordwestkaukasus) drei Genera unterschieden. Eine größere Klassenzahl wird für die ostkaukasische Sprache Tschamalal und schließlich für das Swahili (und andere Bantu-Sprachen) angenommen; für das Tschamalal werden fünf, für das Swahili traditionsgemäß 14 Klassen angegeben. 57 Die Anzahl der Genera variiert also schon in den wenigen von uns berücksichtigten Genussprachen in nicht unerheblichem Maße. Ähnliches kann im Hinblick auf die semantische Durchsichtigkeit der Klassifikation festgestellt werden: Ungeachtet der unterschiedlichen Klassenzahl sind sowohl das System des Abchasischen als auch das des Swahili als semantisch transparent zu bezeichnen. In beiden Sprachen lässt die Semantik der Nomina generell auf deren Klassenzugehörigkeit schließen; 58 umgekehrt gilt, dass die einzelnen Klassen semantisch beschrieben werden können. Dies 57 Es sei hier darauf hingewiesen, dass die Angaben zur Klassenzahl des Swahili insgesamt nicht einheitlich ausfallen: Die Unterscheidung von 14 Klassen ist üblich, es ist aber durchaus auch von 11 oder 15 Klassen die Rede. Diese Divergenzen sind auf die (Nicht-)Berücksichtigung der sogenannten ‚Lokativklassen‘ und auf die Zusammenlegung/ Trennung zweier formal identischer Klassen (einer Lokativklasse und einer Klasse, die verbale Infinitive umfasst) zurückzuführen (vgl. hierzu v.a. Welmers 1973: 163). Auf weitere (mögliche) Divergenzen in puncto Klassenzahl des Swahili und anderer Bantu-Sprachen sowie auf deren Gründe wird im Rahmen der Darstellung des Genus/ Numerus-Verhältnisses in Kapitel 1.3.2. einzugehen sein. 58 Mit Bezug auf das Swahili stellt Krifka (1995: 1398) fest: „The class of a noun is, by and large, semantically predictable; e.g. nouns denoting human beings, plants or artefacts tend to belong to specific noun classes.“ TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 58 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und Kongruenz 59 trifft insbesondere auf das Abchasische zu und schlägt sich dort - wie oben gezeigt - auch unmittelbar in der Bezeichnung der Genera als male human, female human und non-human nieder. 59 Mit Bezug auf die übrigen Sprachen kann von semantischer Durchsichtigkeit der Klassifikation nicht die Rede sein. Nur für einzelne (Gruppen von) Nomina kann überhaupt davon ausgegangen werden, dass die Semantik ein Indiz für das Genus bildet; im Falle der indoeuropäischen Sprachen beispielsweise für Personen- und - in eingeschränkterem Maße - für Tierbezeichnungen. Eine semantisch-inhaltliche Beschreibung ist im Höchstfall für bestimmte, nicht jedoch für alle Genusklasssen möglich. Corbett (1991: 190) stellt mit Bezug auf das Tschamalal Folgendes fest: Of the five genders separated in the singular, the first two have a clear semantic base [i.e. male human vs. female human] while the other three include a mixture of animates and inanimates. 60 Erhebliche Divergenzen werden ferner hinsichtlich der formalen Transparenz, d.h. hinsichtlich der Markierung der Genusklassenzugehörigkeit am Nomen selbst, offenbar. Unter den genannten Sprachen erweist sich auch in diesem Punkt das Swahili als besonders durchsichtig, da die Klassenzugehörigkeit - wie schon die oben angeführten Beispiele belegen - in der Regel in eindeutiger Weise formal am Nomen markiert ist, und zwar durch dieselben Präfixe, die an den targets der internen Kongruenz auftreten. 61 Weit weniger transparent erscheint z.B. das Genussystem des Russischen, aber auch hier sind durchaus gewisse morphologische Regularitäten auszumachen, die einen Großteil des nominalen Lexikons erfassen. Corbett (1991: 35) bemerkt: „[…] gender in Russian is highly predictable; for many nouns it is determined not by semantic but by formal factors, namely by the declensional type of the noun […]“. In Abschnitt 1.1.3. wurde angesprochen, dass diese Zuordnungsregularität im Lateinischen ebenfalls greift, allerdings in stark eingeschränkter Form: Lediglich die 1. und die 5. Deklination (a- und e-Deklination) bestehen beinahe ausschließlich aus Nomina, die derselben Genusklasse - dem Femini- 59 Im Falle des Swahili ist eine inhaltliche Bestimmung der unterschiedlichen Klassen nur bedingt aussagekräftig; die einzelnen Klassen enthalten immer auch eine Reihe von Nomina, die von der jeweiligen Bestimmung nicht erfasst sind (vgl. hierzu z.B. Polomé 1967: 96ff.). 60 Den (vergeblichen) Versuchen einer semantischen Charakterisierung der indoeuropäischen Genusklassen wenden wir uns in Abschnitt 2.3.1. zu. 61 Vgl. hierzu auch die folgende Feststellung Krifkas (1995: 1398): „In Swahili every noun belongs to one of 14 classes which is marked in most cases by the so-called nominal prefix, e.g. min m-toto ‚child‘, kiin ki-kombe ‚cup‘, or jiin ji-we ‚stone‘.“ TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 59 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 60 Was ist Genus? num - angehören. Insgesamt dürfte das Genus der Nomina im Lateinischen ebenso wie im Französischen und Deutschen nur aufgrund der Kombination unterschiedlicher phonologischer (auslautbezogener), morphologischer und semantischer Regeln vorhersagbar sein. Ein einfaches formales Kriterium, das es erlauben würde, das Genus der Nomina zumindest größtenteils richtig zu bestimmen, ist für diese Sprachen - im Unterschied zum Swahili, aber auch zum Russischen - also nicht gegeben. Noch bis in die letzten Jahre zweifelte man daran, dass sich das Genus in diesen Sprachen überhaupt am Nomen selbst ablesen ließe, die Kongruenz galt als das einzige Indiz. 62 Im zweiten Teil werden wir sehen, dass diese Einschätzung in Anbetracht neuerer Arbeiten zwar korrigiert werden muss, dass aber dennoch fragwürdig ist, ob für Sprachen wie Deutsch oder Französisch tatsächlich von formaler Durchsichtigkeit der Genusklassifikation gesprochen werden kann. Bleibt anzumerken, dass sich das Genussystem des Spanischen - trotz enger Verwandtschaft und starker Ähnlichkeit bzw. Übereinstimmung in einigen anderen Merkmalen (Klassenzahl, kongruierende Elemente) - in diesem Punkt erheblich von dem der romanischen Schwestersprache Französisch (und auch von dem des Deutschen) unterscheidet: es ist durch einen verhältnismäßig hohen Grad formaler Transparenz gekennzeichnet. 63 Um anderen Abschnitten der Arbeit nicht zu weit vorzugreifen, wollen wir es bei diesen Bemerkungen zur generellen Uneinheitlichkeit von Genussystemen belassen, das Kapitel zu Genus und Kongruenz hiermit abschließen und uns nun dem Verhältnis zwischen Genus und anderen grammatischen Kategorien des Substantivs zuwenden. 1.3. Das Genus im Verhältnis zu anderen grammatischen Kategorien des Substantivs Das Genus ist bekanntlich nicht die einzige grammatische Kategorie des Substantivs; Numerus und Kasus zählen ebenfalls dazu, und auch diese sind - wie wir im letzten Kapitel festgestellt haben - (gegebenenfalls) durch Kongruenz 62 So stellt etwa Bloomfield (1933/ 1973: 280) fest: „[…] there seems to be no practical criterion by which the gender of a noun in German, French or Latin could be determined.“ 63 Einen Überblick über die Verteilung unterschiedlicher Genussysteme in einem Sample von insgesamt 256 Sprachen gibt Corbett im World Atlas of Language Structure (vgl. Haspelmath et al. eds. 2005: 126-137); die untersuchten Gesichtspunkte sind neben dem Vorliegen vs. Nicht-Vorliegen eines Genussystems, die Klassenzahl, die semantische Basis der Klassifikation (sex-based vs. non-sex-based) und die Art der Genuszuweisung (semantic vs. semantic and formal). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 60 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr Genus und andere nominale Kategorien 61 gekennzeichnet. Hierbei ist es vor allem die Numeruskategorie, die starke Ähnlichkeiten zum Genus aufweist, da sie - ebenso wie das Genus und im Unterschied zum Kasus - prinzipiell sowohl an den targets der internen als auch an denen der externen Kongruenz erscheint. Dies lässt vermuten, dass Genus und Numerus in besonderer Weise miteinander verbunden sind, eine Vermutung, die in Anbetracht der von Greenberg (1963) aufgestellten Universalien bestätigt wird; gleich vier der im Abschnitt zur Morphologie angegebenen Universalien betreffen insbesondere das Verhältnis von Genus und Numerus; zentral erscheint in unserem Zusammenhang zunächst die folgende: Universal 36. If a language has the category of gender, it always has the category of number. (Ebd.: 112) Sie besagt, dass die Genuskategorie die Numeruskategorie einseitig impliziert: Genus setzt Numerus voraus, kommt immer zusammen mit Numerus vor, nicht aber umgekehrt (Numerus ist nicht an das Vorhandensein von Genus gekoppelt). Für das Verhältnis von Genus und Kasus ist eine entsprechende Relation nicht gegeben: Genussprachen weisen nicht notwendigerweise (grammatische) Kasus auf. 64 Die innige Verbundenheit des Genus mit der Numerusdifferenzierung rechtfertigt, dass wir uns in diesem Abschnitt schwerpunktmäßig auf das Verhältnis von Genus und Numerus konzentrieren. Wir wollen zunächst klären, worin sich das Genus von Numerus und Kasus unterscheidet, dann speziell auf das Zusammenwirken von Genus und Numerus eingehen. 1.3.1. Genus versus Numerus/ Kasus Die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Genus und den übrigen nominalen grammatischen Kategorien ist angesichts der bisherigen Ausführungen geradezu banal: der Hauptunterschied betrifft den neben der Kongruenz genannten konstitutiven Aspekt des Genus, die Klassifikation. Das Genus zeichnet sich Numerus und Kasus gegenüber eben dadurch aus, dass es für eine Subklassifikation der Nomina sorgt. Dies bringt einige andere Differenzen zwischen Genus einerseits und Numerus/ Kasus andererseits mit sich. Die Besonderheit des Genus besteht nämlich dann auch darin, dass das Genus dem Substantiv in der Regel inhärent ist; üblicherweise gehört jedes Substantiv 64 Auch umgekehrt gilt, dass Kasus nicht an die Existenz von Genus - und ebenso wenig von Numerus - geknüpft ist: „Case systems may occur with or without gender systems and with or without the category of number.“ (Greenberg 1963: 95) Sprachen, die Kasus, nicht aber Genus differenzieren, sind z.B. Türkisch und Ungarisch. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 61 16.12.2008 13: 08: 29 Uhr 62 Was ist Genus? genau einer Genusklasse an, während Numerus und Kasus am Lexem wechseln können. Wienold (1967: 187f.) stellt mit Bezug auf die indoeuropäischen Sprachen fest: Das Genus des Substantivs unterscheidet sich von den übrigen grammatischen Modifikationen des Indogermanischen […] dadurch, daß es nicht innerhalb des Paradigmas eines Wortes wechselt, sondern nur zwischen Paradigmen. Es ist als einzige Modifikation fest mit dem jeweiligen Substantiv gekoppelt. Numerus und Kasus hingegen wechseln je nach Satzverhältnissen am Substantiv […]. 65 Dieser Unterschied bewirkt, dass beim Genus nicht von einer Genus-Semantik ausgegangen werden kann, denn [w]enn ein formales Merkmal Bedeutung tragen soll, wenn etwas Ausdruck für einen Inhalt sein soll, dann darf es nicht fest an ein anderes bedeutungstragendes Merkmal, in unserem Falle an ein Lexem gebunden sein; dann muß es beim gleichen Lexem ablösbar oder austauschbar sein. (Werner 1975: 36; vgl. auch Wienold 1967: 138 und 147) Eine sprachübergreifende Bedeutung oder Funktion ist demnach im Falle der Genuskategorie nicht erkennbar oder zumindest nicht in gleicher Weise gegeben wie für die übrigen nominalen Kategorien. In der sprachwissenschaftlichen Diskussion schlägt sich dies insofern nieder, als die Funktion des Genus - „the great unknown in the area of gender“ wie Weber (2000: 496) formuliert - immer wieder Thema und Streitpunkt unterschiedlicher Arbeiten war und auch heute noch ist. In Abschnitt 1.4. werden wir sehen, dass nicht nur umstritten ist, welche Funktion (oder Funktionen) dem Genus zugeschrieben werden kann (können), sondern auch, ob es sich beim Genus überhaupt um eine als funktional zu bezeichnende Kategorie handelt. Im Gegensatz dazu stehen Bedeutung bzw. Funktionalität der Numerus- und Kasuskategorie prinzipiell außer Frage. Dies soll nicht heißen, dass hinsichtlich der Beschreibung dieser Kategorien absolute Einigkeit herrschte; es besagt lediglich, dass - anders als im Falle des Genus - keine Zweifel am Bestehen bestimmter Funktionen gehegt werden. Der Numerus gilt gemeinhin als semantische Kategorie, deren Teilkategorien sich oppositiv beschreiben lassen. Für Sprachen, in denen zwei Numeri - Singular und Plural - unterschieden werden, geht man davon aus, dass der Plural durch das Merkmal [> 1] (lies: ‚größer als eins‘ oder ‚mehr als eins‘), der Singular lediglich negativ, als Nicht-Plural bestimmt werden kann (vgl. 65 Auszunehmen ist hier lediglich die (kleine) Gruppe der Singularia- und Pluraliatantum, die gerade keine Numerus-Distinktion aufweisen (z.B. sp. la ropa, fr. les ténèbres, dt. die Leute). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 62 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Genus und andere nominale Kategorien 63 z.B. Ulrich 1988: 390). 66 Kasus wird in der Regel als funktionale Kategorie angesehen, die der grammatischen Organisation des Satzes dient: Die je nach Einzelsprache variierenden Teilkategorien (Nominativ, Akkusativ, Genitiv etc.) kennzeichnen „die syntaktische Rolle der Objekte bzw. Ergänzungen des Verbs sowie die adnominalen Bezüge innerhalb von Substantivgruppen“ (Lewandowski 6 1994: 514). Halten wir noch einmal fest, in welchen Punkten sich das Genus von den übrigen nominalen Kategorien abhebt, bevor wir auf die Interaktion von Genus und Numerus eingehen: Das Genus zeichnet sich - erstens - dadurch aus, dass es für eine Klassifikation der Nomina sorgt; hiermit hängt - zweitens - zusammen, dass die einzelnen Genera als inhärente, nicht ablösbare oder austauschbare Merkmale der jeweiligen Substantive auftreten und somit - drittens - keine unmittelbar ersichtliche Funktion erfüllen: prinzipiell spezifizieren sie weder die Bedeutung der Nomina, noch sagen sie etwas über deren syntaktische Rolle aus. 67 1.3.2. Zur Interaktion von Genus und Numerus Das Zusammenwirken von Genus und Numerus bzw. allgemein gesprochen von Genus und anderen grammatischen Kategorien - nicht nur den nominalen - kann zwei unterschiedliche Aspekte betreffen. Zum einen mag es insofern zur Interaktion kommen, als die Genusmarkierung mit der Markierung einer anderen Kategorie (oder auch mehrerer) formal zusammenfällt; zum anderen kann die Genusdifferenzierung in bestimmter Weise von der Ausprägung anderer Kategorien abhängig sein. Beide Aspekte sind im Rahmen der Ausführungen zu Genus und Kongruenz bereits angesprochen worden. Ein Zusammenwirken der ersten Art wurde oben für das Abchasische konstatiert: Anhand der Beispiele (19) und (20) zeigten wir, dass hier kein eigenes Genusmorphem vorhanden ist, dass Genus vielmehr im Verbund mit Person und Numerus ausgedrückt wird, in Form der sogenannten ‚pronominalen Affixe‘. 66 Tatsächlich verfügen die meisten Sprachen über ein solches zweigliedriges Numerussystem; es gibt allerdings auch solche, die eine größere Anzahl von Teilkategorien aufweisen und auf die die angegebene Charakterisierung folglich nicht zutrifft. (In einigen Sprachen werden Singular, Plural und Dual (z.B. Griechisch, Gotisch, Slowenisch) oder Singular, Plural, Dual und Trial und/ oder Paucal unterschieden (vgl. Corbett 2000: insb. Kap. 2.3, 38ff.; auch Bußmann 3 2002: 477f., Lewandowski 6 1994: 240f., 754). 67 Aufgrund der genannten Charakteristika des Genus stellt Leiss wiederholt in Frage, dass es tatsächlich (noch) als grammatische Kategorie (des Deutschen) angesehen werden kann (vgl. z.B. Leiss 2000: 235ff., 2005: 12). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 63 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 64 Was ist Genus? Ob diese Art der Interaktion des Genus mit einer oder mehreren anderen Kategorien vorliegt, ist von der Struktur der jeweiligen Einzelsprache abhängig. Welche Kategorien gegebenenfalls gemeinsam mit Genus markiert werden, ist ebenfalls nicht allgemein bestimmbar; aufgrund der Tatsache, dass Genus - gemäß der Greenbergschen Universalie 36 - immer zusammen mit Numerus auftritt, und da Numerusmarkierung darüber hinaus für all diejenigen targets möglich ist, die auch als Genuskongruenten in Frage kommen, kann aber durchaus angenommen werden, dass gerade Genus und Numerus besonders häufig im Ausdruck konvergieren. 68 Anders als man es in Anbetracht der bisherigen Erörterungen vielleicht erwarten würde, ist eine Verschmelzung der Genus- und Numerusmarkierung u.a. auch für das Swahili (und für Bantu-Sprachen im Allgemeinen) charakteristisch. Die sogenannten Klassenpräfixe geben nämlich keineswegs nur über die Klassenzugehörigkeit eines Nomens Aufschluss, sondern auch über die Ausprägung des Numerusmerkmals. Walter (1982: 219) stellt fest, dass „Genus und Numerus […] immer Hand in Hand [gehen]“, dass „die Numeration […] in die Klassifikation integriert [ist]“ Vgl. (Polomé 1967: 96): (40) (a) m-toto - wa-toto KL1-‚Kind‘ - KL2-Kind ‚Kind‘ - ‚Kinder‘ (b) ji-cho - ma-cho KL5-‚Auge‘ - KL6-‚Auge‘ ‚Auge‘ - ‚Augen‘ (c) ki-kapu - vi-kapu KL7-‚Korb‘ - KL8-‚Korb‘ ‚Korb‘ - ‚Körbe‘ Die in (40) (a)-(c) angegebenen Beispiele machen deutlich, dass die unterschiedlichen Präfixe nicht - so wie es die traditionelle Zählung nahelegt - sechs verschiedene Nominalklassen indizieren, sondern lediglich drei. Der 68 Auch andere Forscher betonen, dass Genus und Numerus in morphologischer Hinsicht überaus eng miteinander verbunden sind und „in vielen Sprachen durch kumulative Exponenten ausgedrückt [werden]“ (Serzisko 1982b: 180ff.). Neben diesem morphologischen Aspekt gelten semantisch-funktionale Beziehungen als Indiz für das besondere Verhältnis der beiden Kategorien, das die Mitarbeiter des UNITYP- Projektes letztlich dazu veranlasst hat, sie zu einer Technik (AGREEMENT in GENDER and NUMBER) zusammenzufassen (vgl. Seiler/ Lehmann eds. 1982, Seiler/ Stachowiak eds. 1982, Seiler 1986). Funktionale Affinitäten werden auch in einigen älteren historisch ausgerichteten Arbeiten herausgestellt, etwa von Brugmann. In den vergangenen Jahren sind diese Ansätze wieder verstärkt rezipiert und (vorwiegend) für die historische Analyse des Deutschen fruchtbar gemacht worden (vgl. hierzu etwa Leiss 2000, 2005, Vogel 2000, Weber 2000, 2001, Bittner 2002). Wir werden in Abschnitt 1.4. auf diese Arbeiten noch zu sprechen kommen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 64 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Genus und andere nominale Kategorien 65 Unterschied zwischen den ‚Klassen‘ 1 und 2, 5 und 6, 7 und 8 betrifft nämlich gerade nicht die Klassenzugehörigkeit der Nomina, sondern allein die Kategorie Numerus: Mit Hilfe der Präfixe - mvs. wa-, jivs. ma- und kivs. vi- - werden Singular und Plural der Nomina einer Klasse voneinander abgegrenzt; in (40) (a) erfüllen mvs. wadie gleiche Funktion wie -ø vs. -er in dt. Kind - Kinder oder -ø vs. -s in sp. hijo - hijos und hija - hijas; Entsprechendes gilt für (b) und (c). Dies ist nun auch insofern interessant, als sich die vergleichsweise hohe Zahl der Klassen, die für die Bantu-Sprachen üblicherweise angegeben wird, um ca. die Hälfte reduziert, wenn man die Numerusdifferenzierung ‚herausrechnet‘; für das Swahili jedenfalls gilt, dass nicht nur die in (40) berücksichtigten, sondern „nearly all classes come in singular-plural pairs“ (Krifka 1995: 1398). 69 Hiermit löst sich einer der Hauptgründe für die in Abschnitt 1.1.4. bereits zurückgewiesene Differenzierung von Nominalklassen- und Genussystemen mehr oder minder in Luft auf; die Diskrepanz in puncto Klasseninventar erweist sich im Wesentlichen als beschreibungsbedingt. Creissels (1999: 178f.) stellt in diesem Sinne Folgendes fest: Entre les classes nominales au sens des linguistes africanistes et les genres de la tradition grammaticale européenne, il y a une différence importante mais qui tient uniquement à la façon de décrire ces systèmes, et non pas à quelque chose qui les distinguerait de façon intrinsèque. En effet, le classement traditionnel des noms en genres prend en considération des lexèmes nominaux, ce qui veut dire notamment que deux formes nominales considérées comme le singulier et le pluriel d’un même lexème comptent dans un tel classement pour une seule unité. Par contre, lorsqu’on parle des classes nominales dans les langues Niger-Congo, on se réfère généralement à un classement des formes nominales selon leurs propriétés d’accord, c’està-dire qu’on compte comme deux unités distinctes deux formes susceptibles d’être considérées comme le singulier et le pluriel d’un même lexème. 70 69 Lediglich drei Klassen sind von dieser paarweisen Anordnung ausgenommen und im Hinblick auf den Numerus als neutral zu bezeichnen; es handelt sich um die bereits erwähnten Lokativklassen 16, 17 und 18 sowie um die mit 17 formal identische Infinitivklasse 15 - dies macht insgesamt drei, da 15 und 17 zumeist als eine Klasse 15/ 17 gewertet werden (vgl. hierzu Polomé 1967: 95f. und Welmers 1973: 165ff., der sich an dieser Stelle allerdings nicht auf die Beschreibung des Swahili beschränkt, sondern einige allgemeine Angaben zu den Nominalklassensystemen der Bantu-Sprachen macht). 70 Für die Gründe, die zu dieser Art der Klassenzählung veranlassen, vgl. Welmers (1973: insb. 162ff.). Eine alternative Beschreibung, innerhalb derer die durch unterschiedliche Präfixe gekennzeichneten Singular-Plural-Paare zu jeweils einer Klasse zusammengefasst werden, führt im Falle des Swahili zur Differenzierung von insgesamt 6 Klassen (die numerusneutralen Klassen 15/ 17, 16 und 18 nicht eingerechnet). Diese Vorgehensweise ist - wie Welmers (ebd.: 161) feststellt - in vielen Grammatiken der Bantu-Sprachen durchaus üblich. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 65 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 66 Was ist Genus? Kommen wir nach diesem kurzen Exkurs auf den zweiten oben erwähnten Aspekt des Zusammenspiels von Genus und Numerus zu sprechen: In Abschnitt 1.2.2. wurde darauf hingewiesen, dass die prinzipiell im Genus kongruierenden Elemente nicht immer auf die Klassenzugehörigkeit des Bezugsnomens schließen lassen, da die je unterschiedliche Markierung der einzelnen Klassen unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt oder gänzlich aufgehoben wird - wir sprachen von Einschränkung/ Aufhebung der Kongruenz. Dass u.a. die Numeruskategorie in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, wurde dort unter Rückgriff auf das Tschamalal verdeutlicht. Aufgrund der Analyse der kongruierenden Elemente sind in dieser Sprache fünf Genera zu postulieren; allerdings wird diese Differenzierung lediglich im Singular eindeutig zum Ausdruck gebracht, im Plural reduziert sich die Zahl der anhand der Kongruenten zu differenzierenden Klassen auf zwei. Diese Form der Reduktion ist nun keineswegs eine Ausnahmeerscheinung, sondern Ausdruck einer weiteren Greenbergschen Universalie zum Verhältnis von Genus und Numerus: Universal 37. A language never has more gender categories in nonsingular numbers than in the singular. (Greenberg 1963: 112) Universalie 37 besagt, dass numerusbedingte Einschränkungen hinsichtlich der (Markierung der) Genusopposition - inklusive gänzliche Aufhebung - einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgen und nicht willkürlich variieren. Greenbergs Formulierung ist unseres Erachtens allerdings etwas irreführend. Es kann nämlich durchaus nicht angenommen werden, dass die Anzahl der Genusklassen („gender categories“) im Singular gegebenenfalls höher ist als im Plural oder anderen Teilkategorien (Dual, Trial etc.). Niemand würde behaupten, dass das Tschamalal zugleich fünf und zwei Genusklassen aufweise. Die Anzahl der Genera schwankt nicht. Vielmehr werden die einzelnen Klassen nicht immer eindeutig an den kongruierenden Elementen gekennzeichnet. Es erweist sich hier als sinnvoll, auf eine von Corbett etablierte Differenzierung zu rekurrieren, die parallel zu derjenigen von controller und target verläuft: Corbett (1991: 189) unterscheidet „[…] the groups into which nouns can be divided (controller genders) from the sets of markers (target genders) which appear on agreeing elements“. Diese Unterscheidung trägt der Tatsache Rechnung, dass für das Genus eben zwei Aspekte konstitutiv sind - Klassifikation, d.h. Einteilung der Substantive in eine bestimmte Anzahl verschiedener Klassen, und Kongruenz, d.h. Markierung dieser Klassen an anderen, zum Substantiv gehörenden Elementen. Die Zahl der controller genders, der nominalen Klassen, ist aufgrund einer globalen Analyse der kongruierenden Elemente zu ermitteln und stellt eine feste Größe dar; die Zahl der target TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 66 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Genus und andere nominale Kategorien 67 genders kann hingegen variieren, z.B. in Abhängigkeit von der Kategorie Numerus. 71 Unter Rückgriff auf diese Differenzierung ist Greenbergs Universalie wie folgt zu reformulieren: Universal 37’. A language never has more target genders in nonsingular numbers than in the singular. Im Hinblick auf das zahlenmäßige Verhältnis der target genders in den verschiedenen Numeri sind demnach zwei Typen von ‚Systemen‘ zu unterscheiden: solche, die im Nicht-Singular ebenso viele target genders aufweisen wie im Singular, und solche, die im Nicht-Singular weniger target genders aufweisen als im Singular. Im einfachsten Fall sind erstere parallel strukturiert (d.h.: 1 : 1 Zuordnung der target genders in den unterschiedlichen Numeri), während letztere als konvergent oder synkretistisch bezeichnet werden können (d.h. (partieller) Zusammenfall der im Singular differenzierten target genders im Nicht-Singular). 72 Sofern beide Kategorien binär ausgeprägt sind, sofern 2 Genusklassen - Klasse 1 und Klasse 2 - und zwei Numeri - Singular und Plural - unterschieden werden, ergibt sich folgendes Bild: Paralleles System: Konvergentes System: KL1/ S KL1/ PL KL2/ S KL2/ PL KL1/ S KL1, 2/ PL KL2/ S 71 Vgl. hierzu auch Corbett (1991: 154): „As far as controller genders are concerned, gender and number are typically independent; a noun has a particular gender, irrespective of the number it stands in. Gender is inherent to the noun and is in a sense prior to the number in which it occurs in a given sentence. […] Target genders, on the other hand, may be found in combination with other categories and so they may vary according to the other categories involved.“ 72 Es sei hier explizit darauf hingewiesen, dass die Unterscheidung paralleler und konvergenter Systeme in erster Linie auf der Zuordnung der target genders in den unterschiedlichen Numeri basiert, nicht auf deren Anzahl; nichtsdestotrotz sind die skizzierten zahlenmäßigen Verhältnisse für diese Systemtypen charakteristisch, sie folgen aus den jeweiligen Zuordnungsregularitäten und stellen ein notwendiges Kriterium für das Vorliegen von Parallelität resp. Konvergenz dar, nicht aber ein hinreichendes, da sie - wie wir im weiteren Verlauf des Abschnitts sehen werden - zur Abgrenzung eines weiteren Systemtyps eben nicht herangezogen werden können. Die hier verwendeten Termini gehen vor allem auf Corbett (1991: 150ff.) zurück, der von „parallel systems“ und „convergent systems“ spricht; Serzisko (1982b) unterscheidet „vollständige Opposition“ und (verschiedene Formen von) „Synkretismus“. Heine (1982) fasst beide Typen unter der Bezeichnung „paired systems“ zusammen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 67 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 68 Was ist Genus? Parallele Beziehungen finden sich u.a. im geschriebenen Französisch und im Spanischen, wie etwa anhand der folgenden Beispiele gezeigt werden kann: (41) Fr. (un) petit garçon - (des) petits garçons (une) petite fille - (des) petites filles (42) Sp. (un) niño pequeño - (unos) niños pequeños (una) niña pequeña - (unas) niñas pequeñas Die Adjektive petit und pequeño weisen im Singular wie im Plural zwei target genders auf, die den unterschiedlichen controller genders entsprechen. In Anlehnung an die obigen Schemata und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die target genders - ebenso wie die controller genders - üblicherweise als ‚Maskulinum‘ und ‚Femininum‘ bezeichnet werden, lässt sich dies wie folgt darstellen: M/ S M/ PL F/ S F/ PL Von der Tatsache, dass in den genannten Fällen ein Genus- und ein Numerusmorphem isoliert werden können, soll hier abgesehen werden; wir begnügen uns mit der Feststellung, dass den vier Kombinationen M/ S, F/ S, M/ PL, F/ PL je spezifische Markierungen entsprechen - -ø, -e, -øs, -es im Falle des Französischen (code graphique), -o, -a, -os, -as im Falle des Spanischen. Ein anderes Bild ergibt sich - und hierauf wurde ja bereits mehrfach hingewiesen - im Tschamalal. Nach den bisherigen Ausführungen haben wir es in diesem Fall mit einem konvergenten System der folgenden Form zu tun: KL1/ S KL1, 2/ PL KL2/ S KL3/ S KL4/ S KL 3, 4, 5/ PL KL5/ S Konvergenz liegt auch im Deutschen vor. Im Singular werden hier (maximal) drei target genders differenziert, die Ausdruck der traditionsgemäß als ‚Maskulinum‘, ‚Femininum‘ und ‚Neutrum‘ bezeichneten nominalen Klassen (controller genders) sind, im Plural wird die Genusdifferenzierung hingegen nicht zum Ausdruck gebracht; die targets weisen (jeweils) nur eine Form auf. Vgl. z.B. das Verhalten des bestimmten Artikels in (43): TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 68 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Genus und andere nominale Kategorien 69 (43) (a) der Anzug - die Anzüge (b) die Hose - die Hosen (c) das Hemd - die Hemden Für das Deutsche ergibt sich dementsprechend folgendes Schema: M/ S F/ S M, F, N/ PL N/ S Zu berücksichtigen ist nun aber, dass die Beziehung zwischen Genus und Numerus, die ja die target genders betrifft, je nach target variieren kann. Mit Bedacht wurde oben von verschiedenen ‚Systemen‘ (in Anführungszeichen) gesprochen. Die anhand der Auswertung bestimmter Kongruenten konstatierte Genus-Numerus-Relation kann nämlich nicht unbedingt als Charakteristikum des Gesamtsystems der jeweiligen Einzelsprache aufgefasst werden. Vielmehr kann die Analyse verschiedener Kongruenten durchaus zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Beschaffenheit der Genus/ Numerus-Relation führen. Dies macht sich auch insofern bemerkbar, als die Angaben zu einer bestimmten Einzelsprache in diesem Punkt (scheinbar) widersprüchlich ausfallen können: So ist z.B. festzustellen, dass das Französische sowohl im Rahmen der Darstellung paralleler Systeme (vgl. Corbett 1991: 152, 155) als auch bei der Diskussion konvergenter Systeme auftaucht (vgl. Serzisko 1982b: 182). Dieser Widerspruch kommt dadurch zustande, dass das Verhalten unterschiedlicher targets zugrunde gelegt wird: Corbetts Aussage, dass es sich beim Französischen um ein paralleles System handele, basiert ganz offenbar auf der Verallgemeinerung von Beispielen des in (41) angegebenen Typs, Serzisko hingegen verweist auf die Formen des definiten Artikels, und mit Bezug auf diese kann sehr wohl von Genussynkretismus gesprochen werden; vgl.: (44) (a) le garçon - les garçons (b) la fille - les filles In diesem Fall gilt also: M/ S M, F/ PL F/ S Halten wir fest, dass die anhand der Auswertung bestimmter Kongruenten erhobenen Aussagen zum Verhältnis von Genus und Numerus nicht zwingend für die jeweilige Einzelsprache in toto gültig sind; Reduktion resp. Aufrecht- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 69 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 70 Was ist Genus? erhaltung der Genusklassenmarkierung im Nicht-Singular kann - wie die französischen Beispiele belegen - vom target-Element abhängen. 73 Auch in anderer Hinsicht schließen sich Parallelität und Konvergenz nicht unbedingt gegenseitig aus. Bei Sprachen, die über mehr als zwei Genusklassen verfügen, ist es nämlich durchaus üblich, dass die im Singular unterschiedenen target genders im Nicht-Singular lediglich teilweise zusammenfallen; nur bestimmte Klassen werden im Plural (und ggf. in anderen Numeri) identisch markiert, andere werden sowohl im Singular als auch im Plural (u.a.) differenziert. Zwar kann auch hier von Konvergenz gesprochen werden - dies deckt sich mit der oben in Anlehnung an Corbett (1991: 155ff.) zugrunde gelegten Bestimmung -, dennoch stellt sich die Genus/ Numerus-Relation in einem solchen Fall etwas anders dar, als bislang skizziert wurde. Greifen wir zur Illustration noch einmal auf das Swahili zurück: Die meisten Klassen werden - so stellten wir fest - durch je spezifische Singular- und Pluralpräfixe gekennzeichnet. Diese Parallelität (sic! ) wird an nur einer Stelle aufgebrochen; nur zwei der im Singular unterschiedenen target genders ‚teilen‘ sich im Plural ein Präfix (vgl. hierzu Polomé 1967: 94ff. und Welmers 1973: 161ff.). Fasst man die Singular- und Pluralformen - so wie es für die indoeuropäischen Sprachen üblich ist - zu jeweils einer Klasse zusammen und sieht man von den numerusneutralen Klassen ab, so ergibt sich folgende Zuordnung: 73 Darüber hinaus trifft man bei der Betrachtung einzelner Kongruenten durchaus auch auf Beispiele, die der genannten Universalie (in enger Lesart) zuwiderlaufen. Wie Plank/ Schellinger (1997) zeigen, verfügen unterschiedliche Sprachen nicht selten über bestimmte target- Elemente, die im Plural stärker differenziert sind als im Singular - vor allem im pronominalen Bereich. Dies gilt z.B. für das Spanische, das bei den Pronomina der 1. und 2. Person lediglich im Plural zwei target genders unterscheidet (yo vs. nosotros/ nosotras, tú vs. vosotros/ vosotras). Stellt man jedoch Singular und Nicht-Singular des gesamten Pronominalparadigmas gegenüber, so ergibt sich hier wie auch in anderen der bei Plank/ Schellinger aufgeführten Fälle ein anderes Bild. Eine umfassendere Analyse der kongruierenden Elemente reduziert die Zahl derjenigen Sprachen, die im Widerspruch zu Universalie 37’ stehen, erheblich. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ‚echte‘ Gegenbeispiele (im skizzierten Sinne) wiederum in erster Linie im pronominalen Bereich und damit bei einem Kongruenten-Typ zu finden sind, der sich - wie oben gezeigt - auch in anderer Hinsicht als untypisch erweist. Insgesamt ist unter den bei Plank/ Schellinger angeführten Sprachen - soweit wir sehen - nur eine zu finden, die außerhalb des pronominalen Bereichs und Kongruenten-Typ übergreifend im Nicht-Singular mehr target genders aufweist als im Singular, nämlich Yimas (Papua-Neuguinea) (vgl. ebd. 89ff.). Wir halten es aufgrund dieser Datenlage für gerechtfertigt, die Universalie weiterhin als Ausgangspunkt zugrunde zu legen, auch wenn sie keine uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen kann. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 70 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Genus und andere nominale Kategorien 71 KL1/ S KL1/ PL KL2/ S KL2/ PL KL3/ S KL3/ PL KL4/ S KL4/ PL KL5/ S KL 5, 6/ PL KL6/ S Betrachtet man die einzelnen target genders, so erscheint es durchaus angemessen, von Parallelität und von Konvergenz zu sprechen. Es wäre also zu überlegen, ob es nicht sinnvoll sein könnte, die Differenzierung zwischen parallelen und konvergenten Systemen um Mischsysteme oder partiell konvergente Systeme zu erweitern. Parallele Systeme zeichnen sich durch Eineindeutigkeit aus - „gender in one number determines gender in the other and vice versa (Corbett 1991: 155) - wir veranschaulichten dies durch die Verwendung des Doppelpfeils ‚ ‘; konvergente Systeme sind mehreindeutig, d.h., „the target gender in one number determines gender in the other, but not vice versa“ (ebd.) - dies wurde durch den einfachen Pfeil ‚ ‘ angezeigt; Mischsysteme sind global betrachtet zwar ebenfalls mehreindeutig, nimmt man jedoch die einzelnen target genders als Ausgangspunkt, dann liegt sowohl Mehreindeutigkeit als auch Eineindeutigkeit vor - im Schaubild erscheint sowohl der einfache Pfeil ‚ ‘ als auch der Doppelpfeil ‚ ‘. Gemeinsamer Nenner aller bislang betrachteten Systeme ist, dass ausgehend von den target genders eines Numerus, des Singulars, auf diejenigen des anderen Numerus, in unseren Beispielen des Plurals, geschlossen werden kann; 74 In diesem Punkt unterscheiden sie sich von einem weiteren Typ, dem sogenannten ‚über Kreuz‘-System; 75 hier gilt: […] gender in neither number determines the gender in the other; there is what some would call a many-to-many mapping between the target genders in the different numbers. (Corbett 1991: 156) Wir wollen diesen Systemtyp am Beispiel einer romanischen Sprache illustrieren, die eben aufgrund der spezifischen Relation von Genus und Numerus im Rahmen der Beschäftigung mit Nominalklassifikation häufig auftaucht und immer wieder kontrovers diskutiert worden ist; es handelt sich um das Rumänische. 74 Es ist diese Gemeinsamkeit, die Heine (1982) dazu veranlasst, alle bislang betrachteten Systeme unter der Bezeichnung paired systems zusammenzufassen. 75 Wir legen hier den englischen Terminus crossed system(s) zugrunde, der z.B. von Corbett (1991) und Heine (1982) verwendet wird. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 71 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 72 Was ist Genus? Eine Analyse der kongruierenden Elemente macht deutlich, dass im Rumänischen zwei target genders unterschieden werden, und zwar sowohl im Singular als auch im Plural, dennoch handelt es sich nicht um ein paralleles System. Vgl. (Engel et al. 1993: 489): (45) (a) om bun - creion bun - femeie bună ‚guter Mann‘ ‚guter Bleistift‘ ‚gute Frau‘ (b) un om - un creion - o femeie ‚ein Mann‘ ‚ein Bleistift‘ ‚eine Frau‘ (46) (a) oameni buni - creioane bune - femei bune ‚gute Männer‘ ‚gute Bleistifte‘ ‚gute Frauen‘ (b) doi oameni - două creioane - două femei ‚zwei Männer‘ ‚zwei Bleistifte‘ ‚zwei Frauen‘ (45) (a) zeigt, dass das Adjektiv bun im Singular zwei Formen aufweist, die auf die unterschiedliche Klassenzugehörigkeit der Nomina om und creion gegenüber femeie hindeuten; Entsprechendes gilt für das Zahlwort un in (b). Aufgrund der Pluralformen von bun in (46) (a) und derjenigen für ‚zwei‘ in (b) sind ebenfalls zwei Klassen zu differenzieren; hier aber fallen die Nomina creion und femeie zusammen: die targets dieser sind identisch markiert, om weist ein ‚eigenes‘ Kongruenzaffix auf. Während die Nomina om und femeie sowohl im Singular als auch im Plural differenziert sind und somit eindeutig zwei verschiedenen Klassen zugeordnet werden können, führt die Analyse der kongruierenden Elemente im Fall von creion scheinbar zu widersprüchlichen Angaben: Unter Zugrundelegung des Singulars gehört creion derselben Klasse an wie om, unter Zugrundelegung des Plurals derselben wie femeie. Die Verteilung der vier Formen, die wir zunächst mit X 1 (= target gender von om und creion im Singular), X 2 (= target gender von femeie im Singular), X 3 (= target gender von om im Plural) und X 4 (= target gender von femeie und creion im Plural) kennzeichnen wollen, ist dementsprechend wie folgt darzustellen: X 1 X 3 X 2 X 4 Nun haben wir oben explizit darauf hingewiesen, dass die controller genders nur aufgrund einer globalen Analyse der kongruierenden Elemente zu ermitteln sind. Berücksichtigt man dies, so kommt man zu dem Ergebnis, dass im Rumänischen nicht zwei, sondern drei Genusklassen unterschieden werden müssen. Die Analyse der kongruierenden Elemente im Singular und Plural lässt kein anderes Ergebnis zu, auch wenn die Klassenzugehörigkeit von TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 72 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Genus und andere nominale Kategorien 73 Nomina wie creion weder im Singular noch im Plural durch eine spezifische Form am target-Element markiert ist. Die traditionellerweise als Maskulinum bezeichnete Klasse besteht aus Substantiven, die am target-Element die Markierungen X 1 , X 3 auslösen - im Falle des Adjektivs bun -ø, -i; die Klasse der Feminina setzt sich aus Substantiven zusammen, deren targets mit X 2 , X 4 gekennzeichnet sind - im Fall von bun -a, -e; die dritte Klasse, das Neutrum, umfasst diejenigen Nomen, deren Kongruenten die Marker X 1 , X 4 aufweisen - im Fall von bun -ø, -e. Um deutlich zu machen, dass im Rumänischen insgesamt drei nominale Klassen - Maskulinum, Femininum und Neutrum - und zwei Numeri - Singular und Plural, also insgesamt sechs Kategorienkonstellationen zu unterscheiden sind, die durch ein Inventar von nur vier Formen erfasst werden, kann das obige Schema im Hinblick auf die abstrakte Notation der target genders wie folgt modifiziert werden: M, N/ S M/ PL F/ S F, N/ PL Die Besonderheit des Rumänischen den anderen bislang betrachteten Sprachen gegenüber besteht darin, dass die target genders - insgesamt gesehen - durch Mehrmehrdeutigkeit gekennzeichnet sind. Generell kann man weder von den Markierungen des Singulars auf diejenigen des Plurals noch umgekehrt von den Pluralformen auf diejenigen des Singulars schließen. Hieraus folgt, dass die Klassenzugehörigkeit der Nomina in keinem der beiden Numeri eindeutig markiert ist und nur unter Zugrundelegung der Singular- und Pluralformen ermittelt werden kann. Wir können auch sagen, dass die Numerusdifferenzierung unmittelbar zur Unterscheidung der nominalen Klassen beiträgt. Fassen wir die wichtigsten Punkte noch einmal zusammen. Mit Bezug auf die Anzahl der target genders im Singular: Nicht-Singular können - gemäß der Greenbergschen Universalie 37 - zwei ‚Systemtypen‘ unterschieden werden: Systeme, die im Nicht-Singular ebenso viele target genders aufweisen wie im Singular, können solchen gegenübergestellt werden, die im Nicht-Singular weniger target genders aufweisen als im Singular. Mit Bezug auf die Relation der target genders sind hingegen drei (Haupt-)Typen von Systemen zu unterscheiden: parallele Systeme, konvergente Systeme und ‚über Kreuz‘-Systeme. 76 76 Dass diese Unterscheidung noch weiter verfeinert werden könnte, wurde oben am Beispiel konvergenter vs. partiell konvergenter Systeme illustriert, deren target genders teilweise parallel strukturiert sind. Auch bei den ‚über Kreuz‘-Systemen sind ‚Mischformen‘ möglich, die als eigene Typen bzw. Untertypen geführt werden könnten. Wir begnügen uns hier mit einer zusammenfassenden Charakterisierung der drei Haupttypen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 73 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 74 Was ist Genus? Parallele Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass die target genders in den unterschiedlichen Numeri im Verhältnis 1 : 1 stehen: den im Singular differenzierten Formen entspricht je eine Nicht-Singular-Form und umgekehrt (Eineindeutigkeit). Dies bedeutet, dass sowohl vom Singular als auch vom Nicht-Singular ausgehend auf die controller genders, die nominalen Klassen, geschlossen werden kann. Die Numerusdifferenzierung hat demnach keinen Einfluss auf die Markierung der Genusopposition. Bei konvergenten Systemen fallen mindestens zwei der im Singular differenzierten target genders im Nicht-Singular zusammen (Mehreindeutigkeit), so dass die controller genders insgesamt nur auf der Grundlage der Singular-Formen identifiziert werden können. Hier kommt es also zu numerusbedingten Einschränkungen hinsichtlich der Markierung der Genusopposition, gegebenenfalls zur gänzlichen Neutralisierung. ‚Über Kreuz‘-Systeme sind dadurch gekennzeichnet, dass die target genders des Singulars (zumindest teilweise) je unterschiedlichen target genders des Plurals (und/ oder anderer Numeri) zugeordnet sind und umgekehrt (Mehrmehrdeutigkeit). In diesem Fall sind die Nominalklassen nur anhand der Analyse der Singular- und Nicht-Singular-Formen identifizierbar; der Numerus trägt somit unmittelbar zur Genusdifferenzierung bei. Während parallele und konvergente Systeme aufgrund der Zuordnungsstruktur der target genders immer jeweils einem der beiden rein zahlenmäßig zu unterscheidenden Typen entsprechen, sind ‚über Kreuz‘-Systeme der zahlenmäßigen Differenzierung gegenüber indifferent - im Falle des Rumänischen ist die Anzahl der target genders im Singular ebenso hoch wie im Plural, andere ‚über Kreuz‘-Systeme weisen im Plural und/ oder anderen Numeri weniger target genders auf als im Singular (für Beispiele vgl. z.B. Corbett 1991: 154 und 190ff.). 77 Bleibt zu berücksichtigen, dass die Genus-Numerus- Relation vom target-Element abhängen, d.h. je nach target-Element variieren kann. 78 Wie wir zu Beginn dieses Abschnitts deutlich gemacht haben, kann auch mit Bezug auf die morphologische Ebene vom Zusammenwirken der beiden Kategorien gesprochen werden. Hier gilt, dass die ausdrucksseitige Verschmelzung der Genus- und Numerusmarkierung eher den Normalfall darstellt; es gibt allerdings auch Sprachen, in denen beide Kategorien durch sepa- 77 Die geringere Anzahl der target genders im Plural ist darauf zurückzuführen, dass zum Teil konvergente Strukturen vorliegen. Es handelt sich hier immer um gemischte ‚über Kreuz‘- Systeme. 78 Ferner muss berücksichtigt werden, dass die Relation der target genders bei Sprachen, die über ein mehr als zweigliedriges Numerussystem verfügen, nicht unbedingt einheitlich ausfällt; so kann z.B. im Falle eines dreigliedrigen Numerussystems bestehend aus Singular, Dual und Plural das Verhältnis zwischen Singular und Dual anders beschaffen sein als das zwischen Dual und Plural (vgl. hierzu Corbett 1991: 192f.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 74 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 75 rate Morpheme markiert werden. ‚Zwingende‘ Korrelationen zwischen dem morphologischen Aspekt (ausdrucksseitige Verschmelzung resp. Trennung der beiden Kategorien) und dem Vorliegen bzw. Vorherrschen bestimmter target gender-Strukturen (parallel, konvergent und ‚über Kreuz‘) sind nicht auszumachen. 1.4. Zur Behandlung und Beurteilung des Genus in der Sprachwissenschaft Die Tatsache, dass das Genus „in erster Linie mit den Substantiven zu tun hat“ (Werner: 1975: 35), andererseits aber (in der Regel) nicht am Nomen selbst, sondern über die Kongruenz an anderen, zum Substantiv gehörenden Elementen zum Ausdruck gebracht wird, hat zur Folge, dass es innerhalb der Sprachwissenschaft eine besondere Stellung einnimmt: Es fällt zum einen in den Bereich der Lexikologie und Lexikographie, die im Idealfall ‚angewandte Lexikologie‘ ist (vgl. Wunderli 1989: 17); 79 zum anderen fällt es in den Bereich der Syntax. Ullmann (1962: 34) bemerkt: [gender] is part of the constitution of each noun; even an isolated noun, torn out of all context, will have its gender […] In principle, then, one might be tempted to include gender in lexicology. On the other hand it […] plays an important role, through concord, in the structure of the sentence, so that it will be more expedient, on the whole, to treat it in syntax. Da die Kongruenz generell als definitorisches Kriterium für das Genus anerkannt wird, ist der syntaktische Aspekt in den unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Arbeiten zwar nie ganz vernachlässigt worden, dennoch steht er nicht unbedingt im Mittelpunkt der Forschung. Vielmehr hat neben der in das Gebiet der Syntax fallenden Beschäftigung mit dem „Funktionieren der Elemente in ihren Anordnungen“ immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Genus stattgefunden, innerhalb derer man sich auf „das Funktionieren der Anordnung von Elementen“ (Wienold 1967: 1) konzentrierte. Eine gleichberechtigte Behandlung beider Gesichtspunkte bildet aber sowohl in älteren als auch in neueren Arbeiten eher die Ausnahme; zumeist wurde und wird die Hauptaufmerksamkeit tatsächlich auf jeweils einen der beiden Aspekte - die Klassifikation und die klassifizierten Elemente oder die Kongruenz - gerichtet. 80 Dass diese Unterschiede in der Schwerpunktsetzung eine Ursache für die 79 Dass die Genuskategorie auch innerhalb der Lexikographie eine Rolle spielt, ist schon daraus ersichtlich, dass das Genus eines Substantivs im Wörterbuch stets angegeben wird. 80 Dies stellt auch Hoberg (2004: 6) heraus; sie bemerkt: „Der syntaktische Aspekt wird einerseits - vor allem in älteren Darstellungen - weitgehend ignoriert, andererseits wird Genus häufig auf Korrespondenzherstellung reduziert […]“. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 75 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 76 Was ist Genus? divergierende Beurteilung des Genus darstellen, wird im nächsten Abschnitt deutlich gemacht, in dem wir vor allem auf die kontroverse Diskussion um die Funktion der Genuskategorie eingehen. Im Anschluss soll ein allgemeiner Einblick in diejenigen Arbeiten gegeben werden, die sich auf die Klassifikation bzw. Genuszuweisung konzentrieren. Viele der im Folgenden nur grob skizzierten Punkte werden im zweiten und dritten Teil der Arbeit noch einmal aufgegriffen und präzisiert. 1.4.1. Genus: funktionale, afunktionale oder semantisch motivierte Kategorie? Die syntaktische Leistung des Genus besteht darin, über die Kongruenz die Bezüge der Elemente innerhalb eines Satzes bzw. mit Hilfe anaphorischer (und kataphorischer) Pronomina auch über die Satzgrenze hinaus zu verdeutlichen. Wir wollen dies anhand einiger deutscher, französischer und spanischer Beispiele illustrieren. Eine disambiguierende Funktion kommt dem Genus schon in den folgenden Fällen zu: (47) Dt. ein unheimlich großes Tier vs. ein unheimliches, großes Tier (48) Fr. une preuve de son talent convaincant vs. une preuve de son talent convaincante (49) Sp. una historia de amor verdadero vs. una historia de amor verdadera Als besonders relevant erweist sich die Genusdistinktion aber bei der Pronominalisierung. Einige Forscher sehen hier „die Hauptaufgabe und die eigentliche Daseinsberechtigung des Genus“ (Werner 1975: 53f.); 81 vgl.: (50) Dt. Der Mann übergibt der Schwester das Kind. Er kennt sie schon lange vs. Er kennt es schon lange vs. Sie kennt ihn schon lange usw. (ebd.: 52f.) (51) Fr. L’année dernière Monique et François sont partis au Mexique pour y vivre. Lui, il est retourné en France peu après tandis qu’elle, elle y reste toujours vs. Elle, elle est retournée en France peu après tandis que lui, il y reste toujours. 81 Vgl. hierzu z.B. auch Lyons (1971/ 1995: 292), der sich - anders als Werner - nicht auf das Genussystem einer bestimmten Einzelsprache bezieht: „Zweifellos fällt der pronominalen Funktion des Genus bei der sprachlichen Kommunikation die primäre Bedeutung zu.“ TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 76 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 77 (52) Sp. El novio de mi amiga, el que conociste anoche en la fiesta … vs. El novio de mi amiga, la que conociste anoche en la fiesta … In (50), (51) und (52) sind die korrekten Bezüge zwischen anaphorischem Pronomen und Antezedens allein aufgrund der Genusdistinktion herstellbar. Die Genusdifferenzierung sorgt für klare Referenzidentitäten, gewährleistet „Eindeutigkeit bei der pronominalen Referenz“ (Köpcke/ Zubin 1996: 481). Diese Funktion wird auch als ‚Erklärung‘ dafür herangezogen, dass Nomina, die einem Wortfeld angehören, gerade nicht im Genus übereinstimmen - im Falle des Deutschen, Französischen und Spanischen etwa Körperteilbezeichnungen, Bezeichnungen für Essbestecke u.v.a. 82 Köpcke/ Zubin (ebd.) konstatieren: Die textverweisende und Kohärenz sichernde und ermöglichende Funktion des Genus macht es gerade bei solchen Wortfeldern, für die man vermuten kann, daß in einer kommunikativen Situation im allgemeinen auf mehr als ein Mitglied verwiesen wird, sinnvoll, möglichst große Heterogenität anstatt Homogenität bei der Genuskategorisation zu haben. Die semantische Undurchsichtigkeit vieler Genussysteme hätte demnach kommunikativen Nutzen. 83 Doch die aus der Kongruenz resultierenden Funktionen des Genus werden in zahlreichen Arbeiten entweder nicht (an)erkannt oder nicht in den Vorder- 82 Vgl. z.B. dt. das Bein - der Arm - die Hand, fr. le bras - la main (auch: la jambe), sp. el brazo - la mano (auch: la pierna); dt. das Messer - der Löffel - die Gabel, fr. le couteau - la cuillère (auch: la fourchette), sp. el cuchillo (auch: el tenedor) - la cuchara. 83 Als relevant erweist sich die Heterogenität bei der Genuskategorisation nicht nur für den anaphorischen, sondern auch für den deiktischen Gebrauch der Pronomina. Stellen wir uns folgende Situation vor: Marie und François wollen mit ihrem Auto einen Tisch und ein Sofa transportieren. Die beiden Gegenstände stehen neben dem Auto. Wenn Marie sagt On n’arrivera jamais à la faire entrer dans la voiture, so ist klar, dass sie sich auf den Tisch und nicht auf das Sofa bezieht, denn sonst hätte sie gesagt On n’arrivera jamais à le faire entrer dans la voiture. (Interessant ist bei derartigen Fällen, dass die Form des Pronomens fest bestimmt ist, obwohl im Kotext der Äußerung kein genusdeterminierendes Antezedens auftaucht. Zur Erklärung der Tatsache, dass ein ganz bestimmter Ausdruck (z.B. hier: table und nicht etwa meuble o.Ä.) als default term fungiert, wird gemeinhin auf die „vertikale Dimension“ der Prototypentheorie (Kleiber 1993) zurückgegriffen. Insgesamt scheint die Funktion des Genus im Falle der deiktischen Pronomina in einigen Arbeiten nicht gebührend berücksichtigt zu werden, dabei wird durch die Kongruenz gerade hier „effektive pronominale Referenz ermöglicht“ (Köpcke/ Zubin 1996: 481). Der Grund für diese Vernachlässigung ist zum Teil aber wohl auch darin zu sehen, dass zwischen anaphorischer und deiktischer Funktion der Pronomina nicht differenziert wird, und in der Tat erweist sich diese Differenzierung in einigen Fällen als schwierig (vgl. hierzu Corbett 1991: 241ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 77 16.12.2008 13: 08: 30 Uhr 78 Was ist Genus? grund gestellt. Viele Forscher sehen im Genus „a meaningless form, devoid of content“ (Fodor 1959: 3): Brugmann (1889: 101) merkt an, dass „Maskulinum und Femininum als grammatische Geschlechter für die Sprache des gewöhnlichen Lebens eine nichtssagende Form sind“, Meillet (1919/ 2 1982: 206) bezeichnet die Genusdifferenzierung als „distinction inutile“, Ibrahim (1973: 26) spricht vom Genus als „unessential category, which serves no useful purpose that cannot be served by some other means“, und in einer neueren Auseinandersetzung mit der Funktionsfrage kommt Trudgill (1999: 143) zu dem Schluss, dass es sich beim Genus um eine ‚vergleichsweise afunktionale‘ Kategorie handele. 84 Stellt man die unterschiedlichen grammatischen Kategorien einander gegenüber, so ergibt sich - laut Trudgill (1999: 142f.) - folgendes Bild: […] case, number, tense, aspect, person, mood and voice are all, like gender, grammatical categories that can be morphologically manifest in languages. Unlike grammatical gender, however, which appears to be of relatively little benefit for purely communicative purposes, […] it is much easier to see intuitively what these categories are ‚for‘ […]. Andere Autoren gehen noch weiter: Sie beurteilen das Genus als „something disadvantageous and cumbersome, complicated but empty, an obstacle to simple expression“ (Fodor 1959: 6), als ‚parasitäre‘ Kategorie (vgl. Sapir 1921: 97) oder „geistlose Belastung unserer Sprachen“ (Wandruzska 1969: 185). Diejenigen, die im Genus eben keine überflüssige Kategorie sehen, den syntaktischen Aspekt aber ebenso wenig als zentral erachten, versuchen einen semantischen oder inhaltlichen Wert der Klassifikation anzugeben. Wienold (1967: 146) stellt fest: Irgendetwas Bedeutungshaftes wurde hinter dem in der Rede redundanten, wenn auch im Sprachgebrauch notwendig zu befolgenden, nur sinnstützenden […] nicht sinnkonstituierenden Phänomen der kongruierenden Klassen vermutet und häufig dann als ‚Bedeutung‘ für eine Sprache formuliert […]. Im Falle der indoeuropäischen Sprachen wird das Genus in erster Linie als Ausdruck des natürlichen Geschlechts angesehen. Besonders deutlich manifestiert sich diese Sichtweise in Arbeiten des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen man systematisch zu belegen versuchte, dass der Ursprung des Genus (im Indogermanischen) auf die Sexusunterscheidung zurückzuführen, der Real-Unterschied als Grund, Anlass oder Zweck der nominalen Klassifikation 84 Auch Hickey (2000: 621) spricht von ‚Afunktionalität‘ des Genus („afunctional nature of grammatical gender“). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 78 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 79 zu betrachten sei. Die Genuskategorie gilt hier als semantisch bzw. außersprachlich motivierte Kategorie. 85 Fodor (1959: 6, 7, 16) bezeichnet derartige Theorien zum Ursprung des Genus als Theorien des natürlichen Geschlechts („theory of natural gender“ bzw. „sex theory“) und grenzt sie von einer zweiten Großgruppe, den ‚formalen‘ Theorien ab, die innersprachliche Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungen als Gründe für die Genusdifferenzierung annehmen („theories that […] are trying to look for a clue in the inner laws of language“, „above all in the force of analogy“); Royen (1929: 15, 94 u.a.) spricht von „sexualistischen“ und „morphologischen“ Theorien. Insgesamt lassen sich diese konträren Betrachtungsweisen des Genus - semantisch versus formal - bis zur griechischen Antike zurückverfolgen (vgl. Fodor 1959: 3 und Royen 1929: 15), und sie spiegeln sich durchaus auch in zeitgenössischen Arbeiten zum Genus wider. Es ist nun zu beachten, dass die beiden Positionen zwar prinzipiell gegensätzlich sind, dass sie sich aber nicht unbedingt gegenseitig ausschließen. Dies soll heißen, dass in formal ausgerichteten Ansätzen durchaus auch eine Beziehung zwischen Genus und Sexus und evtl. auch andere semantische Aspekte am Genus berücksichtigt werden und umgekehrt. Royen (1929: 42) konstatiert: Man hatte im Genus der Nomina abwechselnd etwas Formales oder etwas Reales gesehen. Wir wissen indessen bereits, daß man sich dieses Formal : Real nicht so einfach vorstellen darf, als ob diese zwei Auffassungen einander in allen Teilen vollkommen ausgeschlossen hätten. Die ‚Realisten‘ wußten recht gut, daß das nominale Genus […] auch eine formale Seite hatte. Und ebensowenig war es den ‚Formalisten‘ entgangen, daß u.a. bei den Namen sexualer Wesen bis zu einem gewissen Grade ein Zusammenhang zwischen Sexus und Genus angenommen werden müsse. Auch Fodor trägt dieser Tatsache Rechnung; er betont, dass es sich bei einigen der von ihm vorgestellten theoretischen Arbeiten zum Ursprung des Genus um Mischformen handelt, wobei er dies jedoch offenbar als Mangel ansieht: The views belonging to these two groups are not always sharply defined. Not unfrequently the exponent of one or the other view is not able to maintain his standpoint consistently. (Fodor 1959: 6) 85 Wie im zweiten Teil der Arbeit noch genauer zu zeigen sein wird, sind die in diesem Zusammenhang gemachten Aussagen aus heutiger Sicht nicht haltbar, dennoch weisen einige zeitgenössische Arbeiten eine gewisse Nähe zu diesen älteren Ansätzen auf; so wird sowohl innerhalb der feministischen Linguistik als auch in kognitiv ausgerichteten Arbeiten, beispielsweise in G. Lakoffs berühmter Analyse des Klassifikationssystems der australischen Sprache Dyirbal (vgl. Lakoff 1987: 92ff.) zum Teil ähnlich argumentiert wie etwa bei Jakob Grimm. (Auf diese Affinitäten verweist schon Leiss 1994). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 79 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 80 Was ist Genus? Ganz ähnlich, aber nicht negativ, äußert sich Wienold. Er bemerkt, dass die Ausführungen der wohl prominentesten Vertreter der divergierenden Ursprungstheorien, Grimm und Brugmann, nicht unversöhnlich sind, sondern dass semantische Überlegungen auch bei Brugmann eine Rolle spielen (vgl. Wienold 1967: 30, 41). Neuere Arbeiten zu den europäischen Sprachen, die das Genus nicht aus historischer, sondern aus synchroner Perspektive betrachten und die in der Mehrzahl eher formal ausgerichtet sind, gestehen dem Genus ebenfalls - wenn auch in z.T. sehr stark eingeschränktem Maße - gewisse semantische Leistungen zu (vgl. z.B. Werner 1975: 40ff., 50f. und die Einschätzung von Naumann 1986: 180). Dies ist sowohl bei Arbeiten der Fall, die sich vorrangig mit dem syntaktischen Aspekt beschäftigen (etwa Werner 1975), als auch bei solchen, die wie Köpcke, Zubin, Corbett, Surridge u.a. ihr Hauptaugenmerk auf die Klassifikation legen und zu zeigen versuchen, dass die Einteilung der Nomina in verschiedene Genusklassen generell regelbasiert ist, dass sie in jeder Einzelsprache, d.h. auch dort, wo dies nicht offensichtlich ist, einer gewissen Systematik folgt. Die Unterschiede sind also nicht darin zu sehen, dass rein formale Ansätze rein semantischen gegenüberstehen, sondern sie offenbaren sich vor allem in der Art und Weise der Berücksichtigung von Semantischem: Es sind die Aussagen zum Verhältnis von Genus und Semantik - und insbesondere Genus und Sexus -, die verschiedenartig sind. Wir werden im zweiten Teil, im Abschnitt über ‚Genus und Semantik‘, eine Unterscheidung einführen, mit deren Hilfe diese Differenzen deutlich gemacht werden können. Dort werden wir sehen, auf welcher Ebene sich die Erklärungsversuche zum Zusammenhang von Genus und Sexus innerhalb der Theorien des natürlichen Geschlechts bewegen und auf welcher Ebene - im Gegensatz dazu - die Beschreibung des Verhältnisses von Genus und Semantik sinnvollerweise anzusiedeln ist und inwiefern auch eine gewisse Beziehung von Genus und Sexus berücksichtigt werden kann und muss. Halten wir an dieser Stelle fest, dass hinsichtlich der Beurteilung der Genuskategorie innerhalb der Sprachwissenschaft vor allem drei Positionen prominent sind: Das Genus wird mal als funktionale, mal als semantische bzw. semantisch motivierte, mal als funktions- und bedeutungslose Kategorie betrachtet. 86 Die Divergenzen in der Beurteilung sind zum Teil darauf 86 Bleibt zu erwähnen, dass die Funktionsfrage in einigen Arbeiten zum Genus nicht oder nur sehr marginal behandelt wird, z.B. in Corbett (1991) sowie Hoberg (2004). Für Trudgill (1999) hängt dies unmittelbar mit der ‚Afunktionalität‘ der Genuskategorie zusammen; speziell zu Corbetts Arbeit bemerkt er: „It is very interesting indeed to observe that, of the 323 pages of text in Corbett’s enormously erudite and stimulating book Gender (1991), 321 are devoted to the origins, nature and workings of gender systems, and only 2 to the function TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 80 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 81 zurückzuführen, dass unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden; so konzentrieren sich diejenigen, die das Genus als funktional ansehen, häufig allein auf den syntaktischen Aspekt, die Kongruenz, während die Gruppe derer, die es als semantisch motivierte Kategorie auffasst, den Aspekt der Klassifikation in den Vordergrund stellt. Wie aber wird die vorrangige Behandlung des einen und die Vernachlässigung oder gänzliche Ausblendung des jeweils anderen Gesichtspunktes legitimiert? Und wie argumentieren jene, die das Genus als überflüssige Kategorie bezeichnen und damit weder die syntaktischen noch die semantischen (noch andere mögliche) Funktionen als zentral anerkennen? Diese Fragen werden nur teilweise ausdrücklich beantwortet. Allein mit der heute nicht mehr in dieser Form vertretenen These von der semantischen Motiviertheit des Genus durch die Sexusdifferenzierung, d.h. mit den sogenannten Sexustheorien, setzt man sich in vielen Arbeiten explizit auseinander; die Vernachlässigung des syntaktischen Aspektes bzw. die Nicht-Anerkennung der syntaktischen Leistungen wird aber in der Regel ebenso wenig begründet wie die Einschätzung, dass es sich beim Genus um eine (weitgehend oder gänzlich) funktionslose Kategorie handele. Lediglich in einigen wenigen zeitgenössischen Publikationen ist man tatsächlich bemüht, die eigene Position argumentativ zu untermauern und von anders lautenden Auffassungen abzugrenzen (z.B. Trudgill 1999, Kilarski/ Trudgill 2000, Hickey 2000, Weber 2000, 2001). Sehen wir uns am Beispiel der Arbeiten von Weber (2000, 2001) und Trudgill (1999) an, welche Argumente in diesem Zusammenhang vorgetragen werden. 87 Zur Einordnung der von Weber vertretenen Auffassungen sei zunächst Folgendes vorausgeschickt: Webers Arbeiten stehen im Kontext unterschiedlicher neuerer Publikationen, in denen auf semantisch-funktionale Affinitäten zwischen Genus und Numerus hingewiesen wird. Die unter anderem von Leiss (1994, 2000, 2005), Vogel (2000), Bittner (2002) und Weber (2000, 2001) vertretene These besagt im Kern, dass die Genusklassifikation der Unterscheidung von ‚zählbaren Nomen‘ (count nouns) und ‚Massennnomen‘ (mass nouns) dient. Weber (2000: 506) stellt in diesem Sinne Folgendes fest: Gender offers the opportunity to refine the crude perspective of number […] into distributive versus collective plural. It is this aspect of quantity that links gender so closely to number […] the function of gender is to distinguish between differently conceived nouns, count and mass nouns. of grammatical gender. This is not surprising: it is not at all clear what gender is good for.“ (Ebd.: 140) 87 Wir konzentrieren uns im Folgenden in erster Linie auf diese Arbeiten, da hier am ausführlichsten erläutert wird, warum vom Bestehen einer kongruenzunabhängigen ‚Hauptfunktion‘ des Genus (Weber) bzw. vom Fehlen einer (wie auch immer gearteten) zentralen Funktion (Trudgill) auszugehen sei. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 81 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 82 Was ist Genus? Erhärtet wird diese These vor allem aufgrund verschiedener Untersuchungen zum Deutschen, die darauf hindeuten, dass noch im Althochdeutschen ein ‚Reliktsystem von Mehrfachgenus‘ vorliegt und die Genusalternanz mit der Differenzierung von Singulativa (= Maskulina), Kollektiva und Abstrakta (= Feminina) und Massennomina (= Neutra) einhergeht (vgl. Leiss 2005: 15ff.). Da diese Form der ‚Perspektivierung nominaler Referenten‘ im Neuhochdeutschen - wie z.B. Vogel (2000) und Bittner (2002) zeigen - in erster Linie über unterschiedliche Wortbildungsverfahren, speziell über bestimmte Derivationssuffixe markiert wird, die zugleich das Genus spezifizieren, wird angenommen, dass „die Wortbildung die Funktion des Genus übernommen [hat], ohne dass die Bindung zum Genus vollkommen verloren gegangen ist […]“ (Bittner 2002: 209); wir haben es demnach „mit der Neugrammatikalisierung einer grammatischen Funktion zu tun, die mit dem Verlust des einstigen Mehrfachgenus defizitär geworden ist“ (Leiss 2005: 14). Die genannte Perspektivierung wird somit aktuell lediglich redundant über das Genus markiert, „[n]ur über die […] Korrelationen zwischen Wortbildung und Genus bleibt diese Funktion sekundär mit den Genusklassen verbunden“ (Bittner 2002: 212). Diese letzte Auffassung teilt Weber nun aber gerade nicht. Im Gegensatz zu Leiss, Vogel, Bittner u.a. geht sie offenbar davon aus, dass es sich bei der skizzierten Perspektivierungsfunktion um eine ‚übereinzelsprachliche Hauptfunktion‘ handelt, die für das Genussystem des Gegenwartsdeutschen ebenso charakteristisch ist wie für die (aktuellen) Genussysteme anderer Sprachen und die somit die Existenz der Genuskategorie schlechthin zu ‚erklären‘ vermag (vgl. z.B. Weber 2001: 113ff.). Eben auf diesen Punkt bezieht sich unsere Kritik; sehen wir uns an, wie sich Weber im Einzelnen äußert. Für Weber (2000, 2001) steht von vornherein fest, dass das Genus eine bestimmte zentrale Funktion erfüllen muss, da nur so die Existenz bzw. das Fortbestehen dieser Kategorie erklärt werden könne. Dass diese Funktion im Bereich der Klassifikation und nicht in der Kongruenz zu suchen ist, wird durch den Vergleich des Genus mit den anderen nominalen Kategorien - Numerus und Kasus - gerechtfertigt: Die Tatsache, dass Genus nicht die einzige nominale Kategorie ist, die sich durch Kongruenz auszeichnet, spricht - so Weber - dagegen, die Hauptfunktion in diesem Bereich zu verorten. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass Numerus und Kasus - abgesehen davon, dass sie kongruierende Kategorien sind - unbestritten je spezifische Funktionen versehen. Da Weber voraussetzt, dass die verschiedenen grammatischen Kategorien symmetrisch strukturiert sind, sieht sie dies als weitere Bestätigung dafür an, dass von einer bestimmten Genusfunktion auszugehen ist. Zusammenfassend heißt es: TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 82 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 83 All three nominal categories have the function ‚agreement creating‘ but gender lacks its own separate function that cannot be satisfied by any other grammatical category. Yet only such an independent function can account for the persistence of this nominal category in so many languages. (Weber 2000: 496) Diese Argumentation hinkt unseres Erachtens an mehreren Stellen. Zunächst wird nicht überzeugend dargelegt, warum die vorausgesetzte Hauptfunktion der Genuskategorie gerade nicht mit der „Kongruenzerzeugung“ (Weber 2001) zusammenhängen soll. Obgleich richtig ist, dass Numerus und Kasus ebenfalls kongruierende Kategorien sind (bzw. sein können), kommt - wie die oben angegebenen Beispiele illustrieren - gegebenenfalls allein der Genuskongruenz die differenzierende Leistung zu. Dies gilt insbesondere für die Pronominalisierung; hier kann die Kasusdifferenzierung nicht, die Numerusdifferenzierung nur bedingt zur Kohärenzsicherung beitragen. Weber geht auf diese von einigen Forschern als zentral erachtete Aufgabe der Genuskategorie allerdings in keiner der beiden Publikationen ein; sie verwendet den Terminus ‚Kongruenz‘ generell in eingeschränktem Sinne, „stellvertretend für ‚Kongruenz innerhalb der Nominalphrase‘“ (Weber 2001: 120), und schenkt den die Kongruenz betreffenden Unterschieden der nominalen Kategorien keinerlei Aufmerksamkeit. 88 Anders als in denjenigen Arbeiten, die auch und gerade auf die syntaktischen Leistungen des Genus eingehen, ist bei Weber immer wieder von der ‚Funktion der Kongruenzerzeugung‘ die Rede; die Kongruenz(erzeugung) ist unseres Erachtens aber nicht als Funktion, sondern als wesentliches Merkmal des Genus anzusehen, ein Merkmal, das dafür ausschlaggebend ist, dass die Genuskategorie bestimmte syntaktische Funktionen erfüllen kann. Ob die Genuskategorie qua Kongruenz bestimmte Aufgaben zu übernehmen im Stande ist und welche dies sind, wird bei Weber jedoch gar nicht weiter untersucht. 89 88 Die bei Weber (2001: 120) angegebene Definition von ‚Kongruenz‘ wird - ohne weitere Angabe - als die „in der Genusforschung“ übliche bezeichnet, obwohl weder Glück (ed.) (1993), auf den Weber ihre Angaben an dieser Stelle im Wesentlichen zu stützen scheint, noch zahlreiche andere Autoren, mit denen sich Weber - lt. Bibliographie - ebenfalls auseinandergesetzt hat (z.B. Lehmann 1982, Corbett 1991), eine solche Definition zugrunde legen. Bleibt anzumerken, dass Webers Angaben auch insofern nicht stichhaltig sind, als weder Kasus noch Numerus zwingend durch (interne) Kongruenz charakterisiert sind (vgl. Lehmann 1982: 241f. und - speziell zum Numerus - Ortmann 2002: 97ff.). In universaler Perspektive kann also (auch) in dieser Hinsicht von „Symmetrie des grammatischen Paradigmas“ (Weber 2001: 113) nicht die Rede sein. 89 Zumindest innerhalb der Monographie, die sich ausdrücklich mit der Frage nach der Funktion des Genus auseinandersetzt und an deren Beginn die „Beschäftigung mit den verschiedenen bereits vorliegenden Theorien zur Funktion des Genus“ (Weber 2001: 13) in Aussicht gestellt wird, wäre eigentlich etwas anderes zu erwarten. Dies gilt umso mehr, als TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 83 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 84 Was ist Genus? Nun sind es aber keineswegs nur die auf die Kongruenz bezogenen Aussagen, die Anlass zu Kritik bieten; auch die der Suche nach einer bestimmten Hauptfunktion zugrunde liegenden Überlegungen erweisen sich als fragwürdig. Wie erwähnt, verweist Weber in diesem Zusammenhang vor allem auf die vorausgesetzte Parallelität der nominalen Kategorien sowie darauf, dass Tendenzen zum Abbau der Genuskategorie nicht zu verzeichnen seien. In ihrer Monographie heißt es entsprechend: Geht man von einer Symmetrie des grammatischen Paradigmas aus, so scheint die Kongruenzerzeugung eine Nebenfunktion zu sein, die Hauptfunktion des Genus ist nicht bestimmt. Die Nebenfunktion allein kann aber nicht als ausreichender Grund für die Existenz einer Nominalkategorie in der Sprache angesehen werden. Hätte die Kategorie Genus keine Hauptfunktion, so wäre sie redundant und man sollte zumindest Tendenzen zum Abbau dieser dann überflüssigen Kategorie erwarten können. Dies ist aber nicht der Fall. (Weber 2001: 113; vgl. auch ebd. 11f.) Hierzu ist Folgendes anzumerken: Zuerst einmal ist nicht einzusehen, warum nur die Existenz einer zentralen Funktion das Fortbestehen einer grammatischen Kategorie zu erklären vermag. Tatsächlich ist vom Fehlen einer (universal gültigen) Hauptfunktion nicht zwingend auf die Redundanz der entsprechenden Kategorie zu schließen. Nichts spricht gegen die Annahme, dass eine bestimmte Kategorie im Zuge zunehmender Grammatikalisierung ihre ursprüngliche Funktion immer weiter verliert. Im Gegenteil: Die Defunktionalisierung bzw. Desemantisierung, der Verlust an ‚semantischer Integrität‘ (Lehmann 1995), stellt einen wesentlichen Bestandteil des Grammatikalisierungsprozesses dar. Dieser Prozess führt aber nicht zwingend zum gänzlichen Schwund grammatischer Zeichen bzw. zum Abbau grammatischer Kategorien, schon deshalb nicht, weil grammatische Elemente jederzeit refunktionalisiert (oder resemantisiert), d.h. für bestimmte andere, sekundäre Funktionen nutzbar gemacht werden können. Sind bestimmte sekundäre Funktionen der Genuskategorie in einer Einzelsprache feststellbar, so kann von ‚Redundanz‘ im Sinne von ‚überflüssiger Kategorie‘ (s.o.) aber selbstverständlich nicht die Rede sein. Doch selbst wenn sich das Genussystem einer Einzelsprache als (weitgehend) redundant erweisen würde, 90 ist nicht unbedingt mit dessen Abbau zu rechnen. Die Ergebnisse der Grammatikalisierungsforschung zeigen vielmehr, das Literaturverzeichnis eine ganze Reihe von Autoren bzw. Arbeiten umfasst, die die aus der Kongruenz resultierenden Funktionen des Genus - insbesondere im Falle der Pronominalisierung - unterstreichen (z.B. Werner 1975, Köpcke/ Zubin 1996) und eine differenzierte Analyse des Phänomens der Kongruenz vorlegen (z.B. Lehmann 1982). 90 Wir halten es für sinnvoll, ebenso wie z.B. Lyons einen graduellen Begriff von Redundanz (= geringer Informationsgehalt) zugrunde zu legen (vgl. Lyons 1971/ 1995: 86ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 84 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 85 dass die Petrifizierung oder Fossilisierung - id est: „[…] the remains of forms whose (original) function is lost, or whose pragmatic power vanished“ - einen möglichen Endpunkt des Grammatikalisierungsprozesses markiert (Lessau 1994: 335f.); außerdem ist zu berücksichtigen, dass Redundanz gemeinhin als häufige und typische Eigenschaft grammatischer Elemente aufgefasst wird. 91 Unabhängig von all dem ist zu beachten, dass Webers Aussage, Tendenzen zum Abbau des Genus seien nicht zu erkennen, in dieser allgemeinen Formulierung schlichtweg unzutreffend ist. Um dies zu belegen, genügt schon der Verweis auf das Englische sowie auf die romanischen Sprachen, deren Genussysteme in puncto Klassenzahl größtenteils vereinfacht worden sind (den drei Genera des Lateinischen stehen in den meisten romanischen Sprachen ja bekanntlich zwei Klassen gegenüber). In diesem Zusammenhang kann aber auch auf eine Beobachtung Trudgills hingewiesen werden, die innerhalb seiner Argumentation für die (relative) Funktionslosigkeit der Genuskategorie grundlegend ist, und zwar auf die generelle Abwesenheit der Genuskategorie in den Kreolsprachen: Wie Trudgill (1999) feststellt, weisen Pidginsprachen in der Regel keinerlei morphologische Markierung und damit auch keine grammatischen Kategorien auf; im Zuge der Kreolisierung werden die verschiedenen grammatischen Kategorien (Numerus, Kasus, Person, Tempus etc.) dann aber durchaus wieder eingeführt; allein das Genus scheint von diesem Prozess der Wiedereinführung ausgenommen. 92 Zu Recht sieht Trudgill hierin ein deutliches Zeichen für die geringere Zentralität der Genuskategorie im Vergleich zu den anderen grammatischen Kategorien und zugleich einen Nachweis ihrer (relativen) Afunktionalität. Das Fehlen der Genuskategorie in den Kreolsprachen deutet in der Tat darauf hin, „that gender is a category that languages and their speakers can more readily do without than many or most other categories“ (ebd.: 137). 91 Vgl. hierzu z.B. Lessau (ebd.: 729): „It is a frequent and typical property of grammatical items to be functionally and semantically redundant […].“ Auch andere grammatische Kategorien, deren Funktionalität (oder Semantizität) prinzipiell außer Frage steht, erweisen sich - zumindest in bestimmten Kontexten - als redundant; so ist die Numerusresp. Tempusmarkierung in Diese drei Personen sind mir besonders wichtig und Nächstes Jahr werden wir nach Frankreich fahren insofern überflüssig, als die morphologisch kodierte Information hinsichtlich Quantität resp. zeitliche Situierung des Verbalereignisses bereits durch andere, lexikalische Mittel (Zahlwort, Temporaladverb) zum Ausdruck gebracht wird. 92 Trudgill (ebd.: 136f.) konstatiert: „The expansion process inherent in creolisation - the ‚repair‘ of the reduction of pidginisation - involves the reintroduction of many of the grammatical categories that have been lost during pidginisation […]. However, […] there is not a creole language in the world which has reintroduced, during the expansion process, the category of grammatical gender […].“ TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 85 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 86 Was ist Genus? Bleibt zu berücksichtigen, dass Trudgill keineswegs davon ausgeht, dass die Genusdifferenzierung keinerlei Funktion erfülle; er nimmt vielmehr an, „that any functions grammatical gender may have are relatively minor and peripheral“ (Kilarski/ Trudgill 2000: 196). Dass nicht nur diejenigen Funktionen des Genus als sekundär eingestuft werden müssen, die sprachabhängig und/ oder innerhalb der jeweiligen Einzelsprache(n) nur begrenzt wirksam sind - etwa die semantische Nutzung der Genusopposition zur Kennzeichnung von Augmentation und Diminution (vgl. Trudgill 1999: 141) -, sondern auch diejenigen, die vielerorts als zentral (und universal) gelten, namentlich die kongruenzgebundenen, syntaktischen (Disambiguierung, Kohärenzsicherung bzw. reference tracking), begründet Trudgill weiterhin damit, dass sie nur unter ganz bestimmten Bedingungen tatsächlich zum Tragen kommen. Grundvoraussetzung für die disambiguierende Wirkung des Genus im Diskurs ist natürlich, dass die Diskursgegenstände, oder genauer: die Nomina (bzw. Nominalphrasen), die diese vertreten, je unterschiedlichen Genusklassen zugehören. Dies ist aber umso unwahrscheinlicher, je weniger Genusklassen in einer Sprache differenziert werden. Mit anderen Worten: Für Sprachen, die - wie Französisch, Spanisch und Deutsch - lediglich zwei oder drei Genera aufweisen, ist von vornherein anzunehmen, dass die Effektivität der Genusdifferenzierung in diesem Bereich eher begrenzt ist. Trudgills Einschätzung, dass die syntaktische Leistung der Genusdifferenzierung im Deutschen, die durch Beispiele wie Der Krug fiel in die Schale, aber er/ sie zerbrach nicht (vgl. Köpcke/ Zubin 1984: 43f.) illustriert wird, die Existenz der Genuskategorie bzw. „the wealth of complexity demonstrated by the German gender system“ nicht zu ‚rechtfertigen‘ vermag (Trudgill 1999: 141f.), scheint insofern durchaus berechtigt. Und dennoch stellt die Genusdifferenzierung unseres Erachtens auch in Sprachen mit geringer Klassenzahl über die Kongruenz bestimmte Funktionen bereit, die nicht a priori ausgeklammert werden sollten. Wir gehen davon aus, dass die Frage nach der syntaktischen Leistung (oder Leistungsfähigkeit) des Genus nicht global beantwortet werden kann, sondern dass die Funktionalität der Genuskategorie in diesem ebenso wie im lexikalischen Bereich je nach Einzelsprache unterschiedlich ausfällt. Dass hierfür nicht nur Differenzen hinsichtlich der Klassenzahl verantwortlich sind, sondern auch andere Faktoren eine Rolle spielen, wird im zweiten Teil der Arbeit anhand des detaillierten Vergleichs der Genussysteme der französischen, spanischen und deutschen Sprache aufgezeigt. Wenden wir uns nun aber zunächst den bereits erwähnten Untersuchungen von Corbett, Köpcke und Zubin (u.a.) zu, die sich auf den Aspekt der Klassifikation konzentrieren, ohne die Frage nach Funktion und Bedeutung der Genuskategorie in den Vordergrund zu stellen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 86 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 87 1.4.2. Das Genus aus psycholinguistischer Perspektive Bereits im ersten Kapitel haben wir festgestellt, dass von linguistischer Seite die Kongruenz zur Bestimmung der Klassenzugehörigkeit eines Nomens herangezogen werden kann. Nun verhält es sich aber selbstverständlich so, dass Muttersprachler das Genus der Substantive kennen müssen, um die korrekten Übereinstimmungen zu erzeugen: The linguist who wishes to establish the gender of a given noun can use agreement as a test […]. However, the native speaker of the language must know the gender of a noun in order to produce the correct agreements […]. (Corbett 1991: 7) Fest steht dabei, dass das Genus Muttersprachlern keine Probleme bereitet, dass sich Schwierigkeiten mit dieser Kategorie offenbar nur beim Erlernen einer Fremdsprache ergeben. Wie aber ist dies zu erklären? Wodurch sind native speakers in der Lage, das Genus der Nomina richtig zu bestimmen? Eine mögliche Erklärung besteht darin, anzunehmen, dass das Genus eines Nomens von Seiten der Muttersprachler jeweils einzeln gelernt und im Gedächtnis gespeichert werde. Diese Auffassung, die selten explizit vertreten wird, manifestiert sich z.B. bei Hude (1808) und Maratsos (1979). Hude empfiehlt: „Zu welchem Geschlecht übrigens jedes Hauptwort gehöre, lernt der Deutsche am besten durch Übung“ (zit. nach Naumann 1986: 192), und Maratsos (1979), der sich ebenfalls auf die Genusklassifikation im Deutschen bezieht, stellt fest: The classification is arbitrary. No underlying rationale can be guessed at. The presence of such systems in a human cognitive system constitutes by itself excellent testimony to the occasional nonsensibleness of the species. Not only was this system devised by humans but generation after generation of children peaceably relearns it. (Zit. nach Zubin/ Köpcke 1981: 439/ Hervorheb. von mir) Innerhalb der Arbeiten von Köpcke und Zubin, Corbett u.a. wird diese Annahme jedoch aus folgenden Gründen abgelehnt: 93 1) Würde das Genus eines jeden Nomens einzeln gelernt und behalten, so wären mehr Fehler bei der Genuszuweisung zu erwarten; Tatsache ist aber, dass die Kategorie Genus auch im Spracherwerbsprozess keine besondere Fehlerquelle darstellt; zudem ist die Anzahl derjenigen Substantive, die im Genusgebrauch schwanken, sehr gering. 2) Fremd- und Lehnwörtern aus anderen Sprachen wird immer ein bestimmtes Genus zugewiesen, was darauf hinweist, dass es bestimmte Mechanis- 93 Die nachstehende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; für eine ausführliche Darstellung der Gründe sei auf Corbett (1991: Kapitel 4, 70-104) und Köpcke (1982: Kapitel 1, insb. 5-28) verwiesen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 87 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 88 Was ist Genus? men für die Zuweisung gibt, zumal das Genus eines Nomens in der Ursprungssprache, sofern diese über ein Genussystem verfügt, nicht mit dem in der Zielsprache übereinstimmen muss; es wird also nicht mit entlehnt (vgl.: le portemonnaie vs. das Portemonnaie, la baguette vs. das Baguette, the computer … it vs. der Computer, el chorizo vs. die Chorizo etc.). 3) Werden Sprechern einer bestimmten Einzelsprache frei erfundene Substantive vorgelegt, so weisen sie diesen mit großer Übereinstimmung ein bestimmtes Genus zu. 94 Aufgrund dieser Gegebenheiten folgert Corbett (1991: 7): „[…] native speakers have the ability to ‚work out‘ the gender of a noun“. Es wird vorausgesetzt, dass selbst für Sprachen wie Deutsch und Französisch, deren Genussysteme auf den ersten Blick weitgehend undurchsichtig zu sein scheinen, und zwar sowohl in formaler als auch in semantischer Hinsicht, bestimmte (phonologische/ morphologische/ semantische) Eigenschaften der Nomina für deren Genus ausschlaggebend sein müssen. Diese Kriterien herauszuarbeiten und ein Regelwerk zu entwerfen, welches die bei Muttersprachlern vorausgesetzte Kompetenz, das Genus der Nomina zu bestimmen, abbildet und insofern psychologische bzw. psycholinguistische Realität besitzt, ist das Ziel dieser Forscher (vgl. u.a. Köpcke/ Zubin 1996: 477ff., Corbett 1991: 70ff.). Corbett (ebd.: 3) spricht in diesem Sinne von „assignment systems“, die Aufschluss geben über „the way in which native speakers allocate nouns to genders“. Corbetts Untersuchung, in der über 200 Sprachen berücksichtigt werden, zeigt, dass die Genuszuweisung je nach Sprache mehr auf semantischen oder mehr auf formalen Kriterien beruht. Insgesamt unterscheidet er vier verschiedene Typen von assignment systems: „strict semantic systems“ und „primarily semantic systems“ auf der einen Seite und morphologische und phonologische Systeme auf der anderen Seite. Er betont aber zugleich, dass semantische Kriterien auch innerhalb formaler Systeme eine Rolle spielen: „In a sense all gender systems are semantic in that there is always a semantic core to the assignment system“ (ebd.: 8). Wenn sich das Genus der Nomina in einer Sprache auf formale Kriterien zurückführen lässt, spricht man von „overt gender“, wenn die Form der Nomina kein Indiz für das Genus bildet, von „covert gender“ (vgl. ebd.: 62f., 94 Unterschiedliche empirische Untersuchungen, die die unter 1) bis 3) formulierten Beobachtungen stützen, werden in den oben genannten Quellen (Corbett 1991, Köpcke 1982) ebenfalls aufgeführt; für zusätzliche bzw. neuere Studien sei hier exemplarisch auf Bittner (2006) (Genus und Spracherwerb), Talanga (1987) (Genusschwankung), Schulte-Beckhausen (2002) (Genus und Genusschwankung bei Lehnwörtern) und Köpcke/ Zubin 1983 (Genuszuweisung bei Kunstwörtern) verwiesen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 88 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Behandlung und Beurteilung des Genus 89 117). Doch auch bei dieser Unterscheidung handelt es sich nicht um eine absolute, vielmehr sind - wie in Abschnitt 1.2.4. bereits deutlich gemacht wurde - verschiedene Grade der formalen Durchsichtigkeit der Genussysteme zu unterscheiden; Corbett (ebd.: 62) stellt fest: „[…] the distinction is much less rigid than is often implied. There are many possibilities between the poles of absolutely overt and absolutely covert“. Sprachen mit einem idealen overt system, in denen alle Nomina einer Klasse genau eine Markierung aufweisen und alle Nomina der anderen Klasse(n) (jeweils) genau eine andere, scheint es nicht zu geben. Zu den Sprachen, die diesem Ideal am nächsten kommen, deren Genussysteme also am oberen Ende der overt-covert-Skala anzusiedeln sind, gehören - wie wir in 1.2.4. illustriert haben - z.B. das Swahili und andere Bantu-Sprachen, aber auch das Russische. Dass die Genussysteme des Spanischen, Französischen und Deutschen ebenfalls der Großgruppe der formal systems zuzurechnen und somit gleichsam als overt systems zu bezeichnen sind, dass sie aber dennoch an unterschiedlichen Positionen innerhalb der overt-covert-Skala verortet werden müssen, wird im folgenden Teil der Arbeit gezeigt. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 89 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 90 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Teil 2 Genus im Sprachvergleich Im ersten Teil der Arbeit haben wir uns vor allem um eine allgemeine Charakterisierung der Genuskategorie bemüht. Im Vordergrund standen hier nicht die Genussysteme bestimmter Einzelsprachen, sondern generelle Fragestellungen. Im Einzelnen widmeten wir uns der Abgrenzung des Genus gegenüber anderen Formen nominaler Klassifikation, dem Kriterium der (Genus-) Kongruenz, der Gegenüberstellung der unterschiedlichen nominalen Kategorien Genus, Numerus und Kasus sowie der Interaktion von Genus und Numerus und schließlich der Behandlung und Beurteilung der Genuskategorie innerhalb der Sprachwissenschaft. Auf diese Weise versuchten wir, unsere Ausgangsbzw. Leitfrage ‚Was ist Genus? ‘ zu beantworten und zugleich einen Einblick in die Heterogenität unterschiedlicher Genussysteme zu geben sowie auf die Diversität sprachwissenschaftlicher Ansätze aufmerksam zu machen. Wie in der Einleitung angekündigt, wollen wir unseren Blick nun etwas verengen: In diesem zweiten Teil stehen Beschreibung und Vergleich der Genussysteme der spanischen, französischen und deutschen Sprache im Zentrum. Außerdem wird auf das Englische eingegangen, das jedoch aufgrund seiner Sonderstellung zunächst aus der Betrachtung ausgeklammert und erst am Ende dieses Teils in einem eigenen Abschnitt behandelt werden soll. Im ersten Abschnitt werden wir uns mit der Kongruenz und mit der aus der Kongruenz resultierenden syntaktischen Leistung der Genuskategorie im Spanischen, Französischen und Deutschen beschäftigen. Im Anschluss gehen wir auf die Klassifikation ausführlich ein, zuerst auf formale Kriterien für die Genuszuweisung; semantische Zuweisungskriterien werden dann innerhalb eines thematisch breiter angelegten Teilkapitels zum Verhältnis von Genus und Semantik berücksichtigt. Es folgt ein Abschnitt zum Zusammenspiel formaler und semantischer Aspekte. Schließlich soll überprüft werden, ob die herausgearbeiteten formalen und funktional-semantischen Differenzen - sowohl hinsichtlich der Kongruenz als auch hinsichtlich der Klassifikation - als Unterschiede im Grammatikalisierungsgrad der Genussysteme des Spanischen, Französischen und Deutschen zu werten sind. Dieser Abschnitt bildet somit zugleich eine Zusammenfassung der vorausgegangenen Punkte. Im letzten Teilkapitel wird dann diskutiert, inwieweit auch das Englische als Genussprache anzusehen ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 91 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 92 Genus im Sprachvergleich Ziel unserer Ausführungen ist es nicht nur, auf interlinguale Unterschiede hinsichtlich der Ausprägung der Genuskategorie aufmerksam zu machen, sondern auch einige der in der Literatur vertretenen Thesen zur Funktion der Genuskategorie und zum Zusammenhang von Genus und Semantik einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Die Ausführungen zum Verhältnis von Genus und Sexus dienen außerdem der Vorbereitung des dritten Teils zum Thema ‚generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik‘. 95 2.1. Kongruenz und syntaktische Leistung des Genus im Spanischen, Französischen und Deutschen Unter Zugrundelegung des Kriteriums der Kongruenz können die spanische, französische und deutsche Sprache eindeutig als Genussprachen identifiziert werden: In allen drei Sprachen liegt eine Klassifikation der Substantive vor, die an unterschiedlichen mit dem Substantiv verbundenen Elementen formal markiert wird. Dass die Charakterisierung einer Sprache als Genussprache jedoch noch sehr wenig über die Beschaffenheit des jeweiligen Genussystems aussagt, ist in 1.2. unter Rückgriff auf eine Reihe unterschiedlicher Sprachen hinreichend deutlich gemacht worden. In diesem Abschnitt soll es nun vor allem darum gehen, aufzuzeigen, wie diejenigen ‚Variablen‘, die die Kongruenz (im Gegensatz zur Klassifikation) betreffen, in der spanischen, französischen und deutschen Sprache ausgeprägt sind; genauer gesagt: Wir wollen uns um eine kontrastive Beschreibung all jener Eigenschaften bemühen, die bei einer Analyse der kongruierenden Elemente offenbar werden und die für die syntaktische Leistungsfähigkeit der Genuskategorie nicht unerheblich sind. Im Einzelnen behandeln wir die folgenden Parameter: Klassenzahl, Anzahl und Art der kongruierenden Elemente und Form der Kongruenz, inklusive Einschränkung/ Aufhebung der Klassenmarkierung via Kongruenz. 96 2.1.1. Klassenzahl Die im Rahmen der Beschäftigung mit den unterschiedlichen agreement targets in Abschnitt 1.2.1. angeführten spanischen, französischen und deutschen 95 In den Abschnitten zum Thema ‚Formale Kriterien für die Genuszuweisung‘ und ‚Genus und Semantik‘ werden einige Überlegungen, die in Schwarze (2000b, 2003) vorgestellt worden sind, wieder aufgenommen und vertieft. 96 Obgleich die Anzahl der Genusklassen - wie in 1.2.4. festgestellt wurde - durch das übergeordnete Kriterium der Kongruenz prinzipiell nicht determiniert wird, gilt natürlich, dass die Klassenzahl immer nur über die Analyse der kongruierenden Elemente bestimmt werden kann. Dies erklärt, warum sie innerhalb dieses Abschnitts über Kongruenz und nicht im Rahmen unserer Ausführungen zur Klassifikation Berücksichtigung findet. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 92 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 93 Beispiele - etwa (5)-(7) sowie (12)-(14) - lassen einen ersten Unterschied im Hinblick auf die Anzahl der über die Kongruenz zu bestimmenden nominalen Klassen erkennen. Die Analyse der kongruierenden Elemente macht deutlich, dass im Deutschen drei, im Französischen und Spanischen lediglich zwei Genusklassen differenziert werden. Vgl. hierzu noch einmal die Variation des bestimmten Artikels und des (attributiven) Adjektivs in (53) (a)-(c) resp. (54) (a)-(c): (53) (a) Dt. der Rock - die Hose - das Hemd (b) Fr. la jupe - le pantalon - la chemise (c) Sp. la falda - el pantalón - la camisa (54) (a) Dt. (ein) weißer Rock - (eine) weiße Hose - (ein) weißes Hemd (b) Fr. (une) jupe blanche - (un) pantalon blanc - (une) chemise blanche (c) Sp. (una) falda blanca - (un) pantalón blanco - (una) camisa blanca Die Beispiele zeigen, dass sich die ‚Wahl‘ eines bestimmten Substantivs in allen drei Sprachen auf die Form anderer, mit dem Substantiv verbundener Elemente auswirkt. Allerdings hat man sich im Deutschen für eine von (maximal) drei Formen zu entscheiden (im vorliegenden Fall der/ die/ das resp. weißer/ weiße/ weißes), während im Französischen und Spanischen immer (höchstens) zwei Formen zur Verfügung stehen (hier fr. le/ la, sp. el/ la bzw. fr. blanc/ blanche, sp. blanco/ blanca). Insofern können wir sagen, dass die Substantive des Deutschen einer von insgesamt drei Genusklassen angehören, die traditionellerweise als Maskulinum, Femininum und Neutrum bezeichnet werden, wohingegen die Nomina der französischen und spanischen Sprache in nur zwei Klassen - Maskulinum und Femininum - ‚zerfallen‘; eine dritte Klasse, die Klasse der Neutra, ist hier - ebenso wie in den meisten anderen romanischen Sprachen - nicht (mehr) existent. Nichtsdestotrotz ist in zahlreichen Grammatiken und in anderen Publikationen zum Thema, die (auch) auf die Genussysteme des Französischen und Spanischen eingehen, durchaus vom Neutrum bzw. von verschiedenen Neutrumformen die Rede. 97 Dies liegt darin begründet, dass die Anzahl nominaler Klassen nicht unbedingt mit der Anzahl der unterschiedlichen Markierungen an den kongruierenden Elementen übereinstimmen muss: Im Französischen und Spanischen weisen zwar alle Nomina entweder feminines oder maskulines Genus auf, eine genaue Analyse der kongruierenden Elemente belegt aber, dass bei verschiedenen Pronomina neben den durch ein maskulines bzw. feminines Bezugsnomen determinierten Formen eine weite- 97 Exemplarisch sei hier auf die folgenden Arbeiten verwiesen: Alcina Franch/ Blecua (1975/ 1998), Reumuth/ Winkelmann (1991/ 2003), de Bruyne ( 2 2002), Martínez (1999) (Sp.), Zemb (1978), Arrivé et al. (1986), Grevisse ( 13 1993), Bergentoft et al. (1998) (Fr.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 93 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 94 Genus im Sprachvergleich re, ‚neutrale‘ Form existiert (Fr.: ce, ceci, cela/ ça, Sp.: esto, eso, aquello, ello, lo); diese ist zwar historisch mit Verweis auf ein früheres Dreiklassensystem zu begründen, sie wird heute aber lediglich zur Substitution bestimmter nichtprototypischer controller (Infinitivkonstruktion, Satz o.Ä.) sowie zur Referenz auf außersprachliche Sachverhalte verwendet; vgl. z.B.: (55) (a) Fr. La jupe … elle me plait beaucoup - Le pantalon … il me plait beaucoup - Passer mes vacances à l’étranger … cela/ ça me plait beaucoup (b) Sp. Este libro es el que más me gusta - Esta foto es la que más me gusta - Ir al cine es lo que más me gusta 98 Corbett (1991) beruft sich in diesem Zusammenhang auf die in Teil 1 bereits erwähnte Differenzierung zwischen controller genders und target genders, zwischen den über die Kongruenz zu bestimmenden Klassen von Substantiven einerseits und den unterschiedlichen Markierungen oder Formen der kongruierenden Elemente andererseits. Unter dieser Perspektive verfügen die spanische und französische Sprache über zwei controller genders (Maskulinum und Femininum) und drei target genders (Maskulinum, Femininum und Neutrum). 99 Ob es allerdings angemessen ist, hier tatsächlich von einem Genus (target gender) zu sprechen, ist streitbar. Dagegen ist z.B. einzuwenden, dass diese neutralen Pronomina ja gerade nicht auf die Klassenzugehörigkeit eines Substantivs zurückzuführen sind - dies widerspricht der auch von Corbett zugrunde gelegten Definition der Genera als „classes of nouns reflected in the behavior of associated words“ - und dass alle weiteren target-Elemente im Maskulinum stehen (vgl.: este/ esto me parece peligroso; celui-là/ cela est odieux). 98 Diese Aussagen wären in verschiedenerlei Hinsicht zu präzisieren. Für das Französische gilt z.B., dass auf nicht-prototypische controller in der Regel ebenso mit dem Pronomen il Bezug genommen werden kann, sofern dieses kataphorisch verwendet wird (vgl.: il me plait beaucoup de passer mes vacances à l’étranger, aber *passer mes vacances à l’étranger … il me plait beaucoup); ferner wäre zu berücksichtigen, dass ce nicht ausschließlich unter den genannten Bedingungen auftritt, sondern auch in Präsentativkonstruktionen (etwa: ce sont (c’est) mes frères … les deux petits garçons là-bas) usw. Da eine ausführliche Darstellung im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden kann, sei für weitere Beispiele und detailliertere Angaben zur Verwendung der sogenannten ‚Neutrumformen‘ auf die oben genannten Grammatiken verwiesen; zum Spanischen vgl. außerdem Klein (1988), Rodríguez Díez (1996) und - speziell zu lo - Martínez López (1998). 99 Es verhält sich hier also genau umgekehrt wie im Rumänischen, wo drei controller genders und zwei target genders zu differenzieren sind. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 94 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 95 Um die Unterschiede zwischen dem Deutschen auf der einen und dem Spanischen und Französischen auf der anderen Seite nicht zu verwischen, ziehen wir es vor, für die letztgenannten Sprachen generell von (nur) zwei Genera und von der Existenz einer genusunspezifizierten oder ‚nicht genushaltigen‘ (Schafroth 2004: 355) und in diesem Sinne neutralen Form zu sprechen (nicht aber von einem Neutrum oder einer Neutrumform). 2.1.2. Genuskongruenten Im Hinblick auf die targets der Genuskongruenz zeigen die französische, spanische und deutsche Sprache weitreichende Übereinstimmungen: In allen drei Sprachen sind es vor allem NP-interne Elemente, die im Genus kongruieren, in erster Linie verschiedene Determinantien - wie Artikel, Demonstrativa, Possessiva, Indefinita u.a. - und Attribute; externe Kongruenz ist im Wesentlichen auf die Pronomina beschränkt. Die augenfälligste interlinguale Differenz offenbart sich hinsichtlich der Kongruenz prädikativer Adjektive und Partizipien. Wie wir in Abschnitt 1.2.1.1. bereits angesprochen haben, hebt sich das Deutsche von den beiden romanischen Sprachen dadurch ab, dass diese Elemente hier nicht als targets der Kongruenz fungieren; die Genusklassenzugehörigkeit der Kontrolleure bleibt in Kopulasätzen, Passivkonstruktionen sowie im Falle zusammengesetzter Tempora im Deutschen generell unmarkiert; vgl.: (56) (a) der Garten/ die Stadt/ das Haus ist schön (b) der Garten/ die Stadt/ das Haus wurde zerstört (c) der Mann/ die Frau/ das Kind ist gegangen Doch auch die französische und spanische Sprache stimmen in diesem Punkt nicht gänzlich überein. Zwar gehören prädikative Adjektive und Partizipien in beiden Sprachen prinzipiell zu den kongruierenden Elementen, doch zeigen sich im Detail durchaus gewisse Differenzen: So ist die Kongruenz des Partizips im Spanischen immer dann aufgehoben, wenn dieses als Bestandteil eines stark grammatikalisierten periphrastischen Tempus erscheint, während der accord im Französischen selbst in diesen Fällen partiell (noch immer) erhalten ist; vgl.: (57) Fr. le livre que j’ai écrit - la lettre que j’ai écrite versus (58) Sp. el libro/ la carta que he escrito In (57) kongruiert das Partizip, obgleich es Bestandteil des passé composé ist, mit dem vorangestellten direkten Objekt; im spanischen Beispiel (58) bleibt das Partizip innerhalb des preterito compuesto hingegen unverändert. Bei der TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 95 16.12.2008 13: 08: 31 Uhr 96 Genus im Sprachvergleich in geringerem Umfang grammatikalisierten spanischen Verbalperiphrase tener + Partizip Perfekt ist die Kongruenz jedoch der Normalfall (vgl. hierzu ausführlich Harre 1991: insb. 65ff.): (59) el libro que tengo escrito - la carta que tengo escrita Dies gilt prinzipiell auch dann, wenn der Kontrolleur der Kongruenz, das direkte Objekt, nicht vor-, sondern nachgestellt wird: (59’) tengo escrito un libro - tengo escrita una carta Ein weiterer interlingualer Unterschied ist im Bereich der Possessiva auszumachen, und auch hier hebt sich das Deutsche von den romanischen Sprachen deutlich ab - allerdings in anderer Weise als im skizzierten Fall. Die Differenz betrifft nicht das target-Element als solches, sondern sie besteht darin, dass eben dieses Element im Deutschen von zwei Kontrolleuren gleichzeitig abhängig sein kann. Im Deutschen stimmen die Possessiva nicht nur mit dem Possessum im Genus überein - so wie im Spanischen und Französischen - vielmehr richten sie sich (gegebenenfalls) auch nach der Klassenzugehörigkeit des Possessors. Vgl.: (60) (a) mein Schreibtisch (M)/ Haus (N) vs. meine Zeitschrift (F) (b) der Schreibtisch (M)/ das Haus (N) des Sohnes (M)/ des Kindes (N) sein Schreibtisch/ Haus vs. die Zeitschrift des Sohnes (M)/ des Kindes (N) seine Zeitschrift vs. der Schreibtisch (M)/ das Haus (N) der Tochter (F) ihr Schreibtisch/ Haus vs. die Zeitschrift (F) der Tochter (F) ihre Zeitschrift Sowohl in (60) (a) als auch in (b) variiert das Possessivum in Abhängigkeit vom Genus des Possessums, wobei die Opposition zwischen Maskulinum und Neutrum jedoch unausgedrückt bleibt. In (60) (b), d.h. im Falle des Possessivums der dritten Person Singular, richtet es sich zusätzlich nach dem Genus des nominalen Possessors, den es vertritt (auch hier wird nicht zwischen Maskulinum und Neutrum differenziert). Im Französischen und Spanischen ist das Possessivum allein vom Genus des Possessums abhängig, immer vorausgesetzt, dass die Klassenmarkierung nicht ohnehin aufgehoben ist; vgl. für das Französische: (61) (a) mon bureau (M) - ma maison (F) (b) le bureau (M) du fils (M)/ de la fille (F) son bureau vs. la maison (F) du fils (M)/ de la fille (F) sa maison, TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 96 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 97 aber z.B.: (c) notre bureau (M) - notre maison (F) und für das Spanische: (62) (a) mi escritorio (M) - mi casa (F) (b) el escritorio (M) del hijo (M)/ de la hija (F) su escritorio - la casa (F) del hijo (M)/ de la hija (F) su casa, aber z.B.: (c) nuestro escritorio (M) vs. nuestra casa (F) 100 (60)-(62) verdeutlichen auch noch einmal, dass die Identifizierung eines bestimmten Elements als target der Genuskongruenz nicht dahingehend zu interpretieren ist, dass eben dieses Element eindeutig und unter allen Umständen Aufschluss über die Genusklassenzugehörigkeit des Kontrolleurs (oder der Kontrolleure) gibt. Die angegebenen Beispiele belegen, dass die Klassenmarkierung am Possessivum generell eingeschränkt sein kann - so im Falle der Nicht-Unterscheidung von Maskulinum und Neutrum im Deutschen - und dass sie von der Ausprägung anderer grammatischer Kategorien abhängen kann - für alle drei Sprachen erweist sich hier die Kategorie Person als ausschlaggebend. Die in diesem Zusammenhang zu konstatierenden interlingualen Differenzen werden im folgenden Abschnitt Berücksichtigung finden. 2.1.3. Form und Durchgängigkeit der Genusmarkierung via Kongruenz Im ersten Teil der Arbeit haben wir hinsichtlich der Form der Klassenmarkierung drei mögliche Aspekte bzw. Fragestellungen unterschieden: 1) Wo wird markiert? 2) Wie wird markiert? 3) Welchen Beschränkungen ist die Markierung der Klassenzugehörigkeit unterworfen? Die Antwort auf die erste Frage fällt für die französische, spanische und deutsche Sprache identisch aus; in allen drei Sprachen erfolgt die Markierung der Genusklassen - wie in den indoeuropäischen Sprachen allgemein üblich - in der Regel in Form von Suffixen. Größere interlinguale Differenzen zeigen sich aber mit Blick auf den zweiten und dritten Aspekt. Wir halten es für sinnvoll, diese beiden Aspekte für jede der drei Einzelsprachen gesondert zu behan- 100 Für die nachgestellten, ‚betonten‘ spanischen Possessivformen gilt jedoch, dass sie der Genuskongruenz ohne Einschränkungen unterworfen sind; vgl.: el escritorio mío/ suyo/ nuestro … - la casa mía/ suya/ nuestra … TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 97 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr 98 Genus im Sprachvergleich deln. Wir beginnen mit der Darstellung der Genusmarkierung im Spanischen und gehen im Anschluss auf die französische und schließlich auf die deutsche Sprache ein. 2.1.3.1. Genusmarkierung im Spanischen Im Spanischen wird die Genuskategorie - wie wir in Abschnitt 1.2.2. bereits festgestellt hatten - prinzipiell durch eigene (gebundene) Morpheme markiert, d.h., die Kennzeichnung der beiden Genera erfolgt in der Regel explizit und unabhängig von der anderer nominaler Kategorien, vor allem des Numerus. 101 Des Weiteren zeichnet sich das Spanische dadurch aus, dass die Klassenmorpheme durch eine sehr begrenzte Anzahl von Allomorphen realisiert werden. Die prototypischen Marker sind -o für das Maskulinum und -a für das Femininum. 102 Diese Allomorphe treten grundsätzlich an den unterschiedlichen targets auf, sowohl an denen der internen als auch an denen der externen Kongruenz, also etwa an Determinantien wie Artikel, Indefinita und Possessiva (63) (a), an Attributen, z.B. Adjektiven und Numeralia (b) und an substantivischen Pronomina (c); dies bedeutet, dass keine kongruententypspezifische Allomorphie zu verzeichnen ist. (63) (a) l-o-s/ tant-o-s/ nuestr-o-s (M-PL) vicio-s - l-a-s/ tant-a-s/ nuestr-a-s (F-PL) virtud-es (b) doscient-o-s vicio-s peligros-o-s (M-PL) - doscient-a-s virtud-es peligros-a-s (F-PL) (c) est-o-s libro-s me interesan → l-o-s (M-PL) quiero comprar - est-a-s revista-s me interesan → l-a-s (F-PL) quiero comprar Während das Femininum nun prinzipiell durch -a gekennzeichnet wird, sind für das Maskulinum neben der prototypischen Form von vornherein zwei weitere, weniger frequente Allomorphe zu berücksichtigen, nämlich -e und -ø. Das Auftreten von -e ist auf ganz bestimmte Kongruenten festgelegt. Es erscheint nur bei den Demonstrativpronomen est-e und es-e im Singular, wo -o der Markierung der neutralen Form dient und in dieser Hinsicht blockiert ist, sowie in Verbindung mit dem Diminutivrespektive Augmentativsuffix -et-e und -ot-e. Das Allomorph -ø begegnet unter der zuerst genannten Bedingung ebenfalls, so beim Demonstrativpronomen aquel, beim Personalpronomen der dritten Person (él) und dem homophonen definiten Artikel (el), vor- 101 Zur Unterscheidung expliziter vs. impliziter Genusmarker vgl. Schafroth (2004: 337f.). 102 Da die Zuordnung Graphem Phonem im Spanischen zumindest in den Fällen, die im Folgenden von Belang sind, eindeutig ist, werden wir uns auf die Angabe von Graphemen beschränken. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 98 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 99 ausgesetzt, man sieht diese als analysierbare Formen an. 103 Darüber hinaus tritt -ø beim indefiniten Artikel Singular (un) und bei einer größeren Anzahl von Adjektiven auf, vor allem bei den sogenannten gentilicios, z.B. español, catalán, alemán, francés, portugués etc. und hier - im Unterschied zu den verschiedenen Pronomen und Determinantien - nicht nur im Singular, sondern auch im Plural. Es ist damit insgesamt weit weniger beschränkt als -e. Abgesehen von dieser überschaubaren Variation, die teils als target-spezifisch und morphologisch bedingt, teils (‚nur‘) als lexikalisch konditioniert aufzufassen ist, erweist sich die formale Markierung der Genuskategorie im Spanischen als überaus konstant, d.h., dass die Art der Kennzeichnung der Kongruenten nur sehr geringfügig von kontextuellen Faktoren abhängig ist: Die syntaktische Stellung der jeweiligen Kongruenten und/ oder die phonologische Umgebung nehmen in der Regel keinen Einfluss auf die Markierung. Lediglich eine sehr begrenzte Gruppe genusvariabler Adjektive und Determinantien erscheint in apokopierter Form, sofern sie einem maskulinen Substantiv im Singular unmittelbar vorausgehen, vgl.: (64) (a) este vino es bueno un buen vino (b) el día postrero el postrer día (c) sin deseo alguno algún deseo Die Anzahl der für das Maskulinum zu berücksichtigenden Allomorphe erhöht sich durch die Apokopierung allerdings nicht; vielmehr kommt die syntaktisch bedingte, aber auf wenige Elemente beschränkte Tilgung einer Umstellung der Markierung auf das Allomorph -ø gleich. Genusvariable Elemente, die generell auch vor femininem Substantiv im Singular apokopiert würden, gibt es nicht. 104 Allein die femininen Formen des indefiniten und definiten Artikels weisen unter bestimmten syntaktischen und phonologischen Bedingungen eine auslautreduzierte (Sonder-)Form auf, die mit der des Maskulinums identisch ist; vgl.: 103 Zu beachten ist, dass die Markierung der Demonstrativa durch -e respektive -ø auch bei nichtpronominaler Verwendung erhalten bleibt (vgl. ese/ este/ aquel hombre), obgleich hier - streng genommen - keine Blockierung des prototypischen Maskulinum-Allomorphs -o vorliegt. Ferner gilt, dass der Zusammenfall von Maskulinum und neutraler Form nicht durchgängig verhindert wird; so stehen im Falle des direkten Objektpronomens keine gesonderten Marker zur Verfügung (vgl.: ¿Y qué te compraste? - Quiero verlo. vs. ¡Dame el libro! - Quiero verlo.) 104 In einzelnen Fällen besteht allerdings die Möglichkeit der Verkürzung femininer Formen; dies gilt vorwiegend für bestimmte Wendungen, z.B. en mal/ buen hora anstatt en mala/ buena hora. Für genauere Angaben zu den genusvariablen sowie -invariablen Elementen, die von der Apokopierung betroffen sind, sei auf Ambadiang (1999: 4907f.) und auf die Darstellung verschiedener Grammatiken verwiesen, etwa de Bruyne ( 2 2002: 112ff.), Cartagena/ Gauger (1989: 191, 193). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 99 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr 100 Genus im Sprachvergleich (65) (a) un/ el águila/ aula/ área … vs. las/ unas águilas/ aulas/ áreas … (b) un/ el haya alta vs. una/ la alta haya (c) el hambre vs. mucha hambre Zur Apokopierung (bzw. Umstellung) des Artikels kommt es nur bei Substantiven, die auf betontem aanlauten, insofern handelt es sich um phonologische Konditionierung. Dass die Variation auch hier auf den Singular beschränkt ist, zeigt (65) (a). (65) (b) und (c) belegen, dass die Formveränderung nicht als Folge einer weiterreichenden phonotaktischen Beschränkung des Spanischen angesehen werden kann (auslautendes -a wird nicht generell getilgt, wenn ein betontes -a folgt); (65) (b) macht zudem deutlich, dass die unmittelbare Voranstellung Voraussetzung für die Variation ist. 105 Da die feminine Form des definiten und indefiniten Artikels im skizzierten Fall mit der des Maskulinums koinzidiert, trägt die Allomorphie hier zur Nivellierung der Klassenmarkierung bei. 106 Mit dieser Feststellung sind wir bei der dritten eingangs gestellten Frage angelangt, der Frage nach den Beschränkungen, denen die Kennzeichnung der Klassenzugehörigkeit unterworfen ist. Zu diesem Punkt ist zunächst zu sagen, dass die Aufhebung der Genusmarkierung aufgrund syntaktischer bzw. syntaktisch-phonologischer Faktoren auf den genannten Fall begrenzt und damit als marginal zu werten ist. 107 Vergleichsweise gering sind auch die Einschränkungen, die sich aufgrund bestimmter grammatischer Kategorien (oder Kategorienkonstellationen) ergeben. Die Genusdifferenzierung wird nämlich lediglich durch die Ausprägung der Person- und Kasuskategorie (nicht aber durch Numerus) restringiert. Damit sind dann aber auch nur ganz bestimmte targets betroffen, eben diejenigen, die hinsichtlich (einer) dieser Kategorien markiert sind, also Personalpronomen und Possessiva. Bei den Personalpronomen sind die erste und zweite Person Singular von der Genusdifferenzierung, die im Normalfall 105 Bleibt anzumerken, dass die genannten Bedingungen nicht unumschränkt zum Tragen kommen; so bleiben die femininen Artikel vor femininen (weiblichen) Personenbezeichnungen und Eigennamen sowie vor den Bezeichnungen für die Buchstaben des Alphabets generell unverändert (vgl.: la Ana, la hache). 106 Als Folge dieser Nivellierung zeigen sich bei einigen Feminina, die auf betontem aanlauten, Genusschwankungen; es gilt, dass vorangestellte Kongruenten häufig im Maskulinum erscheinen - vor allem im Singular, während die feminine Markierung im Falle der Nachstellung in der Regel beibehalten wird. In der Literatur ist in diesem Zusammenhang von ‚doble concordancia‘, ‚concordancia bifronte‘ und von ‚hermafroditismo lateral sensible al número‘ die Rede (vgl. hierzu Ambadiang 1999: 4902ff., Martínez 1999: 2715f., 2722f.). 107 Der Vollständigkeit halber sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass die Apokopierung genusvariabler Adjektive und Determinantien in sehr begrenztem Umfang auch für die feminine Form möglich, aber keineswegs obligatorisch ist. Daher mag es vereinzelt auch bei diesen Elementen und unabhängig vom Anlaut der Substantive zur Aufhebung der Genusmarkierung kommen. Es handelt sich hierbei aber immer um Ausnahmefälle. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 100 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 101 einer Sexusdifferenzierung gleichkommt, ausgenommen, was angesichts der deiktischen Funktion - mit den Worten Ronneberger-Sibolds (2004: 1270) handelt es sich hier eher um ‚Rollenwörter‘ als um ‚echte Pronomina‘ - nicht weiter verwunderlich und auch im Französischen und Deutschen (sowie in anderen Genussprachen) die Regel ist. 108 Ferner erweist sich hier die Kasuskategorie als ausschlaggebend: Es gilt, dass die Genusmarkierung entweder allein auf die Subjektpronomina beschränkt ist - so im Falle der ersten und zweiten Person Plural (nosotr-o-s/ -a-s vs. nos) - oder zusätzlich das direkte, nicht jedoch das indirekte Objekt umfasst - dies ist für die Pronomina der dritten Person zu konstatieren (él/ ella vs. lo/ la vs. le bzw. se, ellos/ ellas vs. los/ las vs. les bzw. se). Im Falle der Possessiva ist die Genusdifferenzierung - wie wir im letzten Abschnitt ja bereits angedeutet haben - ebenfalls auf bestimmte Person/ Numerus-Konstellationen eingegrenzt: die Klassenzugehörigkeit des Possessums wird bei den sogenannten unbetonten Formen lediglich in der ersten und zweiten Person Plural markiert, alle anderen Formen lassen keine Rückschlüsse auf das Genus des Possessums zu. In stärkerem Maße kommen lexikalische Restriktionen zum Tragen, d.h.: die Genusmarkierung ist im Spanischen in erster Linie dadurch eingeschränkt, dass es vor allem bei den Attributen, aber auch bei den Determinantien und Pronomen größere oder kleinere Gruppen von Elementen gibt, die im Genus nicht differenziert sind, die per se keine Genusflexion erlauben. Exemplarisch sei hier lediglich auf die große Gruppe der Adjektive, die auf -e auslauten, sowie auf die Existenz anderer genusinvariabler Adjektive hingewiesen (vgl. interesante, difícil, gris, belga etc.); ferner sei noch einmal auf die Numeralia, genauer die Kardinalzahlen, die ja - wie in 1.2.1.1. festgestellt wurde - in der Mehrzahl nicht kongruieren und auf Indefinita bzw. Indefinitpronomen wie cada, cualquier(-a), alguien, nadie u.a. sowie auf die Reflexivpronomen aufmerksam gemacht. 109 Abschließend kann festgehalten werden, dass die Genusmarkierung im Spanischen (i) unabhängig von der Markierung anderer grammatischer Kategorien erfolgt, dass die einzelnen Genera (ii) durch ein sehr begrenztes Inventar von Allomorphen und (iii) in der Regel positiv markiert werden - prinzipiell durch -a (F), typischerweise durch -o (M); (iv) gilt, dass syntaktische und/ oder 108 Da die Instanzen, auf die diese Pronomina (bzw. ‚Rollenwörter‘) verweisen, nämlich Sprecher und Angesprochener, in der Regel bekannt sind, erübrigt sich die Genusrespektive Sexusdifferenzierung. 109 Eine Übersicht über die verschiedenen Elemente, die von der Genuskongruenz ausgenommen sind, findet sich bei Ambadiang (1999: 4882f.). (In den verschiedenen Grammatiken und Handbüchern sind diese Elemente in der Regel verstreut angegeben, jeweils innerhalb der Abschnitte zu den verschiedenen Wortarten.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 101 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr 102 Genus im Sprachvergleich phonologische Faktoren nur sehr begrenzt zur formalen Variation beitragen und (v) dass die Genusmarkierung allein durch lexikalische Restriktionen in größerem Umfang eingeschränkt bzw. aufgehoben ist. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass für das Spanische ein hohes Maß an alliterativer Kongruenz anzusetzen ist. 2.1.3.2. Genusmarkierung im gesprochenen und geschriebenen Französisch Bislang haben wir uns dort, wo es um die Genusdifferenzierung im Französischen ging, immer auf die Angabe graphischer Formen beschränkt. Dabei waren die Beispiele in der Regel so gewählt, dass den graphischen Markierungen der beiden Genusklassen solche auf der lautlichen Ebene entsprachen, d.h., dass die in der Graphie differenzierten Formen sich auch phonisch voneinander unterschieden. In diesem Abschnitt gilt es nun einerseits zu zeigen, dass sich die Genusmarkierung im graphischen Code sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht von derjenigen im code phonique unterscheidet, andererseits ist auf die Genusmarkierung im gesprochenen Französisch genauer einzugehen. Dies bedeutet, dass wir uns im Folgenden zwar um eine Charakterisierung der Diskrepanzen zwischen phonischer und graphischer Ebene bemühen, im Rahmen der (exemplarischen) Beschreibung der Form der Genuskennzeichnung aber primär auf die phonische Ebene Bezug nehmen. Die für die französische Sprache charakteristische ‚Kluft‘ zwischen Lautung und Schreibung wirkt sich - anders als in anderen Sprachen wie Englisch und Deutsch, die von einer 1: 1-Relation zwischen Graphemen und Phonemen ebenfalls weit entfernt sind - generell auch im Bereich grammatischer Kennzeichnungen aus. Für unterschiedliche grammatische Kategorien - neben Genus vor allem Numerus und Person - gilt zunächst, dass die graphisch markierten Formen zahlreicher sind als die phonisch markierten. Die Analyse konkreter Äußerungen ergibt, dass die Anzahl der Kennzeichnungen im phonischen Code nur im Ausnahmefall ebenso hoch ist wie im code graphique; ein Überschuss phonischer Markierungen kommt so gut wie gar nicht vor. 110 Abgesehen von dieser quantitativen Differenz, die zu „Bereichen einer ausschließlich geschriebenen Grammatik“ führt (Söll 3 1985: 90) und die gemeinhin unter dem Terminus orthographe grammaticale begegnet, werden gerade bei der Genuskategorie einschneidende qualitative Unterschiede offenbar. Diese betreffen sowohl die Art der Markierung als auch deren Einheitlichkeit. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Betrachtung der Adjektive (und 110 Ausführlich äußern sich hierzu z.B. Dubois (1965: insb. 17ff., 64ff.) und Söll ( 3 1985: 92ff.); beide fangen die genannten quantitativen Differenzen durch eine Formel ein; bei Söll (ebd. 93) lautet diese Mp ≤ Mg, wobei ‚M‘ = Merkmale, ‚p‘ = phonisch, ‚g‘ = graphisch. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 102 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 103 Partizipien); für die graphische Markierung kann hier Folgendes festgestellt werden: L’opposition entre le masculin et le féminin […] se laisse décrire selon une formule très simple: on forme le féminin d’un adjectif en ajoutant un -e au masculin, excepté si ce dernier se termine déjà par -e. Cette formule sera complétée par quelques remarques sur des changements concomitants dans la graphie de certaines formes de base et par l’énumération d’un nombre restreint de formations anormales, mais le résultat final n’en sera pas moins une description assez simple. (Mok 1968: 38) Dieser einfachen und in hohem Maße homogenen graphischen Kennzeichnung durch -e (F) gegenüber -ø (M) steht eine ganze Reihe unterschiedlicher Formen in der Phonie gegenüber; vgl. hierzu zunächst: 111 (66) (a) / g“o/ (gros) (M) - / g“os/ (grosse) (F) / f“A)sE/ (français) (M) - / f“A)sEz/ (française) (F) / p(´)ti/ (petit) (M) - / p(´)tit/ (petite) (F) / almA)/ (allemand) (M) - / almA)d/ (allemande) (F) / ZA)ti/ (gentil) (M) - / ZA)tij/ (gentille) (F) / blA)/ (blanc) (M) - / blA)S/ (blanche) (F) / lç)/ (long) (M) - / lç)g/ (longue) (F) (b) / kçmø)/ (commun) (M) - / kçmyn/ (commune) (F) / mi¯ç)/ (mignon) (M) - / mi¯çn/ (mignonne) (F) / malE)/ (malin) (M) - / mali¯/ (maligne) (F) (66) (a) und (b) veranschaulichen, dass für den phonischen Code eine Markierung durch -ø (M) versus -K (F) angenommen werden kann, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Auftreten des Konsonanten ggf. weitere Veränderungen nach sich zieht; so führt z.B. der Nasalkonsonant in (b) zur Entnasalierung - und ggf. zum Wechsel - des vorausgehenden Vokals. Ferner gilt, dass das Auftreten der unterschiedlichen Konsonanten nicht voraussagbar ist. Die Variation hinsichtlich der Kennzeichnung des Femininums kann nicht auf die phonologische Struktur der maskulinen Form, etwa auf den Auslautvokal zurückgeführt werden; hierauf deuten bereits einige der unter (66) genannten Beispiele hin, etwa / alm · )/ - / alm · )d/ gegenüber / bl · )/ - / bl · )∫/ und / l )/ - / l )g/ gegenüber / mi¯ )/ - / mi¯ n/ (für weitere Beispiele vgl. u.a. Mok 1968: 38, Söll 3 1985: 94). Bei einer an der phonetischen Oberfläche orientierten Beschreibung kommt man daher zu dem Schluss, ebenso viele Femininallo- 111 Wir erheben an dieser Stelle keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die Beispiele haben lediglich illustrativen Charakter. Für umfassendere Darstellungen kann auf die Arbeiten von Dubois (1965: insb. 69ff.), Mok (1968: 25ff.), Söll ( 3 1985: insb. 94ff.) und Gather (1997: 155ff.) zurückgegriffen werden. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 103 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr 104 Genus im Sprachvergleich morphe anzusetzen wie es Alternationen zwischen ‚Null‘ und Konsonant gibt, und dies sind (maximal) 13. 112 Hinzu kommt, dass neben diesem frequenten Kennzeichnungsverfahren auch Fälle konsonantischer Auslautvariation zwischen Maskulinum und Femininum auftreten; als produktiv erweist sich der Wechsel zwischen / f/ und / v/ in (67) (a), während die Variation von / -k/ und / -S/ in (b) auf das genannte Adjektiv beschränkt ist und damit als lexikalisiert zu gelten hat: (67) (a) / b“Ef/ (bref ) (M) - / b“Ev/ (brève) (F) (b) / sEk/ (sec) (M) - / sES/ (sèche) (F) Damit erhöht sich die Zahl der für die Genusmarkierung im phonischen Code anzusetzenden Allomorphe weiter. Wie Gather (1997: 159) feststellt, wird eine solche oberflächenorientierte Analyse „in den meisten Darstellungen der französischen Genusmorphologie in den einschlägigen Grammatiken“ nahegelegt, und sie kann „nach wie vor als vorherrschende Auffassung von der Lokalisierung des Femininmorphems im code phonique betrachtet werden“. 113 Schließlich ist auf die von Mok angeführten ‚formations anormales‘ der Graphie hinzuweisen, die sich auch hinsichtlich ihrer phonischen Gestalt einer einfachen Analyse in Adjektivstamm und Genusflex widersetzen. Hierzu zählen Adjektive wie in (68) (a), die unseres Erachtens nicht sinnvoll zu segmentieren sind und die daher am ehesten als Suppletivformen aufgefasst werden sollten; ferner Beispiele wie unter (68) (b), bei denen die Genusmarkierung über bestimmte Derivationssuffixe erfolgt: (68) (a) / bo/ (beau) (M) - / bEl/ (belle) (F) / fu/ (fou) (M) - / fçl/ (folle) (F) / vjO/ (vieux) (M) - / vjEj/ (vieille) (F) 112 Die Zahl 13 ergibt sich aus der Zusammenschau der genannten Arbeiten von Dubois (1965), Mok (1968), Söll ( 2 1985) und Gather (1997) und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wir auch diejenigen Alternationen einrechnen, in denen das Auftreten des auslautenden Konsonanten weitere Veränderungen nach sich zieht (s.o.). (Wir erachten es hier nicht als notwendig, diese Fälle - so wie in den meisten Darstellungen üblich - gesondert zu behandeln, auch wenn die Veränderungen im Stamm nur begrenzt vorhersagbar sind). Im Einzelnen erhalten wir demnach die Varianten / -s/ , / -z/ , / -t/ , / -d/ , / -j/ , / -S/ , / -g/ , / -n/ und / -¯/ - gemäß den Beispielen unter (66) - ferner / -“/ (/ leZe/ - / leZE“/ ), / -k/ (/ f“A)/ - / f“A)k/ ), / -l/ (/ su/ - / sul/ ) und ggf. / -kt/ (/ distE)(kt)/ - / distE)kt/ ). 113 Gleichwohl gilt, dass die Adäquatheit einer solchen Beschreibung vielfach in Frage gestellt und dass eine ganze Reihe alternativer Analysen vorgeschlagen wurde, die ihrerseits allerdings auch wieder zu (je spezifischen) Problemen führen. Eine sehr gute und kritische Übersicht über die verschiedenen Beschreibungsansätze und deren Schwachpunkte liefert Gather (1997). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 104 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 105 (b) / mA)tø“/ (menteur) (M) - / mA)tOz/ (menteuse) (F) / libe“atø“/ (libérateur) (M) - / libe“at“is/ (libératrice) (F) 114 Besonderen Status haben ferner die auf -al(e) bzw. / -al/ ausgehenden Adjektive, die für das Maskulinum sowohl in graphischer als auch in phonischer Hinsicht eine spezifische (substitutive) Pluralmarkierung durch -aux respektive / -o/ aufweisen (z.B. normal / nç“mal/ , régional / “eZjonal/ , amical / amikal/ , intégral / E)teg“al/ normaux / nç“mo/ , régionaux / “eZjono/ , amicaux / amiko/ , intégraux / E)teg“o/ ). Hier wäre für den Plural des Maskulinums ein Portemanteau-Allomorph anzusetzen, welches Numerus und Genus gleichzeitig spezifiziert. 115 Halten wir fest, dass sich die Genusdifferenzierung der Adjektive an der phonetischen Oberfläche als überaus heterogen erweist: Zwar ist die Genuskennzeichnung in der Regel nicht an die Markierung anderer grammatischer Kategorien, genauer: an die Numerusmarkierung gebunden, doch werden die Klassenmorpheme, insb. das Femininum, durch eine große Zahl unterschiedlicher Allomorphe realisiert, deren Auftreten generell nicht durch allgemeinere kontextuelle, d.h. phonologische Faktoren motiviert ist. Hinzu kommen Fälle suppletiver Markierung. Bleibt noch einmal explizit darauf aufmerksam zu machen, dass die in der Graphie fassbare Differenzierung der beiden Genusklassen - gemäß den eingangs skizzierten quantitativen Differenzen zwischen graphischer und phonischer Kennzeichnung - in zahlreichen Fällen keine phonische Entsprechung kennt; dies gilt für Adjektive - vgl. (69) (a) - und in besonderem Maße für das participe passé - vgl. (69) (b): (69) (a) clair / klE“/ - claire / klE“/ bleu / blO/ - bleue / blO/ etc. (b) rentré / “A)t“e/ - rentrée / “A)t“e/ fini / fini/ - finie / fini/ etc. 114 Da es sich hier, d.h. bei den unter (b) aufgeführten Beispielen, nicht um prototypische Adjektive, sondern um deverbale Nomina Agentis handelt, die (auch) adjektivisch verwendet werden können, wäre zu überlegen, ob diese überhaupt berücksichtigt werden müssen. 115 Die übrigen Formen, d.h. Maskulinum Singular, Femininum Singular und Femininum Plural sind in der Graphie eindeutig markiert; sie folgen dem üblichen Muster (d.h.: Kennzeichnung des Femininums durch -e, des Plurals durch -s), im code phonique sind sie nicht differenziert (vgl. normal / nç“mal/ vs. normal-e / nç“mal/ vs. normal-e-s / nç“mal/ ). Bleibt darauf hinzuweisen, dass nicht alle Adjektive, die im Singular auf -al(-e) resp. / -al/ enden, diese - in phonischer wie in graphischer Hinsicht - ‚außergewöhnliche‘ Markierung der Pluralform des Maskulinums aufweisen; einige - z.B. fatal, final, tonal, naval - werden in der Graphie regelhaft durch -s gekennzeichnet (wodurch die phonische Genusmarkierung dann auch im Plural nicht zum Tragen kommt), andere - etwa glacial, idéal u.a. - schwanken zwischen den genannten Möglichkeiten. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 105 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr 106 Genus im Sprachvergleich Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auch die graphische Differenzierung der beiden Genera bei den Adjektiven nicht durchgängig erfolgt - dies kam ja bereits in dem oben angegebenen Zitat von Mok zum Ausdruck. Nach den Angaben von Arrivé et al. (1986: 40) sind 42 % der geschriebenen Adjektive invariabel. Da die graphische Nicht-Markierung nun immer mit einer phonischen Nicht-Markierung einhergeht, das Umgekehrte aber - wie gesagt - nicht gilt, ergibt sich für die Phonie ein noch wesentlich höherer Anteil; Arrivé et al. (ebd.) sowie Riegel et al. ( 5 1999: 359) geben an, dass 2 / 3 der Adjektive keine phonische Genusdifferenzierung erlauben. Beim participe passé liegt der Anteil nicht-genusmarkierter Formen sogar bei 98,75%. Diese Angaben sind allerdings insofern zu relativieren, als die (wenigen) markierten Adjektive und Partizipien zumindest zum Teil zu den hochfrequenten gehören (vgl. Krassin 1994: 94 und Söll 3 1985: 97). Wenn wir unsere Betrachtung nun auf die übrigen prinzipiell im Genus kongruierenden Elemente ausdehnen, so stellen wir zunächst fest, dass die für die Adjektive konstatierten Möglichkeiten der phonischen Genusmarkierung zwar zum Teil auch bei diesen zu finden sind, dass aber darüber hinaus noch weitere Kennzeichnungsverfahren begegnen: Markierung über -ø (M) vs. -K (F) kann z.B. für den unbestimmten Artikel - / ø)/ (un) (M) vs. / y n / (une) (F) - sowie im Falle einiger Indefinita, etwa / sE“tE)/ (certain(-s)) (M) vs. / sE“tE n / (certaine(-s)) (F) und / tu/ (tout/ tous) (M) vs. / tut/ (toute(-s)) (F), gegebenenfalls auch für das Demonstrativum / s(´)/ (ce) vs. / sEt/ (cette) angenommen werden. Suppletive Kennzeichnung liegt vor allem im Bereich der substantivischen Pronomina vor, z.B. bei den Personalpronomen der dritten Person - / il/ (il(-s)) (M) vs. / El/ (elle(-s)) (F) - und bei den Demonstrativpronomen, / s´lÁi/ (celui) (M) vs. / sEl/ (celle). Formen, die bei den Adjektiven nicht auftreten, finden wir z.B. bei den Possessiva; vgl.: (70) (a) / )liv“/ (mon livre) (M.S) - / vwaty“/ (ma voiture) (F.S) (b) / )liv“/ (ton livre) (M.S) - / vwaty“/ (ta voiture) (F.S) (c) / )liv“/ (son livre) (M.S) - / vwaty“/ (sa voiture) (F.S) Hier kann ggf. davon ausgegangen werden, dass die Genusdifferenzierung über den Wechsel der Auslautvokale / ç)/ vs. / a/ markiert wird. Ähnlich verhält es sich im Falle des bestimmten Artikels und des mit diesem homonymen Objektpronomens der dritten Person Singular; wie (71) zeigt, werden die beiden Genusklassen auch hier über die auslautenden Vokale markiert; allerdings stehen sich nicht / ç)/ vs. / a/ , sondern / -´/ (-e) (M) und / -a/ (-a) (F) gegenüber; vgl.: (71) (a) / ( )liv“/ le livre (M.S) - / vwaty“/ la voiture (F.S) (b) / Z(´) ( )vwa/ je le vois - / Z(´) vwa/ je la vois TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 106 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 107 In Bezug auf die Genuskennzeichnung der Determinantien ist darüber hinaus festzustellen, dass sie - ebenso wie im Falle der Adjektive - nicht alle Elemente betrifft, sondern bestimmten lexikalischen Restriktionen unterliegt; so sind z.B. eine größere Zahl von Indefinita nicht genusvariabel - beispielsweise / Sak/ (chaque), / kElk(´)/ (quelque(-s)), / ot“(´)/ (autre(-s)), / plyzjø“/ (plusieurs); dies gilt auch für einige Pronomina, etwa für die Relativpronomen / ki/ (qui), / k(´)/ (que), / dç)/ (dont) und - ebenso wie im Spanischen - für die Reflexivpronomen u.a. 116 Für die meisten hinsichtlich der Genuskategorie variierenden Kongruenten muss nun ferner berücksichtigt werden, dass sowohl die Art (oder Form) der Genuskennzeichnung als auch deren Aufrechterhaltung von der phonologischen und syntaktischen Einbettung abhängig ist. Die bisherige Darstellung ist insofern unvollständig, als wir uns (stillschweigend) auf die Analyse ganz bestimmter Kontexte beschränkt haben. Die bislang gemachten Angaben zu den genusvariablen Elementen sind also nur begrenzt zutreffend: Nur wenn die kongruierenden Elemente vor Pause oder Konsonant erscheinen, wird die Genuskategorie in der Phonie über die genannten Allomorphe gekennzeichnet. Vor vokalischem Anlaut wird die Genusopposition entweder auf andere Weise oder - und dies trifft auf die Mehrzahl der Fälle zu - gar nicht markiert; diese Schwankungen kommen in der Graphie in der Regel nicht zum Ausdruck; vgl.: (72) (a) / ø)ga“sç)/ vs. / ynfij/ / ø)nami/ vs. / ynami/ un garçon vs. une fille un ami vs. une amie (b) / g“A)ga“sç)/ vs. / g“A)dfij/ / g“A)tami/ vs. / g“A)dami/ grand garçon vs. grande fille grand ami vs. grande amie (c) / g“oga“sç)/ vs. / g“osfij/ / g“ozami/ vs. / g“osami/ gros garçon vs. grosse fille gros ami vs. grosse amie (d) / lç)film/ vs. / lç)gswa“e/ / lç)kivE“/ (/ lç)givE“/ ) vs. / lç)gane/ long film vs. longue soirée long hiver vs. longue année (73) (a) / p( )tiga“sç)/ vs. / p( )titfij/ / p( )titami/ petit garçon vs. petite fille petit ami vs. petite amie (b) / movEga“sç)/ vs. / movEzfij/ / movEzami/ mauvais garçon vs. mauvaise fille mauvais ami vs. mauvaise amie (c) / bç)ga“sç)/ vs. / bçnfij/ / bçnami/ bon garçon vs. bonne fille bon ami vs. bonne amie (74) / l ga“sç)/ vs. / lafij/ / lami/ le garçon vs. la fille l’ami/ l’amie 116 Auch bei den Determinantien und Pronomina liegt die Zahl der genusinvariablen Elemente im phonischen Code höher als im graphischen Code (nur graphisch differenziert sind z.B. quel(-s) vs. quelle(-s) und nul vs. nulle). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 107 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr 108 Genus im Sprachvergleich Die unter (72)-(74) aufgeführten Beispiele zeigen zunächst, dass Determinantien und Adjektive, die vor einem vokalisch anlautenden Substantiv stehen, ihren - in anderen Umgebungen auftretenden - vokalischen Auslaut ‚verlieren‘. Dies ist vor dem Hintergrund der Silbenstruktur des Französischen sowie der für diese Sprache typischen Resyllabierungen (enchaînement) zu sehen: Zur Vermeidung des Hiats wird unter bestimmten syntaktischen Bedingungen generell entweder ein Konsonant eingefügt (Liaison) oder - seltener - der (auslautende) Vokal, insb. / -´/ , getilgt (Elision). Liaison liegt in (72) und (73) vor, wobei die phonische Differenzierung der beiden Genera in (72) erhalten bleibt, da der Liaisonkonsonant nicht mit dem Konsonanten übereinstimmt, der das Femininum kennzeichnet, während sie in (73) aufgehoben ist. 117 Elision begegnet in (74), und auch hier kommt es zur Aufhebung der Genusmarkierung; (allein in diesem Fall wird der umgebungsbedingten Variation sowie der Nivellierung der Genusmarkierung in der Graphie Rechnung getragen). 118 117 In einigen Fällen ist die Differenzierung der maskulinen und femininen Form in Liaisonkontexten stilabhängig. Dies trifft z.B. auf (72) (d) zu; der Liaisonkonsonant / k/ ist hier kennzeichnend für die langue soignée, im usage courant wird unter den genannten Bedingungen / g/ bevorzugt (sofern es überhaupt zur Liaison kommt). 118 Genauere Angaben zu Liaison und Elision sowie zu den prosodischen Charakteristika des Französischen finden sich z.B. bei Meisenburg/ Selig (1998) und Eggs/ Mordellet (1990). Zur Frage, wie der Liaisonkonsonant (und mithin die Liaison) am adäquatesten zu beschreiben ist - handelt es sich um einen epenthetischen Konsonanten, der durch eine Insertionsregel erzeugt wird, oder um einen latenten Konsonanten, der vor Vokal erhalten bleibt, unter anderen Bedingungen aber getilgt wird, oder aber um ein floating segment, ein Element ohne feste silbische Anbindung? - vgl. - zusammenfassend - Durand (1986) sowie Ayres-Benett/ Carruthers (2001: 59ff.). Selbstverständlich hat die Art der Beschreibung der Liaison auch Auswirkungen auf die Beschreibung der Genusmorphologie und umgekehrt. So ist die Annahme, dass es sich bei dem in der Liaison realisierten Konsonanten um einen latenten Konsonanten handelt, der zum Stamm gehört, nicht mit der angegebenen oberflächenorientierten Beschreibung der Genusmorphologie (der Adjektive) vereinbar. Vielmehr wird unter dieser Voraussetzung in der Regel von einer Markierung des Femininums über ein zugrunde liegendes Schwa ausgegangen, welches für das generelle Auftreten des auslautenden Konsonanten verantwortlich zu machen ist. Die an der phonetischen Oberfläche zutage tretende Variation (Alternation -ø (M) vs. -K (F) bzw. konsonantische Alternation) erweist sich unter diesem Blickwinkel als epiphänomenal. Sie ist - mit den Worten Gathers (1997: 175) - lediglich ein ‚sekundäres Phänomen‘, ein ‚Als-Ob-Effekt‘; und dennoch dürfte sie - wie auch Gather zugesteht - „durchaus eine Rolle bei der Sprachverarbeitung spielen“. Insofern sie „‚psychisch real‘ und Teil des sprachlichen Wissens von Sprechern“ ist und „trotz ihrer Epiphänomenalität einen […] eigenständigen Status“ erhält, kommt aber auch der oberflächenorientierten Konzeption durchaus „ein Quantum an linguistischer Wahrheit“ zu (ebd.: 174f.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 108 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 109 Bei anderen Adjektiven und Determinantien treten unter den genannten Bedingungen weitere Veränderungen auf; vgl. etwa: (75) (a) / mç)ga“sç)/ vs. / mafij/ / mç)nami/ (/ mçnami/ ) mon garçon vs. ma fille mon ami/ mon amie (b) / boga“sç)/ vs. / bElfij/ / bElami/ beau garçon vs. belle fille bel ami vs. belle amie In (75) (a) wird das Aufeinandertreffen der Vokale im Falle des Maskulinums durch Liaison verhindert (mit der Besonderheit, dass das Auftreten des Nasalkonsonanten hier nicht unbedingt mit der Entnasalierung des vorausgehenden Vokals einhergeht); beim Femininum kommt es heute aber in der Regel nicht (mehr) zur Elision des Vokals, sondern zur ‚Umstellung‘ des kongruierenden Elements und damit zum Zusammenfall mit dem Maskulinum. 119 Auch in (b) wird die Genusdifferenzierung im code phonique nivelliert, da das auf Vokal auslautende Maskulinum in Liaisonkontexten durch die historisch ältere Form mit konsonantischem Auslaut (bel) ersetzt wird (anders als in Beispiel (75) (a) ist die Genusmarkierung in der Graphie hier jedoch nach wie vor greifbar.) Bleibt darauf hinzuweisen, dass die Auswirkungen, die die skizzierten phonotaktischen Gesetzmäßigkeiten des Französischen auf die Markierung der Genuskategorie nehmen, auf den Singular beschränkt sind, da im Plural in entsprechenden Kontexten regelhaft das Pluralallomorph / z/ in Erscheinung tritt; die Genusdifferenzierung ist damit nicht affiziert. Für die Adjektive gilt also, dass die vorkonsonantischen Formen ‚erhalten‘ bleiben; vgl. hierzu etwa die folgenden an (72)-(75) angelehnten Beispiele: (76) (a) / g“A)zami/ vs. / g“A)dzami/ grands amis vs. grandes amies (b) / lç)zivE“/ vs. / lç)gzane/ longs hivers vs. longues années (c) / p( )tizami/ vs. / p( )titzami/ petits amis vs. petites amies (d) / bç)zami/ vs. / bçnzami/ bons amis vs. bonnes amies (e) / bozami/ vs. / bElzami/ beaux amis vs. belles amies Obgleich dem Plural damit in gewisser Hinsicht eine regularisierende oder besser: konservierende Wirkung zukommt, darf nicht übersehen werden, 119 Grevisse ( 13 1998: 909) bemerkt, dass die Elision des a gerade im Falle von m’amie und m’amour auch heute noch erhalten ist. Außerhalb literarischer Texte und Chansons dürften diese Formen jedoch kaum begegnen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 109 16.12.2008 13: 08: 32 Uhr 110 Genus im Sprachvergleich dass die Pluralmarkierung bei zahlreichen kongruierenden Elementen mit der Aufhebung der Genuskennzeichnung einhergeht. Allein für die Adjektive gilt, dass die Genusdifferenzierung der Singularformen - sofern vorhanden - im Plural konsequent aufrechterhalten wird; nur mit Bezug auf diese kann von einer parallelen Struktur der Genusmarkierung, von einem parallelen System im Sinne von 1.3.2. gesprochen werden. Bei anderen Kongruenten, vor allem bei den Determinantien ist die Nivellierung der Genusdifferenzierung im Plural die Regel; 120 hier liegen also vorwiegend konvergente Strukturen vor; vgl.: (77) (a) / ø)/ (un) vs. / yn/ (une) / de/ (des) (b) / l( )/ le vs. / la/ (la) / le/ (les) (c) / s( )/ (ce) vs. / sEt/ (cette) / se/ (ces) (d) / mç)/ (mon) vs. / ma/ (ma) / me/ (mes) etc. Unter den verschiedenen grammatischen Kategorien ist der Numerus damit diejenige, die am stärksten zur Aufhebung der Genusmarkierung beiträgt. Die Wirkung der anderen in Frage kommenden Kategorien - Person und Kasus - ist wesentlich begrenzter. Es werden hier in etwa dieselben Einschränkungen sichtbar, die oben mit Bezug auf das Spanische festgestellt wurden: So erstreckt sich die Genuskongruenz im Falle der Personalpronomina lediglich auf die dritte Person Singular; die erste und zweite Person sind weder im Singular noch - im Unterschied zum Spanischen - im Plural nach dem Genus differenziert. Ferner umfasst die Kongruenz vorwiegend die Subjektpronomen; nur im Singular erstreckt sie sich zusätzlich auf das direkte Objekt. Für die Possessiva gilt, dass lediglich die der ersten, zweiten und dritten Person Singular im Genus variieren, und dies beschränkt sich - wie in (77) (d) gezeigt - wiederum auf die Singularformen. Zusammenfassend stellen wir fest, dass sich die Genusmarkierung in der Phonie als sehr heterogen und wenig durchgängig erweist: Die Kennzeichnung der beiden Genusklassen erfolgt zwar - ebenso wie im Spanischen - prinzipiell unabhängig von der Markierung anderer grammatischer Kategorien, doch werden die Genera - anders als im Spanischen - an der phonetischen Oberfläche keineswegs einheitlich markiert; dies gilt vorwiegend für das Femininum, während das Maskulinum in der Regel nicht explizit gekennzeichnet ist, sondern als (formal) unmarkiertes Glied der Opposition erscheint. Ferner ist die Form der Markierung (im Falle singularischer Kongruenten) von kontextuellen Faktoren beeinflusst. Diese Faktoren tragen nun aber nicht nur zur weiteren Variation der Genuskennzeichnung bei, sondern vor allem auch 120 Riegel et al. ( 5 1999: 152) bemerken: „La marque de l’opposition de genre, régulière au singulier, est non moins régulièrement neutralisée au pluriel (sauf dans les rares cas comme celui de certains/ certaines)“. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 110 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 111 zu deren Aufhebung. Hiermit wird die Durchgängigkeit der Markierung, die durch umfassende lexikalische Restriktionen sowie durch die Wirkung grammatischer Kategorien - vor allem des Numerus (PL), insbesondere im Falle der Determinantien - ohnehin stark eingeschränkt ist, zusätzlich beeinträchtigt. Die graphische Kennzeichnung zeichnet sich hingegen durch ein vergleichsweise hohes Maß an Einheitlichkeit und Durchgängigkeit aus: typischerweise wird das Femininum durch -e, das Maskulinum durch -ø und damit (auch hier) durch einen ‚impliziten Genusmarker‘ (Schafroth 2004) gekennzeichnet. 2.1.3.3. Genusmarkierung im Deutschen Für das Deutsche ist zunächst zu konstatieren, dass die Genuskategorie grundsätzlich nicht durch ein eigenes (gebundenes) Morphem gekennzeichnet ist, sondern immer im Verbund mit den anderen nominalen Kategorien - Numerus und Kasus - markiert wird. Bei vier Kasus (NOM, AKK, DAT und GEN), zwei Numeri (S und PL) und drei Genera (M, F und N) müssten damit für eine eindeutige Markierung aller möglichen Kategorienkonstellationen insgesamt 24 Formen zur Verfügung stehen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zunächst gilt - und dies haben wir in Abschnitt 1.3.2. ja bereits herausgestellt -, dass die Genusdifferenzierung im Plural generell aufgehoben ist. Beim deutschen Genussystem handelt es sich, was die Markierung im Singular : Plural anbelangt, um ein durchgehend konvergentes System, durchgehend in doppeltem Sinne: Zum einen fallen die Markierungen nicht nur teilweise, sondern gänzlich zusammen - die target genders werden nicht reduziert, sondern im Plural gänzlich nivelliert, zum anderen beschränkt sich diese Nivellierung - anders als im Französischen - eben nicht nur auf bestimmte targets, sie betrifft vielmehr alle Kongruenten. Die ausdrucksseitige Verwobenheit hinsichtlich der Kennzeichnung der unterschiedlichen nominalen Kategorien macht eine isolierte Betrachtung des Genus natürlich unmöglich. Die Frage nach Form und Einheitlichkeit bzw. Heterogenität der Genusmarkierung, die wir im Folgenden zuerst beleuchten wollen, ist daher nicht von derjenigen nach den flexivischen Charakteristika der kongruierenden Elemente insgesamt zu trennen. In Bezug auf diese ist nun festzustellen, dass unterschiedliche Typen von Kongruenten je unterschiedlich flektieren. Am auffälligsten ist zunächst, dass die targets der internen Kongruenz immer über Suffixe gekennzeichnet sind, während bei denen der externen Kongruenz, d.h. bei den Pronomina, suppletive Markierung auftritt. Dies gilt für diejenigen, die allein als Pro-Formen und nicht auch innerhalb der NP, die die Kongruenz steuert, als Determinantien verwendet werden können, also die Personalpronomen und die davon abgeleiteten Possessivpronomen (sowie TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 111 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr 112 Genus im Sprachvergleich Possessiva) der dritten Person Singular. 121 Im Nominativ stehen sich hier die folgenden Formen gegenüber: er (M) vs. sie (F) vs. es (N), sein-er/ sein-e/ sein-es (bzw. sein/ sein-e) (M) vs. ihr-er/ ihr-e/ ihr-es (bzw. ihr/ ihr-e) (F) vs. sein-er/ sein-e/ sei-nes (bzw. sein/ sein-e) (N). 122 Für die verschiedenen über Flexionssuffixe markierten Kongruenten ist nun wiederum zu bemerken, dass sie nicht einheitlich markiert werden; exemplarisch seien hier zunächst die Formen des Demonstrativpronomens (resp. Demonstrativums) dieser, des definiten Artikels und des Possessivums mein angegeben, das ebenso flektiert wie der indefinite Artikel (mit dem Unterschied, dass dieser keinen Plural kennt); der Vollständigkeit halber berücksichtigen wir auch die Pluralformen, obgleich hier - wie gesagt - keine Genusdifferenzierung erfolgt: M.S F.S N.S PL NOM dies-er dies-e dies-es dies-e AKK dies-en dies-e dies-es dies-e DAT dies-em dies-er dies-em dies-en GEN dies-es dies-er dies-es dies-er M.S F.S N.S PL NOM d-er d-ie d-as d-ie AKK d-en d-ie d-as d-ie DAT d-em d-er d-em d-en GEN d-es d-er d-es d-er M.S F.S N.S PL NOM mein-ø mein-e mein-ø mein-e AKK mein-en mein-e mein-ø mein-e DAT mein-em mein-er mein-em mein-en GEN mein-es mein-er mein-es mein-er 121 Es gilt zu beachten, dass Letztere insofern als externe targets fungieren, als sie das Genus des Possessors markieren; dass sie zugleich das Genus des Possessums (flexivisch) kennzeichnen und daher auch als targets der internen Kongruenz zu werten sind, wurde in 2.1.2 gezeigt. 122 Bei den Reflexivpronomen verhält es sich ebenso wie im Spanischen und Französischen, sie sind - auch was die dritte Person Singular anbelangt - von der Genusmarkierung ausgenommen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 112 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 113 Obwohl die Markierungen dieser Kongruenten in einigen Punkten divergieren - was wir durch Fettdruck hervorgehoben haben - und obwohl nicht alle Pronomina (und Determinantien) durchgehend den genannten Mustern folgen, werden sie üblicherweise unter einer Flexionsklasse subsumiert, die - traditionell - als ‚pronominal‘ bzw. ‚stark‘ bezeichnet wird (vgl. etwa Ronneberger-Sibold 2004 und Eisenberg 2 2004: 169ff.). Die Allomorphie gilt dann als lexikalisch bedingt. 123 Die Zusammenfassung zu einer Klasse ist vor allem mit Verweis auf die weitreichenden Gemeinsamkeiten hinsichtlich der intraparadigmatischen Distinktivität begründbar: Mit einer vergleichbaren Anzahl unterschiedlicher Morphe - 5 im Falle von dieser, 6 im Falle des definiten Artikels und mein - werden im Wesentlichen die gleichen Distinktionen etabliert, da die zur Verfügung stehenden Formen weitgehend analog verteilt sind. 124 123 Zahlreiche Determinantien und Pronomina (z.B. jener, welcher, mancher u.a.) werden nach dem Muster von dieser flektiert, das als Prototyp der starken Deklination angesehen wird (vgl. Eisenberg 2 2004: 170). Die beim Possessivum und indefiniten Artikel auftretenden Formen zeigen sich nur bei wenigen anderen Kongruenten, nämlich bei den verwandten Indefinita irgendein und kein. Die Deklination des definiten Artikels ist auf diesen bzw. auf Elemente, die diesen zum Bestandteil haben (derjenige, derselbe) beschränkt (wobei jedoch zu beachten ist, dass hier doppelte Flexion vorliegt: auch der zweite Bestandteil (-jenige, -selbe) flektiert, und zwar ebenso wie Adjektive nach definitem Artikel (s.u.)). Abweichungen von den genannten Mustern offenbaren sich vorwiegend bei Elementen, die sowohl als Determinantien, also adnominal als auch pronominal verwendet werden. In einigen Fällen treten bei pronominaler Verwendung besondere Formen auf; so weicht das Demonstrativresp. Relativpronomen der im Genitiv aller Genera sowie im Dativ und Genitiv Plural durch Verwendung der sogenannten ‚vollen Formen‘ (dessen (GEN.M/ N), deren bzw. derer (GEN.F/ PL) und denen (DAT.PL)) von der Markierung des definiten Artikels ab. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Flexionsformen des indefiniten Artikels bei den oben genannten Einheiten nur dann auftreten, wenn diese adnominal verwendet werden; bei pronominaler Verwendung folgen sie dem Muster des Demonstrativums (vgl. mein-ø/ kein-ø/ ein-ø Mann vs. mein-er/ kein-er/ ein-er; mein-ø/ kein-ø/ ein-ø Kind vs. mein-es/ kein-es/ ein-es). Da eine exhaustive Darstellung hier nicht geleistet werden kann, sei für alle weiteren Angaben auf die entsprechenden Abschnitte der Grammatiken verwiesen, etwa Engel (1988), Helbig/ Buscha (2001) und Cartagena/ Gauger (1989). 124 Geringfügige Differenzen in puncto Distinktivität zeigen sich lediglich an zwei Stellen: Zum einen ist die Kasusdifferenzierung im Neutrum bei dieser stärker eingeschränkt als im Falle des definiten Artikels und mein (Zusammenfall von NOM/ AKK/ GEN.N vs. Zusammenfall von NOM/ AKK.N), zum anderen ist die Genusdifferenzierung im Nominativ bei mein - anders als bei dieser und der - insofern eingeschränkt, als Maskulinum und Neutrum identisch markiert werden. Was die Distinktivität der Numerusmarkierung anbelangt, so ist festzustellen, dass die Pluralformen durchweg im gleichen Verhältnis zu den unterschiedlichen Singularformen stehen. (Auffällig ist hier der Zusammenfall von Feminin- und Pluralmarkierung im NOM, AKK und GEN.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 113 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr 114 Genus im Sprachvergleich Auch die Adjektive deklinieren nach diesem pronominalen Typ, vorausgesetzt, dass sie in bestimmten syntaktischen Kontexten erscheinen. Für die Adjektive ist nämlich nicht nur zu konstatieren, dass sie bei prädikativer (und adverbialer) Verwendung in unflektierter Form erscheinen - worauf wir oben unter 2.1.2. ja bereits eingegangen sind - sondern auch, dass sie im Falle des attributiven Gebrauchs in Abhängigkeit der Determinantien, die ihnen vorausgehen, unterschiedlich flektieren, vgl. z.B.: (78) (a) klein-er Garten (M) - klein-e Wiese (F) - klein-es Haus (N) versus (b) der klein-e Garten (M) - die klein-e Wiese (F) - das klein-e Haus (N) Die pronominale oder starke Flexion tritt vor allem dann auf, wenn dem Adjektiv kein determinierendes Element vorangestellt ist; 125 (man spricht daher auch von ‚Adjektivdeklination nach Nullartikel‘ (vgl. etwa Helbig/ Buscha 2001 sowie Duden 6 1998)). Unter dieser Bedingung weisen die Adjektive - außer im Genitiv Maskulinum und Neutrum - die typischen pronominalen Formen auf, die oben anhand von dieser illustriert wurden; vgl.: 126 M.S F.S N.S PL NOM klein-er klein-e klein-es klein-e AKK klein-en klein-e klein-es klein-e DAT klein-em klein-er klein-em klein-en GEN klein-en 126 klein-er klein-en klein-er Falls dem Adjektiv nun aber ein Element vorausgeht, das seinerseits durch die starken Formen gekennzeichnet ist - etwa der bestimmte Artikel oder ein Demonstrativum - wird es nach dem folgenden Muster flektiert (wiederum heben wir diejenigen Formen typographisch hervor, die bislang noch nicht an entsprechender Stelle begegnet sind): 125 Außerdem dann, wenn das vorangestellte Element - wie etwa im Falle von manch, solch, welch - unflektiert ist. 126 Der Vollständigkeit halber sei hier darauf hingewiesen, dass die von dem üblichen Muster abweichende Markierung durch -en an dieser Stelle zu einer (eher geringfügigen) Einschränkung hinsichtlich der Unterscheidbarkeit der Kasus führt, da GEN.M und AKK.M - anders als in allen bislang betrachteten Fällen - formal koinzidieren. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 114 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 115 M.S F.S N.S PL NOM klein-e klein-e klein-e klein-en AKK klein-en klein-e klein-e klein-en DAT klein-en klein-en klein-en klein-en GEN klein-en klein-en klein-en klein-en Aufgrund der wesentlich geringeren intraparadigmatischen Distinktivität, die sich aus quantitativen Unterschieden ergibt - für die insgesamt 16 Kategorienkonstellationen stehen nunmehr lediglich 2 verschiedene Marker zur Verfügung (-e und -en) - erscheint es gerechtfertigt, diese Art der Deklination - so wie dies üblich ist - als ‚schwach‘ zu bezeichnen. (Nach Maßgabe der syntaktischen Konditionierung ist auch von ‚Deklination nach definitem Artikel‘ die Rede.) Wieder anders verhalten sich die Adjektive, wenn sie in Kombination mit dem indefiniten Artikel und analog flektierenden Elementen gebraucht werden. Hier erscheinen, in den Fällen, in denen die Determinantien durch ein Nullallomorph gekennzeichnet sind (also im NOM.M und NOM/ AKK.N), die starken, in allen anderen die schwachen Formen; entsprechend wird dieser Deklinationstyp - sofern überhaupt als eigener Typ geführt - als ‚gemischt‘ bezeichnet; (Helbig/ Buscha 2001: 276 sprechen - den Auftretensbedingungen gemäß - von „Adjektivdeklination nach den Artikelwörtern ein (Sing.), kein, mein“; ähnliche Angaben finden sich im Duden ( 6 1998)). Vgl.: M.S F.S N.S PL NOM klein-er klein-e klein-es klein-en AKK klein-en klein-e klein-es klein-en DAT klein-en klein-en klein-en klein-en GEN klein-en klein-en klein-en klein-en Halten wir fest, dass die Genus/ Kasus/ Numerus-Markierung sowohl lexikalisch als auch syntaktisch bedingten Schwankungen unterliegt, Letzteres ist vor allem für die Adjektive zu konstatieren. 127 Es gilt, dass die unterschied- 127 Dies ist insofern richtig, als die skizzierten syntaktisch bedingten Variationen zwar prinzipiell auch bei den Determinantien und Pronomina greifen, dort aber nur sehr marginal zum Tragen kommen, da diese Einheiten lediglich begrenzt in Kombination mit (anderen) Determinantien auftreten (vgl. aber z.B. die Unterschiede in der Deklination von solcher in den folgenden Beispielen: mit solch-er Bewunderung …/ mit solch-em Stolz …/ mit solch-em Misstrauen … vs. mit einer solch-en Bewunderung …/ mit einem solch-en Stolz …/ mit einem solch-en Misstrauen …; vgl. ebenso die Formen des Possessivpronomens: mein-er/ mein-e/ mein-es vs. der mein-e, die mein-e, das mein-e etc.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 115 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr 116 Genus im Sprachvergleich lichen Kategorienkonstellationen in Abhängigkeit von der Wortart des target- Elements und ggf. gemäß seiner syntaktischen Umgebung jeweils durch unterschiedliche Allomorphe gekennzeichnet werden. Neben suppletiver Markierung, die - wie gezeigt - auf wenige externe targets begrenzt ist, treten im Regelfall 2 bis 4 unterschiedliche Suffixe auf (allein AKK.M wird einheitlich durch -en gekennzeichnet), und das bei einer Gesamtzahl von nur 8 verschiedenen Morphen (-er, -en, -em, -es, -e, -ie, -as und -ø). Nun beschränken sich die genannten Schwankungen aber nicht nur auf die ausdrucksseitige Variation der einzelnen Kategorienkonstellationen, sie sind auch und gerade als Unterschiede hinsichtlich der Quantität der zur Verfügung stehenden Formen und - damit einhergehend - der Distinktivität innerhalb des Paradigmas greifbar. Eben hierauf fußt die gängige Differenzierung dreier Deklinationstypen, der starken, schwachen und gemischten Deklination: Stark deklinierte Elemente weisen 5 oder 6, schwach deklinierte lediglich 2 unterschiedliche Suffixe auf; bei der gemischten Deklination beläuft sich die Zahl auf 4. 128 In jedem Fall stehen zu wenig unterschiedliche Morphe zur Verfügung, um eine eindeutige Kennzeichnung der insgesamt 16 Kategorienkonstellationen zu gewährleisten. Es kommt also zwangsläufig zu zahlreichen Synkretismen, d.h. dazu, dass die verschiedenen Marker an unterschiedlichen Stellen des Paradigmas auftreten, so dass anhand der einzelnen kongruierenden Elemente generell nur sehr bedingt Rückschlüsse auf Genus, Kasus und Numerus gezogen werden können. Die Ambiguität ist aber natürlich umso größer, je weniger unterschiedliche Formen bereitstehen. 129 Dies führt uns unmittelbar zu der Frage, welche Einschränkungen hinsichtlich der Genusdifferenzierung - neben der generellen Aufhebung im Plural - zu verzeichnen sind und unter welchen Umständen diese auftreten; inwiefern wirkt sich der mehr oder weniger stark ausgeprägte Synkretismus auf die Genusmarkierung im Singular aus? 128 Es ist hier nicht der Ort, auf die Frage nach der Angemessenheit resp. Unangemessenheit der Differenzierung von starker, schwacher und gemischter Deklination, die ja auch und gerade bei der Beschreibung der Flexion der Nomina begegnet, näher einzugehen. Daher sei lediglich noch einmal herausgestellt, dass wir diese Differenzierung - wie oben bereits deutlich gemacht wurde - aufgrund der skizzierten quantitativen Unterschiede hinsichtlich der Markierung der kongruierenden Elemente und der daraus resultierenden höheren vs. geringeren intraparadigmatischen Distinktivität durchaus für sinnvoll halten. Für weitere Angaben u.a. zur Genese der Differenzierung und zu kritischen Punkten sei auf Eisenberg ( 2 2004: 158ff.) sowie auf Ronneberger-Sibold (2004: 1268ff.) verwiesen. 129 Exemplarisch sei hier auf die Mehrdeutigkeit der Markierungen im Falle des definiten Artikels im Vergleich zu der schwach deklinierter Elemente hingewiesen: Für den definiten Artikel gilt, dass d-ie und d-er 4-fach, alle anderen Formen 2-fach begegnen; im Falle schwach deklinierter Elemente kommt -e 5-mal, -en - entsprechend - 11-mal zum Tragen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 116 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 117 Mit Bezug auf diese Frage ist zunächst zu konstatieren, dass es im Dativ und im Genitiv zum Zusammenfall von Maskulinum und Neutrum kommt, und zwar nicht nur bei den flexivisch, sondern auch bei den suppletiv markierten Kongruenten. Wir können daher von generellen kasusbedingten Restriktionen sprechen. Darüber hinaus führen die skizzierten syntaktisch konditionierten Veränderungen zu zum Teil erheblichen Einschränkungen: Die Reduzierung des Suffixinventars im Falle der schwachen Deklination geht immer auch mit der gänzlichen Nivellierung der Genusopposition im Nominativ, Dativ und Genitiv einher; im Akkusativ wird Genus nur bedingt markiert - hier fallen Femininum und Neutrum zusammen. Bei der gemischten Deklination ist die Markierung der Genera im Dativ und Genitiv gänzlich aufgehoben, im Nominativ und Akkusativ wird sie jedoch vollständig erhalten. Bleibt in diesem Zusammenhang - abschließend - auf zweierlei hinzuweisen: Erstens darauf, dass die Restriktionen, die sich aus der Interaktion von Genus und Person ergeben, im Wesentlichen die gleichen sind wie im Spanischen und Französischen. Für die Personalpronomina gilt auch im Deutschen, dass die Genusdifferenzierung auf die dritte Person begrenzt ist; zusätzlich ist lediglich noch einmal herauszustellen, dass dies - wie in Abschnitt 2.1.2. ja bereits gezeigt wurde - auch für die Possessorkongruenz der Possessivpronomen (und Possessiva) gilt, die allerdings durch den Zusammenfall von Maskulinum und Neutrum auch hier eingeschränkt ist. Zweitens ist anzumerken, dass lexikalische Restriktionen im Deutschen - im Vergleich zum Französischen, aber auch zum Spanischen - eher marginal sind. Zwar gibt es auch im Deutschen Elemente, die keine Genusflexion aufweisen, doch ist deren Anzahl, vor allem im Bereich der Determinantien und Attribute gering: Im pronominalen Bereich sind z.B. die Interrogativpronomen was und wer sowie die Indefinitpronomen jemand, niemand u.a. von der Genusmarkierung ausgenommen; bei den Determinantien und Attributen ist auf nicht flektierbare Indefinita wie allerlei, keinerlei, mancherlei (u.a.) sowie auf verschiedene Herkunftsadjektive (vgl. schweizer Käse (M)/ schweizer Uhr (F)/ schweizer Taschenmesser (N)) hinzuweisen; darüber hinaus begegnen genusinvariable oder besser: unflektierte Elemente - wie lila, rosa, prima, klasse - oder solche, die in bestimmten Umgebungen unflektiert verwendet werden (können) - etwa viel, wenig, halb, ganz -, jedoch nur sehr sporadisch. 130 Hinsichtlich Form und Durchgängigkeit der Genusmarkierung im Deutschen kommen wir damit - im Ergebnis - zu folgenden Feststellungen: (i) Die Genuskategorie wird immer im Verbund mit den anderen nominalen 130 Detaillierte Angaben hierzu finden sich z.B. bei Cartagena/ Gauger (1989: insb. 167ff., 197f., 203ff., 221ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 117 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr 118 Genus im Sprachvergleich Kategorien - Kasus und Numerus - markiert; ein eigenes Genusmorphem ist generell nicht isolierbar. (ii) Die Markierung erfolgt über unterschiedliche Allomorphe, deren Auftreten lexikalisch und syntaktisch bedingt ist, hierbei ist flexivische Kennzeichnung (über Suffixe) die Regel, Suppletion begegnet nur bei einigen wenigen targets der externen Kongruenz. (iii) Die Genusdifferenzierung ist vor allem durch die Wirkung grammatischer Kategorien - in erster Linie Numerus (PL), aber auch durch Kasus (DAT, GEN) - und durch kontextuelle, genauer: syntaktische Faktoren eingeschränkt bzw. gänzlich aufgehoben und erweist sich damit als wenig durchgängig. Darüber hinaus gilt (iv), dass die Genusklassenzugehörigkeit aufgrund der vorhandenen Synkretismen generell nur sehr bedingt am Einzelelement ablesbar ist. 2.1.4. Fazit: Überlegungen zur syntaktischen Leistungsfähigkeit der Genuskategorie im Spanischen, Französischen und Deutschen In Abschnitt 1.4.1. haben wir festgestellt, dass es sich beim Genus - anders als vielfach behauptet wird - unseres Erachtens nicht um eine funktionslose Kategorie handelt. Vielmehr haben wir exemplarisch aufgezeigt, dass die Genuskategorie unter anderem dazu dient, über die Kongruenz die Bezüge der Elemente innerhalb eines Satzes sowie - durch die pronominale Differenzierung - auch über die Satzgrenze hinaus zu verdeutlichen: Das Genus trägt somit zur Disambiguierung und Kohärenzsicherung bei. Gleichzeitig wurde aber auch darauf hingewiesen, dass diese prinzipiell bestehende syntaktische Leistung des Genus je nach Einzelsprache variiert, dass sie von der Beschaffenheit des jeweiligen Systems abhängig ist, d.h. in verschiedenen Systemen in unterschiedlichem Ausmaß zum Tragen kommt. Wir wollen diese Angaben nun präzisieren, indem wir skizzieren, inwieweit sich die in den letzten Abschnitten herausgearbeiteten Charakteristika der Genuskongruenz im Spanischen, Französischen und Deutschen auf die syntaktische Leistungsfähigkeit auswirken. Ein erster, wenn auch kleinerer Unterschied unserer drei Einzelsprachen besteht darin, dass im Deutschen drei, im Spanischen und Französischen lediglich zwei Genusklassen existieren. Dies mag insofern zu Differenzen in puncto Disambiguierung und Kohärenzsicherung führen, als prinzipiell davon ausgegangen werden kann, dass eine höhere Zahl nominaler Klassen größere Differenzierungsmöglichkeiten eröffnet. Wie in Abschnitt 1.4.1. bereits angesprochen wurde, steigt mit der Anzahl der nominalen Klassen auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Nomina bzw. Nominalphrasen, die die Diskursgegenstände vertreten, tatsächlich je unterschiedlichen Klassen angehören, was natürlich Voraussetzung für jedwede Form der Disambiguierung via Genus ist; darüber hinaus kann bei höherer Klassenzahl in bestimmten Kontexten stärker, d.h. in größerem Umfang disambiguiert werden als bei geringerer TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 118 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 119 Klassenzahl. Mit der dreifachen Differenzierung verfügt das Deutsche somit grundsätzlich über ein etwas größeres Potential als die beiden romanischen Sprachen. In Anbetracht der interlingualen Unterschiede bezüglich der kongruierenden Elemente und - vor allem - hinsichtlich Form und Durchgängigkeit der Genusmarkierung sind diese Angaben jedoch sofort zu relativieren. Es gilt zu beachten, dass sich die Genuskategorie selbstverständlich nur in dem Maße als syntaktisch funktional erweisen kann, in dem sie an den unterschiedlichen Kongruenten auch tatsächlich markiert wird. Mit anderen Worten: Je weniger targets der Genuskongruenz unterworfen sind und je stärker die Genusdifferenzierung an den prinzipiell im Genus kongruierenden Elementen durch lexikalische Restriktionen, syntaktische und/ oder phonologische Faktoren sowie in Abhängigkeit von bestimmten grammatischen Kategorien eingeschränkt oder gänzlich aufgehoben ist, umso geringer ist ihre syntaktische Leistungsfähigkeit einzuschätzen, umso weniger kann sie die genannte Funktion der Disambiguierung und Kohärenzsicherung erfüllen. Unter diesem Blickwinkel muss nun aber gerade die Funktionalität des deutschen Genussystems als - vergleichsweise - gering eingestuft werden, da die Genusdistinktion hier ja vor allem durch Numerus, aber auch durch Kasus sowie durch syntaktische Faktoren in weitreichendem Maße nivelliert oder zumindest eingeschränkt wird; hinzu kommt die generelle Nicht-Kongruenz prädikativer Adjektive. Ähnliches ist für das gesprochene Französisch anzunehmen: Vor allem aufgrund der massiven lexikalischen und syntaktisch-phonologischen Restriktionen kann davon ausgegangen werden, dass die funktionale Auslastung der Genuskategorie im code phonique sehr begrenzt ist, zumindest wenn man den Bereich der pronominalen Differenzierung ausklammert. Doch selbst bei den Pronomina und speziell bei den Personalpronomina ist die Genusmarkierung im Französischen (sowohl in der Phonie als auch in der Graphie) weniger durchgängig als im Spanischen. Zwar ergeben sich in beiden Sprachen - anders als im Deutschen - keine generellen numerusbedingten Einschränkungen, nichtsdestotrotz geht die Kennzeichnung im Spanischen aber auch hier in einigen Punkten über die des Französischen hinaus, so im Falle der Personalpronomina der ersten und zweiten Person Plural (sp. nosotros/ nosotras, vosotros/ vosotras vs. fr. nous, vous) sowie beim direkten Objektpronomen Plural (sp. los/ las vs. fr. les). Die Genusmarkierung im Spanischen zeichnet sich - wie wir oben zeigen konnten - generell durch ein hohes Maß an Durchgängigkeit und Eindeutigkeit aus. Entsprechend hoch ist hier die syntaktische Leistung der Genuskategorie zu veranschlagen. Dies bezeugen schon die unter (79) angegebenen Beispiele: TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 119 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr 120 Genus im Sprachvergleich (79) (a) Él la dejó preocupado vs. Él la dejó preocupada (b) Colecciona obras de pintores olvidados vs. Colecciona obras de pintores olvidadas 131 Analoge Konstruktionen haben angesichts der lexikalischen Restriktionen im gesprochenen Französisch eher Ausnahmecharakter; im Deutschen kann die Genuskategorie wegen der Nicht-Kongruenz des prädikativen Adjektivs im Falle von (a) bzw. infolge der Aufhebung der Genusmarkierung im Plural im Falle von (b) in vergleichbaren Kontexten gar nicht zur Disambiguierung beitragen. Hier muss ggf. auf andere Mittel zurückgegriffen werden. 132 Wir stellen also fest, dass vor allem aufgrund der zum Teil gravierenden Differenzen hinsichtlich der Durchgängigkeit der Genusmarkierung davon ausgegangen werden kann, dass die in 1.4.1. skizzierte syntaktische Leistung, die der Genuskategorie via Kongruenz generell zuzuschreiben ist, im Spanischen stärker zum Tragen kommt als im Französischen und Deutschen. 133 Bleibt darauf hinzuweisen, dass ausgehend von dem vergleichsweise geringen Wirkungsgrad des Genus nicht unbedingt auf die relative ‚Afunktionalität‘ der Kategorie in diesem Bereich geschlossen werden darf. Vielmehr gilt es, die unterschiedlichen Charakteristika der einzelnen Systeme im Auge zu behalten und zu prüfen, ob der Genuskategorie in der jeweiligen Sprache nicht bestimmte spezifische Funktionen zukommen. Eben dies ist nämlich für das Deutsche zu konstatieren. Wir hatten oben festgestellt, dass das Genus im Deutschen - im Unterschied zu den beiden anderen Sprachen - nicht durch ein eigenes Morphem, sondern immer im Verbund mit Kasus und Numerus markiert wird; 131 Die Beispiele sind Martínez (1999: 2698) entnommen, der die Wichtigkeit der (Genus-) Kongruenz im Spanischen ebenfalls vergleichsweise hoch einschätzt und an eben dieser Stelle bemerkt: „Aunque existente en otras lenguas cercanas, la concordancia no parece tener en ellas tanta importancia como en español, bien sea por la mayor escasez de las variaciones o distinciones morfológicas o bien por estar confiada a un más rígido orden de palabras su función de integración o aplicación léxica […].“ 132 Bei (a) müsste paraphrasiert werden, wollte man die Mehrdeutigkeit ganz auflösen, eine Disambiguierung über die Wortstellung scheint hier nicht möglich (unseres Erachtens sind die Bezüge weder bei Beunruhigt ließ er sie zurück noch bei Er ließ sie beunruhigt zurück eindeutig). Bei (b) wird die Disambiguierung über Kasusdifferenzierung und Wortstellung erreicht; vgl.: Er/ Sie sammelt Werke vergessener Maler (GEN) vs. Er/ Sie sammelt vergessene Werke (AKK) ? von Malern/ unterschiedlicher Maler. 133 Von der relativ geringen Funktionalität im Deutschen und im gesprochenen Französisch zeugen auch die bei Schafroth (2004: 336ff.) angeführten Beispiele; hier wird als weitere Kontrastsprache das Italienische herangezogen, das in diesem Punkt mit dem Spanischen vergleichbar ist. Größer angelegte empirische Untersuchungen in Form von (kontrastiven) Textanalysen, die diese Annahmen weiter stützen könnten, liegen unseres Wissens bislang leider nicht vor. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 120 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Kongruenz und syntaktische Leistung 121 ferner hatten wir herausgestellt, dass zur Kennzeichnung der sich ergebenden Kategorienkonstellationen ein sehr begrenztes Inventar von nur 8 unterschiedlichen Suffixen (insgesamt) zur Verfügung steht, wobei gilt, dass die verschiedenen Kategorienkonstellationen über die Kongruenten hinweg nicht einheitlich, sondern - zumindest teilweise - durch unterschiedliche Allomorphe gekennzeichnet sind. Dies mag zunächst kompliziert erscheinen, ist aber insofern in hohem Maße funktional, als auf diese Art und Weise bei Berücksichtigung mehrerer, gemeinsam auftretender kongruierender Elemente (z.B. Det. + Adj.) in gewissem Umfang disambiguiert werden kann; so ist d-er weder hinsichtlich der Kategorie Kasus noch hinsichtlich Genus und Numerus identifizierbar, d-er schön-e ist aber eindeutig als Nominativ Maskulinum Singular gekennzeichnet. Weiterreichende Disambiguierungen sind möglich, wenn auch das Nomen einbezogen wird, das ja ebenfalls im Hinblick auf Kasus und Numerus, nicht aber im Genus flektiert. Und dennoch kann auch bei dieser Form der ‚diskontinuierlichen‘ Markierung (Werner 1979) nicht immer zweifelsfrei auf die zugrunde liegenden Kategorien geschlossen werden; insbesondere dann, wenn das Nomen lediglich durch ein kongruierendes Element begleitet wird, etwa durch den bestimmten Artikel, bleiben zahlreiche Möglichkeiten offen. Da es sich beim Genus nun aber um eine inhärente Kategorie des Nomens handelt, stellt die Genusdifferenzierung hier eine wichtige Möglichkeit zur Identifizierung der variablen Kasus- und Numerusmerkmale bereit; aufgrund des mit dem Nomen gegebenen Genusmerkmals können die entsprechenden Konstruktionen weiter disambiguiert werden; wie Werner (1975: 50) feststellt, sind die „semantisch relevanten Kasus/ Numerus-Oppositionen […] durch die offenen Suffixkombinationen p l u s dem latenten Merkmal Genus [unterschieden]“. Wir kommen also zu dem etwas paradox anmutenden Schluss, dass die Genuskategorie im Deutschen in nicht unerheblichem Maße zur ‚Markierung‘ der anderen nominalen Kategorien beiträgt, und in diesem Sinne erweist sie sich sehr wohl als funktional. Vor diesem Hintergrund sind dann auch die für das Deutsche so typischen Klammerkonstruktionen zu sehen, deren Prozessualisierbarkeit möglicherweise erst durch ein derart komplexes Flexions- und Genussystem gewährleistet ist (vgl. Fries 2000: 58f.). Wir wollen die Angaben zur Kongruenz und zu den kongruierenden Elementen hiermit abschließen und unser Hauptaugenmerk in den folgenden Abschnitten auf die Klassifikation und auf die klassifizierten Elemente - die Substantive - richten. Wir beginnen mit der Frage nach den formalen Kriterien für die Genuszuweisung im Spanischen, Französischen und Deutschen, d.h., wir erläutern zunächst, inwieweit das Genus in den genannten Einzelsprachen aufgrund formaler Eigenschaften am Nomen selbst ablesbar ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 121 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr 122 Genus im Sprachvergleich 2.2. Formale Kriterien für die Genuszuweisung im Spanischen, Französischen und Deutschen In Abschnitt 1.4.2. hatten wir festgestellt, dass die Klassifikationssysteme des Spanischen, Französischen und Deutschen - Corbetts Unterscheidung formaler vs. semantischer assignment systems folgend - der Großgruppe der formalen Genussysteme zuzurechnen und folglich als overt systems zu bezeichnen sind. Dies bedeutet, dass die Klassifikation in allen drei Sprachen überwiegend auf formalen Kriterien beruht, wobei sich das Genussystem des Spanischen jedoch als wesentlich durchsichtiger erweist als das der beiden anderen Sprachen. Die formalen Kriterien für die Genuszuweisung (gender assignment) im Französischen und Deutschen sind zum einen nicht unbedingt sofort ersichtlich, sie ‚springen nicht ins Auge‘, sondern müssen zu einem großen Teil durch mehr oder weniger aufwendige Analysen des nominalen Lexikons erst offengelegt werden, zum anderen kann auch mit den sehr komplexen Regelsystemen, die für diese Sprachen erarbeitet worden sind, nicht die Gesamtheit der Substantive erfasst werden. Der Grad an formaler Transparenz dieser Systeme ist also insgesamt vergleichsweise gering. Doch sehen wir uns die verschiedenen formalen Kriterien nun etwas genauer an. Als relativ unkompliziert erweist sich in allen drei Sprachen die Angabe morphologischer Kriterien für die Genuszuweisung bei Substantiven, denen bestimmte Wortbildungsmuster zugrunde liegen. Beispielsweise lässt sich bei derivierten Nomina in vielen Fällen eine (nahezu) eindeutige Korrelation zwischen bestimmten Affixen (überwiegend Suffixe oder suffixähnliche Auslautverbindungen) und dem Genus der Substantive herstellen. So sind z.B. deutsche Nomina auf -heit, -keit, -ung Feminina, solche auf -er und -rich Maskulina, solche auf -chen und -tum Neutra; vgl.: (80) (a) die Trägheit, die Dunkelheit, die Gewissheit, die Heiterkeit, die Vergeblichkeit, die Notwendigkeit, die Achtung, die Erkältung, die Leitung etc. (b) der Rechner, der Fernseher, der Läufer, der Enterich, der Gänserich, der Wüterich etc. (c) das Brötchen, das Ständchen, das Mädchen, das Beamtentum, das Heiligtum, das Eigentum etc. Für das Spanische gilt u.a., dass Nomina auf -ez, -ud bzw. -tud und -dad feminines, solche auf -aje, und -or maskulines Genus aufweisen: (81) (a) la pequeñez, la acidez, la estupidez, la timidez, la juventud, la altitud, la similitud, la exactitud, la novedad, la autenticidad, la maldad, la curiosidad etc. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 122 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Formale Kriterien für die Genuszuweisung 123 (b) el plumaje, el vasallaje, el kilometraje, el equipaje, el esplendor, el olor, el valor, el ardor etc. Und im Französischen sprechen u.a. die Suffixe -té (/ te/ ), -tion (/ sjç)/ ) und -ure (/ y“/ ) für feminines, -age (/ aZ/ ), -isme (/ ism/ ) und -oir (/ wa“/ ) für maskulines Genus: (82) (a) la générosité, l’âcreté (F), la publicité, la bonté, la frustration, la nutrition, la diminution, la diction, la brochure, la couverture, la blessure, l’ouverture (F) etc. (b) le bricolage, l’allumage (M), le sondage, le chauffage, le fanatisme, l’alcoolisme (M), l’héroïsme (M), le dadaïsme, le tiroir, le mouchoir, le comptoir, le lissoir etc. Auch hinsichtlich der Konversion lassen sich einfache Zuordnungsregeln aufstellen: Substantivierungen anderer Wortarten - (flektierte) Adjektive und Partizipien sind allerdings auszunehmen - weisen im Deutschen in der Regel neutrales, im Französischen und Spanischen maskulines Genus auf. Vgl.: (83) Dt. das Essen, das Arbeiten, das Wie, das Weil, das Vielleicht, das Gestern etc. (84) Fr. le déjeuner, le pouvoir, le non, le pourquoi, le mal, le demain etc. (85) Sp. el querer, el anochecer, el sí, el pero, el ahora, el yo etc. 134 Bei Nominalkomposita gilt, dass das Genus des Determinatums das Genus des Kompositums bestimmt; zu beachten ist hier nur die unterschiedliche Determinationsstruktur des Deutschen gegenüber den (nicht gelehrten) Bildungen des Spanischen und Französischen: (86) Dt. die Autostraße, die Strumpfhose, der Buchhandel, der Kleiderschrank, das Kunststück, das Gesangbuch etc. (87) Fr. l’oiseau-mouche (M), l’homme-grenouille (M), la cité-jardin, la dent de lion etc. (88) Sp. el coche-cama, el hombre-rana, la ciudad dormitorio, la cama de matrimonio etc. 134 Substantive wie sp. la nada, la mañana (im Unterschied zu el mañana) u.a., die mit anderen Wortarten (Indefinitpronomen, Adverb) homonym sind, die aber - zumindest synchron - nicht als Konversionen interpretiert werden können, fallen nicht unter die genannte Regel (vgl. in diesem Zusammenhang auch dt. der Morgen gegenüber das Morgen). Generell auszunehmen sind ferner Verbstammkonversionen, die im Deutschen meist maskulin sind (der Wink, der Treff etc.); im Französischen und Spanischen weisen entsprechende Bildungen, die hier allerdings nicht unbedingt als Konversionen geführt werden, feminines oder maskulines Genus auf (fr. la marche, l’accueil (M); sp. la caza, el tiro). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 123 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr 124 Genus im Sprachvergleich Nun sind aber derartige Regeln, die sich üblicherweise auch in Grammatiken und Lehrbüchern finden 135 und zu denen es auch die eine oder andere Ausnahme geben mag, lediglich begrenzt aussagekräftig. Zum einen betreffen sie ja immer nur einen kleinen Teil des nominalen Wortschatzes, zum anderen muss man z.B. bei dem zuletzt genannten Kriterium das Genus des entsprechenden Kompositionsgliedes kennen, um das Genus des gesamten Kompositums richtig bestimmen zu können; die morphologische Regel allein reicht hier zur Genusbestimmung gar nicht aus. Es stellt sich also die Frage, ob es auch übergeordnete Kriterien für die Genuszuweisung gibt bzw. solche, die auch auf monomorphematische Substantive anwendbar sind, und ob es möglich ist, ein System von Regeln aufzustellen, mit dem sich das Genus der Nomina insgesamt richtig bestimmen lässt. In dieser Hinsicht ist das Genussystem des Spanischen - wie erwähnt - am durchsichtigsten und folglich auch am einfachsten beschreibbar. Wir beginnen daher mit der Darstellung des Spanischen assignment system und gehen dann auf die komplexeren Systeme des Französischen und Deutschen ein. 2.2.1. Genuszuweisung im Spanischen Mit einer begrenzten Anzahl überwiegend phonologischer Regeln lässt sich das Genus eines großen Teils aller spanischen Nomina richtig voraussagen. Aufgrund dieser relativen Einfachheit ist die muttersprachliche Kompetenz, das Genus der Nomina richtig zu bestimmen, im Falle des Spanischen - anders als im Falle des Französischen und Deutschen - von Seiten der Linguistik auch gar nicht als ‚rätselhaft‘ und ‚erklärungsbedürftig‘ angesehen worden. Kriterien für die Genuszuweisung im Spanischen werden dementsprechend vorwiegend in Arbeiten angegeben, die auf die fremdsprachliche Didaktik ausgerichtet sind. Bergen (1978), der es sich als erster zum Ziel gesetzt hat, die von verschiedenen Forschern formulierten Regeln auf ein Mindestmaß zu reduzieren, gibt insgesamt 8 phonologische Kriterien an, die sich vor allem auf den Wortauslaut beziehen, außerdem zwei, die die Semantik der Substantive betreffen, und zwei weitere formale, die die Funktion haben, einige der Ausnahmen aufzufangen (vgl. ebd.: insb. 869ff.). 136 Die Adäquatheit dieser Regeln hat Bergen anhand eines (allerdings eher bescheidenen) Korpus von 135 Vgl. u.a. Grevisse ( 13 1993: insb. 710ff., 722ff., 729f.) (Fr.), Zemb (1978: 105ff.) (Fr./ Dt.), Eisenberg ( 2 1989: 168f., 1999: 148f.) (Dt.), Cartagena/ Gauger (1989: 131ff., 144f.) (Dt./ Sp.), RAE (1973: 177f.), Alcina Franch/ Blecua (1975/ 1998: 528f.) (Sp.). 136 Bergen nennt eine weitere semantische Auffangregel zur Identifizierung genusvariabler Nomina, die u.E. aber entbehrlich ist, wenn man die Hauptregeln hierarchisiert und den beiden semantischen Regeln Priorität gegenüber den phonologischen Regeln einräumt. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 124 16.12.2008 13: 08: 33 Uhr Formale Kriterien für die Genuszuweisung 125 935 hochfrequenten Nomina überprüft: In 97,3% der Fälle führten sie zu richtigen Ergebnissen. 137 Die bekannteste der auslautbezogenen Regeln besagt, dass die Endung / -a/ (graphemat. -a) feminines, die Endung / -o/ (graphemat. -o) maskulines Genus markiert. 138 Allein diese Regel trifft auf weit mehr als 50% der spanischen Substantive zu: Echaide (1969: 119) stellt fest, dass 1344 von 2172 Nomina des Frequency Dictionary of Spanish Words (FDSW), also 61,9%, auf -a bzw. -o auslauten, wobei 99,9% der Substantive auf -o Maskulina und 97,1% derjenigen auf -a Feminina sind. 139 Teschner/ Russell (1984), die ein wesentlich größeres Korpus von insgesamt 41 882 genusinvariablen Nomina zugrunde legen, ermitteln sogar einen Prozentsatz von 68,15% (= 28 543) o- und a-endiger Substantive; 140 die Werte für die Korrelation von Auslaut und Genus stimmen weitgehend mit denen Echaides überein: Nomina auf -o sind zu 99,9% maskulin, solche auf -a zu 96,3% feminin. Bei Zugrundelegung eines umfangreichen Korpus, welches genusvariable Nomina und Adjektive, die mit ‚Ú.t.c.s.‘ (úsase también como sustantivo) gekennzeichnet sind, einbezieht, ist mit einem weiteren Anstieg des Anteils der Nomina auf -o und -a, aber - aufgrund der relativ hohen Frequenz genusvariabler a-endiger Personenbezeichnungen (el/ la acróbata, el/ la guía, el/ la periodista etc.) - auch mit einer Zunahme des Anteils maskuliner Nomina auf -a zu rechnen. Auch für andere Auslauttypen liegen statistische Angaben vor, die die generelle Relevanz phonologischer Kriterien für die Genuszuweisung im Spanischen bezeugen und damit zugleich für die hohe formale Durchsichtigkeit des spanischen Genussystems sprechen: So sind Substantive auf -l, -r und -d zu 90-100% maskulin resp. feminin, und für die übrigen frequenten Endungen (-s, -n, -e) ergeben sich ähnlich aussagekräftige Regeln, sofern man die Betrachtung nicht auf das letzte Phonem beschränkt, sondern eine feinere Differenzierung vornimmt und beispielsweise Substantive auf -ión, die zu ca. 98% Feminina sind, aus der Gruppe derer auf -n ausgliedert. 141 Die Endungen -o bzw. -a nehmen aber nicht nur aufgrund ihrer hohen Gesamtfrequenz im nominalen Lexikon eine besondere Stellung ein, sondern 137 Zu einer ausführlichen Diskussion und Überprüfung der von Bergen aufgestellten phonologischen Kriterien sei auf Teschner/ Russell (1984) verwiesen. 138 Wir beschränken uns auch im Folgenden wieder auf die Angabe von Graphemen. 139 Dieser Auswertung liegen allerdings nicht alle im FDSW aufgeführten Nomina zugrunde: 338 genusvariable Nomina und 21 Personenbezeichnungen vom Typ padre/ madre wurden ausgeklammert (vgl. ebd.: 119f.). 140 Hierbei entfallen 43,98% (= 12 552) auf -o und 56,02% (= 15 991) auf -a; für das Gesamtkorpus ergibt sich ein Anteil von 29,97% o-endiger und 38,18% a-endiger Substantive. 141 Vgl. hierzu im Einzelnen Bull (1965: insb. 109), Bergen (1978), Teschner/ Russell (1984) und Teschner (1987: insb. 81ff.); zusammenfassend auch Berschin/ Fernández-Sevilla/ Felixberger ( 3 2005: 167f.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 125 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 126 Genus im Sprachvergleich auch, weil sie - wie oben gezeigt wurde - zur Markierung der kongruierenden Elemente verwendet werden. Zu beachten ist, dass der sehr hohe Anteil der Maskulina auf -o und Feminina auf -a am Gesamtwortschatz das (vorläufige) Ergebnis eines historischen Prozesses darstellt, in dessen Verlauf diese Regelmäßigkeit immer weiter ausgebaut wurde. Dass diese Entwicklung auch heute weiter fortschreitet, kann u.a. mit Verweis auf die zunehmende Bildung femininer Personenbezeichnungen auf -a belegt werden - und zwar auch in Fällen wie el/ la sirviente > el sirviente vs. la sirvienta, el/ la presidente > el presidente vs. la presidenta u.a.; ferner ist auf die Rückbildung maskuliner Personenbezeichnungen auf -o hinzuweisen - z.B. el/ la modista > el modisto vs. la modista, el/ la pesimista > el pesimisto vs. la pesimista, el/ la pianista > el pianisto vs. la pianista, el prostituto ( < la prostituta) - und auf Fälle von Genusschwankung bzw. -regularisierung bei einigen der ‚regelwidrigen‘ Nomina, z.B. la vs. el radio (wobei la radio < la radiotelefonía oder la radiodifusión), el vs. la reuma, el vs. la clima etc. 142 2.2.2. Genuszuweisung im Französischen Im Vergleich zum Spanischen erweist sich das Genussystem des Französischen als wesentlich komplexer. Wie die Arbeiten von Tucker et al. (1968, 1977) belegen, kann hier zwar ebenfalls ein Zusammenhang zwischen der phonischen Gestalt des Auslauts und dem Genus der Substantive hergestellt werden, das Verhältnis von Form und Genus ist aber nicht annähernd so eindeutig wie im Falle des Spanischen. Die Auswertung von 31 619 im Petit Larousse Illustré (Ausgabe aus dem Jahre 1959) verzeichneten Nomina zeigt, dass bei Berücksichtigung des letzten Phonems lediglich in 9 von insgesamt 30 möglichen Fällen eine relativ eindeutige Korrelation zwischen Auslaut und Genus besteht: Nur bei den Konsonanten / Z/ , / m/ (M) und bei / z/ (F) sowie bei den Vokalen / ø)/ , / A)/ , / E)/ , / O/ , / o/ , / E/ (M) ergibt sich ein Anteil von mind. 90% maskuliner resp. femininer Genuszuweisung; mit diesen 142 Vgl. hierzu Malkiel (1957), Rosenblat (1962) und Echaide (1969: insb. 93ff., 109ff.), die vor allem auf die historische Dimension eingehen. Eine auf den Daten des CREA (Corpus de Referencia del Español Actual) basierende Untersuchung zu aktuellen Tendenzen im Bereich der Personenbezeichnungen legt Čermák (2003) vor. Faitelson-Weiser/ Brouard (1982) konzentrieren sich speziell auf die Verbreitung der Personenbezeichnungen auf -ista vs. -isto. Wir werden auf den Bereich der Personenbezeichnungen in den folgenden Abschnitten (2.3. und 2.4.) und natürlich im dritten Teil der Arbeit noch ausführlich eingehen. Zu beachten ist, dass die skizzierten Regularisierungstendenzen von diatopischen und diastratischen Faktoren beeinflusst sind; in den ‚dialectos americanos‘ und/ oder in der ‚lengua popular‘ sind sie besonders ausgeprägt (vgl. hierzu z.B. Ambadiang (1999: 4868), zu -ista/ -isto Faitelson-Weiser/ Brouard 1982). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 126 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Formale Kriterien für die Genuszuweisung 127 Endungen werden zusammen genommen 8068 Nomina erfasst, also nur 25,5% des Gesamtkorpus. Ferner kann bei vier Endungen (/ l/ , / p/ , / t/ / e/ ), die insgesamt 6855 Nomina bzw. 21,7% des Korpus abdecken, noch nicht einmal von einer bestimmten Genustendenz gesprochen werden, da der prozentuale Anteil femininer resp. maskuliner Genuszuweisungen zwischen 40% und 60% schwankt. Bei den übrigen Endungen lassen sich zwar gewisse Tendenzen feststellen, leitete man aber eine Regel ab, so wäre die Zahl der Ausnahmen z.T. enorm hoch. Aussagekräftigere Zuordnungen lassen sich nur dann machen, wenn man die Betrachtung auf das letzte und vorletzte, ggf. auch auf die letzten drei Phoneme ausdehnt. In diesem Sinne lässt sich etwa für den vokalischen Auslaut / ç)/ , der zu 70,2% bei femininen Substantiven auftritt, aber bei einer Gesamtzahl von 2665 / ç)/ -endigen Nomina immerhin auch 794 Maskulina umfasst - zu viele, um eine einfache Regel ‚Nomina auf / ç)/ sind feminin‘ abzuleiten -, folgende komplexe Regel aufstellen: Nomina auf / ç)/ sind feminin, sofern die Phonemkombinationen / Ez/ , / sj/ , / tj/ , / zj/ , / Zj/ vorausgehen. Mit diesem Kriterium kann man das Genus der Nomina in (89) und (90) richtig bestimmen: (89) raison / “Ezç)/ , motion / mosjç)/ , gestion / ZEstjç)/ , décision / desizjç)/ , région / “eZjç)/ etc. F (90) camion / kamjç)/ , feuilleton / føjtç)/ , chausson / Sosç)/ , jambon / ZA)bç)/ , biberon / bib“ç)/ , horizon / çrizç)/ etc. M Wendet man die Regel auf alle / ç)/ -endigen Substantive des genannten Korpus an, so wird nur bei 48 der 2665 Nomina, also in 1,8% der Fälle das Genus falsch zugewiesen; anders ausgedrückt: die Regel ist zu 98,2% zutreffend. Auf diesem Wege entwickelten Tucker et al. ein komplexes Regelsystem, mit dem sich das Genus von 84,5% der in ihrem Korpus verzeichneten Nomina voraussagen lässt. Ob Muttersprachler tatsächlich von diesen Regeln Gebrauch machen, wurde in einer Reihe von Experimenten mit existierenden (häufig und selten verwendeten) Substantiven, mit möglichen Substantiven (existierender Stamm + existierende Endung, z.B. *coupation) und mit reinen Kunstwörtern (nicht existierender Stamm + existierende Endung, z.B. */ vista) bism/ ) für einige Endungen überprüft und bestätigt. 143 In den Experimenten mit möglichen Sub- 143 Im Textteil der Arbeit von Tucker et al. (1977) werden - ebenso wie in der Aufsatzpublikation von 1968 - in erster Linie diese Experimente vorgestellt. Die auf die Analyse der Einträge des Petit Larousse Illustré zurückgehenden phonologischen Regeln sind leider im Einzelnen nicht angegeben; sie müssen dem recht unübersichtlichen und z.T. fehlerhaften Appendix (ebd.: 68-125) entnommen werden, der sich auch in anderer Hinsicht als problematisch erweist; TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 127 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 128 Genus im Sprachvergleich stantiven zeigte sich aber auch, dass die Genuszuweisung offenbar nicht nur von der phonologischen Gestalt des Auslauts abhängt (vgl. Tucker et al. 1977: 23-38). Zu einer vollständigen Beschreibung des französischen Genussystems wird man nur gelangen, wenn man phonologische, morphologische und semantische Kriterien berücksichtigt und die einzelnen Regeln hierarchisch ordnet. 144 Dies führt aber zwangsläufig auch zu einer weiteren Erhöhung der Komplexität des gesamten Regelapparats, so dass für das Genussystem des Französischen folgende Einschätzung berechtigt erscheint: „There are rules by which gender can be deduced from form […] but these are so numerous and complicated, that French ranks low on the overt scale“ (Corbett 1991: 63). 145 Bleibt anzumerken, dass sich auf der Grundlage graphiebasierter Regeln ein einfacheres System erstellen ließe. Graphiebasierte Regeln können aber für eine Erklärung der muttersprachlichen Kompetenz bei der Genuszuweisung nur sehr bedingt (oder gar nicht) herangezogen werden, da der Genuserwerb den Erwerb der Orthographie keineswegs voraussetzt: Es ist nicht bekannt, dass Analphabetismus bei erwachsenen Sprechern Schwierigkeiten im Umso sind die Angaben zum frequentesten aller Auslaute, nämlich / “/ (dort traditionsgemäß als / r/ transkribiert) lückenhaft: Nur für Konsonant + / “/ liegt eine detaillierte Aufschlüsselung aller möglichen Auslautverbindungen und der entsprechenden Genuszuweisung vor, für Vokal + / “/ fehlen diese Angaben indes. Teschner (1987: insb. 95ff.), der auf der Grundlage von Tucker et al. (1977) ebenfalls eine Reihe von Regeln für die Genuszuweisung erarbeitet und explizit formuliert hat, schließt diese Lücke. Seine Arbeit ist hier nicht einbezogen worden, da er neben phonologischen Kriterien graphiebasierte Regeln berücksichtigt (s.u.). Für eine sehr gute Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse von Tucker et al. (1977) sei auf Corbett (1991: 57-62) verwiesen, der auch eine auf der Basis des Appendix erstellte und korrigierte tabellarische Übersicht zum Verhältnis von Auslaut (nur letztes Phonem) und (maskuliner) Genuszuweisung zur Verfügung stellt. (Auf Corbetts Angaben beruht auch die Darstellung von Hoberg 2004: 46ff.) 144 Vgl. Surridge (1985, 1986, 1989) für eine systematische Darstellung morphologischer und semantischer Kriterien und Surridge (1993) zur Hierarchie der einzelnen Regeln. Zu beachten ist, dass schon die Einbeziehung des vorletzten und ggf. des drittletzten Phonems zu einer Annäherung von phonologischen und derivationsmorphologischen Regeln führt, da „das durch Derivationssuffixe zugewiesene Genus […] in den Auslautregeln fast vollständig […] reflektiert [ist]“ (Hoberg 2004: 51). 145 Die Komplexität des Regelsystems kann allerdings - wie Nelson (2005) argumentiert - dadurch eine gewisse Einschränkung erfahren, dass man das Maskulinum als default gender ansetzt und sich vorwiegend auf die Angabe (phonologischer, morphologischer und semantischer) Zuweisungsregeln für das Femininum konzentriert. (Ähnliche Vorschläge hat Nelson (1998) im Anschluss an Steinmetz (1986) auch für die Beschreibung der Genuszuweisung im Deutschen unterbreitet.) Eine umfassende Arbeit der beiden Autoren, die auf dieser Grundlage operiert, ist in Aussicht gestellt (vgl. Nelson 2005), bislang aber offenbar noch nicht erschienen. Die vorliegenden Publikationen zeigen jedoch deutlich, dass die Anzahl der anzusetzenden Regeln - sowohl für das Französische als auch für das Deutsche - nach wie vor beträchtlich ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 128 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Formale Kriterien für die Genuszuweisung 129 gang mit dem Genus mit sich bringt; auch wird der Umgang mit dem Genus bei Kindern zum Zeitpunkt des Erwerbs der Orthographie bereits (weitgehend) beherrscht. 2.2.3. Genuszuweisung im Deutschen Das Genussystem der deutschen Sprache scheint insgesamt noch komplexer zu sein als das der französischen. Wie wir gesehen haben, ist es im Französischen immerhin möglich, die Genuszuweisung für einen relativ großen Teil der Nomina allein unter Rückgriff auf auslautbezogene Kriterien richtig zu bestimmen. Diese Möglichkeit besteht für die deutsche Sprache offenbar nicht. Hier muss man von vornherein sowohl verschiedene phonologische als auch morphologische und - in geringerem Maße - semantische Kriterien ansetzen, wenn man sowohl polymorphematische als auch monomorphematische Nomina zu erfassen sucht. Diese Kriterien sind hierarchisch zu ordnen, wobei semantischen und morphologischen Regeln Priorität gegenüber phonologischen Prinzipien zukommt. 146 Ein Beispiel: Eine oft angeführte Regularität des deutschen Genussystems besteht darin, dass auslautendes Schwa (graphisch -e) mit dem Femininum korreliert; vgl. (91) die Biene, die Schwalbe, die Seite, die Sonne, die Ritze, die Wabe, die Ruhe, die Langeweile, die Schnauze, die Mütze, die Nase, die Weste, die Platte, die Rede, die Reise, die Hülle, die Nabe etc. Hieraus lässt sich eine phonologische Regel ableiten, die aber nur dann anzuwenden ist, wenn gegenläufige morphologische oder semantische Regeln für die Genuszuweisung auszuschließen sind; so ist bei den unter (92) angegebenen Nomina, bei denen das phonologische Kriterium offensichtlich nicht greift, von einer übergeordneten morphologischen Regel auszugehen, die besagt, dass deverbale Ableitungen des Strukturtyps ge-VS(-e) neutrales Genus aufweisen: (92) das Gelage, das Gehabe, das Gerede, das Gebinde, das Gedränge, das Gehege, das Gelübde, das Gemälde, das Gehuste, das Gepräge, das Gewebe etc. 146 Bei der Dominanz morphologischer und semantischer Regeln gegenüber phonologischen scheint es sich um eine allgemeine Tendenz zu handeln, die auch für das Französische und Spanische gilt. Allerdings kommt es, besonders im Spanischen, nur sehr selten zu einem Regelkonflikt, so dass auf die Einbeziehung nicht-phonologischer Kriterien hier weitgehend verzichtet werden kann. Das Verhältnis von morphologischen und semantischen Kriterien kann nicht generell bestimmt werden; in einigen Fällen erweisen sich morphologische Kriterien als dominant, in anderen Fällen verhält es sich umgekehrt. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 129 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 130 Genus im Sprachvergleich Für die unter (93) aufgeführten Nomina kann die Dominanz einer semantischen Regel - ‚bei Personen- und Tierbezeichnungen richtet sich das Genus nach dem Merkmal des natürlichen Geschlechts‘ - in Rechnung gestellt werden u.s.w. (93) der Junge, der Knabe, der Lude, der Bulle, der Ochse, der Rüde etc. Ein Regelsystem, welches sich auf das nominale Lexikon des Deutschen insgesamt anwenden ließe, ist unseres Wissens jedoch noch nicht erstellt und hinsichtlich seiner Adäquatheit an einem größeren Korpus überprüft worden. 147 Gleichwohl liegt für eine bestimmte Gruppe von Substantiven, nämlich für Einsilber, eine entsprechende Untersuchung von Köpcke (1982) vor, die im Folgenden kurz skizziert werden soll. 148 Aufgrund der Analyse der im Rechtschreib-Duden angegebenen einsilbigen Nomina leitet Köpcke (1982) zunächst nicht weniger als 44 Regeln ab: 24 phonologische, 5 morphologische und 15 semantische, wobei die phonologischen Regeln, die Anlaut-, Inlaut- und Auslautregeln umfassen, im Mittelpunkt stehen, während die übrigen lediglich die Funktion haben, mögliche Genuszuweisungen auszuschließen oder die Ausnahmen zu den phonologischen Regeln ‚aufzufangen‘ (vgl. ebd.: 69ff.). 149 Bei Anwendung der ermittelten Regeln auf die im Duden angegebenen Einsilber wurde in ca. 90% der Fälle das Genus korrekt zugewiesen. In Anbetracht dieses Ergebnisses kann 147 Eine sehr umfangreiche Zusammenstellung unterschiedlicher morphologischer, phonologischer und semantischer Zuweisungsregeln findet sich jedoch bei Hoberg (2004: 85ff.). Sie macht auch Angaben über die Reliabilität der einzelnen Regeln. 148 Köpcke konzentriert sich auf die Genuszuweisung bei einsilbigen Nomina, da - vor allem aufgrund der Tatsache, dass morphologische Regeln der oben beschriebenen Art bei diesen nicht greifen - gemeinhin angenommen wird, dass sich hier keinerlei Regeln extrapolieren lassen. 149 Bei den morphologischen Regeln handelt es sich natürlich nicht um Kriterien der bislang angegebenen Art; sie basieren vielmehr auf gewissen Flexionsregularitäten, genauer: auf Korrelationen zwischen Numerusflexion (des Substantivs) und Genuszuweisung (vgl. Köpcke 1982: 78ff.). Zur generellen Relevanz dieser und anderer flexionsmorphologischer Kriterien (Zusammenhänge bestehen auch zwischen Genitivmarkierung und Genus) vgl. Hoberg (2004: 93ff.). Wir haben derlei Kriterien vor allem aus zwei Gründen unberücksichtigt gelassen: zum einen sind sie immer nur sehr bedingt aussagekräftig, sie erlauben - wie Hoberg (ebd.: 95) feststellt - im Wesentlichen „nur eine disjunkte Aufteilung in die Oberklassen +FEM und -FEM“, zum anderen sind sie zur Erklärung der Genuszuweisung bei Fremd- und Lehnwörtern gar nicht und zur Erklärung der muttersprachlichen Kompetenz im Umgang mit dem Genus nicht mit Sicherheit geeignet, da unseres Wissens bislang nicht geklärt ist, wie diese Kategorien im Spracherwerbsprozess ineinandergreifen. Ob der Erwerb der Numerus- und vor allem der Kasusmorphologie dem Genuserwerb vorausgeht, ist zumindest fragwürdig. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 130 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Formale Kriterien für die Genuszuweisung 131 das Regelsystem als beobachtungsadäquat gelten; die Frage ist aber, ob ein so komplexes System auch Beschreibungsadäquatheit beanspruchen kann, d.h., ob es tatsächlich als Abbild der muttersprachlichen Kompetenz anzusehen ist. Köpcke (1982: 133) äußert sich in diesem Punkt zunächst sehr vorsichtig, er betont nämlich, „dass die Regeln in der angegebenen Form und Abfolge weder im Spracherwerbsprozess noch als Speicherungshilfe für den erwachsenen Sprecher relevant sein müssen“. Um zu überprüfen, ob Sprecher des Deutschen tatsächlich Gebrauch von derartigen Kriterien machen, führten Köpcke/ Zubin (1983) Experimente mit einsilbigen Kunstwörtern durch. Sie legten ihren Versuchspersonen insgesamt 44 erfundene einsilbige Substantive vor, um sechs der von Köpcke (1982) formulierten phonologischen Zuweisungsregeln zu testen. Allerdings sollten die Versuchspersonen das Genus nicht frei zuweisen, sondern sie wurden aufgefordert, zwischen zwei Genusalternativen (M/ F, M/ N oder F/ N) zu entscheiden. Vorstudien hatten nämlich ergeben, dass die Versuchspersonen bei völlig freier Wahl in Verwirrung gerieten (vgl. Köpcke/ Zubin 1983: 173). Die Ergebnisse des Experiments belegen zwar, dass Sprecher des Deutschen für (einsilbige) Kunstwörter mit großer Übereinstimmung ein bestimmtes Genus wählen, und sie deuten darauf hin, dass zumindest einige der aufgestellten Regeln für die Genuszuweisung relevant sind, aufgrund der Beschränkungen ist aber unseres Erachtens nicht erwiesen, ob das Gesamtsystem beschreibungsadäquat ist und ob die Genuszuweisung in jedem Fall auf bestimmten Regeln beruht. Die generelle Feststellung der beiden Forscher, dass sich „die Genuszuweisung in der deutschen Gegenwartssprache […] als ein sehr kompliziertes aber durchweg motiviertes System“ erweist (Köpcke/ Zubin 1984: 47/ Hervorheb. von mir), ist unseres Erachtens nicht bestätigt. 150 Andererseits sind aber Behauptungen wie die von Werner, dass es „gewisse absolute oder auch nur statistische Zuordnungen zwischen den Genera und Teilen des Substantiv-Ausdrucks“ nur für eine „sehr beschränkte und recht unsystematische Teilmenge der Substantive“ (Werner 1975: 43/ Hervorheb. von mir) gebe, angesichts der vorliegenden Untersuchungen nicht aufrechtzuerhalten. 150 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die kritischen Bemerkungen von Hoberg (2004: 98f.). Bleibt zu erwähnen, dass auch Köpcke und Zubin ihre Angaben in neueren Arbeiten insofern relativieren, als sie zugestehen, dass für den Kernwortschatz „hinsichtlich der Genuszuweisung Arbitrarität nachweisbar ist“ (Köpcke/ Zubin 2005: 94). Hiermit wird dann auch für das Genus ein altbekanntes Prinzip anerkannt, nämlich der Zusammenhang von Frequenz und Irregularität (vgl. hierzu auch Salmons 1993, der fordert, die Frequenz als ‚organizing factor‘ im Rahmen der Beschreibung der Genuszuweisung zu berücksichtigen). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 131 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 132 Genus im Sprachvergleich Halten wir in puncto Genuszuweisung an dieser Stelle Folgendes fest: 1) Generell gilt, dass eine umfassende Analyse der kongruierenden Elemente zwar die sicherste Methode darstellt, um das Genus eines Substantivs zu bestimmen, doch lässt sich die Genusklassenzugehörigkeit zumindest in den allermeisten Fällen auch anhand formaler und/ oder semantischer Merkmale am Nomen selbst ablesen. Es ist anzunehmen, dass die verschiedenen genusbestimmenden Kriterien, die von Seiten der Linguistik zu ermitteln sind und die sowohl auf einzelne Gruppen von Substantiven einer Einzelsprache zutreffen als auch übergeordneten Charakter haben können, zumindest z.T. zur sprachlichen Kompetenz der native speakers gehören. 151 2) Art und Anzahl der genusbestimmenden Kriterien variieren von Sprache zu Sprache und dementsprechend variieren die Beschaffenheit und die Komplexität des zu erstellenden Regelsystems. Für die spanische, französische und deutsche Sprache lassen sich vorwiegend formale Regelsysteme erstellen, wobei das assignment system des Spanischen wesentlich einfacher ist als das der beiden anderen Sprachen: Die sehr begrenzte Anzahl überwiegend phonologischer, d.h. auslautbezogener Regeln für die Genuszuweisung, vor allem aber auch der eindeutige Zusammenhang von Form und Genus im Falle der sehr frequenten -o- und -a-endigen Substantive und die Tatsache, dass eben diese ‚marcas canónicas‘ (Ambadiang 1999: 4875) auch an kongruierenden Elementen auftauchen, zeugen von der hohen formalen Durchsichtigkeit des spanischen Genussystems. Im Gegensatz dazu können die Genussysteme des Französischen und Deutschen nur mit Einschränkungen als overt systems bezeichnet werden. Inwiefern in allen drei Sprachen auch semantische Kriterien für die Genuszuweisung herangezogen werden können, werden wir innerhalb des folgenden Kapitels prüfen. 151 Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen zum Spracherwerb bekräftigen dies allerdings nur zum Teil: Zwar wird die Relevanz einiger Zuweisungsregeln, z.B. für das Deutsche, durchaus in unterschiedlichen Studien bestätigt, andererseits lassen aber z.B. die von Bittner (2006) ausgewerteten Daten überhaupt nicht auf die Relevanz irgendwelcher Zuweisungsregeln schließen. (Ein generelles Problem der Studien zum Genuserwerb liegt unseres Erachtens darin, dass die Anzahl ‚falscher‘ Genuszuweisungen, die den Ausgangspunkt der Untersuchungen bilden, insgesamt sehr gering ausfällt.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 132 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Genus und Semantik 133 2.3. Genus und Semantik Eine wichtige Unterscheidung, die bei der Untersuchung des Verhältnisses von Genus und Semantik unbedingt berücksichtigt werden sollte, besteht in der erstmals von Wienold (1967) geforderten strikten Trennung von Genus- Spezifikation und Genus-Selektion, wobei Spezifikation und Selektion […] das besondere Verhältnis der Verteilung der Elemente bei ihrer Klassifikation [betreffen]. Spezifikation benennt […] die Gliederung der Klassifikation […], Selektion benennt die Zuweisung eines Substantivs zu einer bestimmten Klasse […]. (Ebd.: 3) 152 Diese Unterscheidung hat generell den Vorteil, dass eine Betrachtung des Genussystems ‚von oben‘ (Spezifikation), bei der Aussagen über die Klassifikation als Ganzes angestrebt werden, von einer Betrachtung ‚von unten‘ (Selektion) abgegrenzt werden kann, bei der von einzelnen Substantiven oder Gruppen von Substantiven ausgegangen wird. Für die Klärung des Verhältnisses von Genus und Semantik erweist sie sich als besonders vorteilhaft, da sie die Möglichkeit schafft, Semantisches am gesamten Klassifikationssystem und Semantisches an einzelnen Selektionen gesondert zu behandeln (vgl. ebd.). Ferner können verschiedene sprachwissenschaftliche Arbeiten, die sich (auch) mit dem Verhältnis von Genus und Semantik beschäftigen, daraufhin untersucht werden, ob sie auf der Ebene der Selektion Semantisches berücksichtigen oder ob sie eine inhaltliche Gesamtcharakterisierung vornehmen, d.h. eine semantische Erklärung der Spezifikation zu leisten versuchen. 2.3.1. Semantische Gesamtcharakterisierungen: Die Sexustheorien Die in Abschnitt 1.4.1. erwähnten Theorien des natürlichen Geschlechts stellen (gescheiterte) Versuche einer inhaltlichen Gesamtcharakterisierung dar. Sie beziehen sich eindeutig auf die Genus-Spezifikation, denn hier wird nachzuweisen versucht, dass die grammatische Kategorie Genus als Übertragung der Kategorie Sexus anzusehen ist; die Gliederung der Klassen wird als Abbild einer Gliederung der äußeren Wirklichkeit aufgefasst. Da sich eine solche Verbindung von Genus und Sexus aber für die Genussysteme der indoeuropäischen Sprachen nicht ohne weiteres belegen lässt, ist man innerhalb der Sexustheorien gezwungen, diesen Inhalt im Ursprung des Systems anzusetzen. Die Identität von Genus und Sexus gilt innerhalb der Sexustheorien demnach als Urzustand; die Tatsache, dass alle Nomina der Genusklasseneinteilung unterworfen sind, dass - selbst bei Sprachen, die über ein Genus 152 Vgl. hier und im Folgenden auch Wienold (1989); dort werden u.a. die Grundgedanken der Publikation von 1967 in komprimierter Form wiedergegeben. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 133 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 134 Genus im Sprachvergleich Neutrum verfügen - auch Substantive, die der Bezeichnung von Unbelebtem dienen, der Klasse der Maskulina oder Feminina angehören …, - kurz: der Jetzt-Zustand der Genussysteme mit all den mannigfachen Eigenschaften, die einer Sexustheorie zuwiderlaufen, wird als Folge einer „Ausweitung der sexualen Differenzierung auf anderes durch Personifikation, menschliche Phantasietätigkeit, der Sprache inhärente Poesie, durch Sexualisierung, durch Beseelung […]“ etc. angesehen (Wienold 1967: 20). Besonders im 18. und 19. Jahrhundert häufen sich die Arbeiten, in denen dieser Erklärungsansatz verfolgt wird: Herder (1772) meint, dass die „‚Genitalien der Sprache‘“ auf die mythische Phantasie der Urvölker zurückzuführen seien, „deren animalistische Naturauffassung […] eine durchgängige Beseelung der unbelebten Natur hinsichtlich Weiblichkeit und Männlichkeit bewirkt habe“ (Bußmann 1995: 125, 2005: 494). Adelung (1782) schließt sich ihm an; auch er glaubt, den Empfindungen der Urmenschen auf der Spur zu sein, und erklärt: Da man nun einmal alles für eine beseelte Substanz hielt […] und diese Substanzen immer nach sich selbst zu beurteilen pflegte, so war es sehr natürlich, ihnen auch das Geschlecht beyzulegen, welches man an sich und allen lebendigen Geschöpfen bemerkte […] Allein vielleicht hatte man von manchen Erscheinungen in der Kindheit der Erkenntniß selbst so dunkle Begriffe, daß man ihnen mit überwiegender Gewißheit keines von beiden Geschlechtern beylegen konnte, und so entstand das dritte, das Genus Neutrum […]. (Zit. nach Naumann 1986: 188) Grimm stellt zwar fest, dass der größte Teil der Nomina mit dem natürlichen Geschlecht nichts zu tun habe, 153 doch führt ihn diese (richtige) Feststellung keineswegs dazu, das Genus unabhängig vom Sexus zu betrachten. Im Gegenteil: Dass die Entstehung des grammatischen Genus auf den Geschlechtsunterschied zurückgeht, ist für ihn evident; jede andere Möglichkeit, das Genus zu erklären, wird von vornherein ausgeschlossen. So konstatiert er, unter Berufung auf W. von Humboldt, dass „[d]as grammatische genus […] eine in der phantasie der menschlichen sprache entsprungene ausdehnung des natürlichen auf alle und jede gegenstände“ sei (Grimm 1831/ 1967: 346/ 343.). Bei der Untersuchung des Genus gelte es, von einzelnen Substantiven, genauer: von deren Bedeutung ausgehend, den Gang der Phantasie der Menschen nachzuzeichnen: 153 „Das natürliche geschlecht umfaßt eine, im vergleich zu den übrigbleibenden, sehr geringe anzahl von wörtern. Bei den meisten und den ihnen zum grund liegenden begriffen konnte die sprache gar keine wirklichen geschlechtsverhältnisse wahrnehmen […]“ (Grimm 1831/ 1967: 344/ 342). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 134 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Genus und Semantik 135 Die einzig zuläßige oder fruchtbare weise, das grammatische geschlecht vorzutragen, scheint mir diejenige, welche auf bedeutung der wörter rücksicht nimmt; auf diesem wege allein kann es vielleicht gelingen, analogien aufzuspüren, denen die menschliche einbildungskraft nachgehangen hat […]. (Ebd.: 358/ 356) Auf diese Art soll also das Genus einzelner Substantive erklärt und somit zugleich die Bedeutung bzw. der Inhalt des Gesamtsystems wieder offengelegt werden. Dem angegebenen Grundsatz entsprechend geht Grimm im sechsten Kapitel des dritten Bandes seiner Grammatik in großer Ausführlichkeit dem Genus vieler deutscher Nomina nach und bemüht sich, die vorausgesetzte Verbindung des Genus zum Sexus im Einzelnen zu rekonstruieren. 154 Doch die rekonstruktiven Bemühungen sind insgesamt nicht stichhaltig, sondern beruhen in weiten Teilen auf bloßer Spekulation. 155 Dass die Sexustheorien im 18. und insbesondere im 19. Jahrhundert, nicht zuletzt unter dem Einfluss der viel rezipierten Ausführungen Grimms, einen regelrechten Boom erleben, während die Annahme einer so weitreichenden Verbindung von Genus und Sexus und der Versuch, das Gesamtsystem mit der Sexusunterscheidung in Einklang zu bringen, zuvor lediglich vereinzelt anzutreffen sind und eher den Status von Außenseiterpositionen einnehmen, 156 erklärt sich, Leiss 154 Ähnliche Bemühungen stellen französische Forscher für die französische Sprache an (vgl. Yaguello 1978: 101ff.), und auch in älteren spanischen Grammatiken wird die Genuskategorie durch die Sexusunterscheidung motiviert (vgl. Roca 2000: 115, 2005a: 20f.). Darüber hinaus wird z.T. auch versucht, interlinguale Genusunterschiede bei bedeutungsgleichen Substantiven mit der These von der ‚Sexualisierung der Welt‘ (Naumann 1986) zu begründen, wobei man sich nicht mehr auf die Phantasie der ‚Urvölker‘, sondern auf (unterschiedliche) Lebensumstände und Wahrnehmungen einzelner Völker beruft; am bekanntesten sind hier die Ausführungen zu den Genusunterschieden der Ausdrücke für ‚Sonne‘ und ‚Mond‘ im Deutschen im Vergleich zu den romanischen Sprachen (vgl. Forer 1986: 33f.). 155 Mit den Worten Royens (1929: 42) ist „[…] launische Willkür nicht selten die niemals verfehlende Panacee, um die in größerem oder kleinerem Umfang übrigbleibenden Schwierigkeiten zu beseitigen“. 156 Auf ältere Arbeiten, in denen ein Zusammenhang zwischen Genus und Sexus angenommen wird, der über den Bereich der Personen- und einiger Tierbezeichnungen hinausreicht, kann hier nicht eingegangen werden. Es sei lediglich erwähnt, dass der Sophist Protagoras (ca. 485-415 v. Chr.) der erste gewesen sein soll, der diese Auffassung vertrat. Er ging sogar so weit, das Genus einiger Substantive zu verändern. Den Ausdrücken pèlex (‚Helm‘) und ménis (‚Zorn‘) wies er, gegen die Norm, maskulines Genus zu (vgl. u.a. Royen 1929: 1, 321, Forer 1986: 23f.). Wackernagel (1924) gibt hierfür folgende Begründung an: „Der Helm wird in der Regel nur von Männern getragen und ‚ménis‘ bezeichnet etwas Gewaltiges, Furchtbares. Und nun muss Protagoras die Vorstellung gehabt haben, dass Dinge, die den Männern zukommen, und dass ferner gewaltige, furchtbare Dinge vorzugsweise maskulinisch zu benennen seien“ (zit. nach Forer ebd.: 24). Wir werden unten sehen, dass derartige Überlegungen in der Tat den Ausgangspunkt der Sexustheorien bilden. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 135 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 136 Genus im Sprachvergleich (1994) zufolge, aus dem ideologischen Hintergrund (vgl. auch Irmen/ Steiger 2005: insb. 217ff.). Leiss vertritt die Ansicht, dass die ‚Praxis der Sexierung von Grammatik‘ im Zusammenhang mit den anthropologischen Studien der Zeit gesehen werden muss, die genau genommen Sonderanthropologien sind, da nicht der Mensch, sondern der bzw. die anderen Menschen im Mittelpunkt stehen: die ‚Wilden‘, die ‚Schwarzen‘, die ‚hoch oder tief stehenden Nationen‘ und schließlich die Frauen (vgl. Leiss 1994: 294). 157 Die Beschäftigung mit den Frauen, die, wie Leiss feststellt, plötzlich zum ‚Lieblingsgegenstand‘ der Anthropologie avancieren, ist die Beschäftigung mit dem anderen Geschlecht; das zu jener Zeit entworfene Frauenbild wird im Gegensatz zum eigenen, dem männlichen, konzipiert und spiegelt insgesamt die gängigen Geschlechtsstereotypen wider. Eben diese Vorgehensweise findet in den Sexustheorien ihre Entsprechung, und zwar vorwiegend in den allgemeinen Beschreibungen der beiden Genera - Maskulinum und Femininum. 158 Die Möglichkeit einer allgemeinen Beschreibung der Genera basiert dabei offenbar auf folgenden Überlegungen: Da die vorausgesetzte Übertragung des natürlichen Geschlechts nach Meinung der Anhänger der Sexustheorien aufgrund von Analogien erfolgte, die die ‚urmenschliche Phantasietätigkeit‘ zwischen den Geschlechtern und den Gegenständen entdeckte, können die ‚natürlichen‘ Eigenschaften der Geschlechter auch als allgemeine Charakteristika maskuliner respektive femininer Substantive angesehen werden. Grimm (1831/ 1967: 359/ 357) kann so den folgenden viel zitierten Grundsatz an den Beginn der Betrachtung des Genus einzelner Substantive stellen: 157 In dieses Bild passen auch die oben nur angedeuteten Äußerungen zu den (wilden) Urmenschen, deren Phantasietätigkeit das Genus zu verdanken sei; vgl. etwa die folgende rhetorische Frage des Grimmanhängers Misteli (1893 zit. nach Royen 1929: 114): „[…] ist es [das Genus, d.h.: ‚die Ausweitung der Geschlechtskategorie‘] etwas anderes als ein gesteigertes und erweitertes Geschlechtsleben, wie man es bei einer kräftigen, uncultivierten Rasse erwarten kann? “ Auf die Verbindung, die zwischen dieser Art ‚sprachwissenschaftlicher‘ Beschreibung der Genuskategorie und den gängigen anthropologischen Auffassungen im 18. und 19. Jahrhundert besteht, hat vor Leiss vor allem Ibrahim (1973: insb. 17ff.) aufmerksam gemacht. 158 Obgleich Doleschal (2002) - gegen die Aussagen von Leiss (1994) und Naumann (1986) gewandt - darauf hinweist, dass eine Vermischung von Genus und Sexus durchaus auch für die Frühzeit der deutschen Grammatikschreibung (d.h. im 16. und 17. Jahrhundert) zu konstatieren ist, bestätigt ihre Untersuchung, dass erst ab dem 18. Jahrhundert eine Ideologisierung der Grammatik im skizzierten Sinne einsetzt. Diese manifestiert sich nicht nur in der Charakterisierung der Genera, auf die wir im Folgenden eingehen werden, sondern auch in den Aussagen zur Wortbildung im Bereich (männlicher und weiblicher) Personenbezeichnungen sowie in der Wahl der Beispiele. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 136 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Genus und Semantik 137 das masculinum scheint das frühere, größere, festere, sprödere, raschere, das thätige, bewegliche, zeugende; das femininum das spätere, kleinere, weichere, stillere, das leidende, empfangende […]. 159 Schon knapp 50 Jahre vorher war Adelung zu einer ähnlichen Aussage gelangt: Alles, was den Begriff der Lebhaftigkeit, Thätigkeit, Stärke, Größe, auch wohl des Furchtbaren und Schrecklichen hatte, ward männlich; alles was man als empfänglich, fruchtbar, sanft, leidend, angenehm dachte, ward weiblich […]. (Adelung 1782 zit. nach Naumann 1986: 189) 160 Es wird sogleich deutlich, dass hier bestimmte kulturspezifische und historisch bedingte Geschlechtsattribute zur Erklärung der sprachlichen Phänomene herangezogen werden. Dabei werden die in der Regel durch Antonyme ausgedrückten Attribute jedoch als ‚natürliche‘ Eigenschaften der Geschlechter angesehen. Insgesamt erscheint das Femininum, ebenso wie in den anthropologischen Studien das Weibliche, als - häufig negatives - Kontrastbild des Maskulinums. Außerdem wird eine gewisse ‚Rangordnung‘ der Genera entworfen, die mit der sozialen Rangordnung der Geschlechter übereinstimmt. Wyss (1979: 163) stellt mit Bezug auf Grimm fest, dass „das patriarchalische Prinzip schon in der innersprachlichen Hierarchie der Genusformen […] nistet“, und Baron (1986: 97f.) spricht in diesem Zusammenhang allgemein von der ‚Doktrin der Genuswertigkeit‘ („doctrine of the worthiness of genders“), der zufolge das Maskulinum das primäre, wichtigere Genus darstellt. Diese Doktrin tritt an den Stellen, an denen es ausdrücklich um die Rangfolge der Genera geht, noch deutlicher hervor. Bei Grimm (1831/ 1967: 313/ 309) heißt es beispielsweise: Obgleich die drei geschlechter schon in den ältesten denkmälern deutscher sprache und weit über unsere geschichte hinaus als etwas vorhandenes tiefeingewurzeltes gesetzt werden müssen, wird hierdurch nicht die wahrnehmung ausgeschlossen, daß sich das masculinum als die lebendigste, kräftigste und ursprünglichste unter allen darstelle. 159 Gerechterweise darf nicht verschwiegen werden, dass Grimm diese Charakterisierung im Voraus mit gewissen Einschränkungen versieht, indem er betont, dass dieser „grundsatz […] seiner allgemeinheit wegen zur entscheidung einzelner fälle nur behutsam gebraucht werden kann“ (ebd.: 358f./ 357). 160 Bei beiden Autoren wird auch das Neutrum miteinbezogen, dem man in den Publikationen dieser Zeit insgesamt wesentlich weniger Aufmerksamkeit widmete. Der Vollständigkeit halber seien die Ausführungen zum Neutrum hier genannt; bei Grimm (1831/ 1967: 359/ 357) heißt es: „das neutrum [scheint] das erzeugte, gewirkte, stoffartige, generelle, unentwickelte, collektive“, und Adelung fährt an der genannten Stelle wie folgt fort: „und alles, wo die Empfindung getheilt war, oder wo der Begriff so dunkel war, daß keine der vorigen Empfindungen das Übergewicht bekam, ward sächlich“ (s.o.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 137 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 138 Genus im Sprachvergleich Während Grimm die Rangfolge oder Wertigkeit ausdrücklich als Frage der Wahrnehmung auffasst, die er allerdings mit Verweis auf verschiedene sprachliche Fakten - z.B. die häufige Ableitung femininer Personenbezeichnungen von maskulinen Basen (gerichtete Movierung) und die generische Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen - als berechtigt ausweist (vgl. ebd.: 313ff./ 309ff.), 161 geht Heyse (1838), der sich auf Grimm beruft, davon aus, dass sie der tatsächlichen sprachlichen Entwicklung entspricht, d.h., dass das Maskulinum auch etymologisch als älteste und ursprünglichste Klasse anzusehen ist: Das Masculinum ist nämlich die lebendigste, kräftigste und ursprünglichste Geschlechtsform; das Femininum eine später entwickelte Erweichung oder Milderung der männlichen Form; […] so daß mithin die herkömmliche Rangordnung der Geschlechter nicht bloß in dem Begriffe, sondern auch in der etymologischen Entwicklung und grammatischen Form der Geschlechter vollkommen begründet ist. (Zit. nach Forer 1986: 27) Ähnlich äußert sich Friedrich Müller, der aber im Unterschied zu Heyse und in Übereinstimmung mit den meisten anderen Autoren die soziale Rangordnung der Geschlechter nicht mit den sprachlichen Gegebenheiten begründet, sondern umgekehrt die sprachlichen Gegebenheiten als Abbild der sozialen ansieht: Ist es nicht, als ob die Sprache hier ein wunderlich klares Bild der beiden Sexus in der Natur widerspiegelt: das Weibliche aus dem Männlichen geboren, aber sich ihm sogleich gegenüberstellend als seine Hilfe, unterstützend durch Zusammenwirken, und stärkend, bekräftigend durch Gegensatz, durch Polarisierung aller seiner Lebensäußerungen? (Zit. nach Royen 1929: 168) Wir wollen die Darstellung der Sexustheorien hier abbrechen und noch einmal herausstellen, dass die ‚Idee von der totalen Sexualisierung der Welt‘ (Naumann 1986) weder eine befriedigende Grundlage zur Erklärung der Entstehung der Kategorie Genus noch zur Beschreibung der Genussysteme einzelner Sprachen liefert und dass ferner die Verbreitung dieser Theorien im 18. und 19. Jahrhundert „in Übereinkunft mit einer zeitbedingten Konstruktion einer naturhaft vorgegebenen hierarchischen Ordnung der Geschlechter“ erfolgte, so dass der Erklärungsansatz insgesamt „nicht einmal objektivierbarer Argumente [bedurfte]“ (Bußmann 1995: 126, 2005: 495). 161 Wie Doleschal (2002) anhand der Auswertung verschiedener deutscher Grammatiken, Sprachlehren und Sprachempfehlungen ab dem 16. Jahrhundert zeigt, ist Grimm übrigens der erste, der „den möglichen Bezug maskuliner Personenbezeichnungen auf Frauen deutlich erkannt hat und beschreibt“ (ebd.: 11). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 138 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Genus und Semantik 139 Es steht fest, dass eine semantische Erklärung des Gesamtsystems zumindest bei den hier betrachteten indoeuropäischen Sprachen nicht möglich ist: Die Klassifikation kann nicht auf die Semantik der Substantive zurückgeführt, die einzelnen Genusklassen können nicht mit Bezug auf die Bedeutung der ihr angehörenden Nomina ‚erklärt‘ werden. Anders ausgedrückt: Die generische Klassifikation folgt keiner semantischen Einteilung der Substantive und die Genus-Spezifikation kann auch nicht als Reflex einer natürlichen, d.h. nichtsprachlichen Unterscheidung angesehen werden. Bloomfield (1933/ 1973: 271) ist zuzustimmen, wenn er feststellt, dass „[t]he gender categories of most Indo-European languages, such as the two of French or the three of German, do not agree with anything in the practical world […]“. Mit der Zurückweisung einer semantischen Gesamtcharakterisierung ist jedoch nicht gesagt, dass es überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Genus und Semantik und zwischen Genus und Sexus gibt. Auf der Ebene der Selektion erweist sich die Berücksichtigung von Semantischem sehr wohl als sinnvoll und auch als notwendig, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird. 2.3.2. Möglichkeiten semantischer Teilcharakterisierungen In 1.4.1. hatten wir festgestellt, dass sowohl in den formalen Theorien zum Ursprung des Genus als auch in den synchron ausgerichteten Arbeiten zu den Genussystemen indoeuropäischer Sprachen eine Verbindung zwischen Genus und Semantik hergestellt wird. Generell sind diese Aussagen - im Unterschied zu denjenigen, die innerhalb der Sexustheorien aufgestellt werden, - aber nicht auf das Gesamtsystem, sondern auf einzelne Teilbereiche des nominalen Lexikons, auf bestimmte Gruppen von Substantiven bezogen. Sie sind also - mit Wienold gesprochen - auf der Ebene der Selektion zu verorten. Trotz dieser übergeordneten Gemeinsamkeit sind die unter dem Stichwort ‚Genus und Semantik‘ oder ‚semantische Kriterien der Genusselektion‘ angeführten Beispiele recht heterogen; sie lassen sich unseres Erachtens zunächst in drei Gruppen oder Typen einteilen, die wie folgt charakterisiert werden können: 1) Die Genusselektion eines bestimmten Nomens ist insofern semantisch motiviert, als dieses Nomen einer semantischen Gruppe von gleich seligierten Nomina angehört; 162 162 Vgl. hierzu die folgende Aussage von Köpcke (1982: 10f.): „Eine Reihe von Nomen gehören bestimmten Perzeptions- oder Sachgruppen an und erhalten von dort her ihr grammatisches Geschlecht. Entscheidend ist, dass die Wortbedeutungen der zu Perzeptions- oder Sachgruppen zusammengefaßten Wörter in mindestens einem entscheidenden (abstrakten) Merkmal übereinstimmen“. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 139 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 140 Genus im Sprachvergleich 2) Paare von verschieden seligierten Nomina stehen in semantischer Opposition derart, dass der semantische Differenzierungsfaktor als ‚Inhalt‘ der Genusopposition angesehen werden kann, wobei a) die oppositive Selektion an oppositiven Lexemen erfolgt, b) die oppositive Selektion am gleichen Lexem erfolgt (= Differentialgenus). 163 Diese Unterscheidung wird in einigen Arbeiten überhaupt nicht explizit gemacht (vgl. u.a. Köpcke 1982: 10ff.), in anderen nur teilweise. 164 Dass überhaupt keine Differenzierung vorgenommen wird, hängt offenbar damit zusammen, dass der zweite Typ in gewisser Hinsicht als eine spezielle Form des ersten angesehen werden kann; 2 lässt sich unter 1 subsumieren, da auch die oppositiv seligierten Nomina jeweils einer semantischen Gruppe angehören. Die Differenzierung ist aber insofern wichtig, als nur Typ 2 als semantische Nutzung des Genussystems angesehen werden kann und als nur beim Differentialgenus - und auch hier, wie noch zu zeigen sein wird, nur in bestimmten Fällen - von einem semantischen Wert der Genusselektion gesprochen werden kann. Um die einzelnen Typen und ihre Relation zu erläutern, seien zunächst einige Beispiele gegeben: Ad 1) Beispiele für diesen Typ sind Ausdrücke wie: (94) Dt. der Wein, der Sekt, der Sherry, der Schnaps, der Cognac, der Whisky, der Gin, der Ouzo, der Grappa etc. (95) Fr. le fer, l’argent (M), l’or (M), le platine, le titane, le zinc, le cuivre, le nickel, le cobalt, l’aluminium (M), le chrome etc. (96) Sp. el Etna, el Vesuvio, los Andes, los Alpes, los Urales, el Himalaya, el Atlas, los Cárpatos etc. Die Wahl des Genus kann in diesen Fällen dadurch ‚erklärt‘ werden, dass im Deutschen Bezeichnungen für alkoholische Getränke, im Französischen 163 Die unter Punkt 2 gegebene Bestimmung erfolgt unter Rückgriff auf Wienold (1967: insb. 161). 164 So unterscheidet z.B. Bergen (1980), der das Verhältnis von Genus und Semantik in der spanischen Sprache beschreibt, Typ 1 und Typ 2, die er beide als „semantic utilization of Spanish gender“ ansieht. Bei Typ 2 handelt es sich ihm zufolge um „contrasting semantic notions […] which are expressed by opposite grammatical genders“; diese Bestimmung deckt sich mit der oben angegebenen. Leider bemüht sich Bergen aber weder um die Angabe einer allgemeinen Bestimmung des ersten Typs (hier gibt er lediglich einige Beispiele), noch klärt er den Zusammenhang zwischen Typ 1 und Typ 2. Nomina der Gruppe 2a und 2b bestimmt er als „derivationally unrelated“ bzw. „derivationally related“ (ebd.: 48f.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 140 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr Genus und Semantik 141 solche für Metalle und im Spanischen Bergnamen regelhaft maskulin seligiert sind; anders ausgedrückt: Die Zugehörigkeit der Nomina zur Gruppe der Bezeichnungen für alkoholische Getränke/ Metalle/ Berge kann als Kriterium, als ‚semantische Regel‘ für die Genuszuweisung aufgefasst werden. 165 Ad 2a) Beispiele für diesen Typ sind u.a. einige Tier- und Personenbezeichnungen (insb. Verwandtschaftsbezeichnungen), beispielsweise: (97) Sp. el caballo vs. la yegua, el padre vs. la madre (98) Fr. le coq vs. la poule, le taureau vs. la vache, le frère vs. la sœur (99) Dt. der Sohn vs. die Tochter, der Onkel vs. die Tante Ad 2b) Beispiele für diesen Typ finden sich ebenfalls im Bereich der Personenbezeichnungen (u.a.), insb. bei Berufs- und Amtsbezeichnungen, etwa: (100) Dt. der Lehrer vs. die Lehrerin, der vs. die Vorsitzende (101) Sp. el abogado vs. la abogada, el vs. la deportista (102) Fr. le vendeur vs. la vendeuse, le vs. la philosophe Bei den unter 1 genannten Beispielen spielt - wie gezeigt - die Bedeutung der Substantive eine Rolle; da bedeutungsverwandte Substantive zu einer Gruppe gleicher Selektion zusammengeschlossen sind, kann die Bedeutung oder besser: ein abstraktes semantisches Merkmal der einzelnen Substantive als Kriterium für die Selektion des Genus angegeben werden. 166 Auch die Beispiele für Typ 2 (a und b) können auf diese Art interpretiert werden, denn auch weibliche Personenbezeichnungen oder allgemein 165 Für weitere Beispiele vgl. u.a. Köpcke (1982: 13) (Dt.), Cartagena/ Gauger (1989: 138ff., 145f., 164f.) (Dt./ Sp.), Bergen (1980: 48), Ambadiang (1999: 4851f.) (Sp.), Grevisse ( 13 1993: insb. 710ff., 721f., 730ff.), Surridge (1989), Nelson (2005: 25ff., 33ff.) (Fr.). Da die Autoren die hier vorgeschlagene Differenzierung nicht vornehmen, finden sich dort z.T. aber auch Beispiele, die hier Typ 2 zugeordnet werden. 166 Bei vielen Beispielen dieses Typs ist auch eine (historische) Begründung der Genusselektion möglich; sie ist nämlich oftmals als Resultat einer metonymischen Verschiebung anzusehen: Das Genus der einzelnen Substantive einer solchen Gruppe geht auf das Genus des (weggefallenen) genus proximum zurück; so etwa bei Monatsnamen - sp.: el (mes de) enero, febrero, marzo, abril …/ fr.: le (mois de) mai, juin, juillet, août …/ dt.: der (Monat) September, Oktober, November, Dezember … < lat.: Ianuarius mensis, februarius mensis etc. -, bei Wochentagen, Zahlen, aber auch bei den erwähnten Bergnamen, Bezeichnungen für Metalle und in Fällen wie fr.: le (vin de) champagne, bordeaux u.v.a. Zu Problemen und Beschränkungen dieser Art semantischer Regeln vgl. Ambadiang (1999: 4852f., 4876ff.); kritisch äußert sich auch Heringer (1995). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 141 16.12.2008 13: 08: 34 Uhr 142 Genus im Sprachvergleich Bezeichnungen für weibliche Lebewesen im Deutschen, Französischen und Spanischen bilden Gruppen gleich seligierter Nomina. Es spricht deshalb nichts dagegen, hier, ebenso wie bei den unter 1 gegebenen Beispielen, die Bedeutung einzelner Substantive als Indikator für deren Genus aufzufassen. Allerdings spielt das Genus unter diesem Blickwinkel überhaupt keine semantische Rolle. Wienold (1967: 324) kritisiert zu Recht, dass [s]olche Überlegungen, die von der Wortbedeutung ausgehen, […] die einzelnen Klassen [isolieren] und [nicht] berücksichtigen […], dass die Selektion innerhalb eines eine Menge von Einheiten spezifizierenden Systems erfolgt, grundsätzlich also Oppositivität möglich ist. 167 Will man das Verhältnis des Genus zum Semantischen adäquat beschreiben, so wird man untersuchen müssen, um welche Art des Zusammenhangs von Genus und Semantik es sich in einzelnen Fällen handelt: Liegt lediglich eine regelhafte Selektion bedeutungsverwandter Substantive vor oder steht eine Gruppe bedeutungsverwandter und gleich seligierter Substantive darüber hinaus einer anderen Gruppe bedeutungsverwandter und gleich seligierter Nomina gegenüber, wobei die beiden Gruppen bzw. die einzelnen Mitglieder sowohl semantisch als auch hinsichtlich des Genus in Opposition zueinander stehen, so dass man von einer semantischen Nutzung der Nominalklasseneinteilung sprechen kann? Letzteres ist nur bei Beispielen des Typs 2 der Fall. Hier gilt es wiederum zu unterscheiden, ob die oppositive Genusselektion die semantische Opposition der beteiligten Elemente lediglich zusätzlich kennzeichnet oder ob das Genus an der Konstitution dieser semantischen Opposition unmittelbar beteiligt ist, ob es, wie Wienold (ebd.: 325) formuliert, ‚Semantizität erzeugt‘. Ersteres ist bei den unter 2a gegebenen Beispielen der Fall, bei denen die Geschlechtsspezifikation lexeminhärent erfolgt und das Genus fest an die unterschiedlich seligierten Lexeme gebunden ist; Letzteres ist - nach Wienold - beim Differentialgenus der Fall. Diese Differenzierung mag innerhalb der Arbeiten, die sich in erster Linie auf die Untersuchung formaler und semantischer Kriterien für die Genuszuweisung konzentrieren, vielleicht zu vernachlässigen sein, da man ohne sie nicht unbedingt zu falschen Ergebnissen gelangt. Für eine angemessene 167 In eben diese Richtung weist unseres Erachtens auch die Kritik von Leiss (2000), die sich sowohl an ältere Arbeiten zum Genuswechsel als auch an zeitgenössische Arbeiten richtet. Leiss konstatiert, dass mit der Untersuchung des lexikalischen Stamms die falschen Morpheme in den Vordergrund gerückt werden. Die Frage, die zu stellen sei, müsse vielmehr lauten: „In the change to a specific gender is there also a regular modification of the categorial meaning? “ (Ebd.: 246) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 142 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Genus und Semantik 143 Beschreibung des Verhältnisses von Genus und Semantik ist sie jedoch unentbehrlich, da sie es erlaubt, z.B. die Tatsache, dass Bezeichnungen für weibliche Lebewesen in der Regel feminin, solche für männliche in der Regel maskulin seligiert sind, nicht als mehr oder weniger zufällige Systematisierung, sondern eben als semantische Nutzung des bestehenden Genussystems mit seinen oppositiven Klassen aufzufassen. Die skizzierten Möglichkeiten der Berücksichtigung von Semantischem einschließlich der Unterscheidung der Ebenen von Selektion und Spezifikation sind in dem folgenden Schaubild noch einmal zusammengefasst: Semantik und Genus- Spezifikation = semant. Gesamtcharakterisierung vs. Semantik und Genus- Selektion = semant. Teilcharakterisierungen (v.a. im 18. und 19. Jh. vertreten von Adelung, Grimm u.a.) Ausgangspunkt: Semantik der Substantive Ausgangspunkt: Oppositivität der Klassen Oppositive Selektion an unterschiedlichen Lexemen Oppositive Selektion am gleichen Lexem (= Differentialgenus nach Wienold) Schauen wir uns den rechten unteren Bereich dieses Schaubildes, den Bereich des Differentialgenus und die darunter zu subsumierenden Beispiele für die spanische, französische und deutsche Sprache nun etwas genauer an. 2.3.2.1. Differentialgenus Differentialgenus liegt - Wienold zufolge - dann vor, wenn Paare von Substantiven oder ganze Substantivgruppen verschieden seligiert werden, ohne dass das Lexem bzw. die Wurzel (oder der Stamm) wechselt. Wienold (1967: 147) stellt fest, dass wir es in diesen Fällen mit „einer für eine Semantik auswertbaren oppositiven Verwendung von Genusexponenten an einem Semantem in Substantivrolle“ zu tun haben. Formelhaft lässt sich diese Erscheinung - nach Wienold (ebd.: 151) - wie folgt darstellen: N-a / N(+s)-b, TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 143 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 144 Genus im Sprachvergleich wobei ‚N‘ für einen konstanten Nennwert steht, ‚a‘ und ‚b‘ für Klassenindizes und ‚s‘ für fakultative zusätzliche Suffigierung. 168 Wichtiges Kriterium für das Vorliegen eines semantischen Differenzierungsfaktors ist, so wird schon aus der Formel deutlich, die ‚Wählbarkeit‘ des Genus. Des Weiteren muss die Differenz „als semantische Opposition in lexikalischen Einheiten derselben oder einer anderen Sprache angebbar […], sie muss übersetzbar sein“ (ebd.: 149). Es wird deutlich, dass das im ersten Teil der Arbeit im Zuge des Vergleichs der nominalen Kategorien Genus, Numerus und Kasus herausgestellte Charakteristikum des Genus, seine Nicht-Austauschbarkeit am Lexem, in diesem Punkt eine Einschränkung erfährt: Im Falle des Differentialgenus kann man von Ablösbarkeit bzw. Austauschbarkeit des Genus sprechen, und somit ist auch die Voraussetzung dafür erfüllt, dass ein formales Merkmal Bedeutung tragen kann (s.o.: Abschnitt 1.3.1.). 169 Die angegebenen Kriterien (Wählbarkeit und Übersetzbarkeit) erfüllen - Wienold (1967) zufolge - z.B. Motionsbildungen und substantivierte Adjektive; diese bezeichnet er als die bekanntesten Fälle von Differentialgenus im Indogermanischen (vgl. ebd.: 150). Bei Beispielen vom Typ der/ die Kranke, der/ die Abgeordnete etc. hat das Genus geschlechtsspezifizierende Funktion. In einer Äußerung kann, je nach Sinn, eine der beiden Formen gewählt werden, wobei sich die Differenz durch die Opposition männlich vs. weiblich ‚übersetzen‘ lässt. 170 Doch die Sexusdifferenzierung stellt nur eine von mehreren Nutzungsmöglichkeiten des Differentialgenus dar: Im Französischen wird die Genusopposition auch genutzt, um Handlungsträger (M) und die mit einer bestimmten Handlung verbundenen Maschinen (F) und/ oder ‚Werkzeuge‘ (im weitesten Sinne) zu unterscheiden; vgl.: 168 Wenn homonyme Ausdrücke durch das Genus differenziert werden - z.B. dt. der/ die Kiefer, sp. el/ la coma (‚Koma‘/ ‚Komma‘), fr. le/ la page (‚Page‘/ ‚Seite‘) - liegt aufgrund des Fehlens eines konstanten Nennwertes kein Differentialgenus vor; hier muss man von unterschiedlichen Lexemen und folglich von einer anderen Form semantischer Nutzung der Genusklassen ausgehen. 169 Da das Differentialgenus aber keineswegs den allgemeinen Fall darstellt, da dieser - wie auch Wienold betont - in der festen und daher nicht semantisch auswertbaren ‚Verwendung‘ eines Genus an einem Substantiv besteht, spricht nichts dagegen, die Nicht-Austauschbarkeit weiterhin als prototypisches Merkmal des Genus anzuführen. 170 Es ist zu beachten, dass die maskulinen Bezeichnungen im Gegensatz zu den femininen nicht auf die geschlechtsspezifische Verwendung begrenzt sind, sondern dass sie auch generisch, d.h. geschlechtsneutral verwendet werden können (‚generisches Maskulinum‘). Auf diesen Aspekt, der zu der Feststellung, dass das Differentialgenus im Falle der Personenbezeichnungen der Sexusunterscheidung dient, nicht im Widerspruch steht, wird im dritten Teil der Arbeit eingegangen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 144 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Genus und Semantik 145 (103) (a) le brocheur vs. la brocheuse ‚Hefter‘/ ‚Broschierer‘ ‚Heftmaschine‘ (b) le plieur vs. la plieuse ‚Falzer‘ ‚Falzmaschine‘ (c) le cuisinier vs. la cuisinière ‚Koch‘ ‚Herd‘ (d) le trompette vs. la trompette ‚Trompeter‘ ‚Trompete‘ Oppositionen dieses Typs finden sich auch im Spanischen: (104) (a) el trompeta vs. la trompeta ‚Trompeter‘ ‚Trompete‘ (b) el espada vs. la espada ‚Torero‘/ ‚Matador‘ ‚Schwert‘ (c) el segador vs. la segadora ‚Schnitter‘ ‚Mähmaschine‘ (d) el heladero vs. la heladera ‚Eisverkäufer‘ ‚Eismaschine‘ und hier auch mit umgekehrter Verteilung; beispielsweise: (105) la costurera vs. el costurero ‚Näherin‘ ‚Nähmaschine‘ Im Spanischen wird die Genusopposition in einem Teilbereich des nominalen Wortschatzes außerdem verwendet, um ‚Kenner‘ einer bestimmten Materie oder Disziplin und diese Disziplin selbst zu kennzeichnen: (106) (a) el músico vs. la música ‚Musiker‘ ‚Musik‘ (b) el matemático vs. la(s) matemática(s) ‚Mathematiker‘ ‚Mathematik‘ (c) el físico vs. la física ‚Physiker‘ ‚Physik‘ (d) el ético vs. la ética ‚Ethiker‘ ‚Ethik‘ (e) el mecánico vs. la mécanica 171 ‚Mechaniker‘ ‚Mechanik‘ 171 Bei der Mehrzahl der unter (103), (104) und (106) angeführten Beispiele werden die Feminina auch als Personenbezeichnungen verwendet; dies gilt etwa für fr. la cuisinière (‚Köchin‘) und - prinzipiell - für alle spanischen Beispiele. (Bei umgekehrter Verteilung - wie in (105) - besteht diese Verwendungsmöglichkeit auch für die Maskulina.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 145 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 146 Genus im Sprachvergleich Ebenso ist die Differenzierung maskuliner Baumbezeichnungen und femininer Fruchtbezeichnungen im Spanischen als ein Fall von Differentialgenus anzusehen; vgl.: (107) (a) el manzano vs. la manzana ‚Apfelbaum‘ ‚Apfel‘ (b) el naranjo vs. la naranja ‚Orangenbaum‘ ‚Orange‘/ ‚Apfelsine‘ (c) el papayo vs. la papaya ‚Papaya(-baum)‘ ‚Papaya(-frucht)‘ (d) el cerezo vs. la cereza ‚Kirschbaum‘ ‚Kirsche‘ Ferner dient das Genus im Spanischen und Französischen - wie auch in anderen romanischen Sprachen - zur Kennzeichnung von Größenunterschieden, d.h. zur Augmentation und Diminution. 172 Häufig bezeichnet das Femininum hierbei die größere, das Maskulinum die kleinere Entität: (108) Sp. (a) el cubeto vs. la cubeta ‚kleiner Kübel‘ ‚Wanne‘/ ‚Kübel‘ (b) el hoyo vs. la hoya ‚Loch‘/ ‚Vertiefung‘ ‚Grube‘/ ‚Tal‘ (c) el huerto vs. la huerta ‚Obst-/ Gemüsegarten‘ ‚Obst-/ Gemüseland‘ (d) el bolso vs. la bolsa ‚Handtasche‘ ‚Tasche‘ (109) Fr. (a) le panier vs. la panière ‚Korb‘ ‚großer Korb‘ (b) le bassin vs. la bassine ‚Becken‘/ ‚Schale‘ ‚gr. Becken‘/ ‚Wanne‘ Das Verhältnis kann aber auch umgekehrt sein, wie die folgenden spanischen Beispiele belegen: (110) (a) el barco vs. la barca ‚Schiff‘ ‚kleines Schiff‘/ ‚Kahn‘ (b) el barreno vs. la barrena ‚großer Bohrer‘ ‚Bohrer‘ (c) el cesto vs. la cesta 173 ‚großer Korb‘ ‚Korb‘ 172 Vgl. hierzu - auch hinsichtlich der historischen Entwicklung - Kahane/ Kahane (1948/ 49), außerdem Wienold (1967: 150f.) und, allein zum Spanischen, z.B. Martínez (1977: 187f.) und Bergen (1980: 53ff.). 173 Es sei hier angemerkt, dass die Diminution bzw. Augmentation mit Hilfe des Differentialgenus in der spanischen Sprache nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt, die insgesamt TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 146 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Genus und Semantik 147 Bei den bisher genannten Fällen wird die Opposition von zwei Klassen zur semantischen Differenzierung genutzt. Sofern eine Sprache über mehr als zwei Genera verfügt, muss das Differentialgenus jedoch nicht auf zwei Klassen beschränkt sein. Die Anzahl der Klassen erhöht vielmehr die Differenzierungsmöglichkeiten; so ist es beispielsweise in der deutschen Sprache möglich, die Opposition von Femininum, Maskulinum und Neutrum semantisch zu nutzen. Wienold gibt hier die Unterscheidung zwischen Ländernamen und Bezeichnungen für männliche vs. weibliche Einwohner eines Landes als Beispiel an (vgl. Wienold 1967: 152, 161): (111) (a) der Schwede vs. die Schwedin vs. Schweden (N) (b) der Sachse vs. die Sächsin vs. Sachsen (N) Auch in der spanischen Sprache sind solche Fälle auszumachen, da hier - wie oben dargelegt - für einige targets eine (genus-)neutrale Form zur Verfügung steht; diese kann bei substantivierten Adjektiven zur ‚Sachbezeichnung‘ genutzt werden, wohingegen die femininen und maskulinen Formen als Personenbezeichnungen fungieren. Vgl.: (112) (a) el curioso vs. la curiosa vs. lo curioso ‚der Neugierige‘ ‚die Neugierige‘ ‚das Merkwürdige‘/ ‚das, was neugierig macht‘ (b) el gracioso vs. la graciosa vs. lo gracioso ‚der Lustige‘ ‚die Lustige‘ ‚das Lustige‘ 174 Die Beispiele, die sich ohne weiteres fortsetzen ließen, zeigen deutlich, dass die Genusopposition in den einzelnen Sprachen auf unterschiedliche Art und Weise zur semantischen Differenzierung genutzt wird, wobei - und dies ist nochmals zu betonen - jegliche Art der semantischen Charakterisierung als Teilcharakterisierung anzusehen ist, da sie immer nur bestimmte Gruppen von Substantiven, einzelne Teilbereiche des Wortschatzes erfasst. Außerdem sind die Genera auch beim Differentialgenus nicht als semantische Einheiten zu betrachten, sondern sie fungieren als distinktives Merkmal an Lexemen. 175 In diesem Sinne spricht Wienold davon, dass das Genus ‚Semantizität erzeugt‘. nur bei einer relativ geringen Anzahl von Nomina tatsächlich genutzt wird. Gerade das Spanische verfügt über eine große Zahl verschiedener Diminutiv- und Augmentativsuffixe, die, ohne einen Genuswechsel zu verursachen, an Substantive, aber auch an andere Wortarten angehängt werden können. 174 Da die neutralen (genuslosen) Formen im Französischen auf den pronominalen Bereich beschränkt sind, sind analoge Differenzierungen hier nicht möglich. 175 Wienold (1967: 150) bemerkt in diesem Zusammenhang: „[…] Es lässt sich für equus in einem Satz equa substituieren und dadurch der Sinn des Satzes ändern, aber es lässt sich nicht frei ein Genus substituieren“. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 147 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 148 Genus im Sprachvergleich Es fragt sich aber, ob diese Einschätzung tatsächlich uneingeschränkt auf die genannten Beispiele bzw. auf alle als Differentialgenus zu bestimmenden Fälle zutrifft. Unseres Erachtens ist hier eine genauere Abgrenzung notwendig, wie am Beispiel der Personenbezeichnungen bzw. der Sexusdifferenzierung demonstriert werden kann. 2.3.2.2. Kritik am Begriff des Differentialgenus Sehen wir uns zunächst an, welche Möglichkeiten zur Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts überhaupt zur Verfügung stehen; es lassen sich folgende Fälle unterscheiden: 176 I. Möglichkeiten der Geschlechsspezifikation, bei denen das Genus insofern eine Rolle spielt, als Genus und Sexus übereinstimmen: 1) Lexeminhärente Geschlechtsspezifikation; vorwiegend im Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen (vgl. die oben unter (97)-(99) angegebenen Beispiele), aber auch bei einigen ‚allgemeinen‘ Personenbezeichnungen (sowie Tierbezeichnungen) und natürlich bei Komposita und lexikalisierten Syntagmen, in denen ein solches Lexem die Rolle des Determinatums einnimmt; 177 vgl.: (113) Fr. la fille vs. le garçon, la sage-femme, la femme de ménage, un homme d’affaire (114) Dt. die Frau vs. der Mann, der Bürokaufmann vs. die Bürokauffrau, die Krankenschwester, die Ordensschwester vs. der Ordensbruder 176 Es werden hier nur die wichtigsten, d.h. die gebräuchlichsten Möglichkeiten der Geschlechtsspezifikation berücksichtigt. Für detailliertere Angaben zu den verschiedenen Einzelsprachen sei auf die folgenden Arbeiten verwiesen: Nissen (1986: 726ff.) (Sp.), Yaguello (1978: 120ff.), Hartmann-Brockhaus (1986: 256f.) und Schafroth (2003: 101ff.) (Fr.), Schoenthal (1989: 301ff.), Hellinger (1990: 68ff.) und Bußmann/ Hellinger (2003: 150ff.) (Dt.). Sehr ausführlich sind auch die Darstellungen in einigen Grammatiken, etwa bei Grevisse ( 13 1993: 758-775) (Fr.), Cartagena/ Gauger (1989: 158ff.) (Dt./ Sp.) und Ambadiang (1999: 4853ff. und 4868f.) (Sp.). Die Klassifikation der Beispiele fällt in den genannten Quellen jeweils unterschiedlich aus und deckt sich nicht unbedingt mit der hier vorgeschlagenen. 177 Wie im Rahmen unserer Ausführungen zu Kongruenzverstößen (Abschnitt 1.2.3.) angesprochen, gibt es einige Personenbezeichnungen, bei denen das lexeminhärente Geschlechtsmerkmal ([+männlich] oder [+weiblich]) und das Genus des Substantivs (Maskulinum oder Femininum) nicht korrelieren (z.B. dt. das Mädchen). Diese Fälle haben aber eher den Status von Ausnahmen; das Genus ist hier oftmals auf die Dominanz morphologischer Zuweisungskriterien zurückzuführen (im Falle von Mädchen auf das genusdeterminierende Diminutivsuffix -chen). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 148 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Genus und Semantik 149 (115) Sp. el hombre vs. la mujer, la señora de limpieza, el hombre de estado (im Sp. selten) 178 2) Ungerichtete Movierung oder Alternanz; die maskulinen und die femininen Bezeichnungen unterscheiden sich durch bestimmte Derivationssuffixe; z.B.: (116) Fr. le vendeur vs. la vendeuse, le moniteur vs. la monitrice (117) Sp. el emperador vs. la emperatriz (im Sp. nicht produktiv) (118) Dt. der Souffleur vs. die Souffleuse (im Dt. auf Lehnwörter begrenzt) 3) Gerichtete Movierung (auch Motion oder Ableitung); die feminine Bezeichnung wird mit Hilfe eines Derivationssuffixes von der maskulinen Basisform abgeleitet, z.B.: (119) Fr. le prince vs. la princesse, le maire vs. la mairesse (120) Sp. el abad vs. la abadesa, el zar vs. la zarina (im Sp. nicht produktiv) (121) Dt. der Arbeiter vs. die Arbeiterin, der Student vs. die Studentin (im Dt. überaus produktiv) 179 4) Differentialgenus im engeren Sinne; die Bezeichnungen für männliche und weibliche Personen (und Tiere) unterscheiden sich allein hinsichtlich des Genus; die Genusklassenzugehörigkeit (und damit die Sexusspezifikation) kann entweder allein an den kongruierenden Elementen abgelesen werden - vgl.: (122) Fr. un enfant vs. une enfant, un élève vs. une élève (123) Sp. el estudiante vs. la estudiante, el periodista vs. la periodista (124) Dt. der Angestellte vs. die Angestellte, der Abgeordnete vs. die Abgeordnete - oder zusätzlich an bestimmten durch das Genus bedingten Endungen, also Genusflexen der Nomina. Entsprechend gehören hierher auch die (zahlreichen) Bezeichnungen des Französischen, bei denen das Femininum durch ‚Anhängen des e caduc‘ gebildet wird (125), sowie diejenigen genus- 178 Interlinguale Unterschiede hinsichtlich Vorkommenshäufigkeit bzw. Produktivität der verschiedenen Verfahren werden an dieser Stelle lediglich angedeutet; im nächsten Abschnitt wird auf diesen Aspekt dann genauer eingegangen. 179 Für die Movierung in umgekehrter Richtung (Femininum Maskulinum) gibt es im Deutschen nur wenige Beispiele (u.a. die Ente/ der Enterich). Ebenso verhält es sich im Französischen (Beispiele wären hier: la cane/ le canard, la vieille/ le vieillard, la compagne/ le compagnon). Im Spanischen kommt diese Form der Movierung nicht vor. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 149 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 150 Genus im Sprachvergleich variablen Substantive des Spanischen, in denen der Genuswechsel durch -o, -e oder -ø (M) gegenüber -a (F) markiert wird; z.B.: (125) Fr. le marchand (/ ma“SA)/ ) vs. la marchande (/ ma“SA)d/ ), un ouvrier (/ uvrije/ ) vs. une ouvrière (/ uvrijE“/ ) 180 (126) Sp. el hermano vs. la hermana, el cliente vs. la clienta, el profesor vs. la profesora (im Sp. überaus produktiv) 181 II. Andere Möglichkeiten der Geschlechtsspezifikation: Adjektivische oder substantivische Attribuierung, vor allem bei geschlechtsneutralen Bezeichnungen - sogenannten Epikoina - üblich, z.B.: (127) Fr. la grenouille mâle/ femelle (128) Sp. la rana macho/ hembra (129) Dt. die männliche/ weibliche Person 182 180 Aus Gründen der Vereinfachung sprechen wir hier von ‚Femininbildung durch e caduc‘. Dass das Femininum lediglich im graphischen Code durch -e gegenüber Maskulinum -ø markiert wird (wobei es zu weiteren Veränderungen in der Graphie kommen kann, etwa bei (le) gardien/ veuf vs. (la) gardienne/ veuve, aber auch im genannten Beispiel (un) ouvrier vs. (une) ouvrière), während der Genuswechsel im Gesprochenen entweder gar nicht (vgl.: / ami/ für ami (M) oder amie (F)) oder in Form von Auslautunterschieden greifbar ist (s.o.), was ggf. auch hier mit weiteren Veränderungen einhergeht, ist im Rahmen unserer Ausführungen zur Form der Kongruenz im Französischen ja bereits hinreichend dargelegt worden. 181 Mit Morera (1985) u.a. sehen wir -a bei genusvariablen Nomina, deren Endungen von -o, -e oder -ø (= konsonantischer Auslaut) auf -a umgestellt werden, nicht als Derivationsmorphem, sondern als Element der Flexion, als Genussuffix an, welches das Femininum markiert (anders aber z.B. Rainer 1993: 95ff.). Auf die generell sehr heterogenen Auffassungen zum (morphologischen) Status der Substantivendungen im Spanischen kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Vgl. hierzu u.a. die Beschreibungsansätze von Anderson (1961), González Calvo (1979), Roca (1989, 2005), Arias Barredo (1990) und Harris (1991); für einen Vergleich traditioneller, strukturalistischer und generativistischer Beschreibungsansätze sei auf Murillo (1999) verwiesen; eine knapp gehaltene Zusammenschau bietet auch Ambadiang (1999: 4870ff.). 182 Der Terminus Epikoinon wird in der vorliegenden Arbeit in Übereinstimmung mit Corbett (1990), einigen älteren Arbeiten zum Genus (z.B. Brugmann 1889) und den Angaben in sprachwissenschaftlichen Lexika (z.B. Bußmann 3 2002) allein in Bezug auf Substantive verwendet, mit denen ohne Veränderung ihres Genus sowohl auf männliche als auch auf weibliche Lebewesen referiert werden kann, und hierzu gehören neben Feminina wie dt. (die) Person, sp. (la) persona, fr. (la) personne selbstverständlich auch Maskulina und ggf. Neutra wie dt. (das) Kind/ Individuum, sp. (el) bebé/ individuo, fr. (le) bébé/ individu. Diese Gruppe von Substantiven kann so schon terminologisch von Bezeichnungen mit Differentialgenus im engeren Sinne (s.o.), den englischen common gender nouns (z.B. engl. the teacher, he vs. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 150 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Genus und Semantik 151 Bei Wienold werden alle unter I.2-4 genannten Fälle als Beispiele für Differentialgenus angesehen (vgl. Wienold 1967: 147ff.). Es kann aber unseres Erachtens nur bei den unter Punkt I.4 aufgeführten davon ausgegangen werden, dass das Genus tatsächlich Bedeutung trägt, d.h. dass die Zuweisung der semantischen Merkmale [+männlich] und [+weiblich] unmittelbar auf die oppositive Genusselektion zurückzuführen ist. Spricht man auch mit Bezug auf I.2 und I.3 in diesem Sinne von Differentialgenus, so gerät man in folgendes Dilemma: Im Deutschen werden - wie oben festgestellt - nur im Singular drei Genera unterschieden, während die Genusopposition im Plural insofern aufgehoben ist, als die Klassenzugehörigkeit der Nomina hier nicht an den kongruierenden Elementen markiert wird. Hieraus folgt, dass semantische Unterscheidungen, die allein auf unterschiedliche Genusselektion zurückzuführen sind, im Plural ebenfalls neutralisiert sein müssen: Mit der Nicht- Markierung des Genusunterschiedes an den kongruierenden Elementen geht notwendigerweise die Aufhebung semantischer Unterschiede einher, die über die Genusdifferenzierung markiert werden. Bei deadjektivischen und departizipialen Substantivierungen vom Typ der/ die Erziehungsberechtigte, der/ die Abgeordnete ist dies der Fall; diese Personenbezeichnungen unterscheiden sich im Singular allein hinsichtlich des Genus, und im Plural sind sie genus- und geschlechtsneutral. Will man hier das Geschlechtsmerkmal herausstellen, so muss man auf eine der unter II genannten Möglichkeiten zurückgreifen (z.B. die männlichen/ weiblichen Abgeordneten). Bei Motionsbildungen kann die Sexusunterscheidung aber ohne weiteres auch im Plural zum Ausdruck gebracht werden. Man wird daher die semantische Unterscheidung nicht allein und auch nicht in erster Linie auf die oppositive Genusselektion zurückführen können. Sieht man Fälle wie der Lehrer/ die Lehrerin, der Souffleur/ die Souffleuse etc. als Beispiele für Differentialgenus an, wie will man dann die Aufrechterhaltung der Sexusmarkierung im Plural (die Lehrer/ die Lehrerinnen, die Souffleure/ die Souffleusen etc.) erklären? Konsequenterweise müsste man annehmen, dass die semantische Unterscheidung ebenso wie im Singular auf die oppositive Genusmarkierung zurückzuführen ist, obwohl es im Plural keine Genusdifferenzierung gibt. Bei Bildungen vom Typ I.2 und I.3 muss also davon ausgegangen werden, dass nicht das Genus für die Kennzeichnung des Geschlechts verantwortlich the teacher, she - vgl. Abschnitt 2.6.) und generisch verwendbaren Maskulina abgegrenzt werden. Dies wird hier betont, da der Gebrauch von Epikoinon insgesamt uneinheitlich ausfällt, vor allem in Arbeiten zum Französischen wird nom épicène oftmals in einem weiteren (oder anderen) Sinn benutzt (vgl. u.a. Bierbach/ Ellrich 1990: 252, Muller 1994: 105, Tatilon 1996: 141); zu unterschiedlichen Lesarten bzw. Verwendungen des Terminus vgl. auch Schafroth (2003: 106f.) (Fr.) sowie Nissen (2002: 257) (Sp.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 151 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 152 Genus im Sprachvergleich ist, sondern bestimmte (genusdeterminierende) Derivationssuffixe, wobei diese bei I.2 unmittelbar an den Wortstamm treten, so dass sich die maskuline und die feminine Bezeichnung in ihrer morphologischen Komplexität nicht unterscheiden, während bei I.3 die maskuline Bezeichnung als Basis für das Femininum dient, welches durch zusätzliche Suffigierung gebildet wird, so dass die feminine Bezeichnung morphologisch komplexer ist als die maskuline. Bei Typ I.2 liegen also symmetrische, bei I.3 asymmetrische morphologische Strukturen vor. Halten wir insgesamt fest, dass nur bei Beispielen vom Typ I.4 tatsächlich von einem semantischen Wert des Genus, von einer Genus-Semantik im strengen Sinne gesprochen werden kann; bei allen anderen unter I genannten Fällen kommt das Genus lediglich redundant hinzu. Die Sexuskennzeichnung ist in diesen Fällen entweder lexikalisiert (I.1), oder sie wird durch verschiedene Wortbildungsmorpheme ausgedrückt (I.2 u. I.3). Zur Unterscheidung der verschiedenen Möglichkeiten bzw. Grade der semantischen Nutzung der Genusopposition eignet sich die von Wienold gezogene Trennlinie zwischen oppositiver Genusselektion an unterschiedlichen Lexemen (bzw. Semantemen in Wienolds Terminologie) und Differentialgenus (= oppositive Genusselektion am gleichen Lexem bzw. Semantem) folglich nicht. Im Hinblick auf den semantischen Wert des Genus ist vielmehr die redundante Markierung eines gegebenen semantischen Unterschiedes von Fällen abzugrenzen, in denen eine semantische Opposition durch die Genusopposition bedingt ist; für den zweiten Fall schlagen wir den Terminus ‚Differentialgenus im engeren Sinne‘ vor. Zusammenfassend lassen sich die verschiedenen Grade der semantischen Nutzung der Genusopposition unter Berücksichtigung formaler Unterschiede wie folgt darstellen: Semantische Nutzung der Genusopposition zur redundanten Markierung einer semantischen Opposition, die Etablierung einer semantischen Opposition; die semantische Opposition ist durch die Genusopposition bedingt. lexeminhärent markiert ist. derivationell markiert ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 152 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Formale Durchsichtigkeit und semantische Nutzung 153 Diese Einschränkungen bezüglich des Differentialgenus ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass bei allen geschilderten Beispielen insofern ein Zusammenhang zwischen Genus und Semantik besteht, als die Kennzeichnung der semantischen Oppositionen unter Nutzung der oppositiven Genusklassen erfolgt. Der Unterschied liegt aber eben darin, dass die Genusdifferenzierung einmal redundant hinzukommt, während sie im anderen Fall den semantischen Unterschied herstellt, und Ersteres gilt nicht nur dann, wenn sich unterschiedliche Lexeme gegenüberstehen, sondern auch bei Motionsbildungen: auch hier kann nicht davon die Rede sein, dass das Genus ‚Semantizität erzeugt‘. 2.4. Zum Zusammenspiel von formaler Durchsichtigkeit und semantischer Nutzung der Genusklassifikation Ein Vergleich des Deutschen, Französischen und Spanischen im Hinblick auf das Verhältnis von Genus und Semantik zeigt, dass der semantische Wert der Genusopposition im Spanischen höher einzustufen ist als in den beiden anderen Sprachen. Fälle von Differentialgenus im engeren Sinne sind hier nämlich weitaus häufiger anzutreffen, was offensichtlich mit der hohen formalen Durchsichtigkeit des spanischen Genussystems zusammenhängt. Dort, wo im Französischen und Deutschen auf unterschiedliche Lexeme oder Wortbildungsverfahren zurückgegriffen wird, um bestimmte Oppositionen herzustellen, können diese im Spanischen oftmals allein durch einen Genuswechsel zum Ausdruck gebracht werden, der in den meisten Fällen durch Alternanz der als Genusflexe aufzufassenden Endungen -o/ -a am Substantiv markiert wird. 183 Sehr deutlich zeigt sich dies zunächst im Bereich der Personenbezeichnungen. Die spanische Sprache hebt sich z.B. bei den Verwandtschaftsbezeichnungen stark von der deutschen und französischen ab. Während die 183 Dass Substantive auf -o/ -a sowohl in der Anzahl als auch hinsichtlich der Frequenz innerhalb der Gruppe der Nomina mit Differentialgenus im engeren Sinne überwiegen, kann aus den oben bereits erwähnten Auswertungen des Frequency Dictionary of Spanish Words von Echaide (1969) herausgelesen werden: Unter den 2531 Nomina des FDSW sind insgesamt 317 Fälle von Differentialgenus im engeren Sinne zu finden (also immerhin 12,5%); bei mehr als der Hälfte, nämlich 176 Nomina dieser Gruppe (= 55,5%) wird der Genuswechsel durch -o/ -a im Wortauslaut gekennzeichnet; die übrigen Nomina entfallen auf solche, die allein über die kongruierenden Elemente differenziert sind (insgesamt 74, d.h. 23,3%), auf Nomina, bei denen der Wechsel durch -ø/ -a markiert wird (insgesamt 59, also 18,6%), und auf solche, die durch -e/ -a gekennzeichnet sind (insgesamt 8, also 2,5%). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 153 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 154 Genus im Sprachvergleich Kennzeichnung des Geschlechts in den letztgenannten Sprachen in diesem Teilbereich überwiegend lexeminhärent erfolgt, gibt es im Spanischen, wie oben bereits angedeutet wurde, nur sehr wenige Beispiele dieses Typs; bei einem Großteil der Bezeichnungen handelt es sich vielmehr um Fälle von Differentialgenus im engeren Sinne; vgl. hierzu die unter (130) angegebenen spanischen Verwandtschaftsbezeichnungen mit den unter (131) und (132) aufgeführten französischen resp. deutschen Entsprechungen: (130) Sp. (a) (la) hermana - (el) hermano (b) (la) tía - (el) tío (c) (la) abuela - (el) abuelo (d) (la) sobrina - (el) sobrino (e) (la) cuñada - (el) cuñado (f) (la) prima - (el) primo (131) Fr. (a) (la) sœur - (le) frère (b) (l’ )oncle (M) - (la) tante (c) (la) grand-mère - (le) grand-père (d) (la) nièce - (le) neveu (e) (la) belle-sœur - (le) beau-frère (f) (la) cousine / kuzin/ - (le) cousin / kuzE)/ (132) Dt. (a) (die) Schwester - (der) Bruder (b) (die) Tante - (der) Onkel (c) (die) Großmutter - (der) Großvater (d) (die) Nichte - (der) Neffe (e) (die) Schwägerin - (der) Schwager (f) (die) Cousine (bzw. Kusine) - (der) Vetter/ Cousin Im Spanischen wird die Sexusspezifikation in den genannten Beispielen ausnahmslos durch bloßen Genuswechsel zum Ausdruck gebracht, der via Suffixwechsel -o/ -a auch am Nomen overt gekennzeichnet ist. Im Französischen findet sich hingegen - unter (131) (f) - nur ein einziges Beispiel für Differentialgenus im engeren Sinne, in allen anderen Fällen stehen sich unterschiedliche Lexeme gegenüber. 184 Ähnlich verhält es sich im Deutschen: Auch hier wird in nur einem Fall - in (132) (e), wo auf das Motionssuffix -in zurückgegriffen wird - von der lexeminhärenten Geschlechtsspezifikation abgewichen; 184 Bei nièce - neveu handelt es sich unseres Erachtens um einen Grenzfall: Hier liegt sicherlich kein prototypisches Beispiel für lexeminhärente Geschlechtsspezikation vor, andererseits gehen wir - anders als Grevisse ( 13 1993: 770) - nicht davon aus, dass dieses Beispiel (synchron) ohne weiteres in die Rubrik ‚Suffixwechsel‘ einzuordnen ist (welches Suffix bzw. welche Suffixe wären hier anzusetzen und welche lexikalische Basis? ) . TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 154 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Formale Durchsichtigkeit und semantische Nutzung 155 Beispiele für Differentialgenus im engeren Sinne sind hier überhaupt nicht zu verzeichnen. 185 Der marginale Stellenwert, den die lexeminhärente Unterscheidung im Spanischen einnimmt, wird in verschiedenen Publikationen zum Thema dann auch immer wieder herausgestellt; so heißt es etwa bei González Calvo (1979: 73): „Las oposiciones léxicas del tipo «padre/ madre» constituyen una lista muy limitada y cerrada: no tienen operatividad en nuestra lengua“. Hinzu kommt, dass selbst dort, wo unterschiedliche Lexeme existieren, die Tendenz besteht, diese durch das Verfahren des Genuswechsels zu ersetzen: so wird beispielsweise die Opposition el yerno vs. la nuera in einigen Regionen durch el nuero vs. la nuera, in andern durch el yerno vs. la yerna ersetzt (vgl. Echaide 1969: 109f., Rainer 1993: 210). Bei anderen Personenbezeichnungen - z.B. bei den Berufsbezeichnungen - ist es ebenfalls in erster Linie die oppositive Genusselektion, die im Spanischen zum Ausdruck der Sexusdifferenzierung dient. Im Gegensatz dazu steht im Deutschen vor allem das Suffix -in zur Bildung weiblicher Personenbezeichnungen zur Verfügung. Fälle, in denen die semantische Opposition allein durch die Genusopposition ausgedrückt werden kann, haben eher Ausnahmestatus: Bei den oben angegebenen Beispielen des Deutschen (substantivierte Adjektive und Partizipien) handelt es sich nicht um prototypische Substantive; gerade die Genusvariabilität, die sie ihrem Ursprung, d.h. der zugrunde liegenden Wortart verdanken, kennzeichnet diese Nomina als Sonderfälle. 186 Ein Blick in die französische Sprache zeigt, dass kein einheitliches Verfahren zur Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts existiert. Man findet aufgrund der relativ hohen Frequenz der ‚Femininbildung durch e caduc‘, die graphisch als -e (gegenüber Maskulinum -Ø) in Erscheinung tritt, im phonischen Code aber nur z.T. greifbar ist, zwar überwiegend Fälle von Differentialgenus im engeren Sinne, doch wird der semantische Unterschied bei bestimmten Gruppen von Nomina auch durch unterschiedliche Suffixe ausgedrückt, und in Fällen, in denen sich die Bildung von Feminina als problematisch erweist, 185 Natürlich können auch die aus dem Französischen entlehnten Bezeichnungen Cousine (bzw. Kusine) - Cousin im Deutschen nicht als Fälle von Differentialgenus im engeren Sinne gewertet werden. 186 Spencer (2002), der sich vorwiegend auf das Russische beruft, das in dieser Hinsicht analog strukturiert ist, unterstreicht, dass es sich hier um Substantive handelt, die aufgrund semantischer und syntaktischer Eigenschaften als Nomen, aufgrund morphologischer Eigenschaften als Adjektive zu klassifizieren wären; er nimmt dies zum Anlass, die traditionelle Unterscheidung lexikalischer Kategorien - Nomen, Adjektiv und Verb - in ihrer Rigidität in Frage zu stellen, und fordert, die Existenz gemischter Kategorien („mixed lexical categories“) anzuerkennen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 155 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 156 Genus im Sprachvergleich kann auf die attributive Kennzeichnung zurückgegriffen werden (vgl. Bildungen vom Typ un professeur femme, une femme médecin u.a.). Zu beachten ist aber, dass die Bildung und Verwendung femininer Bezeichnungen selbst dort, wo unter sprachsystematischem Gesichtspunkt eigentlich nichts im Wege steht, nicht fest etabliert ist. 187 Die regelmäßige Kennzeichnung der Sexusdifferenzierung durch die Genusopposition im Spanischen kann auch als Grund für die stärkere Assoziation von Genus und Sexus betrachtet werden, die sich z.B. in Unterschieden bezüglich der Möglichkeit (bzw. der Üblichkeit), maskuline Personenbezeichnungen zur Referenz auf weibliche Personen zu verwenden, manifestiert. Ein Vergleich der drei Sprachen zeigt, dass maskuline Bezeichnungen im Spanischen in dieser Hinsicht offenbar größeren Beschränkungen unterliegen als im Deutschen und vor allem im Französischen. 188 Wie Schafroth (2003, 2004) konstatiert, ist die Tendenz zur Verwendung femininer Personenbezeichnungen im Französischen gerade dann eher gering, wenn sich die Identifizierung des weiblichen Referenten als unproblematisch erweist, etwa durch „Erstnennung des Subjekts sowie [durch] das Vorhandensein anaphorischer und kataphorischer Elemente“ (Schafroth 2004: 342). Ist die Geschlechtsspezifikation in eben diesem Sinne „aus kommunikativer Sicht entbehrlich“ (ebd.), wird z.B. in französischen Pressetexten häufig auf die Feminisierung von Berufs- und Amtsbezeichnungen verzichtet; vgl.: (133) (a) Ceylan, 1962. Madame Bandanaraike est premier ministre. (b) Mme Edith Cresson […]. L’ancien premier ministre explique qu’elle préfère se consacrer, désormais, à ses mandats de maire de Châtellerault et de conseiller général de la Vienne. 189 Im Spanischen sind vergleichbare Fälle vielleicht denkbar, sie kommen aber wesentlich seltener vor. Ist das Geschlecht der Bezeichneten bekannterweise weiblich, so wird im Normalfall eine feminine Personenbezeichnung benutzt 187 Vgl. zu den genannten Aspekten z.B. Hartmann-Brockhaus (1986: 258f.), Muller (1994), Burr (1999: insb. 4f.) und vor allem Schafroth (2001), der auch auf Unterschiede in verschiedenen französischsprachigen Ländern eingeht und darüber hinaus aufzeigt, „daß in früheren Jahrhunderten […] die Regelmechanismen des französischen Sprachsystems zur Bildung femininer nomina agentis durchaus angewandt wurden“ (ebd. 130). 188 Die Möglichkeit der generischen Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen ist hiervon allerdings nicht betroffen, sie unterliegt im Spanischen im Vergleich zu den beiden anderen Sprachen keinen besonderen Beschränkungen; selbst dort, wo sich unterschiedliche Lexeme gegenüberstehen, können die Maskulina im Plural generisch verwendet werden (vgl. etwa los padres). Auf diesen Aspekt wird im dritten Teil der Arbeit näher einzugehen sein. 189 Beispiele aus Le Monde (vom 29.12.1995 resp. 16.10.1992) zit. nach ebd.: 341f. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 156 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr Formale Durchsichtigkeit und semantische Nutzung 157 (vgl. García Meseguer 1994: 156). Des Weiteren ist die Möglichkeit der Verwendung einer maskulinen Bezeichnung - wie García Meseguer (ebd. 149) bemerkt - in der ersten und zweiten Person im Spanischen überhaupt nicht gegeben. Eine Frau wird also mit Sanktionen zu rechnen haben, wenn sie von sich selbst sagt soy profesor/ ministro/ médico etc. Das Deutsche scheint in diesem Punkt eine Mittelstellung einzunehmen: Zwar ist die Verwendung maskuliner Formen in Kontexten, in denen - wie in (133) - mittels (sexusspezifischer) Eigennamen oder Proformen explizit auf eine weibliche Person referiert wird, weniger üblich als im Französischen, keineswegs aber inexistent; so trifft man auch in der deutschen Presse durchaus auf vergleichbare Beispiele (vgl. Gorny 1995: 523ff.); auch Äußerungen wie Ich bin Lehrer/ Arzt etc. sind, wenn sie von einer Frau geäußert werden, im Deutschen vielleicht auffällig, werden aber (bislang) nicht als ungrammatisch beurteilt. Aufgrund ihrer ungeheuren Produktivität nimmt die Sexuskennzeichnung durch Genusdifferenzierung sicherlich einen zentralen Stellenwert im Spanischen ein. Gerade in den letzten Jahrzehnten haben zahlreiche feminine Personenbezeichnungen Eingang in den Kernwortschatz der spanischen Sprache gefunden. Bereits Mitte der 1980er Jahre konstatierte Morera (1985: 113): […] es en este apartado [de sustantivos que designan seres animados] donde resulta más productiva para el hablante la oposición masculino/ feminino […] siempre será posible la creación de formas inexistentes en una norma determinada. Es lo que ha ocurrido con sustantivos como arquitecta, presidenta, magistrada, etc., que, aunque no existían en etapas anteriores del idioma, hoy son enteramente normales en la lengua española. (Morera 1985: 113) Neben dem etablierten Verfahren der Bildung weiblicher Berufsbezeichnungen sind auch ungewöhnliche Fälle der ad hoc-Verwendung des Differentialgenus in diesem Bereich möglich; so kann der Genuswechsel ebenso bei Ausdrücken, die eigentlich als Epikoina anzusehen sind, zur Kennzeichnung des Geschlechts verwendet werden. Beispiele wie die unter (134) angegebenen sind z.B. in literarischen Texten zu finden (vgl. Echaide 1969: 112ff., Arias Barredo 1990: 108, 117, Ambadiang 1999: 4869 und insb. González Ollé 1981). (134) (a) culebro ( < culebra ‚Schlange‘) (b) atuna ( < atún ‚Thunfisch‘) (c) merluzo ( < merluza ‚Hecht‘) (d) rano ( < rana ‚Kröte‘) Ihre Übersetzung wäre unter Berücksichtigung der skizzierten interlingualen Differenzen zumindest in den Fällen, in denen das Genus des zugrunde lie- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 157 16.12.2008 13: 08: 35 Uhr 158 Genus im Sprachvergleich genden spanischen Ausdrucks mit dem des Deutschen übereinstimmt, mit Hilfe von Suffixen möglich, etwa der Schlangerich für culebro, die Thunfischin für atuna. Doch nicht allein zur Geschlechtsspezifikation wird die Oppositivität der Genusklassen im Spanischen genutzt. Die im letzten Abschnitt angeführten Beispiele belegen, dass auch andere semantische Unterscheidungen allein durch einen Genuswechsel ausgedrückt werden, wobei wiederum vor allem die Genusflexe -o/ -a zum Tragen kommen. Im Unterschied dazu lässt sich im Deutschen außerhalb des Bereichs der Personen- und Tierbezeichnungen keine Gruppe von Nomina ausmachen, bei der die Genusdifferenzierung zur Herstellung einer semantischen Unterscheidung verwendet wird, und im Französischen trifft man lediglich sehr vereinzelt auf entsprechende Oppositionen; dort, wo im Bereich des Kernwortschatzes überhaupt analoge Fälle zu verzeichnen sind, treten oftmals andere Ausdrucksmöglichkeiten in Konkurrenz: So wird z.B. die Opposition le/ la trompette zunehmend durch le trompettiste vs. la trompette ersetzt, die semantische Unterscheidung wird also wiederum in erster Linie durch ein Suffix ausgedrückt, das im Französischen sehr häufig zur Bildung (maskuliner) Nomina Agentis verwendet wird. 190 Ebenso wie im Falle der Personenbezeichnungen treten in den Teilbereichen, in denen im Spanischen von der Genusdistinktion Gebrauch gemacht wird, im Französischen und Deutschen in der Regel bestimmte Wortbildungsverfahren zur Kennzeichnung entsprechender Oppositionen ein. Ein einheitliches Bildungsmuster liegt etwa bei der Unterscheidung von Frucht- und Baumbezeichnung vor: In der französischen Sprache wird sie durch Basislexem (= Fruchtbezeichnung) und Basislexem + Suffix -ier (= Baumbezeichnung) zum Ausdruck gebracht, im Deutschen wird in der Regel auf die Komposition zurückgegriffen, vgl.: (135) Fr. (a) la pomme vs. le pommier (b) la poire vs. le poirier (c) la prune vs. le prunier (d) la cerise vs. le cerisier 190 Man beachte aber, dass Ausdrücke unterschiedlicher Provenienz, die in verschiedenen Wortfeldern als Eigennamen bzw. Produktbezeichnungen fungieren, auch im Französischen und Deutschen durch differentielle Genusmarkierung disambiguiert sein können (vgl. etwa dt. der BMW (Auto) vs. die BMW (Motorrad), fr. le champagne (Getränk) vs. la champagne (Region)). Obgleich hier nicht von Differentialgenus gesprochen werden kann, schon weil die in Frage kommenden Elemente häufig nicht Bestandteil des (nominalen) Lexikons sind, haben wir es durchaus mit einem weiteren Nutzwert des Genus zu tun (zur Diskussion derartiger Beispiele, auch im Hinblick auf die Prinzipien, die die Genuszuweisung im Einzelnen steuern, vgl. Köpcke/ Zubin 2005). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 158 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Formale Durchsichtigkeit und semantische Nutzung 159 (136) Dt. (a) der Apfel vs. der Apfelbaum (b) die Birne vs. der Birnbaum (c) die Pflaume vs. der Pflaumenbaum (d) die Kirsche vs. der Kirschbaum 191 In einigen Fällen kann ein solches Muster aber auch gänzlich fehlen, so z.B. bei der Augmentation und Diminution durch Differentialgenus; hier ist der entsprechende semantische Unterschied im Deutschen, aber auch im Französischen von Fall zu Fall und mit unterschiedlichen Mitteln (zumeist durch Syntagmen) wiederzugeben. Während alle bislang genannten Gebrauchsweisen der Genusopposition im Spanischen unter Rückgriff auf verschiedene Verfahren relativ problemlos in die deutsche und französische Sprache transponiert werden können, gibt es eine, deren Übertragung mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist: Es handelt sich um eine spezielle Art der ad hoc-Verwendung der Genusopposition zur expressiven Verneinung; 192 prominente Beispiele finden sich etwa in Cervantes’ „Don Quijote“; vgl.: […] Id a gobernar vuestra casa y a labrar vuestros pegujares, y dejaos de pretender ínsulas ni ínsulos. (DQ II, Kap. 2/ Hervorheb. von mir) […] De los Leones [Caballero de los Leones] ha de decir vuestra alteza - dijo Sancho - que ya no hay Triste Figura ni figuro. (DQ II, Kap. 30/ Hervorheb. von mir) Hier wird die Genusopposition rein pragmatisch genutzt. Eine Nachahmung dieser Konstruktionen im Deutschen, aber auch Französischen ist aufgrund der mangelnden Durchsichtigkeit der Genussysteme nicht möglich. Die Übersetzung erweist sich zudem als besonders schwierig, da dem Genuswechsel keine semantische Opposition zugrunde liegt und da der jeweils zweite Ausdruck, der ja nicht zum Wortschatz der spanischen Sprache gehört, im Grunde bedeutungsleer ist. 193 191 Allerdings werden die kürzeren Fruchtbezeichnungen häufig auch an Stelle der Komposita zur Baumbezeichnung benutzt, z.B. die Kirsche statt der Kirschbaum, die Kastanie statt der Kastanienbaum, nicht aber der Apfel, die Birne anstelle von der Apfelbaum, der Birnbaum. 192 Vgl. hierzu vor allem González Ollé (1981: insb. 228ff.). 193 In einigen Fällen lassen sich dennoch adäquate Übersetzungsmöglichkeiten finden: Das zweite Beispiel ist in der deutschen Übersetzung von Braunfels mit „[…] es gibt keine traurige Gestalt noch Ungestalt“ unseres Erachtens gelungen wiedergegeben. (Im ersten Fall ist (bezeichnenderweise) auf das Motionssuffix -in zurückgegriffen worden - „[…] und laß die Hand von Insuln und Insulinnen“ - und das, obwohl das Ausgangswort ebenfalls ein Femininum ist). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 159 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 160 Genus im Sprachvergleich Abschließend kann festgehalten werden, dass die semantische Nutzung der Genusopposition im Spanischen einen anderen Stellenwert hat als im Französischen und Deutschen. Allein im Spanischen wird die Oppositivität der Genusklassen in verschiedenen Teilbereichen des nominalen Lexikons regelhaft zur Herstellung semantischer Differenzierungen herangezogen. Diese semantische Nutzung muss im Zusammenhang mit der hohen formalen Durchsichtigkeit des spanischen Genussystems gesehen werden: Die Regularitäten zwischen Auslaut und Genus begünstigen die Kennzeichnung semantischer Oppositionen durch Genusdifferenzierung. Im Deutschen und Französischen, wo nur sehr eingeschränkt von formaler Durchsichtigkeit des Genus gesprochen werden kann, da offensichtliche formale Regularitäten weitgehend fehlen, kann nicht in der gleichen Weise auf die Genusdistinktion zurückgegriffen werden; analoge Differenzierungen werden hier primär mit Hilfe anderer Mittel zum Ausdruck gebracht, die oppositive Genusselektion kann jedoch redundant hinzutreten. Zu beachten ist, dass die redundante Kennzeichnung semantischer Unterschiede durch oppositive Genusselektion (auch) im Deutschen keineswegs auf den Bereich der Personenbezeichnungen beschränkt ist. Nach den Ergebnissen neuerer Arbeiten muss vielmehr angenommen werden, dass diese Art der Nutzung des Genussystems in allen drei Sprachen zum Tragen kommt. 194 Die Unterschiede in den Genussystemen des Spanischen, Französischen und Deutschen, die wir im Rahmen dieses zweiten Teils herausgearbeitet haben, können nun auch als Unterschiede hinsichtlich der Grammatikalisierung (oder Grammatikalisiertheit) der Genuskategorie aufgefasst werden. Wir wollen dies im folgenden Abschnitt, der zugleich als eine Art Zusammenfassung unseres bisherigen Vergleichs gelesen werden kann, skizzieren, bevor wir - abschließend - auf die Frage eingehen, ob und inwiefern das Englische zu den Genussprachen zu rechnen ist. 194 Bislang ist dieser Aspekt noch recht wenig erforscht; interessante Untersuchungen liegen vor allem zum Spanischen und zum Deutschen vor; vgl. z.B. Wandersleben (1978, 1983) (Sp.), Köpcke/ Zubin (1984: 32ff.), Zubin/ Köpcke (1986) (Dt.) sowie die in Abschnitt 1.4.1. skizzierten Arbeiten von Leiss (2000, 2005) u.a. zum Zusammenhang von Genus und Quantifikation. Letztere zeigen im Übrigen auch, dass sich die Markierung der genannten Perspektivierungsfunktion vom Altzum Neuhochdeutschen verschoben hat - von der Kennzeichnung über Differentialgenus im engeren Sinne hin zur Kennzeichnung über Wortbildung und (lediglich) redundanter Markierung durch oppositive Genusselektion. (Ob die noch im Althochdeutschen greifbare semantische Leistung des Genus tatsächlich mehr ist als eine sekundäre Nutzung im oben skizzierten Sinne, ob sie, wie Leiss annimmt, als ursprüngliche Funktion der Genuskategorie im Indogermanischen angesehen werden kann, ist unseres Erachtens jedoch fragwürdig.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 160 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Grammatikalisierung 161 2.5. Interlinguale Differenzen hinsichtlich der Grammatikalisierung der Genuskategorie Wie in Kapitel 1.1. bei der Darstellung und dem Vergleich unterschiedlicher nominaler Klassifikationssysteme bereits angeklungen ist, gehen wir davon aus, dass die Zugehörigkeit sprachlicher Elemente zum Bereich des Lexikons oder zu dem der Grammatik einer Sprache nicht einfach im Sinne eines ‚Entweder-oder‘ zu bestimmen, sondern eine Frage des Grades ist. Dies setzt natürlich voraus, dass auch die traditionelle Unterscheidung von Lexikon und Grammatik, der zufolge es sich um diskrete, eindeutig voneinander abgrenzbare Bereiche handelt, zugunsten einer graduellen oder skalaren Differenzierung aufgehoben bzw. modifiziert wird: Nur wenn Lexikon und Grammatik als Pole eines Kontinuums konzipiert werden, macht es Sinn, von Grammatikalisierung als (historischem) Prozess zu sprechen, „which may not only change a lexical into a grammatical item, but may also shift an item ‚from a less grammatical to a more grammatical status‘“ (Lehmann 1995: 11). 195 Ferner eröffnet eine solche Konzeption die Möglichkeit, den Begriff der Grammatikalisierung (auch) für synchrone und sprachvergleichende Analysen nutzbar zu machen; so können einzelne Glieder eines Paradigmas oder auch ganze Paradigmen hinsichtlich ihres Grammatikalisierungsgrades verglichen werden - nicht nur innerhalb einer Sprache, sondern auch sprachübergreifend, 196 unterschiedliche Verwendungsweisen einer sprachlichen Einheit können als Unterschiede hinsichtlich des Grammatikalisierungsgrades aufgefasst und entsprechend beschrieben werden (vgl. Diewald 1997: 21). 195 Lehmann beruft sich hier ausdrücklich auf Kurylowiczs Bestimmung von Grammatikalisierung. (Ungekürzt lautet sie: „Grammaticalization consists in the increase of the range of a morpheme advancing from a lexical to a grammatical or from a less grammatical to a more grammatical status“ (Kurylowicz 1965 zit. nach Kurylowicz 2 1975: 52). Diese Definition ist weiter als die Meillets, der den Terminus ‚Grammatikalisierung‘ bzw. grammaticalisation im Jahre 1912 als erster verwendet, und zwar (lediglich) im Sinne von „passage d’un mot autonome au rôle d’élément grammatical“ bzw. „l’attribution du caractère grammatical à un mot jadis autonome“ (zit. nach Meillet 2 1982: 131). 196 In diesem Sinne stellt Lehmann (1995: 121) fest: „grammaticalization asserts itself not only on the diachronic axis […] different structural means synchronically present in a language may be arranged on a grammaticalization scale“; an anderer Stelle bemerkt er: „Items and paradigms may be compared as to their grammaticality values […] we may compare grammatical paradigms within a language which are functionally similar […] Finally, functionally similar paradigms may be compared as to their degree of grammaticality at the crosslinguistic level.“ (Ebd.: 168f.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 161 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 162 Genus im Sprachvergleich Will man nun aber zu einer Aussage über den Grammatikalisierungsgrad eines sprachlichen Zeichens im Vergleich zu anderen gelangen oder - wie in unserem Fall - verschiedene Sprachen hinsichtlich des Grammatikalisierungsgrades einer bestimmten (grammatischen) Kategorie vergleichen, so gilt es, bestimmte Kriterien zu finden, auf deren Grundlage ein solcher Vergleich erfolgen kann. Wir wollen im Folgenden die von Lehmann aufgestellten Grammatikalisierungsparameter zugrunde legen (vgl. u.a. Lehmann 1995: 121ff.). 197 Übergeordnetes Kriterium zur Bestimmung der Grammatikalisierungsstufe eines sprachlichen Zeichens ist - nach Lehmann - die Autonomie des Zeichens, die umso geringer ist, je stärker das Zeichen grammatikalisiert ist: […] the autonomy of a sign is converse to its grammaticality, and grammaticalization detracts from its autonomy. Consequently, if we want to measure the degree to which a sign is grammaticalized, we will determine its degree of autonomy. (Ebd.: 122) Zur näheren Bestimmung des Autonomie- und damit des Grammatikalisierungsgrades schlägt Lehmann drei Kriterien vor - Gewicht („weight“), Kohäsion („cohesion“) und Variabilität („variability“) -, die wiederum unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden, nämlich in syntagmatischer und in paradigmatischer Hinsicht. Es ergeben sich somit insgesamt sechs Parameter, die wir hier der Reihe nach vorstellen und auf die Genussysteme unserer Sprachen beziehen wollen, um zu prüfen, ob und inwieweit sie im Einzelnen divergieren: 198 1) Integrität („integrity“ = Gewicht in paradigmatischer Hinsicht) bezieht sich auf die phonologische und semantische Größe des Zeichens; sie ist umso geringer, je stärker das Zeichen grammatikalisiert ist. 197 Die im ersten Teil zur Charakterisierung und Abgrenzung unterschiedlicher (prototypischer) Klassifikationssysteme vorgeschlagenen Kriterien, die auch zu Aussagen über den Grammatikalisierungsgrad der genannten Systemtypen führten, können an dieser Stelle, an der es um den Vergleich eng verwandter einzelsprachlicher Systeme desselben Typs, also um die Betrachtung eines kleinen Ausschnitts des in 1.1. skizzierten Kontinuums zwischen stärker lexikalischen und stärker grammatischen Systemen geht, nicht herangezogen werden, da sie zu grob sind. 198 Für detailliertere Angaben zu den Parametern und Erläuterungen anhand verschiedener Beispiele sei auf die bereits angegebene Arbeit von Lehmann (1995) sowie auf Diewald (1997) verwiesen, die die Parameter u.a. nutzt, um unterschiedliche Gebrauchsweisen deutscher Modalverben gegenüberzustellen und auf die Inhomogenität der Gruppe der Präpositionen aufmerksam zu machen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 162 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Grammatikalisierung 163 Wie wir in Abschnitt 2.1.3. feststellen konnten, werden die Genusklassen im Spanischen nahezu durchgängig durch ein eigenes Element an den kongruierenden Elementen markiert (typischerweise durch -o (M) vs. -a (F); targetspezifisch wird das Maskulinum durch -e gekennzeichnet, eher marginal tritt es als unmarkierte Form bzw. mit der Markierung -ø auf); im Französischen wird - sofern überhaupt eine Genusdifferenzierung vorliegt - in der Regel nur das Femininum positiv markiert (graphisch durch -e, phonisch durch -K), während sich das Maskulinum durch das Fehlen einer Markierung auszeichnet; die explizite Kennzeichnung beider Glieder - etwa in Form konsonantischer oder vokalischer Auslautvariation begegnet vergleichsweise selten. Wiederum anders verhält es sich im Deutschen: hier ist generell kein Element segmentierbar, das allein der Markierung der Klassenzugehörigkeit dient. Wir können folglich von einer höheren phonologischen Integrität im Falle des Spanischen gegenüber dem Französischen und schließlich dem Deutschen ausgehen. Betrachten wir die Substantive selbst, so bestätigt sich dieses Bild, wobei hier neben qualitativen vor allem quantitative Unterschiede sichtbar werden: Im Spanischen kann - wie in Abschnitt 2.2.1. gezeigt - für eine große Zahl von Substantiven ebenfalls eine Kennzeichnung der beiden Genusklassen angenommen werden, insofern die ‚kanonischen Formen‘ -o und -a bei mehr als 50% der Substantive mit großer Zuverlässigkeit auf das Genus schließen lassen; im Französischen und Deutschen werden die Genera am Substantiv hingegen nicht in dieser Weise eigens gekennzeichnet. Im Deutschen können lediglich Substantive, die - via Konversion - aus Adjektiven und Partizipien gebildet sind, als genusmarkiert betrachtet werden, im Französischen kommen neben diesen begrenzte Gruppen derivierter Nomina in Betracht (häufig, aber keineswegs in allen Fällen liegt hier Differentialgenus vor; es handelt sich zumeist um Personenbezeichnungen, bei denen die Genusmarkierung die Funktion der Sexusspezifikation übernimmt); vgl.: (137) Dt. Abgeordneter (M) vs. Abgeordnete (F) (138) Fr. étudiant / etydjA)/ (M) vs. étudiante / etydjA)t/ (F) (139) Fr. (a) banlieusard / bA)ljOza“/ (M) vs. banlieusarde / bA)ljOza“d/ (F) (b) physicien / fizisjE)/ (M) vs. physicienne / fizisjEn/ (F) (c) jardinier / Za“dinje/ (M) vs. jardinière / Za“dinjE“/ (F) (d) saladier / saladje/ (M) vs. cafetière / kafetjE“/ (F) Bei den in (137) und (138) angegebenen Beispielen handelt es sich um Konversionen, unter (139) sind derivierte Nomina angegeben, bei denen eine vom Derivationsmorphem unabhängige Genuskennzeichnung vorhanden ist. In allen Fällen ist ein Genusflex bzw. - im deutschen Beispiel - ein kumulatives Morph segmentierbar, das u.a. das Genus kennzeichnet, wobei die formale Markie- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 163 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 164 Genus im Sprachvergleich rung des Genus am Substantiv mit derjenigen übereinstimmt, die an den kongruierenden Elementen (genauer: am Adjektiv) auftritt; in diesem Sinne sind hier auch die oben skizzierten qualitativen Unterschiede zu verzeichnen. 199 Bei der vergleichenden Beurteilung des semantischen Gewichts kommen wir zu analogen Ergebnissen: Abgesehen von der wie auch immer gearteten Kennzeichnung der Klassenzugehörigkeit der Nomina, die - trotz aller Unterschiede - den gemeinsamen funktionalen Nenner der drei Systeme bildet, dient das Genus - wie in Abschnitt 2.3. und 2.4. gezeigt werden konnte - v.a. im Spanischen der Herstellung unterschiedlicher semantischer Oppositionen, in geringerem Maße trifft dies auf das Französische und nur sehr marginal auf das Deutsche zu. Dass diese Differenzen hinsichtlich des semantischen Gewichts mit den Unterschieden bezüglich des phonologischen Gewichts zusammenhängen, wurde in den vergangenen Abschnitten ebenfalls illustriert (wir sprachen dort von formaler Durchsichtigkeit und semantischer Nutzung). 2) Paradigmatizität („paradigmaticity“ = Kohäsion in paradigmatischer Hinsicht) bezieht sich auf den Grad der Eingliederung des Zeichens in ein Paradigma sowie auf die Beschaffenheit des Paradigmas selbst; der Grad der Eingliederung ist umso höher und das Paradigma ist umso kleiner, je stärker das Zeichen grammatikalisiert ist. Dieses Kriterium fördert auf den ersten Blick keine nennenswerten interlingualen Unterschiede zu Tage. Zwar ist die Klassenzahl und damit die Größe des Paradigmas im Deutschen höher als in den beiden anderen Sprachen, doch halten wir die Differenz zwischen zwei Klassen in den romanischen Sprachen und drei Klassen im Deutschen hier nicht wirklich für bedeutsam. Zudem betont Lehmann (1995: 134 u.a.) ausdrücklich, dass die Größe des Paradigmas als „superficial and not always reliable aspect of paradigmaticity“ zu werten sei. Wir stellen also zunächst einmal fest, dass es sich beim Genus in allen drei Sprachen um ein kleines und geschlossenes Paradigma handelt, in das die einzelnen Glieder fest integriert sind. Und dennoch sind wir vor allem im ersten Kapitel dieses zweiten Teils im Rahmen der Behandlung der Form von Kongruenz auf Divergenzen gestoßen, die unseres Erachtens unter dem Kriterium der Paradigmatizität zu berücksichtigen sind. Es handelt sich um Unterschiede hinsichtlich der Homogenität (bzw. Heterogenität) und der Durchgängigkeit der ausdrucksseitigen Markierung des Genusparadigmas sowie um solche, die die Identifizierbarkeit 199 Bleibt noch einmal zu betonen, dass generell nur unter Berücksichtigung der Struktur der genannten Substantive von einer Genuskennzeichnung ausgegangen werden kann, der Auslaut für sich genommen aber (i.d.R.) nicht als Träger der Genusinformation anzusehen ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 164 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Grammatikalisierung 165 und Distinktivität der einzelnen Glieder betreffen und die sich - mithin - auf die Aufrechterhaltung der Genusdifferenzierung auswirken. Diese Aspekte sind untereinander nicht immer deutlich abgrenzbar und hängen zudem von der Ausprägung anderer Merkmale ab, vor allem von denjenigen, die in diesem Abschnitt unter dem Kriterium der (phonologischen) Integrität und der Fügungsenge behandelt werden. Da nun davon auszugehen ist, dass es am rechten, d.h. am grammatischen Ende der Grammatikalisierungsskala zum Abbau von Paradigmen kommen kann, 200 sprechen Homogenität, d.h. Einheitlichkeit und Durchgängigkeit der Markierung, leichte Identifizierbarkeit der einzelnen Glieder und deren Distinktivität hier für einen geringeren Grammatikalisierungsgrad, denn diese Faktoren garantieren ja gerade die Stabilität des Paradigmas. Unter dieser Maßgabe erweist sich das Genussystem des Spanischen nun wiederum als weniger stark grammatikalisiert. Zunächst einmal zeichnet es sich durch größere (morphologische) Einheitlichkeit aus, insofern als hier generell geringere Allomorphie zu verzeichnen ist als im Falle des Französischen und Deutschen: 201 So werden die Genusmorpheme im Spanischen durch eine sehr geringe Anzahl von Allomorphen realisiert (-o, -e, -ø (M), -a (F)), deren Auftreten - zum Teil - morphologischen Bedingungen folgt; nur sehr eingeschränkt, d.h. bei ganz spezifischen Kongruenten, zeigen sich syntaktisch und/ oder phonologisch (bzw. phonotaktisch) konditionierte ‚Unregelmäßigkeiten‘, z.B. apokopierte Formen bei bestimmten Adjektiven und Determinantien (etwa bueno/ alguno buen/ algún). Im Französischen begegnet die Allomorphie in wesentlich stärkerem Ausmaß, vor allem im code phonique. Schon die Beschreibung der Genusmorphologie der Adjektive erweist sich als umfangreich: Selbst wenn man ‚nur‘ die abstrakte ‚Faustregel‘ -ø (M) vs. -K (F) dahingehend präzisiert, dass man angibt, welcher Konsonant in Erscheinung treten kann, und die marginaleren Fälle konsonantischer (Auslaut-)Variation einbezieht (etwa / f/ vs. / v/ ), alle übrigen im Genus variierenden Formen (beispielsweise beau / bo/ vs. belle / bEl/ , fou / fu/ vs. folle / fçl/ ) aber als nicht analysierbar auffasst und in den Bereich der Suppletion ‚verbannt‘, liegt die Zahl der Allomorphe weit über der, die für das Spanische insgesamt anzugeben ist. Die Berücksichtigung anderer (analy- 200 Vgl. hierzu Lehmann (1995: 136): „At the right end of a grammaticalization scale, paradigms are not formed, but reduced.“ 201 Wir beschränken uns im Folgenden in erster Linie auf die Beschreibung der analysierbaren Formen; auf die Tatsache, dass die Genuskategorie nicht immer durch Affixe, sondern - in unterschiedlichem Ausmaß - auch durch „Amalgamierungen in der gesamten Wurzel“ (Werner 1975: 46) markiert wird, soll weiter unten im Rahmen des Kriteriums ‚Gebundenheit‘ (bzw. ‚Fügungsenge‘) eingegangen werden. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 165 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 166 Genus im Sprachvergleich sierbarer) Kongruenten (z.B. verschiedener Determinantien wie Artikel und Possessiva) führt zu einer weiteren Erhöhung der Varianten. Nun beschränkt sich die Allomorphie des (gesprochenen) Französisch aber keineswegs auf die bei der Betrachtung isolierter Formen zu konstatierende Variation. Zur Heterogenität der Markierung tragen - wie in 2.1.3.2. dargelegt - außerdem die generell geltenden phonotaktischen Gesetzmäßigkeiten bei, d.h., liaison- und elisionsbedingt kommt es (im Singular) wiederum zu Unregelmäßigkeiten in der Genuskennzeichnung. Stärkere Allomorphie in puncto Genusmarkierung ist auch für das Deutsche zu konstatieren. Die Kennzeichnung der unterschiedlichen Kategorienkonstellationen (und damit auch die des Genus) variiert zunächst in Abhängigkeit vom Kongruenten: So weisen Adjektive (zum Teil) andere Deklinationsformen auf als der definite Artikel, dieser wiederum andere als der indefinite Artikel (vgl. Abschnitt 2.1.3.3.). Hinzu kommt, dass Adjektive (und andere Elemente) gemäß der syntaktischen Umgebung unterschiedlich flektieren, was in deutschen Grammatiken traditionellerweise in Form der Unterscheidung von ‚starker‘ (oder ‚pronominaler‘, auch ‚determinierender‘), ‚schwacher‘ (oder ‚nominaler‘, auch ‚attribuierender‘) und ‚gemischter‘ Deklination erfasst wird. Kommen wir zum zweiten oben genannten Punkt, zur Durchgängigkeit der Klassenmarkierung. Zunächst ist noch einmal herauszustellen, dass die Genusmarkierung in allen drei Sprachen gewissen Restriktionen unterliegt, sodass von absoluter Durchgängigkeit generell nicht die Rede sein kann, d.h.: nicht alle Mitglieder einer bestimmten prinzipiell (im Genus) kongruierenden Klasse von Elementen sind tatsächlich und unter allen Umständen hinsichtlich der Genusklassenzugehörigkeit gekennzeichnet. Ein Vergleich der drei Sprachen zeigt nun aber, dass die Restriktionen im Spanischen überschaubarer sind als im Französischen und Deutschen. Fälle der Nicht-Markierung beschränken sich hier nämlich im Wesentlichen auf bestimmte Elemente einer Klasse, so sind beispielsweise nicht alle Adjektive genusvariabel. Phonologische und/ oder syntaktische Faktoren führen aber nur sehr begrenzt zu Einschränkungen der Klassenmarkierung; so bewirken etwa die oben angegebenen Apokopierungen, die insgesamt schon als marginal zu werten sind, nur in Ausnahmefällen eine Aufhebung der Genuskennzeichnung, da die feminine Form höchst selten apokopiert wird. Eher peripher ist auch die Nivellierung der Genusdifferenzierung am definiten und indefiniten Artikel, die durch die syntaktisch und phonologisch konditionierte Formveränderung des Femininums zustande kommt (el agua (F), un alma (F)). Der Einfluss grammatischer Kategorien bzw. Kategorienkonstellationen ist ebenfalls gering. Lediglich die Person/ Numerus-Kennzeichnung trägt in größerem Umfang zur Nicht-Markierung der Klassenzugehörigkeit bei, nicht TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 166 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Grammatikalisierung 167 nur bei den Personalpronomen, sondern auch bei den sogenannten unbetonten Formen der Possessiva (hier sind lediglich die erste und zweite Person Plural im Genus differenziert). Bei den Personalpronomina wird die Genuskennzeichnung zusätzlich durch die Kategorie Kasus eingeschränkt, da die Markierung entweder allein auf das Subjektpronomen oder auf Subjekt- und direktes Objektpronomen begrenzt ist. Bei den letztgenannten Restriktionen handelt es sich allerdings nicht um Spezifika des Spanischen, vielmehr gilt, dass sie in ähnlicher Form auch im Französischen und Deutschen wirksam sind. 202 Darüber hinaus sind in diesen beiden Sprachen nun aber weitreichendere Einschränkungen zu verbuchen. Dies liegt vor allem daran, dass syntaktische und/ oder phonologische Faktoren, ggf. auch Restriktionen, die sich aus der Interaktion des Genus mit anderen grammatischen Kategorien ergeben, hier - anders als im Spanischen - nicht nur partiell, sondern generell zum Tragen kommen. Im Deutschen erweist sich - und hierauf haben wir ja bereits mehrfach hingewiesen - z.B. die Kategorie Numerus als ausschlaggebend, insofern die Genusmarkierung im Plural insgesamt aufgehoben ist. 203 Des Weiteren kann in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Nicht-Markierung des prädikativen Adjektivs sowie auf die oben angesprochenen syntaktisch bedingten Formveränderungen bei attributiven Adjektiven hingewiesen werden, die immer auch Veränderungen hinsichtlich der Eindeutigkeit der Klassenmarkierung darstellen. Für das Französische ist vor allem auf die ebenfalls bereits erwähnten phonotaktischen Gesetzmäßigkeiten aufmerksam zu machen: Liaison und Elision tragen nämlich nicht nur zur Heterogenität der Genuskennzeichnung an der lautlichen Oberfläche bei, sondern führen im Regelfall zur Nivellierung der Genusdifferenzierung. Zumindest im Falle der Adjektive erweist sich das (vermeintliche) Femininum in der Regel als vorvokalische Variante der unmarkierten (maskulinen) Form. Schon die bis hierher skizzierten Unterschiede lassen darauf schließen, dass die einzelnen Glieder des Genusparadigmas im Spanischen leichter 202 Weder im Französischen noch im Deutschen kongruieren die Personalpronomina durchgängig, noch kongruieren die der 3. Person in allen Kasus (im Deutschen wird die Genusopposition (im Singular) zwar nicht gänzlich aufgehoben, aber eingeschränkt, da Maskulinum und Neutrum auch hier - im Dativ und im Genitiv - zusammenfallen). Bei den Possessiva zeigen sich in beiden Sprachen numerusbedingte Aufhebungen (so liegt im Plural in beiden Sprachen keine Genusdifferenzierung vor), überdies ist die Genusmarkierung der Possessiva im Deutschen wiederum durch den Zusammenfall von Maskulinum und Neutrum eingeschränkt. 203 Im Französischen gilt dies zwar nicht, dennoch ist die Markierung im Plural hier weniger durchgängig als im Spanischen (vor allem bei den Determinantien ist die Aufhebung der Genusdifferenzierung - wie in 2.1.3.2. herausgestellt wurde - im Plural die Regel). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 167 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 168 Genus im Sprachvergleich identifizierbar und in höherem Maße distinkt sind als in den beiden anderen Sprachen. Geringe Variation und (vergleichsweise) ausgeprägte Durchgängigkeit der Genusmarkierung bescheren dem Spanischen ein hohes Maß an alliterativer Kongruenz und zeugen von der Stabilität des Genusparadigmas. Im Französischen sind die einzelnen Genera weniger leicht identifizierbar und in wesentlich geringerem Umfang distinktiv, da Maskulinum und Femininum gerade im phonischen Code besonders häufig koinzidieren; wir können daher von einer geringeren Stabilität des Paradigmas bzw. einem höheren Grammatikalisierungsgrad sprechen. Im Deutschen sind Identifizierbarkeit und Distinktivität nicht nur durch Allomorphie sowie durch syntaktisch bedingte oder auf den Einfluss anderer grammatischer Kategorien zurückgehende (Teil-)Nivellierungen eingeschränkt, sondern auch durch das hohe Maß an Synkretismus, welches das Deklinationssystem insgesamt kennzeichnet. Da die unterschiedlichen nominalen Kategorien (Genus, Numerus und Kasus) generell im Verbund ausgedrückt werden, zur Markierung der zahlreichen Kategorienkonstellationen aber immer nur ein sehr begrenztes Inventar von Suffixen zur Verfügung steht, kommt es zwangsläufig zum ausdrucksseitigen Zusammenfall, zu zahlreichen Homonymien. Dies führt nun nicht nur zur gänzlichen Aufhebung der Genusdifferenzierung im Plural (und damit zum partiellen Abbau des Paradigmas) sowie zu zahlreichen Konvergenzen von Maskulin- und Neutrumformen, sondern auch dazu, dass die Genusinformation prinzipiell nicht an einem einzelnen Element ablesbar ist; so kann beispielsweise von der Form des definiten Artikels d-er ausgehend nicht auf das Genus (und auch nicht auf Kasus oder Numerus) geschlossen werden, da diese Form mehrfach in Erscheinung tritt - insgesamt deckt sie vier verschiedene Kategorienkonstellationen ab: NOM.M.S, DAT.F.S, GEN.F.S und GEN.PL. Nur unter Berücksichtigung der formalen Markierung des Nomens und/ oder anderer kongruierender Elemente, ggf. auch des weiteren Kotextes ist eine Disambiguierung möglich. Die einzelnen Glieder des Genusparadigmas sind auch aus diesem Grunde schwer identifizierbar und wenig distinktiv. Insgesamt kommen wir damit zu dem Schluss, dass das Genussystem des Deutschen auch im Hinblick auf das Kriterium der Paradigmatizität als am stärksten grammatikalisiert anzusehen ist. 3) Paradigmatische Variabilität („paradigmatic variability“) bezieht sich auf den Grad der freien Verwendbarkeit eines Zeichens, einmal im Hinblick auf andere Zeichen desselben Paradigmas (Austauschbarkeit gegen andere) - Lehmann spricht von intraparadigmatischer Variabilität -, einmal im Hinblick auf seine Weglassbarkeit - Lehmann spricht hier von transparadigmatischer Variabilität. Es gilt: Je stärker ein Zeichen grammatikalisiert ist, umso geringer ist seine intra- und transparadigmatische Variabilität, TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 168 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Grammatikalisierung 169 d.h. umso weniger kann es gegen andere Zeichen desselben Paradigmas ausgetauscht oder gänzlich weggelassen werden, weggelassen in dem Sinne, dass die generische Kategorie, der das entsprechende Element angehört, unausgedrückt bleibt. Für die Ausprägung der Genuskategorie in den genannten Sprachen kommen wir unter Zugrundelegung dieses Kriteriums zu folgender Aussage: Zwar ist der Ausdruck der Genusdifferenzierung in allen drei Sprachen obligatorisch, sodass keine Unterschiede in puncto ‚transparadigmatische Variabilität‘ zu konstatieren sind, doch zeigen sich im Hinblick auf die intraparadigmatische Variabilität deutliche Differenzen, insofern als der Klassenwechsel im Spanischen in wesentlich größerem Umfang möglich (und auch üblich) ist als im Französischen und vor allem im Deutschen. (Dies führt auch zu den oben beschriebenen Unterschieden hinsichtlich des semantischen Gewichts.) Wir stellen also auch hier fest, dass die Genuskategorie im Spanischen schwächer grammatikalisiert ist als im Französischen und Deutschen. 4) Skopus („structural scope“ = Gewicht in syntagmatischer Hinsicht) bezieht sich auf die Reichweite des Zeichens, d.h. die Größe der Konstruktion, auf die es sich auswirkt bzw. die es modifiziert. Es gilt: „The structural scope of a sign decreases with increasing grammaticalization“. (Ebd. 143) Unterschiede hinsichtlich des Skopus zeigen sich unseres Erachtens insofern, als die genusmarkierenden Elemente, die - wie gezeigt - bei einer großen Zahl, wenn auch nicht bei allen Substantiven des Spanischen erscheinen, nicht nur auf den einfachen Stamm des Nomens bezogen sind, sondern - im Falle zahlreicher Suffixableitungen - auf Stamm und Suffix(e) wirken, also auf die komplexe Einheit insgesamt; vgl.: (140) (a) hermano/ a - herman-ito/ a (b) helado - helad-ero In den unter (140) aufgeführten Beispielen wird das genusindizierende Element im Zuge des Derivationsprozesses am Stamm getilgt; es erscheint dann - und dies spricht für seinen flexivischen Charakter - am Ende der Gesamtkonstruktion. Hierbei muss das Genus des Basislexems nicht mit dem der Ableitung übereinstimmen, wie die folgenden Beispiele belegen: (141) (a) ceniza - cenic-ero (b) puño - puñ-ada Außerdem ist in diesem Zusammenhang auf die Existenz derivierter Nomina mit Differentialgenus hinzuweisen, bei denen die (oppositive) Genusmarkierung (zumindest in den Standardvarietäten) nicht am Nomen selbst, sondern TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 169 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 170 Genus im Sprachvergleich allein über die kongruierenden Elemente erfolgt, so bei Ableitungen auf -ista (el/ la dentista etc.). Auch in diesem Fall erstreckt sich der Skopus der Markierung auf die lexikalische Basis und das Derivationssuffix. Für das Deutsche lassen sich keine vergleichbaren Beobachtungen machen. Es verhält sich hier vielmehr so, dass die Derivationssuffixe neben ihrer je spezifischen Funktion in aller Regel auch diejenige übernehmen, das Genus des Derivats zu determinieren; so sind beispielsweise die Diminutivsuffixe (etwa -chen) für das Genus (Neutrum) der entsprechenden Ableitung verantwortlich. Es erscheint gerechtfertigt, diese Differenz zwischen suffixgebundener und suffixunabhängiger Genusdetermination als Skopusunterschied aufzufassen. 204 Das Französische nimmt hinsichtlich dieses Kriteriums wiederum eine Mittelstellung ein. Ebenso wie im Spanischen gibt es Fälle, in denen die Genusmarkierung auf Basis und Derivationssuffix wirkt: So ist bei einigen Ableitungen - etwa bei den oben unter (139) angegebenen - ebenfalls ein ‚eigenes‘ genusindizierendes Element zu lokalisieren, und es finden sich auch ‚genusundeterminierte‘ (variable) Derivationssuffixe (z.B. -iste und -aire). Anzahl, Frequenz und Produktivität dieser Suffixe ist aber insgesamt geringer einzuschätzen als im Spanischen. 5) Gebundenheit oder Fügungsenge („bondedness“ = Kohäsion in syntagmatischer Hinsicht) bezieht sich auf den Grad der Verschmelzung des Zeichens mit anderen, benachbarten Zeichen; je stärker ein Zeichen grammatikalisiert ist, umso stärker ist es an andere Zeichen gebunden. Obgleich die Markierung der Klassenzugehörigkeit im Falle des Genus - anders als bei anderen Formen nominaler Klassifikation - generell an ein anderes lexikalisches oder grammatisches Element gekoppelt und daher in allen drei Sprachen ein vergleichsweise hoher Grad der syntagmatischen Kohäsion zu verzeichnen ist, zeigen sich auch in diesem Punkt signifikante Unterschiede zwischen dem Spanischen, Französischen und Deutschen. Divergenzen bestehen hier zunächst einmal hinsichtlich der (ausdrucksseitigen) Verschmelzung der Genusmarkierung an den kongruierenden Elementen mit der Markierung anderer grammatischer Kategorien des Substantivs. Während die Genusmarkierung im Spanischen und Französischen prinzipiell unab- 204 Hiermit ist nicht gesagt, dass das Genus im Spanischen im Falle derivierter Nomina immer unabhängig vom Derivationssuffix markiert wird; auch im Spanischen gibt es - wie in 2.2. im Rahmen der Darstellung morphologischer Kriterien für die Genuszuweisung gezeigt wurde - Derivationssuffixe, die genusdeterminierend wirken (etwa -aje und -dad). Ferner ist zu berücksichtigen, dass nicht alle deutschen Derivationssuffixe genau ein Genus determinieren; dennoch ist dies - wie z.B. die Angaben in Fleischer/ Barz ( 2 1995) belegen - der Regelfall. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 170 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Genus im Englischen 171 hängig von derjenigen anderer Kategorien erfolgt, erscheint sie im Deutschen nur im Verbund mit Kasus- und Numeruskennzeichnung. Darüber hinaus zeigen sich durchaus auch Unterschiede bezüglich der Art der Bindung der Genusmarkierung an die kongruierenden Elemente: Im Spanischen ist - wie wir wiederholt festgestellt haben - in aller Regel ein Genusmorph isolierbar; nur bei sehr wenigen targets erweist sich die Segmentierung als problematisch (beim definiten Artikel Singular und bei den Pronomina der dritten Person Singular); im Französischen - vor allem im code phonique - ist hingegen in größerem Umfang von einer amalgamierten Form auszugehen, so bei den Demonstrativapronomen, bei den Personalpronomen der dritten Person Singular und Plural, bei einer größeren Zahl von Adjektiven u.a. 6) Syntagmatische Variabilität („syntagmatic variability“) bezieht sich auf die Möglichkeit der Verschiebung des Elements innerhalb des Syntagmas, auf seine Mobilität; es gilt: je stärker ein Zeichen grammatikalisiert ist, umso geringer ist seine syntagmatische Variabilität. In keiner der untersuchten Sprachen ist die Genusmarkierung frei verschiebbar - weder am kongruierenden Element noch - falls dort überhaupt von einer eigenen Markierung gesprochen werden kann - am Substantiv selbst. Folglich ergeben sich hinsichtlich des Kriteriums der syntagmatischen Variabilität keine Unterschiede. Da es sich bei den nominalen Klassifikationssystemen des Spanischen, Französischen und Deutschen um nah verwandte Systeme desselben relativ stark grammatikalisierten Typs handelt, war von vornherein nicht zu erwarten, dass bei einem Vergleich dieser Systeme im Hinblick auf ihren Grammatikalisierungsgrad besonders große Differenzen zutage treten; und dennoch variieren sie in nennenswerter Weise. Mit einer einzigen Ausnahme führen die zugrunde gelegten Parameter zu Unterschieden in der Bewertung des Grammatikalisierungsgrades des spanischen, französischen und deutschen Genussystems: Das spanische erscheint weniger (stark) grammatikalisiert als das französische; dieses wiederum ist weniger (stark) grammatikalisiert als das deutsche. 2.6. Genus und Personenbezeichnungen im Englischen Bislang waren die Ausführungen in diesem Teil der Arbeit allein auf die französische, spanische und deutsche Sprache bezogen; das Englische wurde nicht thematisiert. Der Grund dafür ist, dass sich das Genussystem des Englischen stark von den Genussystemen der drei anderen Sprachen unterscheidet. Die Unterschiede sind sogar so groß, dass es - wie in der Einleitung dieser Arbeit TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 171 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 172 Genus im Sprachvergleich bereits angesprochen wurde - umstritten ist, ob man die englische Sprache überhaupt als Genussprache bezeichnen sollte. Auch die Struktur des Personenbezeichnungssystems zeigt im Vergleich zu den bislang behandelten Sprachen erhebliche Abweichungen, was zum Teil mit der Unterschiedlichkeit des Genussystems zusammenhängt. Wir wollen dies im Folgenden illustrieren. 2.6.1. Genus im Englischen? Die englische Sprache hat im Laufe der Geschichte die Kategorie Genus - ebenso wie die Kasusdifferenzierung - (weitgehend) verloren. Im Altenglischen (ca. 450-1100) wurden - wie im Neuhochdeutschen - noch drei Genera unterschieden. Wie in den bislang betrachteten Sprachen war das Genussystem des Altenglischen semantisch nicht durchsichtig. Die Klassenzugehörigkeit der Nomina konnte aber nicht nur über die Kongruenz an Artikeln und Adjektiven (und anderen ‚associated words‘) abgelesen werden, sondern auch am Nomen selbst. Corbett (1991: 101) zufolge war die Genuszuweisung im Altenglischen morphologisch motiviert, es handelte sich also ebenfalls um ein formales Genussystem. 205 Im Verlauf eines sprachlichen Wandels, der gegen Ende der spätaltenglischen Zeit einsetzte und der zu einem drastischen Umbzw. Abbau des gesamten Flexionssystems und damit zu einschneidenden Veränderungen der morphologischen Charakteristika des Englischen führte - vom synthetischen (flektierenden) hin zum analytischen Typ -, kam es dann (auch) zur Auflösung des Genussystems; diese Entwicklung war, laut Hellinger (1990: 64), um 1370, also in der als Mittelenglisch bezeichneten Epoche, abgeschlossen. 206 Allein bei einigen NP-externen Elementen ist die ursprüngliche Differenzierung von drei Genusklassen (wie auch die Kasusunterscheidung) in Resten erhalten: So werden bei den Personalpronomina der dritten Person Singular nach wie vor drei Formen unterschieden: he (NOM)/ him (AKK) vs. she (NOM)/ her (AKK) vs. it; entsprechendes gilt für die formverwandten Possessivpronomen (sowie Possessiva), die sich - anders als in den romanischen Sprachen - nach dem nominalen Possessor richten, den sie vertreten, und die Reflexivpronomen (vgl.: his und himself vs. hers/ her und herself vs. its und itself). 207 205 Nach Curzan (2003: 12f. und 42ff.) ist die formale Durchsichtigkeit des altenglischen Genussystems jedoch insgesamt eher gering einzuschätzen; zudem besteht auch hier ein - wenn auch eingeschränkter - Zusammenhang zwischen Genus und Sexus. Das Genussystem des Altenglischen verfügte also - mit Corbett (1991: 8) gesprochen - ebenfalls über einen ‚semantic core‘. 206 Genauere Angaben hierzu bei Curzan (2003: Kap. 2, insb. 42ff.). 207 Da die Differenzierung im Plural aufgehoben ist - es treten in jedem Fall die Formen they/ them, their und themselves auf - handelt es sich auch hier um ein (durchgehend) konvergentes System (im Sinne von 1.3.2.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 172 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Genus im Englischen 173 Für die Wahl eines Pronomens sind nun aber - anders als im Altenglischen - nicht formale Charakteristika der klassifizierten Elemente, sprich: der Nomina ausschlaggebend, vielmehr werden hierfür - von Seiten vieler, keineswegs aber aller Linguisten - semantische Kriterien verantwortlich gemacht. Mit anderen Worten: Die Veränderungen, die das Genussystem des Englischen durchlaufen hat, betreffen nicht nur den Bereich der Kongruenz, sondern auch den der Klassifikation. Es kommt infolge des Flexionsabbaus nicht nur zum Verlust flexivischer Genuskennzeichnung und damit zur Reduktion der kongruierenden Elemente, sondern - mehr oder weniger unabhängig von diesen morphologischen Entwicklungen - auch zur Umstellung des assignment system. 208 Das Genussystem des heutigen Englisch wird zumeist zu den (strikt) semantischen Systemen gezählt, dies sind „[…] systems in which the meaning of a noun determines its gender and in which, equally, given the gender of a noun we can infer something about its meaning“ (Corbett 1991: 8). Nach Corbett (ebd.: 12) basiert die Genuszuweisung im Englischen auf folgender Regel: „male humans are masculine (he), female humans are feminine (she) and anything else is neuter (it)“. Eine solche Auffassung ist - wie gesagt - weit verbreitet, sie findet sich in ähnlicher Form z.B. auch (schon) bei Bloomfield (1933/ 1973); er stellt fest: The English definite or third-person pronouns […] differ […] in the singular for personal and non-personal antecedents: personal he, she, versus non-personal it. […] The distinction, then, between the pronoun-forms he and she, creates a classification of our personal nouns into male (defined as those for which the definite substitute is he) and female (similarly defined by the use of the substitute she). Semantically, this classification agrees fairly well with the zoological division into sexes. (Ebd.: 253) Diesen Aussagen zufolge sind die Pronominalformen also von den Kriterien ‚menschlich‘ vs. ‚nicht-menschlich‘ und vom Geschlecht (‚männlich‘ vs. 208 Dass Kongruenz und Klassifikation auch an dieser Stelle, an der es um die historische Entwicklung des englischen Genussystems geht, differenziert werden müssen, stellt - implizit - auch Curzan (2003) in ihrer Monographie zu diesem Thema heraus, indem sie darauf hinweist, dass morphologische Veränderungen einerseits und der „shift from grammatical to natural gender“ andererseits zu trennen sind. Sie sieht den Abbau der Flexionsendungen zwar eindeutig als einen wichtigen Faktor für die Entwicklung des englischen Genussystems an, geht aber - anders als es in den traditionellen Darstellungen zur englischen Sprachgeschichte üblich ist - nicht davon aus, dass die Umstellung der Klassifikation als direktes Resultat dieser morphologischen Veränderungen gewertet werden kann: „[…] while the loss of inflectional distinctions is unquestionably a critical component of the loss of grammatical gender, it alone is not sufficient cause to explain the progression of the shift between gender systems“ (ebd.: 42). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 173 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 174 Genus im Sprachvergleich ‚weiblich‘) abhängig, wobei einige wenige Ausnahmen zu berücksichtigen sind: Die wichtigste ist, dass auch auf eine Reihe von Tieren, insbesondere auf Haustiere, nicht mit it, sondern gemäß dem Geschlecht mit she oder he referiert wird (bzw. referiert werden kann); außerdem tritt regelhaft auch für einige Substantive, die weder das Merkmal [+weiblich] noch [+menschlich] aufweisen, she ein, z.B. im Falle der sogenannten ‚boat nouns‘ sowie bei Ländernamen, sofern sie auf „political entities“ verweisen (vgl. Corbett 1991: 12, 180f., Huddleston/ Pullum 2002: 488f., 491). Diese Ausnahmen sprechen nicht unbedingt gegen die angegebene Regel, aber es ist unseres Erachtens problematisch, die genannten Kriterien uneingeschränkt als semantische anzusehen, was Corbett, Bloomfield u.a. ganz offenbar tun. Bloomfield spricht ja ausdrücklich von einer ‚classification of personal nouns into male and female‘, und auch Corbett (ebd.: 12) weist seine Bestimmungen als ‚semantic criteria‘ aus. Hiergegen ist zunächst einzuwenden, dass die meisten Personenbezeichnungen des Englischen hinsichtlich des Geschlechts überhaupt nicht spezifiziert sind. Nur mit Bezug auf eine begrenzte Gruppe kann die ‚Wahl‘ der Pronomen tatsächlich auf semantische Merkmale der Substantive zurückgeführt werden und nur für diese Gruppe macht es Sinn, von einer Klassifizierung gemäß den semantischen Merkmalen [+männlich] bzw. [+weiblich] zu sprechen. Vgl. hierzu die folgenden Beispiele, in denen die Sexusspezifikation lexeminhärent (142) bzw. via Derivationssuffix (143) erfolgt: (142) my father/ brother/ husband/ boyfriend loves but himself (*herself) - my mother/ sister/ wife/ girlfriend loves but herself (*himself) (143) (a) this prince/ emperor loves his (*her) country - this princess/ empress loves her (*his) country (b) this actress/ heiress got a lot of money… she (*he) doesn’t have to work Das Gros der englischen Personenbezeichnungen bilden aber die sogenannten common gender nouns, Nomina, die hinsichtlich des Geschlechtsmerkmals nicht spezifiziert sind und die sowohl durch he als auch durch she substituiert werden können, vgl. etwa: (144) this teacher/ student/ lawyer/ judge/ scientist loves his/ her profession 209 Ob he oder she als Proform eines solchen Nomens verwendet wird, kann nun selbstverständlich nicht unter Rückgriff auf die Bedeutung der Substantive erklärt werden, sondern allenfalls unter Rückgriff auf das Geschlecht der Re- 209 Nur einige wenige Personenbezeichnungen können zusätzlich durch it substituiert werden - etwa child und baby. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 174 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr Genus im Englischen 175 ferenten, auf die man sich in der konkreten Redesituation bezieht, 210 und dies gilt auch nur dann, wenn man die Möglichkeit der generischen Verwendung von he (zunächst) ausblendet. Unter diesem Blickwinkel haben aber auch die Pronomina nicht einfach die Funktion, ein Antezedens zu substituieren, sondern dieses weiter zu spezifizieren. Es stellt sich hier die Frage, ob man überhaupt davon sprechen kann, dass die Pronomina - in Übereinstimmung mit Hocketts Genusdefinition - als Elemente anzusehen sind, die eine Einteilung der Nomina zum Ausdruck bringen bzw. ‚widerspiegeln‘. Nicht nur die sogenannten common gender nouns, für die sowohl das Pronomen he als auch she eintreten kann, und die Tatsache, dass den Pronomen in diesem Zusammenhang eine gewisse semantische Eigenständigkeit zukommt, sprechen dagegen, sondern auch einige empirische Untersuchungen zum Gebrauch der Pronomina im amerikanischen Englisch. Wir haben bislang festgestellt, dass das Genus im Französischen, Spanischen und Deutschen als inhärente Eigenschaft der Nomina anzusehen ist und dass jedes Substantiv dieser Sprachen in der Regel genau einer Genusklasse angehört. Die kongruierenden Elemente sind dabei durch das Genus des Substantivs determiniert. Wenn man in einer Äußerung einem Substantiv ein ‚falsches‘ Genus zuweist, indem man die kongruierenden Elemente wider die Klassenzugehörigkeit des Nomens markiert, so wird damit gemeinhin nichts anderes zum Ausdruck gebracht, als dass man der deutschen (und entsprechend der spanischen oder französischen) Sprache nicht mächtig ist. Vgl.: (145) *Dies ist eine (F) wunderschöne (F) alte (F) Haus (N). Sie (F) gefällt mir ausgesprochen gut. Äußerungen wie in (145) sind schlichtweg ungrammatisch. Das Gleiche gilt, wenn man allein die genusvariablen Personalpronomina der dritten Person betrachtet. Auch sie sind durch das Genus des Antezedens oder - im Falle rein deiktischer Verwendung - durch das Genus des default term bestimmt. Kongruenzverstöße, die nicht als ungrammatisch gewertet werden, kommen - wie in Abschnitt 1.2.3. illustriert - nur vor, wenn auf Personen referiert wird; in diesem Fall können die Pronomina (und ggf. auch andere kongruierende Elemente) auf das Geschlecht der bezeichneten Person abgestimmt werden. 210 Corbett trägt dieser Tatsache insofern Rechnung, als er - wie in 1.2.3.1. im Rahmen der Diskussion über syntaktische vs. semantische Kongruenz bereits deutlich wurde - einen sehr weiten Bedeutungsbegriff zugrunde legt; auch an dieser Stelle wird nicht zwischen semantischer (= sprachlicher) und referentieller (= außersprachlicher) Ebene differenziert. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 175 16.12.2008 13: 08: 36 Uhr 176 Genus im Sprachvergleich Anders verhält es sich im Englischen. Hier werden die Pronomina generell relativ flexibel verwendet. Wird ein Pronomen wider die oben angeführte Regel gebraucht, so ändert sich der Sinn der Äußerung; es kann z.B. eine gewisse Wertung zum Ausdruck gebracht werden: Wird it mit Bezug auf einen Menschen gebraucht, so ist dies mit Abwertung verbunden; 211 referiert jemand auf ein unbelebtes Objekt, z.B. auf ein Eishörnchen, mit she, so ist dies ein Anzeichen der positiven Einstellung des Sprechers diesem Objekt gegenüber. Mathiot (1979: 11) spricht von „positive“ und „negative involvement on the part of the speaker with the entity referred to“. Bezüglich der Verwendung von he und she stellt sie fest: „It seems that any nonhuman entity can be referred to as either ‚he‘ or ‚she‘, i.e., be upgraded, without regard to its nature.“ Bei ihrer empirischen Untersuchung traf Mathiot neben dem erwähnten Eishörnchen u.a. auf folgende Beispiele: […] a football team, mathematical formulae, high prices, a chairlift ticket, a California poppy, grass, a pool deck, a pillow, a vase, a key, a door, a wall, a metal strip on a window, a writing pen […]. (Ebd.) Diese flexible Verwendbarkeit der Pronomina, die in den anderen Sprachen in diesem Ausmaß nicht gegeben ist, deutet ebenfalls auf ihre hohe semantische Eigenständigkeit hin und bestätigt die sogenannte „pronominal dominance hypothesis“, der zufolge gilt: „[…] the lexical meaning of a pronoun determines the interpretation of its antecedent […]“ (McKay/ Fulkerson 1979: 661). 212 Doch selbst wenn man die genannten Beispiele als Fälle spontaner Personifikation wertet, die der von Corbett und Bloomfield angegebenen Regel 211 Dass dies - in Ausnahmefällen - auch im Deutschen möglich ist, zeigt das Satiremagazin Titanic. Im Mai 2000 wurde hier erstmals unter Verwendung des Neutrums auf die CDU- Politikerin Angela Merkel referiert: Das Titelbild zeigt ein Foto von Merkel und trägt die Überschrift „Darf das Kanzler werden? “ (Hervorheb. von mir). Im Wahlkampf 2005 ist dieser abwertend-humoristische Gebrauch des Neutrums zur Referenz auf die Kanzlerkandidatin der CDU/ CSU dann zur stilistischen Konstante der Titanic geworden, immer wieder ist von „das Merkel“ die Rede (vgl. http: / / www.titanic-magazin.de). Von derlei idiosynkratischen Beispielen abgesehen kann für das Deutsche aber höchstens indirekt von einer abwertenden Funktion des Genus Neutrum gesprochen werden; so gehen Köpcke/ Zubin (2003) davon aus, dass neutrale Personenbezeichnungen - insbesondere solche, die zur Referenz auf Frauen verwendet werden, - keiner willkürlichen Verteilung unterliegen, sondern überwiegend mit einer Pejorisierung des Referenten verbunden sind, insofern bestehe auch hier ein Zusammenhang zwischen „semantic/ pragmatic downgrading on the one hand, and neut-gender on the other“ (ebd.: 154). 212 MacKay wendet sich in mehreren Arbeiten gegen die sogenannte „pronominal surrogate hypothesis“, die besagt, dass die Pronomina nicht als semantische Einheiten anzusehen sind, dass sie lediglich Stellvertreterfunktion haben (vgl. MacKay 1980: 445, 1983: 40ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 176 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Genus im Englischen 177 nicht widersprechen, da durch diese der pragmatische Effekt erst ermöglicht wird, bleibt die generelle Frage offen, ob die Differenzierung der Pronomina ein hinreichendes Kriterium für das Vorliegen eines Genussystems bildet. Dies kann man im Grunde nur dann annehmen, wenn man davon ausgeht, dass die Pronomina denselben Status haben wie Artikel, Adjektive und andere der Genuskongruenz unterworfene Elemente. Gerade hier zeigt sich aber, dass die Pronomina, insb. die Personalpronomina, im Allgemeinen diejenigen Elemente sind, die noch am wenigsten der Kongruenz unterliegen; sie stehen - wie wir in Abschnitt 1.2.3.2. dargelegt haben - in der Hierarchie der kongruierenden Elemente generell an unterster Stelle. Selbst im Deutschen, Französischen und Spanischen kann bei den Personalpronomina ja gegen das inhärente Genus des Nomens verstoßen werden, wenn Genus und Sexus nicht übereinstimmen. Andererseits, und so argumentiert Corbett (1991: 169f.), der auch das Englische als Genussprache ansieht, werden die Pronomina bei diesen und anderen Genussprachen durchaus zu den kongruierenden Elementen gerechnet: […] In languages like French it is natural to treat the gender of pronouns together with that of other targets. Consequently, it would be strange to treat pronouns differently (as not defining genders), simply because in a given language they were the sole indicators […]. Wir wollen die Frage, ob das Englische zu den Genussprachen zu zählen ist, hier nicht endgültig beantworten, sondern lediglich darauf hinweisen, dass dies aus berechtigten Gründen angezweifelt bzw. strikt abgelehnt wird, z.B. von Meillet (1912/ 2 1982), Hall (1951), Fodor (1959), Hellinger (1990, 2001) und vielen weiteren. Andere, die auch das Englische zu den Genussprachen zählen, tragen den genannten Unterschieden aber insofern Rechnung, als sie das Genussystem des Englischen schon terminologisch von den Systemen anderer Sprachen abgrenzen. So wird das Genussystem des Englischen oft als ‚natural‘ oder (weniger geeignet) als ‚semantic system‘ bezeichnet und mit den ‚grammatical‘ bzw. ‚formal gender systems‘ anderer Sprachen kontrastiert; zudem ist vom ‚pronominal gender system‘ die Rede. Auf diese Art und Weise wird hervorgehoben, dass sich das Englische sowohl im Hinblick auf die Klassifikation als auch in puncto Kongruenz von (proto-)typischen Genussprachen unterscheidet: Die Bezeichnung ‚natural gender system‘ unterstreicht, dass die Sexusunterscheidung (wie auch die Unterscheidung belebt vs. unbelebt) im Englischen eine ungleich größere Rolle spielt, als dies normalerweise der Fall ist; die Rede vom ‚pronominal gender system‘ macht explizit, dass lediglich eine pronominale (externe) Markierung erfolgt, während Artikel, Adjektive, bestimmte Verbformen etc. - wiederum anders als in den meisten Genussprachen - genusinvariabel sind. Da so die Sonderstellung TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 177 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr 178 Genus im Sprachvergleich des Englischen hervorgehoben wird, hat unseres Erachtens auch dieser Ansatz seine Berechtigung. 213 2.6.2. Personenbezeichnungen und Möglichkeiten der Geschlechtsspezifikation im Englischen Dass sich das Englische auch in Bezug auf die Struktur des Personenbezeichnungssystems und die Möglichkeiten der Geschlechtsspezifikation stark von den bislang betrachteten Sprachen abhebt, ist wohl schon deutlich geworden, soll hier aber noch einmal etwas eingehender erläutert werden. Zunächst ist festzustellen, dass es auch im Englischen eine Reihe von Bezeichnungen mit lexeminhärenter Geschlechtsspezifikation gibt, und zwar - ebenso wie im Deutschen und Französischen - vorwiegend im Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen (146), aber auch bei einigen ‚allgemeinen‘ Personenbezeichnungen sowie bei Amts- oder Berufsbezeichnungen im weitesten Sinne (147) und natürlich bei Komposita resp. lexikalisierten Syntagmen (148): (146) (a) father - mother (b) brother - sister (c) son - daughter (d) uncle - aunt (e) wife - husband (147) (a) girl - boy (b) lady - (gentle-)man (c) king - queen (d) monk - nun 213 Bleibt darauf hinzuweisen, dass einige Forscher - z.B. Quirk et al. (1985: 314ff.), Huddleston/ Pullum (2002: 489ff.), Hoberg (2004: 56ff.) - aufgrund der unterschiedlichen Probleme, die die oben skizzierte gängige Beschreibung des englischen Genussystems als dreigliedriges, semantisch motiviertes System bereitet, von einer Klassifikation der englischen Substantive gemäß der Kompatibilität von Nomen (und einem oder mehreren) Pronomen ausgehen. Huddleston/ Pullum (ebd.) kommen auf dieser Grundlage zur Differenzierung von insgesamt 7 unterschiedlichen (Genus-)Klassen: Zunächst wird - gemäß der Anzahl der jeweils möglichen Pronomina - zwischen single-, dual- und triple-gender nouns unterschieden; weiter wird angenommen, dass „[s]ingleand dual-gender nouns are subclassified according to the particular pronoun or pronouns permitted“ (ebd.: 490). Wir halten derlei Ansätze für wenig überzeugend und haben sie aus diesem Grunde hier nicht weiter berücksichtigt. Für eingehendere Kritik an einer solchen Beschreibung des Englischen sei auf Hellinger (1990: 64f.) verwiesen. Dass ähnliche Klassifizierungen auch für das Lateinische, die romanischen Sprachen und das Deutsche vorgeschlagen worden sind, insbesondere in älteren Grammatiken, zeigen z.B. Burr (2001) (Latein/ Romanisch) und Doleschal (2002) (Deutsch). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 178 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Genus im Englischen 179 (148) (a) boyfriend - girlfriend (b) businessman - businesswoman (c) cowboy (d) cleaning lady 214 Über diesen Bereich hinaus sind geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen jedoch überaus selten. Da mit dem ‚Verfall‘ des Genussystems auch die im Altenglischen noch fest etablierten und produktiven morphologischen Mittel der Sexuskennzeichnung verloren gingen, ist die Anzahl geschlechtsspezifischer Suffixe heute sehr gering (vgl. Hellinger 1990: 72). Fälle von ungerichteter Movierung gibt es nicht mehr, und nur vereinzelt trifft man auf durch Ableitung gebildete Bezeichnungen, die der Referenz auf weibliche Personen dienen. Am häufigsten sind hier noch Personenbezeichnungen mit dem Suffix -ess - etwa waitress, seamstress u.a. - doch auch dieses ursprünglich aus dem Französischen entlehnte Bildungsmuster ist nicht mehr produktiv. Differentialgenus gibt es aufgrund der Unterschiede im Genussystem im Englischen selbstverständlich nicht. Bei den meisten Personenbezeichnungen handelt es sich also in der Tat um die sogenannten ‚common‘ oder (genauer) ‚dual gender nouns‘, die ohne Einschränkungen sowohl zur Referenz auf männliche als auch auf weibliche Personen verwendet werden können. Soll das Geschlecht der Bezeichneten hervorgehoben werden, so ist auch hier eine attributive Kennzeichnung möglich, etwa durch die Adjektive male resp. female, wie in male/ female teacher, male/ female student, oder mit Hilfe von Nomina, z.B. man/ woman writer u.a. 215 214 Auch einige (wenige) Tierbezeichnungen gehören der Gruppe der lexeminhärent sexusmarkierten Bezeichnungen an, z.B. cock, bull, cow, hen u.a. 215 Attributive Kennzeichnung des Geschlechts ist auch bei den Tierbezeichnungen üblich, z.B. über he und she (he goat, she ass); Kennzeichnung über Suffixe kommt dagegen in der Regel in diesem Bereich nicht vor (vgl. Huddleston/ Pullum 2002: 1680ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 179 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 180 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Teil 3 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik - Ein wissenschaftshistorischer Abriss Unsere Ausführungen zum Thema Genus und Semantik im letzten, zweiten Teil der Arbeit führten uns unter anderem zu der Feststellung, dass die Genusdifferenzierung im Spanischen, Französischen und Deutschen zur (zum Teil redundanten) Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts genutzt wird. Nun stellt die Korrelation zwischen Genus und Sexus einen der Kernpunkte in der Debatte um das sogenannte ‚generische Maskulinum‘ dar, dem Thema, mit dem wir uns im Folgenden auseinandersetzen wollen. Wie in der Einleitung skizziert, ist dieses spezielle Thema nicht nur von Vertretern der feministischen Linguistik einerseits und vorwiegend strukturalistisch orientierten SprachwissenschaftlerInnen andererseits auf zum Teil höchst polemische Art und Weise diskutiert worden, vielmehr bildet es bis heute auch den Gegenstand verschiedener empirischer Untersuchungen. Wir wollen uns innerhalb des vorliegenden Teils sowohl mit der eher theoretisch geführten Diskussion auseinandersetzen als auch auf die empirischen Untersuchungen eingehen, wobei auch hier die Sprachen Französisch, Spanisch, Deutsch und Englisch besonders berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung verschiedener Sprachen hat unter anderem die folgenden Vorteile: Zum einen erlaubt sie es, die Aussagen verschiedener Vertreter der feministischen Linguistik, die sich jeweils auf unterschiedliche Einzelsprachen konzentrieren, einzubeziehen und so deutlich zu machen, wie weit die Aussagen auch innerhalb der feministischen Linguistik auseinander gehen; außerdem kann gezeigt werden, dass einige der allgemein formulierten Argumente in der Diskussion zu kurz greifen, da man sich an den Verhältnissen einer Einzelsprache orientiert. Andererseits können gewisse Aussagen aber auch auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Dies ist besonders im Hinblick auf die empirischen Untersuchungen relevant, denn: sind die Ergebnisse dieser Untersuchungen für verschiedene Sprachen vergleichbar, so kann man davon ausgehen, dass es sich um allgemeine Tendenzen handelt, die auch auf andere Sprachen, die ähnliche Strukturen im Bereich der Personenbezeichnungen aufweisen, zutreffen. Wir beginnen diesen Teil mit einer kurzen Beschreibung der Grundannahmen, Untersuchungsbereiche und Ziele der feministischen Linguistik. Im Anschluss gehen wir auf die generische Verwendbarkeit maskuliner Personenbezeichnungen im Spanischen, Französischen und Deutschen sowie TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 181 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr 182 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik auf vergleichbare Fälle im Englischen ein. Hierbei soll auch auf inter- und intralinguale Differenzen hingewiesen werden - sowohl hinsichtlich Art und Anzahl der maskulinen Personenbezeichnungen, die generisch verwendbar sind, als auch hinsichtlich ihres Anwendungsumfangs. Es folgt eine kritische Darstellung der eher theoretischen Diskussion um das generische Maskulinum. In einem weiteren Schritt werden dann einige empirische Untersuchungen zu Gebrauch und Verständnis des generischen Maskulinums in den verschiedenen Sprachen vorgestellt. Abschließend werden wir uns um eine Gesamteinschätzung der empirisch gewonnenen Erkenntnisse bemühen und skizzieren, wie die von feministischer Seite konstatierten und empirisch belegten Auswirkungen der asymmetrischen Strukturen im Bereich der Personenbezeichnungen theoretisch begründet werden können. 216 3.1. Feministische Linguistik Im Zuge der Studentenbewegung von 1968 bildete sich eine neue Frauenbewegung heraus, die sich nachhaltig mit der Unterdrückung der Frau und des Weiblichen auseinandersetzte. Thematisiert wurden in diesem Zusammenhang nicht nur primär gesellschaftliche Fragestellungen wie z.B. die Position von Frauen im privaten und öffentlichen Bereich, die Bewertung von weiblich assoziierten Eigenschaften und Tätigkeiten gegenüber (angeblich) typisch männlichen, herrschende Geschlechtsrollenstereotypen etc., sondern in besonderem Maße rückte auch das Verhältnis ‚Frauen und Sprache‘ bzw. - allgemeiner gefasst - ‚Sprache und Geschlecht‘ ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Zu Beginn der 70er Jahre entstanden zunächst in den USA, ab ca. 1975 aber zunehmend auch in verschiedenen Ländern Europas eine Reihe von Publikationen, die sich mit diesem speziellen Thema beschäftigten. Mittlerweile hat sich dieser Forschungszweig unter dem Namen ‚feministische Linguistik‘ (f.L.) innerhalb der Sprachwissenschaft fest etabliert. Diesen Stellenwert bezeugt nicht nur die heute nahezu unüberschaubare Anzahl von Arbeiten der f.L., sondern auch die Tatsache, dass in das Thema ‚Sprache und Geschlecht‘ einführende Aufsätze aus sprachwissenschaftlichen Lexika und Handbüchern nicht mehr wegzudenken sind. 217 216 Eine erste Auseinandersetzung mit den empirischen Untersuchungen zum generischen Maskulinum haben wir in Schwarze (2000a) vorgelegt; wir werden auf die dort gemachten Angaben in Abschnitt 3.5. zwar zurückgreifen, gehen über diese aber wesentlich hinaus. 217 Vgl. hierzu etwa die Einträge in Glück (ed.) (1993/ 3 2005) und Bußmann ( 2 1990/ 3 2002) sowie die verschiedenen Aufsätze im Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL), im Handbuch für Sprache und Kommunikation (HSK), im Handbuch Französisch etc. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 182 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Feministische Linguistik 183 Im Folgenden soll vor allem aufgezeigt werden, mit welchen Themen sich die f.L. beschäftigt, welche Ebenen der Sprache untersucht werden, inwiefern über die reine Beschreibung von Sprache hinausgegangen wird und welche Annahmen zum Verhältnis von Sprache und Gesellschaft den Ausgangspunkt der Untersuchungen bilden. Da die Wurzeln der f.L. in der Frauenbewegung und nicht etwa in der Sprachwissenschaft liegen und da dementsprechend viele Arbeiten, insbesondere die der Anfangszeit, nicht von Linguistinnen und Linguisten, sondern von sprachwissenschaftlichen Laien verfasst sind, kann es nicht erstaunen, dass einige Aussagen sehr kritisch beurteilt werden müssen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den zum Teil etwas naiv anmutenden, eher intuitiven Aussagen über ‚die Sprache‘ hat aber auch innerhalb der f.L. längst stattgefunden. Insgesamt ist die feministische Linguistik, anders als dieser Sammelbegriff vielleicht vermuten lässt, von Beginn an nicht als homogene und monolithische Strömung anzusehen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die einzelnen VertreterInnen aus verschiedenen Ländern stammen und mithin in unterschiedlichen (sprach-)wissenschaftlichen Traditionen stehen. Diesen Tatsachen soll hier insofern Rechnung getragen werden, als die Unterschiedlichkeit der Annahmen und gewisse Entwicklungstendenzen in der f.L. zumindest andeutungsweise aufgezeigt werden. Bei der Darstellung der Aussagen zum generischen Maskulinum kann auf die Pluralität der Positionen dann genauer eingegangen werden. 3.1.1. Hauptuntersuchungsgebiete der feministischen Linguistik Im Wesentlichen lassen sich zwei verschiedene Untersuchungsbereiche innerhalb der f.L. erkennen. Der erste Bereich, der in unserem Zusammenhang nicht weiter von Interesse ist und daher nur kurz umrissen werden soll, betrifft das sprachliche Verhalten von Frauen und Männern; hier geht es darum zu zeigen, ob es geschlechtsspezifisches (‚sex exclusive‘) Gesprächsverhalten oder zumindest von den einzelnen Geschlechtern bevorzugte (‚sex preferential‘) Sprechbzw. Gesprächsstile gibt. Vor allem in der älteren Literatur zu diesem Thema ist oft von ‚Frauensprache‘ versus ‚Männersprache‘, von ‚geschlechtsspezifischem Gesprächsverhalten‘, von ‚women’s languages‘ und ‚genderlects‘ usw. die Rede (vgl. z.B. Trömel-Plötz 1982a). Eine solche Ausdrucksweise legt die Interpretation na- In einigen neueren Publikationen wird ‚feministische Linguistik‘ durch die (neutralere) Bezeichnung ‚linguistische Geschlechterforschung‘ ersetzt (so z.B. in Bußmann 3 2002 gegenüber 2 1990); wir halten im Folgenden an der älteren Bezeichnung fest, ohne damit irgendeine Wertung zum Ausdruck zu bringen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 183 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr 184 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik he, in Bezug auf Frauen und Männer verschiedene Sprachen oder verschiedene Varietäten einer Sprache trennen zu können. Dies ist jedoch nicht der Fall: Neuere Arbeiten zum Gesprächsverhalten von Frauen und Männern belegen, dass es zumindest im Hinblick auf die europäischen Sprachen keine männlichen und weiblichen Subsprachen, keine Verwendungsweisen von Sprache gibt, die ausschließlich auf eines der Geschlechter zutreffen; allerdings scheinen bestimmte Formen der Gesprächsführung von Frauen bzw. von Männern jeweils bevorzugt benutzt zu werden, so dass von unterschiedlichen Gesprächsstilen, von ‚sex preferential markers‘ gesprochen werden kann. 218 Insgesamt wird die Variable Geschlecht also einmal in Bezug auf die Verwendung von Sprache im Rahmen der Konversationsanalyse betrachtet, wobei - wie sich im Laufe der Forschung zeigte - in jedem Fall auch andere Variablen wie Schicht und Alter, vor allem aber auch der mit Bezug auf das Thema und die spezielle Gesprächssituation zu bestimmende Status der Gesprächsteilnehmer berücksichtigt werden müssen. Der zweite Untersuchungsbereich, dem auch die Beschäftigung mit dem generischen Maskulinum zuzuordnen ist, betrifft den Sprachbestand. 219 Hier wird nach der (Re-)Präsentation der Geschlechter in der Sprache selbst gefragt, nach dem sprachlich manifestierten Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit und dessen Übereinstimmung mit gängigen Geschlechtserwartungen und -stereotypen. Das Interesse richtet sich sowohl auf lexikalisch-semantische als auch auf morphologische und syntaktische Strukturen, die mit dem natürlichen Geschlechtsunterschied, vor allem aber mit der sozial bedingten, d.h. auch gesellschafts- oder kulturspezifischen Trennung der Geschlechter in Verbindung gebracht werden. Der f.L. geht es innerhalb des zweiten Untersuchungsbereichs - kurz gesagt - um die Aufdeckung von Asymmetrien im Wortschatz und in der grammatischen Organisation der Einzelsprachen, die die außersprachlichen 218 Zur Terminologie der f.L., die z.T. auf präfeministische Forschungen zum Thema ‚Frauensprachen‘ zurückgeht, und zu ihrer Angemessenheit für die Beschreibung von Geschlechtsunterschieden im Sprechverhalten vgl. z.B. Cameron (1985a: 46ff./ 2 1992: 42ff.) und Samel ( 2 2000: 23ff., 164ff.). Empirische Untersuchungen zum Deutschen, deren Ergebnisse auf verschiedene Gesprächsstile von Frauen und Männern schließen lassen, liefert z.B. Gräßel (1991: insb. 302-314); entsprechende empirische Untersuchungen für die spanische und französische Sprache liegen - wie Nissen (2002: 267ff.) und Bierbach ( 2 2008: 346f.) feststellen - bis heute nur in vergleichsweise geringer Zahl vor; sie weisen aber insgesamt in dieselbe Richtung. 219 Die Charakterisierung der beiden Teilgebiete durch die Stichwörter ‚Sprechbzw. Kommunikationskritik‘ und ‚Kritik am Sprachbestand‘ geht auf Glück (ed.) (1993: 184) zurück. Sie ist der gängigen aber unzutreffenden inhaltlichen Differenzierung mittels der Begriffe ‚Sprachverwendung‘ vs. ‚Sprachsystem‘ in jedem Fall vorzuziehen. (Wir kommen im nächsten Abschnitt hierauf zu sprechen). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 184 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Feministische Linguistik 185 Variablen des Sexus und des ‚sozialen Geschlechts‘ (engl. gender) betreffen. Das ‚soziale Geschlecht‘ gilt hierbei als durch stereotype Bilder und Vorstellungen von ‚den Frauen‘ und ‚den Männern‘ geprägt, die in bestimmten Gesellschaften herrschen, und wird so vom ‚natürlichen Geschlecht‘ (Sexus, engl. sex) abgegrenzt. Die Annahme, dass ‚Geschlecht‘ generell (auch) als soziales Phänomen anzusehen ist, geht darauf zurück, dass „Weiblichkeit und Männlichkeit als sozial erlernte und geprägte Verhaltensweisen gedacht werden“ (Samel 2 2000: 167). 220 Die f.L. konstatiert, dass Asymmetrien dieser Art im Bereich des Wortschatzes der Sexualität 221 ebenso wie auf dem Gebiet der Personenbezeichnungen auszumachen sind. Der Komplex der Personenbezeichnungen nimmt aufgrund seiner unmittelbaren alltäglichen Relevanz allerdings einen zentralen Stellenwert ein. Lexikalische Asymmetrien offenbaren sich hier beispielsweise im Bereich der Anredeformen. Während weibliche Referenten - zumindest potentiell - ihres (vermuteten) Familienstandes gemäß entweder in die Kategorie, die den Ausdrücken fr. madame, dt. Frau, sp. señora, engl. Mrs., oder aber in diejenige, die den Ausdrücken fr. mademoiselle, dt. Fräulein, sp. señorita, engl. Miss entspricht, eingeteilt werden können, ist eine analoge Differenzierung für männliche Referenten nicht möglich, d.h. es steht kein Wortpaar zur Verfügung, welches die Klasse der verheirateten und der unverheirateten Männer sprachlich scheidet. Semantische Asymmetrien können bei Wortpaaren aufgezeigt werden, die sich auf den ersten Blick nur durch das Geschlecht der möglichen Referenten zu unterscheiden scheinen. Ein Beispiel für ein solches Wortpaar ist etwa engl. bachelor vs. spinster. Hier wird festgestellt, dass der Ausdruck, der verwendet werden kann, um auf Frauen zu referieren, eine negative bzw. abwertende 220 Auch in der spanischen und französischen Sprache wird in zunehmendem Maße zwischen natürlichem und sozialem Geschlecht mittels der Ausdrücke sp. sexo/ fr. sexe und sp. género/ fr. genre unterschieden (vgl. z.B. García Meseguer 1994: 82, Houdebine 2003: 34, Combes/ Juillard 2003: 7). 221 Bei der Untersuchung des Wortschatzes der Sexualität wird z.B. deutlich, dass viele Verben, die zur Bezeichnung des Geschlechtsakts verwendet werden, insbesondere solche, die der Sprachschicht des ‚Derben‘ oder ‚Vulgären‘ zugehören, transitiv sind und in der Rolle des Agens üblicherweise nur einen Ausdruck erlauben, mit dem auf Männer referiert werden kann, während Bezeichnungen für weibliche Personen die Patiensrolle füllen. Die Verwendung solcher Verben suggeriert männliche Aktivität und weibliche Passivität (z.B.: dt. nageln; sp. coger; fr. sauter). (Vgl. - auch allgemein zum Bereich der Sexualität - Frank 1992: 137-142 (Dt.), Bierbach/ Ellrich 1990: 258f. (Fr.), Bierbach 1992: 290ff. und Nissen 2002: 263f. (Sp.); eine umfassende, neuere Monographie zum Thema ‚Sprache und Sexualität‘ liegt mit Cameron/ Kulick 2003 vor.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 185 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr 186 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Bedeutungskomponente oder Konnotation aufweist, die dem vermeintlich analogen Ausdruck, mit dem auf Männer referiert werden kann, fehlt: […] Denotatively these [the words spinster and bachelor] are […] parallel to ‚cow‘ vs. ‚bull‘: one is masculine, the other feminine and both mean ‚one who is not married‘. But there the resemblance ends. Bachelor is at least a neutral term, often used as a compliment. Spinster normally seems to be used pejoratively, with connotations of prissiness, fussiness and so on. […] If someone is a spinster, by implication she is not eligible (to marry); she has had her chance and been passed by […]. (Lakoff 1975: 32) Eine semantische Asymmetrie anderer Art zeigt sich bei den Wortpaaren fr. homme - femme und sp. hombre - mujer; auch diesen Ausdrücken entsprechen keinesfalls äquivalente Begriffe. So ist femme und mujer z.B. auch im Sinne von ‚Ehefrau‘ verwendbar, während homme bzw. hombre - im Gegensatz zu dt. Mann - nicht oder nur sehr eingeschränkt im Sinne von ‚Ehemann‘ gebraucht werden kann. 222 Diese Wortpaare tauchen aber auch im Rahmen der Diskussion um das generische Maskulinum auf, da sie Glieder einer dreistelligen Opposition sind, in der die Ausdrücke homme bzw. hombre wie auch engl. man (im Gegensatz zu woman) zweifach erscheinen. Sie sind nämlich zum einen verwendbar, um auf eine Person männlichen Geschlechts zu referieren, ebenso wie femme, mujer und woman eine Person weiblichen Geschlechts bezeichnen, zum anderen dienen sie - im Gegensatz zu Letztgenannten - der Referenz auf Männer und Frauen. Im ersten Fall sind sie als geschlechtsspezifisch, im zweiten als geschlechtsneutral oder -indifferent anzusehen. Die Ausdrücke homme, hombre, man verfügen also im Vergleich zu femme, mujer, woman über ein größeres Referenzpotential. Die doppelte Funktion (oder Polysemie) dieser Ausdrücke, die die Asymmetrie der Opposition ausmacht, wird deutlich, wenn wir sie ins Deutsche übersetzen, wo wir es in diesem Fall mit einer symmetrischen dreigliedrigen Opposition zu tun haben: homme, hombre, man entspricht sowohl dt. Mensch als auch dt. Mann, während femme, mujer, woman dt. Frau entspricht. 222 Zu weiteren semantischen Asymmetrien dieser und anderer Wortpaare vgl. u.a. Yaguello (1978: 141ff.), Bierbach/ Ellrich (1990: 255ff.), Houdebine (2003: 46f.) (Fr.), Iglesias Casal (1990), Bierbach (1989 und 1992: 286ff.) und Nissen (2002: 260f.) (Sp.). Es sei hier angemerkt, dass sich die lexikalisch-semantischen Analysen zumeist auf Lexika und nicht auf empirische Untersuchungen stützen. Die konstatierten Bedeutungsdifferenzen gehen also in vielen Fällen letztlich auf die Wahrnehmung und Repräsentation der Sprache durch Lexikographen und (sofern vorhanden) Lexikographinnen zurück, die den tatsächlichen sprachlichen Gegebenheiten immer nur mehr oder weniger gerecht werden können (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bemerkungen von Bierbach/ Ellrich 1990: 255 und Nissens 1989: 43 Kritik an García Meseguer 1977). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 186 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Feministische Linguistik 187 Dass gerade derjenige Ausdruck auch geschlechtsneutral verwendbar ist, mit dem in seiner spezifischen Lesart Männer bezeichnet werden können, ist nun keine Ausnahme, sondern trifft im Bereich der Personenbezeichnungen in der französischen, spanischen und deutschen Sprache in nahezu allen Fällen zu, in denen eben kein gesondertes Lexem zur geschlechtsneutralen Verwendung zur Verfügung steht. Betrachtet man diese Gegebenheiten aus formaler Perspektive, so zeigt sich, dass diejenigen Ausdrücke polysem sind, die maskulines Genus aufweisen. Unter diesem Blickwinkel folgen die genannten Beispiele einer allgemeingültigen Regel, die besagt, dass den maskulinen Bezeichnungen das Merkmal [+männlich] zwar zukommen kann, dass sie aber ebenso gut hinsichtlich des Geschlechts nicht spezifiziert sein können, während die Feminina immer das Merkmal [+weiblich] tragen. 223 Viele Vertreter der f.L. setzen nun voraus, dass eine Verbindung zwischen der grammatischen Kategorie Genus und der außersprachlichen Kategorie Sexus sowie der sozialen Stellung der Geschlechter angenommen werden muss. Wie die diesbezüglichen Ausführungen im Einzelnen aussehen und welche Argumente dem entgegengesetzt werden, ist Thema des übernächsten Abschnitts (Abschnitt 3.3.). Wir wollen uns hier zunächst auf diese Hinweise beschränken und nun einige Überlegungen zum Stellenwert der von der f.L. geleisteten Beschreibungen des Sprachbestands und zu den über die Beschreibung hinausgehenden Tätigkeiten einiger Linguistinnen und Linguisten anstellen. 3.1.2. Zur theoretischen Einordnung feministischer Sprachbetrachtung und -kritik In feministischen Arbeiten ist der zweite Untersuchungsbereich oft als das ‚Sprachsystem‘ bzw. die ‚Sprachstruktur‘ betreffend charakterisiert und so vom Gegenstand des ersten Teilgebietes, der (geschlechtstypischen) Sprachverwendung, abgegrenzt worden. So schreibt z.B. Pusch (1984a: 9): „Die feministische Linguistik […] hat zur Zeit zwei Themenschwerpunkte: Sprachsysteme und Sprechhandlungen, oder kürzer: Sprachen und Sprechen“; Bierbach/ Ellrich (1990: 248) fassen die beiden Hauptgebiete der f.L. in ähnlicher Weise mittels der folgenden Fragen zusammen: „1) Wie behandelt ‚die Sprache‘ - als System oder Struktur - die Geschlechter? “ und „2) Wie behandeln 223 Diese Ausführungen treffen natürlich nicht auf das Englische zu, dessen Genus- und Personenbezeichnungssystem sich - wie in 2.6. gezeigt - stark von den Systemen der drei anderen Sprachen unterscheidet und das daher nicht die gleichen Möglichkeiten (und Zwänge) zur Geschlechtsspezifikation aufweist. Die Diskussion um das generische Maskulinum beschränkt sich für das Englische daher (fast ausschließlich) auf den generischen Charakter von man und he. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 187 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr 188 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik die Geschlechter die Sprache: Verhalten sich Frauen und Männer sprachlich unterschiedlich? “ 224 Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Charakterisierung jedoch als zu oberflächlich. Besonders die einseitige Betonung des Sprachsystems im Hinblick auf das zweite Teilgebiet ist unzutreffend. Zwar werden hier die Möglichkeiten, die das Sprachsystem z.B. zur Bezeichnung von Männern und Frauen zur Verfügung stellt, untersucht, darüber hinaus wird aber auch beschrieben, wie diese Möglichkeiten normalerweise ausgeschöpft werden, d.h. es geht auch „um die Gewohnheiten, die sich im Sprachgebrauch (tatsächlich) abzeichnen“ (Peyer/ Groth 1996: 1), um Fragen, die nicht allein die Ebene des Systems, sondern - mit Coseriu gesprochen - ebenso die Ebene der Norm betreffen. 225 Insofern, als viele der von der f.L. aufgestellten Thesen zur Benachteiligung von Frauen in der Sprache bzw. durch die Sprache unter Rückgriff auf parole-Belege fundiert werden, indem auf den Gebrauch und auf das Verständnis sprachlicher Einheiten in konkreten Sprechsituationen verwiesen wird, bezieht sich die f.L. außerdem auf die Ebene der Sprachverwendung. 226 Insgesamt ist also festzustellen, dass man der von der f.L. verfolgten kritischen Analyse des Sprachbestands nur gerecht wird, wenn man berücksichtigt, dass sie nicht eine der Abstraktionsebenen betrifft, auf denen Sprache beschrieben werden kann, sondern dass sie „im Spannungsfeld von langue, parole und Norm“ (Glück ed. 1993: 184) anzusiedeln ist. Des Weiteren ist zu beachten, dass die f.L. schon im Rahmen der Beschreibung die Ebene des Sprachlichen verlässt, da sprachliche Daten immer in Bezug gesetzt werden zur natürlichen und sozialen Trennung der Geschlechter. Diese Herangehensweise bringt es ferner mit sich, dass Beschreibung und Bewertung von Sprache untrennbar miteinander verbunden sind. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass die angeführte Differenzierung bei den Anre- 224 Ähnlich äußern sich auch Trömel-Plötz (1978: 51 und 1982b: 79f., 88), Ridlhammer (1989: 188), Nissen (1990: 13, 17), Bierbach (1992: 277) und viele andere. 225 Die Norm kann mit Coseriu (1978: 232) wie folgt bestimmt und vom System abgegrenzt werden: „Die Norm umfaßt alles, was in der ‚Technik der Rede‘ […] traditionell (sozial) fixiert, was allgemeiner Gebrauch der Sprachgemeinschaft ist. […] die Norm [ist] die formalisierte Gesamtheit der traditionellen Realisierungen […]; sie umfaßt all das, was schon ‚existiert‘, was in der Sprechtradition realisiert ist. Das System dagegen ist die Gesamtheit der möglichen Realisierungen: es umfaßt auch das, was noch nicht realisiert worden ist, aber virtuell existiert, was ‚möglich‘ ist […].“ (Für weiterführende Angaben zur Coseriuschen Unterscheidung von sistema, norma y habla vgl. z.B. Coseriu 1973 und 2 1992: insb. 293f.). 226 Auf diese parole-Orientierung, die im Rahmen der Darstellung feministischer Positionen zum generischen Maskulinum noch genauer illustriert werden wird, macht besonders Schoenthal (1985: 147) aufmerksam, die in Übereinstimmung mit der oben gemachten Aussage feststellt, dass die feministische „Argumentation verkürzt [ist], wenn die Kritik allein an das Sprachsystem adressiert wird“ (ebd.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 188 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Feministische Linguistik 189 deformen für weibliche Personen als Ausdruck eines „morally objectionable view of the nature and proper roles of women“ (Purdy 1981: 227) angesehen wird. 227 Auch die erwähnten Asymmetrien im Wortschatz der Sexualität und die Bedeutungsdifferenzen bei bestimmten Wortpaaren, die sich eben nicht nur hinsichtlich der Geschlechtskennzeichnung unterscheiden (u.a. bachelor vs. spinster), werden auf stereotype und von Männern geprägte Vorstellungen über die Geschlechter und deren Verhalten zurückgeführt. Asymmetrische grammatische Strukturen wie das ‚generische Maskulinum‘ (inkl. engl. man, he) sowie morphologische Ableitungsregeln gelten als Folgen bestehender gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse, als sprachliche Manifestationen der gesellschaftlichen Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern: Morphologische Derivationsverhältnisse, die zur morphologischen Komplexität solcher Bezeichnungen führen, die auf das nicht der Norm entsprechende Geschlecht referieren, […] kennzeichnen z.B. in patriarchalischen Gesellschaften die Zweitrangigkeit des Weiblichen als von der Norm abweichend. In solchen Gesellschaften wird aufgrund der bestehenden Herrschaftsverhältnisse die sprachliche Form pseudogenerisch verwendet, die mit dem als Norm gesetzten Geschlecht übereinstimmt. (Rabofski 1990: 150) Die f.L. geht aber über die Ebene der Beschreibung und Bewertung noch wesentlich hinaus, da sie sich nicht auf die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Geschlecht beschränkt. Einige der Linguistinnen und Linguisten leiten von der Beschreibung sprachlicher Gegebenheiten unmittelbar über zu Vorschlägen und Forderungen, die konkrete sprachliche Veränderungen betreffen. Feministische Linguistik ist deshalb, mit den Worten Schoenthals (1989: 312), „vollzogener Wandel und Wandel im Vollzug“. Es ist zu beachten, dass sich auch im Hinblick auf die angestrebten sprachlichen Veränderungen die Unterscheidung von System und Norm als relevant erweist, denn die Reformvorschläge, die in Form von Richtlinien, Verordnungen und sogar in Gesetzestexten verankert u.a. für die englische, deutsche, französische und spanische Sprache vorliegen, zielen in der Mehrzahl nicht auf Veränderungen des jeweiligen Sprachsystems, sondern auf Veränderungen der Gebrauchsnorm ab. So steht z.B. die Forderung, generische Maskulina bei Personen-, insbesondere bei Berufsbezeichnungen zu vermeiden und durch die Verwendung maskuliner und femininer Bezeichnungen auch explizit auf Frauen zu verweisen, durchaus im Einklang mit dem System der deutschen, spanischen und französischen Sprache, denn die Bildung femininer Personenbezeichnungen ist vom System dieser Sprachen her möglich. 227 Ähnlich äußert sich González (1985: 55) mit Blick auf die entsprechende Differenzierung im Spanischen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 189 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr 190 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Neben dieser üblicherweise als ‚Splitting‘ oder ‚Beidnennung‘ bezeichneten Strategie, die natürlich voraussetzt, dass feminine Personenbezeichnungen unter Nutzung der verschiedenen Möglichkeiten des Systems der jeweiligen Einzelsprache dort gebildet und verwendet werden, wo sie noch unüblich sind, wird vor allem die sogenannte ‚Neutralisation‘ propagiert. Diese Strategie sieht vor, die Kennzeichnung des Geschlechts wenn möglich zu umgehen und auf ‚wahrhaft‘ geschlechtsneutrale Ausdrücke zurückzugreifen. Zu diesem Zweck stehen z.B. die Epikoina zur Verfügung, die nicht in vergleichbare Oppositionsstrukturen eingebunden sind wie die generischen Maskulina (etwa dt. Person, fr. personne, sp. persona, gente u.a.). 228 In der deutschen Sprache kann außerdem auf Pluralformen von substantivierten Adjektiven und insbesondere Partizipien ausgewichen werden (die Studierenden, die wissenschaftlich Tätigen etc.). Auch diese Form der Sprachveränderung ist als systemkonform zu bezeichnen; sie bietet sich jedoch für die genannten Sprachen nicht in gleichem Umfang an, sondern ist - aufgrund der generellen Aufhebung der Genusdifferenzierung im Plural - vor allem in der deutschen Sprache eine gangbare Alternative zum generischen Maskulinum. Zu Veränderungen des Sprachsystems käme es also, falls die Durchsetzung einer dieser Strategien gänzlich gelänge, höchstens mittelbar: Die zunächst intendierten Veränderungen auf parole- und Normebene könnten sich langfristig systemverändernd auswirken insofern, als die Möglichkeit der geschlechtsindifferenten Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen aufgehoben werden könnte. Dies ist bis heute jedoch nicht geschehen - trotz des eingetretenen Sprachwandels, d.h. der generellen Frequenz der genannten Bezeichnungsalternativen. 229 228 In einigen Arbeiten werden die genannten Nomina als ‚generische Feminina‘ bezeichnet (vgl. z.B. Perissinotto 1985: 115; Yaguello 1989: 129). Dies ist aber aufgrund der Unterschiede zwischen diesen Ausdrücken und den generischen Maskulina auf jeden Fall abzulehnen. Generische Feminina sind vielmehr Substantive wie dt. die Katze, die sowohl geschlechtsneutral als auch geschlechtsspezifisch verwendet werden können (vgl.: Die Katze ist neben dem Hund das beliebteste deutsche Hautier vs. Ich habe eine Katze und einen Kater). 229 Veränderungsmaßnahmen, die unmittelbar in das Sprachsystem eingreifen würden und die deshalb wenig Chancen auf Durchsetzung haben, sind ebenfalls vorgeschlagen worden, etwa in Form der Einführung des geschlechtsneutralen, generischen Femininums (vgl. Samel 2 2000: 74ff.). Einige Vertreter der f.L. haben auch eine gänzliche Umstellung des Genussystems im Bereich der Personenbezeichnungen oder auch darüber hinaus zur Diskussion gestellt, z.B. Pusch (1984b: 62ff.) für die deutsche Sprache sowie die Asociación para la Promoción y Evolución Cultural (APEC) (vgl. García Meseguer 1977: 247ff.) und, in wohl unbewusster Anknüpfung an diese, Eisenberg (1985: 193ff.) für das Spanische. Allerdings sind derartige Vorschläge nicht wirklich mit dem Ziel der Umsetzung formuliert worden, vielmehr sollten sie zur Diskussion anregen und dazu beitragen, ein Problembewusstsein zu schaffen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 190 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Feministische Linguistik 191 Insgesamt ist die f.L., soviel ist hier deutlich geworden, weder eine Systemlinguistik, noch ist sie rein deskriptiv. Schon die Tatsache, dass Sprache bewertet wird, weist darauf hin, dass sie als eine Form von Sprachkritik anzusehen ist, auch wenn dieser Ausdruck als Selbstbezeichnung zumindest in älteren Arbeiten gemieden wird. Die über die Bewertung hinausgehende Tendenz, Sprache verändern zu wollen, veranlasst Schoenthal (1989), die f.L. in die Tradition der aufklärerischen Sprachkritik des 18. Jahrhunderts zu stellen, die sie auch hinsichtlich der Ziele für vergleichbar hält: Feministische Sprachkritik will wie aufklärerische Sprachkritik in die Sprache eingreifen, Sprache ändern. Selbst das angestrebte Ziel ist vergleichbar: Es läßt sich bei Leibniz, Jochmann und Campe mit dem Stichwort ‚Gemeinverständlichkeit‘ charakterisieren und ist damit dem Schlagwort feministischer Sprachkritik ‚Gleichbehandlung von Frauen und Männern‘ durchaus verwandt […]. (Ebd.: 300) Außerdem stimmen die beiden Strömungen - nach Schoenthal - aber auch in ihren grundlegenden Auffassungen zum Verhältnis von Sprache, Denken und Wirklichkeit überein. Diese Aussagen wollen wir im Folgenden etwas genauer betrachten. 3.1.3. Grundannahmen der feministischen Linguistik Die Motivation für die sprachkritischen und sprachreformerischen Tätigkeiten der f.L. liegt in den allgemeinen Annahmen zum Zusammenhang von Sprache, Wahrnehmung/ Denken und Gesellschaft begründet, die die Forschungen zum Thema Sprache und Geschlecht von Beginn an geleitet haben. Die verschiedenen Vertreter der f.L. gehen in der Regel davon aus, dass sich gesellschaftliche (Macht-)Strukturen auch sprachlich offenbaren und dass die Sprache ihrerseits zur Perpetuierung bestehender Hierarchien beiträgt. Konkret bedeutet dies: Einerseits zeigt sich die gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen auch in einer sprachlichen Benachteiligung, andererseits tragen diese sprachlichen Gegebenheiten nicht unwesentlich zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen status quo bei. Durch Veränderungen der Sprache bzw. des Sprachgebrauchs - z.B. im Bereich der Personenbezeichnungen - sollen die beklagten gesellschaftlichen Verhältnisse - z.B. bestehende Geschlechtsstereotypen - verändert bzw. ihre Veränderung erleichtert werden. Bleibt in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass für die englische Sprache eine ganze Reihe von Neologismen zur Schaffung eines ‚epicene pronoun‘ diskutiert worden sind, etwa E, Es, E; tey, ter, tem u.v.a. (vgl. Baron 1981: insb. 88ff. und MacKay 1980: insb. 445f.). Interessanterweise werden derartige Vorschläge - wie Baron (1981) zeigt - jedoch nicht erst im Rahmen der f.L. unterbreitet, sondern auch schon lange vor ihrem Aufkommen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 191 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr 192 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik In einigen, vor allem in den frühen Arbeiten der f.L. besteht jedoch die Tendenz, eine strikte Trennung zwischen Sprache und Gesellschaft bzw. generell zwischen Sprache und (nicht-sprachlicher) Wirklichkeit, als deren Bestandteil die gesellschaftliche Realität ja anzusehen ist, vorzunehmen und darauf aufbauend zu zwei gegenläufigen, aber gleichermaßen radikalen Annahmen zum Verhältnis dieser beiden Systeme zu gelangen: Most theories take up an absolute position on the question of language and reality. Either they see language quite unproblematically as a reflection of something else - usually an ill-defined ‚social organisation‘ or ‚thought‘ - or else they see it, equally unproblematically, as the source of that mental or social reality. Moreover, the terms of the debate are set in such a way that there cannot be any answer in between the two extremes. (Cameron 1985a: 169) Einerseits wird der Sprache also Abbildcharakter zugeschrieben, indem sie als Spiegel der patriarchalischen Gesellschafts- oder Denkstruktur aufgefasst wird; andererseits wird, oftmals unter expliziter Berufung auf die ‚Sapir- Whorf-Hypothese‘, die wirklichkeitskonstituierende Funktion von Sprache überbetont und herausgestellt, dass sexistische Sprache das Denken und die Wahrnehmung der Geschlechter determiniere und so für die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Zustände sorge. Zudem geht die Idee eines sprachlichen Determinismus oft mit der Auffassung einher, dass die Sprache von Männern kontrolliert werde: […] it is assumed that men control language, just as they control all other resources in a patriarchal society. It is men who decide what words will mean and who will have the right to use them. That is why language enshrines a male (and misogynist) view of the world. (Ebd.: 93) Diese Positionen, die größtenteils nicht näher begründet werden, sind in ihrer extremen Form sicherlich nicht haltbar. Weder kann die Funktion der Sprache auf bloße Abbildung von Wirklichkeit oder von Vorstellungen über die Wirklichkeit reduziert werden, noch lässt sich die sogenannte ‚starke‘ Version der sprachlichen Relativitätshypothese aufrechterhalten, der zufolge wir „‚prisoners‘ of our languages“ (Lakoff 1987: 329) sind. Geradezu absurd mutet es an, wenn davon ausgegangen wird, dass ‚die Sprache‘ von einer bestimmten Personengruppe, in diesem Fall der Gruppe der Männer, kontrolliert oder gar von ihnen ‚gemacht‘ werde, wie z.B. der Titel von Dale Spenders Buch Men Made Language nahelegt. 230 230 Für eine eingehende Darstellung und Kritik der oftmals zu kurz greifenden Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Gesellschaft bzw. Sprache und Realität in (frühen) feministischen Arbeiten sei exemplarisch auf die Ausführungen von Postl (1991: 101-106) sowie auf Cameron (1985a/ 2 1992) verwiesen, die sehr detailliert auf verschiedene feministische TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 192 16.12.2008 13: 08: 37 Uhr Feministische Linguistik 193 Dass diese Positionen in ihrer extremen Form unhaltbar sind, bedeutet nun jedoch nicht, dass sie in toto abzulehnen wären. Generell kann eine Wechselbeziehung zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit, inklusive gesellschaftlicher Realitäten, nicht geleugnet werden. Zunächst ist hervorzuheben, dass Sprache von gesellschaftlichen Verhältnissen selbstverständlich nicht völlig losgelöst ist, da sie einen wesentlichen Bestandteil der Gesellschaft bildet. Nimmt man mit Wittgenstein (PU: § 23) an, „daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit oder einer Lebensform“, so kann auch davon ausgegangen werden, dass eine bestimmte Einzelsprache von gesellschafts- und kulturspezifischen ‚Tätigkeiten und Lebensformen‘ geprägt ist. Berechtigterweise kann also vorausgesetzt werden, dass sich kulturelle Werte auch in der Sprache niederschlagen, nicht aber, dass die Sprache diese Werte 1 : 1 abbildet. Zum anderen kann ein gewisser Einfluss der Sprache auf Denken und Wahrnehmung nicht geleugnet werden. Kutschera ( 2 1975: 308) stellt fest: Wenn man […] den einzelnen betrachtet, so ist es sinnvoll zu sagen, daß er von der Kultur, in die er hineingeboren wird, geprägt wird, und es ist auch sinnvoll zu sagen, daß die Sprache, die er übernimmt, seine Erfahrungsweise mitbestimmt […]. Weil wir mit der Sprache […] gewisse Unterscheidungen und Bestimmungen erlernen und nicht nur lernen, immer schon geübte Unterscheidungen und Bestimmungen auszudrücken, beeinflußt die Sprache die Art und Weise, wie der einzelne erfährt und wahrnimmt, und was er wahrnimmt […]. Eine modifizierte Version der sogenannten ‚starken‘ Sapir-Whorf-Hypothese, die nicht von einer Determinierung des Denkens durch die Sprache ausgeht, sondern der Sprache lediglich einen gewissen Einfluss auf die Wahrnehmung Sprachauffassungen eingeht; speziell gegen abbildtheoretische Annahmen wendet sich Berg (1992). Eine detaillierte Diskussion zum Thema Determinismus und Relativität findet sich z.B. bei Lakoff (1987: 304-338); er zeigt auch, dass es sich um eine unzulässige Simplifizierung handelt, wenn die Whorfsche Position mit Determinismus gleichgesetzt wird. Bleibt auf ein weiteres Defizit hinzuweisen, das sich ebenso wie der Verweis auf die (‚starke‘) Sapir-Whorf-Hypothese und die Idee von der männlichen Kontrolle eher in (frühen) angloamerikanischen Arbeiten offenbart: Im Rahmen der Thematisierung grundlegender Annahmen bleibt oftmals unklar, was jeweils unter ‚der Sprache‘ verstanden werden soll. Black/ Coward (1990: 115) stellen mit Bezug auf Spender (1980) Folgendes fest: „She employs the term ‚language‘ to cover a variety of different phenomena - anything and everything that has to do with words. We are left, therefore, either with a theoretically useless, common-sense notion of ‚language‘, or with the undifferentiated empiricist notion that underlie much of the sex-language research“. Der Grund für dieses Defizit ist Black/ Coward zufolge darin zu sehen, dass gängige Differenzierungen wie die Saussuresche Unterscheidung von langue und parole oder Chomskys Kompetenz-Performanz-Dichtomie abgelehnt werden, ohne dass alternative Spezifizierungen angeboten würden (vgl. ebd.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 193 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 194 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik und das Denken des Einzelnen zuspricht, erscheint durchaus vertretbar, zumal sie auch durch einige empirische Untersuchungen gestützt wird (vgl. ebd.: 309f. und Lakoff 1987: 330ff.). 231 Sogar einige Gedanken, die mit der in jedem Falle abzulehnenden Auffassung einer männlichen Kontrolle über die Sprache verbunden sind, haben eine gewisse Berechtigung. Es ist nämlich zuzugestehen, dass bestimmte Personengruppen z.B. aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und/ oder starker öffentlicher Präsenz mehr Einfluss auf Sprache nehmen als andere. So können beispielsweise Personen, die als Autoritäten auf sprachlichem Gebiet angesehen werden, sprachliche Regeln normativ setzen. Diese präskriptiven Normen können dann, als Normkonzepte formuliert, Eingang finden etwa in Grammatiken und Wörterbücher. Sofern die fixierten Normkonzepte von der Sprachgemeinschaft zunächst akzeptiert, dann als geltend empfunden werden, d.h. wenn sie „internalisiert und ohne äußeren Druck seitens der Normautorität oder ihrer Repräsentanten Richtlinie und Korrekturmaßstab für Verhalten“ sind und wenn „die Übereinstimmung mit der Norm die unmittelbare Rechtfertigung eines Verhaltens darstellt bzw. von der Norm abweichendes Verhalten Kritik oder zumindest Nachfragen veranlaßt“ (Frank 1992: 98), wirken sie Tendenzen sprachlichen Wandels entgegen und weisen andere parallel existierende sprachliche Konventionen als falsch aus. Hierbei ist zu beachten, dass die den (präskriptiven) Normen zugrunde liegenden Normkonzepte nicht unbedingt als Konventionen existiert haben müssen, d.h., dass sich die Normautoritäten nicht in jedem Fall an der bestehenden Sprachnorm, im Sinne Coserius, orientieren müssen (vgl. ebd.: 99). Diejenigen, die für die Formulierung von Normkonzepten sorgen, üben also durchaus einen gewissen Einfluss auf die Sprache, genauer auf das sprachliche Verhalten der Sprachgemeinschaft aus, immer vorausgesetzt, dass die Normen tatsächlich Geltung erlangen. Da die Formulierung von Normkonzepten, zumindest in der Vergangenheit, (fast? ) ausschließlich von Männern geleistet wurde, muss eingeräumt werden, dass prinzipiell die Möglichkeit besteht, dass bestimmte Normen (auch) durch eine ‚männliche‘, androzentrische Sichtweise motiviert sind und dass sich diese für Frauen benachteiligende Perspektive in den kodifizierten sprachlichen Normen niederschlägt. Die Befolgung dieser Normen von Seiten der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft, ihre Integration auf der Ebene der deskriptiven Norm, könnte dann wiederum dazu beitragen, dass diese Frauen zum Nachteil gereichende Perspektive fortbesteht, womit wir wieder bei dem Einfluss der Sprache auf Denken, Wahrnehmung und Verhalten wären. 231 Auch die empirischen Untersuchungen zum generischen Maskulinum werden z.T. ausdrücklich als Beleg für die linguistische Relativitätsthese angesehen; dies werden wir in Abschnitt 3.5. noch sehen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 194 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Generisches Maskulinum 195 Insgesamt erweisen sich die dargestellten Auffassungen also durchaus als vertretbar und auch als miteinander vereinbar, wenn sie nicht absolut formuliert, sondern mit bestimmten Einschränkungen versehen werden. Dieser Erkenntnis wird auch innerhalb der f.L. Rechnung getragen. Bereits seit den 1980er Jahren werden die radikalen Positionen kritisch diskutiert, wie z.B. bei Cameron (1985a/ 2 1992), und die Grundannahmen entsprechend modifiziert, wie beispielsweise die folgende Aussage Silveiras (1980: 173) zur Sapir-Whorf- Hypothese zeigt: The strong version of Sapir-Whorf says that language is the only cause of thought content and also implies that thought does not affect language. This hypothesis is clearly incorrect, discussing it is just setting up a strawperson. The weak version, discussed here, says that language is a cause of thought content and leaves open the possibility that thought affects language. Determinismus und Abbildtheorie werden in zunehmendem Maße durch eine realistischere Einschätzung des Zusammenhangs von Sprache, Wahrnehmung/ Denken und Gesellschaft ersetzt. Es wird zumeist klar herausgestellt, dass der Sprache in Bezug auf den Bestand und die Veränderung sexistischer Vorstellungen und Gesellschaftsstrukturen nur eine relativ marginale Rolle zugeschrieben werden kann: Eine bestimmte Sprache bzw. ihre Verwendung ist weder Hauptursache für Sexismus, noch kann das System einer Einzelsprache als Indikator für die Herrschaftsstrukturen der jeweiligen Gesellschaft angesehen werden. Auch die sprachlichen Veränderungsmaßnahmen gelten in der Regel nicht (mehr) als Mittel zur Abschaffung gesellschaftlicher Missstände; Martyna (1983: 30) stellt fest: „Attempts to change the language are not attempts to change society in its entirety; they are attempts to change the language, as one aspect of society“. 3.2. Generisches Maskulinum Wie im letzten Abschnitt angesprochen wurde, bildet das generische Maskulinum von Beginn an eines der Hauptuntersuchungsgebiete der f.L. Bevor wir uns mit der Kritik am generischen Maskulinum und den ‚Reaktionen‘ auseinandersetzen, die diese hervorgerufen hat, soll an dieser Stelle zunächst noch einmal deutlich gemacht werden, was unter ‚generischem Maskulinum‘ zu verstehen ist; hierbei soll auch skizziert werden, wie es im Französischen, Spanischen und Deutschen ausgeprägt ist und welche Mittel in anderen Genussprachen in entsprechenden Kontexten zur Verfügung stehen. Im zweiten Teil der Arbeit haben wir festgestellt, dass die Genusdifferenzierung im Spanischen, Französischen und Deutschen zur (zum Teil redundan- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 195 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 196 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik ten) Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts im Bereich der Personenbezeichnungen genutzt wird. Dies ist jedoch insofern zu präzisieren, als maskuline Personenbezeichnungen eben nicht auf die geschlechtsspezifische Verwendung begrenzt sind; vielmehr können sie in der Regel auch geschlechtsneutral oder ‚generisch‘ verwendet werden. 232 Sie treten also sowohl in Kontexten auf, in denen auf eine (oder mehrere) Person(en) männlichen Geschlechts referiert wird, als auch in solchen, in denen vom Merkmal Geschlecht abstrahiert wird, d.h. in denen das Geschlecht der Referenten unbekannt oder unerheblich ist oder auf Personen beiderlei Geschlechts Bezug genommen wird. Eine andere Möglichkeit, eine „‚evasive‘ form“ (Corbett 1991: 221), die allein der geschlechtsindifferenten Verwendung dient, gibt es in den genannten Sprachen nicht. Im Deutschen wäre eine solche Form prinzipiell vorstellbar: Es könnte das Genus Neutrum zur generischen Referenz verwendet werden. Für die beiden anderen Sprachen, die nur über zwei Genera verfügen, könnten potentiell nur übergeordnete Bezeichnungen als Ausweichformen eintreten. Dass keine gesonderte Form zur Verfügung steht, dass vielmehr das Maskulinum die genannte Doppelfunktion erfüllt, ist nun aber keineswegs ein besonderer Zug dieser Sprachen. Wie die Angaben in Corbett (1991) zeigen, wird nur in sehr wenigen Sprachen, die über mehr als zwei Genera verfügen und in denen ein vergleichbarer Zusammenhang zwischen Genus und Sexus besteht, eines der Genera zur geschlechtsneutralen Verwendung genutzt. Sofern diese Verwendungsmöglichkeit besteht, ist sie nicht unbedingt für alle Personenbezeichnungen gegeben. 233 Sprachen, die für alle Personenbezeichnungen eine geschlechtsindifferente Sonderform aufweisen, gibt es wohl überhaupt nicht, und nur selten steht ein besonderes Pronomen zur Verfügung. Corbett (1991: 223) stellt fest: It seems that an additional pronoun is possible, but it seems unlikely that a language with extensive agreements would have a full extra set merely for referents of unknown sex. 234 232 Dies gilt auch für einige Tierbezeichnungen (etwa dt. Hund, sp. perro, fr. chien), auf die wir im Folgenden nicht weiter eingehen. 233 Eine Sprache, in der das Neutrum regelhaft bei geschlechtsindefiniten Personenbezeichnungen sowie bei Bezeichnungen auftritt, die Personen beiderlei Geschlechts denotieren, ist zum Beispiel Isländisch (vgl. Corbett 1991: 298). Auch im Archi, einer nordkaukasischen Sprache, fungiert eines der insgesamt vier Genera (im Plural) als ‚evasive gender‘. Im Polnischen sowie im Serbischen/ Kroatischen kann in entsprechenden Kontexten hingegen nur in einigen wenigen Fällen auf das Neutrum zurückgegriffen werden; normalerweise tritt auch hier das Maskulinum als generische Form ein (vgl. Corbett 1991: 222f.). 234 Beispiele für Sprachen, die im pronominalen Bereich spezielle target genders für nichtprototypische controller (im skizzierten Sinne) aufweisen, finden sich bei Plank/ Schellinger (1997: insb. 79f.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 196 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Generisches Maskulinum 197 In den meisten Sprachen liegen also ähnliche Verhältnisse vor: Normalerweise wird bei Personenbezeichnungen ein bestimmtes Genus regelhaft sowohl geschlechtsspezifisch als auch geschlechtsneutral verwendet. Dies muss jedoch nicht unbedingt das Maskulinum oder besser dasjenige Genus sein, welches bei Bezeichnungen auftritt, die der spezifischen Referenz auf männliche Personen dienen; auch der umgekehrte Fall kommt vor, wenn auch seltener. 235 Fest steht, dass in den hier untersuchten indoeuropäischen Sprachen in der Regel die maskuline Personenbezeichnung beide Funktionen erfüllt, während das entsprechende Femininum allein geschlechtsspezifisch verwendet werden kann, also immer darauf schließen lässt, dass auf eine weibliche Person referiert wird. Diese allgemeine Regel ist für den größten Teil aller Personenbezeichnungen gültig, und dennoch gibt es in jeder der drei Sprachen auch einzelne Bereiche, in denen das Maskulinum nicht oder nur eingeschränkt geschlechtsneutral verwendet werden kann. Auf einige dieser Fälle soll im Folgenden hingewiesen werden. Vergleicht man die genannten Sprachen, so stellt man zunächst fest, dass Anzahl und Art der Personenbezeichnungen, auf die die Regel des generischen Maskulinums zutrifft, variieren, was vor allem mit grammatischen und lexikalischen Differenzen der Einzelsprachen zusammenhängt. So erhöht die numerusbedingte Aufhebung der Genusdifferenzierung im Deutschen die Anzahl der eindeutig geschlechtsneutralen Bezeichnungen: Alle Personenbezeichnungen, bei denen die Geschlechtskennzeichnung im Singular allein über die (oppositive) Genusmarkierung erfolgt, sind - wie in 2.3.2.2. gezeigt werden konnte - im Plural geschlechtsneutral. Des Weiteren müssen die kongruierenden Elemente bei koordinierten Nominalphrasen, die aus Nomina mit unterschiedlichem Genus bestehen, im Deutschen nicht auf ein bestimmtes Genus abgestimmt werden, während im Französischen und auch im Spanischen in solchen Fällen in der Regel maskuline Formen eintreten, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei den Nomina um Personenbezeichnungen handelt oder nicht. Vgl. hierzu - exemplarisch - die folgenden französischen Beispiele: (149) Fr. (a) Le livre et le cahiers, ils sont neufs vs. La chaise et la table, elles sont neuves vs. La chaise et le fauteuil, ils sont neufs 235 Generisches Femininum gibt es, laut Corbett (1991: 220f.), unter anderem in einigen indigenen nordamerikanischen Sprachen (z.B. in irokesischen Sprachen) sowie in verschiedenen afrikanischen Sprachen (z.B. im Maasai, einer nilotischen Sprache Ostafrikas). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 197 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 198 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik (b) Mon frère et mon père, ils sont partis vs. Ma mère et ma sœur, elles sont parties vs. Ma mère et mon père, ils sont partis 236 Differenzen, die auf Unterschiede in der lexikalischen Struktur zurückzuführen sind, zeigen sich am deutlichsten im Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen; hier hebt sich die spanische Sprache - wie in 2.4. bereits herausgestellt wurde - stark von der deutschen und französischen ab. In den letztgenannten Sprachen liegen in diesem Bereich überwiegend symmetrische Strukturen vor: Die Kennzeichnung des Geschlechts erfolgt in der Regel lexeminhärent, so dass sowohl die femininen als auch die maskulinen Bezeichnungen nur geschlechtsspezifisch verwendbar sind. Zur geschlechtsneutralen Verwendung steht in einigen (wenigen) Fällen ein übergeordnetes Lexem zur Verfügung; vgl.: (150) Dt. der Junge/ das Mädchen das Kind der Bruder/ die Schwester die Geschwister (151) Fr. le père/ la mère les parents Zumeist handelt es sich bei diesen übergeordneten Bezeichnungen jedoch um Pluraliatantum. Will man sich in einer Äußerung ausdrücklich auf nur eine Person beziehen, so muss auf andere Möglichkeiten zurückgegriffen werden (vgl. dt. Elternteil, fr. mère ou père). Dies gilt auch, wenn keine übergeordnete Bezeichnung existiert, so z.B. im Falle von fr. frère(s) et sœur(s) für dt. Geschwister. Nur bei einigen wenigen Verwandtschaftsbezeichnungen des Französischen, im Falle derer das Geschlecht via Differentialgenus im engeren Sinne spezifiziert wird, ist die maskuline Bezeichnung im Plural nicht auf die geschlechtsspezifische Verwendung begrenzt; so bei cousins (vgl. Coseriu 2 1992: 225). Im Spanischen verhält es sich anders: Wie wir in 2.4. herausgestellt haben, gibt es im gesamten Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen nur sehr wenige Beispiele, bei denen sich unterschiedliche Lexeme gegenüberstehen 236 Die skizzierte Regularität der Markierung des kongruierenden Elements durch die Pluralform des Maskulinums greift in erster Linie bei den Pronomina. Insbesondere bei adjektivischen Attributen sind Genus- und ggf. Numerusmarkierung in entsprechenden Konstruktionen schwankend; die Markierung richtet sich hier auch häufig nach dem nächststehenden Glied (etwa sp. alumnos y alumnas entrevistadas). Dies gilt vor allem für das Spanische (vgl. Nissen 1997a). Im Französischen ist die Kongruenz mit dem nächststehenden Glied hingegen bis heute stark abgebaut worden. Inwieweit dieser Abbau und damit auch die Ausweitung des generischen Maskulinums auf das Wirken französischer Normautoritäten zurückgeht, wäre noch eingehender zu untersuchen (vgl. hierzu die Angaben von Grevisse 13 1993: 672ff. und Schafroth 2003: 110, 2004: 345). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 198 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Generisches Maskulinum 199 (padre vs. madre, yerno vs. suegra). Bei einem Großteil der Bezeichnungen handelt es sich um Fälle von Differentialgenus im engeren Sinne. Übergeordnete Lexeme fehlen hier gänzlich und selbst Bezeichnungen wie los padres, los suegros etc. können generisch verwendet werden. 237 Allerdings gilt dies nur für die Pluralformen, im Singular wird man auch hier auf die Nennung beider Bezeichnungen - der femininen und der maskulinen - ausweichen müssen (etwa mi padre o mi madre). Für die allein durch das Genus differenzierten Bezeichnungen besteht diese Beschränkung auf den Plural zum Teil ebenfalls. So ist z.B. die Äußerung Ich hätte gern einen Bruder oder eine Schwester nicht mit Me gustaría tener un hermano, sondern mit Me gustaría tener un hermano o una hermana zu übersetzen; andererseits kann aber z.B. hijo in einigen Fällen auch im Singular im Sinne von dt. Kind verwendet werden (Ich hätte gern ein Kind entspricht durchaus Me gustaría tener un hijo). 238 Die letztgenannten Beispiele belegen, dass nicht nur gefragt werden kann, welche Bezeichnungen in einer Sprache generisch verwendet werden können, sondern ebenso, in welchem Maße sie generisch verwendet werden können. Und in diesem Punkt kann man sowohl interals auch intralinguale Vergleiche anstellen. Bei einer Reihe von Maskulina wird man sehen, dass sie allein in der Pluralform, bei anderen, dass sie vornehmlich im Plural und nur in Ausnahmefällen im Singular geschlechtsneutral verwendbar sind. Doch nicht immer wird die Numerusopposition ausschlaggebend sein. So treten z.B. sp. hombre oder fr. homme generell nur in ganz speziellen Kontexten unter Ausblendung der Sexuskennzeichnung im Sinne von dt. Mensch auf (vgl. hierzu auch Coseriu 2 1992: 225f.). Wie wir in Abschnitt 2.4. ebenfalls bereits angesprochen haben, zeigen sich auch in Bezug auf die Möglichkeit (bzw. die Üblichkeit), mit maskulinen Bezeichnungen ausdrücklich auf weibliche Personen zu referieren, erhebliche interlinguale Differenzen. Aber auch in diesem Punkt ist nicht nur festzustellen, dass die Maskulina im Französischen und Deutschen (nach wie vor) eher zur Referenz auf weibliche Personen gebraucht werden als im Spanischen, vielmehr werden auch hier wieder intralinguale Differenzen offenbar; vgl. etwa (152) Dt. (a) Sie ist Tierarzt vs. (b) *Sie ist Spanier (153) Fr. (a) Elle est docteur vs. (b) *Elle est étudiant 237 Bei der Übersetzung dieser Ausdrücke ins Deutsche oder Französische wird man unter Rückgriff auf Ko- und Kontext also zwischen zwei Lexemen entscheiden müssen, z.B. für los padres entweder die Väter/ les pères oder die Eltern/ les parents wählen. 238 Speziell zum Beispiel hijo vgl. auch Roca (2005: 410ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 199 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 200 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Diese Unterschiede hinsichtlich des Anwendungsumfangs von maskulinen Personenbezeichnungen können sicherlich zum Teil damit erklärt werden, dass die femininen Bezeichnungen in unterschiedlichem Maße auf der Ebene der Norm etabliert sind. Es gilt: Je gebräuchlicher die femininen Bezeichnungen, desto auffälliger ist es, wenn mit einem Maskulinum auf eine weibliche Person Bezug genommen wird. Dies kann so weit gehen, dass der Gebrauch des Maskulinums unmöglich wird. Hierbei sind die Differenzen im ‚Usualitätsgrad‘ - sowohl innerhalb einer Sprache als auch zwischen den Einzelsprachen - wiederum darauf zurückzuführen, dass die Bildung femininer Personenbezeichnungen einfacher oder schwieriger sein kann und dass die Feminina morphologisch ebenso komplex wie die Maskulina oder komplexer als diese sein können. Mit Schwierigkeiten bei der Femininbildung ist z.B. zu rechnen, wenn es in der betreffenden Sprache kein einheitliches Bildungsmuster gibt. Dies ist im Französischen der Fall. Demgegenüber ist im Deutschen das Suffix -in überaus produktiv, und im Spanischen erweist sich die hohe formale Durchsichtigkeit des Genussystems als vorteilhaft. In Einzelfällen kann die Femininbildung aber auch aus unterschiedlichen Gründen blockiert sein. 239 Wenn die femininen Bezeichnungen komplexer sind als die maskulinen, ist insofern mit einer breiteren Verwendung des Maskulinums zu rechnen, als dies dem Ökonomieprinzip entspricht. Generell dürfte aber auch gelten, dass, wenn sich die Bildung und Verwendung von Feminina in einem Teilbereich der Personenbezeichnungen erst einmal durchgesetzt hat, auch in anderen Teilbereichen, in denen bislang das Maskulinum verwendet wurde, Feminina gebildet und gebraucht werden. 240 Wie man am Beispiel der spanischen Sprache sieht, wirkt sich die Gebräuchlichkeit der Feminina allein auf die Möglichkeit aus, mit maskulinen Bezeichnungen ausdrücklich auf weibliche Personen zu referieren. Die übergeordnete Funktion des Maskulinums wird hierdurch also nicht unbedingt eingeschränkt. Wir wollen es bei diesen Hinweisen belassen und abschließend festhalten, dass auf der Ebene des Sprachsystems zwar generell eine semantische Asymmetrie zwischen maskulinen und femininen Personenbezeichnungen besteht, dass das Ausmaß oder der Grad der Geschlechtsneutralität der Maskulina aber aus verschiedenen Gründen jeweils unterschiedlich ausfällt; diese Unterschiede offenbaren sich sowohl beim Vergleich verschiedener Einzelsprachen als auch bei der Betrachtung des Personenbezeichnungssystems einer Einzelsprache. Insgesamt ist dieser Problembereich noch nicht im Einzelnen unter- 239 Hierauf kommen wir in Abschnitt 3.3.1.2. zu sprechen. 240 Diese Entwicklung hat sich z.B. in der spanischen Sprache im Bereich der Verb+Nomen- Komposita vollzogen. Im Normalfall weisen diese Komposita maskulines Genus auf, bei Personenbezeichnungen richtet sich das Genus im heutigen Sprachgebrauch aber ebenfalls nach dem Geschlecht des Referenten, z.B. el/ la guardaespaldas, el/ la aguafiestas etc. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 200 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Die Kontroverse 201 sucht worden, und zwar auch von der feministischen Linguistik nicht, die hier eigentlich ein besonderes Interesse haben müsste. 241 Bleibt auf die Verhältnisse im Englischen hinzuweisen: Natürlich gibt es infolge der in 2.6. beschriebenen Charakteristika des englischen Genus- und Personenbezeichnungssystems hier kein generisches Maskulinum im engeren Sinne. Eine semantische Asymmetrie, die mit der maskuliner und femininer Personenbezeichnungen im Deutschen, Französischen und Spanischen vergleichbar ist, zeigt sich aber z.B. bei dem Pronomen he und dem Ausdruck man (inklusive Komposita). Diese können im Gegensatz zu den entsprechenden Feminina (she und woman) ebenfalls sowohl geschlechtsspezifisch als auch geschlechtsneutral verwendet werden. Man spricht daher auch von ‚generic he‘ und ‚generic man‘. 3.3. Die Kontroverse um das generische Maskulinum Wir wollen uns nun der Diskussion um das generische Maskulinum zuwenden und zeigen, wie unterschiedlich die aufgezeigten Asymmetrien im Bereich der Personenbezeichnungen beurteilt werden. Wie oben angegeben, soll bei der Darstellung der feministischen Positionen, die am Anfang dieses Kapitels steht, auch auf die Heterogenität der Aussagen innerhalb dieser Strömung eingegangen werden. Generell werden hier die Auffassungen verschiedener LinguistInnen unterschiedlicher Herkunft, die sich zum Teil auf bestimmte Einzelsprachen beziehen, berücksichtigt. Die im Anschluss zu leistende Schilderung der Gegenseite wird aber vor allem auf der Grundlage deutscher Texte erfolgen, da die Diskussion im wissenschaftlichen Rahmen vorwiegend in Deutschland geführt worden ist. 242 241 Dass dieser Bereich noch nicht ausreichend behandelt worden ist, bemerkt auch Coseriu ( 2 1992: 225f.), der auf einige der hier angegebenen inter- und intralingualen Differenzen hinweist. Seine insgesamt recht knappen Ausführungen wurden an dieser Stelle nicht näher einbezogen, um der in Abschnitt 3.3.2. zu leistenden Darstellung des strukturalistischen Beschreibungsansatzes nicht vorgreifen zu müssen. 242 Dies gilt für die Bundesrepublik, während in der ehemaligen DDR dem Thema ‚Sprache und Geschlecht‘ generell nur geringe Aufmerksamkeit gewidmet wurde (vgl. Gorny 1995: 555f.). In anderen Ländern Europas, z.B. in Frankreich, hat die feministische Sprachkritik zwar ebenfalls zu heftigen Auseinandersetzungen Anlass gegeben, doch wurde hier hauptsächlich in der breiteren Öffentlichkeit und nicht in sprachwissenschaftlichen Fachzeitschriften diskutiert. Die von linguistischen Laien vorgebrachten Gegenargumente beziehen sich dann auch nicht in erster Linie auf die sprachliche Ebene, sondern sie sind eher allgemeiner Art; aus diesem Grunde werden sie im Folgenden nur am Rande berücksichtigt. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 201 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 202 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik 3.3.1. Feministische Position(en) Wie in Abschnitt 3.1. herausgestellt wurde, zeichnet sich die f.L. unter anderem dadurch aus, dass sprachliche Daten im Lichte bestimmter gesellschaftlicher Zustände gesehen werden, wobei Sprache generell unter einer doppelten Perspektive betrachtet wird: zum einen unter dem ‚Ursacheaspekt‘, zum anderen unter dem ‚Wirkungsaspekt‘. ‚Ursacheaspekt‘ soll heißen, dass nach den gesellschaftlichen Ursachen bestimmter sprachlicher Daten gefragt wird, gemäß der Grundannahme, die besagt, dass Sprache (auch) als Ergebnis gesellschaftlicher Verhältnisse oder Entwicklungen aufgefasst werden kann; ‚Wirkungsaspekt‘ bedeutet, dass nach den Wirkungen gefragt wird, die bestimmte sprachliche Strukturen auf die Wahrnehmung der Sprachbenutzer haben. Diese Fragestellung ergibt sich, da vorausgesetzt wird, dass Sprache als auf die Sprachgemeinschaft und somit auf die Gesellschaft wirkende Kraft angesehen werden kann und deshalb indirekt für den Bestand oder die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse sorgt. Bezogen auf das generische Maskulinum geht es in erster Linie um den ‚Wirkungsaspekt‘, d.h. um die für Frauen negativen Auswirkungen der generischen Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen oder solcher Ausdrücke, die sowohl der spezifischen Referenz auf männliche Personen dienen können als auch geschlechtsneutral verwendbar sind (z.B. engl. he und man). Es ist zu beachten, dass in diesem Zusammenhang nicht in erster Linie die langue betrachtet wird, sondern dass es primär um parole-Phänomene geht, denn es wird ja konstatiert, dass die Verwendung des generischen Maskulinums einen gewissen Einfluss auf die Wahrnehmung der Rezipienten sprachlicher Äußerungen hat. Anders verhält es sich bei den zumeist nur zwischen den Zeilen herauszulesenden Thematisierungen des ‚Ursacheaspekts‘, da hier versucht wird, die Existenz des generischen Maskulinums auf der Ebene der langue oder dessen Etablierung auf der Normebene gesellschaftlich zu begründen. Obwohl detaillierte Untersuchungen des ‚Ursacheaspekts‘ selten sind, fehlt es in einigen Arbeiten dennoch nicht an generellen Aussagen, aus denen hervorgeht, dass die Existenz des generischen Maskulinums als gesellschaftlich bedingte Erscheinung angesehen wird. Im ersten Abschnitt sollen diese Aussagen illustriert, 243 im zweiten die Ausführungen zu den Wirkungen des generischen Maskulinums dargestellt werden. 243 Da die Ausführungen zu den Ursachen der Etablierung des Englischen ‚generic he‘ anders ausfallen als die zum generischen Maskulinum, wird auf das Englische gesondert eingegangen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 202 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Die Kontroverse 203 3.3.1.1. Aussagen zu gesellschaftlichen Ursachen a) Das generische Maskulinum Die Existenz des generischen Maskulinums wird in einigen Arbeiten der f.L. ganz allgemein mit der männlichen Vormachtstellung in der Gesellschaft, mit der ‚patriarchalischen Gesellschaftsstruktur‘ in Verbindung gebracht, ohne dass das Verhältnis zwischen Sprachsystem und gesellschaftlichem System eindeutig geklärt wird. Genaue Ausführungen zur vorausgesetzten kulturellen bzw. gesellschaftlichen Bedingtheit des generischen Maskulinums sind selten. Zumeist ist in diesem Zusammenhang lediglich davon die Rede, dass der Mann auch in der Sprache dominiere (vgl. Trömel-Plötz 1978: 56). Im generischen Maskulinum wird also offenbar eine sprachliche Parallele zu der gesellschaftlichen Dominanz von Männern gesehen. Einigen FeministInnen zufolge „reflektiert unsere Sprache und unser Sprechen die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in unserer Gesellschaft“ (ebd.: 64/ Hervorheb. von mir), andere meinen, dass „die deutsche Sprache […] wie die meisten anderen Sprachen ein patriarchalisch organisiertes System“ sei (Pusch 1984b: 48). Wie und wann aber die gesellschaftlichen Verhältnisse ihren Niederschlag in der Struktur der Sprache gefunden haben sollen, bleibt unklar, wenn wie bei Trömel-Plötz (1978: 53) lediglich allgemein bemerkt wird: „Weder die Wahl einer solchen Form in der Sprache ist zufällig noch der Effekt unbeabsichtigt […].“ In ähnlicher Weise legen auch andere Formulierungen nahe, dass es gesellschaftliche Ursachen für das generische Maskulinum gebe: Viele Forscher und Forscherinnen setzen z.B. voraus, dass u.a. aufgrund der semantischen Asymmetrie zwischen maskulinen und femininen Personenbezeichnungen von einem ‚Sexismus in der Sprache‘, d.h. in verschiedenen Einzelsprachen, ausgegangen werden könne, der sexistische Strukturen in der jeweiligen Gesellschaft widerspiegele. Perissinotto, der anhand einiger spanischer Beispiele aufzeigt, dass das Maskulinum das ‚dominante‘ Genus ist („[…] la forma masculina [es] la que impera y domina“ (Perissinotto 1985: 116/ Hervorheb. von mir)), konstatiert in diesem Sinne Folgendes: En visto de lo anterior, la acusación ‚El español es una lengua sexista‘ es una afirmación que debe examinarse desde la perspectiva y premisa de que en realidad la estructura lingüística es un reflejo del sexismo de la sociedad. (Ebd.) Ebenso sieht Eisenberg (1985) seine Ausführungen zum spanischen Personenbezeichnungssystem offenbar als eine Arbeit über „grammatical sexism in Spanish“ an, denn so lautet der Titel seines Aufsatzes. Vor allem aufgrund der oben aufgezeigten Charakteristika des Spanischen im Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen stellt er fest, dass die spanische Sprache unter den „major world languages“ diejenige ist, „in which the masculine most dominates, TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 203 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 204 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik linguistically, the feminine“, und diese Feststellung veranlasst ihn dazu, das Spanische als „the most sexist language“ zu bezeichnen (ebd.: 190). Obwohl er ausdrücklich nicht davon ausgeht, dass diese sprachlichen Gegebenheiten den Grad an Sexismus in der spanischen Gesellschaft indizieren, bemerkt er: „[…] some link between the language and the culture is undeniable“ (ebd.: 191). García Meseguer (1977) kommt im Anschluss an den Vergleich der Genussysteme mehrerer europäischer Sprachen zu dem gleichen Ergebnis wie Eisenberg: Er stellt einen „Sexismus-Index“ (Bierbach 1992: 283) auf, der das Spanische als die sexistischste der untersuchten Sprache ausweist (vgl. García Meseguer 1977: 205-212). Indem er sprachliche und gesellschaftliche Strukturen ausdrücklich in Bezug setzt, geht er aber noch einen Schritt weiter als Eisenberg, er folgert: Este resultado, que ordena los idiomas según una secuencia bastante paralela a las sociedades correspondientes en lo que a sexismo se refiere, no puede ser casual. (Ebd.: 211) Genauere Ausführungen zu den offenbar vorausgesetzten Zusammenhängen zwischen gesellschaftlichen und sprachlichen Strukturen fehlen aber auch hier. Ein Nachweis darüber, auf welche Art und Weise sexistische Gesellschaftsstrukturen ihren Niederschlag in den Systemen der untersuchten Einzelsprachen gefunden haben sollen, wird nicht erbracht. 244 Insgesamt stellen wir fest, dass in den bislang betrachteten Arbeiten ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis zwischen gesellschaftlichem und sprachlichem System implizit unterstellt wird, wenn von einer Widerspiegelungsfunktion der Sprache, vom ‚Sexismus in der Sprache‘ oder Ähnlichem die Rede ist. Die Formulierungen lassen erkennen, dass die semantische Asymmetrie zwischen femininen und maskulinen Personenbezeichnungen offenbar auf gesellschaft- 244 García Meseguers „Sexismus-Messung“ (Bierbach 1992: 283), die u.a. aufgrund der vergleichenden Analyse der Genuskongruenz erhoben wird, ist auch in anderer Hinsicht höchst zweifelhaft. So ist prinzipiell nicht einzusehen, wieso interlinguale Unterschiede hinsichtlich der Anzahl der im Genus kongruierenden Elemente im Sinne eines mehr oder weniger an Sexismus zu interpretieren sind. Außerdem ist - wie Bierbach zu Recht bemerkt - in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass z.B. die Differenzen in den Pronominalsystemen der romanischen Sprachen, die nicht unwesentlich für das schlechte Abschneiden der spanischen Sprache in der Messung verantwortlich sind (Genusdifferenzierung in der ersten und zweiten Person Plural im Spanischen vs. Nicht-Differenzierung im Französischen u.a.), nicht auf gesellschaftliche Unterschiede, sondern auf sprachinterne Entwicklungen zurückzuführen sind. Hinzu kommt, dass „diese Unterschiede belanglos [sind], da die an einer Wortklasse entfallende Genusdifferenzierung an einer anderen ggf. wieder ins Spiel kommt […]“ (ebd.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 204 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Die Kontroverse 205 liche Ursachen zurückgeführt wird. Allerdings wird dies weder offen thematisiert noch eingehender untersucht. Eine Arbeit, in der das Vorhandensein des generischen Maskulinums auch explizit mit gesellschaftlichen Verhältnissen begründet wird, legt Rabofski (1990) vor. Sie geht ausdrücklich davon aus, dass die Möglichkeit der generischen Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen in der deutschen Sprache auf bestehende Herrschaftsverhältnisse zurückgeführt werden kann (vgl. ebd.: 150 und oben Abschnitt 3.1.2.) und folgert weiter, dass in „Gesellschaftsstrukturen mit umgekehrten Herrschaftsverhältnissen […] entsprechende Umkehrungen zu erwarten [wären]“ (ebd.: 150). Doch nicht nur das generische Maskulinum gilt als Ausdruck patriarchalischer Gesellschaftsformen, sondern die vom Sprachsystem her bestehenden Möglichkeiten zur Bezeichnung von Lebewesen überhaupt: In patriarchalischen Gesellschaftsformen ist der Mann die Norm, die Frau zählt als Abweichung von der Norm, und dies schlägt sich je nach Sprachsystem in der sprachlichen Organisation des Teilbereichs Bezeichnungen für Lebewesen linguistisch […] nieder […]. (Ebd.: 147) Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen steht dann auch nicht die Frage nach der Entstehung des generischen Maskulinums, welches sie als pseudogenerisch bezeichnet, da sie dessen geschlechtsindifferente Funktion anzweifelt, sondern die Entstehung bzw. Ausbreitung der im heutigen Deutsch (überaus) produktiven Motionsbildung mittels des Suffixes -in. Die gesellschaftliche Bedingtheit dieses Wortbildungsmusters sieht sie vor allem durch ihre historische Untersuchung zu den Personenbezeichnungssystemen dreier altgermanischer Sprachen (Gotisch, Althochdeutsch, Altenglisch) bestätigt: Rabofski zeigt auf, dass bei diesen drei Sprachen eine überwiegend symmetrische Struktur im Bereich der Personenbezeichnungen vorlag und dass die Ableitung persönlicher Feminina von maskulinen Basen ehemals nur eine sehr marginale Rolle gespielt hat. Die sich ausweitende Produktivität des femininen Ableitungssuffixes -in beim Übergang vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen ist ihr zufolge nur zum Teil auf innersprachliche Gründe zurückzuführen. Sie führt zwar aus, dass durch dieses Suffix die Geschlechtsspezifikation aufrechterhalten werden konnte, die sonst aufgrund phonologischer Veränderungen (Endsilbenabschwächung) in spätalthochdeutscher Zeit verloren gegangen wäre (vgl. ebd.: 51 und Hellinger 1990: 78), dass es nun aber (i) gerade das persönliche Femininum ist, welches morphologisch neu gekennzeichnet wurde, dass diese Kennzeichnung (ii) ausgerechnet zu einem „morphologischen Abhängigkeitsverhältnis“ (ebd.: 151) führte und (iii) durch das Suffix -in vorgenommen wurde, das zuvor die Funktion besaß, die Zugehörigkeit einer Frau zu einem Volk/ Stamm bzw. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 205 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 206 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Mann zu kennzeichnen (vgl. ebd.: 68), hat nach Rabofski außersprachliche Gründe. Sie stellt Folgendes fest: Die althochdeutsche Zeit kann als Phase der Christianisierung bezeichnet werden, die ja ganz massive Folgen für die Stellung der Frau hatte. Von daher nimmt es nicht Wunder, daß die in der kirchlichen Ideologie bestehende Selbsterhebung des Mannes zur Norm und die daraus resultierende Position der Frau, die von dieser Norm abhängig und nur in bezug auf diese Norm überhaupt definierbar ist […], sich morphologisch in einem Derivationsverhältnis niederschlagen. (Ebd.: 151) Obwohl Rabofski die Möglichkeit der generischen Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen nicht näher untersucht, wird auch das generische Maskulinum auf eben diese außersprachlichen Entwicklungen zurückgeführt. Rabofski sieht es offenbar als eine weitere und von der Komplexität femininer Bezeichnungen unabhängige sprachliche Auswirkung „der Selbsterhebung des Mannes zur Norm“ (s.o.) an, wenn sie schreibt, dass „[…] aufgrund der bestehenden Herrschaftsstrukturen die sprachliche Form pseudogenerisch verwendet [wird], die mit dem als Norm gesetzten Geschlecht übereinstimmt“ (ebd. 150). Es stellt sich allerdings die Frage, ob die von Rabofski angegebenen außersprachlichen Gründe für die Entstehung bzw. zunehmende Produktivität der Motion tatsächlich stichhaltig sind, und diese Frage ist unseres Erachtens zu verneinen. Zunächst ist festzustellen, dass Rabofski überhaupt keine Angaben darüber macht, inwiefern sich die Stellung der Frau im Zuge der Christianisierung verändert hat, d.h. worin die „massiven Folgen für die Stellung der Frau“ (s.o.) bestehen und wie das Geschlechterverhältnis in der Zeit vor der Christianisierung beschaffen war. Auch Hellinger (1990: 78), die Rabofskis Argumentation übernimmt, ist in diesem Punkt nicht viel ausführlicher; sie gibt lediglich an, dass „[…] Frauen immer mehr an Einfluß und Selbständigkeit [verloren], so z.B. im Erbrecht und in der Volksmedizin“. Dann lässt sich generell fragen, in welchen gesellschaftlichen Bereichen ein gleichberechtigtes oder asymmetrisches Geschlechterverhältnis vorliegen muss, um für die Struktur einer Sprache relevant zu sein, d.h., es bedarf einer „Theorie über den Zusammenhang von Inner- und Außersprachlichkeit“ (Berg 1992: 72). Ebenso ist eine „Theorie der zeitlichen Distanz“ (ebd.) vonnöten, denn es wäre zu klären, wie groß der zeitliche Abstand zwischen gesellschaftlichem und sprachlichem Wandel sein muss. Des Weiteren müsste erklärt werden, warum sich das Personenbezeichnungssystem der englischen Sprache ganz anders entwickelt hat als das der deutschen. Hatte die Christianisierung in England etwa ganz andere Konsequenzen für Frauen als in Deutschland? Oder sind für diese Entwicklung allein innersprachliche Gründe verantwortlich? TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 206 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Die Kontroverse 207 Diese Reihe von Fragen und Einwänden ließe sich noch weiter fortsetzen, doch die gemachten Hinweise sollen hier genügen, denn schon sie deuten unzweifelhaft darauf hin, dass auch die Ausführungen von Rabofski und Hellinger nicht geeignet sind, den hergestellten Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und sprachlichen Entwicklungen befriedigend zu erklären. Die folgende Feststellung von Berg (ebd.: 71), die sich auf die Arbeit von Hellinger (1990) bezieht, ist auch im Hinblick auf Rabofskis Ausführungen zutreffend: So faszinierend diese Hypothese [von der gesellschaftlichen Bedingtheit des Personenbezeichnungssystems] auch sein mag, so enttäuschend ist es, wie wenig Hellinger darum bemüht ist, ihrem Argument Substanz zu verleihen. Sie begnügt sich damit, den Zusammenhang zwischen inner- und außersprachlicher Wirklichkeit zu behaupten, eine Begründung dieses Zusammenhangs im allgemeinen und im speziellen bleibt sie ihren Lesern aber schuldig. Eine solche Begründung müßte sowohl die sprachwissenschaftliche als auch die historische Seite miteinbeziehen. 245 Wir kommen demnach insgesamt zu dem Schluss, dass keine der in diesem Abschnitt behandelten Arbeiten einen befriedigenden Nachweis über die implizit oder explizit vertretene Auffassung von der gesellschaftlichen Bedingtheit des generischen Maskulinums auf der Ebene der langue oder Norm liefert; die vorausgesetzte Welt-Sprache-Relation bleibt ungeklärt. Eine genauere Betrachtung der referierten Aussagen zeigt außerdem, dass sie sich gegenseitig widersprechen. Am deutlichsten zeigt sich dies bei einer Gegenüberstellung der Aussagen von Eisenberg und García Meseguer einerseits und Rabofski und Hellinger andererseits: Eisenberg und García Meseguer sehen die spanische Sprache als die sexistischste der indoeuropäischen Sprachen an, u.a. weil hier eine größere Anzahl maskuliner Personenbezeichnungen (z.B. viele Verwandtschaftsbezeichnungen) geschlechtsneutral verwendbar ist. Rabofski und Hellinger konzentrieren sich hingegen vor allem auf die morphologische Struktur femininer und maskuliner Bezeichnungen. Für sie ist die gerichtete Movierung der Hauptanhaltspunkt für gesellschaftlich bedingten sprachlichen Sexismus. Wenn man die spanische Sprache unter diesem Aspekt betrachtet, so muss man zu einem ganz anderen Ergebnis kommen als Eisenberg und García Meseguer, denn im Spanischen sind Fälle von gerichteter Movierung insgesamt wesentlich seltener als im Deutschen; bei sehr vielen Personenbezeichnungen besteht hier ja gerade keine morphologische Asymmetrie zwischen Maskulin- und Femininformen. Es ist nun aber auch zu berücksichtigen, dass nicht alle feministischen Untersuchungen, die sich mit dem generischen Maskulinum beschäftigen, 245 Berg macht auch darauf aufmerksam, dass schon die Behauptung von der Verschlechterung der Stellung der Frau durch die Christianisierung alles andere als evident ist (vgl. ebd.: 72f.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 207 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 208 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik versuchen, dies auf gesellschaftliche Bedingungen zurückzuführen. Viele Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen sehen von derlei Aussagen vielmehr ab. Sie konzentrieren sich entweder allein auf die Wirkungen, die der Verwendung generischer Maskulina zugeschrieben werden, d.h. auf die Frage, ob der Gebrauch solcher Formen eine Diskriminierung darstellt, oder sie äußern sich sogar ausdrücklich kritisch gegenüber derlei Hypothesen. Letzteres ist beispielsweise bei Yaguello (1978) der Fall. Yaguello führt die These von der gesellschaftlichen Bedingtheit des generischen Maskulinums auf subjektive Interpretationen der BeobachterInnen zurück; sie schreibt: […] la position dominante du masculin dans la langue est perçue comme un reflet de la position dominante des hommes dans la société. (Ebd.: 120/ Hervorheb. von mir) Dass sie eine solche Inbezugsetzung sprachlicher und gesellschaftlicher Strukturen in diesem Fall ablehnt, wird offenbar, wenn sie an anderer Stelle bemerkt: Il ne semble […] pas qu’il y ait lieu de s’insurger contre une règle grammaticale qui veut que toute désignation générique ou indéfinie soit reprise par un pronom masculin. (Ebd. 116) 246 Ihre Ablehnung ist dabei nicht darauf zurückzuführen, dass sie ganz allgemein eine Unabhängigkeit von Sprache und Gesellschaft postuliert. Ganz im Gegenteil: Yaguello geht sehr wohl von einem dialektischen Verhältnis zwischen Sprache und Gesellschaft aus, wie in der Einleitung ihres Buches deutlich wird, in der es heißt: La langue est aussi, dans une large mesure […] un miroir culturel, qui fixe les représentations symboliques, et se fait l’écho des préjugés et des stéréotypes, en même temps qu’il alimente et entretient ceux-ci. (Ebd.: 8) Während es nach Yaguello durchaus Sinn macht, von einem Sexismus in einzelnen Bereichen der Sprache - z.B. im Lexikon - auszugehen (vgl. ebd.), lehnen Aebischer/ Forel (1992) diese Auffassung generell ab. Für sie ist Sexismus gerade keine sprachliche Erscheinung; sie konstatieren, 246 Yaguello bezieht sich hier speziell auf das ‚generic he‘ im Englischen; wir werden im nächsten Abschnitt aber sehen, dass zumindest für die Etablierung dieses Pronomens auf der Ebene der Norm (nicht aber der langue) gesellschaftliche Faktoren angegeben werden können, so dass die ‚Auflehnung‘ amerikanischer Feministen im Lichte dieser Evidenzen nicht ganz unberechtigt erscheint. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 208 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr Die Kontroverse 209 […] que la langue n’est qu’un instrument qui sert à dire ce que l’on veut dire. Si donc sexisme il y a, ce n’est pas dans la langue qu’il faut le traquer mais bien dans ce que l’on veut dire. Le féminisme est une bataille qu’il faut mener au niveau des mentalités […] et non au niveau de la langue. (Ebd.: 16). In eine ähnliche Richtung weisen auch die Bemerkungen von García Meseguer, der sich in neueren Publikationen von den oben referierten Aussagen klar distanziert. In seinem 1994 erschienenen Buch ¿Es sexista la lengua española? äußert er sich folgendermaßen: Habremos de distinguir cuidadosamente tres posibles sexismos […]: el del oyente, el del hablante y el del lenguaje en sí mismo. La existencia de los dos primeros está fuera de duda; la del tercero […] no existe en español […]. (García Meseguer 1994: 89). Diese kritischen Einwände aus eigenen Reihen weisen abermals darauf hin, dass es sich bei der f.L. nicht um eine homogene Strömung handelt. Für spätere Abschnitte gilt es vor allem zu berücksichtigen, dass der Teil der feministischen Kritik, der ausdrücklich auf das Sprachsystem bezogen ist, insgesamt keine zentrale Rolle spielt; er ist nicht als Bestandteil ‚der‘ feministischen Position anzusehen. Eine verallgemeinernde, vorschnelle Aburteilung der feministischen Kritik am generischen Maskulinum, die sich allein auf die oben geschilderten Auffassungen gründet, muss daher als unzulässige Vereinfachung zurückgewiesen werden. b) ‚generic he‘ im Englischen Die Feststellung, dass die semantische Asymmetrie zwischen maskulinen und femininen Bezeichnungen nicht auf die Wirkung gesellschaftlicher Gegebenheiten zurückgeführt werden kann, gilt - wie die Arbeiten einiger angloamerikanischer Linguisten belegen - nicht für das englische ‚generic he‘. Zwar ist es auch hier nicht möglich, gesellschaftliche Faktoren für bestimmte sprachliche Strukturen verantwortlich zu machen, es kann aber gezeigt werden, dass die Etablierung des generischen he auf der Ebene der Norm - zumindest teilweise - außersprachlich motiviert ist. Als sprachliche Einheit der Norm geht das ‚generic he‘ - wie Bodine (1975) als erste gezeigt hat - auf eine Setzung von Seiten der präskriptiven Grammatik des 19. Jahrhunderts zurück, durch die der zuvor übliche Gebrauch des Pronomens they im Singular erheblich eingeschränkt wurde, auch wenn es - ungeachtet der andauernden Fortschreibung dieser normativen Regel, z.B. in Schulbüchern, - nicht gelungen ist, die Verwendung von they im Singular ganz auszumerzen. Bodine (ebd.: 131ff.) stellt fest: TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 209 16.12.2008 13: 08: 38 Uhr 210 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik […] prior to the nineteenth century singular ‚they‘ was widely used in written, therefore presumably also in spoken English. This usage met with no opposition. […] In formal analyses of the English pronominal system, however, ‚they‘ was incorrectly analyzed as only plural in meaning […] and nineteenth century prescriptive grammarians tried to change the language to their conception of it. Obwohl they von den drei Formen (he or she, they und he), die vor dem 19. Jahrhundert zur geschlechtsindefiniten Referenz zur Verfügung stehen, offenbar die gebräuchlichste ist, 247 wird es schon ab dem 18. Jahrhundert von Seiten der Grammatikschreibung als falsch ausgewiesen (vgl. Baron 1981: 83). Im Jahre 1850 erhält das generische he dann „the force of law“ (ebd.: 84), da vom englischen Parlament ein Gesetz „for shortening the language used in acts of Parliament“ (zit. nach ebd.) verabschiedet wird, welches u.a. die Verwendung von he in geschlechtsneutraler Funktion vorschreibt. Die Ablehnung der beiden anderen Formen und die Wahl des ‚generic he‘ rechtfertigen verschiedene Grammatiker zwar „by an interest in logic, accuracy and elegance“, wobei sie anführen, dass they die Numeruskongruenz verletze, während he or she als „‚clumsy‘, ‚pedantic‘ or ‚unnecessary‘“ (Bodine 1975: 133) anzusehen sei, doch Bodine bewertet diese Gründe nicht als stichhaltig. Vielmehr macht sie darauf aufmerksam, dass he mit dem Hinweis auf die Verletzung der Genuskongruenz ebenso hätte abgelehnt werden müssen. Das Interesse an der Durchsetzung von he in geschlechtsneutraler Funktion liegt Bodine zufolge in erster Linie im Androzentrismus der Grammatiker begründet. Baron (1981: 83) stimmt dieser Einschätzung zu und erklärt generell: „[…] it is certainly true that writers on language have tended to treat women (and children) as nonpersons“. Die Stellungnahmen verschiedener Grammatiker des 18. und 19. Jahrhunderts, die Bodine und Baron zur Untermauerung ihrer Feststellung anführen, zeigen, dass die Angemessenheit des generischen he auch unter Rückgriff auf die in 2.3.1. erwähnte ‚Doktrin der Genuswertigkeit‘ belegt wird, der zufolge das Maskulinum generell das ranghöchste und primäre Genus darstellt, was, so die gängige Auffassung, der außersprachlichen, natürlichen Überlegenheit des männlichen Geschlechts entspricht: Grammarians have treated the masculine gender as primary in order of creation and in importance, both in the natural world and in the sentence. Eighteenthand nineteenth-century English grammars set forth the doctrine of the worthiness of genders […] to justify the use of masculine nouns and pronouns to stand for both the sexes. (Baron 1986: 97) 247 Bodine (ebd.) verweist auf verschiedene Autoren, die „[d]ozens of examples from several centuries of English literature“ auflisten. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 210 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 211 Die Bemühungen um die Durchsetzung des geschlechtsneutralen he sind also letzten Endes auf den Wunsch zurückzuführen, Sprache und Welt in Einklang zu bringen, die vorausgesetzte ‚natürliche‘ Vormachtstellung von Männern in der Sprache adäquat abzubilden. Obgleich die Beschreibung der Genuskategorie und die Bewertung der einzelnen Genera auch in der deutschen Grammatikschreibung unter Rückgriff auf gängige Geschlechtsrollenstereotypen erfolgt, kann die Etablierung des generischen Maskulinums - wie die Arbeiten von Doleschal (2002) und Irmen/ Steiger (2005) belegen - hier nicht in analoger Weise begründet werden: Nach Doleschals Auswertung deutscher Grammatiken, Sprachlehren und Sprachempfehlungen ab dem 16. Jahrhundert sind „keine vergleichbaren Normierungsversuche zu entdecken“ (Doleschal 2002: 41), „Entstehung und Einführung des generischen Maskulinums im Deutschen bleiben […] letztendlich ungeklärt“ (Irmen/ Steiger 2005: 230). 3.3.1.2. Aussagen zu den Wirkungen, die durch die Verwendung des generischen Maskulinums hervorgerufen werden Die feministische Linguistik geht - wie schon mehrfach erwähnt - davon aus, dass die Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen in geschlechtsindifferenter Funktion negative Auswirkungen für Frauen hat. Wir wollen nun darstellen, wie die These von der Diskriminierung der Frauen durch das generische Maskulinum im Einzelnen begründet wird. Die f.L. stellt zunächst fest, dass die maskulinen Formen nicht in vollem Umfang als geschlechtsneutral anzusehen sind, da sie nicht uneingeschränkt zur Bezeichnung weiblicher Personen verwendet werden können. Die Tatsache, dass feminine Bezeichnungen zur geschlechtsspezifischen Referenz zur Verfügung stehen oder ad hoc gebildet werden können, schränke die Geschlechtsneutralität maskuliner Personenbezeichnungen ein; von wahrer Geschlechtsneutralität kann nach Meinung der Feministen nicht die Rede sein. Pusch (1984b: 45) stellt fest: Wirklich geschlechtsneutral ist ein Ausdruck logischerweise erst dann, wenn er auf rein weibliche […] und rein männliche und gemischtgeschlechtliche Gruppen (und deren Mitglieder) referieren kann. Die Überlegungen zur Geschlechtsneutralität der Maskulina setzen also bei der Untersuchung der Möglichkeiten zur Bildung femininer Bezeichnungen an: Es wird gezeigt, dass feminine Bezeichnungen entweder bereits auf der Ebene der Norm etabliert sind oder dass sie durch eine der in Abschnitt 2.3.2.2. vorgestellten Möglichkeiten gebildet werden können. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 211 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 212 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Nur in einzelnen Fällen ist die Bildung femininer Personenbezeichnungen im Französischen und Spanischen blockiert. Semantische Blockierung liegt vor allem dann vor, wenn die feminine Bezeichnung bereits ‚besetzt‘ ist, und zwar dadurch, dass die Opposition von Femininum und Maskulinum zu einer anderen Art semantischer Differenzierung genutzt wird, so im Falle von fr. médecin ‚Arzt‘ vs. médecine ‚Medikament‘. In solchen Fällen wäre die feminine Personenbezeichnung homonym mit einem bereits etablierten Ausdruck, der gerade keine Personenbezeichnung ist. Interessanterweise haben derlei Homonymien aber nicht immer die Blockierung, d.h. die Nicht-Verwendung der femininen Form als Personenbezeichnung zur Folge. So wird fr. cuisinière - anders als médicine - sowohl als Sachbezeichnung - im Sinne von ‚Herd‘ - als auch als Personenbezeichnung - im Sinne von ‚Köchin‘ - benutzt. Im Spanischen, wo ganz ähnliche Fälle existieren, scheint die Homonymie generell weit weniger als Problem empfunden zu werden; sie führt hier in der Regel nicht zur Blockierung. 248 Zu Recht weist schon Hartmann-Brockhaus (1986: 260) darauf hin, dass die Blockierung im Französischen nicht nur sprachliche, sondern oftmals außersprachliche Gründe hat: „Ein Hauptgrund für die Nichtverwendung femininer Berufsbezeichnungen liegt darin, dass die maskuline Form scheinbar einen höheren sozialen Stellenwert gibt“. Dies gilt - wie neuere Untersuchungen zeigen - auch heute noch, ist allerdings gerade für die Situation in Frankreich charakteristisch, die sich von der anderer frankophoner Länder deutlich unterscheidet (vgl. Schafroth 2001: insb. 135f.). Insgesamt ändern diese einzelnen Blockierungsfälle nichts an der Tatsache, dass feminine Bezeichnungen in allen drei Sprachen prinzipiell zur geschlechtsspezifischen Referenz zur Verfügung stehen. Houdebine (1987: 26) geht davon aus, dass die Feminisierung der französischen Sprache gewissermaßen eingeschrieben ist, „étant donné l’existence de deux genres, support du trait sexe pour les animés […]“. Sie macht also geltend, dass die Opposition von Femininum und Maskulinum im Bereich der Personenbezeichnungen tatsächlich zur Sexuskennzeichnung genutzt wird, eine Feststellung, die mit den im zweiten Teil dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnissen konform geht. Die f.L. geht nun davon aus, dass die Maskulina aufgrund dieser Gegebenheiten generell eher geschlechtsspezifisch gebraucht und verstanden werden als generisch. Trömel-Plötz (1982b: 81f.) schreibt in diesem Zusammenhang: Wenn nun die männliche Form benützt wird und beide, Frauen und Männer, einschließen soll, ist die Tendenz, nur an Männer zu denken, stärker als zum Beispiel im Englischen, wo es nur eine undifferenzierte Form teacher, citizen, student gibt. 248 Vgl. hierzu die in 2.3.2.1. unter (104) und (106) aufgeführten Beispiele, etwa la música ‚Musik‘ und ‚Musikerin‘, la heladera ‚Eismaschine‘ und ‚Eisverkäuferin‘ etc. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 212 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 213 Ähnlich äußert sich Houdebine (1987: 18f.) mit Bezug auf die französische Sprache. Sie zeigt anhand einiger Beispiele auf, dass die Verwendung maskuliner Bezeichnungen zur Referenz auf eine weibliche Person ungewöhnlich erscheint und dass sich zunächst männliche Assoziationen einstellen: […] Le temps mis à comprendre […] l’énoncé: Le monarque et son époux…, indique que dans nos représentation, le genre masculin est associé au trait mâle; au singulier il ne fonctionne pas immédiatement comme générique, comme certains le croient ou veulent le faire croire. (Ebd.: 19) Genau hierin wird die benachteiligende Wirkung des generischen Maskulinums gesehen: Maskuline Personenbezeichnungen, so die einhellige Meinung der FeministInnen, lassen in erster Linie an Männer denken. Dies trifft auch in Kontexten zu, in denen nicht eindeutig auf Personen männlichen Geschlechts referiert wird; aufgrund der Verwendung maskuliner Formen werden auch hier vorwiegend Männer assoziiert. Die beiden Lesarten maskuliner Personenbezeichnungen werden von der f.L. also nicht als gleichberechtigt und nicht als unabhängig voneinander angesehen. Die Disambiguierung der doppeldeutigen maskulinen Form erfolgt durch ihre Einbettung in einen Kontext, in dem das Merkmal Geschlecht keine Rolle spielt, nicht automatisch zugunsten der geschlechtsneutralen Lesart. Die spezifische Lesart steht vielmehr auch dann im Vordergrund, wenn mit einer maskulinen Bezeichnung nicht explizit auf männliche Personen referiert wird. Pusch (1979: 88) sieht im generischen Maskulinum insofern eine Benachteiligung, als Männer „mehr Chancen des Gemeintseins und damit des Identifiziertwerdens“ haben als Frauen. Nur wenn auch feminine Personenbezeichnungen gebraucht werden, ist in neutralen Kontexten eindeutig erkennbar, dass auch Frauen gemeint sind, d.h., dass sich eine Äußerung auch auf sie bezieht, und nur dann werden auf Sprecher- und Hörerseite auch verstärkt weibliche Personen assoziiert. Wenn maskuline Formen wie der Kunde (fr. le client, sp. el cliente), der Wähler (fr. l’électeur (M), sp. el elector) etc. benutzt werden, ist nicht klar, ob nur von männlichen oder von männlichen und weiblichen Kunden, Wählern etc. die Rede ist. Forer (1986: 39) führt aus, dass die geschlechtsneutrale […] Verwendungsweise von Maskulina, in der Frauen nur implizit ‚mitgemeint‘ sind, aber nicht explizit angesprochen und miteinbezogen werden, […] eine sprachliche Diskriminierung und Ausklammerung von Frauen erkennen [läßt], weil der Gebrauch solcher geschlechtsindifferenter, maskuliner Bezeichnungen nie eindeutig festlegt, ob Frauen ein- oder ausgeschlossen sind, bzw. wen der Sprecher/ Hörer beim Nennen solcher Begriffe assoziiert. Aufgrund der Tatsache, dass maskuline Personenbezeichnungen in vielen Kontexten unbestritten zur Bezeichnung von Männern verwendet werden, TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 213 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 214 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik werden in neutralen Kontexten ebenfalls Männer assoziiert; Pusch (1984b: 60) stellt fest: Das Maskulinum legt die Referenz ‚männlich‘ nahe - je mehr grammatisch erforderliche Maskulina (er, sein, ihm, der, dessen, dem …) in seinem Gefolge auftreten, um so mehr. Nach Meinung der Feministen ist die spezifische Lesart der Maskulina vorrangig, d.h., sie stellt sich zuerst ein und wird in dem Maße aufrechterhalten, in dem sie mit Ko- und Kontext vereinbar ist. Erst wenn aus Kound/ oder Kontext zweifelsfrei hervorgeht, dass von Männern und Frauen oder gegebenenfalls nur von Frauen die Rede ist, wird der maskuline Ausdruck tatsächlich generisch verstanden. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen ist auch die von feministischer Seite erhobene Forderung zu sehen, im Bereich der Personenbezeichnungen und hier insbesondere bei Berufsbezeichnungen, verstärkt auch feminine Formen zu verwenden. Die Frage, ob das Wort Ministerin gebraucht werden solle, erledigt sich nicht dadurch, daß Ministerinnen ernannt werden, sondern sie gewinnt dann erst ihr Gewicht. Denn die maskulinen Bezeichnungen […] taugen genau zur Verschleierung der gesellschaftlichen Realität, indem unter Anknüpfung an keineswegs der Vergangenheit angehörende Vorstellungen über geschlechtsspezifische Fähigkeiten und Tätigkeiten der Blick auf Veränderungen der Realität verstellt wird. (Andresen 1991: 146) Es ist noch einmal hervorzuheben, dass die beklagten männlichen Assoziationen der Sprachbenutzer der feministischen Position zufolge auf die Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen zurückzuführen sind und nicht (allein) dadurch erklärt werden können, dass in einer bestimmten Personengruppe der Frauenanteil unter dem der Männer liegt. Die ‚Unsichtbarkeit‘ und die Benachteiligung von Frauen im generischen Maskulinum gilt als generelles Problem; dass vorwiegend Männer assoziiert werden, trifft - so die Annahme - auch dann zu, wenn Personengruppen, die de facto mindestens zur Hälfte aus Frauen bestehen (z.B. Wähler, Bürger, Einwohner), mithilfe von maskulinen Nomina bezeichnet werden. In angloamerikanischen Arbeiten wird das generische Maskulinum, genauer gesagt das Pronomen he und der Ausdruck man, oft mit anderen Ausdrücken verglichen, die sowohl spezifisch als auch generisch verwendbar sind. Besonders häufig wird auf den Zusammenfall von Produkt- und Markennamen verwiesen (Kleenex, Tampax, Clorox u.a.) und auf den Marktvorteil, den die Hersteller dieser Markenprodukte gegenüber anderen haben (vgl. u.a. Moulton/ Robinson/ Elias 1978: 1035 und Silveira 1980: 166). Es wird TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 214 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 215 angenommen, dass die Doppeldeutigkeit von he und man einer ‚people = male bias‘, die Doppeldeutigkeit von Kleenex u.a. einer ‚generic = specific bias‘ Vorschub leiste. Für Silveira ist die Benachteiligung durch das generische he und man aber auch als Instanz einer generell bestehenden ‚generic = specific bias‘ anzusehen. Sie bemerkt: Just as GM [generic masculine] words are members of a larger class of unmarked words, the people = male bias is one of a larger set of generic = specific biases which occur for many of the categories we think about. (Ebd.: 167) Zur Begründung ihrer Annahme verweist sie auf die seit den 70er Jahren im Rahmen der Prototypenforschung durchgeführten Experimente, die belegen, dass bestimmte Vertreter einer Kategorie als ‚besser‘ oder ‚typischer‘ angesehen werden als andere. So gilt z.B. der Spatz oder die Amsel als besserer Vertreter der Kategorie ‚Vogel‘ als der Pinguin oder das Huhn. Dieses Beispiel zeigt, dass die vorausgesetzte ‚generic = specific bias‘ unabhängig vom Zusammenfall der spezifischen und generischen Bezeichnung besteht, denn bei Vogel und Spatz liegen zwei verschiedene Ausdrücke vor. Dieser Aspekt deutet darauf hin, dass genau untersucht werden muss, ob und inwiefern tatsächlich sprachliche Strukturen für eine diskriminierende Wirkung sorgen. Wir werden im Rahmen der Darstellung und Auswertung der empirischen Untersuchungen auf diese Frage zurückkommen. Halten wir an dieser Stelle fest, dass sich die verschiedenen Vertreter der f.L. in Bezug auf den ‚Wirkungsaspekt‘ weitgehend übereinstimmend äußern: In älteren wie neueren Arbeiten wird vorausgesetzt, dass Formulierungen im generischen Maskulinum (inkl. engl. he und man) zu einer Benachteiligung von Frauen führen, da sie dazu beitragen, dass männliche Personen assoziiert, Frauen hingegen ‚vergessen‘ werden. Außerdem wird natürlich vorausgesetzt, dass die vorgeschlagenen Varianten zur Ersetzung des generischen Maskulinums, die sich - zumindest im öffentlichen Diskurs - in den letzten Jahren immer stärker durchgesetzt haben, diese Benachteiligung aufheben. Die einzig nennenswerte Differenz zwischen den Angaben verschiedener AutorInnen besteht darin, dass einige einen Unterschied in der benachteiligenden Wirkung maskuliner Bezeichnungen im Singular und Plural annehmen, d.h. davon ausgehen, dass die Pluralformen in geringerem Maße männliche Assoziationen hervorrufen (vgl. z.B. Houdebine 1987: 19), während andere die Numerusopposition nicht als ausschlaggebendes Kriterium ansehen oder zumindest nicht explizit auf diesen Aspekt eingehen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 215 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 216 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik 3.3.2. Das generische Maskulinum aus strukturalistischer Perspektive Eine Vielzahl derer, die sich kritisch zu den dargestellten Auffassungen der feministischen Linguistik äußern, geht - implizit oder explizit - von Grundprinzipien strukturalistischer Sprachwissenschaft aus. Für die Beurteilung der von dieser Seite vorgebrachten Beschreibung des generischen Maskulinums sowie der Argumente gegen die Stellungnahmen der f.L. muss berücksichtigt werden, dass die Grundannahmen, die für strukturalistische Ansätze charakteristisch sind, sich nicht mit denjenigen decken, die seitens der f.L. vertreten werden. Vor allem gilt es im Auge zu behalten, dass das Sprachsystem im Anschluss an Saussure als autonomes Wertsystem angesehen wird, welches unabhängig von anderen Systemen, z.B. dem gesellschaftlichen System einer Sprachgemeinschaft, beschrieben werden muss: „[…] toute langue est un système et l’ordre n’est pas ad libitum. Le système n’admet que son ordre propre“ (Saussure zit. nach Amacker 1975: 31; vgl. CLG: 43). 3.3.2.1. Systematische Beschreibung des generischen Maskulinums Aus strukturalistischer Perspektive stellt das generische Maskulinum, genauer gesagt die vom System verschiedener Einzelsprachen her bestehende Möglichkeit der sexusspezifischen und sexusneutralen Verwendung vieler maskuliner Personenbezeichnungen eine Form sprachlicher Ökonomie dar. Das Ökonomieprinzip gilt als ein generelles Prinzip, das auch in anderen Bereichen des Wortschatzes und der Grammatik anzutreffen ist (vgl. Kalverkämper 1979: 60). Die Struktur der Opposition von Femininum und Maskulinum im Bereich der Personenbezeichnungen wird einerseits mit lexikalischen Oppositionen verglichen, bei denen einem der Glieder sowohl spezifische als auch übergeordnete Bedeutung zukommen kann, andererseits werden aber auch grammatische Kategorien zum Vergleich herangezogen, so z.B. Numerus- und Tempusoppositionen. Doch schauen wir uns zunächst genauer an, wie das generische Maskulinum im Rahmen strukturalistischer Arbeiten dargestellt wird: In der Regel wird es mit dem sprachwissenschaftlichen Konzept ‚Neutralisierbarkeit/ Neutralisierung‘, vereinzelt aber auch mit dem Konzept ‚Polysemie‘ beschrieben; den meisten Ansätzen ist gemeinsam, dass auf die Theorie der Markiertheit rekurriert wird. 249 249 Das Konzept ‚Neutralisierbarkeit/ Neutralisierung‘ legen sowohl Kalverkämper (1979) als auch Ulrich (1988) und Kubczak (1991) zugrunde. Ulrich und Kubczak gehen ausdrücklich auch auf das ‚Polysemiekonzept‘ ein, wobei Kubczak diesem den Vorzug gibt. Wir werden uns im Folgenden aber auf die Darstellung des ersten Konzepts konzentrieren sowie auf den Markiertheitsbegriff genauer eingehen. Für das Polysemiekonzept sei daher vor allem auf die genannten Publikationen, insbesondere auf Kubczak (1991: 410ff.) sowie auf die TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 216 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 217 Zuerst zum Konzept Neutralisierbarkeit/ Neutralisierung: Ulrich (1988) und Kalverkämper (1979) zufolge handelt es sich bei Ausdrücken wie der Kunde vs. die Kundin um sprachliche Einheiten, die als Glieder einer funktionellen Opposition anzusehen sind. Die beiden Ausdrücke besitzen einerseits „im Sprachsystem ein bestimmtes, sozial bekanntes semantisches Merkmalbündel“ (Kalverkämper 1979: 58), „eine gemeinsame Grundlage“ (Ulrich 1988: 389), andererseits unterscheiden sie sich im Hinblick auf ein Merkmal, nämlich das des Geschlechts. Während der Kunde u.a. das Merkmal [+männlich] aufweist, kommt der Kundin die Markierung [+weiblich] zu (vgl. Kalverkämper 1979: 58). Diese Opposition kann nun aber, wenn es der Kound/ oder Kontext verlangt, neutralisiert werden. Bei Kalverkämper (ebd.) heißt es, dass Situationen und Kontexte aber auch Texte verlangen [können], in denen diese Sexus-spezifizierende Markierung des außersprachlichen Objekts, also des Referenten, keine Rolle spielen soll; für solche Fälle der Ausblendung spezieller Merkmale in der Textverwendung sieht das Sprachsystem die Neutralisation vor. Sie enthebt die Wörter ihrer spezifischen Anwendungsgebundenheit in gewissen Merkmalen (z.B. eben ‚Sexus‘), ermöglicht dadurch also einen erweiterten (in diesem Fall: ‚generischen‘) Anwendungsbereich. Im Falle der Neutralisierung wird also „das die Opposition stiftende distinktive Merkmal, der unterscheidende Zug eines der Oppositionsglieder […] nicht relevant“ (Kubczak 1991: 411); die semantischen Merkmale eines Gliedes der Opposition werden reduziert, wodurch die Intension verringert und die Extension, d.h. der Anwendungsumfang erweitert wird. Die Tatsache, dass „in den Fällen von Neutralisierung […] nur eines der beiden Glieder der aufgehobenen Opposition erscheint, während das andere ausgeschlossen bleibt“ (Coseriu 2 1992: 214), wird mit der Form der entsprechenden Opposition erklärt: Es wird darauf hingewiesen, dass in der Opposition zwischen zwei Einheiten einer der unterscheidenden Züge auch ‚null‘ sein kann, d.h., daß in einem solchen Fall das die beiden Einheiten eigentlich voneinander Unterscheidende der positive Zug einer dieser beiden Einheiten ist, während die Einheit mit dem Zug ‚null‘ keine eigenen Merkmale aufweist und innerhalb der Opposition nur durch das Fehlen dieses positiven Zuges der anderen Einheit gekennzeichnet wird […]. (Coseriu 2 1992: 214) kritischen (d.h. insgesamt ablehnenden) Stellungnahmen von Lyons (1980: 318) verwiesen. (Diese Beschränkung auf das erste Konzept erscheint auch deshalb berechtigt, weil Coseriu, auf den sich die genannten Autoren berufen, in diesem Zusammenhang nicht von Polysemie spricht.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 217 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 218 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Für die Genusopposition im Bereich der Personenbezeichnungen bedeutet dies, dass sich maskuline und feminine Formen nicht durch die Merkmale [+männlich] und [+weiblich], sondern lediglich durch das Merkmal [+weiblich] unterscheiden, welches dem femininen Ausdruck zukommt, dem maskulinen aber fehlt. Folglich handelt es sich bei Oppositionen vom Typ der Kunde vs. die Kundin, die durch Neutralisierung aufgehoben werden können, nicht um exklusive, sondern um inklusive Oppositionen. Graphisch stellt sich dies folgendermaßen dar (vgl. Kalverkämper 1979: 59, Ulrich 1988: 391ff.): der Kunde die Kundin Die Abbildung zeigt, dass die Bezeichnung der Kunde die feminine Ableitung die Kundin einschließt, so dass die maskuline Bezeichnung im Gegensatz zur femininen der Referenz auf eine übergeordnete Klasse dienen kann und somit als Archilexem oder Hyperonym fungiert. 250 Dasjenige Glied der Opposition, welches als ‚Oberbegriff‘ anzusehen ist, gilt als ‚unmarkierter‘ Terminus, das andere Glied als ‚markierter‘ Terminus. Der Markiertheitsbegriff ist hier zunächst ein semantischer, demzufolge ‚unmarkiert‘ mit ‚merkmalreduziert‘ gleichzusetzen ist (vgl. Kalverkämper 1979: 59) bzw. besagt, dass ein Ausdruck „nicht ausdrücklich für eine bestimmte oppositive Funktion gekennzeichnet [ist]“ (Ulrich 1988: 390). Es gilt nun, auf zwei Punkte etwas genauer einzugehen, und zwar erstens auf den Markiertheitsbegriff im Allgemeinen, zweitens auf die von Coseriu getroffene, von Ulrich und Kalverkämper aber vernachlässigte Unterscheidung von Neutralisierbarkeit und Neutralisierung. Zuerst zum Markiertheitsbegriff: Bislang haben wir festgestellt, dass der von den genannten Autoren zugrunde gelegte Markiertheitsbegriff ein semantischer ist. ‚Markiertheit‘ wird nun aber keineswegs nur in diesem Sinne gebraucht. Lyons (1980: 315), der insgesamt bedauert, dass mit diesem Begriff „eine Anzahl disparater und voneinander unabhängiger Phänomene abgedeckt [wird]“, unterscheidet insgesamt drei Verwendungsweisen oder Les- 250 Für die Annahme einer ‚relación entre hiperónimo a hipónimo‘ argumentiert auch Roca (2005a, b). Seine Arbeit, die auf die Beschreibung der Genusklassifikation im Spanischen und speziell auf die Klärung des Verhältnisses von Genus und Sexus abzielt, gleicht den in diesem Abschnitt schwerpunktmäßig geschilderten deutschen Arbeiten auch in zahlreichen anderen Punkten, sowohl hinsichtlich der Beschreibung der Genusopposition als auch hinsichtlich der Beurteilung des feministischen Ansatzes. Sie zeigt, dass dieses kontroverse Thema auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin aktuell ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 218 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 219 arten von Markiertheit: i) formale oder morphologische, ii) distributionelle und iii) semantische Markiertheit. Diese drei Formen können miteinander korrelieren, sie müssen es aber nicht (vgl. ebd.: 315ff.), und dies wird in einigen Arbeiten, in denen man gegen die feministische Position argumentiert, nicht nur übersehen, sondern es wird fälschlicherweise ein Ursache- Wirkungs-Verhältnis zwischen formaler und semantischer Markiertheit angenommen. Doch geben wir zunächst einige Beispiele für morphologisch und distributionell markierte resp. unmarkierte Ausdrücke. Hierzu können wir bei der Genusopposition im Bereich der Personenbezeichnungen bleiben, denn in der Tat korrelieren die drei Formen gerade in der deutschen Sprache in diesem Teilbereich häufig. Von formaler Markiertheit spricht man ganz allgemein dann, wenn eines der Oppositionsglieder komplexer ist als das andere. In Abschnitt 2.3.2.2. haben wir mit Bezug auf bestimmte Personenbezeichnungen von ‚asymmetrischen morphologischen Strukturen‘ gesprochen, und nichts anderes ist hiermit gemeint: Da im Deutschen die movierten Feminina auf -in durchweg komplexer sind als die Maskulina, die als Basis der Ableitung fungieren, sind die Feminina hier immer auch als morphologisch markiert, die Maskulina als morphologisch unmarkiert anzusehen. Distributionelle Markiertheit liegt vor, wenn ein Glied der Opposition in seiner Distribution eingeschränkter ist als das andere. Hierbei gilt, dass semantische Markiertheit mit distributioneller Markiertheit korreliert, in vielen Fällen auch als durch semantische Markiertheit determiniert angesehen werden kann (vgl. Lyons 1980: 317). Für die Genusopposition bedeutet dies, dass die semantisch markierten Feminina den maskulinen Bezeichnungen gegenüber distributionellen Beschränkungen unterworfen sind, die eben darin bestehen, dass sie im Gegensatz zu den Maskulina nicht in neutralen Ko- und Kontexten auftreten können. Es wird deutlich, dass ein Großteil der femininen Personenbezeichnungen im Deutschen sowohl formal, als auch semantisch und distributionell markiert ist, und es kann insofern nicht verwundern, dass einige Sprachwissenschaftler, wie oben erwähnt, dazu neigen, diese Formen der Markiertheit generell miteinander in Verbindung zu setzen. Obwohl, Lyons folgend, nur zwischen semantischer und distributioneller Markiertheit ein allgemeingültiger Zusammenhang hergestellt werden darf, behaupten einige, die sich in ihren Ausführungen auf die deutsche Sprache konzentrieren, die herrschenden Markiertheitsverhältnisse, genauer die Tatsache, dass das Maskulinum das semantisch unmarkierte Glied der Opposition bildet, sei auf die formale Markiertheit des Femininums zurückzuführen (vgl. z.B. Strunk 1994: 160 und Stickel 1988: 340f.). Dies ist aber nur insofern richtig, als man wohl davon ausgehen kann, dass formale Markiertheit in der Regel nicht mit semantischer TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 219 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 220 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Unmarkiertheit zusammenfällt. 251 Man wird jedoch nicht - und dies wird in den genannten Arbeiten sehr wohl getan - voraussetzen dürfen, dass formale Markiertheit als Grund oder Ursache für semantische Markiertheit angesehen werden kann. Hiergegen spricht schon die Tatsache, dass in anderen Sprachen im Bereich der Personenbezeichnungen häufig ungerichtete Movierung oder Differentialgenus im engeren Sinne vorliegt, so z.B. im Spanischen. Viele feminine Personenbezeichnungen des Spanischen sind, wie wir im zweiten Teil gesehen haben, morphologisch nicht komplexer als die maskulinen, so dass man hier nicht von formaler Markiertheit des Femininums sprechen kann. Doch hinsichtlich der semantischen und distributionellen Markiertheit ist der Bereich der Personenbezeichnungen in der spanischen Sprache durchaus mit dem der deutschen vergleichbar. Man wird also formale Markiertheit nicht als Erklärung für semantische Markiertheit angeben können, weil auch dort, wo das Kriterium der formalen Markiertheit überhaupt nicht zum Tragen kommt, semantische Markiertheit vorliegen kann. 252 Wir stellen also insgesamt fest, dass es verschiedene Markiertheitsbegriffe gibt, die nicht unbedingt miteinander korrelieren und dass es nicht möglich ist, die semantische Markiertheit der Feminina mit der formalen zu begründen. Es besteht zwar ein Zusammenhang zwischen semantischer und distributioneller, nicht aber zwischen formaler und semantischer bzw. formaler und distributioneller Markiertheit. Es gilt: Wenn das Kriterium der semantischen Markiertheit greift, ist die entsprechende Opposition neutralisierbar, wobei das semantisch unmarkierte Glied als neutraler Terminus eintritt und somit als distributionell unmarkiert bezeichnet werden kann. Nun betont aber Lyons (1980: 318) zugleich, dass zum einen von semantischer Unmarkiertheit nicht uneingeschränkt auf distributionelle Unmarkiertheit geschlossen werden kann und dass zum anderen „die Frage, ob ein Lexem 251 Selbst hier trifft man vereinzelt auf Gegenbeispiele; so ist z.B. fr. compagnon trotz seiner formalen Markiertheit gegenüber dem entsprechenden Femininum compagne das semantisch unmarkierte Glied der Opposition und somit auch distributionell unmarkiert, d.h. generisch verwendbar. 252 Bestätigt wird dies auch durch die Tatsache, dass das Kriterium der semantischen und der distributionellen Markiertheit ebenso auf formal nicht verwandte Lexeme bezogen werden kann (z.B. dt. groß vs. klein, alt vs. jung, u.a.). Ferner ist zu beachten, dass es Oppositionen gibt, in denen sich ein formal markiertes und ein formal unmarkiertes Glied gegenüberstehen, ohne dass das Kriterium der semantischen und der distributionellen Markiertheit greift, d.h. es gibt durchaus Fälle, in denen das formal unmarkierte Glied semantisch ebenso komplex ist wie das formal markierte, was zur Folge hat, dass sich die beiden Glieder auch in der Distribution nicht unterscheiden. Lyons gibt hier die Oppositionen Graf vs. Gräfin und Prinz vs. Prinzessin als Beispiele an. Das Femininum ist zwar morphologisch markiert, doch die Opposition lässt sich nicht neutralisieren, da das Maskulinum semantisch eben nicht unspezifischer ist (vgl. Lyons 1980: 317). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 220 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 221 semantisch unmarkiert ist, eine Frage des Grades ist“. Die erstgenannte Aussage führt uns zu der Unterscheidung von Neutralisierbarkeit und Neutralisierung. Laut Coseriu kann man in Bezug auf das Sprachsystem nämlich lediglich von der Möglichkeit der Neutralisierung, d.h. von der Neutralisierbarkeit einer Opposition sprechen, wohingegen die tatsächliche Neutralisierung erst auf der Ebene der konkreten Rede erfolgt: Auch die Neutralisierung als solche ist ein ‚Redefaktum‘, die ‚Neutralisierbarkeit‘ jedoch ist ein sprachliches Faktum bzw. eine Möglichkeit der Sprache, die im Sprechen realisiert wird. (Coseriu 2 1992: 220f.; zit. auch bei Kubczak 1991: 411) Es stellt sich also die Frage, in welchen Fällen neutralisierbare Oppositionen tatsächlich neutralisiert werden, d.h., wann das unmarkierte Glied, hier das Maskulinum, als neutraler Terminus (unter Ausblendung des Merkmals [+männlich]) auftritt. Kubczaks Coseriu-Interpretation zufolge ist das Merkmal [+männlich] „als ‚bis auf Abruf‘ vorhanden vorzustellen“ (ebd.). Die Neutralisierung dieses distinktiven Merkmals tritt, nach Kubczak (1991: 412), erst dann ein, wenn […] der sprachliche Kontext und/ oder die Situation nicht mit dem sexusspezifischen Merkmal kompatibel ist/ sind. In diesen Fällen manipuliert/ manipulieren sozusagen erst der Kontext und/ oder die Situation eine spezifische, allerdings dafür prädestinierte Bedeutung so um, daß es durch Merkmalwegfall zu einer sexusneutralen Bedeutung kommt. Obwohl sich Ulrich und Kalverkämper ebenfalls auf Coseriu berufen, wird nicht besonders hervorgehoben, dass es sich bei der Neutralisierung um ein parole-Phänomen handelt, das eben nur unter bestimmten Umständen eintritt. Dies ist aber wichtig, da hiermit gerade nicht gesagt ist, dass neutrale Ko- und Kontexte in jedem Fall für die Neutralisierung der Opposition sorgen. In diesem Zusammenhang erscheint es auch erwähnenswert, dass Coseriu die oben angegebene und von Ulrich und Kalverkämper übernommene Abbildung einige Seiten später wie folgt modifiziert (vgl. Coseriu: 2 1992: 218): nicht-A A Coseriu betont an dieser Stelle ausdrücklich, und zwar sowohl in der Abbildung - durch die gestrichelte Linie - als auch im Text, dass für den nichtmarkierten Ausdruck auf der Ebene des Systems zwei Werte angenommen werden können, nämlich der oppositive und der neutrale. Wann der neutrale Wert in TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 221 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 222 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik der parole tatsächlich eintritt, lässt sich zwar approximativ bestimmen, nicht aber mit absoluter Sicherheit voraussagen (vgl. ebd.: 224). 253 Außerdem weist Coseriu - im Unterschied zu den in die Diskussion um das generische Maskulinum unmittelbar involvierten Autoren Ulrich und Kalverkämper - durchaus auch darauf hin, dass die Möglichkeiten der Neutralisierung sowohl innerhalb einer Sprache als auch zwischen den Sprachen großen Schwankungen unterliegen, dass man „eine ganze Reihe von ‚Neutralisierbarkeitsgraden‘“ unterscheiden kann (ebd.: 226). Wir haben auf derlei Unterschiede, die auch Lyons berücksichtigt, indem er - wie oben angedeutet - von verschiedenen Graden semantischer Markiertheit ausgeht, in Abschnitt 3.2. hingewiesen, 254 und dies braucht hier nicht unnötig wiederholt zu werden. Es soll aber festgehalten werden, dass erstens die strukturalistischen Beschreibungen der Genus- und Sexusopposition als neutralisierbare Oppositionen und die damit verbundene Feststellung, dass das Maskulinum in der Regel das unmarkierte Glied der Opposition ist und daher in neutralen Kontexten eintreten kann, noch nicht genau festlegt, wann es tatsächlich als neutraler Terminus und wann als spezifischer verwendet (und verstanden) wird, und dass zweitens selbst auf der Ebene des Potentiellen (oder Virtuellen), der Ebene des Systems, prinzipiell verschiedene Grade der Neutralisierbarkeit bzw. der semantischen Markiertheit unterschieden werden müssen. Um möglichen Verwechslungen oder Missverständnissen vorzubeugen, soll Folgendes noch einmal klar herausgestellt werden: 1) Die Oppositionsstruktur, die hier in Übereinstimmung mit den angegebenen Quellen und aus Gründen der Anschaulichkeit vorwiegend anhand konkreter Beispiele (Kunde/ Kundin) dargestellt wurde, ist allgemeiner Art. Sie betrifft die grammatische Opposition von Femininum und Maskulinum. Dementsprechend lässt sich das Maskulinum generell als ‚nicht feminin‘ charakterisieren. Solange man bei Personen- und Tierbezeichnungen bleibt, wo die Genusopposition zur (ggf. redundanten) Sexusdifferenzierung genutzt wird, kommt diese Charakterisierung der Bestimmung 253 Rocas (2005a, b) Darstellung ist in diesem Punkt ebenso differenziert, insofern er zwischen „hiperónimos e hipónimos ‚propios‘“ (etwa árbol und roble) und „hiperónimos e hipónimos ‚impropios‘“ (etwa hijo und hija) unterscheidet und einräumt, dass einem (vermeintlichen) Hyperonym wie hijo eine doppelte Intension zukomme: „[…] hijo intensionalmente define tanto el superconjunto, que incluye hija, como el subconjunto que la excluye (Roca 2005b: 421). Welche Lesart dem (vermeintlichen) Hyperonym innerhalb einer Äußerung zukommt, ist für Roca eine Frage der Pragmatik. 254 Wir sprachen dort - unter Ausblendung der strukturalistischen Terminologie - von verschiedenen Graden der Geschlechtsneutralität maskuliner Bezeichnungen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 222 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 223 des Maskulinums mit [-weiblich] gleich, denn das Femininum weist hier immer den Zug [+weiblich] auf. Der Vorteil der allgemeinen Bestimmung liegt darin, dass sie auch dort greift, wo die Sexusdifferenzierung nicht ins Spiel kommt: So haben wir in 3.2. gesehen, dass die im Genus kongruierenden Elemente im Spanischen und vor allem im Französischen in der Regel im Maskulinum erscheinen, wenn sie auf koordinierte NPs unterschiedlicher Genusklassenzugehörigkeit bezogen sind, und in solchen Fällen wird natürlich nicht die Sexusopposition, sondern die Genusopposition neutralisiert. Die allgemeine Bestimmung des Maskulinums als ‚nicht-feminin‘ gewährleistet also eine einheitliche Beschreibung. 255 2) Sofern eine Sprache in einzelnen Bereichen des Wortschatzes über einen eigenen, übergeordneten Ausdruck verfügt, greift das Konzept der Neutralisierbarkeit/ Neutralisierung und das der Markiertheit nicht. Bei dreistelligen Oppositionen vom Typ dt. Mensch/ Mann/ Frau oder fr. parents/ père/ mère sind die beiden untergeordneten Glieder (Mann/ Frau bzw. père/ mère) nicht durch das Kriterium der (semantischen) Markiertheit differenziert, und der neutrale, übergeordnete Terminus (Mensch bzw. parents) ist nicht als unmarkiert, sondern einfach als neutral anzusehen, da er einen spezifischen Wert ja gar nicht annehmen kann. 3.3.2.2. Kritik am feministischen Ansatz Neutralisierbare Oppositionen gibt es, wie bereits erwähnt, auch in anderen Bereichen. Ein oft zitiertes Beispiel aus dem Bereich des Lexikons ist die Opposition Tag vs. Nacht. Auch hier handelt es sich um eine inklusive Opposition, da eines der Glieder, nämlich Tag, als semantisch unmarkiert anzusehen ist und deshalb in entsprechenden Ko- und Kontexten das semantisch markierte Glied der Opposition, d.h. die durch Nacht bezeichnete Zeiteinheit, mit einschließt (vgl. z.B. Kalverkämper 1979: 58f. und Ulrich 1988: 390f.; beide übernehmen dieses Beispiel von Coseriu). So ist z.B. bei der Äußerung (154) Ich habe noch fünf Tage Zeit, um meinen Vortrag fertig zu stellen völlig klar, dass ich genau genommen noch fünf Tage und Nächte Zeit habe und dass ich diese, für den Fall, dass es knapp wird, auch nutzen werde. Des Öfteren wird auch der Numerus mit den beiden Subkategorien Singular und Plural zum Vergleich herangezogen. Hier gilt - wie wir in 1.3.1. bereits 255 Allerdings darf diese allgemeine Formel nicht dazu verleiten, das Maskulinum als (semantisch und distributionell) unmarkiertes Glied schlechthin anzusehen: Erstens tritt es in neutralisierbaren Oppositionen nicht immer als unmarkiertes Glied auf (wie wir weiter unten noch sehen werden) und zweitens sind nicht alle Oppositionen, bei denen sich ein maskuliner und ein femininer Ausdruck gegenüberstehen, überhaupt neutralisierbar. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 223 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 224 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik festgestellt haben - der Singular als semantisch (aber auch formal) unmarkiert, der Plural hingegen als markiert. Ebenso wie bei vielen Oppositionen im Bereich der Personenbezeichnungen den genannten Markiertheitsverhältnissen zufolge dem maskulinen Ausdruck gegenüber dem femininen ein größerer Anwendungsbereich zukommt, gilt für den Singular, dass er „nicht nur spezifisch eine Einzahl bezeichnen, sondern ebenso unspezifisch von der Wiedergabe einer Einzahl überhaupt absehen“ kann (Strunk 1994: 157). Auch bei den Tempora zeigen sich vergleichbare Asymmetrien: Das Präsens ist (semantisch und distributionell) unmarkiert, das Präteritum und das Futur hingegen markiert; während Präteritum und Futur dem Ausdruck von Vorzeitigkeit bzw. Nachzeitigkeit dienen (relativ zum Referenzpunkt, der gemeinhin mit dem Sprechzeitpunkt koinzidiert), ist die Verwendung des Präsens nicht darauf beschränkt, Gleichzeitigkeit zu bezeichnen, sondern es kann auch für das Präteritum und Futur stehen, also als neutrales Glied der Opposition(en) eintreten, oder aber Unzeitliches ausdrücken. Dies gilt nicht nur für das Deutsche, sondern prinzipiell auch für das Spanische, Französische, Englische und andere Sprachen. Vgl. hierzu - exemplarisch - die folgenden deutschen und spanischen Beispiele: (155) Dt. Im 19. Jahrhundert gewinnen die Sexustheorien immer mehr an Einfluss. (Stell dir vor …) gestern, als ich aus dem Haus gehe, treffe ich eine alte Schulfreundin, und sie erzählt mir … Nächstes Jahr fahre ich mal wieder so richtig in Urlaub. Die Erde dreht sich um die Sonne. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold etc. (156) Sp. En 1492 la expedición de Cristóbal Colón consolida la expansión mercantilista de España e inicia el proceso de conquista continental más grande de la historia. (Imagínate …) ayer, cuando voy caminando por la calle, me encuentro a mi vieja amiga, y ella me cuenta … Mañana voy al cine. El sol es el astro central de nuestro sistema planetario. Del prudente es ceder etc. 256 Der Vergleich der Oppositionsstrukturen im Bereich der Personenbezeichnungen mit den Strukturen anderer lexikalischer und grammatischer Kategorien soll deutlich machen, dass es sich bei den sogenannten inklusiven Oppositionen um ein allgemeines Strukturprinzip der Sprache(n) handelt, welches lediglich beschrieben, nicht jedoch bewertet werden kann. Außerdem wird 256 Weitere Beispiele, auch solche, die von der Unmarkiertheit des Präsens im Französischen und Englischen zeugen, finden sich in jeder einzelsprachlichen Grammatik. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 224 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Die Kontroverse 225 hiermit darauf hingewiesen, „daß das Sprachsystem prinzipiell nicht Grenzziehungen der außersprachlichen Welt nachvollziehen muß“ (Kalverkämper 1979: 60). Der Haupteinwand feministischen Auffassungen gegenüber besteht nämlich darin, dass die Kritik am generischen Maskulinum auf einer Verwechslung der sprachlichen Kategorie Genus und der außersprachlichen Kategorie Sexus beruhe. Die feministische Position wird mit der Begründung, dass die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens missachtet werde, als unlinguistisch abqualifiziert: Bei der außersprachlichen Kategorie ‚Sexus‘ können im Lexembestand der Sprache […] durchaus entsprechende Unterscheidungen vorhanden sein; daraus aber Schlüsse wieder zurück auf die außersprachliche Wirklichkeit ziehen zu wollen, indem man Ansprüche, vermeintliche Rechte an das Sprachsystem anmeldet und die sprachlichen Grenzziehungen da tadelt, wo sie sich mit den außersprachlichen nicht decken, ist unlinguistisch, weil die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens mißachtend. (Ebd.) 257 Dass die feministische Kritik am generischen Maskulinum unsinnig ist, wird zum Teil dadurch illustriert, dass sie mit einer Kritik an vergleichbaren Strukturen gleichgesetzt wird. Strunk (1994: 159) äußert sich wie folgt: Darin [in den Markiertheitsverhältnissen und der daraus resultierenden Struktur der Genusopposition im Bereich der Personenbezeichnungen] ein Übergewicht des natürlichen Geschlechts ‚männlich‘ in der Sprache und damit in der Gesellschaft zu argwöhnen, kommt letztlich aufs gleiche hinaus, wie wenn man unsinnigerweise vermuten wollte, der unmarkierte Singular verschulde mit seinem weiteren Geltungsbereich gegenüber dem des markierten Plurals so etwas wie ein sachlich ungerechtfertigtes Übergewicht objektiver Einzahl gegenüber objektiver Mehrzahl in der außersprachlichen Welt. (Strunk 1994: 159) Innerhalb der sprachwissenschaftlichen Diskussion in Deutschland ist es auch gängig, die (vermeintliche) Lächerlichkeit der feministischen Position dadurch herauszustellen, dass der Kritik an der Dominanz maskuliner Formen eine (nicht ernst gemeinte) Kritik an der Dominanz femininer Formen entgegengestellt wird. Es wird dann auf den weitgehenden Zusammenfall von Feminin- und Pluralmarkierung bei den unterschiedlichen kongruierenden 257 Der Vorwurf der Verwechslung von Genus und Sexus wird auch von Roca (2005a, b) erhoben, und zwar angesichts der von der f.L. propagierten Splittingformen, die er als „construcciones disfuncionales“ bezeichnet (vgl. Roca 2005b: 422). In diesem Sinne stellt Roca (2005a: 28) fest: […] un estilo de retórica recientemente introducido confunde abiertamente el sexo con el género, en expresiones como los ciudadanos y las ciudadanas, los vascos y las vascas […] y demás.“ TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 225 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr 226 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Elementen (insb. bei den Personalpronomina und dem definiten Artikel) hingewiesen (vgl. Leiss 1994: 283ff.). Einen anderen Weg wählt Doerfer (1985). Er meint, dass man die feministische Kritik ebenso gut ins Gegenteil verkehren und der Meinung sein könne, dass Frauen aufgrund der genannten Markiertheitsverhälnisse innerhalb der Genusopposition im Vorteil seien, da zur Bezeichnung weiblicher Personen eine eigene, d.h. eindeutige Form, z.B. Lehrerin, zur Verfügung steht, während die maskulinen Bezeichnungen prinzipiell ambig sind: Dass es keine Form gibt, die allein der Bezeichnung männlicher Personen dient, könne Anlass dazu sein, dass „sich auch Maskulinisten über die Männerfeindlichkeit der deutschen Sprache beschweren“ (ebd.: 139). In diesem Falle, so Doerfer, stünde Argument gegen Argument, wobei er jedoch beide Argumente für verfehlt hält. 258 Außerdem wird wiederholt darauf hingewiesen, dass das Maskulinum nicht immer auch als Hyperonym oder Archilexem fungiert, dass in manchen Fällen vielmehr der femininen Bezeichnung diese Funktion zukommt. Allerdings können hierbei nicht Personen-, sondern lediglich bestimmte Tierbezeichnungen wie die Katze vs. der Kater oder die Gans vs. der Gänserich als Beispiele angegeben werden. 259 Doch kommen wir zurück zum Haupteinwand, der unzulässigen Gleichsetzung oder Verwechslung von Genus und Sexus. Dass Genus und Sexus voneinander unabhängige Kategorien sind, wird zunächst mit dem Hinweis darauf untermauert, dass es überall nur zwei Sexus gebe, dass aber andererseits nicht alle Sprachen ein Genussystem aufweisen und dass darüber hinaus diejenigen Sprachen, denen ein solches System eigen ist, hinsichtlich der Ausprägung des Systems divergieren (hinsichtlich der Anzahl der Genera u.a.). Es wird also auf die Heterogenität der Genussysteme abgehoben und dies geschieht dann auch dadurch, dass man auf (quasi) synonyme Ausdrücke hinweist, die in unterschiedlichen, ja selbst in nah verwandten Sprachen, im Genus nicht übereinstimmen (vgl. u.a. Ulrich 1988: 386). 260 Schließlich wird 258 Das Lächerlichmachen und die Demonstration der Unsinnigkeit feministischer Sprachkritik und der geforderten sprachlichen Veränderungen ist als ein genereller Zug vieler ‚antifeministischer‘ Arbeiten anzusehen, der von der spezifischen Grundlage der Kritik weitgehend unabhängig ist. Dies trifft nicht nur auf die Diskussion in Deutschland, sondern - in unterschiedlicher Ausprägung - auch auf die zumeist nicht wissenschaftliche, sondern öffentliche Diskussion (in Tageszeitungen, Zeitschriften etc.) anderer Länder zu (vgl. hierzu u.a. Martyna (1983: insb. 25-29) und Blaubergs (1980) für die USA, Hellinger/ Schräpel (1983: 50f.) für Deutschland, Houdebine (1987: 19ff.) für Frankreich). 259 Diese Beispiele belegen, dass das Maskulinum nicht als neutraler oder generischer Terminus schlechthin angesehen werden kann. 260 Hier wird in der Regel auf die ‚klassischen‘ Beispiele verwiesen, d.h. auf die Genusunterschiede im Falle von dt. Tod (M) und Mond (M) vs. sp. muerte (F) und luna (F), fr. mort (F) und lune (F) etc. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 226 16.12.2008 13: 08: 39 Uhr Kritischer Vergleich der Positionen 227 geltend gemacht, dass die Betrachtung des gesamten nominalen Lexikons einer Einzelsprache zeige, dass die Genuszuweisung nicht mit der Geschlechtsunterscheidung zusammenhänge: Das Genus der allermeisten Substantive hat mit den Bedeutungseigenschaften ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ nichts zu tun. Es gibt einige Wortfelder mit vorherrschendem Genus. Daß aber die meisten Baumarten mit Feminina wie Buche, Eiche, Tanne usw. bezeichnet werden, macht Bäume nicht weiblich, zumal Baum selbst ein Maskulinum ist. Und die maskulinen Bezeichnungen für Alkoholika wie Wein, Likör, Schnaps und viele andere lassen solche Getränke nicht ‚männlicher‘ erscheinen als das Neutrum Bier. Spekulationen über das ‚Geschlecht‘ von Tag und Nacht, Mond und Sonne, Verstand und Vernunft beruhen auf der Vermengung von Genus und Sexus und taugen allenfalls zu metaphorisierenden Wortspielen […]. (Stickel 1988: 338) Was den Bereich der Personenbezeichnungen anbelangt, so wird zumindest von den meisten Kritikern anerkannt, dass Ausdrücke, die zur Bezeichnung männlicher Personen dienen, in der Regel maskulines Genus aufweisen, während die Bezeichnungen für weibliche Personen in der Regel Feminina sind. Diese Regelmäßigkeit wird aber als (bloßer) Parallelismus zwischen Genus und Sexus aufgefasst, der prinzipiell nichts an der Tatsache ändere, dass die Genuszuweisung auch bei Personenbezeichnungen nicht als semantisch motiviert, sondern als arbiträr anzusehen sei. In diesem Zusammenhang wird dann auch immer wieder auf Fälle verwiesen, in denen Genus und Sexus eben nicht übereinstimmen: u.a. dt. das Mädchen, das Fräulein, die Wache, fr. la sentinelle, la recrue, le mannequin. 261 3.4. Kritischer Vergleich der feministischen und der ‚antifeministischen‘ Positionen Wir wollen uns nun um einen kritischen Vergleich der in den vergangenen Abschnitten skizzierten Positionen bemühen. Wir beginnen mit der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Grundannahmen über Gegenstand und Ziel sprachwissenschaftlicher Forschung. Im Anschluss werden wir die von beiden Seiten vorgebrachten Stellungnahmen zum generischen Maskulinum 261 Im Spanischen hat sich in entsprechenden Fällen bis heute oftmals ein zweifacher Genuswechsel vollzogen; so etwa bei centinela, das zunächst in die Klasse der Maskulina gewechselt hat, heute aber zunehmend als Nomen mit Differentialgenus geführt wird (vgl. hierzu die ‚enmiendas‘ der 23. Auflage des DRAE gegenüber 22 2001; http: / / buscon.rae.es/ draeI/ ). Dies zeugt abermals von der stärkeren Assoziation von Genus und Sexus im Spanischen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 227 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 228 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik prüfen. Insgesamt kann so auf Schwachpunkte in der Argumentation beider Seiten aufmerksam gemacht, aber auch gezeigt werden, an welchen Stellen die von beiden Seiten vorgetragenen Argumente aneinander vorbeigehen. 3.4.1. Die unterschiedlichen Grundannahmen Bei einem Vergleich der dargestellten Positionen fällt zunächst auf, dass beide Seiten von verschiedenen Grundannahmen ausgehen: Im Rahmen der feministischen Linguistik wird vorausgesetzt, dass sich gesellschaftliche Verhältnisse zum einen in der Struktur der jeweiligen Einzelsprache niederschlagen und dass zum anderen sprachliche Kategorien die Wahrnehmung der Sprecher beeinflussen. Die feministische Position, die vor allem die wirklichkeitskonstituierende und -strukturierende Funktion von Sprache betont, steht somit Auffassungen nahe, die schon bei Wilhelm von Humboldt in seinen ‚Thesen zur sprachlichen Weltansicht‘ auftauchen, später im Rahmen der ‚inhaltsbezogenen Grammatik‘ Leo Weißgerbers wieder aufgegriffen werden und die auch als Grundlage der sogenannten ‚sprachlichen Relativitätshypothese‘ der amerikanischen Forscher Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf anzusehen sind. Die innerhalb dieser Forschungstradition gängigen Annahmen stehen im Gegensatz zu den Grundthesen einer strukturalistischen Sprachwissenschaft, die es als ihre Hauptaufgabe ansieht, Sprache als autonomes System wertfrei zu beschreiben, und die im Extremfall jeglichen Einfluss der Sprache auf die Wahrnehmung der Sprecher leugnet (vgl. Kalverkämper 1979: 68). Dementsprechend sind die Aussagen strukturalistisch orientierter Linguisten und Linguistinnen zum generischen Maskulinum als Beschreibungen auf Systemebene anzusehen. Mithilfe des Konzepts Neutralisierbarkeit/ Neutralisierung wird beschrieben, wie maskuline Personenbezeichnungen verwendet werden können bzw. welcher Wert ihnen jeweils zukommen kann. Man erfasst die verschiedenen vom Sprachsystem her gegebenen Möglichkeiten; es bleibt aber weitgehend offen, unter welchen Umständen diese Möglichkeiten tatsächlich realisiert werden. Außerdem wird nicht gefragt, ob es gesellschaftliche Ursachen für die konstatierten Oppositionsstrukturen gibt, denn eine synchrone Beschreibung, die von der Autonomie des sprachlichen Systems und der Arbitrarität sprachlicher Zeichen ausgeht, lässt keine Fragestellungen zu, die jenseits des Systems liegen. Im Rahmen eines strukturalistischen Ansatzes werden so generell weder mögliche gesellschaftliche Ursachen bestimmter sprachlicher Strukturen noch deren (indirekte) Wirkungen auf die Sprecher thematisiert, die sich ja erst auf der Ebene der Sprachverwendung ergeben. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die systemhafte Beschreibung der Genusopposition als neutralisierbare Opposition und die damit einhergehende TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 228 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Kritischer Vergleich der Positionen 229 Bestimmung des Maskulinums als unmarkiertes Glied dieser Opposition einerseits und die feministische Kritik an der für Frauen benachteiligenden Wirkung des generischen Maskulinums andererseits gegenseitig ausschlössen, denn innerhalb feministischer Arbeiten wird ja nicht geleugnet, dass es zwei Lesarten maskuliner Personenbezeichnungen gibt. Es wird vielmehr angenommen, dass sich eine der beiden Lesarten, nämlich die spezifische, wesentlich häufiger einstellt, woraus dann eine prinzipielle Benachteiligung von Frauen abgeleitet wird. Diese Benachteiligung hat der f.L. zufolge nicht (allein) gesellschaftliche Ursachen. Zunächst geht es natürlich nicht darum, dass entsprechende Bezeichnungen häufiger zur spezifischen Referenz auf männliche Personen verwendet werden, dass also de facto häufiger von Männern die Rede ist, sondern darum, dass auch dann, wenn das Geschlecht der Bezeichneten unbekannt ist bzw. keine Rolle spielt, auf Sprecher- und Hörerseite männliche Personen assoziiert werden. Dabei ist die Vordergründigkeit der spezifischen Lesart nach Meinung der f.L. weder (ausschließlich) auf den ggf. geringen Frauenanteil in einer bestimmten Personengruppe (z.B. Minister) noch auf das sexistische Denken der Sprachbenutzer zurückzuführen, sondern es wird vorausgesetzt, dass die Verwendung des generischen Maskulinums bestehende sexistische Denkstrukturen zusätzlich begünstigt und festigt. Hiermit wird nicht die Neutralisierbarkeit der Genus- und damit der Sexusopposition schlechthin bestritten; es wird vielmehr angenommen, dass die Neutralisierung nur dann erfolgt, wenn Kound/ oder Kontext der sexusspezifischen Lesart eindeutig widersprechen, und dies ist lediglich dann der Fall, wenn ausdrücklich auch auf weibliche Personen referiert wird. In diesem Punkt steht die feministische Kritik nicht im Widerspruch zu den von strukturalistischer Seite gegebenen Beschreibungen der Genusopposition, da hier, wie wir gesehen haben, nicht die Neutralisierung, sondern die vom System der genannten Sprachen her gegebene Neutralisierbarkeit beschrieben wird. Wenn, mit den Worten Kubczaks (1991: 411), „das Merkmal ‚männlich‘ als ‚bis auf Abruf‘ vorhanden“ vorzustellen ist und wenn weiter die Neutralisierung nur in Fällen erfolgt, „in denen der sprachliche Kontext und/ oder die Situation nicht mit dem sexusspezifischen Merkmal kompatibel ist/ sind“ (ebd.: 412), so kann dies bedeuten, dass die spezifische Lesart auch dann favorisiert wird, wenn nicht eindeutig auf männliche Personen referiert wird, denn das sexusspezifische Merkmal erweist sich erst mit Kontext und/ oder Situation als inkompatibel, wenn auf weibliche Personen referiert wird. Sind diese Aussagen zur Neutralisierung der Genusopposition zutreffend, so hat der Teil der feministischen Kritik am generischen Maskulinum, der als Kritik an der Sprachverwendung und nicht am Sprachsystem zu verstehen ist, durchaus seine Berechtigung: Frauen wären durch die doppelte Funktion TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 229 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 230 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik maskuliner Personenbezeichnungen benachteiligt, da die sexusspezifische Lesart dieser Ausdrücke im Vordergrund stünde und Frauen so lange ausgeschlossen blieben, so lange aus dem Kontext nicht zweifelsfrei hervorgeht, dass auch auf sie referiert wird. Sie hätten dann in der Tat weniger ‚Chancen des Gemeintseins‘. Blendet man denjenigen Teil der feministischen Kritik, der nicht auf die Sprachverwendung, sondern direkt auf das Sprachsystem abzielt und der, wie wir gesehen haben, auch in den eigenen Reihen sehr kontrovers diskutiert wird, einmal aus, so bestehen die Unterschiede der Positionen also zunächst darin, dass sich beide Seiten auf verschiedene Abstraktionsebenen beziehen: Die eine Seite macht in erster Linie Aussagen über die Verwendung von Sprache, während sich die andere Seite auf die Beschreibung des Sprachsystems beschränkt. Des Weiteren geht es innerhalb feministischer Arbeiten immer um die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Sprache und Geschlecht, wobei das Geschlecht nicht nur als biologische oder ‚natürliche‘ Größe gilt, sondern vor allem auch in seiner gesellschaftlichen Dimension (‚soziales Geschlecht‘/ engl. gender) betrachtet wird. Die f.L. ist mithin um die Aufdeckung des Verhältnisses von sprachlichen und nicht-sprachlichen Kategorien bemüht, eine Herangehensweise, die von einigen Linguisten der Gegenseite generell als illegitim bzw. unlinguistisch bezeichnet wird. Diese Bewertung feministischer Arbeiten als unlinguistisch ergibt sich, da die Grundannahmen des Strukturalismus als notwendige Voraussetzungen jeglicher sprachwissenschaftlicher Tätigkeit angesehen werden, und dies läuft letztendlich auf eine ungerechtfertigte Gleichsetzung von Strukturalismus und Linguistik hinaus (vgl. Kalverkämper 1979: 62). Außerdem ist es aber auch fragwürdig, ob das Sprachsystem nur als autonomes System untersucht werden kann. Verschiedene Linguisten und Linguistinnen, die sich mit der kontroversen Diskussion auseinandersetzen, betrachten es schlichtweg als unzulässig, aus der trivialen Tatsache, daß das Sprachsystem etwas anderes ist als z.B. das Sozialsystem […] ohne weitere Begründung zu folgern, daß diese Systeme und deren interne Relationen völlig unabhängig voneinander seien. (Klein 1988: 311) Wird von einem derart extremen Standpunkt, demzufolge allein das eigene Wissenschaftsparadigma angemessen erscheint und alle diesem zugrunde liegenden Prämissen als ‚Wahrheiten‘ aufgefasst werden, abgesehen, so erweisen sich die beiden Positionen zwar als unterschiedlich, sie schließen sich jedoch nicht von vornherein gegenseitig aus. Die Auffassungen der beiden Seiten widersprechen sich nicht, sondern sie gehen argumentativ aneinander vorbei, weil man von unterschiedlichen Grundannahmen ausgeht und sich auf TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 230 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Kritischer Vergleich der Positionen 231 verschiedene Sprachebenen - System auf der einen, Sprachverwendung bzw. Assoziationen der Sprachbenutzer auf der anderen Seite - bezieht. 262 Diese generellen Unterschiede haben zur Folge, dass die einzelnen Argumente, die von ‚antifeministischer‘ Seite vorgebracht werden, nicht vermögen, den Teil der feministischen Kritik am generischen Maskulinum als unrichtig auszuweisen, der die Ebene der parole betrifft. Sehr wohl aber deuten sie auf die Unhaltbarkeit derjenigen feministischen Aussagen hin, die sich unmittelbar auf das Sprachsystem beziehen. Hier machen es sich einige Vertreter der f.L. in der Tat zu einfach. Sie verkennen allgemeine Strukturprinzipien der Sprache und meinen, ohne genauere Untersuchungen auf eine gesellschaftliche Prägung der langue(s) schließen zu dürfen. Der Vorwurf ‚unlinguistisch‘ ist in diesem Punkt also nicht ganz unberechtigt. Wir werden uns im Folgenden die wichtigsten Argumente und Gegenargumente noch einmal genauer ansehen, um klarzustellen, welche Auffassungen insgesamt als berechtigt und welche als nicht treffend beurteilt werden müssen. 3.4.2. Prüfung der einzelnen Argumente und Gegenargumente Wir haben bei der Darstellung der feministischen Kritik am generischen Maskulinum immer klar zwischen Aussagen zum ‚Ursacheaspekt‘, d.h. zur gesellschaftlichen Bedingtheit des generischen Maskulinums als Phänomen der Sprachstruktur, und Aussagen zum ‚Wirkungsaspekt‘, d.h. zu den Wirkungen, die durch die Verwendung des generischen Maskulinums hervorgerufen werden, unterschieden. Diese Unterscheidung wird bei den Gegnern der feministischen Position(en) (leider) nicht vollzogen; sie gehen offenbar davon aus, dass die vorgebrachten Argumente die feministischen Stellungnahmen in toto entkräften. Die nun zu leistende Überprüfung der verschiedenen Einwände zeigt, dass dies nicht der Fall ist, dass sie die Auffassungen zum ‚Ursacheaspekt‘, die - wie noch einmal zu betonen ist - nicht den Kernpunkt der feministischen Kritik bilden, zwar als unangemessen ausweisen, dass sie aber die feministische Kritik am Gebrauch des generischen Maskulinums nicht zu widerlegen vermögen. 263 262 Aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung kann man die beiden Ansätze auch mit der Saussureschen Dichotomie von linguistique interne und linguistique externe charakterisieren: Im Gegensatz zur systemorientierten linguistique interne des Strukturalismus sind die Arbeiten der f.L. der linguistique externe oder „linguistique au sens large“ zuzurechnen, „[…] qui finit par recouvrir tout ce qui, dans la matière linguistique, n’est pas la langue, de la littérature à l’histoire des mots, de la philologie classique aux considérations psychologiques et sociales sur les usages linguistiques […] [et qui est] orientée en quelque sorte par la langue, point de référence commun à toute étude de la matière linguistique.“ (Amacker 1975: 31) 263 Es sei hier angemerkt, dass auch die von einigen FeministInnen vorgebrachte Kritik am strukturalistischen Beschreibungsansatz, d.h. am Markiertheitsbegriff, ins Leere läuft, da TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 231 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 232 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Der Hauptvorwurf gegenüber feministischen Arbeiten bezieht sich, wie wir gesehen haben, auf die unzulässige Gleichsetzung von Genus und Sexus. Hierzu ist Folgendes zu sagen: Zunächst ist generell zu beachten, dass innerhalb der Arbeiten der f.L. nicht der Gesamtwortschatz, sondern lediglich der Teilbereich der Personenbezeichnungen bzw. der Bezeichnungen für Lebewesen betrachtet wird, wobei sehr wohl zwischen sprachlichen und außersprachlichen Kategorien unterschieden wird. Genus und Sexus werden in keiner der betrachteten feministischen Arbeiten gleichgesetzt, sondern es wird aufgrund der Übereinstimmungen der beiden Kategorien in besagtem Teilbereich des Wortschatzes davon ausgegangen, dass semantische Beziehungen zwischen beiden bestehen. Dies wird durchaus auch in den meisten Grammatiken bestätigt, und die wenigen Bezeichnungen, bei denen Genus und Sexus nicht in der üblichen Weise korrelieren, ändern nichts an der Tatsache, dass die Genusopposition im Normalfall zur (ggf. zusätzlichen) Kennzeichnung des Geschlechts genutzt wird. Hier sei lediglich auf die von Eisenberg im Grundriß der deutschen Grammatik gemachten Angaben verwiesen. 264 Eisenberg ( 2 1989: 173, 1999: 153) stellt Folgendes fest: nicht berücksichtigt wird, dass beide Seiten von unterschiedlichen Grundprinzipien ausgehen und verschiedene Ziele verfolgen. So hält z.B. Cameron (1985b: 24f.) den Markiertheitsbegriff für unzulänglich bzw. für zirkulär, da er nicht erkläre, warum das Pronomen he unmarkiert und somit generisch verwendbar sei. Sie verkennt, dass die Frage nach außersprachlichen Gründen sprachlicher Strukturen innerhalb des Strukturalismus überhaupt nicht gestellt wird, dass man sich hier allein auf die Beschreibung des Sprachsystems konzentriert und davon ausgeht, dass dieses System gerade unabhängig von anderen Systemen beschrieben werden muss. Außerdem irrt Cameron aber auch, wenn sie abschließend Folgendes feststellt: „To claim that the unmarked status of masculine pronouns is a feature of grammar confuses description and prescription by naturalising a historical process whose determinants were social and political“ (ebd.: 25). Wie in Abschnitt 3.3.1.1. gezeigt wurde, ist zwar die Etablierung des generischen he auf der Ebene der Norm zum Teil auf die Wirkung präskriptiver Grammatiken zurückzuführen, nicht aber die Möglichkeit, he generisch zu verwenden. Bodines (1975) Ausführungen, die auch Cameron anführt, sind ausdrücklich nicht auf das Sprachsystem bezogen; sie macht keine Aussagen über die Gründe der asymmetrischen Struktur der Opposition von he und she und über die (semantische) Unmarkiertheit von he, sondern beschränkt sich darauf aufzuzeigen, wie man den Gebrauch von he forcierte, wodurch die beiden alternativ bestehenden Möglichkeiten he or she und they weitgehend verdrängt wurden. 264 Ähnliche Feststellungen finden sich auch in Grammatiken der französischen und spanischen Sprache (vgl. u.a. Grevisse 6 1969: 175 (Fr.); Cartagena/ Gauger 1989: 137, 145, 158 (Dt./ Sp.)). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 232 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Kritischer Vergleich der Positionen 233 Die Funktion der Signalisierung des natürlichen Geschlechts hat das Genus im Deutschen vornehmlich für Personenbezeichnungen. Die Grundregularität ist, daß grammatisches und natürliches Geschlecht nur dann auseinanderfallen, wenn in der Wortbedeutung ein Merkmal des Sexus besonders markiert wird […]. Die so oft zitierten Ausnahmen das Mädchen und das Fräulein, deren Genus durch das Diminutivsuffix -chen bzw. -lein determiniert ist, lassen sich nach Eisenberg sogar mit der Sexusunterscheidung in Verbindung bringen, und zwar insofern, als „die ‚Verkleinerung‘ zu einer wahrnehmungsmäßig vollzogenen Geschlechtsabstraktion führen [kann], die sprachlich als Neutralisation nachvollzogen wird […]“ (Eisenberg 2 1989: 172, 1999: 153). 265 Andere Ausnahmefälle (etwa fr. le mannequin) können zwar nicht unter Rückgriff auf die Sexusdifferenzierung erklärt werden, die (abweichende) Genuszuweisung ist aber auch bei diesen Nomina häufig auf die Dominanz formaler Kriterien zurückzuführen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei vielen Ausnahmebeispielen um ‚Nomina mit möglichem Kongruenzverstoß‘ handelt: Die Übereinstimmung von Genus und Sexus kommt auch hier insofern zur Geltung, als sich die kongruierenden Elemente nur zum Teil nach dem Genus richten; vor allem die Pronomina werden auf das natürliche Geschlecht der Bezeichneten abgestimmt. Die Kritik an feministischen Ansätzen ist allerdings da treffend, wo sie sich auf die Versuche, die Etablierung des generischen Maskulinums auf der Ebene des Systems zu begründen, bezieht. Die viel zu kurz greifende Argumentation, der zufolge die semantische Asymmetrie zwischen femininen und maskulinen Bezeichnungen eine sprachliche Manifestation der gesellschaftlichen (Miss-) Verhältnisse darstellt, muss zurückgewiesen werden. Hier ist der Vorwurf der Verwechslung von Genus und Sexus insofern berechtigt, als die Struktur der Genusopposition im Bereich der Personenbezeichnungen von linguistischer Seite, d.h. von den VertreterInnen der f.L. selbst, unzulässigerweise als Abbild außersprachlicher Verhältnisse, als Spiegel sozialer Geschlechterdifferenzen, betrachtet wird. Diese Herangehensweise erinnert an die innerhalb der Sexustheorien gängige ‚Doktrin der Genuswertigkeit‘, auf die wir in 2.3.1. eingegangen sind: Auch Grimm und andere sehen die (vermeintliche) Rangordnung der Gene- 265 Andere Beispiele, in denen „ein Merkmal des Sexus besonders markiert wird“ (s.o.), sind u.a. die Memme, die Tunte, die Schwuchtel, der Drachen, der Blaustrumpf etc. Durch die Nicht-Übereinstimmung von Genus und Sexus wird hier (zusätzlich) deutlich gemacht, dass die bezeichnete(n) Person(en) nicht die als normal empfundenen Charakteristika ihres Geschlechts aufweisen, sondern von der Norm abweichen und ggf. gewisse stereotype Merkmale des jeweils anderen Geschlechts erkennen lassen (wird ein Mann als Memme, Tunte oder Schwuchtel bezeichnet, so wird (negativ) hervorgehoben, dass er sich in bestimmter Weise ‚weiblich‘ verhält). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 233 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 234 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik ra, die man u.a. durch die doppelte Funktion des Maskulinums zu bestätigen suchte, als Parallele oder gar als Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse an. Die f.L. argumentiert hier ähnlich, nur unter anderem Vorzeichen: Während die angebliche Übereinstimmung gesellschaftlicher und sprachlicher Verhältnisse innerhalb der Sexustheorien in der Regel positiv hervorgehoben wird, nehmen VertreterInnen der f.L. sie als Anlass für eine Sprachsystemkritik. Zu Recht weisen die ‚Gegner‘ der f.L. darauf hin, dass das generische Maskulinum im Lichte der spezifischen Struktur der Genusopposition gesehen werden muss und dass neutralisierbare Oppositionen dieser Art auch in vielen anderen Bereichen der Sprache vorliegen. Es wird dadurch auch noch einmal deutlich, dass sprachliche Oppositionen sich mit Grenzziehungen der außersprachlichen Wirklichkeit generell nicht decken müssen. Unter diesem Blickwinkel erscheint es wenig sinnvoll, sprachliche Strukturen mit außersprachlichen Verhältnissen unmittelbar in Beziehung zu setzen. Auch der Verweis auf die Unterschiedlichkeit der Genussysteme und auf verschiedene Beispiele, bei denen das Femininum das (semantisch) unmarkierte Glied der Opposition bildet, ist hier geeignet, um auf die Abwegigkeit der feministischen Position aufmerksam zu machen, denn: Wie ist es zu erklären, dass die Genus- und Personenbezeichnungssysteme verschiedener Sprachen so stark divergieren, obwohl sich die Stellung der Frau in den entsprechenden Gesellschaften nicht wesentlich unterscheidet? Und wie ist die These von den durch die patriarchalische Gesellschaftsstruktur geprägten sexistischen Sprachen z.B. damit vereinbar, dass die Pluralmarkierung im Deutschen weitgehend mit der des Femininums zusammenfällt? In Bezug auf die Aussagen zum ‚Ursacheaspekt‘ sind die strukturalistischen Einwände also durchaus stichhaltig. Sehen wir uns nun an, warum sie die Aussagen zu den Wirkungen des generischen Maskulinums nicht betreffen. Es ist zunächst zu berücksichtigen, dass es der f.L. hier primär um die Assoziationen der Sprecher/ Hörer geht, die durch maskuline Bezeichnungen hervorgerufen werden. Der Vorwurf der Verwechslung von Genus und Sexus greift an dieser Stelle nicht, da angenommen werden kann, dass ‚naive‘ Sprecher, d.h. Nicht-Linguisten, durchaus zu einer Vermischung der beiden Kategorien neigen. Schon die Diskussion des Themas in der breiteren Öffentlichkeit, bei der in der Regel von ‚männlichen und weiblichen Sprachformen‘ oder Ähnlichem die Rede ist (vgl. Stickel 1988: 330ff.), deutet auf diese Tendenz hin. Die Identifizierung grammatischer Kategorien mit Kategorien der außersprachlichen Wirklichkeit gilt aber wohl nicht nur im Falle des Genus, sondern sie scheint generell zur Alltags- oder common sense-Theorie der Sprache zu gehören. Wenn aber davon ausgegangen werden kann, dass Nicht-Linguisten dazu neigen, zumindest im Bereich der Personenbezeichnungen maskulines Genus TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 234 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Kritischer Vergleich der Positionen 235 mit männlichem Geschlecht und feminines Genus mit weiblichem Geschlecht in Verbindung zu bringen, dann erscheint es auch berechtigt anzunehmen, dass maskuline Personenbezeichnungen in erster Linie an Männer denken lassen, selbst wenn sie auch generisch interpretiert werden können. Dieser Punkt der von der f.L. angebrachten Kritik am generischen Maskulinum ist also im Grunde unabhängig von der Frage, ob die beiden Kategorien aus linguistischer Perspektive in Relation stehen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass sie von der Mehrzahl der Sprecher gleichgesetzt werden. Des Weiteren ist festzustellen, dass die Kritik am generischen Maskulinum auch als eine Kritik am Zusammenfall bestimmter Formen bzw. an der Ambiguität bestimmter Ausdrücke und deren Folgen angesehen werden kann: Es wird bemängelt, dass Bezeichnungen für männliche Personen mit geschlechtsunspezifischen Personenbezeichnungen formal identisch sind, während Ausdrücke, die zur Bezeichnung von Frauen dienen, eben nicht unspezifisch verwendet werden können. So verstanden, ist die Kritik prinzipiell unabhängig von der Genusproblematik. Sie träfe auch auf Sprachen zu, in denen es kein Genus gibt. Auch der Einwand, dass sprachliche Kategorien nicht mit Einteilungen der nicht-sprachlichen Realität übereinstimmen, verliert seine Schlagkraft, wenn vorausgesetzt werden kann, dass Sprecher generell zu einer abbildtheoretischen Sprachauffassung neigen. Es ist zwar davon auszugehen, dass den Sprechern bewusst ist, dass ein und derselbe Ausdruck oder eine grammatische Kategorie prinzipiell mehrere Bedeutungen oder Funktionen haben kann, doch dies spricht nicht dagegen, dass vom Sprecher eine Bedeutung oder Funktion als zentral empfunden wird und dass im Falle maskuliner Personenbezeichnungen neutrale Kound/ oder Kontexte nicht in jedem Fall für die Aktivierung der geschlechtsunspezifischen Lesart sorgen. Der Vergleich mit anderen grammatischen und lexikalischen Kategorien räumt die Kritik am generischen Maskulinum ebenfalls nicht aus. Natürlich geben analoge Strukturen bei Numerus- und Tempusoppositionen nicht Anlass zu Kritik, da sich nur bei Personenbezeichnungen eine Gruppe von Personen durch die Sprache benachteiligt fühlen kann. Man wird aber auch für vergleichbare Oppositionen annehmen dürfen, dass die spezifische Funktion oder Bedeutung des (prinzipiell) unmarkierten Glieds als zentral empfunden und eventuell so lange als Redebedeutung unterstellt wird, bis Kound/ oder Kontext eine andere Lesart ‚erzwingen‘. Eine Betrachtung der verschiedenen Verwendungsweisen des Präsens zeigt, dass aus dem Kotext häufig zweifelsfrei hervorgeht, welche Redebedeutung diesem Tempus zukommt; so indizieren z.B. die Temporaladverbien (gestern, morgen etc.), dass es nicht zum Ausdruck von Gleichzeitigkeit verwendet wird. Gerade das (generische) Maskulinum steht aber oft ohne eindeutige kotextuelle Markierung TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 235 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 236 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik der geschlechtsneutralen Lesart, während die durch den (weitgehenden) Zusammenfall von Femininum und Plural bedingte Ambiguität im Deutschen aufgrund der Numerusmarkierung aufgelöst wird (vgl. etwa: Sie geht ins Kino vs. Sie gehen ins Kino). Bei der oft angeführten lexikalischen Opposition von Tag und Nacht scheint in einigen Fällen, in denen Tag nicht unmittelbar in Opposition zu Nacht steht, ebenfalls die spezifische Lesart im Vordergrund zu stehen. Schmid (1996: 54) weist darauf hin, dass eine Äußerung wie Ich habe in vierzehn Tagen Prüfung „innerhalb dieses Zeitraums vor allem die wache Zeit [also: den Tag! ] [meint], die zur Vorbereitung genutzt werden kann“. Mit Recht führt sie dies in erster Linie darauf zurück, dass der Tag in unserem Kulturkreis den kognitiv salienteren Zeitraum der vierundzwanzig Stunden darstellt. Zu beachten ist allerdings, dass diese Begründung allein auf außersprachliche Gegebenheiten rekurriert und sich gerade nicht auf die sprachliche Ebene bezieht. Begründet man die vorausgesetzte Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum auf diese Weise, dann argumentiert man nicht im Hinblick auf die Sprache, sondern kritisiert nur bestimmte (sexistische) Gesellschafts- und Denkstrukturen. Der Nachweis dafür, dass tatsächlich der Sprache eine bestimmte Wirkung zukommt, kann nur durch empirische Untersuchungen erbracht werden. Die besonders in der frühen Phase der f.L. vorgebrachten Beispielsätze vom Typ Der Erwachsene und seine Frau …, stellen keinen Beleg dar, sondern zeigen lediglich, dass eine Geschlechtsspezifizierung [+männlich] stattfinden kann, und dies wird ja von niemandem bestritten. Mittlerweile liegt aber eine Vielzahl empirischer Untersuchungen vor. Wir wollen diese im nächsten Abschnitt eingehender betrachten, um abschließend beurteilen zu können, inwieweit die vorgebrachten Äußerungen zur diskriminierenden Wirkung des generischen Maskulinums, die durch die gegen die f.L. gerichteten Argumente nicht widerlegt werden, berechtigt sind. 3.5. Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum? Die empirischen Untersuchungen Die feministischen Aussagen zur benachteiligenden Wirkung solcher Ausdrücke, die sexusneutral und sexusspezifisch verwendet werden können, und/ oder die kontroverse Diskussion dieses Themas hat verschiedene Linguisten und Psychologen, Anhänger der feministischen Bewegung ebenso wie Außenstehende, zur Durchführung empirischer Untersuchungen motiviert. Besonders zahlreich sind die Studien zu Gebrauch und Verständnis des Pronomens he; TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 236 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Empirie 237 schon 1980 konnte Silveira auf 14 verschiedene Untersuchungen verweisen (vgl. Silveira 1980: 170f.). Die Wirkung des generischen Maskulinums im Deutschen ist mittlerweile ebenfalls gut dokumentiert. Weit weniger Untersuchungen liegen für das Spanische vor und mit Sprechern des Französischen hat man unseres Wissens bislang gar keine Tests durchgeführt. Neben den spezifischen Experimenten, die Aufschluss über die Wirkung des generischen Maskulinums bzw. des engl. ‚generic he/ man‘ geben, liegen unterschiedliche Arbeiten vor, die darüber informieren, inwieweit native speaker von Genussprachen generell zur Inbezugsetzung oder gar Identifizierung von Genus und Sexus neigen. Auf diese ‚übergreifenden‘ Untersuchungen, deren Ergebnisse zum Teil fragwürdig sind, kann und soll hier allerdings nicht näher eingegangen werden; 266 und auch die Darstellung der spezifischen Experimente hat notwendigerweise exemplarischen Charakter. Wir werden uns also im Folgenden auf die Beschreibung einiger ausgewählter Untersuchungen beschränken und auf andere lediglich verweisen. Zum ‚generic he‘ werden drei Studien, zum generischen Maskulinum im Deutschen zwei und zum generischen Maskulinum im Spanischen werden ebenfalls zwei Studien 266 Als gesichert dürften die Ergebnisse der von Jakobson angeführten Experimente zum Einfluss des Genus bei der Personifikation gelten, die zeigen, dass „[l]a manière de personnifier ou d’interpréter métaphoriquement les noms inanimés est influencée par leur genre“ (Jakobson 1963: 84). Die von Ervin (1962) gezogene Schlussfolgerung, die Opposition von Femininum und Maskulinum (im Italienischen) habe ähnliche Konnotationen wie die von gli uomini : le donne (le femine), ist unseres Erachtens aber aufgrund des von ihr durchgeführten Experiments (noch) nicht belegt. Ervin legte Sprechern des Italienischen Kunstwörter des Aufbaus Konsonant-Vokal-Konsonant mit maskuliner bzw. femininer Endung (-o bzw. -a) vor, die sie nach der Methode des semantischen Differentials bewerten sollten. Schon das Verfahren der Bedeutungsmessung ist u.a. hinsichtlich der Auswahl der vorgegebenen Adjektivskalen (aktiv/ passiv, erregbar/ ruhig, stark/ schwach, hart/ weich, schön/ hässlich u.a.) nicht unproblematisch und daher verschiedentlich auf Kritik gestoßen. Vor allem aber ist mit Wienold (1967: 153) gegen Ervin einzuwenden, dass die vorgegebenen Wortpaare trotz des Hinweises, es handele sich um Sachbezeichnungen, von den Versuchspersonen eventuell wie substantivierte Adjektive vom Typ (il) bello/ (la) bella aufgefasst, aus diesem Grunde auf Männer und Frauen bezogen und mit den entsprechenden Assoziationen belegt wurden. Allerdings kommt auch Konishi (1993), die eine Untersuchung zum Zusammenhang von Genus und Sexus mit Sprechern des Deutschen und Spanischen durchführte und die ebenfalls mit der Methode des semantischen Differentials, nicht aber mit Kunstwörtern arbeitete, zu ähnlichen Ergebnissen wie Ervin.: „[..] the present study […] did show that in two languages with grammatical gender, German and Spanish, high-frequency words carry connotations of femininity and masculinity“ (Konishi 1993: 531). Insgesamt ist die Frage, ob das Genus von Seiten der Sprecher generell mit natürlichen bzw. stereotypen Merkmalen der Geschlechter in Verbindung gebracht wird, unseres Erachtens noch nicht zweifelsfrei beantwortet. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 237 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 238 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik ausführlich betrachtet. 267 Im Anschluss werden wir dann eine Gesamteinschätzung der empirischen Untersuchungen vornehmen und skizzieren, wie deren Ergebnisse im Lichte kognitivistischer Ansätze zu beurteilen sind. 3.5.1. Untersuchungen zu Gebrauch und Verständnis des ‚generic he‘ Im angloamerikanischen Sprachraum begann man generell schon sehr früh, die zunächst eher auf Introspektion basierenden Aussagen der f.L. empirisch abzusichern. Bereits 1973 erschien eine Arbeit, die belegt, dass Stellenanzeigen, die sich u.a. aufgrund ihrer sprachlichen Form vorwiegend an Frauen bzw. Männer zu richten scheinen, trotz des Hinweises darauf, dass das Geschlecht der Bewerber unerheblich sei, von den Vertretern des jeweils nicht direkt angesprochenen Geschlechts als uninteressant eingestuft wurden und dass sich das Interesse bei Umformulierung der entsprechenden Anzeigen erhöhte (vgl. Bem/ Bem 1973). In den von Bem/ Bem durchgeführten Experimenten spielten das generische he und Komposita mit man (Lineman/ Frameman) zwar eine Rolle, es wurde aber nicht ausdrücklich nach ihrer Wirkung gefragt, so dass von den Ergebnissen dieser Untersuchung noch keine Rückschlüsse darauf gezogen werden können, wie generische Formen verstanden werden. Die Ergebnisse des ersten Experiments, das unmittelbar auf die Frage nach dem Verständnis des generischen he ausgerichtet war, wurden 1978 von Moulton/ Robinson/ Elias publiziert. Die drei Psychologen legten ihren in sechs Gruppen eingeteilten Versuchspersonen (264 weibliche und 226 männliche College-Studenten) jeweils ein Thema vor und forderten sie auf, zu diesem eine kleine Geschichte über eine fiktive Person zu schreiben. 268 Die beiden Themen waren wie folgt vorgegeben: In a large coeducational institution the average student will feel isolated in ____ introductory courses. Most people are concerned with appearance. Each person knows when ____ is unattractive. (Ebd.: 1034) In die Leerstellen setzten Moulton/ Robinson/ Elias entweder his, their oder his or her ein. Jede Versuchsperson (Vp) erhielt eine Satzvariante. Die Auswertung ergab, dass im Falle von his nur in 35% der Fälle eine weibliche Person gewählt wurde; beim Pronomen their betrug der An- 267 Bei der Auswahl der vorgestellten empirischen Untersuchungen haben wir den Schwerpunkt ganz bewusst auf ältere Studien gelegt, da nicht auszuschließen ist, dass sich Verständnis und Gebrauch des generischen Maskulinums angesichts des durch die f.L. initiierten Sprachwandels in den letzten Jahren verschoben haben. 268 Die Versuchspersonen wurden ausdrücklich angewiesen, nicht über sich selbst zu schreiben. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 238 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Empirie 239 teil weiblicher Spezifizierungen 46% und bei der Splittingform his or her 56%. 269 Moulton/ Robinson/ Elias kommen aufgrund dieser Ergebnisse zu dem Schluss, dass das Pronomen he seine geschlechtsneutrale Funktion nicht erfülle, da es die Sprachbenutzer dazu veranlasse, vor allem an männliche Personen zu denken; die benachteiligende Wirkung von he sehen sie damit als bestätigt an (vgl. ebd.: 1035). Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen auch MacKay/ Fulkerson (1979), deren empirische Untersuchung jedoch etwas anders gestaltet ist. Sie führten insgesamt vier Experimente durch: Experiment I sollte zeigen, ob das Pronomen he tatsächlich als geschlechtsneutral empfunden wird. Die Experimente II bis IV sind vor allem in Kontrast zu diesem ersten zu sehen. 270 In Experiment I wurden zehn männlichen und zehn weiblichen Versuchspersonen (Vpn) insgesamt 26 verschiedene Sätze vorgesprochen. Die Vpn sollten schnellstmöglich entscheiden, ob man mit diesen Sätzen auf eine oder mehrere weibliche Person(en) referieren könne (Antwort: ‚Ja‘) oder ob dies nicht möglich sei (Antwort: ‚Nein‘). 271 Sechs dieser Sätze waren generische Testsätze, die das Pronomen he enthielten, die aber hinsichtlich des Antezedens wiederum in drei verschiedene Typen unterteilt waren: Bei zwei Testsätzen wurde eine Personenbezeichnung gewählt, bei der man eher weibliche Assoziationen erwartete (z.B. secretary, receptionist), bei zwei weiteren eine Bezeichnung, die als eher männlich assoziiert galt (z.B. banker, plumber), und bei den restlichen beiden wurden ‚neutrale‘ Bezeichnungen gewählt (z.B. student, artist). 272 Die verbleibenden 20 Sätze waren filler, die entweder ein 269 Neben dem Pronomen erwiesen sich das Geschlecht der Versuchspersonen und die Art des Themas als relevante Variablen, d.h., dass der Anteil weiblicher fiktiver Personen bei weiblichen Versuchspersonenen signifikant höher war als bei männlichen und dass beim zweiten Thema insgesamt mehr weibliche Personen gewählt wurden als beim ersten. Dies ist nicht erstaunlich, da mit Moulton/ Robinson/ Elias angenommen werden kann, dass die Versuchspersonenen aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu den Themen dazu neigten, die Personen ihrer Geschichten in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Geschlecht zu wählen, und da das zweite Thema gemäß den gängigen Geschlechtsrollenstereotypen eher weiblich assoziiert sein dürfte. 270 Bei allen Experimenten dienten Studenten der UCLA als Versuchspersonen; jede nahm nur an einem Experiment teil. 271 Der genaue Wortlaut der Instruktionen war: „You will hear sentences and you are simply to respond YES if the sentence could refer to one or more females, and NO if it could not“ (ebd.: 663). 272 Die Einschätzung der Referentenklassen und die daraus abgeleitete (unseres Erachtens nicht unproblematische) Charakterisierung der Nomina als ‚predominantly male‘, ‚predominantly female‘ und ‚neutral‘ stützte sich auf eine der Testreihe vorausgegangene Befragung von 80 UCLA-Studenten. Sofern der Männerbzw. Frauenanteil in der entsprechenden Personengruppe auf mehr als 70% geschätzt wurde, galt die Personenbezeichnung als ‚predominantly male‘ bzw. ‚predominantly female‘, sofern er unter 65% lag, galt sie als ‚neutral‘. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 239 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 240 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Nomen mit lexeminhärenter Geschlechtskennzeichnung (z.B. sister) oder ein geschlechtsspezifisches Pronomen aufwiesen. 273 In Experiment II wurden dieselben Sätze verwendet. Die insgesamt vierzehn Versuchspersonen (sieben männliche/ sieben weibliche) sollten hier aber entscheiden, ob man mit diesen auf eine oder mehrere männliche Person(en) referieren könne. Es sollte so herausgefunden werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit das generische he korrekt als zur Referenz auf Männer verwendbar eingeschätzt wird. Für Experiment III wurde das Pronomen he in den sechs generischen Testsätzen durch she ersetzt; die filler sentences blieben unverändert. Die zehn weiblichen und zehn männlichen Vpn wurden wie bei II gefragt, ob diese Sätze zur Referenz auf eine oder mehrere männliche Person(en) verwendet werden könnten. Dieses Experiment sollte vor allem Rückschlüsse auf die Adäquatheit des generischen she erlauben (im Vergleich zu he). In Experiment IV hörten zwölf weibliche und zwölf männliche Vpn insgesamt 31 Sätze (neun Testsätze und 22 filler), in denen keine Pronomina vorkamen. Die neun Testsätze variierten wie in Experiment I bis III hinsichtlich des Personenbezeichnungstyps; alle filler enthielten geschlechtsspezifische Bezeichnungen. Die Vpn wurden wie bei I aufgefordert zu entscheiden, ob sich die Sätze auf eine oder mehrere weibliche Person(en) beziehen könnten. Primäres Ziel dieses Experiments war festzustellen, inwieweit sich die Interpretation der verschiedenen Personenbezeichnungen bzw. der generischen Äußerungen, in denen diese vorkommen, verändert, wenn keine pronominale Substitution durch he vorliegt. Die Hauptergebnisse dieser Studie sehen wie folgt aus: In Experiment I wurden die Testsätze zu 87% ‚falsch‘ eingeschätzt, d.h. die Entscheidungsfrage „Could the sentence refer to one or more females? “ wurde mit ‚Nein‘ beantwortet. (Die Fehlerquote für die geschlechtsspezifischen filler sentences lag bei 2%.) In Experiment II lag die Fehlerquote bei den Testsätzen hingegen nur bei 1%; in 99% der Fälle wurde also die Frage, ob die ‚generic he‘-Sätze geäußert werden könnten, um auf Personen männlichen Geschlechts zu referieren, mit ‚Ja‘ beantwortet. (Zu Fehleinschätzungen der filler kam es auch hier in 2% der 273 Der Verständlichkeit halber sei hier für die insgesamt fünf verschiedenen Satztypen jeweils ein Beispiel gegeben (die Beispielsätze und die in Klammern angegebenen Bestimmungen sind ebd.: 663 entnommen): I. Testsätze (‚generic pronoun sentences‘): When a botanist is in the field, he is usually working (‚predominantly male antecedent‘)/ A nurse must frequently help his patients get out of bed (‚predominantly female antecedent‘)/ A bicyclist can bet that he is not safe from dogs (‚neutral antecedent‘). II. Filler: The old housekeeper cleaned her carpet before sunrise (‚sex-specific pronoun sentence‘)/ The front door was quickly answered by his aunt (‚sex-specific noun sentence‘). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 240 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Empirie 241 Fälle.) Bei Experiment III wurden die generischen Sätze mit dem Pronomen she zu 96% als ‚nicht zur Referenz auf eine oder mehrere Person(en) männlichen Geschlechts verwendbar‘ eingeschätzt. (Die Einschätzung der Sätze mit geschlechtsspezifischem Nomen oder Pronomen fiel hier ähnlich aus wie bei I und II; nur in 3% der Fälle waren die Antworten als falsch zu bewerten). Für die Einschätzung der Testsätze von Experiment I bis III erwies sich weder das Geschlecht der Versuchspersonen noch die Art der Personenbezeichnung als ausschlaggebend. Die Ergebnisse von Experiment IV belegen insgesamt, dass das generische he die Interpretation des Antezedens beeinflusst, denn die ‚Fehlerrate‘ für die Testsätze lag hier signifikant unter der von Experiment I; sie betrug 43% (vs. 87% in I). (Die Fehlerrate der filler zeigte keine bedeutende Abweichung; mit 1,5% lag sie in etwa auf demselben Niveau wie bei den drei anderen Experimenten.) Im Gegensatz zu Experiment I bis III erwies sich bei IV aber sowohl das Geschlecht der Vpn als auch die Art der Personenbezeichnung als relevant: Für männliche Versuchspersonen lag die Fehlerquote bei 51%, für weibliche bei 34%. Für Sätze mit weiblich assoziierten Personenbezeichnungen lag sie insgesamt bei 19%, für solche mit männlich assoziierten bei 68% und für neutrale Bezeichnungen bei 42%. MacKay/ Fulkerson sehen durch die Ergebnisse ihrer Testreihe zum einen die ‚pronominal dominance hypothesis‘ bestätigt, da sowohl he als auch she dazu beitragen, dass generische Äußerungen geschlechtsspezifisch interpretiert werden, und zwar unabhängig davon, welche Art von Personenbezeichnung jeweils als Antezedens fungiert; zum anderen kommen auch sie zu dem Schluss, dass das Pronomen he nicht als neutral angesehen werden kann und nehmen dies zum Anlass, die gängige linguistische Beschreibung für unzulänglich zu erklären. 274 Weitere Experimente zum generischen he stellt Martyna in einem Aufsatz von 1980 vor. Den Ausgangspunkt für ihre beiden Untersuchungen bildeten die folgenden Fragen: Do we always use generic he to refer to a sex-unspecified person, or do we turn to alternatives, such as they and he or she, to convey generic reference? And when generic he is used, do we understand it in its generic or its specific sense? (Martyna 1980: 70) 274 Zusammenfassend heißt es: „[…] generic he is not neutral but perceptually polarizes an otherwise neutral antecedent […] the male interpretation of generic he is more readily available than the female interpretation. Both findings contradict the neutralization assumption and illustrate a major gap between linguistic description and how people actually use language to encode concepts related to real-world events“ (MacKay/ Fulkerson 1979: 669) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 241 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 242 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Anders als in den bislang referierten Studien testete Martyna also nicht nur das Verständnis, sondern auch den Gebrauch verschiedener Pronomina. Sehen wir uns zunächst ihr Experiment zum Gebrauch an. Martyna legte insgesamt 400 Schülern und Studenten verschiedener Altersgruppen („from kindergarten through college“) eine Reihe unvollständiger Sätze vor. Neben den kritischen Testsätzen gab sie Satzfragmente zu verschiedenen Themen (Sport, Wetter u.Ä.) an, die vom Ziel des Experiments ablenken sollten. Ähnlich wie bei MacKay/ Fulkerson (1979) waren die Personenbezeichnungen der Testsätze so gewählt, dass aufgrund außersprachlicher Frequenzverhältnisse in den entsprechenden Personengruppen entweder männliche oder weibliche oder gleichermaßen männliche und weibliche Assoziationen von Seiten der Vpn zu erwarten waren. Die von den Vpn zu Ende zu führenden Sätze lauteten zum Beispiel: When an engineer makes an error in calculation … When a secretary first arrives at the office … When a teenager finishes high school … Nach Ausfüllen des Testbogens wurden die Vpn per Fragebogen aufgefordert, die Gründe für die Wahl der verschiedenen Pronomina anzugeben, und sie wurden gefragt, ob bestimmte ‚Bilder‘ oder ‚Vorstellungen‘ („images or ideas“) ihre Wahl begleiteten bzw. beeinflussten. Die Ergebnisse des Experiments zeigen, dass die Art der Personenbezeichnung und - in geringerem Maße - das Geschlecht der Versuchspersonen für die Wahl eines Pronomens ausschlaggebend waren. Insgesamt wurde bei ‚male related sentences‘ in 96% der Fälle das Pronomen he und kein einziges Mal she gewählt; 4% der Sätze wurden mit einer alternativen Möglichkeit (they, he or she oder Wiederholung der entsprechenden Bezeichnung) fortgeführt. ‚Female related sentences‘ wiesen zu 7% he, zu 87% she und zu 6% Alternativformen auf. Bei den ‚neutral sentences‘ lag das Verhältnis bei 65% he, 5% she und 30% Alternativformen. 275 275 Die Variable ‚Geschlecht der Vpn‘ wirkte sich wie folgt aus: Bei ‚male related sentences‘ wählten männliche Versuchspersonen in 97% der Fälle he und in 3% der Fälle eine Alternative; die Ergebnisse für weibliche Versuchspersonen unterschieden sich hier nur sehr geringfügig: 95% he und 5% Alternativformen. Auch bei ‚female related sentences‘ zeigte diese Variable nur geringe Wirkung. 9% der von Männern und 6% der von Frauen vervollständigten Sätze enthielten he, 84% bzw. 90% she und 7% bzw. 4% Alternativformen. Allein bei den ‚neutral sentences‘ waren die Differenzen größer: Männliche Vpn hatten zu 74% he, zu 2% she und zu 24% Alternativen gewählt, Frauen gaben zu 56% he, zu 8% she und zu 36% Alternativen an. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 242 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr Empirie 243 Die Befragung der Versuchspersonen ergab, dass die Pronomina für die Sätze mit eher männlich bzw. eher weiblich assoziierten Personenbezeichnungen in Übereinstimmung mit den ‚Vorstellungen‘ und ‚Bildern‘ gewählt worden waren, die sich beim Lesen der Sätze einstellte. Martyna (1980: 72) stellt fest: „The pronoun was picked to match the gender of image received, and thus seems to be a gender-specific rather than a generic term.“ Für die neutralen Sätze gaben 60% der Männer und (nur) 10% der Frauen an, bestimmte Vorstellungen bezüglich des Geschlechts der Referenten gehabt zu haben. Während männliche Vpn die Wahl des Pronomens he damit begründeten, dass sie an Männer dachten, erklärten die weiblichen Vpn, he tatsächlich als neutrales Pronomen, „automatically“, „for lack of a better word“ verwendet zu haben, ohne dass sich bestimmte männliche Assoziationen eingestellt hätten (ebd.). Auch die Ergebnisse dieser Untersuchung geben - Martyna zufolge - Anlass, die geschlechtsneutrale Funktion des Pronomens he anzuzweifeln: These patterns of usage reveal that he is far from adequate in covering generic ground. Instead of relying on the generic masculine to refer to the sex-unspecified person, we often turn to alternatives such as she, they and he or she, depending on what sex we are, and what sex we imagine we are talking about. Why a shift to these alternatives […] when he is supposed to be a clear generic referring expression? (Ebd.) In einem weiteren Experiment sollte getestet werden, ob he seine Funktion als geschlechtsneutrales Pronomen tatsächlich nicht erfüllt, d.h. ob es von den Sprachbenutzern auch in eindeutig neutralen Kontexten generell eher geschlechtsspezifisch verstanden wird. Martynas Versuchsanordnung gleicht in einigen Punkten der von MacKay/ Fulkerson (1979). Sie legte den Versuchspersonen - 72 Studenten der Stanford Universität - eine Reihe von Sätzen des folgenden Typs vor: When someone listens to a record player, ____ will often sing alone. When someone prepares for an exam, ____ must do some studying. In die Leerstelle waren die Pronomen he, they oder he or she eingesetzt. (Auch hier wurde durch filler sentences verschiedenen Inhalts von dem Ziel des Experiments abgelenkt.) Nach der Lektüre eines Satzes wurde den Vpn das Bild einer männlichen oder weiblichen Person gezeigt, und sie entschieden, ob dieses Bild zu dem Satz, den sie gelesen hatten, ‚passte‘ („[…] whether or not the picture applied to the sentence“). Martyna setzte voraus, dass die Bilder weiblicher Personen immer als passend bezeichnet werden müssten, wenn he tatsächlich als geschlechtsneutrales Pronomen verstanden wird. 20% der Versuchspersonen - Frauen in gleichem Maße wie Männer - gaben aber an, dass die ‚generic he‘-Sätze mit dem Bild einer weiblichen Person inkompatibel TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 243 16.12.2008 13: 08: 40 Uhr 244 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik seien. Im Anschluss an das Experiment wurden die Versuchspersonen gefragt, ob ihnen das Pronomen he aufgefallen sei. 53% der Männer, aber nur 37% der weiblichen Vpn bejahten dies. 276 Um stärker auf das Pronomen he aufmerksam zu machen, wurden die Vpn in einem weiteren Experiment gleichzeitig mit den Sätzen und den Bildern konfrontiert. In der Tat erhöhte sich hierdurch die Anzahl der ‚not apply judgments‘ auf 40%. Martyna geht insgesamt davon aus, dass ihre Ergebnisse zum Ausmaß der benachteiligenden Wirkung des Pronomens he u.a. aufgrund des eindeutig generischen Charakters der von ihr vorgegebenen Sätze noch unter dem im alltäglichen Sprachgebrauch Erwartbaren liegen. Die Unangemessenheit des generischen he steht für sie außer Frage; sie stellt fest: Even in clearly generic contexts, the generic masculine is open to an interpretation that excludes females. Whether that exclusion occurs 20 percent or 40 percent of the time, or whether in fact it occurs only once, the point is clear: the generic masculine fails to perform its generic duty adequately. (Ebd.: 74) Die bisher betrachteten Untersuchungen fallen relativ eindeutig zuungunsten des generischen he aus. Da gezeigt werden konnte, dass eindeutig geschlechtsneutrale Äußerungen, die dieses Pronomen enthalten, verstärkt an Männer denken lassen (Moulton/ Robinson/ Elias 1978) bzw. in vielen Fällen als ‚nicht auf Frauen anwendbar‘ angesehen werden (MacKay/ Fulkerson 1979, Martyna 1980), da diese Vorstellung bzw. Einschätzung bei der Wahl eines anderen Pronomens (they, he or she) modifiziert wird und da die Sprachbenutzer zumindest teilweise dazu neigen, he in eindeutig geschlechtsneutralen Ko- und Kontexten zu vermeiden (Martyna 1980), sehen die verschiedenen Autoren die diskriminierende Wirkung dieses Pronomens als erwiesen an. Ihnen zufolge hat die Verwendung von he eindeutig negative Konsequenzen für Frauen. Weitere Untersuchungen, die hier nicht mehr besprochen werden sollen, bestätigen dieses Gesamtergebnis: u.a. Martyna (1978), MacKay (1980), Bat- 276 Leider geht aus Martynas Darstellung nicht zweifelsfrei hervor, ob hier alle Vpn befragt wurden oder nur diejenigen, die angaben, dass Satz und Bild miteinander vereinbar seien (vgl. ebd.: 74). Somit wird auch nicht eindeutig geklärt, ob und inwieweit die ‚not apply judgments‘ dadurch zustande kamen, dass die Vpn auf das Pronomen he aufmerksam wurden. Ferner wird nicht deutlich, ob die they- und he or she-Varianten zu 100% als mit dem Bild kompatibel bewertet wurden. (Martynas Darstellung ist nicht nur in diesen Punkten ungenau. Auch an anderen Stellen wären detailliertere Angaben z.B. zum Aufbau der einzelnen Experimente wünschenswert: So bleibt offen, wie viele Testsätze jeder Vpn vorgelegt wurden, ob alle dieselben Testsätze bekamen, wie viele verschiedene Testsätze konzipiert wurden u.a.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 244 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 245 liner (1984) 277 und Khosroshahi (1989). Das von Khosroshahi durchgeführte Experiment ist auch insofern aufschlussreich, als sie sich bemühte, ihre Versuchspersonen nicht zur Geschlechtsspezifikation zu zwingen. Viele der vorliegenden Untersuchungen sind in dieser Hinsicht in der Tat zu kritisieren, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Sprachbenutzer beim Hören oder Lesen einer generischen Äußerung keine konkreten Vorstellungen hinsichtlich des Geschlechts der möglichen Referenten haben. Doch dieser Unterschied in der Versuchsanordnung hatte keine wesentlichen Auswirkungen. Khosroshahi, die die Ergebnisse insgesamt als empirische Bestätigung für die Sapir-Whorf-Hypothese ansieht, gibt zwar an, dass die Unterschiede in der Wirkung verschiedener Pronomen (he, they, he or she) nicht so groß waren wie aufgrund der Ergebnisse vorausgehender Untersuchungen erwartet; dennoch kommt sie zu dem Schluss, dass das Pronomen he auch in eindeutig geschlechtsneutralen Kotexten häufig geschlechtsspezifisch verstanden wird, und zwar in signifikant höherem Maße als they und he or she (vgl. Khosroshahi 1989: 516). 3.5.2. Untersuchungen zum Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen im Deutschen Die ersten Vertreterinnen der feministischen Linguistik in Deutschland meinten von den Ergebnissen der damals vorliegenden empirischen Untersuchungen zum generischen he auf die benachteiligende Wirkung maskuliner Personenbezeichnungen im Deutschen schließen zu dürfen (vgl. z.B. Trömel-Plötz 1978: 53 FN 8, Pusch 1979: 89); eigene empirische Untersuchungen wurden nicht durchgeführt. Erst 1988 wurde von nicht-feministischer Seite, von dem Germanisten J. Klein, eine Arbeit vorgelegt, in der die Ergebnisse eines Experiments mit Sprechern des Deutschen vorgestellt wurden. Fünf Jahre später publizierten die Sozialpsychologinnen B. Scheele und E. Gauler, offenbar in Unkenntnis von Kleins Arbeit, einen Aufsatz, der über eine von den Autorinnen durchgeführte Untersuchung informiert. Es folgte dann noch eine ganze Reihe weiterer Studien (vgl. z.B. Irmen/ Köhncke (1996), Rothermund (1998), Braun et al. (1998), Heise (2000), Stahlberg et al. (2001), Rothmund/ Scheele (2004)). Wir wollen uns im Folgenden auf die exemplarische Beschreibung der Untersuchungen von Klein und Scheele/ Gauler beschränken. Auf die Ergebnisse anderer Studien soll vor allem im Rahmen der Gesamteinschätzung im letzten Teilabschnitt noch eingegangen werden. 277 Batliner (1984) beschäftigt sich auch mit dem Verständnis des Ausdrucks man. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 245 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 246 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Klein (1988) führte insgesamt zwei Tests durch. An Test A nahmen 158 Versuchspersonen verschiedener Altersgruppen und sozialer Schichten teil (84 weibliche/ 74 männliche). Den Vpn wurden insgesamt sechs Testaufgaben vorgelegt, die aus je zwei Sätzen bestanden. Die Kopfsätze enthielten ein generisches Maskulinum im Singular oder Plural, die folgenden Sätze eine Lücke, die entweder mit einer Anredeform oder mit einem Vornamen zu füllen war. Die Sätze waren also insgesamt so konstruiert, dass in den Folgesätzen auf ein individuelles Exemplar der im Kopfsatz genannten Personengruppe referiert und somit eine Geschlechtsspezifizierung vorgenommen werden musste. Die Personenbezeichnungen der Kopfsätze waren durchweg neutral (Bürger, Wähler, Einwohner etc.) und auch die Themen waren weitgehend so gewählt, dass Männer und Frauen gleichermaßen ‚betroffen‘ waren. Testsatz 1 lautete zum Beispiel: Jeder Einwohner der Stadt Aachen sollte sich zu dem Problem des hohen Verkehrsaufkommens äußern. (Anrede: ________ / Vorname: ________) Meier meinte dazu, daß man mehr Straßen zu Fußgängerzonen umgestalten solle. Sowohl der den Vpn vorgelegte Vorspann zum Sinn des Tests als auch eine Reihe von filler-Sätzen lenkten vom Ziel des Experiments ab. Test B wurde mit einer vergleichbaren Gruppe von 118 Personen durchgeführt (54 männliche/ 74 weibliche). Auch die Anordnung des Experiments stimmte mit A überein, geändert wurden lediglich die generischen Maskulina in den sechs Testsätzen; sie wurden durch Doppelformen ersetzt. Testsatz 1 lautete demnach: Jede Einwohnerin/ jeder Einwohner der Stadt Aachen sollte sich zu dem Problem des hohen Verkehrsaufkommens äußern. (Anrede: ________ / Vorname: ________) Meier meinte dazu, daß man mehr Straßen zu Fußgängerzonen umgestalten solle. Bei Test A ergab sich für keinen der sechs Testsätze eine annähernde Gleichverteilung von männlicher und weiblicher Geschlechtsspezifizierung. Insgesamt wurde in 69% aller Fälle auf eine männliche und nur in 20% auf eine weibliche Person referiert; sowohl auf Männer als auch auf Frauen war in 4% der Fälle Bezug genommen worden (7% der Eintragungen waren nicht auswertbar). Das Geschlecht der Vpn erwies sich nur in relativ geringem Maße als ausschlaggebend: Das Verhältnis von männlicher und weiblicher Spezifizierung lag für Frauen bei 67% zu 25%, für Männer bei 72% zu 14% (7% der Eintragungen von Männern und 1% der Eintragungen von Frauen waren neutral, d.h. auf beide Geschlechter bezogen). Vier der sechs Testsätze stimmten hinsichtlich der Anzahl männervs. frauenspezifischer Namen oder Anredeformen überein. Bei zwei Testsätzen TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 246 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 247 zeigten sich nennenswerte Abweichungen, einmal zugunsten weiblicher, das andere Mal zugunsten männlicher Geschlechtsspezifizierungen. Diese Abweichungen sind im ersten Fall offenbar auf das Thema (Einkaufen im Tante- Emma-Laden oder Supermarkt), im zweiten Fall auf das Vorhandensein eines maskulinen anaphorischen Pronomens zurückzuführen. Falls das Übergewicht männlicher Geschlechtsspezifizierungen in Test A allein durch die Verwendung des generischen Maskulinums bedingt wäre, so müsste sich für Test B eine (annähernde) Gleichverteilung männlicher und weiblicher Spezifizierungen ergeben. Dem war jedoch nicht so: […] obwohl die grammatische Struktur der feminin/ maskulinen Doppelform die Testpersonen geradezu aufdringlich darauf stößt, daß der jeweiligen Personengruppe Frauen in gleichem Maße wie Männer angehören, bleibt auch hier das Übergewicht männlicher Geschlechtsspezifizierung und damit eine deutliche Prädominanz der Assoziation ‚Mann‘ - allerdings auf abgeschwächtem Niveau. (Klein 1988: 316) Insgesamt lag die Anzahl männlicher Spezifizierungen in Test B bei 61%, die weiblicher Spezifizierungen bei 30%; 6% der Eintragungen waren neutral, d.h. auf beide Geschlechter bezogen (weitere 4% nicht auswertbar). Wie bei A erwies sich das Geschlecht der Vpn nur geringfügig als relevant (32% weibliche, 57% männliche Spezifizierung und 5% neutrale Eintragungen von Seiten der weiblichen Vpn; 27% weibliche, 66% männliche Spezifizierung und 6% neutrale Eintragungen von Seiten der männlichen Vpn). Eine annähernde Gleichverteilung männlicher und weiblicher Spezifizierungen ergab sich nur in zwei Fällen. Zum einen bei dem bereits erwähnten Satz zum Thema ‚Einkaufen‘, zum anderen bei dem einzigen Satz, der (in Test A) ein generisches Maskulinum im Singular (ein Schüler) enthielt. Für diesen führte die Umformulierung (Schüler/ Schülerin) sogar zu einem leichten Übergewicht an auf Frauen bezogenen Eintragungen. Klein begründet dies damit, dass Schüler „von vielen Sprachteilhabern nicht als generische, sondern als geschlechtsspezifische Bezeichnung für männliche Personen verstanden wird“ (ebd.: 318). Dies ist sicherlich zutreffend, dürfte aber gerade damit zusammenhängen, dass hier der Singular gewählt wurde, der die spezifische Interpretation stärker begünstigt als eine Pluralform. Klein kommt aufgrund seiner Tests insgesamt zu dem Ergebnis, dass das generische Maskulinum nicht allein und auch nicht in erster Linie zur Ignorierung von Frauen führe, dass ihm aber eine deutliche Verstärkerwirkung zukomme. Abschließend stellt er fest, dass die „Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum […] keine feministische Schimäre [ist], sondern psycholinguistische Realität“. Es sei jedoch zu beachten, dass „das situationsübergreifende Stereotyp der Dominanz des Mannes, das Ausnahmen nur in TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 247 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 248 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Nischen gestattet, […] offenbar in tieferen kognitiven Schichten verankert [ist] als in der Grammatik der Wortbildung“ (ebd.: 319). Scheele/ Gauler (1993) sehen das Genus-Sexus-Problem ausdrücklich als ‚paradigmatischen Fall der linguistischen Relativitätsthese‘ an und kritisieren, dass die vorausgesetzte Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum von Seiten der f.L. nicht systematisch überprüft worden sei. Ähnlich wie Khosroshahi bemängeln sie außerdem, dass man die Versuchspersonen in vorliegenden Experimenten - sie beziehen sich speziell auf die oben dargestellte Studie von Moulton/ Robinson/ Elias (1978) - zur Geschlechtsspezifikation ‚gezwungen‘ habe und dass somit ein Teil der Problematik erst artifiziell geschaffen worden sei. Sie gehen davon aus, dass die generische Verwendung von Nomina und Pronomina […] im optimalen Fall zum einen zu kognitiven Assoziationen führen [könnte], die gleichbleibend generell, abstrakt und damit sexusindifferent sind, zum anderen zu Konkretisierungen, die gegebenenfalls gerade nicht dichotom entweder Männer oder Frauen salient werden lassen, sondern […] gerade die für Männer und Frauen übereinstimmend menschlichen Eigenschaften […] hervorheben. (Ebd.: 61) Durch den Zwang zur Geschlechtsspezifizierung seien diese beiden Möglichkeiten der Wirkung maskuliner Formen von vornherein ausgeschlossen. Scheele/ Gauler versuchten ihre empirischen Untersuchungen - insgesamt führten sie zwei Studien durch - so zu konzipieren, dass diese Möglichkeiten offen bleiben. Sehen wir uns an, wie ihre Versuche aufgebaut sind und zu welchen Ergebnissen sie führen. Für das erste Experiment dienten die folgenden beiden Sätze als Ausgangspunkt: (A) Wissenschaftler von Bedeutung wählen ihre Probleme, wie sie ihre ______ auswählen. (B) Die Deutschen lassen sich von ihren ______ zu edler Tat begeistern. Diese beiden Sätze stammen aus zwei Arbeiten der feministischen Linguistik; Scheele/ Gauler zufolge werden sie dort, mit dem Ausdruck Frauen versehen, als Beispiele für die diskriminierende Wirkung des generischen Maskulinums angeführt (vgl. ebd.: 60f.). Nun ist aber sogleich zu beachten, dass es sich im Falle des Subjekts von Satz B nicht um ein generisches Maskulinum, sondern um eine neutrale Form handelt. Ein Blick in die von Scheele/ Gauler angegebene Quelle (Pusch 1984: 19) zeigt dann auch, dass sich Pusch an dieser Stelle gar nicht auf das generische Maskulinum bezieht, sondern anhand ganz konkreter Beispiele aufzeigt, dass selbst eindeutig neutrale Bezeichnungen zur spezifischen Referenz auf Männer verwendet werden (können). Den beiden TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 248 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 249 Verfasserinnen ist hier also offenbar ein Irrtum unterlaufen. Wir werden dies bei der Betrachtung der Ergebnisse berücksichtigen und - falls möglich - prüfen, ob prinzipiell ambige Bezeichnungen wie die Wissenschaftler tatsächlich anders interpretiert werden als neutrale Bezeichnungen wie die Deutschen. Zurück zum ersten Experiment: Die angegebenen Sätze wurden gemäß den verschiedenen von Seiten der f.L. vorgeschlagenen sprachlichen Veränderungsmaßnahmen modifiziert (WissenschaftlerInnen …, Weibliche wie männliche Wissenschaftler …, Jeder wissenschaftlich forschende Mensch … u.a./ Die Deutschen, Männer wie Frauen …, Der/ die Deutsche …, Wir Deutschen … u.a.) (vgl. ebd.: 62). 278 Es ergaben sich so insgesamt sechs Varianten von Satz A und acht Varianten von B, wobei sich unter den B-Varianten auch eine mit generischem Maskulinum befand (Der Deutsche …). Da die berufliche Tätigkeit ‚Wissenschaftler‘ nach wie vor überwiegend von Männern ausgeübt wird und somit nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sich dieser Umstand auf das Experiment auswirkt, wurden sechs entsprechende Sätze mit der Bezeichnung Cutter gebildet. Auf diese Weise sollte eine mögliche Konfundierung von Erfahrungs- und Spracheinfluss kontrolliert werden. Die insgesamt zwölf A-Varianten bildeten den A-Pool, die acht B-Varianten den B-Pool. An Experiment I nahmen insgesamt 546 Versuchspersonen teil (304 weibliche/ 286 männliche/ 6 ohne Angabe des Geschlechts). Ihnen wurde jeweils ein Satz aus dem A-Pool, einer aus dem B-Pool und fünf weitere Lückensätze, die mit der Genus-Sexus-Problematik nichts zu tun hatten, vorgelegt. Die Vpn wurden aufgefordert zu raten, was ursprünglich in den Sätzen gestanden habe, und sie entsprechend zu vervollständigen. Für die Auswertung der Testsätze entwickelten Scheele/ Gauler ein inhaltsanalytisches Kategoriensystem, welches vor allem auf die Aspekte ‚Abstraktheit‘ vs. ‚Konkretheit‘ und ‚Sexusunbestimmtheit‘ vs. ‚Dichotomisierung‘ ausgerichtet war. Als Oberkategorien unterschieden sie sexusunbestimmte Einsetzungen, die auf einer abstrakten, generellen Ebene des Assoziierens zu den jeweiligen Satzsubjekten verbleiben, und konkretisierende Implikationen, durch die […] konkretisierende Assoziationen abgedeckt werden, die implizit verdeutlichen, ob die jeweilige Vp mehr an männliche oder weibliche Vertreter des jeweiligen Satz-Subjekts bzw. an solche beiderlei Geschlechts gedacht hat. (Scheele/ Gauler 1993: 63) Für beide Kategorien wurden wiederum drei Unterkategorien angenommen; für die konkretisierenden Implikationen waren dies die Kategorien ‚männlich‘, ‚weiblich‘ und ‚androgyn‘. 278 Erstaunlicherweise wurde die Variante Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht einbezogen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 249 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 250 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Experiment I führte zu folgenden Ergebnissen: Im Ganzen zeigte sich ein deutliches Übergewicht sexusunbestimmter Einsetzungen. Die relativ geringe Anzahl geschlechtsspezifischer Ergänzungen fiel insgesamt zugunsten männlicher Konkretisierungen aus; Einsetzungen, die der Kategorie ‚androgyn‘ zuzuordnen waren, gab es fast überhaupt nicht. 279 Bei den ‚Wissenschaftler-Sätzen‘ war die Anzahl männlicher Spezifizierungen in der Tat bei der Variante mit generischem Maskulinum am höchsten, nicht aber bei den ‚Cutter-Sätzen‘; hier wurden für zwei der modifizierten Sätze (Weibliche wie männliche Cutter …, Jeder beim Filmschnitt erfolgreiche Mensch …) ebenso viele spezifisch männliche Eintragungen vorgenommen wie für die Variante mit generischem Maskulinum. Insgesamt die meisten Eintragungen mit männlicher Geschlechtsspezifizierung wurden für die Variante mit generischem Maskulinum im Singular (Der Deutsche …) vorgenommen. Die (neutrale) Pluralform (Die Deutschen …) gab hingegen offenbar nicht verstärkt zu männlichen Assoziationen Anlass; männliche Eintragungen waren hier seltener als für die generischen Maskulina Die Wissenschaftler … und Die Cutter …, aber auch seltener als für einige modifizierte Varianten des B-Pools (Der/ die Deutsche …, Wir Deutschen …). Zu einer nennenswerten Erhöhung der Anzahl weiblicher Eintragungen führte insgesamt nur die Satzvariante mit Binnen-I. Es sei hier betont, dass diese Angaben nicht als feste Ergebnisse anzusehen sind, sondern höchstens Tendenzen beschreiben, da die Gesamtzahl spezifischer Eintragungen viel zu gering war, um allgemeine Aussagen ableiten zu können. Da aber von der hohen Anzahl unbestimmter Eintragungen noch nicht mit Sicherheit auf das Fehlen von geschlechtsspezifischen Assoziationen und Dichotomisierungen geschlossen werden kann - da, mit den Worten der Verfasserinnen, unklar ist, „ob unter der Oberfläche dieser sprachlichen Formulierungen nicht doch bestimmte konkretisierende Tendenzen […] in Richtung auf das eine oder andere Geschlecht verborgen bleiben“ (Scheele/ Gauler 1993: 68) - sahen sie sich zu einer weiteren Untersuchung veranlasst. Geleitet von der Annahme, dass die Versuchsanordnung für Experiment I zu wenig ‚manipulativ‘ gestaltet war, um die Denk- und Assoziationstendenzen der Vpn erfassen zu können, wählten Scheele/ Gauler für Experiment II ein Verfahren, welches den offenbar notwendigen „Konkretisierungs-‚Anreiz‘“ (ebd.: 68) bieten sollte. Für beide Beispiel-Pools wurden - z.T. unter Rückgriff auf die spezifischen Eintragungen des ersten Experiments - insgesamt sechs ‚Konkretisierungs-Items‘ entwickelt; je zwei für die Kategorien ‚männlich‘, 279 Die Variable ‚Geschlecht der Vpn‘ wurde nicht in die Auswertung der beiden Experimente einbezogen. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 250 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 251 ‚weiblich‘ und ‚androgyn‘. Für den B-Pool lauteten diese: Frauen/ Stärke (= ‚männlich‘), Hingabe/ Männer (= ‚weiblich‘), Enkel/ Überzeugung (= androgyn). Den insgesamt 291 Vpn von Experiment II (152 weibliche/ 135 männliche/ 4 ohne Angabe des Geschlechts) wurden nun je zwei Testsätze (einer des A-Pools, einer des B-Pools) und zwei ‚Ablenkungssätze‘ vorgelegt; unterhalb der Testsätze waren die sechs Konkretisierungs-Items in alphabetischer Reihenfolge angegeben. Die Vpn wurden aufgefordert, die vier Lückensätze mit einem der angegebenen Wörter zu vervollständigen. In diesem Experiment wurden die Versuchspersonen somit zur Konkretisierung, nicht aber notwendigerweise zur Geschlechsspezifikation veranlasst. Der Mangel einiger anderer Experimente, nämlich der Zwang zur Dichotomisierung, ist hier also aufgehoben. Leider wurden gerade die Sätze mit generischem Maskulinum in dieses Experiment nicht einbezogen. Dabei wäre es in diesem Fall besonders interessant gewesen, die Eintragungen für Sätze mit generischem Maskulinum mit den Eintragungen für die unterschiedlichen Varianten zu kontrastieren und zu untersuchen, ob das generische Maskulinum tatsächlich zu mehr männlichen Spezifikationen veranlasst als die von der f.L. vorgeschlagenen Alternativen. Warum Sätze mit generischem Maskulinum nicht integriert wurden, ist unverständlich. Offenbar wollten Scheele/ Gauler in Experiment II lediglich die Tauglichkeit der sogenannten sprachlichen ‚Heilungsvarianten‘ testen. Die Ergebnisse von Experiment II fielen folgendermaßen aus: Insgesamt überwogen für alle Sätze Eintragungen, die der Kategorie ‚androgyn‘ zuzurechnen sind. Für fünf der insgesamt elf getesteten Formulierungsvarianten lag die Anzahl dieser signifikant über derjenigen konkreter, d.h. geschlechtsspezifischer Eintragungen. Die geschlechtsspezifischen Eintragungen fielen im Ganzen zugunsten der Kategorie ‚männlich‘ aus; hier ergab sich in nur knapp der Hälfte der Fälle (ebenfalls fünf von elf) eine annähernde Gleichverteilung männlicher und weiblicher Spezifizierungen. Scheele/ Gauler sahen eine ‚Heilungsvariante‘ dann als wirkungsvoll an, wenn eine solche Gleichverteilung geschlechtsspezifischer Eintragungen vorlag. Als bedingt wirkungsvoll bewerteten sie diejenigen Varianten, die zu einem signifikanten Übergewicht der sexusindifferenten Eintragungen führten. Die von der f.L. vorgeschlagenen ‚Heilungsvarianten‘, die keines der beiden Kriterien erfüllten, wurden als diskriminierend eingestuft, diejenigen, die beide Kriterien zugleich erfüllten, als optimal. Als optimal - im skizzierten Sinn - erwies sich im Falle des A-Pools lediglich die Variante mit Binnen-I (WissenschaftlerInnen/ CutterInnen), im Falle des B-Pools ergab sich für drei (von sechs) Formulierungen ein optimales Ergebnis, und zwar für die substantivische Benennung beider Geschlechter (Die Deutschen, Männer wie Frauen), TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 251 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 252 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik die Pluralisierung mit wir (Wir Deutschen) und für die Variante, in der auf die Pluralform des Epikoinons Person zurückgegriffen wurde (Personen des deutschen Kulturraums). Als diskriminierend erwiesen sich die Singular- und Pluralformen der Epikoina Mensch und Individuum sowie die Singularform von Person, also insgesamt fünf Varianten (vgl. Scheele/ Gauler 1993: 69f.). Die verbleibenden zwei Varianten, Geschlechtsspezifikation durch adjektivische Benennung (Weibliche wie männliche Wissenschaftler/ Cutter) und Splitting (Der/ die Deutsche) erfüllten je eines der beiden Kriterien und waren damit als (bedingt) wirkungsvoll zu beurteilen. Zu berücksichtigen ist, dass von den Ergebnissen dieses Experiments noch keine Rückschlüsse auf den Wirkungsgrad (oder die ‚Dynamik‘) der unterschiedlichen Heilungsvarianten gezogen werden können, da Formulierungen mit generischem Maskulinum nicht einbezogen wurden. Scheele/ Gauler sind eindeutig im Irrtum, wenn sie meinen, die Vertreter der f.L. setzten voraus, dass das monierte Übergewicht männlicher Assoziationen allein auf die Sprache, d.h. auf das generische Maskulinum zurückzuführen sei und dass die vorgeschlagenen sprachlichen Alternativen in jedem Falle zu einer Gleichverteilung männlicher und weiblicher Assoziationen führe. Dies wird von Seiten der f.L. nicht angenommen, wie schon die Tatsache belegt, dass auch das Verständnis und die Verwendung von Personenbezeichnungen, die nicht als generische Maskulina anzusehen sind (z.B. dt. Mensch/ die Deutschen), thematisiert und kritisiert werden. Zumindest in neueren Arbeiten der f.L. wird nicht vorausgesetzt, dass das generische Maskulinum ein sexistisches Denken determiniere, sondern, dass es dieses bestehende Denken zusätzlich begünstige; es ist in dem Sinne benachteiligend, als es zu mehr männlichen Assoziationen führt als andere sprachliche Formen. Die ‚heilende‘ Wirkung der von der f.L. vorgeschlagenen sprachlichen Veränderungsmaßnahmen ist folglich nicht absolut zu bestimmen, sondern relativ, durch einen Vergleich der Wirkung dieser Formen mit der des generischen Maskulinums. Bedauerlicherweise ist Experiment II so angelegt, dass ein solcher Vergleich nicht möglich ist. Dennoch sind die beiden Experimente insofern aufschlussreich, als sie belegen, dass die Veränderung der Personenbezeichnungen ceteris paribus zu zum Teil signifikanten Veränderungen der hörerseitigen Assoziationen führt und dass „nur bestimmte Formulierungsvarianten […] die Einbeziehung von Frauen [erleichtern]“ (ebd.: 72). Prinzipiell gilt: „Je expliziter die syntaktisch semantische Struktur die Information enthält, daß neben Männern ebenso Frauen gemeint sind, desto wahrscheinlicher wird es, dass Frauen auch tatsächlich mitgedacht werden.“ (Ebd. 71) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 252 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 253 3.5.3. Untersuchungen zum Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen im Spanischen Wie eingangs erwähnt, hat man mit Sprechern des Spanischen nur wenige Tests zum Gebrauch und/ oder Verständnis des generischen Maskulinums durchgeführt. Unseres Wissens sind hierzu lediglich vier Studien publiziert, drei stammen von G. Perissinotto (1982, 1983, 1985), eine von U. K. Nissen (1997b). Perissinottos Publikationen von 1982 und 1985 sind für unsere Zwecke weniger interessant, da in diesen nicht ausdrücklich auf das generische Maskulinum eingegangen wird. Sie sollen hier nur kurz skizziert werden. In der 1982 erschienenen Arbeit stellt Perissinotto ein Experiment vor, das auf die Untersuchung des Verständnisses verschiedener geschlechtsneutraler Bezeichnungen ausgerichtet war. Diese Studie ist insofern aufschlussreich, als sich (auch hier) zeigte, dass selbst eindeutig geschlechtsneutrale Ausdrücke wie persona, gente, individuo eher spezifisch männlich interpretiert werden und dass die benachteiligende Wirkung der sprachlichen Erscheinung ‚generisches Maskulinum‘ somit nur eine verstärkende sein kann. Die Untersuchung, die in der Publikation von 1985 vorgestellt wird, bezog sich auf den Gebrauch verschiedener Personenbezeichnungen. Perissinottos Experiment zeigte, dass Lückensätze vom Typ ______ trabaja en un hospital ______ escribe a máquina en una oficina ______ ocupa el puesto más alto de la empresa in Abhängigkeit vom jeweiligen Kotext (‚neutral‘, ‚eher weiblich assoziiert‘ oder ‚eher männlich assoziiert‘) und unter Rückgriff auf das Weltwissen in unterschiedlicher Häufigkeit mit einer Personenbezeichnung im Maskulinum oder Femininum ergänzt wurden, wobei aber allgemein Folgendes festzustellen war: […] en todas las oraciones impera el masculino, aún cuando está fuera de duda de que el porcentaje real de mujeres que desempeñan los oficios a los que se refiere [sic] las oraciones es mayor al que emanó de la encuesta. (Perissinotto 1985: 124) Eine benachteiligende Wirkung des generischen Maskulinums lässt sich aus diesen Ergebnissen aber nicht ableiten. Perissinottos Schlussfolgerung: „Los experimentos demuestran que en realidad [el genérico] excluye y ofusca a la mujer“ (ebd.: 126) erscheint schon deshalb unberechtigt, weil nicht erwiesen ist, dass die maskulinen Bezeichnungen in allen Fällen geschlechtsspezifisch verwendet wurden. Das in der Arbeit von 1983 beschriebene Experiment, welches wir im Folgenden etwas eingehender betrachten wollen, ist zwar ausdrücklich auf TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 253 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 254 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik das generische Maskulinum ausgerichtet, doch leider ist es insgesamt nur bedingt aussagekräftig. Perissinotto konzentriert sich hier nämlich allein auf den Ausdruck hombre, der ja - wie wir in 3.2. herausgestellt haben - nur sehr eingeschränkt geschlechtsneutral verwendbar ist. Die Ergebnisse dieses Experiments zum Verständnis von hombre können aus diesem Grunde nicht unbedingt auf andere maskuline Personenbezeichnungen übertragen werden. Die Versuchsanordnung ist ausdrücklich an die von Martyna (1980) durchgeführten Tests angelehnt. Auch Perissinotto arbeitete mit Bildern: Den 140 Versuchspersonen - Studierende der Universidad Autónoma und der Escuela Nacional de Antropología e Historia in Mexiko Stadt - wurden insgesamt zehn Versuchssätze und zwölf Ablenkungssätze vorgesprochen. Nachdem die Vpn einen Satz gehört hatten, wurde ihnen ein Bild gezeigt, das sie als passend oder unpassend einschätzen sollten. Auf den Bildern waren entweder Kinder, ein Mann, eine Frau oder eine gemischtgeschlechtliche Gruppe zu sehen. Im Anschluss an die zehn Testsätze wurde aber offenbar immer nur die Abbildung der Frau gezeigt (vgl. Perissinotto 1983: 582). Bei den Testsätzen handelte es sich durchweg um eindeutig generische Sätze. Nur bei einem der Sätze war aufgrund des Themas eher eine spezifische Interpretation (im Sinne von ‚Mann‘) zu erwarten, nämlich bei: El hombre mata para comer. Die anderen Testsätze waren hinsichtlich des Themas weitgehend neutral; so z.B.: El hombre, por más humilde que sea su condición, no está solo. Hay un abismo entre la concepción del hombre según la escuela católica y la socialista. Die Auswertung der Antworten zeigte, dass jeder der Sätze von mindestens 47% der Vpn als mit dem Bild einer weiblichen Person inkompatibel angesehen wurde. Genau 47% ergaben sich für den Satz El hombre necesita diversión. Erwartungsgemäß wurde El hombre mata para comer von wesentlich mehr Vpn als nicht auf Frauen anwendbar bewertet: Hier gaben 98% der Vpn an, dass Satz und Bild nicht kompatibel seien. Die Anzahl der Inkompatibilitätsurteile für die acht verbleibenden Sätze streute zwischen 51% und 84%. Signifikante Unterschiede in den Einschätzungen männlicher und weiblicher Vpn ergaben sich insgesamt nicht. Perissinotto (1983: 585) bezeichnet den Ausdruck hombre aufgrund dieser Ergebnisse als „rather poor generic“. Außerdem ist er der Ansicht, dass der Begriff des Generischen generell in Frage zu stellen sei: „Such high incidence of specific interpretations casts serious doubt on the whole notion of TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 254 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 255 generic […]“ (ebd.). 280 Er räumt andererseits aber ein, dass die (sexistischen) Einstellungen der Versuchspersonen für die Interpretation der Äußerungen ausschlaggebend gewesen seien und dass die Resultate seines Experiments auf jeden Fall vor dem gesellschaftlichen bzw. kulturellen Hintergrund gesehen werden müssten (vgl. ebd.). Dieser Einschätzung ist zuzustimmen; Perissinottos (Schutz-)Behauptung, dass die mangelnde Differenzierung von linguistischen und kulturellen Faktoren quasi unumgänglich sei, da die beiden Bereiche (Sprache und Kultur) in einer solchen Studie nicht voneinander getrennt betrachtet werden könnten, ist aber zurückzuweisen. Inwieweit tatsächlich ein bestimmtes sprachliches Phänomen eine bestimmte Interpretation begünstigt, kann nicht durch eine isolierte Betrachtung, sehr wohl aber durch eine kontrastive Analyse gezeigt werden. In den meisten der vorliegenden Untersuchungen wurde diesem Grundsatz Rechnung getragen; hier wurden verschiedenen Versuchspersonen unterschiedliche Satzvarianten vorgelegt. Da Perissinotto auf ein solches Vorgehen verzichtet, ist sein Experiment nur in geringem Umfang aussagekräftig: Es zeigt, dass hombre von einem Großteil der Versuchspersonen auch in eindeutig neutralen Kotexten geschlechtsspezifisch ‚männlich‘ interpretiert wird, 281 nicht aber, inwiefern dieses Verständnis durch die Ambiguität des Ausdrucks hombre, d.h. dadurch, dass hombre auch spezifisch (im Sinne von dt. ‚Mann‘) verwendet werden kann, bedingt oder beeinflusst ist. Eine Aussage über die benachteiligende Wirkung der sprachlichen Struktur ist unseres Erachtens also nicht zulässig. Um zu einer solchen Aussage zu gelangen, hätte man die Versuchspersonen z.B. in zwei Gruppen einteilen und einer dieser Gruppen Sätze mit dem Ausdruck hombre, der anderen analoge Sätze mit dem Ausdruck ser humano vorlegen können. Einige der von Perissinotto angegebenen Testsätze würden eine solche Modifikation durchaus zulassen. Eine Studie, welche im skizzierten Sinne kontrastiv angelegt ist, wird in Nissen (1997b) beschrieben. Nissen untersuchte das Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen im Plural (z.B. los alumnos) im Vergleich zu den vom spanischen Ministerio de Educación im Jahre 1988 vorgeschlagenen Alternativen, Beidnennung (z.B. los alumnos y alumnas) und neutrale Form (etwa el alumnado). Erklärtes Ziel der Untersuchung war es, die verschiedenen Annahmen zu überprüfen, die den Vorschlägen zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs implizit zugrunde liegen. Es galt vor allem zu testen, ob 280 In diesem Zusammenhang verweist Perissinotto auch auf die Ergebnisse seiner 1982 publizierten Studie (s.o.). 281 Die im Rahmen der Gesamteinschätzung im nächsten Abschnitt zu leistende kritische Betrachtung der Versuchsanordnung macht deutlich, dass auch diese Schlussfolgerung nur unter Vorbehalt gültig ist. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 255 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 256 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik maskuline Bezeichnungen in hohem Maße zu männlichen Assoziationen im Sinne eines ‚male thinking‘ führen und ob Texte, die neutrale Bezeichnungen oder Doppelformen enthalten, tatsächlich keinerlei ‚sex bias‘ erkennen lassen und somit auf ein ‚generisches Denken‘ (‚generic thinking‘) schließen lassen (vgl. Nissen 1997b: 225). Zu diesem Zweck entwickelte Nissen einen Fragebogen (in drei unterschiedlichen sprachlichen Versionen), der insgesamt zwölf Testsätze des folgenden Typs enthielt (vgl. ebd.: 227): Durante los veranos la mayoría de los niños/ los niños y niñas/ la población infantil de España va con sus padres a la playa. Este verano también lo harán (añadir nombre: ) ______ y (añadir nombre: ) ______ que siempre se esfuerzan por encontrar juegos nuevos. 282 Die Versuchspersonen wurden aufgefordert, die Lücken durch Einsetzung von Vornamen zu schließen. Um vom eigentlichen Ziel der Untersuchung abzulenken, wurde im einleitenden Text vorgegeben, es handele sich um eine Studie, die über die Korrelationen von bestimmten Vornamen und bestimmten menschlichen Aktivitäten Aufschluss geben solle; entsprechend wurden die Vpn gebeten, diejenigen Vornamen einzusetzen, die sie mit den jeweils genannten Aktivitäten in Verbindung brachten. An dieser Studie nahmen insgesamt 317 Vpn teil (231 weibliche/ 86 männliche), größtenteils Studierende der Universitäten von Madrid (Complutense, Autónoma und Pontífice) und Barcelona (Autónoma). 100 Vpn (74 weibliche/ 26 männliche) erhielten die Version mit generischem Maskulinum (= Version A), 108 Vpn (78 weibliche/ 30 männliche) die neutrale Version (= Version B) und 109 Vpn (79 weibliche/ 30 männliche) die Beidnennungsvariante (= Version C). Die Ergebnisse fielen wie folgt aus: Bei Version A wurden zu 18,5% ausschließlich weibliche, zu 34,8% ausschließlich männliche und zu 46,7% männliche und weibliche Vornamen eingesetzt. Version B führte in 21,9% zu rein weiblichen, in 32,5% zu rein männlichen und in 45,6% der Fälle zu ‚gemischten‘ Einsetzungen. In Version C wurden zu 25% nur weibliche, zu 20,7% nur männliche und zu 54,3% männliche und weibliche Vornamen gewählt. Die These, dass die Verwendung des generischen Maskulinums in erster Linie an Männer denken lasse, bestätigt sich demnach nicht; hiergegen spricht sowohl der vergleichsweise hohe Anteil ‚gemischter‘ Eintragungen im Falle der A-Version als auch die Tatsache, dass hier zu (immerhin) 18,5% 282 Alle Testsätze waren so gewählt, dass weder die Art der Personenbezeichnung noch der Kotext verstärkt männliche oder weibliche Assoziationen erwarten ließen (Berufsbezeichnungen wurden aus diesem Grunde weitgehend gemieden); ferner wurde auf jegliche pronominale Substitution (bewusst) verzichtet. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 256 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 257 ausschließlich weibliche Vornamen gewählt worden sind. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein klares Übergewicht rein männlicher gegenüber rein weiblichen Einsetzungen zu verzeichnen ist. Die Betrachtung der Ergebnisse der Versionen B und C macht deutlich, dass sich auch die zweite These als nicht haltbar erweist: Angesichts der Tatsache, dass bei der Verwendung neutraler Personenbezeichnungen und (sogar) im Falle des Gebrauchs der Doppelformen nur rund 50% ‚gemischte‘ Eintragungen vorliegen, kann von ‚generischem Denken‘ im Sinne eines konsequenten Einbezugs beider Geschlechter nicht die Rede sein. Der Vergleich der Ergebnisse aller drei Versionen zeigt nun aber auch, dass die Zahl ausschließlich männlicher Eintragungen in der Textversion mit generischem Maskulinum höher und die weiblicher Eintragungen geringer ist als in den alternativ formulierten Versionen, wobei die Differenzen zur Beidnennungsvariante am größten ausfallen. Wir kommen somit zu dem Schluss, dass auch die Ergebnisse dieses Experimentes darauf hindeuten, dass das generische Maskulinum männliche Assoziationen zwar begünstigt, die ‚heilende‘ Wirkung alternativer Formulierungen aber begrenzt ist. Insbesondere ‚neutrale‘ Bezeichnungen werden nur in sehr geringem Umfang anders interpretiert als maskuline Bezeichnungen. 3.5.4. Gesamteinschätzung Um die empirischen Untersuchungen und ihre Ergebnisse insgesamt beurteilen zu können, ist es zunächst notwendig, noch einmal auf die Versuchsanordnungen einzugehen, denn die Ergebnisse eines Experiments sind immer auch durch dessen Aufbau bestimmt. Auf einen kritischen Punkt im Aufbau der Experimente zum Verständnis des generischen Maskulinums (resp. ‚generic he‘) haben wir innerhalb der Darstellung der verschiedenen Studien bereits hingewiesen: Bei nahezu allen Untersuchungen wurden die Versuchspersonen unmittelbar zur Geschlechtsspezifikation gezwungen; sie wurden entweder aufgefordert, auf eine (oder mehrere) fiktive Person(en) zu referieren (vgl. Moulton/ Robinson/ Elias 1978, Klein 1988, Nissen 1997b), oder sie sollten spontan entscheiden, ob sich die ihnen vorgelegten Sätze auf eine oder mehrere Person(en) weiblichen Geschlechts beziehen können (MacKay/ Fulkerson 1979, Martyna 1980, Perissinotto 1983). Durch diesen ‚Zwang‘ werden einige Möglichkeiten der Interpretation von vornherein ausgeschlossen. So ist es zum Beispiel denkbar, dass maskuline Personenbezeichnungen oder Pronomen in eindeutig generischen Äußerungen im alltäglichen Sprachgebrauch überhaupt nicht zu geschlechtsspezifischen Assoziationen auf Hörerseite veranlassen, dass, etwa bei einer Berufsbezeichnung wie Lehrer, nicht konkret an Männer oder TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 257 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 258 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Frauen, sondern vor allem an bestimmte Funktionen, Verpflichtungen etc. gedacht wird, die mit diesem Beruf verknüpft sind. Unter diesem Blickwinkel könnte die Veranlassung zur Konkretisierung also durchaus zu Ergebnissen geführt haben, die am alltäglichen Sprachverständnis vorbeigehen. Aufgrund dieser Tatsache kann unseres Erachtens nur unter Vorbehalt darauf geschlossen werden, dass maskuline Personenbezeichnungen und Pronomen generell eher ihrer spezifischen Lesart gemäß interpretiert werden. Für diesen Schluss sprechen allerdings die (wenigen) Untersuchungen zum Gebrauch. Sie zeigen, dass maskuline und feminine Formen auch dann, wenn das Geschlecht der möglichen Referenten unerheblich ist, häufig auf die Vorstellung, die man sich vom ‚typischen Referenten‘ macht, abgestimmt werden. Fehlen solche Vorstellungen, so wird, zumindest im Englischen, nicht zum generischen Maskulinum, sondern zu alternativen Formen gegriffen (vgl. Martyna 1978 und 1980, Perissinotto 1985). Scheele/ Gauler (1993) und Khosroshahi (1989) versuchten, den methodischen Mangel, den ‚Zwang‘ zur Geschlechtsspezifikation, zu umgehen. Es zeigte sich hier aber zum einen, dass ein Experiment, welches auf jeglichen ‚Konkretisierungsanreiz‘ verzichtet, nicht zu aussagekräftigen Ergebnissen führt (vgl. Experiment I von Scheele/ Gauler), zum anderen hatten die Änderungen in der Versuchsanordnung bei Khosroshahi (1989) keine wesentlichen Auswirkungen auf die Resultate. Diese Tatsachen sprechen ebenfalls für die Gültigkeit der Ergebnisse der anderen Studien. Fassen wir diese Ergebnisse noch einmal zusammen, um abschließend beurteilen zu können, inwiefern die These von der Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum empirisch belegt ist. Die folgenden Punkte können als Hauptresultate angesehen werden: 1) Die empirischen Untersuchungen zeigen, dass Äußerungen, die ein generisches Maskulinum (inklusive ‚generic he‘) enthalten, in signifikant höherem Maße zu männlichen Geschlechtsspezifizierungen veranlassen als zu weiblichen oder dass sie in vielen Fällen als nicht auf Frauen anwendbar bewertet werden. Das Geschlecht der Hörer führt dabei nicht immer zu signifikanten Unterschieden in der Interpretation; ausschlaggebend ist aber die Art der Personenbezeichnung und/ oder der Kotext (‚eher männlich assoziiert‘, ‚eher weiblich assoziiert‘ oder ‚neutral‘). 283 2) Die Ersetzung der maskulinen Personenbezeichnungen oder Pronomen durch die von der f.L. vorgeschlagenen Alternativen - z.B. durch maskulin-feminine Doppelformen (z.B. dt. der/ die Deutsche, der Student/ die 283 Allein bei MacKay/ Fulkerson (1979) zeigten sich keine nennenswerten Abweichungen in der Einschätzung der ‚generic he‘-Sätze mit ‚male related‘, ‚female related‘ und ‚neutral nouns‘. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 258 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr Empirie 259 Studentin, sp. los alumnos y alumnas, engl. he or she), Versalien-I (nur für die deutsche Sprache: die StudentInnen) oder eindeutig geschlechtsneutrale Ausdrücke (dt. die Studierenden, die Deutschen, sp. el alumnado, engl. ‚singular they‘) - sorgt zwar für eine Zunahme weiblicher Spezifizierungen, eine Gleichverteilung männlicher und weiblicher Spezifizierungen wird aber nur in den wenigsten Fällen erreicht; ein klares Übergewicht spezifisch männlicher Konkretisierungen bleibt zumeist erhalten. Auch die Einschätzung der Testsätze als auf weibliche Personen anwendbar bzw. nicht anwendbar ändert sich nicht radikal, sondern nur tendenziell. Diese Hauptergebnisse belegen, dass dem generischen Maskulinum tatsächlich eine benachteiligende Wirkung zugesprochen werden kann. Allerdings handelt es sich lediglich um eine Verstärkerwirkung, denn die „Prädominanz der Assoziation ‚Mann‘“ (Klein 1988: 316) ist nicht allein auf die sprachliche Form ‚generisches Maskulinum‘ zurückzuführen; sie ist von der Ambiguität maskuliner Formen prinzipiell unabhängig, wird aber durch diese zusätzlich begünstigt. 284 Aus den Ergebnissen der mit Sprechern des Deutschen durchgeführten Tests lassen sich noch einige erwähnenswerte Details herauslesen: Die Arbeiten von Klein (1988) und Scheele/ Gauler (1993) deuten zum einen darauf hin, dass ein deutlicher Unterschied in der Interpretation von Singular und Pluralformen besteht: Eine maskuline Personenbezeichnung im Singular erweist sich als ‚diskriminierender‘ als die Pluralvariante, denn die Anzahl männlicher Geschlechtsspezifizierungen fällt wesentlich höher aus (vgl. Scheele/ Gauler 1993) und die ‚Heilungsdynamik‘ der alternativen Varianten ist ungleich größer als bei parallelen Beispielen im Plural (vgl. Klein 1988). Zum anderen scheint auch die Präsenz maskuliner anaphorischer Pronomina (im Deutschen nur im Singular möglich) für die Interpretation relevant zu sein; Klein (ebd.: 315) stellt fest, dass sich „maskuline pronominale Substitution (noch) stärker männer-präferierend auswirkt als generische Maskulina ohne maskuline pronominale Substitution“. 284 Dies belegen nicht nur die oben skizzierten kontrastiven Studien zum Englischen, Deutschen und Spanischen, sondern auch Untersuchungen zur Interpretation von Personenbezeichnungen in Sprachen, die weder Genus aufweisen noch eine (derivations-)morphologische Kennzeichnung des Sexus im Bereich der Personenbezeichnungen und im Pronominalsystem erlauben; so zeigt Braun (1997), dass türkische Personenbezeichnungen wie köylü ‚Dorfbewohner‘, kişi ‚Person‘ und yolcu ‚Passagier‘ ebenfalls überwiegend geschlechtsspezifisch männlich interpretiert werden. (Man denke in diesem Zusammenhang auch noch einmal an die Ergebnisse des vierten Experiments von MacKay/ Fulkerson (1979): Immerhin wurden die hier getesteten, geschlechtsunspezifischen Personenbezeichnungen ohne pronominale Substitution in insgesamt 43% der Fälle als ‚nicht auf Frauen anwendbar‘ beurteilt.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 259 16.12.2008 13: 08: 41 Uhr 260 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik Die von einigen Vertretern der f.L. aufgestellten Hypothesen, dass vor allem die Singularformen eine diskriminierende Wirkung haben (vgl. Houdebine 1987: 19) und dass die ‚Tendenz, nur an Männer zu denken‘ durch das Auftreten grammatisch erforderlicher Maskulina im Gefolge eines generischen Maskulinums zusätzlich begünstigt wird (vgl. Pusch 1984b: 60; Trömel- Plötz 1982b: 85), können also ebenfalls als (weitgehend) validiert angesehen werden. Bleibt darauf hinzuweisen, dass die genannten Ergebnisse auch durch neuere Untersuchungen zum Deutschen im Großen und Ganzen bestätigt werden: So ergeben sich nach den Untersuchungen von Stahlberg et al. (2001) signifikante Unterschiede zwischen der Interpretation des generischen Maskulinums und alternativer Formulierungen (Neutralisation und Beidnennung) für Testsätze im Singular, nicht jedoch für Testsätze im Plural. In dieselbe Richtung weisen die Ergebnisse von Rothermund (1998). Hier scheint aber neben dem Numerus auch die pronominale Substitution von Bedeutung zu sein. Die Ergebnisse seiner Experimente zeigen nämlich, dass die Verwendung generischer Maskulina im Singular verstärkt zu männlichen Assoziationen, die Verwendung des Plurals jedoch zu einem Überhang weiblicher Assoziationen führte. Zu Recht macht Rothermund (1998: 194f.) bei der Diskussion der Ergebnisse darauf aufmerksam, dass „das Umkippen von einer männlichen Repräsentation in der Singularform zu einer […] weiblichen Repräsentation in der Pluralform [möglicherweise] auf die begleitend eingesetzten Artikel und Pronomen [zurückgeht]“. 285 Dass Ko- und Kontext einen Einfluss auf die Interpretation des generischen Maskulinums bzw. auf die Effektivität der Heilungsvarianten haben, stützen auch die Untersuchungsergebnisse von Rothmund/ Scheele (2004): Im Falle eines eher männlich assoziierten Verwendungskontextes „hatte die Variation von Personenbezeichnungsmodellen keinen nennenswerten Einfluss auf die Geschlechterreferenz“ (ebd.: 47), während sie bei neutralem Kontext durchaus zu signifikanten Unterschieden führte, wobei hier allein das generische Maskulinum einen Überhang männlicher Assoziationen zur Folge hatte. 286 Die Untersuchungen von Braun et al. (1998) und Heise (2000) belegen wiederum, dass die Verwendung alternativer Formulierungen nicht unbedingt zu nennenswerten Veränderungen hinsichtlich männlicher resp. weiblicher Assoziationen beiträgt: In ihren Experimenten wurde nämlich - einmal mehr - offenbar, dass sich die Verwendung neutraler Formen ebenfalls 285 Der Überhang weiblicher Assoziationen im Falle des Plurals ist vor dem Hintergrund des (weitgehenden) Zusammenfalls von Feminin- und Pluralformen zu sehen. 286 In dieser Studie wurden allein Personenbezeichnungen im Plural getestet. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 260 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr Empirie 261 männer-präferierend auswirkt (Heise 2000) und dass gerade neutrale Formen nicht wesentlich anders interpretiert werden als generische Maskulina (Braun et al. 1998). Dies bestätigt nochmals, dass dem generischen Maskulinum - bis heute - allenfalls eine Verstärkerwirkung zugeschrieben werden kann. Wie aber sind diese Ergebnisse zu begründen? Einige mögliche Gründe sind in den vergangenen Abschnitten bereits genannt worden. Wir wollen diese Hinweise im Folgenden noch einmal zusammenstellen. Es steht zunächst fest, dass die in den Ergebnissen offenbar werdende generelle Tendenz zur spezifisch männlichen Interpretation nicht unter Rückgriff auf das Sprachsystem zu begründen ist. Dies ist auch den verschiedenen Vertretern der feministischen Linguistik klar. Sie verweisen zur Erklärung dieser Tendenz häufig auf die innerhalb der Prototypentheorie gewonnenen Erkenntnisse zur menschlichen Kategorisierung: Eleanor Rosch stellte in mehreren seit Beginn der 1970er Jahre durchgeführten Experimenten fest, dass Menschen generell dazu neigen, bestimmten Vertretern einer Kategorie einen privilegierten Status einzuräumen, sie als typischere oder bessere Exemplare der jeweiligen Kategorie anzusehen. 287 Einige FeministInnen gehen nun davon aus, dass auch die Dominanz männlicher Assoziationen bei Personenbezeichnungen als ‚prototypischer Effekt‘ aufzufassen ist: Personenbezeichnungen werden von den Sprachbenutzern möglicherweise als Kategoriennamen und Männer aufgrund der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und der gängigen stereotypen Vorstellungen als die ‚besseren‘ Vertreter dieser Kategorien angesehen (vgl. u.a. Silveira 1980: 173, Hellinger 1990: 99ff. Khosroshahi 1989: 517f.). Leider sind diese Ansätze bislang noch wenig ausgereift. Für zukünftige Arbeiten könnte es nützlich sein, auf George Lakoffs Ausführungen zu Idealisierten Kognitiven Modellen (ICM) zurückzugreifen (vgl. Lakoff 1987: 68ff.). Eine Erklärung der Verstärkerwirkung des generischen Maskulinums hat sich aber auch auf die sprachliche Ebene zu beziehen. Für die Zunahme männlicher Assoziationen bei Verwendung maskuliner Formen, die auch geschlechtsspezifisch (männlich) gebraucht werden können, scheint das gängige ICM von Sprache - die Abbildtheorie - ausschlaggebend. Es kann wohl angenommen werden, dass ‚naive‘ Sprecher, die offenbar zu einer Gleichsetzung von Bedeutung und Gegenstand und von grammatischen und außersprachlichen Unterscheidungen neigen, maskuline Personenbezeichnungen (oder allgemein: spezifisch ‚männlich‘ und sexusneutral verwendbare Formen) zunächst mit männlicher Referenz identifizieren, wobei die Tendenz zur ge- 287 Für eine zusammenfassende Darstellung der oft als bahnbrechend bezeichneten Arbeiten von Rosch vgl. z.B. Lakoff (1987: 39ff.). TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 261 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr 262 Generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik nerellen Inbezugsetzung von Genus und Sexus, die sich u.a. bei der Personifikation zeigt, ebenfalls eine Rolle spielen dürfte. 288 Unter diesem Blickwinkel erweisen sich auch die Detailergebnisse der mit Sprechern des Deutschen durchgeführten Untersuchungen als verständlich: Dass ein generisches Maskulinum im Singular die Dominanz der Assoziation ‚Mann‘ noch einmal verstärkt, könnte an der Gleichsetzung des Singulars mit ‚Einzahl‘ und Definitheit/ spezifischer Referenz liegen; die Zunahme männlicher Spezifizierungen bei maskuliner pronominaler Substitution kann mit Verweis darauf erklärt werden, dass die Personalpronomina diejenigen Elemente sind, die in der Hierarchie der kongruierenden Elemente ganz unten angesiedelt sind. Da sie - ungeachtet der grammatischen Kongruenz - (fast) immer auf das Geschlecht der Referenten abgestimmt werden können, dürfte die Genuskennzeichnung hier in noch stärkerem Maße sexusspezifizierend interpretiert werden als im Falle anderer Kongruenten. 288 Immer wenn abstrakte Begriffe in Mythologie, Kunst, Poesie, aber auch im Alltag personifiziert werden, ist die Richtung der Personifizierung (männliches oder weibliches Wesen) durch das Genus der entsprechenden Ausdrücke (Maskulinum oder Femininum) bestimmt, sofern in der jeweiligen Sprache ein Zusammenhang zwischen Genus und Sexus besteht. Dieser Einfluss des Genus ist ‚naiven‘ Sprechern zumeist nicht bewusst; es erscheint ihnen natürlich, dass bestimmte Ausdrücke männliche, andere weibliche Assoziationen hervorrufen, warum dies so ist, können sie nicht angeben (vgl. hierzu z.B. Jakobson 1963). Auch die terminologischen Gepflogenheiten leisten einer Gleichsetzung von Genus und Sexus Vorschub. So ist z.B. im Deutschen häufig vom ‚grammatischen Geschlecht‘ die Rede, und zwar sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch als auch in älteren und neueren wissenschaftlichen Publikationen. In den anderen Sprachen wird zwar zwischen gender/ genre/ género und sex/ sexe/ sexo differenziert, aber auch hier begünstigt die Benennung der einzelnen Genera eine Verwechslung. Vor allem für das Englische besteht zudem die Gefahr einer Vermischung des Genus nicht mit dem natürlichen, sondern mit dem sozialen Geschlecht, das ja ebenfalls als gender bezeichnet wird. (Erschwerend kommt hinzu, dass (natural) gender zum Teil auch synonym zu sex verwendet wird.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 262 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr Schluss Wir wollen an dieser Stelle die wichtigsten in den verschiedenen Teilen der Arbeit erzielten Ergebnisse noch einmal zusammenfassen und skizzieren, in welchen Bereichen unseres Erachtens noch Forschungsbedarf besteht. Das Genus zeichnet sich gegenüber anderen Formen nominaler Klassifikation vor allem über das Kriterium der Kongruenz aus. Die Kongruenz kann damit als entscheidendes Charakteristikum, als conditio sine qua non des Genus angesehen werden. Nur wenn sich die Klassenzugehörigkeit der Substantive auf die Form der mit den Substantiven verbundenen Elemente auswirkt, handelt es sich um ein Genussystem. Von den anderen nominalen Kategorien, Numerus und Kasus, die (häufig) ebenfalls durch Kongruenz charakterisiert sind, unterscheidet sich das Genus in erster Linie durch die Klassifikation. Während Numerus und Kasus (in der Regel) am Lexem wechseln, ist das Genus, d.h. die Zugehörigkeit zu einer Genusklasse, ein inhärentes Merkmal der Nomina; üblicherweise gehört jedes Nomen genau einer Genusklasse an. Genus ist demnach sowohl syntaktisch relevant (durch die Kongruenz) als auch eine lexikalische Kategorie. Nun lässt das Kriterium der Kongruenz hinsichtlich der Beschaffenheit unterschiedlicher Genussysteme aber sehr große Spielräume offen. Dies bedeutet, dass es eine Reihe von Variablen gibt, die für jede Einzelsprache gesondert zu bestimmen sind. Wie wir in den unterschiedlichen Abschnitten des ersten Teils illustriert haben, variieren z.B. Anzahl und Art der kongruierenden Elemente, die Art der formalen Markierung der Genusklassen an den kongruierenden Elementen, die ‚Verwobenheit‘ der Genusmarkierung mit der Markierung anderer Kategorien (insbesondere Numerus) sowie die Durchgängigkeit der Genuskennzeichnung; erhebliche Divergenzen bestehen ferner hinsichtlich der Anzahl der einzelnen Genera, des Umfangs der Klassen sowie der formalen und/ oder semantischen Durchsichtigkeit der Klassifikation. All dies trägt dazu bei, dass die unter dem gemeinsamen Nenner der Kongruenz vereinten Klassifikationssysteme überaus heterogen gestaltet sind, und ‚erklärt‘ - zumindest teilweise - die Vielfalt und die Widersprüchlichkeit der in unterschiedlichen Arbeiten zum Thema vertretenen Auffassungen. Wie unsere Angaben zur Behandlung und Beurteilung des Genus seitens der Sprachwissenschaft zeigten, konzentriert man sich in der Auseinandersetzung mit dieser Kategorie häufig auf nur einen der beiden konstitutiven Aspekte, zumeist auf die Klassifikation. Auch die Funktion des Genus wird (bis heute) vorwiegend im Bereich der Klassifikation gesucht, aber - zumin- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 263 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr 264 Schluss dest im Falle der indoeuropäischen Sprachen - hier nicht gefunden. Daher wird das Genus - sofern die Frage nach der Funktion überhaupt eigens diskutiert wird - entweder als vergleichsweise funktionslose (oder gar ‚überflüssige‘ und ‚belastende‘) Kategorie beurteilt, oder aber es wird versucht, die Klassifikation über den Umweg der historischen Rekonstruktion zu motivieren; so ist man in zahlreichen älteren Arbeiten zu zeigen bemüht, dass die Sexusdifferenzierung die Grundlage des Genus bilde (vgl. Grimm u.v.a.), während man in einigen neueren Arbeiten davon ausgeht, dass die count/ mass-Unterscheidung als ‚übereinzelsprachliche Hauptfunktion‘ zugrunde zu legen sei (Weber 2000, 2001). Vor dem Hintergrund der in Teil I herausgearbeiteten generellen Charakteristika der Genuskategorie sowie der Heterogenität der Genussysteme und in Auseinandersetzung mit verschiedenen Arbeiten zum Genus sind wir vor allem zu den folgenden Annahmen gelangt, die der vergleichenden Darstellung im zweiten Teil als Basis dienten: Wir setzen voraus, dass bei der Behandlung des Genus beide Aspekte - Kongruenz und Klassifikation - gleichermaßen zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch und gerade für die Frage nach der Funktion der Genuskategorie, die unseres Erachtens nicht oder nur eingeschränkt generell beantwortet werden kann. Vielmehr nehmen wir an, dass das Genus sowohl durch die Kongruenz als auch über die Klassifikation, d.h. über die Einteilung des nominalen Lexikons in verschiedene, disjunkte Klassen, unterschiedliche Funktionen ‚bereithält‘, die je nach Einzelsprache in unterschiedlicher Weise genutzt werden - in Abhängigkeit von der formalen Gestaltung des Genussystems (sowie ggf. auch weiterer Charakteristika der betreffenden Sprache). Im zweiten Teil der Arbeit haben wir uns - von den skizzierten Prämissen geleitet - zunächst um die Beschreibung und Kontrastierung der Genussysteme des Spanischen, Französischen und Deutschen bemüht. Hierbei sind wir zuerst auf die bei der Analyse der kongruierenden Elemente offenbar werdenden Eigenschaften eingegangen, auf Parameter wie Klassenzahl, kongruierende Elemente und Form der Genusmarkierung. Dann haben wir uns auf die Klassifikation und die klassifizierten Elemente konzentriert und gefragt, ob die Genusklassenzugehörigkeit in den genannten Sprachen (auch) am Nomen selbst ablesbar ist, ob und in welchem Umfang die Klassifikationssysteme mittels formaler Kriterien beschreibbar sind. Die herausgearbeiteten formalen Charakteristika wurden dann jeweils mit funktionalen Unterschieden in Beziehung gesetzt; es wurde untersucht, inwiefern formale Differenzen im Bereich der Kongruenz und im Bereich der Klassifikation zu funktionalen Differenzen führen bzw. mit diesen korrelieren. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 264 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr Schluss 265 Die vergleichende Analyse der Genuskongruenz führte unter anderem zu den folgenden Ergebnissen: Wir konnten zeigen, dass die dem Genus generell zugeschriebene syntaktische Leistung, die darin besteht, die Bezüge der Elemente innerhalb der Nominalphrase zu verdeutlichen sowie - durch die pronominale Differenzierung - auch über die Satzgrenzen hinaus für die ‚Klärung‘ von Referenzidentitäten und damit für Kohärenzsicherung zu sorgen, im Spanischen wesentlich stärker zum Tragen kommt als in den beiden anderen Sprachen, da die Genusdifferenzierung hier vergleichsweise durchgehend markiert wird. Im Französischen und Deutschen ist aufgrund weitreichender Einschränkungen bzw. gänzlicher Nivellierungen der Genuskennzeichnung an den kongruierenden Elementen von einem geringeren Wirkungsgrad in den genannten Punkten auszugehen: Im Deutschen ist die syntaktische Leistungsfähigkeit z.B. durch die zahlreichen Synkretismen, die das Flexionssystem insgesamt kennzeichnen, durch die generelle Aufhebung der Genusdifferenzierung im Plural, durch den regelhaften Zusammenfall von Maskulinum und Neutrum in bestimmten Kasus (Dativ und Genitiv), aber auch durch die generelle Nicht-Markierung prädikativer Adjektive und Partizipien im Vergleich zum Spanischen gemindert. Im Französischen, vor allem im gesprochenen, wirken sich massive lexikalische Restriktionen (vor allem im Bereich der Adjektive und Partizipien) sowie phonologische (bzw. phonotaktische) Faktoren (Liaison, Elision) und - wenn auch in geringerem Umfang als im Deutschen - der Einfluss grammatischer Kategorien (v.a. des Plurals) einschränkend aus. Und dennoch wäre es falsch, von hier aus auf die relative Afunktionalität des Genus im Deutschen zu schließen. Wenn man berücksichtigt, dass die Genusmarkierung im Deutschen - anders als in den beiden romanischen Sprachen - immer im Verbund mit den übrigen nominalen Kategorien (Numerus und Kasus) erfolgt, und wenn man - entsprechend - die flexivischen Charakteristika des Deutschen insgesamt ins Auge fasst (mit einer sehr begrenzten Anzahl von 8 unterschiedlichen Suffixen werden 24 Kategorienkonstellationen abgedeckt), so wird klar, dass das Genus, das ja als inhärentes Merkmal des Nomens immer durch das Nomen selbst gegeben ist, auch dazu dient, die aufgrund der zahlreichen Synkretismen bestehenden Ambiguitäten (zumindest teilweise) aufzulösen; im Deutschen trägt das Genus damit indirekt zur Kasus- und Numerusmarkierung bei. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Anzahl von drei Genusklassen im Deutschen prinzipiell größere Differenzierungsmöglichkeiten eröffnet als die zweifache Unterscheidung in den beiden romanischen Sprachen. Dies dürfte gerade im pronominalem Bereich von Nutzen sein, nicht nur auf Textebene im Sinne des oben skizzierten reference tracking, sondern auch im Gesprochenen, wo die Pronomina oft deiktisch verwendet werden. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 265 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr 266 Schluss Allein das Genussystem des Französischen erweist sich in Anbetracht der skizzierten formalen Charakteristika als relativ instabil und wenig funktional. Die Angaben zu den funktionalen Differenzen des Genus via Kongruenz müssten aber durch entsprechende empirische Untersuchungen (Korpusauswertungen) noch weiter präzisiert werden. Was den Bereich der Klassifikation anbelangt, so konnten wir zunächst zeigen, dass die formale Durchsichtigkeit im Spanischen hoch einzuschätzen ist, während sie sich im Französischen (insb. im code phonique) und im Deutschen als (eher) gering erweist: Im Spanischen lässt sich die Genuszuweisung beim überwiegenden Teil der Nomina mit einer begrenzten Anzahl einfacher auslautbezogener Regeln zuverlässig bestimmen. Einen besonderen Stellenwert nehmen hier die Auslaute -o (M) und -a (F) ein, die bei weit mehr als 50 % der spanischen Substantive auftreten (wobei nur wenige regelwidrige Nomina zu verzeichnen sind, insb. bei -o) und die auch im Falle der kongruierenden Elemente als einziges (-a) bzw. typisches Genusallomorph (-o) erscheinen. Im Französischen kann die Genuszuweisung zwar ebenfalls unter Rückgriff auf auslautbezogene Kriterien ‚erklärt‘ werden, die Regeln erweisen sich aber als wesentlich komplexer und insgesamt als weniger zuverlässig; die Berücksichtigung des letzten Phonems bildet nur in wenigen Fällen ein sicheres Indiz und selbst unter Einbeziehung des vorletzten und gegebenenfalls des drittletzten Phonems können nicht alle Nomina korrekt zugewiesen werden. Im Falle der deutschen Sprache ist die formale Transparenz noch geringer einzuschätzen. Übergeordnete phonologische Kriterien sind hier offenbar kaum auszumachen; allein unter Rückgriff auf morphologische Kriterien lässt sich das Genus für bestimmte Gruppen von Substantiven jeweils mit größerer Sicherheit voraussagen. Arbeiten, die das assignment system des Deutschen insgesamt erfassen, fehlen aber bislang. Auf die Funktion(en), die die Genusdifferenzierung im Bereich der Klassifikation versieht, wurde in einem etwas breiter angelegten Abschnitt zum Thema ‚Genus und Semantik‘ eingegangen. Hier haben wir uns zuerst mit den in älteren und neueren Arbeiten vertretenen Auffassungen zum Zusammenhang von Genus und Bedeutung der Substantive kritisch auseinandergesetzt. Wir stellten fest, dass die Genusklassifikation im Deutschen, Französischen und Spanischen nicht semantisch erklärt werden kann, d.h., dass sich die Einteilung der Nomina in verschiedene Genera nicht unter Rückgriff auf die Bedeutung der klassifizierten Elemente begründen lässt. Die besonders im 18. und 19. Jahrhundert verfolgten Ansätze, innerhalb derer man nachzuweisen suchte, dass die Klassifikation auf die Sexusunterscheidung zurückzuführen sei, indem man auch für Substantive außerhalb des Bereichs der Personenbezeichnungen einen Zusammenhang zwischen den (vorgeblich) natürlichen TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 266 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr Schluss 267 Eigenschaften der Geschlechter und der Bedeutung der Nomina (re)konstruierte, müssen als spekulativ zurückgewiesen werden. Zeitgenössische Arbeiten wurden dahingehend kritisiert, dass man sich häufig auf die Angabe von semantischen Genuszuweisungsregeln beschränkt; man begnügt sich damit, festzustellen, dass bestimmte Gruppen semantisch verwandter Nomina hinsichtlich der Genusklassenzugehörigkeit übereinstimmen. Dabei wird übersehen, dass die Oppositivität der Genusklassen in einigen Teilbereichen des Wortschatzes zur Kennzeichnung semantischer Differenzen genutzt wird. Gerade hier liegt unseres Erachtens aber eine weitere, nicht zu vernachlässigende Funktion des Genus, die - wie wir dann weiter zeigen konnten - in den verschiedenen Einzelsprachen (ebenfalls) in unterschiedlichem Maße zum Tragen kommt. Anhand der Betrachtung des Teilbereichs Personenbezeichnungen und der verschiedenen Möglichkeiten der Geschlechtsspezifikation konnte zunächst deutlich gemacht werden, dass im Wesentlichen zwei Arten oder Typen der semantischen Nutzung der Genusopposition zu unterscheiden sind: (i) die redundante Kennzeichnung einer bestehenden semantischen Opposition mittels oppositiver Genusselektion, (ii) die Herstellung einer semantischen Opposition mittels oppositiver Genusselektion. Typ (ii) wurde - in Anlehnung, aber auch in Abgrenzung zu Wienold (1967) - mit dem Terminus ‚Differentialgenus im engeren Sinne‘ belegt. Der Vergleich der drei Einzelsprachen ließ dann erkennen, dass die Genusopposition gerade im Spanischen in größerem Umfang zur Herstellung semantischer Unterschiede genutzt wird, und zwar sowohl im Bereich der Personenbezeichnungen als auch darüber hinaus; im Französischen ist diese Form der semantischen Nutzung wesentlich weniger geläufig, im Deutschen kommt ihr Ausnahmestatus zu; 289 in beiden Sprachen wird das Genus aber durchaus zur redundanten Kennzeichnung genutzt. Diese Unterschiede sind mit Hinweis auf die Differenzen hinsichtlich der formalen Durchsichtigkeit der Klassifikation zu begründen. Die Regularitäten zwischen Auslaut und Genus im Spanischen begünstigen die Kennzeichnung semantischer Oppositionen durch Genusdifferenzierung. Den Abschluss unseres umfassenden Vergleichs bildete ein Abschnitt zum Thema Grammatikalisierung, in dem wir darlegten, dass die geschilderten formalen und funktionalen Differenzen auch als Unterschiede hinsichtlich des Grammatikalisierungsgrades der Genuskategorie im Spanischen, Französischen und Deutschen gelesen werden können. Die Gegenüberstellung der 289 Lediglich im Falle substantivierter Adjektive und Partizipien können semantische Differenzen im Deutschen durch bloßen Genuswechsel zum Ausdruck gebracht werden; dies ist aber nur deshalb möglich, weil es sich hier gerade nicht um prototypische Nomina handelt. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 267 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr 268 Schluss Genussysteme anhand der von Lehmann (1995 u.a.) vorgeschlagenen Grammatikalisierungsparameter wies das spanische Genussystem als weniger stark grammatikalisiert aus als das französische und schließlich das deutsche. In einem eigenen Abschnitt wurde dann diskutiert, inwiefern auch das Englische als Genussprache anzusehen ist. Wir konnten zeigen, dass sich das Englische sowohl hinsichtlich der Kongruenz als auch hinsichtlich der Klassifikation von ‚typischen‘ Genussprachen unterscheidet. Ob aufgrund der hier vorliegenden Differenzierung der Personalpronomina der dritten Person (he, she, it) sowie der entsprechenden Possessiv- und Reflexivpronomen auf die Existenz der Genuskategorie geschlossen werden kann, ist streitbar. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, nehmen auf die Sonderstellung des Englischen nun aber insofern Rücksicht, als sie es als ‚natural‘ und als ‚pronominal gender system‘ bezeichnen und somit betonen, dass sich die Wahl der Pronomina, der einzigen genusmarkierten Elemente, im Normalfall nach dem Merkmal des Geschlechts der Referenten (sowie nach dem Kriterium der Belebtheit) richtet. Da das Englische auf diese Weise schon terminologisch von anderen, typischeren Genussprachen abgegrenzt wird, hat dieser Ansatz unseres Erachtens durchaus seine Berechtigung. Unsere Überlegungen zu den Personenbezeichnungssystemen des Spanischen, Französischen, Deutschen und Englischen und zum Zusammenhang von Genus und Sexus bilden das Bindeglied zum dritten, wissenschaftshistorisch ausgerichteten Teil der Arbeit, in dem wir uns mit dem Thema ‚generisches Maskulinum und (feministische) Linguistik‘ beschäftigt haben. Es ging uns hier vor allem um die kritische Schilderung der Diskussion zwischen Vertretern der feministischen Linguistik und (vorwiegend) strukturalistisch orientierten Sprachwissenschaftlern sowie um die Klärung der Frage, ob und inwieweit die von feministischer Seite vorgebrachte These von der benachteiligenden Wirkung des generischen Maskulinum durch unterschiedliche empirische Untersuchungen bestätigt wird. Im Vorfeld wurde erläutert, was unter feministischer Linguistik zu verstehen ist - wir skizzierten die Themenbereiche, Annahmen und Ziele dieser keineswegs einheitlichen ‚Strömung‘. Außerdem wurden die im zweiten Teil gemachten Angaben zur semantischen Nutzung der Genusopposition im Bereich der Personenbezeichnungen insofern präzisiert, als wir auf die generische, d.h. geschlechtsneutrale Lesart maskuliner Personenbezeichnungen (inklusive engl. he und man) genauer eingingen; hierbei wurde auch auf inter- und intralinguale Unterschiede hinsichtlich der Geschlechtsneutralität der Maskulina hingewiesen. (Auch in diesem Bereich stehen genaue Untersuchungen noch aus.) TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 268 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr Schluss 269 Die wichtigsten Ergebnisse unseres wissenschaftshistorischen Überblicks lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im Rahmen der Darstellung der Diskussion um das generische Maskulinum konnte gezeigt werden, dass die von beiden Seiten vorgetragenen Argumente - zumindest teilweise - aneinander vorbeigehen, da sie sich zum einen auf verschiedenen Ebenen der Sprache beziehen und da die Vertreter der beiden Positionen zum anderen von grundverschiedenen Annahmen über Inhalt und Ziel sprachwissenschaftlicher Forschung ausgehen. Dies besagt gerade nicht, dass man im Hinblick auf das generische Maskulinum ein allgemeines Urteil über die Angemessenheit oder Unangemessenheit, über richtig oder falsch einer der beiden sprachwissenschaftlichen Richtungen fällen könnte. Es verhält sich vielmehr so, dass einige der von feministischer Seite vorgetragenen Stellungnahmen innerhalb einer Sprachbeschreibung, die dem Anspruch und der allgemeinen Methodik einer bestimmten Spielart des (europäischen) Strukturalismus folgt, einfach nicht berücksichtigt werden können. Andererseits halten aber bestimmte Behauptungen der feministischen Seite einer kritischen Prüfung in der Tat nicht stand. Dies gilt vor allem für die von Seiten der feministischen Linguistik vorgebrachten Aussagen zur gesellschaftlichen Bedingtheit des generischen Maskulinums. Selbst wenn man - entgegen der von strukturalistischer Seite vertretenen Auffassung - davon ausgeht, dass das Sprachsystem unmittelbar mit anderen Systemen in Verbindung gebracht werden kann und dass bestimmte sprachliche Strukturen auf den Einfluss außersprachlicher Gegebenheiten zurückführbar sind, so gelingt es der feministischen Linguistik nicht, für das generische Maskulinum den entsprechenden Nachweis zu erbringen. Die diesbezüglichen Aussagen haben lediglich Behauptungscharakter und zum Teil widersprechen sie sich sogar gegenseitig. Die strukturalistischen Aussagen zum generischen Maskulinum lassen aber auch die Möglichkeit einer Rückführung sprachlicher Strukturen auf gesellschaftliche Verhältnisse fragwürdig erscheinen. Sie zeigen vor allem, dass eine isolierte Betrachtung des generischen Maskulinums, die auf allgemeine Strukturprinzipien der Sprache keine Rücksicht nimmt, unangemessen ist. Das generische Maskulinum muss im Lichte der spezifischen Struktur der Genusopposition im Bereich der Personenbezeichnungen gesehen werden; ferner gilt es zu berücksichtigen, dass vergleichbare Oppositionsstrukturen auch in vielen anderen Bereichen des Wortschatzes und der Grammatik anzutreffen sind. Die verschiedenen gegen die feministische Kritik am generischen Maskulinum vorgebrachten Argumente können die Aussagen zur benachteiligenden Wirkung des generischen Maskulinums aber nicht widerlegen. Sie greifen an dieser Stelle, an der es um die Betrachtung konkreter sprachlicher Äuße- TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 269 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr 270 Schluss rungen und ihrer Interpretation geht, nicht. Allerdings erweisen sich auch die in der Anfangszeit von Seiten der feministischen Linguistik angeführten Einzelbeispiele, die belegen, dass im Anschluss an ein (offenbar) generisches Maskulinum eine Geschlechtsspezifizierung zugunsten männlicher Referenten stattfinden kann, hier noch nicht als beweiskräftig. Nur durch empirische Untersuchungen kann bestimmt werden, ob dem generischen Maskulinum tatsächlich eine diskriminierende Wirkung zukommt. Derlei Untersuchungen liegen mittlerweile in größerer Zahl vor. Wir haben einige davon genauer vorgestellt, andere lediglich im Hinblick auf ihre Ergebnisse skizziert. Insgesamt ergab die Auswertung der empirischen Untersuchungen folgendes Bild: Die Annahmen der FeministInnen werden im Ganzen bestätigt. Trotz einiger Schwächen im Versuchsaufbau, die die Resultate verfälscht haben könnten, sind die verschiedenen Studien als Beleg für die benachteiligende Wirkung des generischen Maskulinums anzusehen. Sie bestätigen aber auch, dass es sich ‚nur‘ um eine Verstärkerwirkung handelt, da selbst eindeutig geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen die Hörer dazu veranlassen, in erster Linie an Männer zu denken. Will man diese Ergebnisse theoretisch begründen, so kann auf eine Einbeziehung außersprachlicher Faktoren nicht verzichtet werden. Sprachwissenschaftliche Ansätze, die eine solche Herangehensweise erlauben, finden sich innerhalb der kognitiven Linguistik, insbesondere der Prototypentheorie. Wie die innerhalb dieser Ansätze entwickelten Modelle für die ‚Erklärung‘ der Ergebnisse nutzbar gemacht werden können, wurde im letzten Abschnitt skizziert. Die eingehende theoretische Fundierung der vorliegenden Untersuchungsergebnisse zum generischen Maskulinum ist ein weiteres Desiderat. TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 270 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr Abkürzungen AKK Akkusativ ART Artikel ASS Assoziativ DAT Dativ DEM Demonstrativum F Femininum GEN Genitiv K Konsonant KL Klasse KLF Klassifikator M Maskulinum N Neutrum NOM Nominativ NP Nominalphrase OBL Obliquus PL Plural PRÄT Präteritum S Singular VS Verbstamm TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 271 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr TBL_Schwarze_s005-286AK2.indd 272 16.12.2008 13: 08: 42 Uhr Literaturverzeichnis Aebischer, V./ Forel, C. (eds.) (1992): Parlers Masculins, Parlers Féminins? , Neuchâtel. Aikhenvald, A. Y. (2000): Classifiers. A Typology of Noun Categorization Devices, Oxford. Alcina Franch, J./ Blecua, J. M. (1975/ 1998): Gramática española, Barcelona. Amacker, R. (1975): Linguistique saussurienne, Genève. Ambadiang, Th. (1999): „La flexión nominal. Género y número“, in: I. Bosque/ V. Demonte (eds.), Vol. III: 4843-4913. Anderson, J. M. (1961): „The Morphophonemics of Gender in Spanish Nouns“, Lingua 10: 285-296. 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