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Eurotexte

1995
978-3-8233-3002-8
Gunter Narr Verlag 
Joachim Born
Wilfried Schütte

Die Europäische Gemeinschaft (seit 1994 Europäische Union) betreibt Integrationspolitik vor allem über Texte abgestufter Rechtsverbindlichkeit; dazu zählen als vorbereitende Rechtsakte die Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Verfahren und Probleme ihrer Genese werden in diesem Buch anhand von vier Fallstudien beschrieben. Wesentlich dabei ist die situative Mehrsprachigkeit, da Delegierte nach der Amts- und Arbeitssprachenregelung der EU ihre Muttersprache benutzen und sich mit Hilfe von Übersetzern und Dolmetschern verständigen. Zusätzlich von Bedeutung sind Schriftlichkeit/Mündlichkeit, Intertextualität. institutionelle sowie interkulturelle Kommunikation. Die Studie beschäftigt sich mit der Semantik und Pragmatik von Schlüsselwörtern europäischer Integration und zeigt Perspektiven einer zukünftigen EU-Sprachenpolitik auf. Sie nimmt damit differenziert Stellung zur Rolle des Deutschen als Amts- und Arbeitssprache der Europäischen Union.

Studien zur deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS PÜR DEUTSCHE SPRACHE Joachim Born/ Wilfried Schütte Eurotexte Textarbeit in einer Institution der EG gnw Gunter Narr Verlag Tübingen STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE Studien zur deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Herausgegeben von Hartmut Günther, Reinhard Fiehler und Bruno Strecker Band 1 • 1995 Joachim Born/ Wilfried Schütte Eurotexte Textarbeit in einer Institution der EG gtlW Gunter Narr Verlag Tübingen Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Born, Joachim: Eurotexte: Textarbeit in einer Institution der EG / Joachim Bom/ Wilfried Schütte. - Tübingen: Narr, 1995 (Stadien zur deutschen Sprache; Bd. 1) ISBN 3-8233-5131-1 NE: Schütte, Wilfried: ; GT © 1995 • Gunter Narr Verlag Tübingen Dischingerweg 5 ■ D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtüch geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Druck: Müller + Bass, Tübingen Verarbeitung: Braun + Lamparter, Reuthngen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 3-8233-5131-1 Editorial Die Reihe Studien zur deutschen Sprache - Forschungen des Instituts für deutsche Sprache ersetzt die mit Band 75 abgeschlossene Reihe Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache Mannheim. In der neuen Reihe werden ausschließlich Arbeiten veröffentlicht, die direkt am IDS entstanden sind oder aus kooperativen Arbeitszusammenhängen mit Partnern des IDS hervorgegangen sind. Veröffentlicht werden Monographien und Sammelbände mit Ergebnissen oder Zwischenberichten aus Forschungsobjekten des Instituts, Institutskolloquien und anderen Arbeitsformen. Die Herausgeber möchten mit dieser Reihe die Forschungen des IDS übersichtlich und möglichst frühzeitig der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellen. Reinhard Fiehler Hartmut Günther Bruno Strecker Inhalt Vorwort 11 1. Einleitung 16 2. Mehrsprachigkeit in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaften: Auswertung von Fragebögen und Interviews 35 2.1 Projektphasen 35 2.2 Aufbau des Fragebogens 35 2.3 Rücklauf der Fragebögen und Auswahl der Probanden 36 2.4 Sprachkenntnisse der „Bürokraten“ 37 2.5 Amtssprachen vs. Arbeitssprachen, Verwendung vs. Verzicht auf Muttersprache 38 2.6 Einfluß der Sprachenwahl auf Textgenese 39 2.7 Sprachliche Auswirkungen durch Veränderungen in Europa 39 2.7.1 Ereignisse in Mittel- und Osteuropa künftige »Brückenfunktion des Deutschen« 40 2.7.2 EG-Erweiterung durch westeuropäische Beitrittskandidaten 40 2.7.3 „Europa der Regionen“ 41 2.8 Dauer der Texterstellung 42 2.9 Einfluß des Alters auf Sprachenwahl 42 2.10 Polyglotter Dialog 43 2.11 Einschaltung von Übersetzer- und Dolmetscherdienst 43 2.11.1 Beteiligung der Sprachendienste am Textgeneseverfahren 43 2.11.2 Sprachliche Qualität von »Eurotexten« 45 2.11.3 Verdolmetschte Fassung vs. Originalbeitrag 45 2.11.4 Relais-Übersetzungen 46 2.11.5 Rationalisierungs-Überlegungen 46 2.12 Restriktion sprachlicher Mittel 47 2.13 Sprachliche Sonderformen, Jargon, „Eurospeak“ 48 2.14 Zusammenfassung der Ergebnisse aus Fragebogenaktion und Interviews 49 3. Verfahren der Textproduktion im Wirtschafts- und Sozialausschuß 53 3.1 Methoden zur Rekonstruktion von Interaktionswissen 53 3.2 Zusammensetzung und Aufgaben des WSA 56 3.2.1 Professionalität gegen ehrenamtliche Nebentätigkeit 59 6 3.2.2 Konsensprinzip gegen Wirksamkeit der Stellungnahme 59 3.2.3 Schriftsprachliche gegen umgangssprachliche Prägung von Debattenbeiträgen 64 3.3 Normierungen und informelle Verfahren für die Textproduktion 65 3.3.1 Normen für die WSA-Textproduktion 70 3.3.2 Informelle Muster 82 3.4 Der WSA als Institution zur Textproduktion 87 3.4.1 Die Unübersichtlichkeit des EG-Rechtsetzungsverfahrens 88 3.4.2 Vergleich: Textgenese im WSA und im EG-Rechtsetzungsverfahren 95 3.5 Zur Arbeitsteilung zwischen WSA-Mitgliedem, Generalsekretariat, Übersetzern und Dolmetschern 96 3.6 Textsorten innerhalb und außerhalb des WSA 100 3.6.1 „(Initiativ-)Stellungnahme“ und „Bericht“ 100 3.6.2 „Stellungnahme“ und „Presseerklärung“ 101 3.6.3 Die Praxis des Konsultationsverfahrens im WSA und im Europäischen Parlament 103 3.7 Sprachenregelung 105 3.7.1 Der Verzicht auf Muttersprache in Studiengruppen- und informellen Sitzungen 106 3.7.2 Das Sprachenproblem im WSA als interner Beratungsgegenstand 107 3.7.3 Die Situation der „kleineren“ Sprachen im WSA 110 3.8 WSA und Lobbyisten 112 3.9 Status des WSA-Mitglieds und kritische Bewertungen des WSA von außen 116 3.10 Das kollektive Selbstverständnis des WSA: Zwischen Brüchigkeit und Stilisierung 119 3.11 Der akzeptierte Gremienstil 122 3.12 Einzelanalyse I: Ein „normaler“ Debattenbeitrag 126 3.13 Einzelanalyse II: Der Sonderfall 128 4. Fallstudie „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“: viele Sitzungen wenig Neues 139 4.1 Gliederung 139 4.2 Konstitution und Zusammensetzung der Studiengruppe 140 4.3 Erste Studiengruppensitzung am 14. April 1992 141 4.4 Zweite Studiengruppensitzung am 13. Mai 1992 144 4.5 Erste Fachgruppensitzung am 11. Juni 1992 153 4.6 Dritte Studiengruppensitzung am 17. Juli 1992 156 4.7 Zweite Fachgruppensitzung am 11. September 1992 164 4.8 Plenartagung am 23. September 1992 170 4.9 Zusammenfassung 172 7 5. Fallstudie „Maritime Industrien“: divergente Gruppeninteressen 174 5.1 Einführung 174 5.2 Zur methodischen Fragestellung der Fallstudie 175 5.3 Äußerer Verlauf der Textgenese 178 5.3.1 Der Bezugstext: Die Mitteilung der EG-Kommission 178 5.3.2 „Primärtexte“ für die WSA-Stellungnahme 187 5.3.3 Sekundärtexte für die WSA-Stellungnahme 193 5.4 Zusammensetzung, Sprachenverteilung und Arbeitsweise der Studiengruppe 196 5.5 Interaktiv-mehrsprachige Textarbeit 200 5.5.1 Bezug zur vorgeordneten WSA-Stellungnahme „Industriepolitik“ 201 5.5.2 Teilnahme des WSA am „Maritimen Forum“ 202 5.5.3 Rollenverteilung und Ansprüche an die Textgliederung 207 5.5.4 Die Kontroverse um den Änderungsvorschlag zum „human factor“ 210 5.5.5 Einzelne Textformuliemngen 217 6. Fallstudie „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“: ein ostpolitisches Einmann-Unternehmen 229 6.1 Einführung 229 6.2 Der Verlauf der Textgenese: Texte, Inhalte, Präsentationsformen 229 6.2.1 Bezugs-und Primärtexte 229 6.2.2 Sekundärtexte 237 6.2.3 Der Inhalt des „Vorentwurfs“ 241 6.2.4 Der Inhalt des „Revidierten Vorentwurfs“ 244 6.2.5 Der Inhalt des „Entwurfs der Stellungnahme“ 244 6.3 Sprachenverteilung 247 6.4 Idiosynkrasien dieses Textgeneseprozesses - oder liegt ein anderes Verfahrensmuster vor? 249 6.4.1 Präsentationsformen: Detaillierung und Kondensierung 251 6.4.2 Problem der Informationsbeschaffung 254 6.5 Einzelne Formulierungsaspekte 257 6.5.1 Kritik an der Kommission 257 6.5.2 Zitate und Verweise als Technik der Sachverhaltsdarstellung 261 6.5.3 „Verblose Sätze“ eine punktuelle Stilkritik 263 6.5.4 Russischer Truppenabzug und mssische Minderheiten 266 6.5.5 Altruismus oder Betonung der EG-Interessen? 269 6.5.6 Europa-Abkommen und soziale Dimension: die „Sozialverträglichkeit des Umbaus zur Marktwirtschaft“ 271 Tabellarischer Zeitplan zu den Daten der Textgenese zur Stellungnahme „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ 273 8 7. Fallstudie zum Bericht zur Sozialcharta: unaufhebbare Konflikte im Sozialbereich 275 7.1 Sonderform einer WSA-Debatte 275 7.2 Zum Kontext und zur Vorgeschichte: Die EG-Sozialcharta 276 7.3 „Erster Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“: Texte 283 7.4 Die Debatte: Strategie und Verlauf 286 7.4.1 Referat der Berichterstatterin 288 7.4.2 Allgemeine Aussprache 289 7.4.3 Die Entgegnung der Berichterstatterin 294 7.4.4 Änderungsvorschläge in der Fachgruppe 295 7.4.5 Änderungsanträge auf der Plenartagung 298 7.4.6 Minderheitserklärung der Arbeitgeber 317 7.4.7 Erklärung zum Maastrichter Vertrag und zum dänischen Referendum 319 7.5 Zusammenfassung der Argumentationsmuster 320 8. Schlüsselwörter der europäischen Einigung 323 8.1 »Maastricht«: Widerstand gegen die EG als Sprachkampf 323 8.2 »Schlüsselwörter« versus »Plastikwörter« 324 8.3 Subsidiaritätsprinzip 328 8.3.1 Etymologie des Begriffes 328 8.3.2 Das »Subsidiaritätsprinzip« als Teil des Föderalismus im deutschen Sprachraum 330 8.3.3 Das »Subsidiaritätsprinzip« in der EG 331 8.3.4 Sprachliche »Integration« vs. »Mißbrauch« des Terminus »Subsidiaritätsprinzip« 333 8.3.5 »Subsidiaritätsprinzip« in den Fallstudien und Interviews 336 8.4 Harmonisierung 337 8.5 »Europa der Bürger« 344 8.6 Ecu 351 8.7 Demokratisierung 359 9. Ergebnisse und Zusammenfassung 361 9.1 Institutionelle Bedingungen der Textarbeit im WSA 361 9.1.1 Mehrsprachigkeit 364 9.1.2 Textaushandlung und Konsensprinzip 368 9.1.3 Ergebnisse der Fallstudien 371 9.2 Sprachliche Konsequenzen 374 9.2.1 Stilmerkmale von WSA-Redebeiträgen 374 9.2.2 Argumentationsmuster 376 9.2.3 Mehrfachadressierung 377 9.2.4 Metaphorik und Phraseologie 378 9 9.2.5 „Politisch korrekte“ Streitkultur? 381 10. Ausblicke auf die künftige Sprachensituation im Hinblick auf die Politische Union 382 10.1 Amtssprachenideologie versus Arbeitssprachenalltag 382 10.2 Amtssprachenideologie versus EU-Erweiterung 383 10.3 Sprachliche »Zweitklassigkeit« versus Effizienz des Arbeitsalltags 385 10.4 Sprachpolitische Aufgaben für die Europäische Union 386 Anhang 391 Fragebogen 391 Verwendete Transkriptionszeichen 398 Texte zu Kapitel 3.12 und 3.13, Beispielanalysen 399 Text-Synopse zu Kapitel 4 404 Text zu Kapitel 7 434 Literatur 447 Vorwort Das Projekt Erstellung von Verwaltungstexten: Mehrsprachigkeit in der EG-Kommission (EUROTEXTE) hatte zum Ziel, die besonderen, auf der situativen Mehrsprachigkeit beruhenden Schwierigkeiten zu analysieren, die bei der Erstellung von Verwaltungstexten im Zusammenwirken mehrerer Autoren unterschiedlicher Muttersprache auftreten. Die Untersuchung fällt in den Überschneidungsbereich von traditioneller Mehrsprachigkeitsforschung, Textlinguistik und sprachwissenschaftlicher Kommunikationsforschung. Die Organe der Europäischen Gemeinschaften sind ausgezeichnete Beispiele für multilinguale Institutionen, deren wesentliche Aufgabe die Produktion von Texten mit abgestufter Rechtsverbindlichkeit ist. Die neun nationalen Amtssprachen sind de jure gleichberechtigte Sprachen der Europäischen Gemeinschaft. De facto haben sich Französisch und Englisch als Arbeitssprachen der Kommission durchgesetzt. Die Situation, in der sich Beamte oder Beauftragte aus zwölf Ländern mit neun verschiedenen Muttersprachen im Kern nur zweier Arbeitssprachen bedienen, die sie mehr oder weniger gut beherrschen, bezeichnen wir in der Folge als situative Mehrsprachigkeit. Im Mittelpunkt des Verwaltungshandelns in den EG-Organen steht das Erstellen von administrativen Texten, an deren Zustandekommen eine größere Zahl von Beauftragten mit unterschiedlicher Muttersprache beteiligt ist. Eine wichtige Motivation für unser Projekt war es, herauszufmden, ob diejenigen Beteiligten eine geringere Chance haben, ihre Formulierungsinteressen durchzusetzen, für die die Aushandlungssprache nicht ihre Muttersprache ist, oder ob durch prozedurale Regeln und durch Dolmetscher- und Übersetzungsdienste Chancengerechtigkeit gewährleistet ist. Der vorliegende Band enthält die wesentlichen Ergebnisse des Forschungsvorhabens EUROTEXTE. Unser Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die das Projekt mit einer großzügigen Sachbeihilfe gefördert hat, und vor allem Manfred Briegel, der als unser zuständiger Referent mit großem Verständnis Lösungen für manches gravierende Problem gefunden hat. Wir danken auch den vielen Beamten bei der Europäischen Kommission und beim Wirtschafts- und Sozialausschuß (WSA), die unser Forschungsvorhaben aufgeschlossen unterstützt haben, und ebenso den Mitgliedern des WSA, besonders Herrn Jens- Peter Petersen, die den beiden Projektmitarbeitem Joachim Born und Wilfried Schütte intimen Zugang zu ihrem Arbeitsalltag ermöglicht haben. 12 Gottfried Kolde (Genf) danken wir für wertvolle Hinweise zur Überarbeitung der Manuskripte. Das Projekt wurde von Gerhard Stickel, Direktor des Instituts für deutsche Sprache, und von Wolfgang Teubert, Leiter der Abteilung Sprachentwicklung in der Gegenwart, geleitet. Projektbeginn war Mitte 1991. Abschlußtermin war der 31.12.1993. Da für die erforderliche redaktionelle Überarbeitung des Manuskripts nur ganz geringe Mittel zur Verfügung standen, kam es bei der Erstellung des veröffentlichungsreifen Typoskripts bedauerlicherweise zu größeren Verzögerungen, die den Autoren, die sich inzwischen anderen Tätigkeitsfeldern zugewandt hatten, nicht angelastet werden dürfen. Vielmehr ist anzuerkennen, daß sie für die Fertigstellung in erheblichem Umfang Freizeit geopfert haben. Durchführung und Ergebnisse Bereits in der Anfangsphase des Projekts ergab sich ein gravierendes Problem, als sich nämlich herausstellte, daß die Kommission der Europäischen Gemeinschaften als Ort der teilnehmenden Betrachtung nicht zur Verfügung stehen würde. Aufgrund der ersten Kontaktaufnahmen war davon auszugehen, daß man nicht nur bei der Kommission ein einschlägiges Interesse und die Zustimmung zur Versendung von Fragebögen und zur Durchführung von Interviews finden würde, sondern auch für die Plazierung der Projektmitarbeiter in Arbeitssitzungen als teilnehmende Beobachter einen positiven Bescheid erhielte. Zwar war die Bereitschaft der betroffenen Beamten durchaus vorhanden; aus Gründen der Absicherung mußte indessen um die offizielle Einwilligung des Generalsekretariats ersucht werden. Der Generalsekretär sah sich jedoch nicht in der Lage, den Projektmitarbeitem das erforderliche allgemeine laisser-passer für die Kommission einzuräumen. Ursache für die Bedenken waren nicht zuletzt Gerüchte, das Projekt solle auch Argumente für die Durchsetzung des Deutschen als dritte Arbeitssprache der EG-Behörden liefern. Was Fragebögen und Interviews betrifft, konnte die ursprüngliche Projektplanung eingehalten werden. Hier wurde die Kommission, wie geplant, einbezogen. Auch für die textlinguistische Auswertung schriftlicher Materialien zu Rechtsakten war die weitere Zusammenarbeit mit der Kommission problemlos. Lediglich bei der teilnehmenden Beobachtung war die Umorientierung auf eine andere EG-Institution nötig. Die Projektmitarbeiter hatten auch Verbindung zum Europäischen Parlament und zum Wirtschafts- und Sozialausschuß (WSA) aufgenommen. Besonders im WSA gab es gegenüber dem Projekt keine Bedenken. Es gab sogar ein gemeinsames Interesse, nämlich das Problem, wie sich Praxis des WSA und Probleme der Textgenese dort öffentlich darstellen lassen. 13 Neben der hier vorgelegten Studie von Joachim Born und Wilfried Schütte sind als weiteres Ergebnis auch zu nennen insgesamt 20 einschlägige Aufsätze der beiden Projektmitarbeiter, die zum Teil auf Tagungsvorträgen fußen. Ferner gehören zu den Projektergebnissen 157 Tonbandaufnahmen von Interviews und Hintergrundgesprächen mit Informanten bei den EG-Behörden und mit an den WSA-Fallstudien beteiligten Akteuren, mit Sitzungsmitschnitten sowie mit sonstigen Tonmaterialien zum Thema. Ein Großteil dieser Aufnahmen wurde im Rahmen des Projekts transkribiert. Schließlich wurde im Rahmen des Projekts eine umfassende Literaturdatenbank angelegt. Tonbandaufnahmen, Transkripte und Literaturdatenbank stehen der Fachöffentlichkeit zur Verfügung. Wenn schon die Genese von administrativ verbindlichen Texten mit mehreren Autoren in monolingualen Situationen nur wenig untersucht ist, fehlte bislang über die Textproduktion in multilingualen Situationen jede kommunikationswissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis. Dieses Defizit ist mit der vorliegenden Studie EUROTEXTE wenigstens im Ansatz behoben. Mit der Methode teilnehmender Beobachtung ist die Erstellung von Stellungnahmen in den Fachgruppen des Wirtschafts- und Sozialausschusses dokumentiert und analysiert worden. Was in den vier Fallstudien an Erkenntnissen herausgekommen ist, ist alles andere als spektakulär; im Gegenteil, es mutet auf den ersten Blick fast als selbstverständlich an. Wer in vergleichbaren internationalen Organisationen, Strukturen und Vorhaben je mitgearbeitet hat, dem kommen die offiziellen und die usuellen Verfahren, um mit inhaltlichen, sprachlichen, statusbezogenen und in der Individualität der Beteiligten liegenden Problemen fertig zu werden, durchaus vertraut vor. Das entwertet die Untersuchung nicht. Eine sozialwissenschaftliche Studie, in der sich die vom Untersuchungsskorpus einbegriffenen Aktanten wiedererkennen können, läßt sich erfolgversprechender in die konkrete Anwendung einbringen als eine Darstellung, die niemand auf sich beziehen mag. Auf den zweiten Blick ist das Ergebnis so selbstverständlich nicht, wie es scheint. Die Diskussion der letzten Jahre über die Bedeutung, die das Deutsche in der EG und in ihren Organen hat und die es haben sollte, findet in der Untersuchung überraschenderweise keine Nahrung. Die vielen Kommissionsbeamten und WSA-Delegierten, die im Verlaufe dieser Untersuchung befragt und beobachtet wurden, geben uns kaum einen Hinweis darauf, daß sie, die Französisch und Englisch nicht als Muttersprachler oder überhaupt nicht beherrschen, sich benachteiligt verkommen. Daß die Selbstwahmehmung der Betroffenen überwiegend gerechtfertigt ist, zeigt sich auch in der teilnehmenden Beobachtung. Wer sich in einem Netzwerk von Personen, die gemeinsam einen rechtsverbindlichen Text (hier also eine Stellungnahme) verfassen sollen, mit seinen inhaltlichen Interessen durchsetzt, das hängt eher von den Machtverhältnissen (im WSA: Arbeitgeber und 14 Gewerkschaften; nördliche Länder und Mittelmeeranrainer) und vom persönlichen Verhandlungs- und Formulierungsgeschick des einzelnen als von dessen Sprachkenntnissen ab. Dolmetscher- und Übersetzerdienste können fremdsprachliche Defizite weitgehend ausgleichen, und bei allen inhaltlichen Gegensätzen helfen sich die Delegierten bei der Bewältigung sprachlicher Probleme im großen Umfang auch gegenseitig. Kommissionsbeamte und WSA-Delegierte sind auf ihre Professionalität stolz, die sie befähigt, kompetent Lösungen für alle sich aus der Mehrsprachigkeit ergebenden Probleme zu finden, sei es untereinander oder durch Inanspruchnahme des Dolmetscher- und Übersetzungsdienstes. Professionalität und Kompetenz verleihen auch Exklusivität. Deswegen findet sich bei den Deutschen in Brüssel so wenig Unterstützung für die Absicht mancher deutscher Politiker, Deutsch mit aller Macht als dritte Arbeitssprache durchzusetzen. Nicht nur die Kommissionsbeamten, auch die WSA-Delegierten erarbeiten sich in aller Regel rasch multilinguale Kompetenz, die sie für die sprachliche Interaktion in ihrem professionellen Handeln benötigen. Natürlich gehören Sekretariate sowie Dolmetscher- und Übersetzungsdienste dazu; sie müssen in ihrer Leistungsfähigkeit kontinuierlich verbessert werden. Auch dazu hat das Projekt EUROTEXTE Anregungen gegeben. Daneben hat sich aber auch gezeigt, daß neben der multilingualen Kompetenz auch die multikulturelle Kompetenz gefördert werden muß. Oft sind es weniger sprachliche Probleme als die Schwierigkeit, mit fremden Umgangsstilen umzugehen, die den Beteiligten in ihrer Arbeit zu schaffen macht. Ausblick Wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist die Erkenntnis, daß kein Anlaß besteht, vor Situationen Angst zu haben, in denen man nicht immer alles versteht, was die anderen Teilnehmer sagen. In vielen Ländern und in manchen Lebensberereichen ist diese Situation eher die übliche, und die Menschen bewegen sich in ihr mit großer Selbstverständlichkeit. Die Angst vor solchen Situationen mag sich besonders in relativ großen, strikt monolingualen Ländern entwickeln, in denen sich nur sehr wenige Menschen ständig in multilingualen Situationen, in der Interaktion mit fremden Sprachen und fremden Kulturen bewegen müssen. Das Projekt hat gezeigt, daß nicht der sich durchsetzt, der gegenüber den anderen an der Situation Beteiligten auf der Durchsetzung seiner Muttersprache besteht, sondern der, der über die Kompetenz verfügt, sprachliche Defizite prozedural zu überwinden. Mit dem Projekt EUROTEXTE ist das Thema situative Mehrsprachigkeit in europäischen Institutionen noch lange nicht erschöpfend abgehandelt. Das fortschreitende Zusammenwachsen Europas (das längst nicht mehr auf die bis Ende 1994 zwölf EG-Mitglieder beschränkt ist) bringt es mit sich, daß multilinguale Situationen (seien sie beruflich oder privat) das Leben von immer 15 mehr Menschen bestimmen. Bisher weiß man nur wenig über erfolgversprechende Strategien und Verfahren, damit fertig zu werden. Sie herauszuarbeiten bedarf es großer Anstrengungen in der Sozial- und Sprachforschung. Der prinzipiell monolingual konzipierten Gesellschaft der Vereinigten Staaten von Amerika steht hier die Vision eines multikulturellen Europas gegenüber, in dem die Vielzahl der Sprachen bereichern, nicht begrenzen soll. Das erfolgreich durchgeführte Projekt Eurotexte sollte als Herausforderung für weitere Anstrengungen verstanden werden. Wolfgang Teubert 1. Einleitung Als wir im Laufe des Jahres 1990 am Institut für deutsche Sprache ein Projekt zur Mehrsprachigkeit in Institutionen der Europäischen Gemeinschaften 1 planten, war Europa noch zweigeteilt, politisch und militärisch ebenso wie wirtschaftlich und sprachlich. Die Einleitung in Blöcke korrespondierte mit den dominierenden institutionell verankerten internationalen Verkehrssprachen: In den Organisationen der damals noch existierenden realsozialistischen östlichen Hälfte des Kontinents (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, Warschauer Pakt) war Russisch oktroyierte Verkehrssprache, der westliche Teil schien sich in seinen verschiedenen Institutionen (Europäische Gemeinschaften, EFTA, NATO) freiwillig auf zwei »linguae francae«, auf Englisch und auf Französisch, zu beschränken, was aufgrund der historischen Dimension kaum hinterfragt wurde: Französisch als ehedem dominierende Sprache internationaler Diplomatie wurde zum bevorzugten Kommunikationsmedium der »Bürokratie«, Englisch stand und steht als Symbol für wirtschaftliche und militärische Macht. Trotz oder gerade wegen der scheinbar eindeutigen Verhältnisse war allenthalben schon damals der implizite Vorwurf zu vernehmen, Deutsch komme im internationalen institutionellen Sprachenwettbewerb nicht die Rolle zu, die ihm eigentlich gebühre (siehe Abbildungen 1-4). Vertrauten die einen eher der „normativen Kraft des Faktischen“, forderten andere ganz unverhohlen, Deutsch müsse als dritte »Arbeitssprache« der EG verankert werden, womit sie allerdings nicht den terminus technicus (der besagt für die EG nämlich, daß die offiziellen Sprachen, die »Amtssprachen«, zugleich »Arbeitssprachen« sind) im Auge hatten, sondern vielmehr bewirken wollten, daß eine dritte Verkehrssprache im EG-Alltag durchgesetzt wird: Das Deutsche solle in internen Sitzungen gleichrangig verwendet werden. Dabei sprang vor allem ins Auge, daß sich auf der einen Seite Politiker, Journalisten, Wirtschaftsrepräsentanten und Lobbyisten lautstark äußerten, während auf der anderen Seite bemerkenswert verhalten, unemotional, bisweilen gleichsam an der Sprachenproblematik desinteressiert scheinend Wissenschaftler dazu Stellung bezogen oder häufiger schwiegen. 1 Von Europäischen Gemeinschaften (EG) ist die Rede, weil sie nach den Römischen Verträgen als Zusammenschluß von Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Europäischer Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und Europäischer Atomgemeinschaft (EURATOM) am 1.1.1958 unter diesem Namen in Kraft traten. Die Aufgaben der EG werden von ihren Organen (Parlament, Rat, Kommission, Gerichtshof) und Institutionen (Wirtschafts- und Sozialausschuß, Rechnungshof) wahrgenommen. Zum Terminus »Europäische Union« siehe weiter unten im Text. 17 .3 O s CO0\ CsoOs 'Syo c«u o5» Ci Al ^ g 2 ^ 6 w C On JZ I 5 O | " (0 Os ^ Ov 00 0) ©O) cCO 0) J* O) (0 (5 Ui 0) 0 c© w© *3 E c©o> c □ N ©2 5 O ©i0 i/ i S3 k. 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Immer dann, wenn deutsche Politiker in Brüssel, Bonn und (vor allem) in München darüber Klage führten, widmeten Tages- und Wochenzeitungen der Berichterstattung großen Raum. So stand am Anfang unserer Arbeit zunächst einmal ein umfangreiches Studium dieser Art von Berichterstattung, wobei wir uns von linguistischer Warte aus die Argumentation nicht schlicht zu eigen machten, sondern die Publikationen der Massenmedien in den Mittelpunkt einer sprachwissenschaftlichen Analyse stellten. Daher verdanken wir der Auswertung dieses »Presse-Spiegels«trotz der oftmals stark emotional geprägten Artikel eine Vielzahl von Informationen. Schon seit Dekaden hatten Rechts-, Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftler eigene Forschungsdisziplinen, die sich mit EG-Problemen beschäftigen, eingerichtet, andere wie Agrar- und Naturwissenschaftler waren ebenso wie Experten und Führungskräfte der Schwerindustrie oder der innovativ tätigen High-Tech-Branche nicht zuletzt aus Wettbewerbsgründen mit dem institutionalisierten Europa befaßt. Dagegen war auf Seiten der Sprachwissenschaft doch weitgehend eine Nichtbefassung mit der komplizierten sprachlichen europäischen Realität und den Auswirkungen bestimmter sprachlicher Präferenzen oder Restriktionen auf die Entscheidungen der EG- Kommission, des Europa-Parlaments etc. zu konstatieren. Meldeten sich Linguisten zu Wort, dann taten sie dies nicht mit dem plakativen Verweis auf die vermeintliche Benachteiligung der Deutschen, sondern formulierten explizite Lösungsmodelle. Dazu gehören Vorschläge wie die Förderung eines »polyglotten Dialogs« (Posner 1991, 1992), die stärkere Einbeziehung von Sprachlehrprogrammen mit einem Aktiv-Passiv-Kompetenzgefälle (Finkenstaedt/ Schröder 1990 bzw. 1992) und vor allem der Ruf nach einer stärkeren Verankerung von Fremdsprachenunterricht in den EG-Mitgliedstaaten (Weinrich 1987). Das kann letztlich nicht verwundern, sind die Protagonisten derartiger Programme doch in aller Regel Romanisten, Anglisten und Fremdsprachendidaktiker, darunter auch die Deutsch-als-Fremdsprache (DaF)-Repräsentanten, wobei letztere nur zu gut wisssen, daß eine allzu lautstarke Propagierung von »Deutsch in der EG« durchaus kontraproduktiv sein und abschreckend wirken kann. Im übrigen zeigt ja das Schicksal des Russischen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus sehr deutlich, wozu das verordnete Erlernen von Fremdsprachen führt. Nicht unterschätzen oder außer acht lassen darf man auch die durchaus verbreitete Meinung selbst unter Philologen, die Konzentration auf eine lingua franca i.e. das Englische helfe nicht nur Kosten sparen, sondern dienebei entsprechender Qualität der Fremdsprachenkenntnis auch einer Verständnissicherung auf möglichst hohem Niveau. 22 Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (Amtsblatt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Nr. 17 vom 6. 11. 1958, S. 385) Geändert durch: 1. Beitrittsakte von 1972 (ABI. Nr. L 73 vom 27. 3. 1972, S. 14) 2. Beitrittsakte von 1979 (ABI. Nr. 291 vom 19. 11. 1979, S. 17) 3. Beitrittsakte von 1985 (ABI. Nr. L 302 vom 15. November 1985, S. 242) DER RAT DER EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTSGEMEINSCHAFT, gestützt auf Artikel 217 des Vertrages, nach dem die Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Gemeinschaft unbeschadet der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vom Rat einstimmig getroffen wird, in der Erwägung, daß jede der vier Sprachen, in denen der Vertrag abgefaßt ist, in einem oder in mehreren Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft Amtssprache ist, HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN: Art.l Die Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe der Gemeinschaft sind Dänisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch und Spanisch. Art. 2 Schriftstücke, die ein Mitgliedstaat oder eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehende Person an Organe der Gemeinschaft richtet, können nach Wahl des Absenders in einer der Amtssprachen abgefaßt werden. Die Antwort ist in derselben Sprache zu erteilen. Art. 3 Schriftstücke, die ein Organ der Gemeinschaft an einen Mitgliedstaat oder an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehende Person richtet, sind in der Sprache dieses Staates abzufassen. Art. 4 Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung werden in den neun Amtssprachen abgefaßt. Art. 5 Das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft erscheint in den neun Amtssprachen. Art. 6 Die Organe der Gemeinschaft können in ihren Geschäftsordnungen festlegen, wie diese Regelung der Sprachenfrage im einzelnen anzuwenden ist. Art. 7 Die Sprachenfrage für das Verfahren des Gerichtshofes wird in dessen Verfahrensordnung geregelt. Art. 8 Hat ein Mitgliedsstaat mehrere Amtssprachen, so bestimmen sich der Gebrauch der Sprache auf Antrag dieses Staates nach den auf seinem Recht beruhenden allgemeinen Regeln. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. GESCHEHEN zu Brüssel, am 15. April 1958 Im Namen des Rates Der Präsident V. Larock (zitiert nach Europarecht 2 1990, 256f.) 23 So war also die Ausgangsposition zu Zeiten der Projektplanung: ein komplexes Institutionengeflecht mit einer komplizierten Sprachenregelung, die de jure postuliert, daß alle EG-Amtssprachen (das sind derzeit die neun nationalen Amtssprachen der zwölf Mitgliedstaaten) gleichrangig sind, aber in seinen vielschichtigen Arbeitsvorgängen de facto auch eine Reduktion der Arbeits- oder Verkehrssprachen vomimmt oder vornehmen muß (siehe Verordnung Nr. 1 zur Regelung der EWG-Sprachenfragen im Kasten). Eine unserer Prämissen war, daß sich ein Individuum in der Regel am einfachsten und wohl auch kompetentesten in seiner Muttersprache verständigt. Als zentrale Arbeitshypothese für unser Projekt legten wir die Annahme zugrunde, daß bei der Erstellung von Rechtsakten, an der in der Regel eine größere Zahl von »Bürokraten« mit unterschiedlicher Muttersprache beteiligt ist, diejenigen Beteiligten trotz fremdsprachiger [Teil-]Kompetenz und trotz der Möglichkeit des Zugriffs auf Ubersetzungsdienste eine geringere Chance haben, ihre Formulierungsinteressen durchzusetzen, für die die Aushandlungs- und Abfassungssprache nicht ihre Muttersprache ist. Wir unterstellten gewissermaßen, daß der Aufschrei über Benachteiligung vor allem von jenen komme, die nicht das Glück haben, mit einer europaweiten lingua franca groß geworden zu sein. Würden deren Landsleute versuchen, öffentlich sprachpolitisch zu intervenieren, um ihre nationale Amtssprache als EG-Verkehrssprache zu propagieren? Daß aber gerade Sprecher kleinerer Sprachen (Dänen, Niederländer, Portugiesen etc.) recht anpassungsfähig sind und auch bei aktiver und passiver Fremdsprachenrezeption keinen erkennbaren Informationsverlust erleiden, war eines unserer (sicherlich nicht sonderlich überraschenden) Ergebnisse. Die unterstellte Benachteiligung trifft eher die Angehörigen der „großen“ Sprachgruppen, da bei diesen Fremdsprachenkompetenz eben nicht selbstverständlich ist. Eine sprachwissenschaftlich reizvolle Aufgabe mag sein, quantitativ zu messen, welche Sprache wie oft von wem in welchen Situationen verwendet wird. In EG-Institutionen ließe sich das beispielweise ermitteln, indem man gedruckte Seiten von Rechtsakten, »grauer Literatur«, Zwischenberichten, Verwaltungstexten etc. auswählt, mitgeschnittene Redebeiträge von Ausschuß- und Fraktionssitzungen im Parlament, von Studien- und Fachgruppensowie Plenarsitzungen im Wirtschafts- und Sozialausschuß auswertet oder aber als teilnehmender Beobachter kleinerer informeller Arbeitsgruppensitzungen bis hin zu vertraulichen Sitzungen mit Abteilungsleitern, (General-) Direktoren oder gar Kabinettchefs und Kommissaren in der Kommission Sprachprotokolle führt. Darauf haben wir verzichtet: Zum einen haben das andere Forscher hinsichtlich geschriebener Texte bereits getan (Ammon 1991, Karker 1993); zum anderen hätte die Zahl der beobachteten Sitzungen stark ausgedehnt werden müssen, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten. Darüber hinaus ist es für den Linguisten insbesondere eine »Herausforderung«, eine qualitative Meßgrundlage zu entwickeln, um festzustellen, ob die Verwendung einer bestimmten Sprache in einem bestimmten mündlichen 24 oder schriftlichen Kontext Auswirkungen auf das Endprodukt hat. Wenn das so sein sollte, gilt zu hinterfragen, ob die Reduzierung auf wenige Arbeitssprachen diejenigen bevorzugt, die sich ihrer Muttersprache bedienen können und so diejenigen benachteiligt oder gar vom Gestaltungsprozeß ausschließt, die ihre Interessen in einer anderen als ihrer Muttersprache verteidigen müssen. Wir wollten uns den Problemen »situativer Mehrsprachigkeit« sowohl quantitativ als auch qualitativ nähern. Unter »situativer Mehrsprachigkeit« verstehen wir Situationen, in denen sich »Euro-Autoren« aus (bis zu) zwölf Ländern mit (bis zu) neun verschiedenen Muttersprachen in ihrer institutioneilen Kommunikation zweier Arbeitssprachen bedienen, die sie mehr oder weniger gut beherrschen. Um diese »situative Mehrsprachigkeit« genauer analysieren zu können, schien uns eine weitgefächerte Methodenvielfalt adäquat: Ein Fragebogen, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde und verschiedenen mit der europäischen Einigung befaßten Berufsgruppen (Beamten, Dolmetschern, Übersetzern, Journalisten, Lobbyisten) vorgelegt wurde, sollte Aufschluß geben über Handlungsmuster für den Texterstellungsprozeß, über implizite und explizite textspezifische Formulierungsnormen, über Fremdsprachenkenntnisse und Nutzung von Übersetzungshilfen, über die Selbsteinschätzung der Befragten hinsichtlich der auf »situativer Mehrsprachigkeit« beruhenden Schwierigkeiten und über Verbesserungsvorschläge von seiten der »Insider«. Zur Vertiefung der Angaben wurden ethnographische Interviews durchgeführt, die einerseits die subjektive Sicht der Interviewpartner vertieften, jedoch gegebenenfalls auch relativierten oder hinterfragten, andererseits aber vor allem auch uns als Interviewern zahlreiche Informationen und Hintergrundmaterialien über die Geschichte der jeweiligen EG-Institution, Strategien zur EG-Personalpolitik, nationale Stereotype und jede Menge sonstiges Insiderwissen lieferten. Von Anfang an war unsere Idee - und das schien uns das Neu- und bis dato Einzigartige des geplanten Projekts -, die Genese eines EG-Rechtsakts, einer Verordnung, Richtlinie, Stellungnahme, Empfehlung oder Mitteilung, ab ovo, von der Problemstellung an bis zur endgültigen Verabschiedung in der verantwortlichen Institution zu beobachten und in drei Fallstudien zu dokumentieren. Mit Hilfe der Fragebogenaktion und der ethnographischen Interviews ermittelten wir heuristisch interessante Erkenntnisse. Insbesondere lieferten uns diese Arbeitsphasen Hintergrundinformationen für (interne) Kommunikationsvorgänge, die einem Außenstehenden bzw. einem wissenschaftlichen Beobachter ansonsten nicht unmittelbar verständlich wären. Die Erkenntnisse aus den Befragungen sollten uns nicht nur die Hypothesenbildung erleichtern und konkretisieren helfen, die angeknüpften Kontakte zu den »Bürokraten« sollten diese für eine solche Studie interessieren und dafür gewinnen, sich derart für uns zu verwenden, daß uns als akzeptierten Beobachtern der Zugang zu eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedachten - Arbeitssitzungen gestattet würde. 25 Das theoretische Rüstzeug, das wir für die Fallstudienarbeiten zur Anwendung bringen wollten, entnahmen wir unterschiedlichen Disziplinen der Sprachwissenschaft: neben den Erkenntnissen einer traditionellen Mehrsprachigkeitsforschung ä la Fishman (u.a. 1965, 1967, 1972) oder Weinreich (1953) sollten vor allem textlinguistische Verfahren, die Methoden der aus der ethnographisch orientierten Forschung stammenden teilnehmenden Beobachtung (Spradley 1978, 1979) und Auswertungstechniken der sprachwissenschaftlich ausgerichteten Konversationsanalyse eingesetzt werden, um den komplizierten Aushandlungsmechanismen institutioneller Texterstellung in mehrsprachigen Arbeitsgruppen mit einer unterschiedlich großen Zahl von Beteiligten gerecht zu werden. Die Planungen zu dem Projekt begannen Anfang 1990 und dauerten bis zum November des gleichen Jahres, als der Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht wurde. Während dieser Periode hatte sich Historisches getan: Die so gefestigt scheinende Zweiteilung Europas war hinfällig geworden, immer mehr ehemalige »Ostblockstaaten« distanzierten sich von der Sowjetunion und auch vom politischen System des »real existierenden Sozialismus«. Vor allem aber hatten sich die beiden deutschen Staaten mittlerweile zusammengeschlossen. Die »Wiedervereinigung« Deutschlands verdrängte die angestrebte »Europäische Einigung« aus den Schlagzeilen. Gleichwohl erhielt unser Projekt hierdurch auch eine von uns nicht intendierte, jedoch nicht einfach zu ignorierende politische Komponente. Die Befürworter einer Aufwertung der deutschen Sprache in der EG erhielten nun zu ihrem Argument, Deutschland sei der größte Nettozahler der Gemeinschaft (Burkert 1993, 61; vgl. auch den von Helmut Schmidt geprägten Begriff »Zahlmeister Europas«), ein weiteres hinzu: Deutsch war nun auch mit rund 80 Millionen Muttersprachlern die mit Abstand am weitesten verbreitete Erstsprache in der EG (im Vergleich: Englisch und Französisch jeweils etwa 60 Millionen, Italienisch 50 Millionen). Zudem wurde jetzt häufiger daran erinnert, daß Deutsch seit jeher eine »Brückenfunktion« zum ostmittel- und osteuropäischen Sprachraum eingenommen habe, die unbesehen auf heutige Verhältnisse projiziert wurde (Burkert 1993). Die ersten Informationsbesuche bei europäischen Organisationen, die zur Kontaktaufnahme schon vor dem Projektbeginn unternommen wurden, bestätigten dies in einer bemerkenswerten Weise. Wurden wir von den einen erfreut bis begeistert aufgenommen, nach dem Motto „endlich wird etwas für die deutsche Sprache getan“ 2 , begegneten uns andere eher mit Zurückhaltung und Mißtrauen, da sie unser Projekt als einen notdürftig kaschierten Vorstoß zur Durchsetzung sprachpolitischer Interessen seitens der Bundesrepublik Deutschlands sahen, wobei es sich sowohl um Angehörige anderer Sprach- 2 Schließlich gilt das IDS mangels eines eigenen Ministeriums und aufgrund der fehlenden normierenden Autorität einer Akademie wie in Frankreich vielen als eine Art Sprachrohr der »Germanophonie«... 26 gruppen handelte als auch um Deutsche, die fürchteten, das eingespielte Arrangement in EG-Behörden könnte durch interessenorientierte »Auftragsforschung« lästigen Begutachtungen von Externen ausgesetzt sein. Natürlich waren insbesondere Angehörige des Dolmetscherdienstes wenig erbaut über ein Projekt, das auf sprachliche Probleme fokussiert für Dolmetscher existieren derartige Probleme schlichtweg nicht, sie sind schließlich da für deren Beseitigung. Weil hierin ihre spezielle (und auch unbestrittene) Kompetenz liegt, wurden unsere Präsuppositionen als Affront empfunden. Daß also unser Forschungsvorhaben im Dolmetscherdienst zunächst auf Mißtrauen stieß, lag sicher nicht zuletzt daran, daß wir die Polysemie von "sprachliche[n] Problemen“ nicht hinreichend expliziert hatten. Natürlich mußten die Dolmetscher vermuten, daß wir zum einen zwar nachweisen wollten, daß eben eine sprachliche Gleichberechtigung nicht existierte, zum anderen aber danach trachteten, ihre professionelle Kompetenz in Frage zu stellen, indem wir Übersetzungsfehlern nachspürten, was nicht unser Anliegen war. Es ging uns ja vielmehr darum herauszufmden, ob die EG-Sprachendienste die Probleme, die aus institutioneller Mehrsprachigkeit entstehen, voll ausgleichen können. Gleichwohl machten wir dabei die interessante Erfahrung, daß eine zu starke Thematisierung von Sprachproblemen kontraproduktiv war. Die Problematisierung war ja auch für uns nicht zentral. Statt dessen galt es für uns, vor einer Bewertung zunächst einmal die in der EG etablierten Verfahren der Textgenese zu beschreiben, weil das einen interessanten Einblick in eine nicht unmittelbar zugängliche Welt institutionell-bürokratischer Kommunikation ermöglichte, die zusätzlich durch das Auftreten »situativer Mehrsprachigkeit« geprägt war. So mußten wir von Anfang an betonen, daß unser Interesse wissenschaftlicher Natur war, keinesfalls auf irgendeiner wie auch immer gearteten nationalistischen Woge mitschwimme und vor allem nicht darauf abziele, politisch brisante EG-Intema nach außen zu tragen oder gar Leistungen des Übersetzungs- und Dolmetscherdiensts auf Defizite zu untersuchen. Nicht immer fiel das leicht: Zum einen versprach das »Bündnis« mit denjenigen, die sich offensiv für Deutsch einsetzten, zumindest die wohlwollende Förderung eines Teils der »Bürokratie«, zum anderen erweckte die Betonung der »Wissenschaftlichkeit« des Forschungsvorhabens bisweilen den fatalen Eindruck, als wüßten wir selbst nicht genau, was wir eigentlich wollten und hätten unser Projekt nicht gut genug durchdacht. Die curiositas des Wissenschaftlers, nulla utilitate obiecta, provozierte Fragen und Kommentare wie „Was soll denn eigentlich dabei herauskommen? “ oder „Sie müssen doch wenigstens eine Ahnung haben, was Sie erreichen wollen! “ Solchen Entgegnungen wissenschaftlich seriöse Antworten zu geben, konnten wir uns vor Projektbeginn natürlich nicht leisten, Antworten wie „verbesserte Fremdsprachenausbildung in den Mitgliedstaaten auch in Hinblick auf die EG mit interkulturellem Hintergrund“ etc. wirkten zu vage und nicht immer überzeugend genug. Daß 27 da Handlungsbedarf besteht, war den Praktikern ohnehin klar, dazu brauchten sie keine wissenschaftliche Untersuchung. Als das Projekt von der DFG bewilligt (April 1991) und von uns in Angriff genommen wurde (Juli 1991), waren wir mit den vor Ort also in Brüssel und Luxemburg herrschenden Verhälmissen schon so weit vertraut, daß uns klar war, daß eine einseitige Orientierung auf ein EG-Organ (im Projektantrag hatten wir die Kommission ins Auge gefaßt) zu kurzsichtig gewesen wäre: Es galt zunächst einmal festzustellen, welche Institution die besten Bedingungen für eine empirische Arbeit bot. Dabei mußten Zugänglichkeit, Übersichtlichkeit der Textgenese und natürlich eine gewisse Aufgeschlossenheit der Beteiligten berücksichtigt werden. Also verfuhren wir mehrgleisig. In Frage kamen drei EG-Institutionen, in denen Texte erstellt werden, die die oben genannten Kriterien erfüllen: die Kommission, das Europäische Parlament und der Wirtschafts- und Sozialausschuß. „Kommission“ ist hier als Homonym zu verstehen: Zum einen als das „Kollegium der 17 Kommissare der EG“, zum anderen als „Bürokratie der Generaldirektionen“, gewissermaßen als der ressortmäßig gegliederte Verwaltungsapparat der EG-Kommission. Für die Kommission als Untersuchungsgegenstand sprach einiges: - Die meisten und wichtigsten Entscheidungen, die die Bürger in den Mitgliedstaaten auf dem Weg zu Wirtschafts-, Währungs-, Sicherheits- und Politischer Union betreffen, werden hier erarbeitet. - Die Kommission produziertin eigener legislativer Befugnis oder als Vorschlag für das Entscheidungsgremium Ministerrat sämtliche Arten von Rechtsakten. - Fremdsprachenkenntnisse gehören in der Kommission zum beruflichen Anforderungsprofil der Beamten, der Verzicht auf Muttersprache gehört mithin zum Sprachalltag. Als Nachteile für eine Arbeit bei der Kommission erachteten wir: - Der zeitliche Rahmen für Rechtsakte ist völlig unüberschaubar (vgl. in Kapitel 3.4.1 das Beispiel einer Revision der „Verordnung über die Freizügigkeit von Wanderarbeitnehmem“). - Eine gewisse Abschottung und die Unterstreichung der Vertraulichkeit der Verhandlungen erhöhen nicht gerade die Transparenz der Kommission (Klagen u.a. auch von seiten der Europaparlamentarier über die Intransigenz der Kommission, oftmals beklagtes »Demokratiedefizit«). - Die Zusammenarbeit und gegenseitige Einflußnahme von Kommission einerseits und externen Experten und Lobbyisten andererseits erschwert eine lückenlose Dokumentation aller textrelevanten Einzelschritte. Die Situation von Parlament und Wirtschafts- und Sozialausschuß ist in etwa vergleichbar: Die Abgeordneten bzw. Mitglieder sind keine »Berufseuropäer« in dem Sinne, daß sie ihr gesamtes Berufsleben und jeden Arbeitstag in Brüs- 28 seler, Luxemburger oder Straßburger Behörden verbringen, sie werden statt dessen auf Zeit von Verbänden und Parteien bestimmt bzw. gewählt, sie reisen gewöhnlich für Sitzungen an und haben somit den Kontakt zum Heimatland nicht verloren. Fremdsprachenkenntnisse werden bei ihnen nicht vorausgesetzt, dafür werden sie von wissenschaftlichen Mitarbeitern der jeweiligen Institution unterstützt, die ihnen zuweilen auch sprachlich zur Hand gehen. Im EWG-Vertrag ist festgelegt, daß sowohl Parlament als auch Wirtschafts- und Sozialausschuß bei fast allen Rechtsakten im Rahmen eines Konsultationsverfahren mit Stellungnahmen befaßt werden. Ein Recht auf Initiativstellungnahmen gesteht ihnen darüber hinaus die Erarbeitung eigener für bedeutsam gehaltener Meinungsäußerungen in Form von Stellungnahmen zu, wobei allerdings die Kommission argwöhnisch darüber wacht, daß das nicht mit dem Initiativrecht, das sie für sich selbst gemäß der Einheitlichen Europäischen Akte reklamiert, verwechselt wird. Da beide Institutionen zumeist erst in einer fortgeschrittenen Phase von der Kommission zur Mitarbeit herangezogen werden, ist eine zeitliche Überschaubarkeit der Textgenese gewährleistet. Da sowohl Parlament als auch Wirtschafts- und Sozialausschuß in der EG-Realität (noch) nicht die Rolle spielen, die ihren Mitgliedern eigentlich vorschwebt, war die Akzeptanz für externe Beobachter wie uns von Anfang an größer, und die Transparenz der Arbeitsabläufe wurde nicht so stark problematisiert wie in der Kommission. Da unser Projekt auf zwei Jahre befristet war, sprach viel für eine Arbeit im Wirtschafts- und Sozialausschuß oder im Europäischen Parlament. Gegen eine Entscheidung für das Parlament war einzuwenden, daß auf einer der ersten textkonstituierenden Ebenen, in den Fraktionen, die von uns als besonders wichtige unterstellte Sprachenhierarchie nicht kongruent abgebildet wurde: im Grunde genommen war damals nur die sozialistische Fraktion von Parteien aus allen Sprachgruppen zusammengesetzt, die Fraktion der Europäischen Volkspartei umfaßte zu der Zeit noch nicht die britischen Konservativen, so daß sich eine »Arbeitssprachenregelung« Englisch/ Französisch dort erübrigte. Hinzu kam, daß der wechselnde Tagungsort Brüssel/ Straßburg nicht nur zu einer extremen Ausweitung unserer Reisetätigkeit geführt hätte, sondern auch die Verfügbarkeit von Ansprechpartnem (dreifache Büroführung: in Brüssel, Straßburg und im heimischen Wahlkreis! ) zu einem Spiel mit vielen Unbekannten geworden wäre. 3 Zwei zeitlich koinzidierende Ereignisse gaben im November 1991 schließlich den Ausschlag dafür, daß wir uns endgültig dem Wirtschafts- und Sozialausschuß zuwandten: In den Beschlüssen des Maastrichter Gipfels wurde trotz hartnäckigen britischen Widerstands, der schließlich dem Vereinigten König- 3 Die Kontaktaufnahme zu einem Mitglied des Europäischen Parlaments zwecks Interviewtermins gestaltete sich in einem konkreten Falle als recht schwierig, weil wir von einem Büro aus immer wieder ans andere verwiesen wurden und im Zweifelsfall seine »Agenda« immer gerade am anderen Ort geführt wurde. 29 reich Sonderregelungen bescherte der Europäische Sozialraum avisiert. Und hier liegt die eigentliche Kompetenz des Wirtschafts- und Sozialausschusses: Die von ihm erarbeitete »Sozialcharta« gilt als vorbildlich, weil sie nicht nur eine Mehrheit (135 ja/ 22 nein/ 8 Enthaltungen) gefunden, sondern auch zu einem breiten Konsens der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen geführt hatte. Im Gegensatz zum Parlament, in dem unterschiedliche politische Fraktionen nicht nur am (bis auf wenige Ausnahmen) gemeinsamen Ziel der europäischen Einigung arbeiten, sondern darüber hinaus auch bemüht sein müssen, ein eigenständiges Profil durch Abgrenzung vom politischen Gegner zu entwickeln, ist der Wirtschafts- und Sozialausschuß eine Institution, die auslotet, wieweit und zu welchen Projekten der EG-Politik ein Konsens zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und sogenannten „sonstigen“ Gruppen zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen gefunden werden kann mithin ein ideales Gremium für die Beobachtung von Textgenese, die auf gemeinsam erarbeiteten Kompromissen beruht. Ebenfalls im November erhielten wir ein Antwortschreiben des Generalsekretärs der Kommission, David Williamson, in dem sich dieser zwar angetan von unserem Vorhaben zeigte und Interesse an unseren Plänen bekundete, dabei ausdrücklich die Verteilung von Fragebögen und die Durchführung von Interviews zu unterstützen versprach, sich aber eher zurückhaltend bezüglich teilnehmender Beobachtung an Sitzungen mit vertraulichem Charakter äußerte. Das schien uns ein weiterer Fingerzeig dafür, daß in der Kommission wenig Interesse und noch weniger Bereitschaft bestehen, die internen Arbeitsprozesse der öffentlichen Neugier preiszugeben, um auf diese Weise unerwünschte Einflußnahmen schon im Ansatz auszuschließen. Natürlich verstärkt eine solche Zurückhaltung das Vorurteil, eine »Demokratisierung« der Entscheidungsabläufe, die ja gerade nach »Maastricht« den Zweiflern am Sinne eines europäischen Zusammenwachsens ein wenig den Wind aus den Segeln genommen hätte, paßte nicht in das intransigente, elitäre und in sich selbst verliebte Weltbild der Spitzen in der Kommissionsbürokratie. Das wird besonders anschaulich durch die »Vermittlungsschwierigkeiten«, die man bei den skeptischen Dänen ausmachte, als diese sich in einem Referendum gegen die Übernahme der Maastrichter Beschlüsse aussprachen! Ein weiteres Nachhaken, sich gegenüber Forschungszwecken ein wenig zu öffnen, schien von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein. Allerdings muß man der Kommission hier zugestehen, daß ihr Mißtrauen nicht zuletzt darauf beruht, daß »Vorgänger« entgegen den Absprachen Sitzungsintema preisgaben, ohne vorherige Autorisation einzuholen, wie uns hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt wurde. Angesichts der schon verstrichenen Zeit und eingedenk der freundlichen Aufnahme im Wirtschafts- und Sozialausschuß entschieden wir uns daraufhin, die Angebote von seiten des Sekretariats und einzelner WSA-Mitglieder zu akzeptieren und in den dortigen Studien- und Fachgruppensitzungen sowie Plenartagungen zu hospitieren. Wir taten dies nicht, ohne genau abzuwägen, 30 ob für ein linguistisches Forschungsinteresse die politische Relevanz und/ oder publikumswirksame Brisanz eines Rechtsaktes Kriterium sein kann, darf, soll oder muß. Dieses Hinterfragen unterstellte, daß Richtlinien und Verordnungen der Kommission juristisch bedeutsamer und auch in der öffentlichen Diskussion präsenter sind als Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Wir waren uns dann aber schnell einig, daß für unsere Fragestellung, also die Auswirkungen situativer Mehrsprachigkeit auf die Textgenese, die Offentlichkeitswirksamkeit bedeutungslos sei, vielmehr sämtliche zuvor erarbeiteten Hypothesen und Fragestellungen gerade im WSA besonders gut zu verifizieren bzw. beantworten wären. Zwar standen die drei Fallstudien im Mittelpunkt unseres Forschungsinteresses. Jedoch fiel bei unserer »Feldarbeit« so viel Material über die eigentliche Zielvorgabe hinaus an, daß wir uns dazu entschieden haben, zusätzlich zu der Auswertung der Fragebogenaktion und zu den Fallstudien zwei Kapitel aufzunehmen, die uns als kleine Mosaikstückchen zu einem aus linguistischer Sicht besseren Verständnis für die vielschichtigen Mechanismen, die den europäischen Einigungsprozeß mal forcieren, mal bremsen, beitragen können: eine zusätzliche Fallstudie über die sogenannte »Sozialcharta« und eine kleine Darstellung von »Schlüsselwörtern der europäischen Integration«. Die Fallstudien unternahmen wir in zwei Fachgruppen des WSA, der Sektion »Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik« sowie der Sektion »Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen«. Unsere Wahl fiel bei den außenpolitischen Themen auf die Erarbeitung von Stellungnahmen zur »künftigen Erweiterung der Gemeinschaft« und »Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten«, weil die Problematik der Vergrößerung der Gemeinschaft auch einige sprachlich relevante Aspekte (Amtssprachenregelung, Verhandlungssprachen etc.) zu berücksichtigen versprach. Die Abfassung einer Stellungnahme »Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen« der Fachgruppe »Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen« machte neugierig, ob die zu prognostizierenden Nord-Süd-Gegensätze sich nur in faktischen Interessenkoalitionen und -Oppositionen manifestieren würden oder ob sie darüber hinaus zu sprachlichen »Schulterschlüssen« (nach dem Motto: Norden spricht Englisch, Mittelmeeranrainerstaaten machen sich auf französisch verständlich) führen könnten. Den Geneseprozeß der drei genannten WSA-Stellungnahmen verfolgten wir jeweils von seinen Anfängen an, von Arbeitsdokumenten über Vorentwürfe und Entwürfe, die in Studien- und Fachgruppen vorgelegt wurden, bis hin zur endgültigen Verabschiedung im Plenum, und zwar WSA-intem in der Funktion von »Assistenten« eines Studiengruppenmitglieds, unter dem Gesichtspunkt unserer Untersuchung als »teilnehmende Beobachter«. Nicht geklärt durch die Geschäftsordnung war die Frage, ob uns als »Assistenten« ein Rede- und sonstiges Beteiligungsrecht zustünde; wir verzichteten jedoch auf jegliche Aktivität, widmeten uns ganz unserem Beobachterstatus, auch wenn wir in einer Studiengruppe (»Maritime Industrien«) explizit vorgestellt wur- 31 den als „Sprachwissenschaftler, die hochinteressante, wenngleich auch komplizierte Studien unternehmen“ und in einer Sitzung der Studiengruppe »Baltische Staaten« von der Vorsitzenden aufgefordert wurden, den zu dieser Sitzung verspätet eintreffenden Berichterstatter, dem wir offiziell assistierten, über den Verlauf der Debatte zu informieren. Die drei Stellungnahmen waren inhaltlich weniger umkämpft, als wir das anfänglich erwartet hatten. Sowohl die jeweiligen Berichterstatter als auch die Vorsitzenden der Studiengruppen waren weitgehend konsensorientiert, bei strittigen Fragen wurde der Kompromiß einer Kampfabstimmung vorgezogen. Das heißt beileibe nicht, daß die Textaushandlung langweilig gewesen wäre. Vielmehr war doch beeindruckend, welche Mechanismen und Handlungsschemata, oft ritualisiert, häufig aber auch originell gefüllt, die Aktanten leiteten, ihre gegensätzlichen Ansichten zur Thematik derart zu überdenken und dergestalt zu überarbeiten, daß am Ende ein von allen vertretbares Textprodukt stand. Zuallererst galt es gewisse Fremdheitsgefühle zu überwinden: Zeichneten sich die konstituierenden Sitzungen nicht etwa durch Trivialität, mangelnde »Spannung«, durch Redundanz und Vagheit aus? Es dauerte ein wenig, bis wir erkannten, daß hier durchaus gestritten und gefochten wurde, daß im Verlaufe der Textgenese um viele Passagen inhaltlich und sprachlich hart gerungen wurde, was auch eine Reihe von schriftlich und/ oder mündlich formulierten Änderungsanträgen offenbart. Daß es sich hierbei nicht nur um eine WSA-spezifische, sondern um eine typische Beobachtung für die gesamte Textarbeit der EG handelt, mag eine Passage aus Marcell von Donats »Brüsseler Machenschaften« verdeutlichen: „Dem Laien muß es völlig unverständlich erscheinen, daß Politiker über einen sprachlich kaum wahrnehmbaren Unterschied monatelang heftig uneins sein können. Für die Fachleute verbirgt sich hinter den Nuancen ein ganz verschiedener Sachverhalt, der in einem Streit um Worte seine schlagwortartige Interpretation erfährt. Die Europäische Gemeinschaft gründet sich auf Worte, nicht auf Zwangsmittel.“ (Donat 3 1977, 30) Aber: Eine eingehende Beschreibung europäischer Streitkultur, sei es WSAintem zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sei es zwischen Nord und Süd, war bei der Erstellung jener drei Stellungnahmen nicht möglich. WSA- Mitglieder und Experten sagten uns immer wieder, wenn wir umstrittene Themen suchten, müßten wir in die Fachgruppe »Sozial- und Familienffagen, Bildungswesen und Kultur« gehen. Da die von der DFG bewilligte Projektzeit schon am Ablaufen war, war der »Marsch durch die Institutionen« (sprich: von der Studiengruppe bis zum Plenum) nicht mehr zu leisten. Da wir aber nicht darauf verzichten wollten, auch eine umstrittene Stellungnahme in unserer Arbeit zumindest vorzustellen, nahmen wir uns einen Folgetext zum wohl bekanntesten WSA-CEuvre, das von vielen gelobt wird und mit dem der Kommissionspräsident Jacques Delors persönlich den WSA befaßte, der sogenannten »Sozialcharta« (zu den sozialen Grundrechten der Ar- 32 beitnehmer), vor. Wir recherchierten die Entstehungsgeschichte, sprachen in ausführlichen Interviews u.a. mit der Berichterstatterin Ursula Engelen-Kefer, der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden, und einem ihrer Vorgänger in DGB und WSA, Gerd Muhr, ebenso wie mit »Kontrahenten der anderen Seite«, mit Arbeitgebervertretem. Insbesondere haben wir aber die Plenartagung unter die Lupe genommen, auf der die Stellungnahme zum »Ersten Bericht über die Anwendung der Sozialcharta« verabschiedet wurde, weil da im Gegensatz zur Einmütigkeitsroutine sonstiger Sitzungen erbittert bis um den letzten Satz gerungen wurde und die in der Regel angestrebte Einstimmigkeit nicht erzielt wurde bzw. gar nicht angepeilt war, da in diesem Falle eine qualifizierte Mehrheit für das Dokument feststand. Hier galt ausnahmsweise, daß eindeutige inhaltliche Aussagen mit einer glatten Mehrheit als wichtiger empfunden wurden als schwammige inhaltliche Aussagen mit einer Mehrheit gänzlich ohne Gegenstimmen. Im Verlaufe unserer Feldarbeit ist uns wiederholt aufgefallen, daß Arbeitsabläufe in europäischen Institutionen, in ihrer mündlichen Aushandlung wie auch in ihrer schriftlichen Dokumentation, geprägt sind von der routinemäßigen Verwendung von Schlagwörtem und Worthülsen (»Plastikwörtem«), Daß diese besonders dann eingesetzt werden, wenn Dissens gegeben ist oder Schwierigkeiten zu erwarten sind, war eine unserer Beobachtungen in formellen Sitzungen wie in informellen Gesprächssituationen (untereinander in der Cafeteria, mit uns in Interviews etc.). Aus linguistischer Sicht erschien uns untersuchenswert, wann, wo und in welcher Funktion derartige »Schlüsselwörter der europäischen Integration«, wie wir sie genannt haben, in Äußerungen von Bürokraten einfließen. In einem Kapitel gleichen Namens sind wir Historie und Pragmatik ausgewählter Begriffe (»Subsidiaritätsprinzip«, »Harmonisierung«, »Europa der Bürger«, »Ecu« und »Demokratisierung«) nachgegangen, wohlwissend, daß es sich hierbei nicht ausschließlich um ein »europäisches« Phänomen handelt, sondern durchaus auch um ein Charakteristikum des nationalen politischen Diskurses. Als wir schon lange mit der Auswertung der Ergebnisse unserer Feldforschung beschäftigt waren, änderten sich am 1. November 1993 Status und Name der Europäischen Gemeinschaften: Gemäß den Maastrichter Verträgen trat die »Europäische Union« in Kraft. Die Texte, die wir in der Folge analysieren, rekurrieren auf die Zeit vor Inkrafttreten der »Europäischen Union«. Aus Gründen der Authentizität blieb in unseren Auswertungskapiteln die Bezeichnung E(uropäische) G(emeinschaften) erhalten. Faktisch änderte sich mit diesem Datum recht wenig. Das gilt insbesondere für die Sprachproblematik, deren brennende Probleme einerseits, aber auch praktische Alltagslösungen andererseits weiterhin bestehen. Da uns jedoch am Herzen lag, nicht nur eine deskriptive Studie zur Erstellung von Rechtsakten im internationalen Kontext zu liefern, sondern vielmehr auch die gesammelten Erfahrungen unter dem Aspekt zu bündeln, eventuell einige Anregungen geben zu können, wie das institutionalisierte Europa mit der Sprachen- 33 Problematik angesichts der sich anbahnenden Politischen Union und dem Streben weiterer Nationen, dieser irgendwann einmal anzugehören, verfahren könnte, haben wir ein abschließendes Kapitel »Ausblicke auf die Sprachenpolitik der EG in Hinblick auf die Politische Union« angehängt. Dieses letzte Kapitel versucht, einige Ansätze aufzuzeigen, wie man Vorgehen könnte, um der vielpostulierten »europäischen Identität«, die ja nach (fast) übereinstimmender Meinung auf Plurilingualität und Multikulturalismus beruhen soll und muß, zu einem Durchbruch zu verhelfen. Es versteht sich von selbst, daß die Autoren nach mehrjähriger Beschäftigung mit der Materie hier einen parteiischen Standpunkt vertreten! Es sei hier noch festgehalten, daß wir zwar zweieinhalb Jahre lange intensiv zusammengearbeitet haben und fast alle (Wissenschafts-)Schritte gemeinsam gegangen sind, darüber hinaus immer wieder unsere Zwischentextprodukte ausgetauscht und mit den jeweiligen Anregungen des Partners überarbeitet haben, gleichwohl darauf hinweisen wollen, daß die inhaltliche Verantwortung für einzelne Kapitel immer bei einem Autor verbleibt: Joachim Born verfaßte die Kapitel »Auswertung der Fragebogenaktion«, die Fallstudie ,Die künftige Erweiterung der Gemeinschaft 1 , »Schlüsselwörter der europäischen Integration« sowie »Ausblicke auf die Sprachenproblematik der EG in Hinblick auf die Politische Union«. Wilfried Schütte ist der Autor der Fallstudien ,Maritime Industrien 1 , ,Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten 1 und ,Erster Bericht über die Anwendung der EG-Sozialcharta‘ sowie des Kapitels über »Verfahren der Textproduktion im WSA«. Für die »Einleitung«, die »Zusammenfassung und Ergebnisse« und die Anhänge liegt die Urheberschaft bei beiden Verfassern. Diese Forschungsarbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung zahlreicher Gesprächspartner an zentralen Schaltstellen in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaften. Unser Dank gilt im besonderen Heinz Zerwes, dem Leiter des Übersetzungsdienstes des Wirtschafts- und Sozialausschusses, der uns schon in der Planungsphase des Projekts mit einer Fülle von gesprächsweise vermittelten Informationen ebenso weiterhalf wie mit der Weiterleitung von linguistisch relevanten internen Anweisungen und dem Hinweis auf uns bis dahin unbekannte wissenschaftliche Literatur. Im Übersetzungsdienst der Kommission sind wir insbesondere dem Generaldirektor, Eduard Brackeniers, dem Koordinator des deutschen Übersetzungswesens, Walter Volz, und Ursula d’Ursel, Abteilungsleiterin für „Außenbeziehungen, Transport, Zollunion und Entwicklung“, zu Dank verbunden, da sie uns nicht nur Einsichten in den Übersetzeralltag bei der Kommission gewährten, sondern vor allem auch im Kollegenkreis die notwendige Motivation erweckten, sich uns in Fragebogenaktion und ethnographischen Interviews zur Verfügung zu stellen. Dem Kabinettchef bei dem deutschen Kommissar Peter Schmidhuber, Marcell von Donat, und seinem Kollegen, dem (damals anderen stellvertretenden) Kabinettchef bei dem zweiten deutschen Kommissar Martin Bangemann, Jörg Wenzel, gilt besonderer Dank für ihre Bemühungen, 34 die letztlich dazu führten, daß das Generalsekretariat der Kommission unsere Aktionen unterstützte. Ohne die Rückendeckung und Materialversorgung der Sekretariate des Wirtschafts- und Sozialausschusses und namentlich der Herren Wolfgang Jungk, Rudolf Leiner und Konrad Schwaiger wäre eine teilnehmende Beobachtung in Studien- und Fachgruppensitzungen nicht zustande gekommen. Jens P. Petersen, Vertreter des BDI im WSA, soll hier besonders erwähnt werden, machte er uns doch zu Assistenten und verschaffte uns so das letztendlich notwendige Entree für ihrem Wesen nach nicht-öffentliche Sitzungen. Viele Vorgänge im WSA wären für uns nicht erklärlich gewesen, hätten uns nicht immer wieder Mitglieder des WSA und Mitarbeiter des WSA-Sekretariats mit Hintergrundinformationen versorgt: stellvertretend genannt seien hier der Leiter des dänischen Übersetzungsdienstes, Tom A. Feilberg, der Leiter der Bibliothek, Costantino Picco, der für das Pressewesen zuständige Francis Whyte, die jetzige Präsidentin des WSA, Susanne Tiemann, die Vorsitzende der Studiengruppe „Beziehungen zu den Baltischen Staaten“, Angela Guillaume, die Berichterstatterin der »Sozialcharta«, Ursula Engelen-Kefer und der Vertreter der Europäischen Sparkassenvereinigung im WSA, Klaus Meyer-Horn. Wertvolle Hinweise auf die zum Teil komplexen- Verfahren der Textgenese verdanken wir vor allem den Herren Jörg Ketelsen, Generaldirektion V, und Egon Schoneweg, Generaldirektion XVI. Wann immer wir Pressematerial aus erster Hand benötigten, erwies sich Peter Thomas vom Informationsbüro Belgien beim Europäischen Parlament als zuverlässiger Ansprechpartner. Ihnen allen und vor allem der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die unser Projekt zwei Jahre lang finanzierte und uns einen ebensolangen Aufenthalt vor Ort gestattete, gilt hier unser Dank. 2. Mehrsprachigkeit in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaften: Auswertung von Fragebögen und Interviews 2.1 Projektphasen In der ersten Projektphase wurde eine soziolinguistisch orientierte Befragung 1 durchgeführt, in deren Rahmen zunächst Fragebögen an die unterschiedlichsten in den EG-Organen und -Institutionen wirkenden „Bürokraten“ verteilt wurden. 2 Der überwiegende Teil derjenigen, die sich an der Enquete beteiligten, war auch bereit, in einer zweiten Phase in persönlichen Interviews Stellung zur sprachlichen Situation im zusammenwachsenden Europa zu beziehen und gegebenenfalls die Wahl der angekreuzten Antwortentscheidungen im Fragebogen zu erläutern, zu kommentieren, zu problematisieren und in Einzelfällen die Auswahl des Fragenkatalogs zu kritisieren. Bei einer Reihe von Verwaltungsbeamten, Diplomaten, Lobbyisten, Mitarbeitern des Dolmetscher- und Übersetzungsdienstes, die sich zu einem Gespräch bereiterklärten, schien es uns situativ inädequat, um eine Ausfüllung des Fragebogens zu bitten bzw. wurde unser Wunsch nicht erfüllt. 3 2.2 Aufbau des Fragebogens Der Fragebogen umfaßt 24 Fragen (zuzüglich einiger Unterpunkte bzw. Folgefragen). Er wurde in deutsch erstellt, aber auch ins Englische und Französi- 1 Soziolinguistisch ist hier im kontaktlinguistischen Sinne von quantifizierender Beschreibung der Verteilung von Sprachen und Sprachvarietäten, (Fremd-)Sprachkompetenzen, Sprachbewertungen, domänenspezifischem Sprachverhalten etc. (cf. Weinreich 1953) zu verstehen, wobei hierunter keine ausschließliche Interpretation des Terminus »Soziolinguistik« reklamiert wird (siehe ja auch in den folgenden Kapiteln andere soziolinguistische Schwerpunkte wie »Ethnographie des Sprechens«, »institutionelle Kommunikation« etc.). 2 Trotz der Vielzahl der Publikationen über die Europäischen Gemeinschaften vor allem im Hinblick auf die angestrebte Wirtschafts-, Währungs- und Politische Union sucht man bisher vergeblich nach Umfrageaktionen, in denen die linguistischen Probleme, die mit dem Einigungsprozeß einhergehen und die durch die Amtssprachenregelung entstehen, untersucht werden. Ausnahmen bilden Gehnen 1991 - Erhebung bei den Generaldirektionen- und Haselhuber 1991empirische Untersuchung bei Kommissionspraktikanten. Mit Spannung wartet man auf die Ergebnisse des in Duisburg unter der Regie von Ulrich Ammon durchgeführten DFG-Projekts „Die Stellung der deutschen Sprache in Europa: Wirtschaft, Wissenschaft und Politik“ (Zwischenberichte v.a. in Ammon 1993 und Glück 1992). Die bis dato umfangreichste Untersuchung ließ die Kommission selbst durchführen (CEGOS 1991) im Blickfeld stand das Verhältnis von Übersetzern zu ihren Auftraggebern. 3 Die Interviews wurden auf Kassetten aufgezeichnet mit der Zusicherung, wörtliche und sinngemäße Zitierungen nur nach Rücksprache vorzunehmen (Born/ Schütte 1993). 36 sehe übersetzt, um eventuellen Einwänden einer zu stark auf die deutsche Sprache ausgerichteten Problemstellung entgegenzusteuem. 4 Die Fragen behandelten die sprachliche Selbsteinschätzung der Befragten, Amts- und Arbeitsprachenproblematik, den Einfluß politischer Veränderungen auf die Sprachwahl, sprachliche Selbstbeschränkungen und Beeinflussungen des Texterstellungsverfahrens durch die Wahl bestimmter langues vehiculaires wie auch die Hinzuziehung von Ubersetzungsdiensten. Hinzu kamen Einzelfragen, z.B. zum Vorkommen eines »polyglotten Dialogs« oder über die Existenz eines »Eurospeak«. 2.3 Rücklauf der Fragebögen und Auswahl der Probanden Von den ursprünglich ausgegebenen Fragebögen wurden 32 ausgefüllt zurückgegeben oder -gesandt. Die überwiegende Mehrheit davon sind deutschsprachige Questionnaires (29), aus den anderen Sprachen liegt nur je ein ausgefülltes Exemplar vor. Es ist uns offenbar nicht gelungen, überzeugend darzulegen, daß unser Projekt eben nicht als flankierende Maßnahme zu den Versuchen, Deutsch als dritte Arbeitssprache in der EG zu verankern 5 , dienen sollte, sondern lediglich zum Ziel hatte, den Zusammenhang von Textgenese und mehrsprachiger Aushandlungssituation zu untersuchen. Der Personenkreis, der uns interessierte, waren vor allem die sogenannten »A-Beamten«, also der höhere Dienst. Dazu gehören in der Verwaltungshierarchie („Eurarchie“, von Donat 1975, 57) alle Beamten vom Verwaltungsrat aufwärts bis hin zum Generaldirektor, in einer Art „Sonderlaufbahn“ (Oppermann 1991, 256) auch Angehörige des Sprachendienstes, Übersetzer und Dolmetscher. 6 Der Schwerpunkt der ausgefüllten Fragebögen liegt somit nach unseren Auswahlkriterien bei (Haupt-)Verwaltungsräten, Abteilungsleitern und Mitarbeitern der Sprachendienste. Ziel der Fragebogenaktion war mithin nicht, eine höchstmögliche Repräsentativität zu erlangen, die subjektive Sicht der Beamten sollte uns vielmehr Anregungen für das weitere Procedere geben. Die spätere Konzentration auf den Wirtschafts- und Sozialausschuß war in jener Projektphase noch nicht abzusehen, so daß der Untersuchungskreis auch die Kommission umfaßte. 4 Beispiele siehe Abbildungen auf S. 17-20. 5 Beispielhafte Schlagzeilen in diesem Zusammenhang siehe Abbildungen auf S. 17-20. 6 Die „geheimnisvollen Buchstaben A, B, C und D“ (von Donat 1975, 55) stehen nach den „Prinzipien des Europäischen Beamtenrechts“ für Laufbahn (- [Besoldungs-]Gruppen). Textgenese ist überwiegend Aufgabe der Laufbahngruppe A, die Gruppen B (Sachbearbeiter), C („ausführende Aufgaben“), Sekretariate und D (Dienstposten wie Pförtner, Drucker etc.) liefern in der Regel nur Zuträgerdienste. 37 2.4 Sprachkenntnisse der „Eurokraten“ Mit den Fragen zur „relativen Profizienz“ (Vallverdü 1979, 50; Born 1992b, 53), also der graduellen Selbsteinschätzung von Sprachkenntnissen und -fähigkeiten (Weinreich 1953, 197), sollte vor allem überprüft werden, inwieweit das Bild des „polyglotten Eurokraten“ mit der Realität übereinstimmt. EG-Beamte müssen zwei EG-Amtssprachen beherrschen, in der Regel sind dies zumeist Englisch und Französisch, was mit der in interbzw. hier supranationalen Organisationen 7 notwendigen Effizienz am Arbeitsplatz begründet wird. Um herausfinden zu können, ob die tatsächlich vorhandenen Sprachkenntnisse der EG-Beamten hinlänglich verbreiteten Klischees entsprechen, wurden sie zu ihrer aktiven und passiven Sprachkompetenz befragt. Interessant ist in jedem Falle, daß die Befragten entgegen weitverbreiteter Vorurteile das Französische besser beherrschen als das Englische: Zwar verstehen und lesen alle befragten Eurokraten beide Sprachen entweder „sehr gut“ oder „gut“ bezüglich der aktiven Kompetenz, „sprechen“ und „schreiben“, jedoch geben sie sich schlechtere Noten: Weniger als zwei Drittel der Befragten halten sich für sprachlich so kompetent, daß sie die inoffiziellen Arbeitssprachen „sehr gut“ beherrschen, nur etwa die Hälfte ist in der Lage, „sehr gut“ zu schreiben. 8 Die weitere Rangfolge bestätigt die allgemein verbreiteten Vorurteile: Es gibt eine klare Abstufung innerhalb der Sprachen. Die linguistische Nähe zum Niederländischen führt dazu, daß vor allem Passivkenntnisse bei deutschen EG-Beamten dieser Sprache vorhanden sind. Ansonsten gilt eine Reihenfolge, wie sie einer wirtschaftlich-politischen Bedeutung, weniger einer kulturell-linguistischen Wertschätzung entspricht: Spanisch, Italienisch und dann kommt lange nichts... Die Sprachkompetenz der Eurokraten ist auf den ersten Blick beeindrukkend nach Einschätzung mehrerer Gesprächspartner deckt sich jedoch die subjektive Zuschreibung von Fremdsprachenkennmissen nicht immer mit der Wirklichkeit. Stellvertretend sei hier eine Interviewäußerung des Generalsekretärs der Europäischen Sparkassenvereinigung und WSA-Mitglieds, Klaus Meyer-Hom, angeführt, der bezüglich der Bewerber auf Stellenausschreibungen seines Instituts hinsichtlich Fremdsprachenkenntnissen folgendes anmerkt: 7 Internationale Organisationen sind etwa die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen (UNESCO, UNICEF, WHO etc.), die NATO oder die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten). Bei der Europäischen Gemeinschaft handelt es sich hingegen um eine supranationale Organisation, weil sie für die Mitgliedstaaten verbindliches Recht setzen kann. 8 Ergebnisse im Detail siehe Anhang. 38 „Wir haben die Voraussetzung, daß jeder Mitarbeiter mindestens drei Sprachen beherrscht, was nicht durch Diplome, sondern durch in der Praxis erworbene Kenntnisse belegt werden soll. [...] Das Entscheidende ist ja, daß man eine Sprache in Wort und Schrift beherrscht und nicht, daß man ein Zeugnis darüber hat. Viele bewerben sich und kreuzen dann auf den Formularen .hervorragend“ oder .mittelmäßig“ an, manche bis zu fünf oder sechs Sprachen, und dann sitzen wir zusammen und dann fangen wir auf englisch an, und klar, ich sage: ,Sie können auch Italienisch? “ - ,Ja, kein Problem“, und dann spricht mein italienischer Kollege, und alles wird schon ruhiger...“ 2.5 Amtssprachen vs. Arbeitssprachen, Verwendung vs. Verzicht auf Muttersprache Fast alle Befragten bestätigten, daß im Arbeitsalltag Englisch und Französisch dominieren. Grundsätzlich vertraten unsere Gesprächspartner die Ansicht, linguistisch gesehen gebe es ein „Nord-Süd-Gefälle“. Neben Briten und Iren bedienten sich vor allem Dänen und Niederländer sowie Flamen in ihrer Kommunikation untereinander des Englischen; Italiener, Spanier und Portugiesen tendierten eher zum (sprachgenetisch verwandten) Französischen, bei Griechen sei es sehr unterschiedlich, aber - und da herrscht weitgehend Konsens! bei Deutschen sei nur schwer eine Präferenz entweder des Englischen oder des Französischen auszumachen, vielmehr wird eine hohe Assimilationsbereitschaft für das jeweils Erforderliche konstatiert. Letzteres gilt trotz gewisser Präferenzen auch für Sprecher „kleinerer“ Sprachen, für Niederländer, Portugiesen und Belgier (sowohl Hamen als auch Wallonen). In jedem Falle wird die Beschränkung auf Arbeitssprachen von den Befragten akzeptiert und für die gegenseitige Verständigung und die Effizienz der Arbeitsabläufe als sinnvoll und notwendig eingeschätzt. Die realiter existierende Arbeitssprachenregelung führt dazu, daß bei Erstkontaktensowohl schriftlich als auch mündlich auf die Muttersprache verzichtet wird (was natürlich für Franzosen nicht und Engländer nur beschränkt gilt). Anders als in der Kommission (in der eben Fremdsprachenkompetenz zum beruflichen Anforderungsprofil der Beamten gehört) stellt sich die sprachliche Situation in Europa-Parlament und Wirtschafts- und Sozialausschuß dar, deren Repräsentanten oftmals nur zu den Sitzungen anreisen und sich viel häufiger ihrer Muttersprache bedienen. Da im Parlament laut Geschäftsordnung Artikel 79, Absatz 2 in Sitzungen in alle Amtssprachen und in weitere „für erforderlich erachtetfe]“ Sprachen simultan gedolmetscht wird, sind Redebeiträge in einer anderen als der eigenen Muttersprache selten. Gleichwohl gibt es hin und wieder Ausnahmen: Geschichte machte der Gründer der Radikalen Partei Italiens, fraktionslose Einzelkämpfer und bekannte Provokateur Marco Pannella, der anläßlich der Septembersitzung 1992 das Französische seiner italienischen Muttersprache vorzog (Karker 1993, 14). 9 In Stu- 9 Abölds 1992, 386 unterstreicht das Ungewöhnliche dieser Situation: „Dire que les parlementaires sont attaches ä leurs droits linguistiques relüve de la litote [Hervorhebung J.B.]. 39 dien- und Fachgruppensitzungen des WSA wird dann auf die Muttersprache verzichtet, wenn eine Verdolmetschung nicht gewährleistet ist (das trifftsiehe weiter unten in den von uns beschriebenen Fallstudien vor allem auf das Niederländische zu), in vereinzelten Fällen wird auch zu einer terminologischen lingua franca gegriffen (so in der Fallstudie „Maritime Industrien“ die Griechin Anna Bredima Savopoulou, die sich der englischen Reederei- Fachsprache bediente); ein schon notorischer Fall von „Selbsthaß“ scheint bei dem Dänen Paul Kaaris vorzuliegen, der grundsätzlich auf seine dänische Muttersprache zugunsten des Englischenauch in schriftlichen Amendements (siehe dazu Kapitel 4 „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“) verzichtet. Die Höflichkeit scheint die Sprachenwahl zu beeinflussen: Immerhin ein Viertel aller Befragten bedient sich sowohl im brieflichen wie auch im mündlichen Erstkontakt der (vermuteten) Muttersprache des Partners. Um aber sicher zu gehen, daß Verständigung gewährleistet ist, konstatierte eine Mehrzahl der Befragten, eine jegliche Kontaktaufnahme mit unbekannten Korrespondenzpartnem gleichwohl selbstverständlich auf englisch oder französisch vorzunehmen. 2.6 Einfluß der Sprachenwahl auf Textgenese Es wird unterstellt, daß die bevorzugte Verwendung von Englisch und Französisch Einfluß auf die endgültige Textfassung hat. Das wird u.a. dadurch begründet, daß Beamte, die sich nicht in ihrer Muttersprache äußern können, benachteiligt seien. So gut wie alle im Interview befragten Beamten bestätigen, daß Texterstellungsverfahren in Kleingruppen, sogenannten Teams oder Equipen, durchweg auf englisch und französisch stattfinden. Zu einem Großteil bekennen sie auch, daß Muttersprachler im Vorteil sind. Über sprachliche Bevorzugung oder Benachteiligung hinaus spielen aber offenbar vor allem „unterschiedliche Rechtssysteme“ eine gewichtige Rolle, und linguistisch besonders aufschlußreich mutet an, daß mehr als die Hälfte aller Befragten die Meinung vertreten, der „unterschiedliche Aufbau der Sprache“ beeinflusse die Textkonstruktion. 2.7 Sprachliche Auswirkungen durch Veränderungen in Europa Die politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa in den letzten Jahren haben Forderungen nach einer wichtigeren Rolle des Deutschen lauter werden lassen. Gleichzeitig wird ein „Europa der Regionen“ angestrebt, möglichst so zumindest erhoffen dies kleinere Nationalitäten mit einer Aufwertung der subnationalen Sprachen. Es wird also einerseits ein Modell anil faut etre Marco Pannella, c’est-ä-dire un federaliste convaincu et un provocateur ne, pour se payer le luxe de parier le franfais et non l’italien en pleniÄre. Je l’ai vu un jour rabroue par le president de stance pour avoir os6 transgresser ainsi 1’indefectible regle du chacun sa langue.“ 40 gestrebt, durch Reduzierung von „Arbeitssprachen“ schneller und effizienter zu arbeiten, andererseits versucht, einer Vielzahl von Ethnien zu verdeutlichen, daß die angestrebte Politische Union nicht zu Lasten von Minoritäten gehen werde, auch wenn eine solche Regionalisierung bisweilen als „Souveränitätssucht und Stammeseigenbrötelei“ zur Kultivierung kleinstaatlicher Eigenheiten bespöttelt wird (Donat 1993b, 10). 2.7.1 Ereignisse in Mittel- und Osteuropakünftige »Brückenfunktion des Deutschen« Viele deutsche Politiker fordern immer unverblümter, Deutsch sei nach der Wiedervereinigung und den Umwälzungen in den ehemals sozialistischen Staaten auch im europäischen Kontext aufzuwerten sie verlangen die Implementierung des Deutschen als dritte EG-„Arbeitssprache“. Ist die Rolle des Englischen als lingua franca weltweit unbestritten, die des Französischen EG-intem (noch) fest verankert, reifen bei den Deutschen alte Träume von der institutioneilen Verankerung der unbestrittenen - Rolle des Deutschen als wichtiger europäischer Regionalsprache. Zur Stützung der Argumentation werden Hinweise auf die Zahl der Muttersprachler (es sind in der Tat die meisten in der EG) geliefert, der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zum EG-Budget („größter Nettozahler“, „Zahlmeister Europas“) angeführt und die Brückenfunktion des Deutschen zu den ostmittel- und osteuropäischen Staaten herausgestrichen. 10 Vor allem Firmen, und da in erster Linie die mittelständische Industrie, wollen diese de facto-Benachteiligung des Deutschen nicht länger tolerieren: Sie beklagen Wettbewerbsverzerrungen, da Ausschreibungen von EG-Projekten stets zunächst in Englisch und Französisch und erst dann in anderen Sprachen vorlägen (z.B. Burkert 1993, Dohmes 1990, Simons in Podiumsdiskussion 1993). Die zuweilen diplomatisch formulierte, oft aber auch unangemessen geäußerte Forderung vieler Deutscher nach Aufwertung ihrer Sprache wird unterschiedlich gesehen: Bei den einen herrscht eine eher pragmatische Sicht vor (so äußerte etwa das britische Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses, Francis Whitworth, in einem Interview: „looking to the future, German has got to be one of the working languages“), bei anderen dominiert Skepsis, wie sie der Generaldirektor des Übersetzungsdienstes der EG-Kommission, Eduard Brackeniers, in einem Gespräch mit uns scherzhaft auf den Punkt brachte: „Ihr Deutschen habt ja schon wirtschaftlich alles unter Kontrolle, wollt ihr die EG jetzt auch noch sprachlich dominieren? “ 2.7.2 EG-Erweiterung durch westeuropäische Beitrittskandidaten Die Europäischen Gemeinschaften werden schon in den nächsten Jahren weiter anwachsen: Finnland, Österreich und Schweden erfüllen schon jetzt 10 Zur Diskussion über die „Weltsprache Deutsch“ siehe Ammon 1989, 260f. 41 wirtschaftlich die Anforderungen der EG; ihr Beitritt ist nur eine Frage der Zeit. Bezüglich des erreichten Wirtschafts- und Sozialniveaus gilt das gleiche auch für Norwegen und die Schweiz; dort scheitert eine Integration in den Gemeinsamen Markt derzeit eher an Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung. In jedem Falle drängen neben den Staaten weitere (Amts-)Sprachen in die EG. Viele Deutsche versprechen sich nicht zuletzt durch die EG-Mitgliedschaft Österreichs und der Schweiz eine wachsende Bedeutung der deutschen Sprache. Neben der (im Falle der Schweiz partiellen) Germanophonie dieser Länder inspiriert die Förderer der deutschen Sprache insbesondere die Idee, daß die skandinavischen Länder zwar in erster Linie zum anglophonen Raum tendieren, aber vom französischen wesentlich weiter entfernt sind als vom deutschen, und zwar sowohl in geographischer wie auch in sprachlichstruktureller Hinsicht. 11 Entgegen dieser weitverbreiteten Einschätzung ist die Ansicht der befragten EG-Beamten hinsichtlich der künftigen Rolle der deutschen Sprache durchaus ambig und um einiges differenzierter: Ein gutes Fünftel ist der Meinung, daß die politischen Ereignisse irrelevant für die EG-Sprachenfrage seien, die anderen „hoffen“ oder „erwarten“ es (immerhin die Hälfte! ). Interessant hierbei ist, daß niemand die mögliche Antwort „ich befürchte eine Aufwertung der deutschen Sprache“ wählte. 2.7.3 „Europa der Regionen“ Umstritten ist nicht nur die EG-institutionelle Gestaltung eines „Europas der Regionen“, sondern auch dessen sprachliche Realisierung. Viele kleinere Völker hoffen auf mehr sprachlich-kulturelle Rechte, u.a. durch die Schaffung eines Regionalausschusses. Der Brüsseler Alltag sieht anders aus: Von der angestrebten Regionalisierung erwarten fast zwei Drittel der Befragten vielmehr einen sprachlichen Konzentrationsprozeß, nur sehr wenige sind der Meinung, die „Einzelsprachen“ erhielten mehr Rechte, und ein Viertel glaubt, es werde sich dadurch gar nichts ändern. 11 Man darf aber auf keinen Fall übersehen, daß Skandinavier bisweilen verärgert reagieren, wenn sie von deutscher Seite als.„verwandte Germanen“ vereinnahmt werden, wie Tom Feilberg, Leiter des dänischen Übersetzungsdienstes beim Wirtschafts- und Sozialausschuß unterstrich: „Man darf sich nicht vorstellen, daß, weil Dänemark ein kleiner Nachbarstaat und Dänisch eine germanische Sprache ist, das heißt, daß Deutsch für uns Dänen als Nachbarsprache zugänglich ist. Dänisch ist (und das müssen Sie als Germanisten wohl wissen) im Verhältnis zum Deutschen viel eigenständiger als zum Beispiel Niederländisch. Wir haben das Problem, daß wir im Wortschatz trotz aller Parallelen mit dem Deutschen sehr viele Probleme haben. Strukturell sind wir sehr verschieden, und ich würde sagen, daß Dänisch anders denkt als Deutsch. Ein Däne muß sich, wenn er deutsch sprechen oder fließend deutsch lesen will, wirklich umstellen.“ Es darf auch nicht übersehen werden, daß die deutsche Phonetik den Dänen weitaus mehr Schwierigkeiten macht als etwa den Niederländern, „die Unterschiede jedoch oft bagatellisiert“ werden (Colliander 1993, 40). 42 2.8 Dauer der Texterstellung Da sich der zeitliche Ablauf von Texterstellungsverfahren in der EG-Kommission, aber auch in geringerem Maße in Parlament und im Wirtschafts- und Sozialausschuß unterschiedlich in die Länge ziehen kann (einige Empfehlungen, Stellungnahmen, Richtlinien und Verordnungen werden innerhalb kürzester Zeit erstellt, andere ziehen sich über Jahre hin), wäre der Schluß naheliegend, Verständigungsprobleme der Beamten trügen dazu bei, die jeweiligen Verfahren zu prolongieren, weil eben eine Reihe der Beteiligten in einer anderen als ihrer Muttersprache agieren muß. Überraschenderweise sind aber nach Einschätzung nur eines geringen Teils der Befragten sprachliche Probleme ausschlaggebend: Lediglich ein Fünftel der Befragten führt die zeitliche Ausdehnung der Textgenese auf linguistische Faktoren zurück. Vielmehr stehen die „Komplexität der Probleme“ und „unterschiedliche politische Interessen“ im Vordergrund. Auch „Interventionen von Lobbyisten und Verbänden“, „finanzielle Spielräume“ und der „Grad juristischer Verbindlichkeit“ werden noch häufiger genannt als „sprachliche Verständigungsgründe“. 2.9 Einfluß des Alters auf Sprachenwahl Auffallend ist die Diskrepanz zwischen schriftlicher und mündlicher Befragung bezüglich der Rolle des Alters bei der Sprachenwahl. Mündlich versichern alle, „früher wäre die Kenntnis der französischen Sprache wichtiger“ gewesen (als Englisch oder Deutsch), heute würden jedoch zunehmend Englischkenntnisse (so vor allem in „technischen“ Generaldirektionen) von den neu eingestellten Beamten erwartet. Im Fragebogen direkt dazu befragt, behaupten fast alle, das Alter spiele keinerlei Rolle für die Wahl der Verkehrssprache. Demnach ist für die Sprachenwahl in erster Linie wichtig, sich auf eine von allen verstandene lingua franca zu einigen (hier nicht spezifiziert, von der Hälfte der Befragten genannt), was auch in den Interviews immer wieder betont wurde. Nicht das aus nationaler Sicht wünschenswerte Beharren auf Muttersprache bestimmt das Handeln der Bürokraten, sondern pragmatische Gesichtspunkte. Erst danach entscheiden in dieser Reihenfolgeandere Fakten wie die automatische Beschränkung auf die Arbeitssprachen Englisch und Französisch, die „Effizienz der Verständigung“ (die natürlich indirekt durch die Wahl einer lingua franca impliziert ist), die Muttersprache des Autors des ersten Entwurfs, die Muttersprache des chef d’unite, die Muttersprache des Leiters der direction und ganz am Rande politische Direktiven im Sinne einer Beeinflussung von außen. 43 2.10 Polyglotter Dialog Polyglotte Eliten so wird unterstellt sind in der Lage, miteinander mehrsprachig zu kommunizieren. Eine denkbare Lösung wäre das Modell: Jeder spricht in seiner Muttersprache, gesteht aber seinem Gesprächspartner dasselbe Recht zu. Dieses Aktiv-Passiv-Kompetenzschema, der sogenannte polyglotte Dialog (siehe dazu Posner 1992), setzt voraus, „daß an einem Tisch, an dem drei oder vier Muttersprachen vertreten sind [...] nicht aus Höflichkeit die Sprache dessen genommen wird, der die anderen Sprachen nicht versteht oder nicht zu verstehen vorgibt, sondern indem man sich bemüht, das auszudrücken, was man ausdrücken will in seiner eigenen Sprache. Natürlich müßten dann rudimentäre, passive Sprachkompetenzen [Hervorhebung J.B.] da sein, die man in der Schule erwerben sollte, so daß jeder durch die Praxis im polyglotten Dialog die anderen Sprachen besser beherrschen lernt“ (Podiumsdiskussion 1993, 178, Beitrag Posner). Diese Art der Kommunikation wird in Brüssel nicht in dem Maße praktiziert, wie man eigentlich erwarten könnte: 17,2% greifen nie auf ihn zurück, 55,2% bedienen sich seiner „selten“. Lediglich ein Viertel der Befragten wendet diese Konversationsform „oft“, kein einziger „ständig“ an. 12 Als Grund für die relativ seltene Anwendung des »polyglotten Dialogs« werden verschiedene Faktoren genannt. Weitverbreitet scheint in jedem Falle eine Minimalisierung der Gesprächsinhalte zu sein, da eine Unterhaltung in zwei Sprachen zuweilen genau umgekehrt geführt wird: Jeder versucht in der Sprache des anderen zu sprechen, also gerade nicht in der am besten beherrschten, sondern in einer Fremdsprache, ein Phänomen, das allerdings lediglich in der informellen Kommunikation verbreitet ist. Polyglott geht es dagegen bisweilen in Arbeitssitzungen zu, nach dem Schema, daß diejenigen, die besser Französisch sprechen, sich dieses Idioms bedienen, und diejenigen, denen Englisch leichter fällt, Englisch anwenden. Laut übereinstimmenden Auskünften unserer Gesprächspartner ist jedoch »polyglotter Dialog« in dieser restringierten Form ausschließlich auf diese beiden Sprachen beschränkt. Ein weiteres Erschwernis für einen echten polyglotten Dialog wird darin gesehen, daß die Kommunikation gerade nicht erleichtert oder präzisiert wird, sondern vielfach erschwert und verwässert wird, wenn auf einen Text Bezug genommen wird, der nur in einer einzigen Sprache vorliegt. 2.11 Einschaltung von Übersetzer- und Dolmetscherdienst 2.11.1 Beteiligung der Sprachendienste am Textgeneseverfahren Vielfach werden EG-Übersetzer und Dolmetscher obwohl diese Dienste als die besten der Welt gelten für inhaltliche Divergenzen oder Widersprüche 12 Posner selbst räumt ein, daß der polyglotte Dialog „ein ziemlich tiefes Umdenken“ voraussetzt (Podiumsdiskussion 1993,178). 44 im Text verantwortlich gemacht: Können sich Beamte nicht auf eine verbindliche Textfassung einigen, schieben sie die Schuld oftmals der Arbeit im Ubersetzungsdienst zu oder verweisen in ihren mündlichen Beiträgen auf Defizite in der verdolmetschten Version. Um Mißverständnisse, Fehlinterpretationen oder gar böswillige Schuldzuweisungen zu beseitigen bzw. zu elimieren, wäre ein reger Austausch zwischen allen am Textaushandlungsprozeß Beteiligten wünschenswert. Für Außenstehende erscheinen derartige Beziehungen durchaus naheliegend und plausibel. Die Realität scheint anders auszusehen: Kontakt zwischen den am Textaushandlungsprozeß beteiligten Aktanten unterschiedlicher Muttersprachen und den für eine adäquate Übertragung in alle Sprachen Zuständigen in den linguistischen Diensten besteht nur in seltenen Fällen: Kein einziger der Befragten gibt an, es gebe „intensive Gespräche bei Zweifeln“. Immerhin bestätigen vier Fünftel „gelegentliche Rücksprachen“. Für ein Fünftel ist der Kontakt ein reines Dienstleistungsverhältnis. Anzumerken bleibt hier, daß ein solcher Kontakt umso häufiger wird, je kleiner die Institution ist: In der Kommission ist ein solches Verhältnis schon aufgrund der räumlichen Trennung der einzelnen Generaldirektionen wesentlich schwieriger, unwahrscheinlicher und damit auch seltener als etwa im Wirtschafts- und Sozialausschuß, in dem sich WSA-Mitglieder schon einmal hilfesuchend an die Mitarbeiter des Sprachendienstes wenden, wenn sie Ungereimtheiten wittern oder auf Unverständliches stoßen. Häufiger werden Wünsche nach intensiverer Zusammenarbeit von Mitarbeitern der Sprachendienste gewünscht. Während Beamte aus Bequemlichkeit oftmals jeglichen Kontakt meiden, klagen Übersetzer unverhohlen darüber, daß sie in Zweifelsfällen keine Möglichkeit der Rückversicherung haben, weil sie die Texte oft anonym erreichen. Wie sich Übersetzer die Zusammenarbeit mit den Textproduzenten vorstellen, beschreibt recht anschaulich eine kleine Broschüre, in der sich der Sprachendienst der Öffentlichkeit präsentiert, unter der Überschrift „Ein Text entsteht“: „Für viele Beamte ist die Übersetzung nichts als eine zusätzliche Verwaltungshürde. Diese Einstellung verursacht Schwierigkeiten und Verzögerungen: Der brillanteste Entwurf ist als Gemeinschaftsvorlage von begrenztem Nutzen, solange er nur in einer Sprache vorliegt. Sie als Verfasser eines Textes wissen, noch bevor Sie die erste Zeile niederschreiben, ob der Text später übersetzt werden muß. Wenn ja, dann tun Sie gut daran, die Jurist für die Übersetzung von Anfang an in Ihrer Zeitplanung zu berücksichtigen, wobei Sie einen großzügigen Spielraum für Verzögerungen, Änderungen usw. einrechnen sollten. Wenn die Kommissionsverwaltung als mehrsprachige öffentliche Verwaltung effizient arbeiten soll (und wenn Sie Ihre Termine einhalten wollen), dann muß die Übersetzung vollgültiger Bestandteil des Verwaltungsprozesses sein, nicht ein lästiges Anhängsel [...]. Der Ubersetzungsdienst ist auch auf Dringlichkeitsfälle vorbereitet. Vergessen Sie aber 45 bitte nicht, daß nicht nur das Ausgangsmaterial, sondern auch die zur Verfügung stehende Zeit die Qualität des Endprodukts beeinflussen.“ (Übersetzung 1990, 2) Grundsätzlich muß man hier aberwie schon erwähnt die diversen EG- Institutionen auseinanderhalten: Je größer der Apparat ist, desto geringer ist die Zusammenarbeit. Während bei Parlament und WSA Rückkoppelungen durchaus zu registrieren sind, ist diese Chance in der Kommission nicht vorhanden. 2.11.2 Sprachliche Qualität von »Eurotexten« Häufig wird von Außenstehenden (nationale Beamtenschaft, Journalisten, Adressaten von Informationsbroschüren, Teilnehmer an Ausschreibungsverfahren etc.) kritisiert, daß EG-Texte sprachlich schlecht seien. Eine der Ursachen dafür ist, daß die Textproduktion eben nicht in der Muttersprache, sondern meistens auf englisch und französisch geschieht, da ein erster Referentenentwurf auf portugiesisch oder dänisch, aber auch auf deutsch schon auf der nächsthöheren Ebene, in der Kleingruppe, nicht mehr für alle verständlich ist, wie Rolf Wägenbaur, Rechtsberater im Juristischen Dienst der EG- Kommission, einräumt. Somit kommen auf die Mitarbeiter des Übersetzungsdienstes oftmals noch zusätzliche Arbeit und wie einige in den Interviews anmerken vermeidbarer Ärger zu: Wenn das Original fehlerhaft ist, leiden darunter natürlich die Übertragungen in andere Sprachen. Da das Eingeständnis, sprachliche defizitäre Texte zu erstellen, Selbstverständnis und Außenbegutachtung der verantwortlichen Beamten beschädigen könnte, wird allzuoft die Schuld den Übersetzern zugeschoben. Aufschlußreich sind die Antworten auf die Frage, ob es Texterstellungsverfahren gebe, in denen bis zur Endfassung keinerlei Rückgriff auf Dolmetscher- und Übersetzerdienste genommen wurde. Immerhin fast die Hälfte der Interviewten hat an Texten mitgewirkt, ohne daß ein solcher Service in Anspruch genommen wurde. Ein weiterer Grund für schlechte Textqualität auch das geben Übersetzer offen zu ist der immense Zeitdruck, unter dem gearbeitet werden muß: Der Vertrag von Maastricht wird immer wieder als Beispiel für mangelhafte Kongruenz genannt. 2.11.3 Verdolmetschte Fassung vs. Originalbeitrag Die Rolle des Dolmetscherdienstes wird vor allem von Polyglotten als problematisch empfunden. So unterstreicht Hans Erik Nieuwenhuis, Leiter der niederländischen Abteilung im WSA-Übersetzungsdienst, daß „Arbeiten über einen Dolmetscher eine sehr gebrechliche Technik ist, vor allem, wenn es um genaue Information geht“. Das führt dazu, daß viele auf die Verdolmetschung verzichten und das Original vorziehen. Das trifft nach unseren (teilnehmenden) Beobachtungen vor allem auf Vertreter „kleinerer“ Sprachgruppen, Portugiesen, Dänen und Niederländer zu, die in der Regel keine Kopfhörer 46 bei englischen, französischen und, was die Niederländer betrifft, auch bei deutschen Redebeiträgen verwenden. 2.11.4 Relais-Übersetzungen Besonders kritisch werden die sogenannten Relais-Übersetzungen gesehen, die manchmal erforderlich sind, weil die vorhandene Kapazität im gemeinsamen Dolmetscher-Pool beispielsweise Kombinationen wie Dänisch —> Griechisch oder Niederländisch —> Portugiesisch nicht abzudecken vermag und in Sitzungen daher ein „Relais“, das Englische oder Französische, zwischengeschaltet wird. Für Klaus Meyer-Hom, WSA-Mitglied und Generalsekretär der Europäischen Sparkassenvereinigung, polyglott („in französisch, englisch, italienisch und niederländisch höre ich immer das Original“), sind Relaisübersetzungen 13 sogar das „Allerschlimmste“, und er vergleicht sie mit dem Kinderspiel „Stille Post“, wo man „immer weiterflüstert und nach sechs, acht Stationen eine ganz andere Sache herauskommt“. 2.11.5 Rationalisierungs-Überlegungen Immer wieder wird kritisiert, die EG-Amtssprachenregelung verschlinge zu viel Geld (immerhin beschäftigt der Übersetzungsdienst derzeit rund 1.700 Mitarbeiter, davon 1.200 Übersetzer und Terminologen 14 , und der sprachlich begründete zeitliche Aufwand sei in dieser Form nicht länger zu akzeptieren. Die Problematik wird vor allem von der Tagespresse gerne aufgegriffen, die die Europäischen Gemeinschaften mit Vorliebe mit dem antiken vielsprachigen - Babylon vergleicht, ohne zu berücksichtigen, daß eben „europäische Identität“ gleichbedeutend mit der Koexistenz der alten gewachsenen Kulturen und damit auch Sprachen ist. Die Lösungsvorschläge (auch in Hinblick auf die künftige EG-Erweiterung, selbst wenn das Sprachenproblem bei diesen Planungen gerne zurückgestellt wird) gehen über den gängigen Wunsch nach Reduzierung der Amtssprachen hinaus: Eduard Brackeniers entwarf ein Szenario 15 , wie dem überproportional wachsenden Übersetzungsbedarf beizukommen ist: 13 Daß Relaisübersetzungen nur ein Notbehelf sein können und daß man sie um der Qualität willen so selten wie möglich verwenden sollte, betonte die heutige Generaldirektorin des Gemeinsamen Dolmetscher- und Konferenzdienstes, Renee van Hoof-Haferkamp, schon 1978 in einem Plädoyer für ein asymmetrisches „regime linguistique“, denn „Un tel systöme pourrait permettre: [...] de maintenir la qualite de 1’interpretation et, partant, la fiabilite de la communication, en limitant et le nombre d’interpretes requis et l’usage du relais.“ (Van Hoof 1978,131) 14 Diese Zahl nannte Eduard Brackeniers, der Generaldirektor des Ubersetzungsdienstes der EG-Kommission, anläßlich eines Vortrags in der Ständigen Vertretung der Kommission in der Bundesrepublik Deutschland in Bonn am 15. Dezember 1992. Das Referat wurde in leicht überarbeiteter Form (ohne die sich anschließende Diskussion) in einem Informationsblatt der deutschen EG-Vertretung abgedruckt (Brackeniers 1993). 15 Anläßlich seines in Fußnote 14 erwähnten Vortrags. 47 (1) man müsse die Übersetzung „industrialisieren“, also deren Produktivität steigern, auch wenn dies in dem einen oder anderen Falle eine Qualitätseinbuße zur Folge habe; dabei wären vollintegrierte Arbeitsplätze zu schaffen, die verstärkte Hinzuziehung von free / ance-Übersetzem zu erwägen 16 ; (2) Texte und Formulierungen müßten standardisiert werden, wobei schon bei der Textabfassung eventuelle Übersetzungsprobleme berücksichtigt werden sollten; (3) das „Subsidiaritätsprinzip“ 17 könne auch bei Übersetzungen hilfreich sein: Es wird nur noch das in der Gemeinschaft selbst übersetzt, was unabdingbarerweise dort zu geschehen hat, alles andere wird auf „untere“ Ebenen, Länder, Regionen und Kommunen, verlagert. Danach befragt, ob tatsächlich Handlungsbedarf in der Sprachenfrage bestehe, halten sich EG-Beamte eher bedeckt: Zwar sieht eine Mehrheit eine solche Notwendigkeit (59,3%), doch halten 40,7% das für unnötig. Hier manifestiert sich eine Art „professioneller Stolz“ schließlich gehören Polyglossie und Mehrsprachigkeit zum beruflichen Anforderungsprofil der Eurokraten, wie sie in Gesprächen gerne und offen zugeben. 2.12 Restriktion sprachlicher Mittel Institutioneile Kommunikation in mehrsprachigem Umfeld erfordert eine Restriktion der sprachlichen Mittel. Offenbar empfindet sich nur ein Teil der Eurokraten in der Lage, auch in anderen Sprachen über das gesamte sprachliche Register zu verfügen: Die Hälfte räumt einen Verzicht im Gebrauch sprachlicher Mittel sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Kommunikation ein, ein weiteres Fünftel beschränkt bei schriftlicher Korrespondenz und einige bei mündlichen Kontakten das Repertoire. Dabei wird in besonderem Maße auf „Redewendungen“ und „Sprichwörter“ sowie auf „umgangssprachliche Wendungen“ verzichtet. Von interkulturell schwer übersetzbaren Witzen, Ironie und Elementen der Situationskomik wird dabei offenbar weitgehend ebenso abgesehen wie von der Verwendung Umgangs- oder regionalsprachlich gebräuchlicher Termini. Auch Metaphern werden von einem Großteil der Befragten tunlichst vermieden. Lediglich auf Beispiele und Paraphrasierungen wird im arbeitssprachlichen Kontext offenbar nur ungern verzichtet. Hier scheinen aber vor allem die Auffassungen zwischen Beamten, die an der Texterstellung beteiligt sind, und Übersetzern, die mit diesen Texten arbeiten 16 Die Arbeit dieser „freischaffenden“ Übersetzer wird sehr unterschiedlich gesehen. Ein befragter Übersetzer verwies, darauf, daß freie Mitarbeiter oftmals Material ablieferten, das dann von den beamteten Übersetzern noch einmal überarbeitet werden müsse. 17 Zur exakten Bedeutung und der realen Verwendung dieses Terminus siehe Kapitel 8.3. 48 müssen, zu divergieren. Heinz Zerwes, Leiter des Übersetzungsdienstes des Wirtschafts- und Sozialausschusses, gibt zu bedenken: „Der eine oder andere Diskussionsredner wird etwas Rücksicht auf die Dolmetscher nehmen; das ist aber nicht die Regel. Redner und Berichterstatter machen sich die Probleme kaum klar, die sie da für Linguisten heraufbeschwören.“ Dazu gehörte neben den oben erwähnten sprachlichen Restriktionen auch ein Verzicht auf allzu schnelles Reden, zumal der unterschiedliche Aufbau der Sprachen unterschiedliche Redebzw. Textlängen zur Folge hat. 18 2.13 Sprachliche Sonderformen, Jargon, „Eurospeak“ Sprachliche Sonderformen gibt es bei allen Berufsgruppen. Diese Jargons beruhen in der Regel auf notwendigen Fachterminologien, etwa die Sprache der Seefahrer, der Computerspezialisten oder auch die der Sprachwissenschaftler. Besonders viel wird jedoch über eine vermeintliche Sprachsonderform der Bürokraten, den sogenannten Eurospeak, Eurotalk oder Eurojargon, debattiert. Über seine tatsächliche Existenz wird gerätselt, seine Notwendigkeit unterschiedlich bewertet: Während insgesamt 84,4% generell sein Vorhandensein bestätigen, 12,5% ihn negieren und 3,1% nie davon gehört haben, glauben nur 9,4%, daß Eurospeak notwendig ist, ein Viertel der Befragten hält ihn für überflüssig und sogar die Hälfte ist der Meinung, die Medien überzeichneten den sprachlichen Alltag der EG. 19 Höchst unterschiedlich ist die Interpretation dessen, was Eurospeak eigentlich ist: Neben fachsprachentypischen Phänomenen schreibt man ihm Merkmale semantischer Entleerung, das Sprechen in nur Insidern verständlichen Abkürzungen und Akronymen, Pidginisierungstendenzen (etwa in den „Arbeitssprachen“ Englisch und Französisch) sowie das Einmischen anderssprachiger Lexeme oder Phraseme in die gesprochene Sprache (Interferenzen oder Transferenzen) zu. 20 Der schon erwähnte Heinz Zerwes jedoch charakterisierte Phänomene des Brüsseler- Büroalltags als selbstverständlich und ausdrücklich nicht als Eurospeak: „Es gibt einige französische (nicht ,Eurospeak‘) Ausdrücke, die in fast jeder Sprache von vielen benutzt werden auch von mir. Jury ist kürzer als Prüfungsausschuß, concours general kürzer als allgemeines Auswahlverfahren: jeder spricht bei Mitarbeitern auf Zeit vom temporairebzw. auxiliaire-Wexir&g (oft dürfte der Ausdruck in der Muttersprache unbekannt sein); farde oder chemise ist kürzer bzw. schöner als Aktendeckel, bic gebraucht fast jeder für Kugelschreiber, ebenso scotch für Tesafilm. Beim Rat sagte man schon vor 30 Jahren bobine für die Tonbandrolle. 18 Das läßt sich rein optisch schon an Tischvorlagen erkennen, in denen die deutsche Version zumeist beträchtlich länger als etwa die französische und diese wiederum umfangreicher als die englische Fassung ist. 19 Mit dem Phänomen des Eurospeak beschäftigen sich u.a. Coulmas 1991, 32, Crampton 1990, Fontaine/ Malosse 1991, Gondrand 1991 und Ramsay 1991. 20 Siehe hierzu den Gliederungsversuch in Born 1992a, 2 und zahlreiche Beispiele in Schütte 1993a, 109ff. 49 NB: Offenbar ist noch keiner auf die Idee gekommen, solche Ausdrücke (20 bis 100 maximal) Neuankömmlingen zur Erleichterung der Eingewöhnung in Form einer kurzen Liste in die Hand zu geben“. 2.14 Zusammenfassung der Ergebnisse aus Fragebogenaktion und Interviews Die Auswertung der Fragebögen hatwenn man berücksichtigt, daß die überwiegende Mehrheit der Befragten deutscher Muttersprache waren weitgehend bestätigt, was man ohnehin präsupponiert hatte. Auf die Frage nach den am besten beherrschten Sprachen, und zwar betreffs Verstehens, Lesens, Sprechens und Schreibens, ergab sich durchgängig eine Dominanz des Französischen. Allerdings war der Vorsprung zu Englisch relativ gering. Bei der passiven Kompetenz, ebenso bei der Sprechfähigkeit liegen die Beherrschungsgrade zu Englisch und Französisch nahezu durchgängig bei 100 Prozent. Lediglich bei der Frage nach der eigenen Schreibkompetenz räumt ein kleiner Teil der Befragten freimütig ein, dazu nicht „gut“ oder gar „sehr gut“ in der Lage zu sein. Als Sprachen, die „einigermaßen“ bis „gut“ beherrscht werden, tun sich auf aktiver wie auf passiver Seite vor allem Spanisch und Italienisch hervor. Zudem ist das Niederländische, das ja für viele der Befragten Kontaktsprache entweder in Brüssel oder in ihrem eigenen Wohnort ist, jedenfalls eine leidlich zu verstehende Sprache. Am Ende der beherrschten Sprachen folgen in dieser Reihenfolge - Dänisch, Portugiesisch und Griechisch. Auf die Frage, welche andere Sprache die Befragten am liebsten erlernen würden, ergab sich ein ähnliches Ergebnis: Die meisten würden gerne Spanisch lernen, eine Reihe würde Italienisch oder Niederländisch bevorzugen, überraschenderweise gaben auch einige Befragte Griechisch an. Die monatlich erscheinende Zeitschrift EGmagazin stellt in einer Rubrik „Europäische Schalthebel“ »Eurokraten« im weitesten Sinne in Wort und Bild vor. Dabei werden Beamte, Experten, Lobbyisten, Abgeordnete etc. nicht nur mit ihrem Lebenslauf und beruflichen Werdegang vorgestellt, sie werden auch nach ihren Hobbies und für uns wichtig nach ihren Fremdsprachenkenntnissen gefragt. Insgesamt gaben 73 der vorgestellten Persönlichkeiten Auskünfte über ihre Sprachfertigkeiten: 5 Belgier (2 Wallonen, 3 Flamen), 7 Briten, 1 Däne, 16 Deutsche, 10 Franzosen, 6 Griechen, 9 Italiener, 4 Iren, 1 Luxemburger, 5 Niederländer, 2 Portugiesen und 7 Spanier. In der Regel gaben die Interviewten nur generell an, die Sprache(n) zu beherrschen. Bisweilen gab es Einschränkungen, Sprachen zu verstehen oder „ein bißchen/ wenig“ zu sprechen. Diese Relativierungen sind hier nicht berücksichtigt. 50 Tabelle 1: Fremdsprachenkenntnisse von »Bürokraten« (nach EGmagazin, „Euro-Schalthebel“ (1991-1993)) absolut relativ Dänisch 0 (72) 0.0% Deutsch 29 (56) 50.2% Englisch 62 (62) 100.0% Französisch 60 (60) 100.0% Griechisch 1 (67) 1.5% Italienisch 12(64) 18.8% Niederländisch 8 (65) 12.3% Portugiesisch 4(71) 5.6% Spanisch 13 (66) 19.7% Die Auswertung dürfte weitgehend repräsentativ sein, da in der Euro-Hierarchie weiter unten angesiedelte Beamte eher umfassendere Fremdsprachenkenntnisse als die Spitzen der jeweiligen Institution haben. In jedem Falle bestätigen die Resultate unsere eigenen Beobachtungen: Alle (! ) im EGmagazin vorgestellten Eurokraten beherrschen sowohl Englisch als auch Französisch. Mehr als die Hälfte verständigt sich auch auf deutsch (v.a. Belgier und Niederländer, aber auch Briten und Griechen). Jeweils jeder Fünfte verfügt über Sprachfertigkeiten in Italienisch und Spanisch, jeder Achte beherrscht Niederländisch, nur einzelne Portugiesisch und Griechisch, keiner Dänisch. Hinzu kommt eine beträchtliche Zahl mit Russischkenntnissen (8.2%). Die befragten Iren pflegen alle ihr autochthones gälisches Idiom, ähnliches gilt für die Spanier katalanischer Nationalität, die bei ihren Sprachkenntnissen die größte nicht-offizielle EG-Sprache anführen. Der in den Medien gängigen Situationsbeschreibung, in Brüssel dominierten trotz der offiziellen Amtssprachenpraxis zwei Arbeitssprachen, stimmt eine große Mehrheit der Befragten völlig zu, auch die restlichen bestätigen zumindest, daß dies zum Teil so ist. Eine Kontaktaufnahme innerhalb der EG-Institutionen erfolgt fast ausschließlich auf englisch oder französisch, manchmal verführen Höflichkeit und Fremdsprachenkompetenz die EG-Mitarbeiter dazu, es mit der erwarteten Muttersprache des (unbekannten) Gesprächspartners zu versuchen. Auch die Unterstellung, diejenigen Aktanten genössen in Textaushandlungsverfahren einen Vorsprung, die sich ihrer Muttersprache bedienen können, bestätigen fast alle der Befragten, außerdem nehmen die individuelle Konstruktion der Verhandlungssprache und das Rechtssystem des Landes, in dessen Sprache verhandelt wird, Einfluß auf die endgültige Version eines Rechtsaktes. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat nach Ansicht von etwa drei Vierteln der Befragten - Einfluß auf eine künftige EG- Sprachenregelung, während nur ein kleiner Teil der Befragten eine künftige Erweiterung der EG durch EFTA-Staaten oder ehemalige Warschauer Pakt- Staaten als sprachliches Problem wahmimmt. Auch in der angestrebten 51 Kreation eines „Europas der Regionen“ wähnen die Befragten eher Tendenzen zur Bevorzugung der sogenannten Hauptsprachen als eine Aufwertung kleinerer, subnationaler Sprachen. Die Befragten widersprechen der weitverbreiteten Ansicht, das Alter der am Textverfahren Beteiligten spiele eine Rolle. Herrscht gängigerweise die Meinung vor, ältere Beschäftigte neigten eher zum Französischen, jüngere Beschäftigte eher zum Englischen, so verneinen über 90% der Befragten diese Tatsache. Auch für die Länge des Texterstellungsverfahrens werden sprachliche Gründe kaum als relevant angesehen. Wichtiger erscheinen den Befragten Komplexität des Problems, unterschiedliche politische Interessen, die Einflußnahme von Lobbyisten und sonstigen Interessensgruppen, finanzielle Probleme und der Grad rechtlicher Verbindlichkeit. Als Hauptgrund für die Wahl einer Arbeitssprache wird das Argument einer lingua franca genannt, die von allen beherrscht wird. Wichtig scheint vor allem eine effiziente Kommunikation zu sein, in gewisser Hinsicht spielen auch die Muttersprache des Generaldirektors oder des Autors der ersten Textversion eine Rolle. Deutsch wird vor allem dann gesprochen, wenn in irgendeiner Form Kontakt mit deutschen Behörden oder anderen Institutionen aufgenommen wird. Das betrifft Konferenzen mit Politikern aus Bonn ebenso wie Ministerien in Bonn oder deutsche Wirtschaftsverbände. Ansonsten wird Deutsch vor allem in informeller Kommunikation am Arbeitsplatz oder bei Privatkontakten verwendet. Über 80% der Befragten sind der Meinung, Deutsch sei eine „Arbeitssprache“ der EG, wenn auch die Hälfte der Ansicht zuneigt, daß sie weniger bedeutend als Englisch und Französisch sei, und ein weiteres Viertel glaubt, die Bedeutung der deutschen Sprache in der EG entspreche etwa der der italienischen und der spanischen Sprache. Die Situation des »polyglotten Dialogs« ist auch in multilingualen Organisationen wie der EG bestenfalls die Ausnahme. Immerhin aber ein Viertel der Befragten praktiziert diese Art der Verständigung „oft“. Die Wichtigkeit des Übersetzungsdienstes wird von der Tatsache unterstrichen, daß mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung ist, es gebe keine Texterstellungsprozesse, in denen der Übersetzungsdienst von Anfang bis Ende nie involviert worden wäre. Uneinheitlich ist das Bild bezüglich der Frage, ob sich etwas an der Sprachpraxis der EG geändert habe, seitdem die Befragten ihre Tätigkeit dort begonnen haben. Das liegt sicherlich zum Teil auch daran, wann die Befragten in den Dienst der Gemeinschaft eingetreten sind. Eine Mehrzahl der Befragten neigt der Ansicht zu, es gebe einen Handlungsbedarf bezüglich einer Sprachenregelung innerhalb der EG-Institutionen. Interessant ist auch, daß ein großer Teil der Bedfragten der Meinung ist, es gebe bewußte sprachliche Restriktionen in Arbeitssitzungen. Das betreffe insbesondere idiomatische Redewendungen, umgangssprachliche Formen, scherzhafte Elemente, dialektale oder regionale Verwendungsformen und Metaphern. Hinsichtlich der Verwendung eines „Eurospeak“ sind die meisten Befragten der Meinung, er 52 existiere, aber er werde entweder von den Medien übertrieben dargestellt oder auch übermäßig stark von den Bürokraten selbst benutzt. Eine Interpretation der Antworten aus der Fragebogenaktion wie auch der sich anschließenden ethnographischen Interviews läßt den Schluß zu, daß es wohl zum Berufsstolz und Anforderungsprofil ständig vor Ort, also in Brüssel, Luxemburg oder Straßburg, beschäftigter Bürokraten gehört, über ausgezeichnete Englisch- und Französischkenntnisse zu verfügen, daß aber gleichwohl eine Handicapsituation gegenüber denjenigen empfunden wird, die jene beiden Sprachen entweder als Muttersprache erlernt haben bzw. diese besser beherrschen als sie. 3. Verfahren der Textproduktion im Wirtschafts- und Sozialausschuß 3.1 Methoden zur Rekonstruktion von Interaktionswissen Dieses Kapitel soll zunächst das für das Verständnis der folgenden Fallstudien notwendige Kontextwissen liefern. Dieses Wissen wird in den WSA- Gremiensitzungen nicht explizit thematisiert, weil es für die Beteiligten im Regelfall selbstverständlich ist. Kontextwissen bezieht sich nicht nur auf die manifesten und normierten Verfahren der Textgenese im WSA, sondern auch auf zugrunde liegende Maximen und Handlungsstrategien von WSA-Mitgliedem, z.B. wie sie ihre eigene Rolle oder die des WSA im EG-Rechtsetzungsverfahren definieren, soweit solche Zuschreibungen für die Textaushandlung relevant sind. Dazu stehen mehrere Quellen zur Verfügung: - Normative Texte (Primäres Gemeinschaftsrecht, also die „Römischen Verträge“ und spätere Verträge zwischen den EG-Mitgliedstaaten, die EG- Institutionen konstituieren und ihnen Kompetenzen zuweisen; die WSA- Geschäftsordnung usw.); wissenschaftliche Sekundärliteratur über den WSA, zumeist politologischer oder juristischer Herkunft; journalistische Texte; - Texte anderer EG-Institutionen, in denen der WSA und seine Verfahren zur Textproduktion thematisiert werden und - Interviews mit WSA-Insidem. Interviews sollen im folgenden methodisch diskutiert werden: Wofür sind unsere Gespräche mit WSA-„Insidem“ (d.h. Mitgliedern, darunter Funktionsträgem, Beamten des Generalsekretariats, Übersetzern) brauchbar? Dabei ist zu unterscheiden zwischen: (1) Interaktionswissen in expandierter Darstellung, z.B. in Form von Erzählungen zu besonderen Brüsseler Sozialisationserfahrungen; (2) Formulierungstechniken, die im Interview manifest werden und sich dabei metakommunikativ auf das Texterstellungsverfahren im WSA beziehen: Wie stellen unsere Gesprächspartner eine Referenz auf EG-spezifische Rechtsakte her, wie typisieren sie, wie stellen sie die Art von EG-Texten, an deren Produktion sie selbst beteiligt sind, in den Kontext einer Typologie aller EG-Rechtstexte? Konkret heißt das: Wie verhalten 54 sich WSA-Stellungnahmen zu Rechtsakten und Rechtsaktsvorschlägen der EG-Kommission? Wie unterscheiden sich Presseerklärungen des WSA von seinen Stellungnahmen? Außerdem gehören zu diesem Aspekt Erläuterungen zu den Produktionsbedingungen für WSA-Stellungnahmen und zum Feedback: Werden die Stellungnahmen von den Adressaten (EG-Kommission und Ministerrat) berücksichtigt, werden sie emstgenommen, werden Anregungen, Anderungswünsche, Forderungen des WSA explizit übernommen? (3) professionelle Einstellung: Wie sieht die Arbeitsteilung in der Institution WSA aus: Wer ist für welche Aufgaben zuständig, wie gut funktioniert die Zusammenarbeit, gibt es dabei Reibungspunkte? Gibt es Kompetenzstreitigkeiten - Kommission versus Europäisches Parlament (EP), Kommission versus WSA, WSA versus EP-, und wenn ja, wie gehen die Beteiligten damit um? Gibt es Bewertungen zur Komplexität und Länge von Texterstellungsverfahren? Wie beurteilen unsere Gesprächspartner die Praxis der Textproduktion im WSA? Neben dieser inhaltlichen Klassifikation lassen sich aus Interviews mit Gesprächspartnern im WSA auch methodisch zwei Typen von Informationen gewinnen: a) Auskünfte von Experten: Mit welchen Arbeitsverfahren werden Texte produziert, was ist berufliches Erfahrungswissen im engeren Sinne? Hierzu gehören auch Reflexionen eines „native speaker“ über den EGbezogenen Sprachgebrauch in seiner Muttersprache. Auskünfte dieses Typs gehen im wesentlichen ungeprüft in unsere Beschreibung der Kommunikationsbedingungen ein: Sie sind so, wie sie sich den Akteuren darstellen. b) alltagsweltliche Bewertungen mit Tendenz zu stereotypen Wahrnehmungskonstrukten, z.B. auch Zuschreibungen ethnischer Stereotype an Kollegen aus anderen EG-Ländem. Diese können wir natürlich zitieren als Belege, welche Denkmuster das Interaktionsverhalten in einer internationalen Institution wie dem WSA prägen; wir dürfen sie aber nicht undistanziert als Teil unserer eigenen Beschreibung des kommunikativen Kontextes übernehmen. Aus diesen Vorüberlegungen folgt: Interviews sind Verfahren interaktiver Sinnzuschreibung und damit einerseits nicht direkt mit Fragebögen und Antworten zu vergleichen, andererseits informationsreicher als Fragebogen-Antworten. Sie erlauben zwar keine quantitative Auswertung, doch mit konversationsanalytischen Methoden (vgl. Kallmeyer 1988) lassen sich bestimmte Sachverhaltsdarstellungen unserer Gesprächspartner als nicht-idiosynkratisch erkennen, mithin als Beschreibung professionellen Handlungswissens, nach welchen Normen unter institutionell-mehrsprachigen Bedingungen Texte erstellt werden. 55 Aus den Interviews mit Funktionsträgem im Wirtschafts- und Sozialausschuß läßt sich im Hinblick auf institutioneile Kommunikation der akzeptierte Gremienstil in dieser EG-Institution beschreiben sozusagen der kommunikative Normalfall einer Textproduktion unter arbeitsteilig-mehrsprachigen Bedingungen. Vor diesem Hintergrund wird dann beschreibbar, wie die Beteiligten mit dem Problem divergenter Interessen und daraus resultierenden kleinen Kommunikationskrisen umgehen. Es geht damit auch um eine Rekonstruktion, welche Rahmenbedingungen der Textproduktion für die Beteiligten (z.B. WSA-Mitglieder und Beamte seines Generalsekretariats) relevant sind: An welche juristischen Normen sind sie gebunden? Welche Textsorten gibt es und wie sind deren kommunikative Funktionen im gesamten Prozeß der Textgenese? Welche Rolle spielen institutionelle Zwänge? Stellt sich für die Textgenese insbesondere Mehrsprachigkeit als Problem oder als Vorteil dar? Solche Rahmenbedingungen sind für den WSA bislang noch nicht erforscht worden 1 ; wir haben die Informationen hierüber vor allem aus den offenen Fragen unseres Fragebogens und aus den Interviews gewonnen. Die Darstellung muß dabei von idiosynkratischen Einzelfallbeschreibungen auf die musterhaft-strukturellen Bedingungen übergehen. Dieses Kapitel soll weiterhin auch eine Begründung dafür liefern, warum gerade der WSA als linguistisches Untersuchungsobjekt für uns interessant war, warum wir gerade ihn trotz seiner geringen politischen Bedeutung im EG-Rechtsetzungsverfahren für die empirischen Fallstudien ausgewählt haben. Das Ziel der Darstellung kann nicht eine Wiederholung oder Präzisierung politologischer oder juristischer WSA-Analysen sein. 2 Vielmehr soll die 1 Abeies (1992) hat eine erste Ethnographie des Europäischen Parlaments verfaßt. Seine Leitfragen dabei waren: Welche Sitten und Rituale haben Europa-Parlamentarier (die er mit Nomaden vergleicht)? Wie sieht ihre alltägliche Arbeitspraxis aus, und welche Befugnisse haben sie? Dabei beschäftigt er sich in einem Kapitel „Une nouvelle Babel? “ auch mit der Mehrsprachigkeit im Europäischen Parlament. Allerdings fokussiert Abeies nicht Verfahren und Probleme der Textgenese wie in unserer Studie, arbeitet zudem nicht mit konversationsanalytisch aufbereiteten Fallstudien, sondern mit impressionistischen Beobachtungen. 2 Dazu gehören insbesondere (in chronologischer Reihenfolge): Zellentin (1962), Brüske (1979), Schwaiger (1982), McLaughlin (1985), Pochet/ Young (1987), Osbome (o.L), Catling (1991), Gordon Vergara (1991), Brüske (1992). Obwohl die Monographie von Zellentin (1962) über 30 Jahre alt ist, sich auf eine damals erst vierjährige WSA-Arbeitspraxis stützt und natürlich viele Darstellungen überholt sind (z.B. die Zusammensetzung des WSA mit Mitgliedern lediglich aus den 6 EWG-Gründungsstaaten oder Details der Geschäftsordnung, wie eine heute nicht mehr praktizierte erste Befassung mit der Kommissionsvorlage im Plenum als „Generaldebatte“), ist doch die Beschreibung zugrundeliegender Muster der Textgenese („Konsensusbildung“) aktuell. Brüske (1979) als politologisches Standardwerk schildert den WSA als den Ort, an dem nichtweisunggebundene Vertreter der verbandsmäßig organisierten wirtschaftlichen und sozialen Interessen einander begegnen, um Lösungen zu erarbeiten, die durch gegenseitige 56 Darstellung eine ethnographisch-linguistische Perspektivierung des verfügbaren Sekundärmaterials liefern: Was ist wichtig für die an der WSA-Textarbeit Beteiligten, welche Verfahren, Muster, Stereotype, welches Erfahrungswissen gibt es, welche kommunikative Funktion hat das jeweils? Wie nutzen die Beteiligten ihr Handlungswissen, um ihre kommunikativen Aufgaben in dieser Institution erfüllen zu können? Am Ende dieses Kapitels sollen zwei Analysen konkreter Redebeiträge bzw. Äußerungssequenzen aus WSA-Sitzungen vorgeführt werden. Im ersten Fall geht es um einen „typischen“ Debattenbeitrag, mit dem der Sprecher der Normalformerwartung 3 einer umfassenden Erfüllung anstehender kommunikativer Aufgaben entspricht; im zweiten Fall geht es dämm, zu zeigen, wie unter schemasprengenden Sonderbedingungen, hier bei manifester und situativ nicht auflösbarer Interessendivergenz, der strittige Punkt ausgeblendet wird. 3.2 Zusammensetzung und Aufgaben des WSA Der WSA besteht seit 1958 als konsultatives Gremium auf der Grundlage der Artikel 193 - 198 EWG-Vertrag; er setzt sich laut diesem EWG-Gründungsvertrag aus „Vertretern der verschiedenen Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens“ (Art. 193 EWGV) zusammen. Danach wird der WSA als eine „Ständekammer“ nach einem doppelten Proporz von Nationalitäten und von als relevant erachteten Gruppen gebildet: - Von den derzeit 189 Mitgliedern stellen die „großen“ Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien je 24, Spanien 21, Belgien, Griechenland, die Niederlande und Portugal je 12, Dänemark und Irland je 9 und das kleinste EG-Land Luxemburg 6. - Den Fraktionen in Parlamenten sind die „Gruppen“ vergleichbar, in denen sich die Vertreter von gesellschaftlichen Gruppen („intermediären Kräften“) organisieren: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und sog. „verschiedene Interessen“ (u.a. Handwerker, Landwirte, Verbraucher, Freiberufler). Den aus dem „sozialen Dialog“ oder der konzertierten Aktion“ in Deutschland bekannten ersten beiden Gruppen wird im WSA mithin eine eher disparate dritte Gruppe zugeordnet, die allerdings die Konsensbildung fördert, weil sie eine direkte Konfrontation und Polarisierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vermeiden hilft. Kompromisse einer am europäischen Gemeinwohl orientierten Abstimmung der allseitigen Belange den Weg ebnen sollen. Brüske stuft zu einer Zeit, in der der WSA politisch an Terrain verlor (Direktwahl des Europäischen Parlaments! ), die Funktion des WSA als einer unentbehrlichen Entscheidungshilfe hoch. Catling (1991) und Brüske (1992) sind Kurzdarstellungen des WSA in Handbüchern zur europäischen Integration. 3 Normalformerwartungen sind nach Cicourel (1975, 33f.) Annahmen von Gesellschaftsmitgliedem, daß jede Kommunikation in einen Korpus gemeinsamer Kenntnisse eingebettet ist, als Voraussetzung für Sinnzuordnungen. 57 Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am 25. März 1957 in Rom unterzeichnet, daher meist kurz als einer der „Römischen Verträge“ bezeichnetnimmt an vier Stellen auf den Wirtschafts- und Sozialausschuß Bezug: - Artikel 4, Absatz 2: „Der Rat und die Kommission werden von einem Wirtschafts- und Sozialausschuß mit beratender Aufgabe unterstützt.“ - Artikel 193: „Es wird ein Wirtschafts- und Sozialausschuß mit beratender Aufgabe errichtet. Der Ausschuß besteht aus Vertretern der verschiedenen Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, insbesondere der Erzeuger, der Landwirte, der Verkehrsuntemehmer, der Arbeitnehmer, der Kaufleute und Handwerker, der freien Berufe und der Allgemeinheit.“ - Artikel 196: Der Ausschuß „gibt sich seine Geschäftsordnung; sie bedarf der einstimmigen Genehmigung des Rates.“ - Artikel 198: „Der Ausschuß muß vom Rat oder der Kommission in den in diesem Vertrag vorgesehenen Fällen gehört werden. Er kann von diesen Organen in allen Fällen gehört werden, in denen diese es für angebracht halten. Wenn der Rat oder die Kommission es für notwendig halten, setzen sie dem Ausschuß für die Vorlage seiner Stellungnahme eine Frist; diese beträgt mindestens zehn Tage, vom Eingang der Mitteilung beim Präsidenten des Ausschusses an gerechnet. Nach Ablauf der Frist kann das Fehlen einer Stellungnahme unberücksichtigt bleiben.“ (Textsammlung 1986, Teil 1,1-3) Diese Artikel definieren den WSA als nur begrenzt autark er entwickelt zwar seine Geschäftsordnung, kann sie aber nicht selbst in Kraft setzen. Dies ist ein Indiz dafür, daß nach den Römischen Verträgen der WSA nicht als „Organ“ der Gemeinschaft wie Kommission, Ministerrat und Parlament gilt. Zwischen „Organ“ und „Institution“ wird dabei unterschieden; der „Organ“- Status bemißt sich danach, ob durch den Vertrag zugewiesene Aufgaben wahrgenommen werden (= Organ) oder ob die Organe mit beratender Aufgabe lediglich unterstützt werden (= Institution). Der WSA kann durch Fristversäumnis seine aktive Rolle im Rechtsetzungsverfahren einbüßen; er muß seine Stellungnahme auf jeden Fall abgeben, bevor der Rat entscheidet, da sie sonst Makulatur wird. Die Anhörung als eine Rechtsgrundlage der Stellungnahmen des Ausschusses ist in einer Art „Gummiparagraph“ geregelt: über einen definierten Kembereich hinaus ist eine Anhörung möglich, aber nicht obligatorisch. 4 Die Funktion und Bedeutung der WSA-Stellungnahmen im EG-Rechtsetzungsverfahren ist mithin durch die Römischen Verträge nicht präzise gere- 4 Die Textsammlung (1986, 13-15) enthält in ihrem Teil I eine Zusammenstellung der Fälle, in denen der EWG-Vertrag die Anhörung des Ausschusses vorsieht. 58 gelt. Die fakultative Anhörung konstituiert einen Freiraum, in dem der WSA zwar nicht verpflichtend befaßt wird, er aber doch versuchen kann, in Verhandlungen mit der Kommission seinen Einfluß geltend zu machen. Die WSA-Mitglieder werden nicht wie die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in allgemeinen Wahlen gewählt, sondern vom EG-Ministerrat auf vier Jahre ernannt; der Rat stützt sich dabei auf doppelte Vorschlagslisten der Regierungen der EG-Mitgliedstaaten und kann die EG-Kommission und die maßgeblichen europäischen Verbände dazu anhören. Der Präsident und das Präsidium werden vom gesamten Ausschuß für eine zweijährige Amtsperiode gewählt. Der WSA hat eine Reihe von spezialisierten Fachgruppen, von denen zwei (Landwirtschaft und Verkehr) ausdrücklich im EWG-Vertrag vorgesehen sind; die anderen betreffen die Bereiche Energie; Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen; Sozialfragen; Wirtschafts- und Finanzfragen; Umwelt; regionale Entwicklung, Raumordnung und Städtebau. 5 Diesen thematischen Gruppen ordnen sich die Mitglieder nach Beruf, Wissen und Neigung selbst zu. Die Mitglieder werden als Personen ernannt und sind nicht durch ein imperatives Mandat gebunden. Ihr Expertenstatus gründet sich u.a. auf ihre persönlichen professionellen Qualitäten, ihr Erfahrungswissen und das Netzwerk der repräsentierten Organisationen. Die meisten Mitglieder sind nur zu den Sitzungen in Brüssel anwesend. Einerseits haben die WSA-Mitglieder somit ein „loses Mandat“, d.h. sie sind nicht weisungsgebunden; andererseits wird von ihnen erwartet, daß sie nicht subjektiv ihre Meinung äußern, sondern die ihres Verbandes in einen Konsensfindungsprozeß einbringen. Francis Whitworth, ein englisches WSA-Mitglied, „Past Director of the International Shipping Federation“ und „Chairman of the Merchant Navy Officers’ Pension Fund“, hat diese Ambivalenz im Interview auf die Formel gebracht: „I mean I do look at these things as an individual inevitably conditioned by my whole background and experience [...] and, I mean you do not work for twenty years in industrial relations in the shipping industry if you don’t broadly believe that the employer’s view, which you will be formulating and developing has a lot of justification. So somebody from my background is scarcely likely to turn round and give undivided support to some proposal produced by the trade unions, although we have common ground on many issues. I am not, if you like, dictated to by any of these affiliations I may be conditioned by.“ 5 Für Stellungnahmen im Bereich der EG-Außenpolitik wird der WSA mithin nicht durch EWG-Vertrag legitimiert; gleichwohl gibt es eine Fachgruppe „Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik“, in der z.B. auch die Stellungnahme zu den „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ (s. Kapitel 6) entstanden ist. Die strittige Zuständigkeit des WSA für Stellungnahmen in diesem Bereich scheint bei der Textarbeit ein Topos zu sein (vgl. Kapitel 6.5.1), über den WSA-Mitglieder ihr Gremium definieren. 59 Diese doppelte Loyalität ist prototypisch für die mehrfachen Ambivalenzen, die die Normalform des im WSA akzeptierten Gremienstils konstitutieren. Diese teils widersprüchlichen Doppel-Orientierungen stecken den Spielraum bei der Wahl eines geeigneten Interaktionsstils ab, können aber im Konfliktfall auch zu Zwickmühlen führen: (1) Professionalität gegen ehrenamtliche Nebentätigkeit; (2) Konsensprinzip gegen Wirksamkeit der Stellungnahme; (3) schriftsprachliche gegen umgangssprachliche Prägung von Debattenbeiträgen. 3.2.1 Professionalität gegen ehrenamtliche Nebentätigkeit WSA-Mitgliedschaft ist ein Ehrenamt, WSA-Mitglieder bekommen nur Aufwandsentschädigungen und reisen jeweils zu den Sitzungen an. So unterscheiden sie sich ebenso wie die Europa-Parlamentarier von den „Bürokraten“, also den Beamten der EG-Institutionen, u.a. dadurch, daß Fremdsprachenkenntnisse keine Zugangsvoraussetzung sein dürfen. Andererseits handelt es bei den WSA-Mitgliedem in der Regel um Verbandsfunktionäre mit langjähriger professioneller Erfahrung in internationaler Gremienarbeit. 3.2.2 Konsensprinzip gegen Wirksamkeit der Stellungnahme In erster Linie hat der WSA die Aufgabe, Stellungnahmen nach sogenannter „Befassung“ durch die EG-Kommission abzugeben, d.h. wenn diese in einem relativ genau definierten Gesetzgebungsbereich den Vorschlag für einen Rechtsakt (Verordnung oder Richtlinie) herausgegeben hat. Innerhalb einer gesetzten Frist sollen dann im „Konsultationsverfahren“ WSA und Europäisches Parlament Stellung nehmen. Der WSA versteht sich somit als Indikator, der der EG-Kommission vermittelt, welche der von ihr vorgeschlagenen Gesetzesvorhaben aufgrund eines breiten Konsenses und einer Akzeptanz bei den Betroffenen tatsächlich durchführbar sind. Konsenssuche als EG-Arbeitsprinzip ist nun freilich weder Spezifikum des WSA noch exotisches Merkmal einer im EG-Rahmen randständigen Gremienarbeit, sondern nach Rosenthal/ Puchala (1978) aus politologischer Sicht allgemein für EG-Entscheidungsverfahren kennzeichnend: „Consensus-building is both the goal and the essence of policymaking in the European Communities. Since no participant or coalition has the capacity to effectively coerce others, and since EC authorities have limited means of enforcing compliance from national governments, whatever collaborative outcomes emerge form Community policymaking, and whatever collective behavior follows, are largely the results of consensus.“ (Rosenthal/ Puchala 1978, 55) 60 Vier Systemebenen erzeugen in der EG Konsens: (a) das System der Römischen Verträge, (b) das Konzertierungsverfahren, (c) Gipfeltreffen und (d) das System politischer Kooperation. Nach dem System der Römischen Verträge dominiert die EG-Kommission: Als supranationaler Repräsentant der „Bürokratie“ agiert sie im Sinne der Vertragsziele und wacht über „europäische“ Interessen. Dabei ergreift die Kommission politische Initiativen, verteidigt ihre Vorschläge und fördert deren Umsetzung. Zugleich handelt sie als Vermittlerin zwischen nationalen Interessen und Schlichterin zwischen internationalen Streitfällen und Konfrontationen. Im System der Römischen Verträge wird Konsensfindung auf Gremienarbeit orientiert betrieben, d.h. durch anhaltende und umfassende Konsultation aller betroffenen Gruppen und durch Kumulation von Zustimmung im Übergang von den weniger kontroversen Fragen zu den kontroverseren und von niedrigeren zu hierarchisch höheren politisch-verwaltungsmäßigen Ebenen. In diesem System organisiert eine Vielzahl von Komitees und Koordinationsgruppen eigenständig die Bürokratie oder ist daran beteiligt. Diese Gruppen integrieren fortschreitend zunächst einzel- und dann zwischenstaatliche Positionen (nach Rosenthal/ Puchala 1978, 55f.). Für das Konzertierungsverfahren ist eine bestimmte Dauer unabdingbar, so daß die beteiligten Staaten ihre Ausgangspositionen revidieren und damit aktiv zu einem Konsens beitragen können, anstatt überstimmt zu werden: „[...] the Concert System frequently prolongs the discussion of issues over months and years, basically to allow consensus to congeal, and to permit unfavorable national political conditions to dissipate. In essence, the Concert System functions to permit the redefinition of national interests, and this is sometimes imperative for consensus-building.“ (Rosenthal/ Puchala 1978, 57) Konsenssuche auf Gipfeltreffen („summitry“) zielt auf Verbesserung von Zusammenarbeit und Einheit, bietet dabei Gelegenheit, einen „philosophischen“ Konsens zu demonstrieren, wenn praktische Probleme nicht unmittelbar gelöst werden können. Solche Gipfeltreffen sind zudem nützlich zur Demonstration von Aktivität, wenn das für einen Kooperationsimpuls notwendig ist (Rosenthal/ Puchala 1978, 57). Das letzte der von Rosenthal und Puchala beschriebenen Verfahren zur Konsensfindung ist politische Zusammenarbeit: "[...] consensus-building via Political Cooperation follows in some measure from the small group dynamics generated during the interactions of similarly experienced and stationed officials who have learned to communicate intimately under relaxed conditions.“ (Rosenthal/ Puchala 1978, 58) Das hat strukturelle Ähnlichkeit mit der Arbeitsteilung im WSA: Studiengruppen wirken als interne Zirkel von WSA-Mitgliedem, die sich als Experten für das fragliche Thema definieren und im Schutz der Vertraulichkeit 61 dieser Sitzungen unproblematischer mit Konfliktthemen umgehen können als halböffentlich im Plenum (vgl. Kapitel 3.3.1). Langsamkeit und strukturelle Vielfalt des EG-Entscheidungsverfahrens sehen Rosenthal und Puchala nicht als kritikwürdige Punkte oder Schwächen der EG, sondern als strukturell notwendig und sinnvoll an. Freilich bringt dieses Verfahren auch Nachteile, die in einer Art von Kosten-Nutzen-Rechnung gegeneinander abgewogen werden müßten: Der weitgehende Verzicht auf Hegemonie wird erkauft durch einen Verzicht auf die Fähigkeit zum schnellen Krisenmanagement. 6 Rosenthal und Puchala schreiben die Belastbarkeit des gesamten Gebäudes („edifice“) der westeuropäischen politischen Zusammenarbeit im wesentlichen der Tatsache zu, daß Entscheidungsverfahren in der EG im Schneckentempo vorangehen, weil nur dann eine internationale Konsensfindung möglich sei. Der WSA wird bei Rosenthal/ Puchala nicht erwähnt, weil er für die Entscheidungsverfahren in der EG weniger relevant ist. Ihre Beobachtungen zu Strukturen und konstitutiven Merkmalen dieser Entscheidungsverfahren sind aber auf den WSA übertragbar, wenn man ihn als „Mikrokosmos“ ansieht, also nicht seine geringe Relevanz im EG-Rechtsetzungsverfahren, sondern die Maximen und Verfahren fokussiert, mit denen er seine Aufgaben erfüllt. Dazu gehören z.B. die institutionelle Arbeitsteilung und Subgliederung im Textgeneseverfahren in Berichterstatter, Studiengruppe, Fachgruppe und Plenum sowie das Konsensprinzip. Dieses Prinzip verringert freilich die Aussagekraft seiner Stellungnahmen: Kampfabstimmungen zu strittigen Punkten sind verpönt und nur bei Stellungnahmen zu sozialen Themen unvermeidlich und gängig: Dort schlagen sowohl verfestigte Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als auch unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten vor allem zwischen Briten und dem Rest der Gemeinschaft, ob eine ausgebaute EG- Sozialpolitik überhaupt wünschenswert ist, durch. Pointierte Bewertungen sind meist gebunden an spezifische Interessen und damit dysfunktional, wenn eine breite Zustimmung angestrebt wird. 6 „[...] An important key to this adaptiveness in EC decisionmaking has been its abundance of consensus-building capacity. Only rarely in EC experience have all four decisional systems been blocked simultaneously. Also important has been the unhurried pace of EC decisionmaking. It is true that none of the EC decisional systems operate very well under strong pressures for immediate action, and none function very effectively in the context of crisis. Still, the virtue of all of them is that they force extended consultation and negotiation, they are hospitable to delays, inasmuch as postponements are not taken as breakdowns, and they almost never force participants into domestically or internationally untenable poliücal positions.“ (Rosenthal/ Puchala 1978, 59f.) 62 Wir haben unterschiedliche Meinungen gehört, wie das Dilemma zwischen den tendenziell widersprüchlichen Maximen „Konsensfindung“ und „Pointierung“ konkret zu lösen ist. Dazu geben wir im folgenden einige Beispiele: Auf die Frage, ob für WSA-Stellungnahmen das Konsensprinzip oder eine Artikulation divergenter Meinungen präferiert werden sollen, spricht sich Klaus Meyer-Horn, deutsches WSA-Mitglied in der Gruppe der Arbeitgeber und Generalsekretär des Europäischen Sparkassenverbandes mit Sitz in Brüssel, dafür aus, bestehende Meinungsverschiedenheiten nicht durch Ausklammerung zu verdunkeln. Er setzt dazu die Zweckbestimmung von WSA-Stellungnahmen, ihren Adressatenbezug und die Brauchbarkeit für die EG- Kommission und den Ministerrat dominant: „Ich meine, es kommt darauf an, daß man deutlich Stellung nimmt, natürlich mit der Folge, daß eine Minderheit, vielleicht sogar eine bedeutungsvolle Minderheit nicht zustimmt und dann deren Meinung ja, wie es die Satzung will, wenn es genug sind, im Anhang wiedergegeben wird. Ich glaube, damit kann die Kommission, kann der Ministerrat sehr viel mehr anfangen als mit einer Stellungnahme, bei der von Anfang an darauf geachtet wurde, möglichst den vollen Konsens zu bekommen, und wo dann alles reingenommen wurde erst und dann, wenn sich Widerstand zeigte, das dann alles wieder rausgestrichen wurde, und das hab ich ein paarmal erlebt. Die Stellungnahme wurde immer umfangreicher, und dann wurde sie wieder ganz wenig, weil jedesmal: ,Das muß rausgestrichen werden“, ,nein, das muß drin“, ,nein, das muß noch verstärkt werden“, ,also ich schlag vor, wir streichen den ganzen Absatz"bravo“. Und wenn dann ein Absatz nach dem anderen gestrichen wird, dann bleibt wirklich nichts mehr übrig, nicht? Dann mag vielleicht noch Text übrigbleiben, aber inhaltlich ist nichts mehr drin, und ich meine, was hat das für einen Sinn, Stellung zu nehmen, wenn man nicht sagt: ,Das ist falsch, und da fehlt etwas, und das müßte anders formuliert werden“, und auch wenn man sich dann bei diesen Bemerkungen nicht ganz einig ist, da kann man sich nicht immer einig sein.“ Bei diesen Interessendivergenzen konstatiert Meyer-Horn unterschiedliche Lagerbildungen im WSA: Nord gegen Süd, Arbeitgeber vs. Arbeitnehmer; solche Koalitionen hält er aber für relevanter als die nationalen. Der Leiter der dänischen Übersetzungsabteilung im WSA, Tom Feilberg, meint gar, der WSA sei „weitgehend ein Sprachrohr, ein Lautsprecher für mediterrane Interessen“ geworden. Derartig gehäufte „Mittelmeerstandpunkte“ hätten ihm sogar ein Managementproblem beschert, weil sie häufig durch italienische Textoriginale repräsentiert worden seien denn es habe in seiner Abteilung lange Zeit niemanden gegeben, der aufgrund seines Deputates verpflichtet war, direkt vom Italienischen ins Dänische zu übersetzen, so daß man sich mit qualitativ bedenklichen Relaisübersetzungen über eine „lingua franca“ wie Französisch oder Englisch habe behelfen müssen. In einem Katalog theoretisch denkbarer Interessengegensätze im WSA (Gruppen: Arbeitgeber vs. Arbeitnehmer, also Konfrontationen zwischen den Sozialpartnern; Großregionen: Nord gegen Süd; große gegen kleine Länder; einzelne Staaten gegeneinander) wird nationalen Gegensätzen eine unterge- 63 ordnete Rolle zugeschrieben, was auch aus dem geringen Grad institutioneller Organisiertheit nationaler Gruppen deutlich wird. Zellentins Beschreibung von 1962 ist unverändert gültig: „Bezeichnenderweise haben die nationalen Delegationen, obwohl sie vertraglich fixiert sind, [...] bisher keinerlei Anstalten gemacht, sich ähnlich wie die Interessen-,fraktionen‘, zu institutionalisieren.“ (Zellentin 1962, 165) Das gilt insbesondere für die Deutschen: „Als sehr unkohärent wurde die deutsche Delegation bezeichnet. [...] Einige befragte WSA-Mitglieder führten die geringe nationale Solidarität darauf zurück, dass die Deutschen, deren Wirtschaftspotential im Gemeinsamen Markt ein so starkes Übergewicht hat, sich scheuten, geschlossen aufzutreten, um nicht den Anschein einer Hegemonialstellung zu erwecken. Nicht zuletzt ist aber die mangelnde Geschlossenheit auf die [...] Kluft zwischen den Sozialpartnern zurückzuführen.“ (Zellentin 1962,166) Diese Zuschreibung erinnert an das gängige Stereotyp in der sprachpolitischen Debatte bei der Frage einer Vermehrung der Zahl tatsächlich praktizierter Arbeitssprachen in den EG-Institutionen: Die Deutschen würden sich scheuen, ihre Sprache als EG-Arbeitssprache zu fördern, um sich angesichts ihrer ohnehin vorhandenen wirtschaftlichen Hegemonie nicht auch noch dem Vorwurf sprachlichen Hegemoniestrebens auszusetzen. 7 Whitworth betont das Arbeitsprinzip von Interessenausgleich und Kompromißfindung. Die divergenten Interessen müssen nicht notwendig zwischen den WSA-Gruppen (z.B. Arbeitgeber und Arbeitnehmer) bestehen; bei der WSA-Stellungnahme „Die Maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (vgl. im einzelnen Kapitel 5), auf die er im Interview angesprochen wird, handelt es sich um Interessendivergenzen zwischen verschiedenen Industriesparten im selben industriellen Sektor, nämlich Werften und Reedern: Die Reeder opponieren gegen die EG-Subventionen für Werften, weil diese die Situation der Übertonnage verschärfen. In einer solchen Frage sei aber eine Kompromißfindung möglich, wie auch die konkrete Studiengruppenarbeit gezeigt habe: „[...] the shipping interests are very much opposed to the Community subsidising shipbuilding activities because it will only exacerbate the over tonnaging situation. So one’s 7 So stellt Helmut Schmidt in einem „Tagesthemen“-Interview am 8.1.1992 fest, es gebe Sorgen vor deutscher Hegemonie, was an deutschen „Ungeschicklichkeiten“ liege. Der Forderung, die deutsche Sprache müsse gleichgewichtig mit anderen sein, weist Schmidt eine untergeordnete Relevanz zu: „Die Punkte, die jetzt im Augenblick eine Rolle in den Zeitungen spielen, die Vorstellung, daß die deutsche Sprache nun genau so wichtig genommen werden soll wie alle andern als ob es darauf ankäme; unsere Leute müssen sowieso alle Englisch sprechen! “ Rudolf Augstein unterstellt eine französische Furcht vor deutscher Hegemonie, indem er die Maastrichter Verträge als Schutzmittel interpretiert: „Aus einer französisch dirigierten EG sollte ein französisch dirigiertes Europa werden.“ („Gute Europäer, alle“, Der Spiegel 30, 26.7.1993, S. 20). Zum Problem der (sprachlichen) Hegemonie vgl. auch La Gueriviere (1992) und Burkert (1993). 64 got to find a balance and a compromise and I think that was reasonably well achieved. There weren’t a lot of sort of black and white issues, which you get very much in the social matters, you know where the trade unions say one thing and the employers say another or anything like that.“ Auf die Frage, ob bei sozialpolitischen Themen das Konsens- und Kompromißpotential im WSA generell beschränkt sei, differenziert der niederländische Gewerkschafter Tom Etty: Bei Stellungnahmen zu sachorientierten, auf nationaler Ebene noch nicht ausdiskutierten Themen (z.B. „Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz“) seien vernünftige Kompromisse möglich. Europäische Sozialpolitik sei hingegen bei den Arbeitgebern unpopulär und werde unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip abgelehnt. „Konsensprinzip“ und „Wirksamkeit“ können mithin konfligierende kommunikative Intentionen bei der Abfassung von Stellungnahmen sein. Kompromisse für einen möglichst breiten Konsens zwischen divergierenden partikularen Interessen lassen sich durch Beschränkung auf konsensfähige Themen(aspekte), den Gebrauch von Gemeinplätzen und Leerformeln sowie durch Verzicht auf Detaillierung erzielen. Dem entgegen steht eine Orientierung auf aussagekräftige, pointierte Texte, die die Adressaten beeindrucken und im Sinne der Stellungnahme bei der Überarbeitung eines Rechtsaktvorschlags beeinflussen können. Mittel dazu sind der Verzicht auf Kompromißformeln um jeden Preis, eine Imagearbeit an der Aufwertung der eigenen Institution und der Nachweis von Expertentum durch faktenreiche Sachverhaltsdarstellungen. 3.2.3 Schriftsprachliche gegen umgangssprachliche Prägung von Debattenbeiträgen Das Verfahren der Textgenese besteht im wesentlichen aus schriftlich vorbereiteter und mündlich praktizierter Metakommunikation zu schriftlich vorliegenden Texten und deren Vorentwürfen: In den Sitzungen referiert der Berichterstatter die Vorlage der Kommission und seinen eigenen Entwurf für eine Stellungnahme. Dazu gibt es eine allgemeine Aussprache, schließlich wird Punkt für Punkt abgehandelt, gegebenenfalls mit Änderungsanträgen. Das bringt mit sich, daß mündliche Argumentation stark durch schriftsprachliche Muster überformt wird. Statements werden mehr oder weniger explizit schriftlich vorbereitet, aus Texten wird zitiert, Positionspapiere von Verbänden werden argumentativ verarbeitet, eingeführte Fachterminologie wird übernommen kurz gesagt: Spontanes Formulieren wird ausgeblendet. Andererseits gibt es Beziehungsarbeit, Verfahren zur Behebung von Interaktionskrisen und Formen abkürzender Referenzherstellung, in denen gerade demonstrativ Distanz zu schriftlichen Vorlagen hergestellt wird. Ein Beispiel: Ein deutsches Mitglied gewichtet in einer Studiengruppen-Debatte über die „künftige Erweiterung der Gemeinschaft“ die damit verbundenen Probleme mit den Worten: 65 „wir müssen zwei Punkte * bereits in diesem Jahr/ *** lösenwenn wir dreiundneunzig mit den Beitrittsverhandlungen beginnen wollen\ und das ist die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament/ *** und das ist die Rolle der Kommission und die Zahl der Kommissionsmitglieder- [...] die Kommission kann nicht verhandeln/ wenn mit diesen neuen Beitrittsländem/ wenn nicht diese beiden institutionellen Fragen vorher geklärt sind\ alles andere- Amtssprachen und pipapo da gibt es ja viele Fragendas können Sie später-“ 8 Durch das inklusive „wir“ definiert sich das WSA-Mitglied als relevanten Mitspieler im institutionellen Geschehen der EG, benutzt diese Perspektive auch mit abstrahierenden Zitaten aus Textvorlagen wie „Rolle der Kommission“ und „institutioneile Fragen“, durch die in diplomatischer Weise nur ein semantischer Rahmen abgesteckt, aber eine präzise Denotation vermieden wird. Umso größer dann der Kontrast zu einem umgangssprachlichen, abwertenden und abkürzenden „pipapo“! Ein typisches Register mündlicher Kommunikation ist auch die Beziehungsarbeit, wie sie etwa am Beginn der allgemeinen Aussprache manifest wird; darauf kommen wir in der ersten Einzelanalyse zurück (vgl. Kapitel 3.12). 3.3 Normierungen und informelle Verfahren für die Textproduktion Die Erarbeitung einer Stellungnahme ist einerseits verfahrensmäßig normiert durch die WSA-Geschäftsordnung und weitere sog. „Anordnungen des WSA- Präsidiums“. Das bedeutet: Es gibt ein festgelegtes und einklagbares Verfahren zur Ausarbeitung einer Stellungnahme (vgl. die 3 Graphiken „Genese einer WSA-Stellungnahme“, „Arbeitsweise in Studiengruppen“ und „Behandlung einer Stellungnahme im WSA-Plenum“). Das Verfahren läuft nach einer PR-Selbstdarstellung des WSA im allgemeinen so ab: „1. Das Stellungnahmeersuchen wird dem Ausschußpräsidenten meist vom Rat bzw. in manchen Fällen auch von der Kommission übermittelt. 2. Das Präsidium des Ausschusses bestimmt nach Anhörung der Fachgruppenvorsitzenden die für die Vorbereitung des Ausschusses zuständige Fachgruppe. 3. Die Fachgruppe bildet aus ihrer Mitte eine Studiengruppe (mit durchschnittlich 12 Mitgliedern) und bestellt einen Berichterstatter, der von Sachverständigen (meistens vier) unterstützt wird. 9 Wirtschafts- und Sozialausschuß, Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik: 3. Sitzung der Studiengruppe „Erweiterung der Gemeinschaft“ (Initiativ-Stellungnahme), 17.7.1992. 9 „Jede fachliche Gruppe wählt einen Berichterstatter, der von der Arbeitsgruppe unterstützt wird; um ihn konzentriert sich die Arbeit der Fachgruppe. Seine Wahl ist bereits bedeutsam für den Gang der Arbeiten, weshalb ihr bei wichtigen Stellungnahmen besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Auch die Besetzung dieser .neutralen* Position erfolgt nach den Kriterien der .Ausgewogenheit*.** (Zellentin 1962, 147) Wirtschafts- und Sozialausschuß, Genese einer Stellungnahme 66 Arbeitsweise in WSA-Studiengruppen 67 - Dolmetscher Behandlung einer Stellungnahme im WSA-Plenum 68 Zusatztexte: InformationsvermerK Protokoll, Veröffentlichung der Stellungnahme im Amtsblatt 69 4. Auf der Grundlage der Arbeiten der Studiengruppe nimmt die zuständige Fachgruppe mit einfacher Mehrheit eine Stellungnahme an und übermittelt sie dem Ausschußpräsidenten. 5. Das Ausschußplenum verabschiedet seine Stellungnahme mit einfacher Mehrheit auf der Grundlage der von der zuständigen Fachgruppe vorgelegten Stellungnahme. 6. Die Stellungnahme des Ausschusses wird dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament übermittelt und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.“ 10 Die Wahl eines Berichterstatters stellt sich so als wichtiger und vorentscheidender Akt für die Textgenese dar, weil sie die Tendenz der Stellungnahme vordefinieren kann. Die Wahl eines Berichterstatters findet zum einen „offiziell“ vor den Kulissen im Rahmen von Fachgruppensitzungen bzw. Sitzungen des Fachgruppenpräsidiums statt, zum anderen ist sehr zu vermuten, daß sie „hinter den Kulissen“ nach Proporzgesichtspunkten ausgehandelt wird. Dieses Verfahren kennt zwei Dimensionen bei der Beschreibung der Genese von WSA-Stellungnahmen: a) eine Abfolge von Textfassungen und b) eine Abfolge von Gremien, die sich mit den Textentwürfen beschäftigen. Das Verfahren ist gekennzeichnet durch eine institutioneile Untergliederung in Studiengruppen, Fachgruppen und das Plenum, Arbeitsteilung (z.B. Berichterstatter als zentral Textverantwortlicher; besondere fachliche Kompetenzen und Hilfsfunktionen für externe Sachverständige; Entlastung der WSA-Mitglieder von allen vor- und nachbereitenden Arbeiten wie Übersetzung und Übermittlung der Texte durch Sekretariat und Übersetzungsdienst) und hierarchisch gegliederte Phasen: Für einzelne Stellungnahmen zuständig sind jeweils „Fachgruppen“, die die Politikbereiche abdecken, mit denen sich der WSA beschäftigt. Bevor sie eine Stellungnahme verabschiedet und dem monatlich tagenden WSA-Plenum vorlegen kann, muß die Fachgruppe die eigentliche Textarbeit aus arbeitsökonomischen Gründen an Studiengruppen delegieren. Studiengruppen beschäftigen sich in drei Sitzungen mit Textentwürfen. Hier werden am intensivsten globale Aussagen des Textes und einzelne Formulierungen mit einer kleinen Zahl sachkundiger Mitglieder und für das jeweilige Thema engagierter Experten ausgehandelt. Nichtöffentlichkeit dient dabei als Schutz: Eine freie Aussprache wird nicht durch strategische Mitberücksichtigung der Rezeption bei Zuhörern und Medien behindert. 10 „Eine für das europäische Einigungswerk unverzichtbare Institution. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europäischen Gemeinschaften“, Prospekt o.J., S. 30. Eine „Anmerkung“ dazu („Die Stellungnahmen des Ausschusses sind unabhängig von der Rechtsgrundlage der Befassung (obligatorische oder : kultative Befassung) für den endgültigen Beschluß des Rates juristisch notwendig“) versucht, die WSA-Stellungnahme juristisch hochzustufen und verdeckt so, daß ihr Inhalt nicht akzeptiert bzw. in einer geänderten Kommissionsvorlage berücksichtigt zu werden braucht. 70 Studiengruppen sind allerdings nicht abstimmungsberechtigt, Änderungswünsche zum Text werden in Form von Anregungen an den Berichterstatter herangetragen; ihre Berücksichtigung kann nicht formell eingefordert werden." Auch für die Form und Behandlung von Änderungsanträgen in den Fachgruppen- und Plenarsitzungen gibt es Formvorschriften: Sie sind schriftlich einzureichen und zu begründen, vor allem damit sie rechtzeitig vom hauseigenen Übersetzungsdienst in alle Amtssprachen übersetzt und den Mitgliedern in ihrer Muttersprache vorgelegt werden können. Dieses Verfahren dient dazu, eine effiziente Textarbeit abzusichem. Wir haben beobachtet, daß ein niederländisches WSA-Mitglied in einer Studiengruppensitzung mit einem mündlich auf englisch vorgetragenen Änderungswunsch nicht durchkam, mit seinem schriftlich mit Begründung eingereichten, in alle EG-Sprachen übersetzten und mündlich in der Muttersprache begründeten Änderungsvorschlag mit Aussprache in der Fachgruppe aber Erfolg hatte. Dafür gibt es nach Ansicht seines niederländischen Kollegen Etty zwar unterschiedliche Erklärungen; in jedem Fall aber sieht er bessere Chancen für rechtzeitig schriftlich eingereichte Änderungsvorschläge in der Fachgruppe, die von den anderen Mitgliedern so gründlicher rezipiert werden können. Gerade komplexe Änderungsvorschläge, die nur mündlich vorgetragen werden (z.B. wegen Fristversäumnis für die schriftliche Einreichung), können dagegen Kollegen verärgern, weil sie nicht hinreichend genau für eine Behandlung in der Sitzung verständlich sind. 3.3.1 Normen für die WSA-Textproduktion Einen genaueren Blick auf die Normen der WSA-Textproduktion ermöglicht die Textsammlung (1986). Die drei Teile dieses Normenbuches sind hierarchisch voneinander abgeleitet und so auch in ihrer Rechtsverbindlichkeit abgestuft: Die Geschäftsordnung legitimiert sich über die EG-Verträge, die Anordnungen des Präsidiums legitimieren sich über die Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung legt die Organisation und die Arbeitsweise des Ausschusses fest, daneben enthält sie allgemeine Bestimmungen. 11 Zellentin (1962, 147) sieht die von ihr so genannten „Arbeitsgruppen“ (heute „Studiengruppen“) als relativ flexibel: „Die kleinen elastischen Arbeitsgruppen sind zwar institutionell von den Fachgruppen abhängig; sie neigen aber dazu, Entwürfe zu beschliessen, die nicht nur einen supranationalen Kompromiss über Minimalanforderungen einer europäischen Politik in diesem oder jenen Bereich, sondern eher eine sachgerechte Lösung des Problems anbieten, die partikulare nationale oder verbandsmässige Sonderinteressen nicht berücksichtigt.“ Diese „Elastizität“ bedeutet: Die Textaushandlung und Konsensfmdung findet in den Studiengruppen mit vertretbarem Aufwand an Zeit, Sitzungen und damit Ressourcen statt, was die Fachgruppe so nicht leisten könnte. 71 Bei der Organisation des Ausschusses beschäftigt sich die Geschäftsordnung vor allem mit den Fachgruppen: Jeder Fachgruppe gehören danach „mindestens 35 und höchstens 72 Mitglieder“ (Textsammlung 1986, Teil n, 5) an. Die Geschäftsordnung eröffnet den WSA-Mitgliedem einen gewissen Spielraum, sich zu Beginn ihrer Mandatsperiode Fachgruppen zuzuordnen: „Mit Ausnahme des Präsidenten muß jedes Mitglied einer Fachgruppe angehören. Kein Ausschußmitglied darf mehr als drei Fachgruppen angehören“ (Textsammlung 1986, Teil II, 5). Die Geschäftsordnung weist primär den Fachgruppen die Verantwortung für die Textgenese zu; dabei zählt sie verschiedene Textsorten auf, ohne an dieser Stelle schon Differenzierungskriterien anzugeben: „Den Fachgruppen obliegt es, zu den Gegenständen, mit denen sie [...] befaßt werden, je nach Fall eine Stellungnahme und erforderlichenfalls den entsprechende (sic! ) Bericht, eine Studie oder einen Informationsbericht auszuarbeiten.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 6). Da Fachgruppen zu groß für eine effiziente Textarbeit sind, wird diese Arbeit institutionell delegiert: „Zur Untersuchung der Gegenstände, mit denen die Fachgruppen befaßt werden, sowie zur Vorbereitung der jeweiligen Dokumente bestellen sie einen Berichterstatter, dem ggf. Mitberichterstatter beigeordnet werden können. Erforderlichenfalls können sie ferner aus ihrer Mitte Studiegruppen (sic! ) bilden, deren Vorsitzenden und Mitglieder sie wählen“ (Textsammlung 1986, Teil II, 6). Die hier als Option dargestellte Bildung von Studiengruppen ist der Regelfall, von dem nur unter Sonderbedingungen abgewichen wird, wenn etwa Zeitdruck durch knappe von Kommission und Rat gesetzte Fristen zu einem kleinen informellen Redaktionsausschuß zwingt, der lediglich aus einem Berichterstatter und zwei weiteren WSA-Mitgliedem besteht. Diese Möglichkeit ist in unserer Fallstudie „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ indirekt relevant: Für diese Stellungnahme gab es keine feste Terminvorgabe; allerdings mußte eine Stellungnahme desselben Berichterstatters zu einem EG-Assoziationsabkommen zeitlich vorgezogen werden. So wurde der Abstand zwischen den Studiengruppensitzungen zum Thema „Baltische Staaten“ ganz unüblich und extrem auf mehrere Monate vergrößert. Die Fachgruppen-Stellungnahme kann Anlagen enthalten; so werden z.B. abgelehnte, aber doch von einer qualifizierten Minderheit befürwortete Änderungsanträge davor bewahrt, ganz unter den Tisch zu fallen: „Der Wortlaut der abgelehnten Änderungsanträge wird unter Angabe des Abstimmungsergebnisses als Anhang beigefügt, wenn sie mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen erhalten haben oder sie einer Gegenstellungnahme gleichkommen.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 12). 72 Danach beschäftigt sich die Geschäftsordnung mit den „vorbereitenden Arbeiten“ (Art. 34), die zum Stellungnahmenentwurf der Fachgruppe führen: „Die Berichterstatter untersuchen allein oder zusammen mit den Studiengruppen im Rahmen der von den Fachgruppen erteilten Weisungen den Beratungsgegenstand und beschaffen und sichten das Material, das als Grundlage für die Stellungnahme und ggf. den Bericht dient; sie stellen die Arbeitsunterlagen zusammen, die dem Vorsitzenden der Fachgruppe übermittelt werden“ (Textsammlung 1986, Teil II, 13). Mithin gegenläufig zum tatsächlichen Ablauf der Textgenese befaßt sich die Geschäftsordnung erst nach den Fachgruppen mit den Studiengruppen. Sie orientiert sich dabei am unterschiedlichen juristisch-institutionellen Status dieser beiden Subgremien: Fachgruppen sind vom EWG-Vertrag vorgesehen, Studiengruppen nicht sie sind bloße Hilfsgremien zur praktischen Bewältigung der Textarbeit. In den folgenden Artikeln 35 bis 44 der Geschäftsordnung werden die Arbeiten des Plenums geregelt, hier zunächst durch eine Klausel zur Arbeitsfähigkeit: „Der Ausschuß ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend bzw. vertreten ist.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 14) Bei allen Plenartagungen, die wir beobachtet haben, wurde die Beschlußfähigkeit aber nie formell bestritten und überprüft. Die herrschende Tendenz zu breiter Zustimmung führt zu Feststellungen des Abstimmungsergebnisses im Protokoll wie „Der Ausschuß verabschiedete seine Stellungnahme mehrheitlich bei x Neinstimmen und y Stimmenthaltungen“ oder gar „Der Ausschuß verabschiedete seine Stellungnahme einstimmig“, die sei es gewollt oder nicht die tatsächliche Abstimmungsbeteiligung verdunkeln. Unter „Abwicklung der Arbeiten“ (Art. 39) wird die reguläre Abfolge von Teilschritten bei der Behandlung eines Stellungnahmenentwurfs im Plenum umrissen: „Der Vorsitzende der Fachgruppe gibt einen kurzen Überblick über das von der Fachgruppe angewendete Verfahren, und der Berichterstatter erläutert die von ihr angenommene Stellungnahme. Im Anschluß hieran findet eine allgemeine Aussprache über den Gegenstand statt, zu dem die Stellungnahme abgegeben werden soll. Das Wort wird den Ausschußmitgliedem erteilt, die sich beim Präsidenten in die Rednerliste eingetragen haben. Nach Schluß der allgemeinen Aussprache verabschiedet der Ausschuß seine Stellungnahme auf der Grundlage der Stellungnahme der Fachgruppe und der gemäß Artikel 40 dazu eingebrachten etwaigen Änderungsanträge.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 15) Für das Verfahren im Plenum ist die Strittigkeit des Textes im bisherigen Verfahren wesentlich. Wenn der Text in der Fachgruppe mit Gegenstimmen 73 verabschiedet wurde oder für das Plenum Änderungsanträge vorliegen, wird er mit Debatte behandelt. 12 Im Fall von Änderungsanträgen (Art. 40) ist in der Regel eine schriftliche Form und die Einhaltung von Einreichungsfristen vorgeschrieben. 13 Eine „weiche“ Formulierung räumt dem WSA-Präsidenten einen Handlungsspielraum bei der Behandlung von Änderungsanträgen ein: „Bei der Prüfung der Änderungsanträge kann der Präsident des Ausschusses im Benehmen mit dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter der zuständigen Fachgruppe dem Ausschuß die für den logischen Zusammenhang des endgültigen Wortlauts erforderlichen Anpassungen vorschlagen.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 16) Der Präsident kann z.B. Kompromißformulierungen vorschlagen, die im Gegensatz zum Originalwortlaut des Änderungsantrags für Berichterstatter und Antragsteller konsensfähig sind. Gemäß Artikel 43 der Geschäftsordnung umfassen die Stellungnahmen des Ausschusses in jedem Fall zwei Teile: „die Einführung, die über die Rechtsgrundlage der Stellungnahme und das bei ihrer Ausarbeitung angewandte Verfahren Aufschluß gibt und die Begründung enthält; einen zweiten Teil, der die Auffassung des Ausschusses zu dem jeweiligen Beratungsgegenstand in seiner Gesamtheit sowie spezifische Bemerkungen zu einzelnen Punkten des Beratungsgegenstandes enthält.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 17) Im Konfliktfall sieht die Geschäftsordnung zwei Möglichkeiten vor, Minderheitenmeinungen in einem Stellungnahmenanhang zu dokumentieren das Minderheitenvotum und den abgelehnten Änderungsantrag; diese Regelung ist analog zu der für die Arbeit der Fachgruppen: „Wenn eine im Ausschuß gebildete Gruppe oder eine in ihm vertretene Interessengruppe des wirtschaftlichen und sozialen Lebens hinsichtlich einer dem Plenum unterbreiteten 12 „Wurde ein Text in der Fachgruppe ohne Gegenstimmen angenommen, so kann das Präsidium unter Zugrundelegung der von dem Vorsitzenden der zuständigen Fachgruppe nach Maßgabe von Artikel 31 übermittelten Informationen dem Plenum die Anwendung eines Abstimmungsverfahrens ohne Debatte vorschlagen. Dieses Verfahren wird vom Plenum angewandt, sofern kein Mitglied dagegen Einwände erhebt.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 15) 13 „Änderungsanträge sind schriftlich abzufassen, von ihren Verfassern zu unterzeichnen und beim Präsidenten vor Eröffnung der Tagung einzubringen. Der Ausschuß kann jedoch zulassen, daß Änderungsanträge vor Eröffnung der einzelnen Sitzungen eingebracht werden, sofern sie von mindestens fünf Mitgliedern unterzeichnet sind. Während der Sitzung können Änderungsanträge nur dann eingebracht werden, wenn sie eine aus den Debatten hervorgehende Änderung des Textes betreffen und von mindestens fünf Mitgliedern unterzeichnet sind. [...] In den Änderungsanträgen ist anzugeben, auf welchen Teil des Textes sie sich beziehen. Sie sind kurz zu begründen.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 16) 74 Vorlage eine abweichende, aber in sich geschlossene Auffassung vertritt, kann ihre Haltung nach Abschluß einer namentlichen Abstimmung über den Beratungsgegenstand in einer kurzen Erklärung dargelegt werden, die der Stellungnahme als Anhang beigefügt wird.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 17) „Der Wortlaut und die Begründung der vom Plenum abgelehnten Änderungsanträge werden mit Angabe des Abstimmungsergebnisses gleichfalls im Anhang zur Stellungnahme wiedergegeben, wenn sie mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen erhalten haben oder wenn sie einer Gegenstellungnahme gleichkommen.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 17) Bei unseren drei vollständigen Fallstudien (vgl. Kapitel 4-6) kommt diese Bestimmung mangels Dissens nicht zum Tragen, wohl aber bei dem „Bericht über die Anwendung der Sozialcharta“ (vgl. Kapitel 7). Schließlich wird in den „Allgemeinen Bestimmungen“ der Geschäftsordnung die Öffentlichkeit der Sitzungen geregelt (Art. 52): „Die Plenartagungen des Ausschusses sind öffentlich [...]. Die übrigen Sitzungen sind nicht öffentlich.“ (Textsammlung 1986, Teil II, 22) Das hat Konsequenzen für den herrschenden Argumentationsstil: Die Nichtöffentlichkeit von Studien- und Fachgruppensitzungen schafft einen Freiraum für die Austragung von Interessengegensätzen, weil Debattenbeiträge tatsächlich an die anderen Anwesenden gerichtet und nicht, wie bei öffentlichen Debatten üblich, sekundär an ein unmittelbar oder über die Massenmedien erreichbares Publikum adressiert sind. Diese Bestimmung wird allerdings durch die Praxis in zweifacher Hinsicht relativiert: - WSA-Plenarsitzungen finden kein großes öffentliches Interesse; auf der „Mezzanine“, der zweireihigen Zuschauertribüne auf der Empore des Plenarsaals, die seltsamerweise nur einen Blick auf die hinteren Reihen des WSA-Plenums, nicht aber auf die Tische von Präsidium und Referenten (Berichterstatter, Fachgruppenvorsitzender) ermöglicht, sitzen allenfalls Vertreter von Verbänden oder spezifischer Interessengruppen bei Tagesordnungspunkten, die in ihr Gebiet fallen, Praktikanten und zufällige Zuschauer, die den WSA als europäische Institution besichtigen. Berichterstatter sind allerdings oft an einer Publizität ihrer Stellungnahmen interessiert, d.h. daß sie nicht nur als WSA-intemes Dokument und im EG- Amtsblatt erscheinen, sondern als eigenständige Publikation mit ISBN- Nummer. - Andererseits gibt es gelegentlich Besucher auf Fachgruppensitzungen; so trafen wir einen Vertreter der österreichischen Botschaft, als es um die Stellungnahme zur „künftigen Erweiterung der Gemeinschaft“ ging. Die monatliche Presseerklärung des WSA-Pressedienstes „WSA-Aktuell“ vermerkt: 75 „Pressevertreter, die an einer Fachgruppensitzung teilnehmen möchten, werden gebeten, sich mit dem Pressedienst in Verbindung zu setzen.“ Die „Anordnungen des Präsidiums“, der dritte Teil der WSA-Sammlung normativer Texte werden durch Artikel 8 Absatz 1 der Geschäftsordnung legitimiert: „Das Präsidium legt im Wege von Anordnungen die Einzelheiten für die Anwendung der Bestimmungen dieser Geschäftsordnung fest.“ In einem Teil, der sich mit der „Organisation des Ausschusses“ befaßt, werden die Aufgaben des WSA-Präsidenten Umrissen: Ihm obliegt die Vertretung des Ausschusses: „Das Wirken des Präsidenten muß dazu beitragen, daß Rolle und Tätigkeit des Ausschusses besser bekannt werden, daß seine Arbeiten größeren Widerhall bei den Gemeinschaftsorganen finden, und ihm mehr Gehör bei den wirtschaftlichen und sozialen Kreisen verschafft wird.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 8) So repräsentiert der WSA-Präsident die Institution: Er hat für ein positives Image zu sorgen und muß die politische Bedeutung des WSA zu steigern versuchen daraus läßt sich freilich auch ablesen, daß Rolle und Tätigkeit des WSA im institutionellen Gefüge der EG nicht unangefochten sind. Wichtig für unsere drei Fallstudien ist die spezielle Zuständigkeit zweier Fachgruppen: a) Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen: u.a. „Industriepolitik und Politik zur technologischen Entwicklung, sofern die Anwendung einen spezifischen Sektor betrifft“ mit Unterpunkt „sektorale Politiken“ (Textsammlung 1986, Teil III, 19), b) Fachgruppe Außenbeziehungen: u.a. „Beitrittspolitik und Assoziierungsabkommen“ (Textsammlung 1986, Teil III, 21). Zur Arbeitsweise des Ausschusses gehört eine ambivalente Rolle der Studiengruppen institutionell subaltern, für die Textarbeit zentral: „Nach Artikel 14 Absatz 3 der Geschäftsordnung ist die Einsetzung einer Studiengruppe eine organisatorische Hilfsmaßnahme. In der Praxis wird davon ausgegangen, daß die Studiengruppen in Anbetracht der spezifischen Merkmale der Zusammensetzung des Ausschusses sehr oft das geeignetste Gremium zur Vorbereitung der Arbeiten der Fachgruppen sind. Dies soll jedoch keineswegs einen Verzicht auf den Alleinberichterstatter und/ oder die Redaktionsgruppe bedeuten. Die Studiengruppen dürfen außer in den vom Präsidium genehmigten Ausnahmefällen nicht zu ständigen Arbeitsorganen werden.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 28) Das heißt: Studiengruppen sind keine institutionell autonomen Gruppen, sondern in ihrer Existenz nur durch einen konkreten Arbeitsauftrag (Vorbereitung einer Stellungnahme zu einem bestimmten Thema bzw. einer konkreten 76 Kommissionsvorlage) legitimiert. Im Vorfeld der Studiengruppenarbeit gibt es im Präsidium und im Fachgruppenvorstand Aushandlungen zur Mitgliederzahl, die wegen des Proporzes der drei WSA-Gruppen ein Vielfaches von 3 sein muß. Da dabei oft das Bedürfnis der WSA-Mitglieder, die Relevanz eines Themas durch eine möglichst große Studiengruppe nachzuweisen, gegen die knappen finanziellen Mittel des WSA steht, hat das Präsidium in den „Anordnungen“ eine Obergrenze festgelegt, um einen ökonomischen Umgang mit finanziellen Ressourcen und eine ergebnisorientiert-effiziente Textarbeit sicherzustellen: „Die Studiengruppen dürfen grundsätzlich höchstens 15 Mitglieder haben. Der Präsident oder der Generalsekretär können auf Antrag des Fachgruppenvorstands und mit Billigung des Präsidiums eine Ausnahmegenehmigung erteilen.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 28) Das Verfahren, in die Arbeit der Fachgruppe eine Studiengruppenphase einzubetten, wird so festgelegt: „Wenn dem Ausschuß ein Stellungnahmeersuchen des Rates oder der Kommission zugeht, übermittelt das Sekretariat den Ausschußmitgliedem und den Gruppensekretären unverzüglich das entsprechende Dokument, wenn möglich zusammen mit einer informatorischen Aufzeichnung. In der Aufzeichnung muß die Zielsetzung des Kommissionsvorschlags dargelegt und dessen Inhalt gerafft wiedergegeben werden; ggf. ist auf frühere einschlägige Entscheidungen der Gemeinschaft hinzuweisen. Diese an alle Ausschußmitglieder gerichtete Aufzeichnung soll die allgemeine Aussprache in der Fachgruppe erleichtern und gegebenenfalls Auschußmitgliedem, die der zuständigen Fachgruppe nicht angehören, die Möglichkeit geben, den Standpunkt der von ihnen vertretenen Wirtschaftszweige zur Kenntnis zu bringen. Nicht zu verwechseln mit dieser Aufzeichnung ist das erste Arbeitsdokument, das im Anschluß an die allgemeine Aussprache innerhalb der Fachgruppe oder auf der Basis von schriftlichen Bemerkungen der Aussschußmitglieder ausgearbeitet werden sollte.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 28f.) Hier findet sich mithin eine explizite Differenzierung der beiden Textsorten „Informationsvermerk“ und „Arbeitsdokument“. Die Unterscheidungskriterien sind: - Textverfasser: Beim Informationsvermerk ist es das GeneralSekretariat, beim Arbeitsdokument wird er nicht explizit genannt (das wird per Aktantenreduktion im Passiv formuliert); inhaltliche Anforderungen: Der Informationsvermerk soll Zielsetzung und eine Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags enthalten sowie den Kontext der prospektiven Stellungnahme verdeutlichen; beim Arbeitsdokument werden derartige Anforderungen wiederum nicht explizit genannt; - Funktion: Der Informationsvermerk stellt eine Vorinformation für die Fachgruppe dar, um bei WSA-Mitgliedem Voraussetzungen für eine Teil- 77 nähme an Debatten zu schaffen; beim Arbeitsdokument wird die Funktion nicht genannt. Offenbar verfolgt diese „Anordnung des Präsidiums“ zwar das Ziel, den Informationsvermerk als Dienstleistung des Sekretariats zu normieren - Berichterstattern sollen aber für ihr Arbeitsdokument keine Vorschriften gemacht werden. Solche Vorschriften könnten angeben, ob sie den Text selbst oder mit Hilfe des Sekretariats schreiben oder das an Experten oder das Sekretariat delegieren; ob der Text aus einer stichwortartigen Auflistung möglicher thematischer Aspekte oder schon aus einer zusammenhängenden Darstellung bestehen soll; ob der Text Referatsteile, etwa zum KommissionsVorschlag, enthalten soll oder ob das nicht erforderlich oder gar unerwünscht ist. Weiterhin dekretieren die Anordnungen des Präsidiums Voraussetzungen für eine geregelte Arbeit in der Studiengruppe: Die Arbeiten in der ersten Sitzung der Studiengruppe müssen in einer Weise organisiert werden, daß alle Mitglieder bzw. ihre Stellvertreter, die Sachverständigen und Assistenten mündlich oder schriftlich Bemerkungen und kritische Äußerungen zu der Vorlage formulieren können. Der Berichterstatter wird sodann mit der Abfassung eines den Mitgliedern zu übermittelnden Arbeitsdokuments oder Vorentwurfs einer Stellungnahme beauftragt. Den Mitgliedern wird genügend Zeit belassen, um das Dokument zu lesen, gegebenenfalls die in Betracht kommenden Berufsorganisationen zu konsultieren und ihre Reaktionen auf dieses erste Dokument schriftlich bekanntzugeben. Die Arbeiten der folgenden Sitzungen werden in einer Weise organisiert, daß alle Mitglieder bzw. ihre Stellvertreter, die Sachverständigen und Assistenten Gelegenheit haben, ihre Kritik und ihre Änderungsvorschläge zu dem gesamten Wortlaut des Vorentwurfs einer Stellungnahme darzulegen.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 31) „Der Vorsitzende der Studiengruppe ist gegenüber dem Fachgruppenvorsitzenden und dieser wiederum gegenüber dem Ausschußpräsidium dafür verantwortlich, daß die Dokumente kurz gefaßt sind und die Fristen eingehalten werden.“ (Textsammlung 1986, Teil 111,31) Die einzige formale, dabei vage formulierte Norm für den Text ist also Kürze. Sie ist freilich relativ, z.B. zur Komplexität des Stellungnahmenthemas, und damit nicht einklagbar. Daneben gibt es eine Norm zur Terminierung der Sitzungen: Zwischen der Erstellung, Übersetzung und Verteilung des Arbeitsdokumentes und der Sitzung muß genügend Zeit sein, damit die Studiengruppenmitglieder es lesen und ihre Reaktion in Abstimmung mit ihrem Informations- und Lobby-Netzwerk vorbereiten und nach Bedarf ausformulieren können. Wird diese „weiche“ Fristenklausel offenkundig nicht eingehalten, liegen Dokumente etwa erst zur Sitzung vor, äußern WSA- Mitglieder gerne Verärgerung. Das Sekretariat muß dann Entschuldigungen und Rechtfertigungen für die Verzögerung liefern. 78 Abschließend wird zur Beschäftigung mit dem Bezugstext in der Studiengruppe dringlich geraten: „Die Studiengruppen müssen, wenn möglich, die Erörterung des gesamten Kommissionsdokumentes in ihrer ersten Sitzung abgeschlossen haben.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 31) Zur Reduzierung von Papierverbrauch und Druckkapazität wird eine Sparmaßnahme angeregt: „Es empfiehlt sich, mehr auf Korrigenda zurückzugreifen, um die Anzahl der vorläufigen Fassungen von Stellungnahmeentwürfen in der Studiengruppe zu verringern.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 32) Ob das Verfahren dadurch übersichtlicher wird, ist freilich zu bezweifeln: Korrigenda müssen z.B. in der Sitzung vom Vorsitzenden explizit eingeführt werden, um sicherzustellen, daß sich alle Beteiligten auf dieselbe Textfassung beziehen. Zur Arbeitsweise des WSA-Generalsekretariats, konkret auch zum Übersetzungsdienst, legen im wesentlichen weder Geschäftsordnung noch Anordnungen des Präsidiums Einzelheiten fest (mit Ausnahme der Ausführungen zum Informationsvermerk). Nach der Studiengruppe beschäftigen sich die „Anordnungen des Präsidiums“ mit den Arbeiten der Fachgruppe; diese sollen weitgehend analog zum Plenum organisiert werden, da beide Gremien Beschlußorgane sind: „Die Vorlage der Änderungsvorschläge muß nach ähnlichen Regeln, wie denen der Plenartagung erfolgen. Die Vorschläge sind vor der Sitzung schriftlich einzureichen, sofern die Dokumente rechtzeitig zugestellt wurden. [...] Um unfruchtbaren Debatten im Plenum vorzubeugen, haben die Vorsitzenden der Fachgruppen und Studiengruppen darauf zu achten, daß bei den vorbereitenden Arbeiten eine erschöpfende Behandlung der Beratungsgegenstände ermöglicht wird, bevor diese der Fachgruppe oder dem Ausschuß vorgelegt werden. Im entgegengesetzten Falle ist es Aufgabe des Vorsitzenden der Fachgruppe, kraft seiner Autorität zu unterbinden, daß ein unvollständiges Dossier dem Ausschuß unterbreitet wird.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 33) Gelegentlich wird die Einhaltung dieser Bestimmung eingeklagt, indem ein Mitglied der Fachgruppe, das nicht der Studiengruppe angehört hat, die Qualität der Fachgruppendebatte rügt. So werden etwa eine anhaltende Orientierung am Detail oder inhaltliche Fragen eines Studiengruppenmitglieds an den Berichterstatter kritisiert, weil das eine ungenügende Behandlung des Textes in der Studiengruppe verrate. Solche Bemerkungen zur Geschäftsordnung sorgen regelmäßig für eine Verschlechterung der Arbeitsatmosphäre: der Studiengruppenvorsitzende und der Berichterstatter wehren sich gegen derartige Vorwürfe, weil sie sie als Angriff auf ihre Handlungskompetenz sehen. 79 Besonders ausführlich werden in den Präsidiums-„Anordnungen“ schließlich die Arbeiten des Plenums normiert. Nach dem Berichterstatter-Referat und der Aussprache wird eine Rednerliste mit Gruppenproporz aufgestellt. Für die Aushandlung von Textänderungen ist die „seitenweise Prüfung“ wichtig: „Die seitenweise Prüfung auf der Plenartagung ermöglicht es den Mitgliedern, neben der Prüfung von Änderungsanträgen dem Berichterstatter Fragen über die Bedeutung bestimmter Texte zu stellen sowie kurze Bemerkungen redaktioneller Art bzw. zu Übersetzungsfehlern in bezug auf den Originaltext zu machen, die den Sinn der Stellungnahme bzw. der eingereichten Änderungsanträge entscheidend beeinflussen. Etwaige Änderungsanträge können nur im Rahmen der seitenweisen Prüfung vorgelegt und erörtert werden. Im Gegensatz zum Vorgang bei der allgemeinen Aussprache können die Redner bei der Aussprache über Änderungsanträge selbstverständlich Argumente für und wider austauschen bzw. beantragen, zu Erwiderungen auf Ausführungen im Rahmen der verfügbaren Redezeit das Wort zu erhalten. [...] Liegen zum Text zahlreiche Änderungsanträge vor, so kann der Ausschuß auf die allgemeine Aussprache verzichten und direkt eine seitenweise Prüfung vornehmen.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 40) Durch diese Regelung werden dem WSA-Präsidium Verfahrensaltemativen und ein Spielraum bei ihrer Anwendung eingeräumt. Mit einer weiteren Kann-Bestimmung hat das WSA-Präsidium mit dem „Verfahren ohne Debatte“ einen Handlungsspielraum zur ökonomischen Behandlung von solchen Stellungnahmen, bei denen im Plenum keine kontroverse Diskussion mehr zu erwarten ist: „Wurde ein Text in der Fachgruppe ohne Gegenstimme angenommen, so kann das Präsidium gemäß Artikel 39 Absatz 7 der Geschäftsordnung auf der Grundlage der vom Vorsitzenden der betreffenden Fachgruppe nach Maßgabe von Artikel 31 übermittelten Unterlagen dem Plenum die Anwendung eines Abstimmungsverfahrens ohne Debatte Vorschlägen. Dieses Verfahren wird angewandt, wenn keine Änderungsanträge vorliegen und im Plenum keine Einwände dagegen erhoben werden [...]. Das Plenum sieht in diesem Falle von den Referaten des Vorsitzenden der Fachgruppe und des Berichterstatters sowie von der allgemeinen Aussprache und der seitenweisen Prüfung der Stellungnahme ab. Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse sind im Rahmen dieses Verfahrens Erklärungen zur Abstimmung oder Erklärungen für das Protokoll auszuschließen. Die Abstimmung erfolgt durch Handzeichen, sofern das Plenum nicht anderes beschließt.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 41) Ausführlich zitiert werden sollen nun die Regelungen zur Form, Begründung und zum Gegenstand von „Änderungsanträgen“: „Laut Artikel 40 der Geschäftsordnung sind die Änderungsanträge schriftlich abzufassen und von ihren Verfassern zu unterzeichnen. Es ist darin anzugeben, auf welchen Teil des Textes sie sich beziehen. Sie sind kurz zu begründen. 80 Ein Änderungsantrag muß einen direkten Bezug zum Wortlaut der Stellungnahme und zum Beratungsgegenstand haben. Es ist in jedem Fall Aufgabe des Präsidiums bzw. ggf. des Präsidenten, die Zulässigkeit des Änderungsantrags zu prüfen.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 42) „Gemäß Artikel 40 der Geschäftsordnung sind Änderungsanträge kurz zu begründen. Die Begründung muß so aussagefähig sein, daß der Wortlaut des Änderungsantrags auch dann verständlich bleibt, wenn der Verfasser zum Zeitpunkt seiner Prüfung abwesend ist, und daß der Leser des Amtsblatts den Sinn des Änderungsantrags versteht, wenn dieser nach Ablehnung durch den Ausschuß im Anhang zur Stellungnahme veröffentlicht wird.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 43) Eine gegenüber dem Berichterstatterentwurf abweichende Position kann freilich nicht nur durch Änderungsanträge markiert werden; nach der Abstimmung gibt es dafür ein individuelles und ein gruppenbezogenes Verfahren: „Erklärungen zur Abstimmung [...] Gemäß Artikel 41 kann das Wort nach Schluß der Beratungen nur noch für Erklärungen zur Abstimmung erteilt werden. [...] Um zu vermeiden, daß die Erklärungen zur Abstimmung die Diskussion erneut in Gang bringen oder das Abstimmungsergebnis beeinflussen, können diese erst nach der Abstimmung abgegeben werden. Die Redezeit kann vom Präsidenten begrenzt werden. Die Abstimmungserklärungen müssen sich auf formale Bemerkungen unter Ausschluß jeglicher Erklärung zur Sache beschränken.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 48) „Kollektive Abstimmungserklärungen [...] Neben dieser den einzelnen Ausschußmitgliedem gebotenen Möglichkeit, Minderheitsauffassungen zum Ausdruck zu bringen, erschien es zweckmäßig ohne Gefährdung der Bemühungen um einen Konsens und unbeschadet des persönlichen Charakters des Mandats der Mitglieder -, den Empfängern der Stellungnahmen des Ausschusses ein besseres Bild von einheitlichen Standpunkten zu vermitteln, die eine wirtschaftliche oder soziale Interessengruppe bzw. eine der im Ausschuß gebildeten Gruppen zu bestimmten ihm zur Prüfung vorgelegten Fragen vertritt und die sich nach einer namentlichen Abstimmung als Minderheitsauffassung heraussteilen. Daher eröffnet die Geschäftsordnung mit der Neufassung von Artikel 43 Absatz 3 den verschiedenen im Ausschuß vertretenen sozioökonomischen Interessengruppen künftig eine spezifische Möglichkeit, kollektiv ihre abweichenden Auffassungen zu äußern.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 48f.) Besonders komplex ist mithin das Muster für die Behandlung einer Stellungnahme im WSA-Plenum, jedenfalls im „Verfahren mit Debatte“. Die Abfolge der Teilschritte sieht so aus: (1) Fachgruppenvorsitzender gibt Einführung in das Thema; (2) Berichterstatter stellt Bericht der Fachgruppe vor; (3) allgemeine Aussprache; 81 (4) sog. „seitenweise Prüfung“, entweder als Formalie (die Seiten werden nacheinander aufgerufen) oder als Behandlung von vorliegenden Änderungsanträgen. Änderungsanträge müssen schriftlich eingereicht worden sein (mit festgesetzter Ausschlußfrist vor der Plenartagung zur Sicherstellung der Übersetzungen) und eine kurze schriftliche Begründung enthalten. Das Verfahren zur Behandlung von Änderungsanträgen umfaßt nacheinander folgende Schritte: - Aufruf durch den Sitzungspräsidenten; mündliche Begründung durch den Antragsteller (ggf. im Namen einer Antragsteller-Gruppe); - Gegenvotum eines WSA-Mitglieds (fakultativ); - Stellungnahme des Berichterstatters, ob er dem Änderungsantrag zustimmen kann. Danach gibt es drei Möglichkeiten: Über den Änderungsantrag muß abgestimmt werden, wenn der Berichterstatter seine Zustimmung verweigert oder wenn der Berichterstatter dem Änderungsantrag zustimmt, der Gegenvotant aber bei seiner Ablehnung bleibt. Wenn Antragsteller und Berichterstatter einen Kompromiß aushandeln und dem auch der Gegenvotant zustimmt, kann die Einzel-Abstimmung über die Textänderung entfallen; (5) nach der seitenweisen Prüfung und der Behandlung von Änderungsanträgen erfolgt die Abstimmung über den gesamten Text; (6) danach gibt es (fakultative) Erklärungen zur Abstimmung. Außer den in der „Textsammlung“ enthaltenen normativen Texten gibt es Gestaltungsvorschläge für Stellungnahmen aus dem WSA-Generalsekretariat. Uns liegt ein WSA-intemes „Nonpaper“ vor, das als Ergebnis einer Präsidiumssitzung formuliert ist. Dieser Text hat eine noch geringere Verbindlichkeit als die „Anordnungen des Präsidiums“, auf die hier explizit Bezug genommen wird. Größtenteils betreffen diese Gestaltungswünsche Formalien (z.B. die Form des Verweises auf frühere WSA-Stellungnahmen). Im Interesse des WSA-Übersetzungsdienstes und seines Koordinators liegt eine Standardisierung der Formulierung(en) von Stellungnahmen in den formellen Teilen (im „ersten Teil“, der Präambel), auch um die Übersetzer von eigentlich fachfremden Arbeiten zu entlasten (z.B. Verifizierung von angegebenen Referenzen und Zitatenbereits veröffentlichte EG-Texte müssen wörtlich zitiert, dürfen nicht nochmals ad hoc übersetzt werden! ). So soll eine Stellungnahme bei Befassung durch Rat oder Kommission mit dem folgenden textbausteinartigen ersten Teil beginnen: „Der Rat hat am (Datum) beschlossen, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel [Fußnote: Hier ist entweder der im Schreiben des Rates oder der Kommission als Rechtsgrundlage der Befassung angeführte Artikel oder Artikel 198 EWGV unter Aus- 82 Schluß jeder sonstigen Referenz anzuführen] des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen (Titel). Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe (Name) nahm ihre Stellungnahme am (Datum) an. Berichterstatter(in) war Herr/ Frau (Name). Der Ausschuß verabschiedete folgende Stellungnahme auf seiner (Zahl) Plenartagung - Sitzung vom (Datum) mit (Abstimmungsergebnis) [...].“ Im inhaltlichen Teil der Stellungnahme sollen Referenzen auf „eine Vielzahl von Dokumenten aller Art oder von Autoren“ unterbleiben. Diese Aufforderung läuft freilich dem Bedürfnis von WSA-Mitgliedem oder des ganzen Ausschusses zuwider, die Kontinuität und Seriosität der Arbeit, zudem ihr (kollektives) Expertenwissen zu belegen: Dazu gehört, frühere WSA-Stellungnahmen zum Thema oder zu verwandten Themen zu erwähnen und zu zeigen, daß man die relevanten Informationsquellen konsultiert hat. Freilich kann der Ubersetzungsdienst des WSA als seine „Service-Abteilung“ kein WSA-Mitglied auf einen bestimmten Darstellungsstil verpflichten. Auch die Formulierungsnorm aus den „Anordnungen des Präsidiums“, daß Stellungnahmen „knapp und klar“ zu sein haben, bedient sich vager, interpretierbarer Konzepte; im Einzelfall läßt sich immer eine längere Darstellung damit rechtfertigen, daß auch Bezugstext oder fraglicher Sachverhalt komplex seien. Ohnehin werden die Präsidiums-„Anordnungen“ hier als „Empfehlungen“, also mehr als Ratschläge und Bitten denn als Vorschriften definiert. 3.3.2 Informelle Muster Neben diesen Normen gibt es konventionalisierte und positiv bewertete Muster, das formelle Verfahren zu modifizieren, zu ergänzen oder gar zu umgehen. So gibt es eine Grauzone informeller Redaktionssitzungen zur Aushandlung konsensorientierter Textformulierungen, etwa wenn auf der Fachgruppensitzung ein Dissens nicht beigelegt werden konnte, dem Text aber eine möglichst einhellige Zustimmung im Plenum gesichert werden soll. Absprachen finden auch in Sitzungspausen, in der Cafeteria statt dabei sind im Gegensatz zu den Sitzungen Fremdsprachenkenntnisse der WSA-Mitglieder durchaus vonnöten. Einen engen Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit und Konsensprinzip im WSA sieht Francis Whitworth aus der Arbeitgebergruppe. Auf eine Interviewfrage nach dem besonderen Argumentationsstil im WSA im Hinblick auf Kommunikationsprinzipien wie „consensus and unanimity“ formuliert er ein Mehrsprachigkeitsbzw. Verständigungsproblem für die informelle Kommunikation im WSA. Sie findet außerhalb der Sitzungen statt, gehört gleichwohl strukturell zur interaktiven Textarbeit im WSA. Die Unterscheidung zwischen formell geregelten Interaktionssituationen („our formal proceedings, even those in the Study Groups“) und informellen („occasions when one 83 wishes to speak informally to a colleague [...] outside the meeting, in the corridor, over lunch and so on“) hält Whitworth also für relevant für die Beschreibung der Mehrsprachigkeitspraxis im WSA. Mit anderen Worten: In formellen Situationen ist Verständigung auch für WSA-Mitglieder ohne Fremdsprachenkenntnisse gesichert, die informellen Kontakte sind für sie aber erschwert (d.h. sie setzen Mehrsprachigkeit beim Gesprächspartner voraus oder erfordern Übersetzungshilfsdienste von Beamten des WSA-Generalsekretariats). Whitworth spricht zwar nicht die reduzierte Zahl von Arbeitssprachen in Studiengruppen an (vgl. Kapitel 3.7.1), wohl weil auf englisch selten bis nie verzichtet wird. Wohl aber stellt er die WSA-intemen Verständigungsprobleme in den Kontext eines verbreiteten fremdsprachlichen Kompetenzdefizits seiner Landsleute: Vertreter kleinerer Länder (etwa der Niederlande oder Dänemarks) sprächen im allgemeinen mehrere Fremdsprachen, Briten kaum welche. Zudem stellt Whitworth das als ein generationsspezifisches Problem dar: Engländer seiner Generation haben weniger Fremdsprachenkenntnisse als jüngere, auch keine Chance mehr, dieses Defizit aufzuarbeiten. Von derartigen Fällen abgesehen, in denen die aktive und passive Einsprachigkeit eines Beteiligten zur Wahl einer bestimmten Sprache zwingt, ist „polyglotter Dialog“ als kommunikative Realität im WSA bei informellen Treffen verbreitet: Wenn jeder in seiner Muttersprache sprechen und den anderen Beteiligten zuhören kann, wenn sie in ihrer Muttersprache sprechen, kann sich jeder so differenziert ausdrücken, wie er möchte. Weitere informelle Muster: In Sitzungen kann auf eine Abstimmung zu Änderungsanträgen verzichtet werden, wenn sich auf Anregung des jeweiligen Gremien-Vorsitzenden zwischen Antragsteller und Berichterstatter ein Kompromiß aushandeln läßt und niemand widerspricht. Eine Beschränkung von Redezeiten ist nach der Geschäftsordnung möglich, wird aber möglichst durch Appelle des Sitzungsleiters ersetzt, sich kurz zu fassen, was freilich oft mißachtet wird. Zum demonstrativen Verzicht auf Formalität zählt auch, daß es für das „Generalsekretariat“ als Sakrileg gilt, dem Berichterstatter für die Abfassung seiner Texte über einige Formalien zur Präambel und zur Zitierweise (s.o.) hinaus Formvorschriften zu machen. Die WSA-Geschäftsordnung legt die Rolle der Studiengruppenvorsitzenden nicht explizit fest, d.h. welche besonderen Befugnisse oder Interaktionsrechte sie haben. In der Studiengruppe „Maritime Industrien“ haben wir ein recht weitgehendes Selbstverständnis des deutschen Studiengruppenvorsitzenden Paul Flum (Gruppe II) festgestellt (vgl. Kapitel 5). Er liefert in der ersten Sitzung einen mit dem Entwurf des italienischen Berichterstatters Romolo Arena (Gruppe I) konkurrierenden Themenkatalog, in dem besonders die Interessenperspektive der Gewerkschaften berücksichtigt wird, und bewertet in späteren Sitzungen Redebeiträge danach, ob sie mit dem Entwurf des Berichterstatters kompatibel und in der Gruppe konsensfähig sind. 84 Dagegen befürwortet die englische Studiengruppenvorsitzende Angela Guillaume („Baltische Staaten“, vgl. Kapitel 6) für ihre Rolle eine Beschränkung auf die Ebene der Gesprächsorganisation. Sie will also einen Ausgleich schaffen zwischen einer Chancengleichheit beim Rederecht (allerdings mit besonderer Berücksichtigung des Berichterstatters) und einer zeitökonomischer Behandlung des vorgegebenen Themas: „I think you try and control the situation but try and be fair to everybody. I would like everybody to speak, and if somebody wishes to speak too many times and there isn’t time I regard a chairman as being the person who’s attempting to be fair to everybody, particularly the rapporteur and also keeping the meeting within a reasonable degree to the point.“ Sie resümiert diese Strategie inhaltlich-argumentativer Enthaltsamkeit: „I think if you’re chairing the meeting what you’re doing is an administrative job.“ Frau Guillaume weist darauf hin, daß Studiengruppenvorsitzende nach Beendigung der Studiengruppenarbeit, also in der Fachgruppen- und Plenarsitzung, von diesen Rollenbeschränkungen frei sind und sich nun auch inhaltlich zum vorgelegten Entwurf der Stellungnahme äußern können. Whitworth sieht eine Verständigung „hinter den Kulissen“, an der er im Fall der „Maritimen Industrien“ beteiligt war, eher als geschickte Behebung einer Panne im offiziellen Diskurs, wertet sie nicht als Ausdruck von Mauschelei. Eine Rückfrage im Interview, erstaunlicherweise sei ja ein Fachgruppen- Dissens auf der Plenartagung gar nicht mehr angesprochen worden, beantwortet er („it had been smoothed out in between“), indem er implizit bei einer Abwägung zwischen zwei konkurrierenden Arbeitsprinzipien einem den Vorrang gibt: eine strikte Beachtung der WSA-Geschäftsordnung hätte erfordert, den in der Fachgruppe angenommenen Änderungsvorschlag unverändert in die Plenumsvorlage zu übernehmen; höherrangig ist für den WSA, durch geeignete Verfahren der Kompromißfindung spätestens im Plenum geschlossen einen Stellungnahmentext zu unterstützen, um so die Wirkung dieser Stellungnahme bei den Adressaten zu verstärken. Normengebundenheit versus Selbstorganisation als Doppelstruktur im Textgeneseverfahren bildet sich auch ab in konkurrierenden Organisationsprinzipien der WSA-Interaktion: a) offiziell Die Arbeit wird auf dieser Ebene durch explizite Normierungen festgelegt: situationsübergreifend durch die Geschäftsordnung oder Anordnungen des Präsidiums und situativ-manifest durch explizit performative Formeln von Funktionsträgem in Sitzungen (z.B. Eröffnung, Schließung, Worterteilung, Abstimmung). In dieser Perspektive wird eine EG-Ideologie manifest, die den 85 WSA als institutionalisierte Interessenrepräsentation wirtschaftlicher und sozialer Gruppen funktionalisiert. Dazu gehören das Konsensprinzip, das Recht eines jeden Mitglieds, seine Meinung zum Thema ohne imperatives Mandat zu artikulieren, Verfahren zur Regelung von Divergenzen und zur Behandlung von Änderungsanträgen. Dominante Orientierung dabei ist die Mehrheitsfähigkeit von Positionen. Indikator für diese Perspektive ist u.a. ein retrospektives „wir“ des Berichterstatters auf der Plenartagung als Referenz auf die Arbeitskollektive Studiengruppe und Fachgruppe. Die Plenartagung gilt als entscheidendes Stadium der Textgenese, weil hier die Stellungnahme mit dem Gewicht aller WSA-Mitglieder beschlossen wird; dagegen sind die anderen Textstadien vorläufig und politisch unmaßgeblich. Die Plenartagung ist u.a. durch offizielle Protokolle dokumentiert und damit transparent. Eine Beachtung des Verfahrens ist bei Verstößen einklagbar. b) verdeckt und inoffiziell Diese Ebene wird belegt durch ethnographische Daten, die sich durch „Plaudereien aus dem Nähkästchen“ erheben lassen. Das betrifft vor allem die Arbeit hinter den Kulissen. In dieser Orientierung ist der WSA eine Plattform, eigene oder partikulare Interessen durchzusetzen, die sich nicht mit denen der Institution decken müssen. Diese Perspektive läßt sich durch folgende Fragen umreißen: aus der Sicht der Entscheidungsträger in Generalsekretariat, Präsidium und Fachgruppenvorstand, wenn die Bestimmung eines Berichterstatters ansteht: Wer kann den Text so formulieren, daß er eine breite Mehrheit findet? aus der Sicht des weniger engagierten Mitglieds: An wen kann die Arbeit (auch am Text) delegiert werden an Experten, Assistenten oder Beamte im Generalsekretariat? aus der Sicht des engagierten Mitglieds: Wie wird man bei Themen, die einem wichtig sind, Berichterstatter, und wie setzt man dann eigene Formulierungswünsche möglichst ungefiltert durch? Wie wehrt man konkurrierende Formulierungswünsche als Störungen ab, ohne den Charakter der eigenen Handlungsweise als Abwehr manifest werden zu lassen? Wie wird bereits das erste Arbeitsdokument zum entscheidenden Text, der in der endgültigen Stellungnahme nur marginal verändert wieder auftaucht (u.a. damit die Studiengruppenmitglieder mit kleinen erfolgreichen Interventionen ihr Gesicht wahren können)? Wie verhindert man, daß man als Berichterstatter auf der Plenartagung durch viele Änderungsanträge „vorgeführt“ wird? Wie behauptet man seine Identität und argumentative Integrität gegenüber den Interessengruppen, die man vertritt? Ein deutsches WSA-Mitglied beschreibt uns seine Strategie, Textarbeit durch Antizipation von Hürden und deren vorgreifende Beseitigung zu vereinfachen und sich Mehrheiten zu verschaffen. Er hält sich dazu an die Maxime, auf 86 eine Kompatibilität zwischen eigenen Präferenzen und der Mehrheitsfähigkeit bestimmter Sachverhaltsdarstellungen und Wertungen zu achten. Daß das nicht sonderlich überraschend oder originell ist, bearbeitet er metakommunikativ mit dem Pleonasmus „weißer Schimmel“ und dem Appell, ihn nicht aufgrund dieser Beschreibung seiner Berichterstatter-Arbeitspraxis als Opportunisten einzustufen: „Es gibt Stellungnahmen bei mir, wo ich von vornherein gesagt hatte: ,Ihr braucht nicht zu lange zu diskutiem, ich akzeptier alle Änderungsanträge, nur, wenn Änderungsanträge, die ich ja also jetzt, jetzt, jetzt, jetzt ist natürlich ’n weißer Schimmel - , die ich nicht LEICHT LACHEND #akzeptieren kann, dann lehn ich sie auch ab-# LACHT da sind aber meistens ich weiß sehr genau ob ich Mehrheiten kriege nur solln Sie bitte nicht sagen ,also der hängt sein Fähnchen nach dem Wind', das ist nicht der Fall, nur ich geh fachorientiert durch, ja, und versuche die Ideologien auf beiden Seiten zur Seite zu schieben, und während der Studiengruppensitzungen, während der Arbeitsgruppe, also Studiengruppe, Arbeitsgruppe, da nehm ich sehr viel auf und versuche selbst dem Letzten noch das Gefühl zu geben, er hätte was ganz Geistvolles gesagt, und versuche es zu verarbeiten in irgendeiner Form, so daß es nachher, daß er sich wiederfindet. Das müssen Sie machen, um Mehrheiten zu gewinnen; Sie wollen ja nachher... und das können Sie mit vielen Beiträgen, also son Satz tut mir nicht wehden nehm ich rein irgendwo, ja.“ In dieser Perspektive sind nicht die „offiziellen“ Sitzungen entscheidend, sondern informelle Gespräche mit entscheidenden Leuten aus dem Generalsekretariat oder anderen Mitgliedern mit Machtpositionen, in denen Arbeitspläne konkretisiert, Kompromisse formuliert und Bündnisse geschlossen werden. Die Plenartagung gilt als unbedeutend für die eigentliche Textgenese, eher als ritueller Abschluß mit „Show“-Charakter. So sieht auch Wolfgang Jungk, Verwaltungsrat im WSA-Generalsekretariat, die „externe Kommunikation“ für den WSA relevanter als bei der Kommission, bei der sich ein großer Teil der Arbeit in internen Sitzungen abspiele. Die Phasen sind für den Prozeß der Textgenese unterschiedlich relevant: In der Studiengruppe „werden die Weichen gestellt“, d.h. die Richtung der Stellungnahme und ihre Orientierung bestimmt. In der Fachgruppe wird die Stellungnahme über Kompromißfindung geglättet. Das Plenum kann sich durch Änderungsanträge mit einigen Details beschäftigen, es sollte nach Auffassung von Susanne Tiemann, der damaligen WSA-Vizepräsidentin, ein Ort politischer(er) oder sachbezogener Diskussion sein. Das Plenum ist so die letzte Gelegenheit, einen „Endkompromiß“ in Einzelheiten herzustellen. Explizit kritisieren Funktionsträger dagegen die Usance, noch im Plenum auf Diskrepanzen zwischen den einzelnen Sprachfassungen hinzuweisen: Das koste zu viel Zeit und werde daher von der Sitzungsleitung sofort an die zuständige WSA-Verwaltung delegiert. Auch das deutsche WSA-Mitglied Klaus Meyer-Horn konstatiert für das WSA-Plenum einen Stil reduzierter Argumentation. Die Gründe liegen in der Themenvielfalt: WSA-Mitglieder können nicht für alle Sektoren und Themen einen Expertenstatus beanspruchen. Alle WSA-Mitglieder bekommen vor der Sitzung ein Dossier mit Textvorlagen zu allen Tagesordnungspunkten. Diese 87 Übermenge können sie nicht vor der Sitzung lesen, so daß sie sich bei der Abstimmung an Kollegen orientieren, die sie für themabezogen kompetent halten. Darin sieht aber Klaus Meyer-Hom kein schlimmes Manko, weil der Plenartagung eine untergeordnete Rolle im Verfahren der Produktion von WSA-Stellungnahmen zukomme: „Im Plenum wird ja auch zum Glück weniger fachlich diskutiert, sondern da kommen nur noch so die kleinen Nachbesserungen und mehr die großen Elogen und die ,Bedenkenträger‘ Die Situation ist nicht primär durch die Textarbeit definiert, vielmehr soll aus Sicht der Institution der weitgehend fertige Text präsentiert und abgesichert werden; in dieser Sicht sind Versuche störend, die Situation auszunutzen für partikulare Zwecke, etwa durch Orientierung auf Details oder Selbstdarstellung. Konstitutiv für die inoffizielle Perspektive ist, daß sie in den Sitzungen niemals manifest werden darf. Indikatoren für die informelle Orientierung sind: Die Perspektive wird in scherzhafter Brechung thematisiert, mit Augenzwinkern: „Wir wissen doch, wie’s läuft“, bei den Änderungsanträgen sei schon „alles abgesprochen“; in Interviews mit laufendem Bandgerät taucht die Perspektive entweder nicht auf, oder das Band muß zwischenzeitig abgestellt werden. Daß diese Perspektive wichtig ist, zeigt allein schon die Fluktuation während der Plenartagungen: Mitglieder kommen und gehen, unterhalten sich in der Lobby und der Cafeteria nicht nur über private Dinge und Aspekte ihrer Verbandsarbeit, sondern sprechen sich dort für ihre Auftritte in der Sitzung ab. Nach Ansicht des früheren WSA-Präsidenten Gerd Muhr sind freilich „Kompensationsgeschäfte“, die er als „Kungelei“ negativ konnotiert, über einzelne Stellungnahmen hinaus nicht üblichwohl aber eine Formulierungsabstimmung bei „gleichgerichteten“ Stellungnahmen, um eine einheitliche Linie des WSA nach außen zu präsentieren: „Sonst spricht der Ausschuß zu einem Thema mit soundsoviel verschiedenen Zungen“. 3.4 Der WSA als Institution zur Textproduktion Der WSA konstituiert und legitimiert sich über seine Textproduktion. Von den ca. 180 jährlichen Stellungnahmen des WSA werden 160 von der Kommission angefordert, nur die restlichen 20 sind Initiativanträge, mit denen der WSA von sich aus die Diskussion über Themen eröffnen möchte (vgl. Wirtschafts- und Sozialausschuß 2 1981). Er hat allerdings kein Vorschlagsrecht für den Rat, sondern muß sich an die Kommission wenden. Die Länge des Verfahrens beträgt 3-4 Monate; Abweichungen nach unten sind bei Dringlichkeit denkbar: Das seltenere abgekürzte Verfahren verzichtet auf Studiengruppen und kürt statt dessen einen „Hauptberichterstatter“. 88 Zu den Rahmenbedingungen der Textproduktion im WSA zählen eine Zeitvorgabe durch die Kommissionin Form einer bestimmten avisierten Ratstagung, zu der die Kommission ihren Vorschlag vorlegen möchte (eine Stellungnahme ist nur vorher sinnvoll) - und die politische Aktualität des Themas (so mußte der WSA im August 1990 auf eine angeforderte Stellungnahme zum deutschen Einigungsprozeß ganz verzichten, weil in diesem Monat keine Plenartagung stattfand). Möglichst sollten aus Rücksicht auf die Kosten der Sitzung nicht mehr als drei Studiengruppensitzungen stattfinden. Bei der Terminplanung muß aber zwischen Ergebnisorientierung und Konsensfähigkeit abgewogen werden: Die in den Studiengruppen erstellten Entwürfe müssen in der Fachgruppe beschlußfähig sein; gegebenenfalls wird eine weitere Studiengruppensitzung als sinnvoll angesehen, wenn dadurch die Chance wächst, daß ein Entwurf von der Fachgruppe akzeptiert wird. Die zentrale Bedeutung der Textarbeit zeigt sich auch im Detail: Nach Auffassung von Frau Tiemann ist ein besonderer Dank des Präsidiums an den Berichterstatter nach erfolgreicher Abstimmung wegen der schwierigen Aufgabe angebracht, zwischen der eigenen Meinung und den Interessen sozioprofessioneller Gruppen und Nationalitäten Kompromisse zu finden. Es gibt mithin aus Sicht der WSA-Vizepräsidentin eine Korrelation zwischen den gepflegten Umgangsformen und der zentralen Aufgabenstellung für den WSA: Umgangsformen sind nicht etwas Oberflächliches bzw. für die Textproduktion Irrelevantes, sondern demonstrieren, daß der WSA wieder einmal seine zentrale Aufgabe der Konsensfmdung bewältigt hat. Für WSA-Sitzungen ist im Gegensatz zum Europäischen Parlament Zeitknappheit ein Problem: Der WSA verfügt nur über „geliehene“ Dolmetscher, das EP hat eigene. Die Dolmetscher stehen nur eine vorgegebene begrenzte Zeit zur Verfügung. Im Gespräch äußerte Frau Tiemann einerseits Verständnis für die Dolmetscher, die auf der Einhaltung tariflicher Arbeitszeiten bestehen, bewertete andererseits diesen Umstand als Behinderung der zentralen WSA-Aufgabe, Kompromisse zu finden und so eine Identifikation mit der EG-Integration zu verstärken. So ist das zentrale Merkmal der Textgenese im WSA deren Übersichtlichkeit. Sie ergibt sich durch eine Orientierung auf die Geschäftsordnung und den Termindruck, der durch von der Kommission gesetzte Fristen zur Abgabe der Stellungnahme und durch knappe Ressourcen (Geld, zeitlich beschränkte Dolmetscherhilfe aus dem Pool des gemeinsamen EG-Dolmetscherdienstes) entsteht. 3.4.1 Die Unübersichtlichkeit des EG-Rechtsetzungsverfahrens Daß die WSA-Textgenese relativ überschaubar ist, wird exemplarisch deutlich durch einen Vergleich mit dem Schicksal eines Rechtsaktsvorschlags der EG-Kommission, das uns Jörg V. Ketelsen, in der Generaldirektion V (Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten), Direktion 89 C (Soziale Sicherheit, Sozialschutz, Lebensbedingungen) zuständig für die Themen Freizügigkeit und Wanderungspolitik, im August 1991 am Beispiel einer Revision zur Verordnung (VO) 1612/ 68 narrativ präsentiert hat. Er lieferte damit eine besonders ausführliche mündliche Antwort auf die Aufforderung in unserem Fragebogen: „Bitte skizzieren Sie aus Ihrer Erfahrung stichwortartig ein typisches Beispiel für das Verfahren zur Herstellung von Rechtsakten bis zur Rechtsgültigkeit, also die Abfolge von Arbeitsschritten und -phasen! “ Daß die Genese eines Rechtsaktvorschlags in der Kommission nicht nur aus unserer Sicht langwierig und schwierig zu systematisieren ist, belegt Ketelsen schon in vorgreifender Verdeutlichung durch ein von Lachen begleitetes „ja, da könnte man natürlich stundenlang reden“. Die Initiative zur Revision der „Verordnung (EWG) Nr. 1612/ 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft“ ist zurückzuführen auf das „Weißbuch“ zur Vollendung des Binnenmarktes von 1985, in dem die von der Kommission als erforderlich angesehenen 282 Maßnahmen zur Verwirklichung der „vier Grundfreiheiten“ im Binnenmarkt aufgelistet werden. Dieser Raum ohne Binnengrenzen bildet sich durch freien Warenverkehr, Freizügigkeit und freien Dienstleistungsverkehr und die Freiheit des Zahlungs- und Kapitalverkehrs. 14 Ketelsen greift von diesen Maßnahmen die angestrebte „Konsolidierung des Rechts auf Freizügigkeit für Arbeitnehmer“ heraus. Als Auslöser für die Tätigkeit der Kommissionsbeamten wirkt ein „Beschluß der Kommission, in einem Katalog, der dem Rat übersandt wurde und vom Rat zur Kenntnis genommen wurde, die Verordnung 1612 aus ’68 einer Revision zu unterziehen und bestimmte Entwicklungen nachzuvollziehen und bestimmte Rechtsprechungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu integrieren“. Die bis dato 21 Einzelschritte waren dann: (1) ein Vorentwurf („avant-projet“) im Oktober 1987, erarbeitet von zwei Mitarbeitern seiner Abteilung, einem Soziologen und einem Ökonomen. Aus einer kleinen, von unserem Gesprächspartner selbst ausgelösten Identifizierungssequenz 15 wird deutlich, daß dieser Text zunächst nur auf französisch vorlag was dazu führt, daß die entsprechende deutsche fachsprachliche Textsorten-Bezeichnung auch dem EG-Insider im Ge- 14 Vgl. dazu u.a. Streil/ Weyringer (1991). 15 Als Identifizierungssequenzen werden in der Konversationsanalyse zur Sicherung von Voraussetzungen eingeschobene Sequenzen bezeichnet, die zur Erfüllung konditioneller Relevanzen notwendig sind; sie sind Realisierungsformen eines Identifizierungsschemas, das durch die kommunikativen Aufgaben der Manifestation eines Identifizierungssproblems, einer Identifizierungshilfe und der Rückmeldung über den Identifizierungserfolg konstituiert wird. Vgl. Kallmeyer (1977). 90 spräch nicht unmittelbar zugänglich ist (JK: Ketelsen, JB: Joachim Born, WS: Wilfried Schütte): JK: [...] das avant-projet > ->was heißt das denn noch mal JK: JB: vom Deutschen herja avant-projet das Pilotprojekt oder das- JK: JB: K ja so dies diesen diesen cVorvorschlag #pretest# oder sowas »ENGLISCH# JK JB WS den den Vorentwurf richtig * den Vorentwurf\ den Vorvorschlag mhm JK: Vorentwurf der Abteilung [...] (2) Stellungnahme des Juristischen Dienstes der EG-Kommission im März 1988; (3) Sitzung zum Vorentwurf mit Vertretern der Mitgliedstaaten im April 1988; (4) Vorlage des Vorentwurfs im Juni 1988 an den „Beratenden Ausschuß“ 16 für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer; (5) nochmalige Vorlage des Vorentwurfs im August 1988 an den Fachausschuß für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer; (6) Erarbeitung einer neuen Fassung aufgrund der verschiedenen Stellungnahmen mit teilweiser Berücksichtigung der Bedenken, ohne daß die Generaldirektion an die Stellungnahmen gebunden war; (7) Stellungnahme der Generaldirektion (GD) III, „weil die Generaldirektion III zuständig ist für die Freizügigkeit der selbständig Tätigen wir sind nur für die abhängig Beschäftigten - und die Generaldirektion III insoweit Ver- 16 Solche Beratenden Ausschüsse werdenunter dem Stichwort „Komitologie“zur Durchführung der vom Rat im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Binnenmarktes erlassenen Rechtsakte eingesetzt. Diese „comitds consultatifs“ setzen sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen und werden von einem Vertreter der Kommission geleitet. „Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuß einen Entwurf der zu treffenden Maßnahme, zu dem dieser innerhalb einer von der Kommission festgesetzten Frist eine Stellungnahme abgibt. Die Kommission ist aufgefordert, aber nicht verpflichtet, die Stellungnahme soweit wie möglich zu berücksichtigen. Sie unterrichtet den Ausschuß darüber, inwieweit sie den Anregungen und Änderungen des Ausschusses nachgekommen ist.“ (Borchardt 1991,73). Zur „Komitologie“ vgl. auch Hamier (1991). Dort werden Varianten des „Komitologie“-Verfahren dargestellt, die das Ermessen der Kommission unterschiedlich weit einschränken: gar nicht (bei lediglich beratender Funktion des Ausschusses) bis hin zu einer Kontrolle durch einen „Regelungsausschuß“. 91 waiter einer Richtlinie 73/ 148 ist, die ähnliche Vorschriften oder zum Teil oder gleichlautende Vorschriften wie die Verordnung 1612 aus dem Jahre 1968 [...]“ Für Ketelsen hätte es nahegelegen, Regelungen in der VO 1612/ 68 und der Richtlinie 73/ 148 parallel zu ändern; das Insistieren auf eigenständiger Behandlung zeige die zum Teil gegensätzlichen Interessen zwischen den Generaldirektionen. (8) „eine Art von Anweisung“ des Generaldirektors im Juli 1988, die Ketelsen interpretiert als „detaillierte Instruktionen inhaltlicher Art, denen wir nachgehen mußten, die wir einarbeiten beziehungsweise ausarbeiten mußten für den endgültigen Vorschlag“: „supprimer la reference aux refugi6s, maintenir le droit au sejour pour les membres de la famille autre que le conjoint, les descendants et les ascendants qui sont ä charge, chercher une formule en vue d’accorder aux descendants et conjoints du travailleur un droit direct au sejour, examiner de fafon approfondie la question de l’extension de Tegalite de traitement en dehors du pays d’emploi et de sejour et la prise en compte de la situation equivalente dans le pays d'origine.“ 17 Die Instruktion legt den Rahmen für eine legistische Arbeit an Einzelformulierungen fest, indem sie definiert, was für diese VO-Revision politisch gewollt und für die Ratsentscheidung als konsensfähig antizipierbar ist (nämlich ein Aufenthaltsrecht für Familienangehörige neben den Ehegatten und den zu unterstützenden Verwandten in absteigender und aufsteigender Linie zu bewahren, eine Formel zu finden, um Nachkommen und Ehegatten des Berufstätigen ein direktes Aufenthaltsrecht einzuräumen, eingehend die Frage der Ausdehnung einer Entlohnungsgleichheit außerhalb des Beschäftigungs- und Aufenthaltslandes zu untersuchen und die äquivalente Situation im Herkunftsland zu berücksichtigen). Das zeigt: Im Rahmen der Generaldirektion gilt als normal, wenn interne Vorgaben zur Formulierung von Rechtsaktentwürfen nur auf französisch vorliegen, der Rekurs darauf ist für deutsche EG-Beamte unproblematisch. Ketelsen differenziert zwischen dieser Anweisung und den vorangegangenen Stellungnahmen, etwa des Juristischen Dienstes, die zwar ein gewisses fachliches und moralisches Gewicht hätten, „ohne daß jetzt die Generaldirektion verpflichtet gewesen wäre, diesen Stellungnahmen zu folgen“. (9) Zustimmende Antwort der GDIII; (10) Zustimmende Stellungnahme der (damaligen) „Task force“ für Klein- und mittlere Unternehmen 18 und 17 Transkribiert nach dem von Ketelsen verlesenen Zitat. 18 Diese „Task Force“ ist inzwischen zur Generaldirektion XXIII, zuständig für „Untemehmenspolitik, Handel, Tourismus und Sozialwirtschaft“, aufgewertet worden. Auffällig ist an seiner Formulierung die Kombination von einer Entlehnung aus dem Eng- 92 (11) Zustimmung des Juristischen Dienstes (zwischen Oktober und Dezember 1988); (12) Endgültiger Vorschlag der Generaldirektion an die Kommission am 14.12.1988, Originalsprache Französisch. Der Kommissionsrunde ist dieser Vorschlag auf deutsch, englisch und französisch vorgelegt worden; (13) Beschluß dieser Fassung durch die Kommission Anfang 1989; (14) Überprüfung aller Sprachfassungen durch die Gruppe der Rechts- und Sprachsachverständigen im Juristischen Dienst; (15) Übermittlung an den Rat im März 1989 und Veröffentlichung im EG- Amtsblatt am 21.4.1989 19 ; (16) Übermittlung vom Rat an den WSA („Befassung“) und Stellungnahme des WSA 20 ; Nach Artikel 49 EWG-Vertrag 21 entscheidet der Rat über diesen Vorschlag mit qualifizierter Mehrheit; das Europäische Parlament wird mit zwei Lesungen im Rahmen des Artikel 149 EWG-Vertrag 22 beteiligt. (17) Erste Lesung im Europäischen Parlament im Februar 1990. Gegenüber 12 Änderungsvorschlägen zum ursprünglichen Vorschlag hat das Europäische Parlament 73 Änderungsvorschläge eingebracht. Ketelsen wertet dabei eine Strategie des Europäischen Parlaments als „juristische Pikanterie“: Viele der Änderungsvorschläge hätten nicht den Kommissionsvorschlag betroffen, sondern andere Artikel der VO aus 1968. Mit dieser lischen („Task Force“ werden diese Embryonen in der Kommissionsbürokratie auch im deutschsprachigen Organisationsplan genannt) mit der französischen Aufgabenbeschreibung „petites et moyennes entreprises“. 19 Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/ 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, KOM(88) 815 endg. - SYN 185 (Von der Kommission vorgelegt am 11. Januar 1989) (89/ C 100/ 06). Amtsblatt (ABI) Nr. C 100, 21.4.1989, S. 6-9. 20 Wirtschafts- und Sozialausschuß: Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/ 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, und dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 68/ 360/ EWG zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (89/ C 159/ 26). ABI Nr. C 159, 26.6.1989, S. 65-67. 21 „Unmittelbar nach Inkrafttreten dieses Vertrags trifft der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses durch Richtlinien oder Verordnungen alle erforderlichen Maßnahmen, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer [...] fortschreitend herzustellen [...].“ Für die „qualifizierte Mehrheit“ werden nach Artikel 148 EWG-Vertrag die Stimmen der Mitglieder „gewogen“ zwischen 2 für Luxemburg und je 10 für Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien. 22 Im „Verfahren der Zusammenarbeit“ werden Vorschläge der Kommission von Rat und EP in jeweils zwei Lesungen beraten, wobei die jeweils zweite Lesung durch EP und Rat zeitlich befristet ist. Vgl. Bieber (1991,123). 93 Strategie, auch zu Punkten Stellung zu nehmen und Änderungsvorschläge zu unterbreiten, die die Kommission überhaupt nicht revidieren wolle, nehme sich das Europäische Parlament „eine Art von subsidiärem Initiativrecht“ heraus. Zudem seien die Abstimmungen „sehr chaotisch“ und unübersichtlich abgelaufen; Änderungsanträge seien von französischen Rechtsradikalen um Le Pen aus grundsätzlicher Opposition gestellt worden; Sozialisten hätten dann mit der Europäischen Volkspartei gestimmt. (18) Juristische Diskussionen in der GDV, ob die Kommission vom Parlament angenommene Änderungsvorschläge, die nicht in ihrem Vorschlag vorgesehen waren, nach dem Verfahren aus Artikel 149 EWG-Vertrag 23 übernehmen könne. (19) Geänderter Vorschlag der Kommission 24 , vorgelegt am 11.4.1990; (20) Änderung des geänderten Vorschlags 25 vom 27.6.1990. Dabei ging es nach Ketelsen „um die Frage der Einbeziehung von Arbeitnehmern, die Angehörige eines Mitgliedstaates sind bei Tätigkeiten außerhalb der Gemeinschaft beziehungsweise bei Tätigkeiten im Rahmen einer Abordnung von einem Mitgliedstaat zum andern Mitgliedstaat im Hinblick auf ihre Gleichbehandlung in ihrem ursprünglichen Beschäftigungsland.“ Diesen sehr abstrakten Sachverhalt exemplifiziert Ketelsen zunächst an der „Frage, ob ein Deutscher, der von einem französischen Unternehmen in den Irak geschickt wurde, hinsichtlich seiner Entlohnung anders behandelt werden konnte als ein Franzose, der von diesem französischen Unternehmen in den Irak geschickt wurde“, 23 Nach der ersten Stellungnahme des Europäischen Parlaments legt der Rat mit qualifizierter Mehrheit einen „gemeinsamen Standpunkt“ fest. Absatz 2, Buchstabe d: „Die Kommission überprüft innerhalb einer Frist von einem Monat den Vorschlag, aufgrund dessen der Rat seinen gemeinsamen Standpunkt festgelegt hat, unter Berücksichtigung der vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Abänderungen [...].“ 24 Geänderter Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/ 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft «Fußnote: ABI Nr. C 100 vom 21.4.1989, S. 6», KOM(90) 108 endg. - SYN 185, (Gemäß Artikel 149 Absatz 3 des EWG-Vertrags von der Kommission vorgelegt am 11. April 1990) (90/ C 119/ 05). ABI Nr. C 119, 15.5.1990, S. 10-12. Artikel 149 EWG-Vertrag, Absatz 3, in der zuletzt durch die „Einheitliche Europäische Akte“ vom 28. 2. 1986 geänderten Form: „Solange ein Beschluß des Rates nicht ergangen ist, kann die Kommission ihren Vorschlag jederzeit im Verlauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Verfahren ändern.“ (aus: Europarecht 2 1990, 76) 25 Geänderter Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/ 68 über die Freizügigkeit der Arbeitsnehmer (sic! ) innerhalb der Gemeinschaft und Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 68/ 360/ EWG zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (gemäß Artikel 149 Absatz 3 des EWG-Vertrags von der Kommission vorgelegt). KOM-Dokument KGM (90) 108 endg., 09.04.1990, 18 Seiten, ISBN 92-7759358-X. 94 und stellt dann die Position der Kommission dar: „und da haben wir gesagt, weil ja Beschäftigungsland weiterhin im Grunde genommen zumindest rechtlich Frankreich bleibt, muß hier das Prinzip der Gleichbehandlung auf diese beiden Staatsangehörigen aus der EG angewandt werden.“ (21) Seitdem anhaltende Diskussionen im Rat in der Gruppe Sozialfragen, die aus Experten der Mitgliedstaaten und den Sozialreferenten der Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei der Gemeinschaft besteht. An dieser Stelle geht unser Gesprächspartner von der Darstellung des bisherigen Verlaufs der Textgenese über zur Erklärung für den gegenwärtigen Stillstand. Zwar müsse dieser Revisionsvorschlag als „Binnenmarktmaßnahme“ bis Ende 1992 in einem geordneten Verfahren den Rat passiert haben; dazu müsse der gemeinsame Standpunkt des Rates dem Europäischen Parlament zur zweiten Lesung vorgelegt werden, die Kommission nehme wiederum Stellung, welche Vorschläge des Parlaments zu diesem gemeinsamen Standpunkt sie übernehmen wolle und welche nicht, der Rat habe dann verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten. Das Verfahren sei aber durch zwei wesentliche inhaltliche Divergenzen zwischen den EG-Mitgliedstaaten blockiert, die sich auf Unterschiede in ihren Rechtsbzw. Gesellschaftssystemen zurückführen lassen; „Das Hauptproblem an diesem Vorschlag, von dem ich Ihnen da berichte, ist, daß wir den Familienbegriff erweitern wollen, das Recht des Familiennachzugs nicht nur beschränken auf die eigentliche Familie, also Ehegatte, Kinder und die Nachfahren aufsteigender Linie, also Eltern, Großeltern und so weiter, sondern auch die Verwandten der Seitenlinie einbezogen haben wollen, also Onkel, Tante, Neffe, Nichte - und daß wir auch nicht-eheliche, nicht-verheiratete Lebensgemeinschaften in dieses Recht auf Familiennachzug mit einbegreifen wollen soweit das in dem Land, wo so etwas geltend gemacht wird, die nichteheliche Lebensgemeinschaft verwaltungsmäßig, juristisch, rechtlich, sonst irgendwie anerkannt ist. Das beträfe im Augenblick sowieso nur die Niederlande und Dänemark. Aber die Mitgliedstaaten, vor allem die südlichen, stoßen sich da doch sehr dran. Zweites großes Problem ist, daß wir vorgeschlagen haben, sogenannte Auslandssachverhalte in dieses Gebot der Gleichbehandlung mit einzubeziehen. Nehmen Sie den italienischen Staatsangehörigen, der in der Bundesrepublik Deutschland arbeitet, Steuern zahlt, seine Familie aber noch in Italien sitzen hat, der wird in der Bundesrepublik Deutschland als Junggeselle besteuert, mit der Folge unter anderem auch, daß er, wenn er arbeitslos wird, ein geringeres Arbeitslosengeld bekommt, denn das Arbeitslosengeld wird pauschal gewährt nach Eingruppierung in Steuerklassen. Wenn ich in Steuerklasse I bin, hab ich automatisch mehr Abzüge von meinem Bruttolohn, bekomme dann aber nur 68 Prozent von meinem Nettolohn. Dadurch bin ich gegenüber einem verheiraten Deutschen, der in Gruppe drei ist und weniger Abzüge hat, schlichtweg benachteiligt auch unter Gewähr, zum Beispiel bei Sozialleistungen.“ 26 26 Die Bundesregierung beschreibt in ihrem Bericht (1993, 67) im Kapitel „Sozialpolitik“ den Stand des Vorhabens „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ für Ende 1992 so: 95 3.4.2 Vergleich: Textgenese im WSA und im EG-Rechtsetzungsverfahren Gegenüber dem WSA-Verfahren zur Erstellung von Stellungnahmen unterscheidet sich das geschilderte EG-Rechtsetzungsverfahren also in folgenden Punkten: - Seine Länge wird einerseits durch zwei Arten von Fristsetzungen (äußere Rahmensetzung durch den Termin 1993 zur Einführung des Binnenmarktes; bei einzelnen Teilschritten durch Artikel 149 des EWG-Vertrags) normiert; Fristüberschreitungen durch anfänglich nicht absehbare inhaltliche Divergenzen im Rat führen allerdings nur zu einer zeitweisen Blokkade (der Text liegt sozusagen „in der Schublade“, oder wie es uns in anderem Zusammenhang metaphorisch umschrieben wurde, im „Kühlschrank“ des Rates), nicht dazu, daß das ganze Verfahren obsolet wird. Das WSA-Verfahren wird dagegen durch vom Rat gesetzte Fristen und durch knappe institutioneile Ressourcen strikt begrenzt. - Für Komplikationen sorgen auch Kompetenzstreitigkeiten zwischen beteiligten EG-Organen (z.B. wenn das Europäische Parlament sich aus Sicht der Kommission mittels eines Übermaßes von Änderungsvorschlägen ein „subsidiäres Initiativrecht“ anmaßt). - Das „Sprachenregime“ ist uneinheitlich: Vorgaben, interne Entwürfe und Metatexte zu Entwürfen in der Generaldirektion, also in der Kommissionsbürokratie, werden meist auf französisch verfaßt, gegebenenfalls, z.B. in den eher technologisch ausgerichteten GDs auf englisch, selten auf deutsch, jedenfalls aber in der Regel nicht aus der Verständigungssprache übersetzt. Das französische Original einer Vorlage aus der GD an die Kommission wird dieser zunächst in drei Sprachen vorgelegt. Der von der Kommission gebilligte Vorschlag wird zeitgleich in allen neun Amtsspra- „Durch Kompromißvorschläge der portugiesischen und der britischen Präsidentschaft war Bewegung in die lange festgefahrenen Beratungen zu diesem Vorhaben gekommen. Ein schließlich ..in die Ratstagung eingebrachter Gesamtkompromiß der britischen Präsidentschaft zur Änderung von Richtlinien und Verordnungen verlangte von allen Seiten Zugeständnisse, könnte aber den Weg zu einer Lösung der strittigen Fragen aufweisen. Er sieht vor allem im Sinne von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat eine Beibehaltung des jetzigen Kreises der nachzugsberechtigten Familienmitglieder des Arbeitnehmers vor (vor allem Ehegatten und Kinder). Die von der Kommission geforderte Öffnung für die verwandtschaftlichen Seitenlinien würde damit entfallen. Gleichzeitig soll ein Recht auf gleiche soziale Vergünstigungen, wie sie den Staatsangehörigen des Mitgliedstaates zustehen, lediglich auf Ehegatten und Kinder des Arbeitnehmers ausgedehnt werden. Dieser Vorschlag, der erheblich hinter den ursprünglichen Vorstellungen der Kommission zurückbleibt, hätte als Gesamtkompromiß von den meisten Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) akzeptiert werden können. Er dürfte eine gute Ausgangsbasis für die weiteren Beratungen des Vorhabens bilden. Eine Einigung im Rat kam noch nicht zustande." Diese Darstellung bemüht sich summarisch und mit diplomatischer-metaphorischer Vagheit, einerseits die Perspektive deutscher Interessen zu betonen, andererseits nicht die Verhandlungsmöglichkeiten eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens durch explizite Darstellung von Konfliktpositionen zu belasten. Angedeutet wird ein Grundmuster für die EG-Gesetzgebung: Weitreichende Vorschläge der Kommission werden durch Ratskompromisse verwässert. 96 eben im Amtsblatt veröffentlicht, gleiches gilt für die WSA-Stellungnahme. Die Änderungsvorschläge kommen in allen Sprachen aus dem Europäischen Parlament, liegen allerdings zuerst auf englisch und französisch vor. 3.5 Zur Arbeitsteilung zwischen WSA-Mitgliedern, Generalsekretariat, Übersetzern und Dolmetschern Konsequenz der institutioneilen Arbeitsteilung zwischen WSA-Mitgliedern und Übersetzern ist eine „Autarkie“ der Mitglieder bei der Texterstellung; Versuche, die Arbeit an Texten zu normieren und zu kodifizieren, haben damit geringe Chancen. Ein praktisches Problem bei der Übersetzerarbeit, das viel Zeit verschlingt, ist dabei die Verifizierung von Verweisen und Zitaten, ein Grund für WSA-Übersetzer, eine schlechte Vorbereitung der Texte durch Autoren und Beamte im GeneralSekretariat zu kritisieren. Ähnliche Beschwerden, daß sehr viel Arbeitszeit mit solch redaktionellen Arbeiten verschwendet werde, haben wir im übrigen auch von vielen Übersetzern der EG- Kommission gehört. Dolmetscher und Übersetzer haben im WSA einen unterschiedlichen Status: Die Dolmetscher werden gestellt von einem „Gemeinsamen Dolmetscher- und Konferenzdienst“ für Rat, Kommission und WSA mit nachrangiger Priorität für die WSA-Sitzungen; dagegen verrichten Übersetzer ihre Arbeit in einem hauseigenen Übersetzungsdienst. WSA-Übersetzer halten eine thematische Spezialisierung an sich für wünschenswert; das ist aber nicht zu realisieren bei „Engpässen“ (d.h. wenig Personal für bestimmte Sprachenkombinationen): Sie müssen dann auch Texte aus Fachgruppen bearbeiten, für die sie sich fachsprachlich nicht besonders kompetent fühlen. Einer solchen Problemsicht liegt ein komplexes Arbeitsprofil von EG-Übersetzem zugrunde: Zu ihrer Tätigkeit gehören auch Vorbereitungsphasen inhaltlicher Einarbeitung in ein bestimmtes Fachgebiet, bevor sie mit der konkreten Übersetzungsarbeit beginnen können. Dafür stehen dann als Hilfsmittel Fachwörterbücher und die Datenbank Eurodicautom 27 zur Verfügung; wegen des komplizierten Zugriffs im Übersetzer-Alltag wird Eurodicautom aber nur eingeschränkt genutzt, z.B. bei „gebündelten“ Anfragen. Die Datenbank soll aber auch durch Rückmeldungen über die sog. „Terminologie-Gruppe“, in der auch ein WSA-Vertreter sitzt, ausgebaut und aktualisiert werden. 27 Eurodicautom („Europe-Dictionnaire automatise“) ist eine europäische Terminologie- Datenbank für wissenschaftliche und Fachtermini, Akronyme und Abkürzungen (mit deren Bedeutungen). Als ..Informationstypen verwendet sie u.a. Begriffe, Phrasen, Abkürzungen; die Quelle der Übersetzung; einen „Verläßlichkeits-Code“ mit Werten zwischen 0 und 5, wobei 5 für eine standardisierte Terminologie steht; Kontextphrasen; Definitionen; Referenzen (Informationsquellen); sprachliche oder inhaltliche Anmerkungen. Der Zugang ist frei (vgl- Commission of the European Communities 1990, 34f.). 97 Durch Änderungsvorschläge und -anträge werden Texte im Verlaufe des Verfahrens „ausgewogener“, abstrahieren also von der persönlichen Einstellung des Berichterstatters. Aus Sicht von WSA-Übersetzem gibt es allerdings auch den Berichterstattertyp, der sich von vornherein bemüht, alle Aspekte dialektisch einzubringen. Dabei haben unterschiedliche Arbeitsstile Konsequenzen für den Arbeitsanfall der Übersetzer: Ein arbeitsgruppenbezogener Stil äußert sich darin, daß der Berichterstatter zunächst nur ein Schema mit thematischen Anregungen vorlegt. Dagegen steht ein „ichbezogener“ Stil: Solche Berichterstatter geben gleich zu Anfang viel ausformulierten Text vor, der dementsprechend stärker abgeändert werden muß. Eine andere Dichotomie unterschiedlicher Arbeitsstile von Berichterstattern im WSA stammt vom niederländischen Gewerkschaftler Etty: Er unterscheidet zwischen „Vielschreibern“ und den von ihm positiv bewerteten „Verantwortungsträgem“. „Vielschreiber“ sind meist in Brüssel, schreiben oft ihre Stellungnahmen nicht selbst, sondern delegieren das an das Sekretariat. Das Ergebnis sind „sichere, keine abenteuerlichen“ Stellungnahmen. „Verantwortungsträger“ schreiben selbst, delegieren allenfalls an ihren Sachverständigen, um so das Gleichgewicht unterschiedlicher Interessen selbst bestimmen zu können. Klaus Meyer-Hom fordert als Kriterium für die Expertise eines Berichterstatters, er dürfe in seiner Fachkenntnis nicht von einem Sachverständigen/ Experten abhängig sein: „Der Berichterstatter selbst sollte so gut sich auskennen, daß er eigentlich im besten Falle jedes Wort der Stellungnahme selbst geschrieben hat, oder wenn nicht, daß er dann jedes Wort beurteilen kann, nicht, und sich nicht da einen Text hinlegen läßt, wo er nur noch den Namen drunter setzt.“ Nach wie vor aktuell ist eine schon 1962 von Gerda Zellentin formulierte Opposition zweier prototypischer Berichterstatterrollen im WSA: Selbständig unter Bemfung auf eigene Expertise (folglich werden Initiativen von Kollegen in der Studien- und Fachgruppe abgewehrt) vs. „Sprachrohr“ der Gruppe (ohne den Anspruch, der Stellungnahme persönliches eigenes Profil zu geben): „Der Typ des WSA-Berichterstatters liegt noch nicht fest. Wird ein hohes Mass an Sachverstand von ihm verlangt, nimmt er die Züge des sehr selbständigen Rapporteurs der französischen Nationalversammlung an. Normalerweise ähnelt er in Ausübung seiner Synthesefunktionen bei den Verhandlungen in der Arbeits- und Fachgruppe eher dem Berichterstatter des Deutschen Bundestages, der dem Plenum, bei Enthaltung jeglicher persönlicher Meinungsäusserungen, über die Beschlüsse des Ausschusses Bericht erstattet.“ (Zellentin 1962, 147) Zellentin formuliert normative Ansprüche an den Berichterstatter als Moderator und Filterinstanz für partikulare Formulierungsinteressen: Er muß Distanz zu seiner eigenen Interessengebundenheit (als Vertreter eines nationalen In- 98 teressenverbandes oder nationaler Interessen) halten und aus komplexen Meinungsbekundungen „europäische“ Gedanken abstrahieren können: „Als Organ des WSA hat sich der Berichterstatter soweit wie möglich von seiner Interessenaffinität zu befreien und seine Aufgabe darin zu sehen, die Gruppenmeinungen auf ihren europäischen Gehalt hin zu überprüfen und dafür Sorge zu tragen, dass in die Stellungnahmen keine Klauseln einfliessen, die nationalen Verbandsinteressen einseitige Vorteile bringen.“ (Zellentin 1962, 147f.) „Konsensfähige Formeln“ als vorsichtig vorgebrachte Meinungen sind kennzeichnend für den Stil der WSA-Stellungnahmen. So sieht auch Gerd Muhr Vagheit und einen Verzicht auf Explikation als Strategie zur Textarbeit bei stark divergenten Bedeutungszuschreibungen für Schlüsselbegriffe in verschiedenen Sprachen: „Hier kann man oftmals dann darauf hoffen, daß das nicht jeder so hart versteht, wie wir es meinen, so daß sie das also noch mittragen, ohne daß sie dabei gleichzeitig sich inhaltlich das vorstellen, was wir haben.“ Die „Schwammigkeit“ von Formulierungen in Entwürfen des Berichterstatters ist dabei ein praktisches Problem für Übersetzer: Sollen sie sie beibehalten oder im Interesse prospektiver Leser den Text deutlicher machen? Es gibt institutionelle Gründe für Vagheit: die Konsensorientierung, eine antizipierende Ausblendung anstößiger Aspekte, eine Umschreibung mit Floskeln zur impliziten Berücksichtigung von Einwänden. Für den Übersetzer bietet sich die Rückfrage beim Verfasser des Textes bei Problemen aber nur in ganz krassen Fällen an. Neben der Arbeitsteilung, die institutionell keine direkten Kontakte zwischen WSA-Mitgliedem und Übersetzern vorsieht, liegt das vor allem an der nur zeitweisen Präsenz der WSA-Mitglieder in Brüssel. Prinzipiell gibt es aber die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen Übersetzern und Berichterstattern, bei Problemen auch institutionalisiert im Rahmen einer eigens anberaumten Sitzung. Dieses ist eine der zentralen Aufgaben des Koordinators des Übersetzungsdienstes: Wenn er sich der Meinung der Übersetzer anschließt, daß der Text in der vorliegenden Form nicht übersetzbar ist, wendet er sich an den Berichterstatter oder die Mitverfasser und bittet sie um Erläuterungen oder sogar um eine Sitzung mit den zuständigen Übersetzern. Im Gegensatz zur Kommission hat der WSA wegen seiner Überschaubarkeit diese Möglichkeit. Ähnliche Verfahren hat uns auch ein niederländischer Übersetzer im Interview dargestellt: Übersetzer arbeiten informell auch als Dolmetscher für kleine interne Sitzungen. Diese Praxis hebt die in größeren EG-Institutionen strikt durchgehaltene Arbeitsteilung zwischen Übersetzern (zuständig für Texte) und Dolmetschern (zuständig für mündliche Kommunikation) partiell wieder auf. Auch innerhalb des Übersetzungsdienstes gibt es eine Arbeitsteilung mit einer unterschiedlichen Verantwortlichkeit für den Text: Übersetzer durchlau- 99 fen eine Karriere vom Hilfsübersetzer über den Übersetzer, den Hauptübersetzer und den Revisor. Ein Übersetzer pro Sprache kann schließlich Abteilungsleiter werden. Hauptübersetzer können Texte eigenständig herausgeben, Übersetzer nicht, sie müssen revidieren lassen. Revisoren übersetzen nur noch aushilfsweise. Dieses System wird auch im WSA mit seiner vergleichsweise geringen Personalstärke durchgehalten; das Zahlenverhältnis Übersetzer zu Revisor (Hauptübersetzer) soll zwei zu eins betragen. Im Unterschied zur Kommission werden im WSA durch Kürzel Übersetzer und Bearbeiter im Schreibpool kenntlich gemacht. Es gibt im WSA Prioritäten für unterschiedliche Textsorten bei der Übersetzerarbeit: Stellungnahmen in allen Entwurfsstadien rangieren vor hausinternen Mitteilungen und Briefen. Der Arbeitsaufwand für die Übersetzung von Arbeitsdokumenten ist theoretisch gleich hoch wie der bei endgültigen Stellungnahmen, in der Praxis bei Termindruck und Prioritäten für andere Dokumente wird er aber reduziert im Hinblick auf spätere Überarbeitungsmöglichkeiten. Angestrebt wird, daß ein Übersetzer einen Text durch alle Stufen betreut, um zusätzliche Einarbeitungszeit eines anderen Übersetzers und Inkonsistenzen in der verwendeten Terminologie zu vermeiden. Im Arbeitsalltag orientieren sich EG-Übersetzer an Arbeitsprojekten mit festen Terminvorgaben, nicht an festen Arbeitszeiten; Überstunden müssen ohne Ausgleichsanspruch geleistet werden. Eine Erweiterung der Fremdsprachenkompetenzen für Übersetzer wird auch durch hausinteme Weiterbildungsmaßnahmen betrieben; erwünscht ist, daß Übersetzer die Zahl der Sprachen vergrößern, aus denen sie in ihre Muttersprache übersetzen können. Gegenläufig wirkt die Verpflichtung für den Übersetzer, „sich auf dem laufenden halten“. Eine Pflege und Aktualisierung der fremdsprachlichen Kompetenz, eine Vertrautheit mit aktuellen politischen Themen und mit ihrer sprachlichen Verarbeitung ist nur bis zu einer bestimmten Zahl von Fremdsprachen möglich. Zudem gibt es für Übersetzer für diese Art informeller Weiterbildung kein zeitliches Deputat. Die Übersetzungsarbeit ist im WSA weniger strikt normiert als beim Rat: Im EG-Rechtsetzungsverfahren erstellt der WSA keine rechtsverbindlichen Texte, daher gibt es keine Kontrollinstanz, die für „identische“ Texte in allen Amtssprachen sorgt. 28 Der WSA-Übersetzer hat daher größere stilistische Freiheiten. Die Grenze des Erlaubten wird freilich überschritten, wenn Probleme ausgeklammert werden, die in der nächsten Sitzung noch erkennbar bleiben müßten. Ein WSA-Übersetzer hat uns seine stilistischen Freiheiten mit der Quintessenz benannt: 28 Das wird in der Gruppe der Rechts- und Sprachsachverständigen im Juristischen Dienst der EG-Kommission „Konkordanz“ genannt. 100 „Das ist eigentlich der Vorteil, den man hier hat, [...] daß das ja eigentlich keine hochtechnischen Texte sind, sondern Texte, die sich angenehm lesen lassen sollen.“ Es gibt Möglichkeiten bildlicher Darstellung durch idiomatische Konkretisierung metaphorischer Ansätze in der Zielsprache; so wurde z.B. „si sono ripiegate [...] su se stesse“ im italienischen Textoriginal zu „haben sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen“ in der deutschen Übersetzung. Der Freiraum bei der Übersetzung wird syntaktisch begrenzt durch Referenzeindeutigkeit: In der Sitzung muß eine Identifizierung bestimmter Textstellen durch Hinweise wie „Seite 3, 2. Absatz, letzter Satz“ möglich sein. Wenn lange Sätze („Bandwurmsätze“) durch mehrere kurze in der Zielsprache wiedergegeben werden, ist die Referenz erschwert. Die Arbeitsorganisation im Übersetzungsdienst sieht vor, daß die Verwaltungsräte zur Arbeitserleichterung für den Übersetzer bei revidierten Entwürfen unveränderte, geänderte und neue Textpassagen kennzeichnen sollen; solche metakommunikativ-redaktionellen Randbemerkungen werden immer auf französisch als der internen Verwaltungs-Arbeitssprache gemacht ein Beispiel für die Dominanz einer internen Verständigungssprache. 3.6 Textsorten innerhalb und außerhalb des WSA 3.6.1 „(Initiativ-)Stellungnahme“ und „Bericht“ Im Interview erläutert die Vizepräsidentin des WSA, Susanne Tiemann, den Unterschied zwischen den beiden Textsorten „(Informations-)Bericht“ und „Stellungnahme“: Während eine Stellungnahme sich zu einem von der Kommission vorgeschlagenen Projekt mit konkreten Bezügen auf vorgelegte Planungen äußere, gelte für den Informationsbericht: „Da hat sich der Wirtschafts- und Sozialausschuß entschlossen, zu bestimmten europäischen Themen Stellung zu nehmen; also gar nichts, was jetzt besonders aktuell wäre und zur Realisierung anstünde, sondern zu einem Thema.“ Als Beispiel für eine solche komplexe Darstellung („um die Probleme mal in Gänze aufzuarbeiten“) führt sie einen vor einigen Jahren entstandenen Informationsbericht über das Gesundheitswesen in Europa an: „Das ist in der Schublade verschwunden“. Der Koordinator des WSA-Übersetzungsdienstes, Heinz Zerwes, ergänzt diese Darstellung narrativ aus der fiktiven Perspektive eines WSA-Mitglieds, das zu exemplarischen Themen „Handlungsbedarf“ feststellt; dann könne eine Stellungnahme als wertendes Destillat auf einen Informationsbericht aufbauen: „Und da stellt man also öfters fest, dann geht man zur Kommission und fragt: .Habt ihr was darüber? “ Dann sagen die ,Nein‘. Und ab und zu, also ein-, zweimal im Jahr kommt das wirklich vor, daß ein Mitglied des Ausschusses feststellt, hier ist noch niemand überhaupt auf das Problem gestoßen, hier wird kein Handlungsbedarf, nicht mal für eine Stu- 101 die empfohlen. Hier sollte der Wirtschafts- und Sozialausschuß von sich aus hingehen und etwas erarbeiten. Dann werden also viel stärker als sonst Sachverständige rangezogen, dann gibt’s eine ziemlich dicke Bibel die Stellungnahmen sind sonst klein diese Informationsberichte, die können zwischen 50 und 100 oder auch 200 oder 300 Seiten (einmal zur Fischereipolitik) stark sein. Das wird also zunächst gemacht zur Information für die Mitglieder, um die mal zu sensibilisieren. Dann ist der Kommissionsvertreter wie üblich dabei, und dann wird beschlossen, dieses dicke Paket das passiert fast immer an die Organe Rat, Kommission, Parlament weiterzusenden. Und wenn es dann im Hause selbst als interessant empfunden wird, dann heißt es: ,Ach, jetzt könnten wir doch, da wir jetzt schon die ganze Vorarbeit geleistet haben, die Fakten sind da, jetzt machen wir dazu noch ’ne kleine Stellungnahme.’ Das mündet also sehr oft in eine Stellungnahme ein, aber das Anliegen ist oft das von dem Einen oder Anderen für seinen Sachbereich empfundene Vakuum in Europa.“ Mit den ihm seit 1974 vom Rat zugestandenen Initiativstellungnahmen kann sich der WSA während des ganzen EG-Rechtsetzungsverfahrens äußern und zu einem ihm opportun erscheinenden Zeitpunkt einschalten. Mit Initiativstellungnahmen kann der WSA bestimmten Kommissionsvorschlägen vorgreifen, sich zu Problemen allgemeiner Bedeutung äußern, zu denen er nicht konsultiert worden ist, und seine Meinung über aktuelle und politisch wichtige Probleme kundtun (vgl. Gordon Vergara 1991, 24). Dieses Recht auf Initiativstellungnahmen läßt sich mithin nicht nur dort nutzen, wo die EG- Politik sich bereits etabliert hat, sondern auch dort, wo die EG bislang kaum tätig wurde, um eben den Willen der wirtschaftlichen und sozialen Kräfte im WSA aufzuzeigen, daß eine solche Tätigkeit wünschenswert sei (Gordon Vergara 1991, 25). Bei Defiziten der bisherigen EG-Gesetzgebung muß der Berichterstatter für die Initiativstellungnahmen eine neue Textstruktur schaffen; er kann dazu sein Eigeninteresse an der Frage einbringen. Die „Initiativstellungnahme“ des WSA darf freilich nicht mit dem „Initiativrecht“ der Kommission verwechselt werden: „Wird die Kommission initiativ, so setzt sie ein Verfahren in Gang, das in der Regel zu einer Entscheidung des Rates führen soll. Demgegenüber können die Initiativstellungnahmen des WSA in keiner Weise nach geltendem Europarecht den Entscheidungsprozeß des Rates beeinflussen. Deshalb sind sie mit dem Makel der Unverbindlichkeit behaftet.“ (Brüske 1979, 28; vgl. auch Louis 9 1987/ 88, 141) 3.6.2 „Stellungnahme“ und „Presseerklärung“ Unterschiede zwischen den Textsorten „Stellungnahme“ und „Pressemitteilung“, wie sie uns der stellvertretende Pressesprecher des WSA, Francis Whyte, beschrieben hat, zeigen aus einer weiteren Perspektive, welche institutionellen Aufgaben konstitutiv für WSA-Stellungnahmen sind. Whyte beschreibt einige Veränderungen in der Praxis der WSA-Pressearbeit, seit er in der Pressestelle arbeitet; - Nach dem früheren Verfahren wurden auf französisch geschriebene Presseerklärungen innerhalb einer Woche in die anderen EG-Sprachen über- 102 setzt, gedruckt und dann verteilt; dieses Verfahren wird jetzt nur noch für Presseerklärungen zu Plenarsitzungen angewandt, da sie auch an WSA- Mitglieder gehen. - Nach dem neuen Verfahren werden sonstige Presseerklärungen nur auf französisch per Fax verbreitet. Whyte begründet das neue Verfahren mit dessen Vorteilen: (1) Alle Pressekonferenzen in Brüssel finden auf französisch statt, hier arbeitende Journalisten müssen dafür qualifiziert sein zumal sie oft nicht nur für die EG, sondern auch für das frankophone Belgien akkreditiert sind. Der WSA hat sich den Arbeitsbedingungen für Journalisten in Brüssel angepaßt. (2) Elektronische Medien (Computer, Fax) können so besser genutzt werden. (3) Die langsame traditionelle Prozedur vermindert die journalistische Nachfrage - Journalisten sind nicht an eine Woche alten Texten interessiert. (4) Das Verfahren spart dem WSA Geld. Nachteilig ist freilich, so Whyte, daß die Nachfrage von Journalisten aus Ländern mit Englisch als vorherrschender lingua franca (z.B. Schweden) nicht befriedigt werden kann: „Now the trouble is, and I’m getting phone calls from journalists, including one yesterday from Swedish television saying ,Thanks for your Fax and so on, but can we have them in English or other languages? * And I said ,Unfortunately not, because we work in French basically because most journalists read French in Brussels*.“ Für Presseerklärungen wird aus zwei Gründen auf den Ubersetzungsdienst verzichtet: - Übersetzer sind wörtliche Übersetzungen gewohnt, berücksichtigen nicht länderspezifisch unterschiedliche journalistische Stile, auf die Whyte aber nur global verweist, die er nicht im einzelnen beschreibt. - Zeitbedarf: Für die Übersetzung und den Druck des monatlichen „news letter“ werden zwei Wochen benötigt, weil diese Texte von der Produktionsabteilung des WSA im Gegensatz zu den Stellungnahmen in all ihren Entwurfsstadien nicht als prioritär behandelt werden. Whyte formuliert als Quintessenz: „So anything to do with information comes second, because it’s not vital to the Committee. So there’s no proper information policy, I find, in the Committee“. Auch die Geringschätzung einer aktiven Informationspolitik im WSA, wie sie Whyte nicht namentlich genannten WSA-Mitgliedem unterstellt, ist motiviert durch deren abweichendes Verständnis der WSA-Rolle, wonach die zentrale Aufgabe einer beratenden Versammlung nicht sei, sich öffentlich zu äußern, sondern Einfluß auf die anderen EG-Organe auszuüben. Die WSA-Stellung- 103 nahmen seien zudem Ausdruck eines „very delicate compromise“ zwischen den drei Gruppen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und sonstigen Interessen; das Gleichgewicht des Interessenausgleichs könnte durch eine journalistische Aufbereitung gestört werden, und der WSA würde so seine Aufgabe verfehlen. Gegenüber dieser dominanten Mißachtung für die journalistische Aufbereitung von Stellungnahmen plädiert Whyte vehement für die Gegenposition einer Minderheit: „Today an institution can’t survive without being in the Press, without being mentioned in the Press and even if you want to impress the other institutions, the more articles are written about the Committee, the more they perhaps will take in to account what we say.“ Whyte sieht eine Kollision zwischen den WSA-Arbeitsprinzipien Konsens und Einstimmigkeit („consensus and unanimity“) und dem journalistischen Bedürfnis, die unterschwelligen Interessenkonflikte herauszuarbeiten. Er berichtet über einen Sabotagevorwurf, der ihm von WSA-Verwaltungsräten gelegentlich wegen seiner Vorliebe für die Darstellung von Divergenzen gemacht werde. Allerdings habe er bislang stets Rückendeckung durch den bisherigen Generalsekretär erhalten: „He knew that to be in the Press you had to talk about where the conflict was.“ 3.6.3 Die Praxis des Konsultationsverfahrens im WSA und im Europäischen Parlament Das Konsultationsverfahren als traditionelles Verfahren im EG-Gesetzgebungsprozeß wurde von der Einheitlichen Europäischen Akte nicht berührt. Im EWG-Vertrag ist die obligatorische Anhörung des Europäischen Parlaments in mehreren gemeinschaftlichen Tätigkeitsbereichen, insbesondere dem freien Warenverkehr (Art. 14), der Gemeinsamen Agrarpolitik (Art. 43), dem Niederlassungsrecht (Art. 54), der Verkehrspolitik (Art. 75) oder den Assoziierungsabkommen (Art. 228) vorgesehen. Auch das Europäische Parlament (EP) kennt neben der obligatorischen die fakultative Befassung, die im Laufe der Jahre auf die meisten legislativen Vorschläge der Kommission ausgedehnt wurde. Das Konsultationsverfahren im EP hat ebenso wie die Erarbeitung einer WSA-Stellungnahme verschiedene Phasen: "a) Die Vorschläge der Kommission werden vom Rat dem Europäischen Parlament zur Stellungnahme übermittelt. b) Der Präsident des Europäischen Parlaments überweist den betreffenden Vorschlag an den federführenden Ausschuß und gegebenenfalls an weitere mitberatende Ausschüsse. 104 c) Der federführende Ausschuß prüft die Richtigkeit und Angemessenheit der vorgeschlagenen Rechtsgrundlage. Stellt er diese Rechtsgrundlage in Frage, so kann er nach Anhörung des Rechtsausschusses dem Plenum einen mündlichen Bericht erstatten. d) Zur Beschleunigung des Beschlußfassungsverfahrens sind besondere Verfahren vorgesehen: Dringlichkeitsverfahren, Übertragung der Entscheidungsbefugnis an einen Ausschuß, Verfahren ohne Aussprache, Verfahren ohne Bericht. e) Der federführende Ausschuß und das Plenum können Änderungsanträge zu dem Vorschlag annehmen und ihn dementsprechend ändern. Das Europäische Parlament kann den Vorschlag auch ohne Änderungen annehmen oder ablehnen. Das Europäische Parlament nimmt den Entwurf einer legislativen Entschließung an; damit ist das Konsultationsverfahren abgeschlossen. f) Der Präsident des Europäischen Parlaments übermittelt dem Rat und der Kommission den Text des Vorschlags in der vom Parlament angenommenen Fassung und die dazugehörige Entschließung als Stellungnahme des Parlaments. g) Das Europäische Parlament kann die Kommission vor der Abstimmung über den Entwurf einer legislativen Entschließung ersuchen, ihren Vorschlag zurückzuziehen, falls dieser nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Zieht die Kommission ihren Vorschlag daraufhin nicht zurück, so überweist das Parlament den Text an den federführenden Ausschuß zurück, der innerhalb einer Frist von höchstens zwei Monaten Bericht erstatten muß. h) Das Europäische Parlament kann außerdem die Abstimmung über den Entwurf einer legislativen Entscheidung so lange zurückstellen, bis die Kommission ihre Haltung zu jeder Änderung des Parlaments bekanntgegeben hat (auf jeder Tagung unterrichtet die Kommission der Europäischen Gemeinschaften das Europäische Parlament über ihre Weiterbehandlung der vom Parlament angenommenen Stellungnahmen und Änderungen). i) Der Vorsitzende und der Berichterstatter des federführenden Ausschusses verfolgen den Ablauf des Verfahrens bis zur Annahme des Vorschlags durch den Rat, um zu gewährleisten, daß die Kommission ihre Zusicherungen gegenüber dem Parlament in bezug auf dessen Änderungen eingehalten hat. Der Rat kann ersucht werden, unter bestimmten Voraussetzungen ein erneutes Konsultationsverfahren einzuleiten. j) Für bestimmte wichtige Vorschläge kann ein Konzertierungsverfahren mit dem Rat unter aktiver Mitwirkung der Kommission eingeleitet werden, sofern der Rat beabsichtigt, von der Stellungnahme des Parlaments abzuweichen [...].“ (Parlament 1989, 135) Der Vergleich der Textgenese-Verfahren in WSA und EP ergibt Analogien und Unterschiede: Analog sind formale Schritte (Konsultation als Übermittlung zur Stellungnahme an das jeweilige Präsidium; Überweisung durch das Präsidium an den zuständigen Parlaments-Ausschuß bzw. die zuständige WSA-Fachgruppe) und Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung bei Dringlichkeit (im WSA: Verzicht auf eine Studiengruppe, statt dessen Bestellung eines „Hauptberichterstatters“). Unterschiedlich ist die Dreiteilung der Arbeitsphasen in Studiengruppe, Fachgruppe und Plenum (WSA), der im EP lediglich die Zweiteilung in Aus- 105 schuß und Plenum gegenübersteht. Komplizierter wird das Verfahren im EP durch die Möglichkeit, einen Ausschuß als „federführenden“ zu benennen, der die Stellungnahmen anderer, mitbetroffener Ausschüsse vor Beschlußfassung einholen muß. Insgesamt sind die Aktionsmöglichkeiten des WSA im Konsultationsverfahren beschränkter: Der WSA nimmt global zu einem Kommissionsvorschlag Stellung, er macht nicht formell Änderungsanträge zu einzelnen Artikeln oder Formulierungen. Von einer Möglichkeit, die Kommission um Rücknahme ihres Vorschlags zu ersuchen, ist in den Rechtsbestimmungen des WSA (Verträge, Geschäftsordnung, Anordnungen des Präsidiums) nicht die Rede. Die Zurückstellung einer Abstimmung über den Entwurf einer legislativen Entschließung, bis die Kommission ihre Haltung zu jeder Änderung bekanntgegeben hat, ist für den WSA kein Druckmittel; er schadet sich nur selbst, wenn er eine Abstimmung aufschiebt, da er riskiert, im weiteren Rechtsetzungsverfahren mit seiner Stellungnahme gar nicht mehr berücksichtigt zu werden. Der WSA wird von der Kommission über die Weiterbehandlung der angenommenen Stellungnahmen und Änderungswünsche nicht auf jeder Tagung, sondern alle drei Monate schriftlich unterrichtet. Unterschiede ergeben sich nicht nur im prozeduralen Detail, sie sind vielmehr zurückzuführen auf unterschiedliche Arbeitsprinzipien: ausgehandelte politische Positionen im EP, um die Interessen aller europäischen Bürger zu vertreten, gegen Konsensfindung nach Konfrontation divergenter Interessen im WSA: „Le Parlement est un Organe politique, dont les jugements sont fondes sur des choix politiques, alors que le Comite est un Organe ä vocation economique et sociale. Les choix fails par le Comite economique et social le sont sur la base d’une confrontation entre des interets divergents qui cherchent ä se rapprocher entre eux, ä trouver un consensus commun, mais sur une base concrete.“ (Louet 1982, 13) 3.7 Sprachenregelung Der WSA praktiziert für seine Texte eine Vollsprachenregelung, nach der jedes Mitglied Texte in seiner Muttersprache verfaßt, die dann in alle EG- Amtssprachen übersetzt werden. Dieses Modell ist freilich teuer und dabei nicht naturwüchsig das beste zur Verständigungssicherung in Kontaktsituationen. Dazu ein kleiner Exkurs: Aufgrund der Erfahrungen mit der Hauszeitschrift seines Verbandes, dem EUFI-Joumal, hält Klaus Meyer-Horn die von Nichtmuttersprachlem verfaßten Texte für nichtmuttersprachliche Rezipienten für verständlicher als Texte von Muttersprachlern. Regel sei hier, daß „das Deutsche vielleicht nicht immer das Deutsche eines Deutschen ist, das Französische nicht immer das Französische eines Franzosen, aber das nehmen wir nicht nur in Kauf, sondern wir meinen, daß es dadurch sogar eher verständlich wird, denn das Französisch eines Italieners ist vielleicht für einen Spanier eher verständlich als das Französische eines 106 Franzosen, denn wir denken ja auch an die Leser. Die bekommen ja das auch in einer Sprache, die nicht immer die ihre ist. Und die Dänen bekommen es in englisch, und wenn das Englische eben ein Holländer geschrieben hat, dann stört es die Dänen nicht, vielleicht die Engländer, aber die haben sich noch nie beschwert.“ Meyer-Horn schließt das scherzhafte Apersu an, lediglich Franzosen beschwerten sich regelmäßig über nicht-idiomatische französische Texte. 3.7.1 Der Verzicht auf Muttersprache in Studiengruppen- und informellen Sitzungen Für unsere Fallstudien besonders interessant sind die gültigen Regeln für das Übersetzen und Dolmetschen in WSA-Sitzungen: Bei den Europäischen Gemeinschaften müssen Verordnungen und Texte von allgemeiner Bedeutung in die 9 Amtssprachen übersetzt werden. Eine Übersetzung der Texte und eine Verdolmetschung der mündlichen Debattenbeiträge in alle und aus allen EG- Amtssprachen findet im WSA bei den „offiziellen“ Gremiensitzungen statt, d.h. den Gremien, die durch das primäre Gemeinschaftsrecht etabliert worden sind (insbesondere Plenum, Fachgruppe, Präsidium). In vielen Fällen kann das Simultandolmetschen aber nicht in allen Sprachen gewährleistet werden. Das ist zugleich ein praktisches, politisches und juristisches Problem: praktisch wegen der Mitglieder ohne Fremdsprachenkenntnisse; politisch gegenüber den Verbänden der Mitglieder und ihrem Mitgliedstaat; juristisch wegen fraglicher Rechtsgültigkeit der Verhandlungen, wenn Mitglieder aus Mangel an Dolmetscherdiensten sich nicht in der Muttersprache äußern oder verständlich machen konnten. Fremdsprachenkenntnisse sind im Gegensatz zu den Beamten der EG- Kommission für Mitglieder des WSA nicht Teil ihres professionellen Anforderungsprofils, denn sie werden als Repräsentanten wirtschaftlicher und sozialer Interessen und als Experten gewählt. Folglich ist Dolmetscher-Hilfe bei internen Sitzungen (in der Kommission auf Referentenebene) unüblich, im WSA obligatorisch; in Sitzungen in den Generaldirektionen werden eine oder zwei Arbeitssprachen verwendet, dagegen alle neun Amtssprachen im WSA. Die Zahl der Arbeitssprachen wird aber, wie aus den „Anordnungen des Präsidiums“ ersichtlich, bei den informellen Studiengruppen beschränkt: „Die Studiengruppen benutzen vier Arbeitssprachen, die der jeweilige Vorsitzende vor der ersten Sitzung nach Maßgabe der Zusammensetzung der Studiengruppe festlegt. Gegebenenfalls kann die vom Berichterstatter gewählte Sprache hinzukommen, wenn sie nicht schon zu den ersten vier Sprachen gehört.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 32) Praktisch können also die Studiengruppen in fünf Sprachen arbeiten, die sich natürlich von Studiengruppe zu Studiengruppe anders verteilen. Die so kodifizierte Abweichung von der Vollsprachenregelung wird hier ohne eine explizite Begründung eingeführt die Einrichtung von Studiengruppen ist eine 107 WSA-inteme Regelung zur Arbeitsentlastung für die Fachgruppe, eine Studiengruppe ist aber kein von den EG-Verträgen vorgeschriebenes Gremium. Auch die nächsten beiden Absätze aus den Anordnungen des Präsidiums schreiben eine Abweichung von der Vollsprachenregelung mit Rücksicht auf knappe Ressourcen (Zeit, Geld für Übersetzungen) vor: „Um die Arbeitslast zu verringern, ist auf die Übersetzung und Vervielfältigung sämtlicher vorbereitender Dokumente zu verzichten, damit die Anstrengungen von Berichterstatter und Studiengruppe sowie die Mittel des Sekretariats auf die Erarbeitung der Stellungnahmen und deren rechtzeitige Übermittlung an die Mitglieder und die Gemeinschaftsorgane konzentriert werden können. Vorbereitende Dokumente sind schriftliche Bemerkungen von Mitgliedern, Sachverständigen und sonstigen Personen, Vermerke und Anlagen, die für die Beratungen bzw. Sitzungen nicht notwendig oder wesentlich sind. [...] Diese vorbereitenden Dokumente werden nur in die Sprache des Berichterstatters übersetzt, dem es obliegt, darüber in den Sitzungen zu berichten, bzw. ihren Inhalt sehr knapp im Bericht wiederzugeben. Nur die für die Beratungen erforderlichen Dokumente, d.h. die Vorentwürfe und Entwürfe von Stellungnahme bzw. Bericht, Änderungsvorschläge und Abänderungen werden in die vom Studiengruppenvorsitzenden festgelegten Arbeitssprachen der Studiengruppe übersetzt.“ (Textsammlung 1986, Teil III, 32) Für diese Sparmaßnahme wird zwischen „vorbereitenden Dokumenten“ und „für die Beratungen erforderlichen Dokumenten“ unterschieden: „Vorbereitende“ sind fakultative schriftliche Kommentare von Mitgliedern der Studiengruppe außer dem Berichterstatter, die anderen verfahrensrelevante Texte, ohne die die Textgenese als irregulär moniert werden könnte. Freilich steht der institutionell niedrige Status von Studiengruppen im Widerspruch zu ihrer Praxisrelevanz für die Textarbeit: Hier wird intensiv am Text und an den Interessendivergenzen gearbeitet, die nachfolgenden Situationen sind zwar entscheidungsrelevant, dienen aber eher der Präsentation von Gemeinsamkeit. 3.7.2 Das Sprachenproblem im WSA als interner Beratungsgegenstand Die im WSA gängigen Verfahren zur Bearbeitung des Mehrsprachigkeitsproblems und die damit aus WSA-Sicht verbundenen Probleme werden deutlich durch die Ergebnisse einer WSA-intemen Arbeitsgruppe „Interpretation“ (Dolmetscherprobleme), die 1987/ 88 tagte. 29 1987 häufen sich Beschwerden von WSA-Mitgliedem. So wird auf einer Sitzung der Fachgruppe Wirtschafts-, Finanz- und Währungsfragen am 19.5.1987 eine erneut fehlende Verdolmetschung ins Portugiesische und Griechische als sprachliche Diskriminierung eines Teils der Mitglieder mo- 29 Die meisten Dokumente liegen im WSA-Archiv nur auf französisch vor; sie sind hier in eigener deutscher Übersetzung zitiert, sofern nicht anders vermerkt. 108 niert; im Wiederholungsfall von zwei oder mehr nicht abgedeckten Sprachen solle die Sitzung vertagt werden. Eine Ad-hoc-Gruppe aus drei Mitgliedern (eines pro Gruppe) und zwei Vertretern des Generalsekretariats tagt zwischen Oktober 1987 und Januar 1988 vier Mal; auf der zweiten Sitzung trägt die Generaldirektorin für den Dolmetscherdienst, Renee Van Hoof-Haferkamp, vor. Als Probleme des Dolmetschens in WSA-Sitzungen werden dabei benannt: eine unzureichende Qualität des Dolmetschens ins Spanische, Portugiesische und Griechische und ein Dolmetschermangel für die drei Sprachen und in geringerem Ausmaß für das Dänische und Niederländische. Die Gruppe empfiehlt auf ihrer ersten Sitzung, daß der WSA als konstruktiven Beitrag zur Problemlösung vermeidet, - Studiengruppen mit einer zu großen Mitgliederzahl im Verhältnis zur Bedeutung des Themas zu bilden, - Dolmetscherdienste für Mitglieder zu verlangen, die Fremdsprachen beherrschen, einen Dolmetscherdienst zu kurzfristig anzufordem und - Sitzungstermine zu ändern. Das Generalsekretariat des WSA legt einen Bericht über die aktuelle Situation vor; darin werden unterschiedliche denkbare Konzepte für den Dolmetscherdienst skizziert: „Man kann Sitzungen mit einem Dolmetschen von allen Gemeinschaftssprachen in alle anderen haben, aber oft bedient man sich einer Dolmetschergruppe, die es den Teilnehmer ermöglicht, in einer Sprache ihrer Wahl zu sprechen, während sie nur eine beschränkte Auswahl von Sprachen hören können. Das gibt die Möglichkeit, Übersetzer ,einzusparen*, ohne daß man für irgendjemanden die Möglichkeit beeinträchtigt, sich in seiner eigenen Sprache auszudrücken.“ Der Bericht beschreibt das gängige Verdolmetschungsverfahren: Der WSA nutzt gemeinsam mit der Kommission, dem Rat und der Europäischen Investitionsbank einen „Gemeinsamen Dolmetscher- und Konferenzdienstes“ (SCIC). Das Europäische Parlament hat seinen eigenen Dolmetscherdienst. Der SCIC besteht aus 600 Dolmetschern, davon 40% Freiberuflern („freelancer“). Der WSA beansprucht nur 5,5 bis 6% der SCIC-Tätigkeit. Ein Tag Dolmetscherdienst kostet 15.000 BFS [= 750 DM]. 30 Auch aus der Sicht des SCIC gibt es Probleme für das Dolmetschen im WSA: Die Sitzungen im WSA nehmen zu, mit immer schwieriger zu bewältigenden sprachlichen Kombinationen; der WSA ändert Sitzungstermine kurzfristig, was die Planung erschwert; zu oft fordert der WSA einen Dolmetscherdienst 30 Zahlen von 1987/ 88! 109 an, der dann wegen unentschuldigter Abwesenheit von WSA-Mitgliedem gar nicht benötigt wird. Das Resümee des SCIC: Hierin liege eine Verschwendung „menschlicher“ und finanzieller Ressourcen. In seinem Dankbrief für Frau Van Hoof-Haferkamps Referat besteht der Generaldirektor des WSA, Adriano Graziosi, auf einer besonderen Identität von WSA-Mitgliedem mit unvermeidlichen sprachpolitischen Folgen: „Im Gegensatz zu den Beamten der nationalen Behörden, die an EG-Sitzungen teilnehmen, ist es wenig realistisch zu erwarten, daß alle Vertreter wirtschaftlicher und sozialer Gruppen, namentlich die aus den neuen Mitgliedstaaten, andere Sprachen als ihre Muttersprache beherrschen. Dieser Tatbestand, der durchaus die Abwicklung der WSA-Sitzungen erschwert hat, kann in Kürze die Funktionsfähigkeit der Institution gefährden und in der Folge den Entscheidungsprozeß in der Gemeinschaft.“ Zusammengefaßt werden die Dolmetschprobleme schließlich in einem Bericht der Ad-hoc-Gruppe (auf französisch, lediglich mit einem auch deutschen Anschreiben des Generalsekretärs an die Mitglieder versehen). Darin wird als sinnvolles Konzept des Dolmetschdienstes beschrieben, vorhandene Sprachkenntnisse zu nutzen: „Auch wenn es möglich ist, Sitzungen zu organisieren mit einem Verdolmetschen von allen in alle Sprachen der Gemeinschaft, bedient man sich oft einer Gruppe von Dolmetschern, die es den Teilnehmern erlaubt, die Sprache ihrer Wahl zu sprechen, aber nur eine Sprache aus einer beschränkten Auswahl zu hören. [Fußnote: bekannt unter dem Begriff ,asymmetrisches Dolmetschen“; in diesem Fall können bestimmte Sprachen aktiv und passiv (sprechen und hören) benutzt werden, während andere Sprachen nur passiv 31 verfügbar sind als Sprachen, in denen man sich ausdrücken kann].“ Die Probleme des Dolmetscherdienstes liegen nach diesem Bericht in einem personellen Notstand; nach den EG-Beitritten Griechenlands, Portugals und Spaniens waren pro Kabine drei statt zwei Dolmetscher vorzusehen. Der Mangel in bestimmten Sprachen wird mit Zahlen belegt: Bei 41 Fachgruppensitzungen (von Januar bis Juni 1987) blieb die portugiesische Dolmetscherkabine 22 Mal, die spanische 9 Mal, die griechische 8 Mal und die dänische einmal unbesetzt. Ein weiteres Problem liegt in der Qualität des Dolmetschens; eine Verschwendung von Ressourcen entstehe durch unentschuldigte Abwesenheit von Mitgliedern: finanziell und „menschlich“ (230 überflüssige Dolmetscher von Januar bis November 1987). Dabei setze der SCIC Prioritäten zum Nachteil des WSA: Bei Sprachen mit Dolmetschermangel werden die Sitzungen für die Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bevorzugt bedient. Trotz seiner Rekrutierungsprobleme sei der SCIC nicht bereit, von den eingeführten Einstellungsvoraussetzungen für Dolmetscher abzugehen: Universitätsdiplom, Ausbildung oder Erfahrung als Konferenzdolmetscher und Beherrschung von wenigstens drei der neun Arbeitssprachen. Der SCIC 31 Die Begriffe „aktiv“ und „passiv“ werden hier also aus der Perspektive der Dolmetscher bzw. des Dolmetscherdienstes gebraucht. 110 bevorzuge Kandidaten mit Abschlußfächem wie Agronomie, Wirtschaft, Jura, nicht philologischen Fächern. Der Bericht macht schließlich Vorschläge zur Reorganisation der internen Arbeit, insbesondere der Studiengruppen: u.a. sollen Mitglieder ihre Teilnahme 10 Tage im voraus bestätigen; das Sekretariat soll die Anwesenheit von Mitgliedern bei Sitzungen feststellen, wo eine der Arbeitssprachen nur für 1 -2 Mitglieder nötig ist; eine Kartei sollte zu den sprachlichen Fertigkeiten der Mitglieder angelegt werden, um ein „asymmetrisches Dolmetschen“ zu ermöglichen. 3.7.3 Die Situation der „kleineren“ Sprachen im WSA In Gesprächen mit WSA-Mitgliedem aus den Niederlanden und aus Dänemark haben wir die Probleme angesprochen, die die unterschiedliche Behandlung der Zahl der Arbeitssprachen in den verschiedenen WSA-Organisationsformen (Vollsprachenregelung in Fachgruppe und Plenum, dagegen Reduzierung auf vier Arbeitssprachen in den Studiengruppen) für die „kleineren“ Sprachen hat. Aus einer Randbemerkung von Heinz Zerwes, dem Koordinator des WSA- Übersetzungsdienstes, wird die besonders isolierte Situation der griechischen WSA-Mitglieder deutlich: Er könne mit allen Mitgliedern in allen Sprachen informelle Gespräche führen, zumindest ihnen in ihrer Sprache verdeutlichen, an wen sie sich im WSA-Generalsekretariat bei bestimmten Fragen wenden könnten das könne er nur bei den einsprachigen Griechen nicht. Niederländer konzedieren die besondere Benachteiligung der Griechen, fühlen sich aber wie die Dänen betroffen von einer auch im WSA-Generalsekretariat verbreiteten Unterstellung, daß ihre guten Fremdsprachenkenntnisse ihnen in der Studiengruppe einen Verzicht auf Dolmetscher ermöglichen. Dagegen betont etwa der niederländische Gewerkschafter Etty den Unterschied zwischen einer pragmatischen Haltung (als Verzicht auf die Muttersprache im Einzelfall) und einer prinzipiellen politischen Haltung: Wenn niederländische Mitglieder regelmäßig oder gar generell auf die Muttersprache verzichteten, führe das im Laufe der Zeit institutionell zu einer nachrangigen Priorität für Niederländisch als Arbeitssprache. Ein weiteres Motiv, im Prinzip auf Niederländisch als Arbeitssprache zu bestehen, sieht Etty in der Solidarität mit Arbeitnehmer-Kollegen im WSA, denn zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebe es ein Gefälle an Fremdsprachenkompetenz, Verzicht auf Niederländisch führe so zu einer Benachteiligung von niederländischen Gewerkschaftlern. Freilich ist im Arbeitsalltag eine pragmatische Haltung zum Muttersprachgebrauch vorherrschend. So bekennt Etty, er benutze als Berichterstatter in der Interaktion mit einem englischen oder deutschen Sachverständigen nicht konsequent sein Niederländisch. Etty schreibt seine Texte selbst und zur Zeit- Ill erspamis auf englisch oder deutsch. Er verzichtet damit auf Perfektion zugunsten schnellerer Verständigung. WSA-Mitglieder sprechen von Diskrepanzen in den rein „physischen Möglichkeiten, um im WSA zu partizipieren“: Es gebe Vorteile für Niederländer; Sitzungen in Brüssel seien mit Tagestouren zu erreichen, erforderten nicht unbedingt Übernachtungen in Brüssel. Dagegen stelle die Arbeit im WSA eine starke zeitliche Belastung für Mitglieder aus peripheren EG-Ländem wie Griechenland und Portugal dar. Vor diesem Hintergrund ist eine denkbare zukünftige Reduzierung von Arbeitssprachen und Textversionen als zusätzliche Diskriminierung von WSA- Mitgliedem aus peripheren EG-Ländem zu werten. Gerade Niederländer wenden sich dagegen aus der Perspektive einer unausgesprochenen Koalition der kleinen Sprachen und Länder gegen die großen. Auf die Frage, ob für Formulierungswünsche ein Handicap bestehe, die in der Studiengruppe nicht in der Muttersprache vorgetragen werden können, argumentiert Etty entgegen unserer Arbeitshypothese: Redebeiträge in der Muttersprache würden oft nicht als kommunikative Herausforderung emstgenommen und entsprechend schlecht und „leichtsinnig“ vorbereitet. Dagegen werden nicht-muttersprachliche Redebeiträge als Texte sekundärer Oralität etwa durch schriftliche Merkhilfen präpariert oder argumentativ ausformuliert: „Wenn man das nicht in seiner eigenen Muttersprache tun kann, muß man sich ein bißchen mehr Gedanken darüber machen, und sei es nur in Stichwörtern doch ein bißchen ausformulieren. Wenn man in seiner Muttersprache reden kann, dann nimmt man das oft leichter, arbeitet noch etwas an etwas ganz Anderem, was man noch über den Fax fürs Büro schreiben muß nach Hause, und man weiß ungefähr, damit bin ich nicht einverstanden, aber, gut, das will ich doch so’n bißchen ändern, und bis auf den Moment, daß man also sprechen kann, zerbricht man sich nicht den Kopf zu viel darüber, wie man es sagen wird. Es wird doch wohl gut kommen. [...] Wenn man das in einer anderen Sprache als der eigenen Sprache machen muß, dann macht sich da, generell gesprochen, ein bißchen mehr Gedanken darüber und formuliert die Sache dann auch ein bißchen besser.“ Neben der Situation des Niederländischen interessierte uns besonders der Status des Dänischen, der EG-Amtssprache mit der kleinsten Sprachgemeinschaft; unsere Vermutung war, daß sich hier eher als bei den „großen“ EG- Sprachen Probleme ergeben für den Gebrauch als Arbeitssprache, durch Handicaps, in dieser Sprache Formulierungsinteressen durchzusetzen oder durch einen eingeschränkten EG-spezifischen Fachwortschatz. Der Leiter der dänischen Übersetzungsabteilung im WSA, Tom Feilberg, konstatiert, daß die dänischen Mitglieder häufig auf die Benutzung der muttersprachlichen Textversion verzichten. Der Niederländer Etty sieht das hingegen als spezifisch dänisches Problem. Etty arbeitet mit niederländischen Texten, als Berichterstatter zusätzlich mit den englischen oder deutschen Dossiers. Seine Begründung: Die Benutzung der niederländischen Texte sei notwendig für das Feedback bei niederländischen Kollegen aus den Einzel- 112 gewerkschaften, für die der Rekurs auf einen englischen oder deutschen Text eine Zumutung wäre. Feilberg beginnt seine Darstellung der Situation des Dänischen mit einem resignativen Bekenntnis zum WSA: Er sei als politische Institution aus dänischer EG-Perspektive „sehr schwach profiliert“. Er bedauert das, weil er den WSA als eine „Demokratie schaffende Institution“ sieht, verläßt dann aber diese politische Makroebene und leitet eine Benachteiligung der kleinen Sprachen, insbesondere des Dänischen als der Sprache der kleinsten Sprachgemeinschaft, ab von einem mangelnden Feedback für die Übersetzer während der Studiengruppenphase. Im internen Alltag sehen sich die 12 dänischen Übersetzer als Dienstleister für die nur neun dänischen WSA-Mitglieder (es gibt also mehr dänische Übersetzer als Mitglieder! ). In den Studiengruppen sind Dänisch, Portugiesisch, Niederländisch, Griechisch nur ausnahmsweise Arbeitssprachen; das hängt u.a. davon ab, ob ein dänisches Studiengruppenmitglied die Papiere auch auf dänisch verlangt. Ansonsten findet die Arbeit nur „in den Kulissen“ statt: Der Text wird nicht vervielfältigt und an die Mitglieder verteilt, liegt aber intern vor (übersetzt, aber nicht überprüft). Die dänischen WSA-Mitglieder und EG-Beamte bevorzugen statt dessen die englischen Textfassungen. Sie enthalten damit den dänischen Übersetzern eine Chance vor, über die ihre Kollegen für die verbreiteteren EG- Sprachen verfügen nämlich daß durch Korrekturwünsche in den Sitzungen, kritische Äußerungen zu Diskrepanzen in den Sprachfassungen und terminologische Präzisierungen die dänische Fassung in Zusammenarbeit zwischen Übersetzern und WSA-Mitgliedem optimiert wird. Nur rezipierte Texte können verbessert werden für dänische Vorabfassungen sind aber die Übersetzer allein verantwortlich. Feilberg liefert Zusatzinformationen: Es gibt lexikalische Bereiche in der EG-Fachterminologie, die für das Dänische „künstlich“ geschaffen werden mußten; entweder geht es dabei um Wirtschaftssektoren oder um Infrastrukturen, die für Dänemark aus geographischen Gründen irrelevant sind (z.B. Bergbau, Binnenschiffahrt). Andererseits wird in bestimmten Wirtschafts- und Technikbereichen in Dänemark ohnehin englisch kommuniziert (z.B. Atomtechnologie, internationaler Zahlungsverkehr im Bankwesen). So sind selbst Rückfragen zu speziellen Termini aus der Atomtechnologie beim dänischen Kemforschungszentrum in Riso zwecklos, weil die EG-Übersetzer dann auf Englisch als internationale Sprache der Atomphysiker verwiesen werden. 3.8 WSA und Lobbyisten Eine Vielzahl von Lobbyisten in Brüssel versucht, informell auf das EG- Rechtsetzungsverfahren Einfluß zu nehmen. Dies belegt die wachsende Bedeutung der EG-Gesetzgebung und ist nicht nur negativ als Bedrohung transparenter und demokratisch kontrollierbarer Entscheidungsverläufe zu werten, 113 sondern auch als nützlicher Informationsfluß für EG-Beamte, vor allem bei technischen Spezialfragen: „During the late 1980s, direct lobbying of EC institutions became an increasingly important part of the decision-making process within the Community. Such lobbying strengthens EC autonomy over the interests of member states.“ (Andersen/ Eliassen 1991, 173) 32 Den WSA könnte man als eine institutionalisierte Lobbyisten-Konferenz ansehen, doch die EG-Kommission erwartet vom WSA etwas, was ihr die einzelnen Lobbyisten gerade nicht liefern können daß er das „latent oder offen vorhandene Konfliktpotential aus der Wirtschafts- und Sozialstruktur der Mitgliedstaaten der EG in die politische Willensbildung“ einbringt und „interessenausgewogene Kompromißformeln“ (Brüske 1992, 343) anbietet. Lobbyisten versuchen, durch persönliche Kontakte und durch sogenannte „Non-Papers“, also Texte oder Textfragmente ohne Rahmung, die von Sachbearbeitern in der EG-Kommission unmittelbar in ihre Vorentwürfe übernommen werden können und sollen, in einer möglichst frühen Phase des Verfahrens ihre partikularen Interessen durchzusetzen. Der WSA wird dagegen erst in einer relativ späten Phase des Verfahrens konsultiert, wenn sich die Kommission nach einem langwierigen internen Entscheidungs- und Konsultationsprozeß auf einen EG-öffentlichen Vorschlag festgelegt hat. Zu diesem Zweck ist der Rückhalt der WSA-Mitglieder bei den von ihnen repräsentierten Verbänden entscheidend. Der niederländische Gewerkschaftler Etty distanziert sich von einem in Brüssel lebenden dänischen WSA- Mitglied, das in den Sitzungen regelmäßig mündlich und schriftlich auf englisch teilnimmt, und beruft sich dabei auf eine Maxime zur Arbeitsweise des WSA: Die Kraft des Ausschusses sollte darin liegen, daß seine Mitglieder die Arbeit hier als „part-time job“ ansähen, während ihr berufliches Schwergewicht auf nationaler Ebene liege, denn nur dann seien die Mitglieder in Brüssel „interessant“. Im WSA sollten nationale Interessen aufeinanderprallen, Sichtweisen ausgetauscht und Kompromisse gefunden werden. Dafür sei ein intensiver Kontakt zu den nationalen Organisationen notwendig, um mit den nationalen Realitäten vertraut zu bleiben. Etty liefert damit einen weiteren Beleg für die Benachteiligung der WSA-Mitglieder aus peripheren Ländern, 32 Zum Verhältnis der EG-Institutionen zu Lobbyisten und anderen „pressure groups“ vgl. auch Butt Philip (1985), Davison (1984), ESC (1980), Lecocq (1991), Nonon/ Clamen (1991), Prag (1983), Schwaiger/ Kirchner (1981), Van Schendelen (1993): teils Ratgeber für effizientes Lobbying, teils wissenschaftliche Darstellungen. Am systematischsten beschreibt Van Schendelen in seiner „Introduction: The Relevance of National Public and Private EC Lobbying“ (Van Schendelen 1993, 1-19) theoretische Aspekte zur Beschreibung von EG-Lobbying. Dazu gehören institutionelle Arbeitsteilung („EC-level“ und „national level“) und Phasen im EG-Gesetzgebungsverfahren („draft", „proposal", „consultation", „decision", „implementation“, „adjudication“), Typen (formelle vs. informelle und inhaltliche vs. verfahrensorientierte Beeinflussung). Der Sammelband beschreibt „country-specific lobbying styles“ (Van Schendelen 1993, 15). 114 etwa der Griechen, die aus arbeitspraktischen Gründen ihren Lebensmittelpunkt in Brüssel haben und nur gelegentlich in ihr Heimatland fliegen. Klaus Meyer-Horn beschreibt unterschiedliche typische Vertextungs-Strategien für Lobbyisten-Verbände und den WSA: - Lobbyisten-Texte sind bei aller Varianz kurze Stellungnahmen ohne Floskeln, die die Vorlage als bekannt voraussetzen, sich auf einzelne Teile der Vorlage beziehen und unter dem Schutz nichtöffentlicher Verhandlungen gegenüber einem beschränkten Adressatenkreis Klartext („Tacheles“) reden; der WSA verfaßt umfangreiche Stellungnahmen, üblicherweise mit einem Referat der Vorlage und einer komplexen Problemdarstellung mit Schlußfolgerungen und diplomatischen Formen einer Berücksichtigung partieller Öffentlichkeit. Diese beiden Vertextungsstrategien zu Kommentaren und Stellungnahmen sieht Meyer-Horn aber nicht in Konkurrenz zueinander, weil sie sich auf verschiedene Phasen im EG-Rechtsetzungsverfahren beziehen: Lobbyisten-Papiere entstehen zu Entwürfen, die in der Verwaltung der EG-Kommission entstanden sind (entsprechend dem „Referentenentwurf 4 im deutschen Rechtsetzungsverfahren), und werden nur der zuständigen Dienststelle der Kommission präsentiert. Sie werden nach Meyer-Horn dort durchaus geschätzt als Dokumente praxisrelevanten Expertenwissens, das den Kommissionsbeamten naturgemäß abgehe. Demgegenüber sind WSA-Stellungnahmen ähnlich denen des Europäischen Parlaments politisch und sozialpolitisch akzentuierte Texte einer Institution mit spezifischer Zielsetzung: „Der WSA soll eben mehr in die Breite gehen, nicht aus dem fachlichen Bereich engstirnig, wenn ich mal so sagen darf, nur die Interessen des Kreditwesens vertreten, sondern der wirtschaftlichen und sozialen Kräfte.“ Meyer-Horn bewertet als positiv, daß „eine breitere Öffentlichkeit der nicht unmittelbar fachlich Interessierten auch etwas dazu sagen muß, vor allem die Verbraucher, die Gewerkschaften“, und schreibt dem WSA eher als dem Europäischen Parlament eine Kompetenz für fachlich begründete Texte ohne politischen Ballast zu. Auch Whitworth weist dem WSA eine qualitativ andere Rolle im EG-Rechtsetzungsverfahren zu als den partikulare Interessen vertretenden Lobbyisten. Die Aufgabe des WSA sei nicht eine Lobby-Tätigkeit bei der EG-Kommission, sondern ein „constitutional way of making our views known“. Der WSA ist somit auch nicht das Sprachrohr von Lobbyisten. Vielmehr wirken in einem Dreiecksverhältnis Lobbyisten auf die Kommission und auf den WSA ein. Dort geschieht das in Form von „briefs“, Zusammenfassungen von Lobbyisten-Positionen. Whitworth betont die Souveränität und autarke Verfügungsgewalt insbesondere des WSA-Berichterstatters im Umgang mit solchen Positionspapieren: Er muß entscheiden können, was für ihn zur Formu- 115 lierung der WSA-Stellungnahme nützliche Information ist, er sei aber unabhängig, nicht irgendwelchen sozioökonomischen Gruppen gegenüber zur Loyalität verpflichtet. Die Vizepräsidentin Tiemann grenzt den WSA von Lobbyisten ab, indem sie dem WSA in metaphorischer Umschreibung die Aufgabe eines „Katalysators“ partikularer Interessen zuweist: Er bündele sie und versuche, sie zu tragfähigen Kompromissen zu bringen. Für eine solche Typisierung ist sie kompetent wegen ihrer beiden Perspektiven die des WSA und als Präsidentin des Lobby-Verbandes der freien Berufe SEPLIS. Nur im WSA könnten Interessen „vor dem europäischen Horizont“ eingebracht werden so umschreibt sie eine auf die europäische Integration bezogene Perspektivenerweiterung und Sublimierung partikularistischer Lobby-Aktivitäten. Gegenüber diesen Abgrenzungsbemühungen sind aber doch Ähnlichkeiten zu Lobbyisten im präferierten Handlungs- und Textstil unverkennbar. Das wird deutlich durch einen näheren Blick in ein Handbuch (Gardner 1991), das amerikanische EG-Lobbyisten in die Geschichte der europäischen Integration, die EG-Institutionen, das EG-Rechtsetzungsverfahren und das vorhandene Lobbyisten-Umfeld in Brüssel einführen will. Der WSA wird nur an zwei Stellen kurz behandelt (Gardner 1991, 21 und 100), was als Zeichen seiner mangelnden politischen Relevanz im EG-Rechtsetzungsverfahren zu deuten ist. Interessant sind dennoch Gardners Ratschläge für einen zweckmäßigen, effizienten EG-Lobbyistenstil; obwohl Stellung und Bedeutung des WSA im Rechtsetzungsverfahren anders definiert sind als Lobbyisten-Interventionen, sind diese Ratschläge aus der amerikanischen Außenperspektive so allgemein gehalten, daß sie auch zutreffend Kommunikationsmuster beschreiben, die für den Stil von WSA-Stellungnahmen und ihre interaktive Aushandlung typisch sind. Die Fremdheitserfahrung europäischer Lobbyisten in Brüssel mit dem Stil amerikanischer Kollegen wird referiert durch zwei stereotype Generalisierungen und eine Maxime: - “You Americans see legislative issues as black and white. We Europeans see shades of gray.“ - “You Yanks do tend to pound the table a bit harder.“ - “In Brussels, you must learn to speak softly, softly.“ (Gardner 1991,63) Eine metaphorische Umschreibung des präferierten EG-Stils für Lobbyisteninterventionen: Indirektheit sichert Effizienz. Dieses Muster gilt aber nicht nur für Kontakte von Lobbyisten mit den entscheidenden EG-Organen, insbesondere der Kommission, sondern auch für Verhandlungen im WSA. Ein weiterer Ratschlag Gardners für eine erfolgversprechende Lobbyistenstrategie ist, partikulare Perspektiven zu „europäisieren“ und eine Konver- 116 genz zu den wirtschaftspolitischen Zielen des Binnenmarktprogramms der Einheitlichen Europäischen Akte zu betonen: Der Lobbyist sollte auf die Topoi Beseitigung der Handelshemmnisse für den innereuropäischen Wettbewerb, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von EG-Produkten auf dem Weltmarkt, Vergrößerung des Warenangebots für EG-Verbraucher und Verringerung der Verbraucherpreise referieren und nach der Maxime handeln, seine Botschaft mit diesen Themen zu harmonisieren und die Dienlichkeit seines Anderungswunsches oder seiner Intervention für die Ziele des Binnenmarktprogramms zu belegen. Gardner wägt die Neigung der EG-Organe zu Lobbyisten-Texten, die von starken, repräsentativen und europäisch orientierten Interessenverbänden abgegeben werden, ab gegen die Schwerfälligkeit gerade solcher Organisationen bei der Formulierung ihrer Stellungnahmen; als Beispiel wird explizit der europäische Arbeitgeberverband UNICE genannt. 33 So beleuchtet er aus anderer Perspektive nochmals die konfligierenden Prinzipien, die auch für die Erarbeitung von WSA-Stellungnahmen kennzeichnend sind: verbesserter Einfluß auf die Kommission durch Erfüllen ihrer Erwartung, kollektive Stellungnahmen mit deutlich markiertem Kompromißpotential von relevanten sozialen und wirtschaftlichen Gruppen und nicht von Vertretern partikularer Interessen zu bekommen; dagegen Gefahr von verwässerten, inhaltlich entleerten Stellungnahmen, die nur formal dem Konsensprinzip Genüge tun. 3.9 Status des WSA-Mitglieds und kritische Bewertungen des WSA von außen WSA-Mitglieder können ihre Rolle unterschiedlich verstehen: idealtypisch als Experten (für bestimmte technische Bereiche), als Interessenvertreter oder als Protagonisten europäischer Leitideen. In der Arbeitspraxis sind diese Rollen miteinander verknüpft. Klaus Meyer-Hom gibt ein Beispiel für fachsprachlich-terminologische Unterschiede zwischen EG-Sprachen, die zu Problemen bei der Rechtsangleichung führen, und knüpft an die Darstellung des Einzelfalls eine Kritik an mangelnder terminologischer Exaktheit und damit der Sprachkompetenz hoher EG-Funktionäre: „Schon den Begriff zum Beispiel, der im Französischen ganz eindeutig ist, nämlich «epargne populaire», gibt es in anderen Ländern nicht. Der ist nämlich dort ein steuerlicher Begriff. Und wir hatten einmal eine lange Diskussion mit der Madame Scrivener, zuständig als Kommissarin für die Steuerangleichung, und die hat bei der Diskussion der Vorschläge zur Quellensteuer gesagt: ,Das ist ganz einfach, wir nehmen den ganzen Block von «epargne populaire» heraus, und dann haben wir eine einheitliche europäische 33 „Very large interest groups like UNICE [...] are often slow-moving and unwieldy. Moreover, the broad .consensus' statements they eventually issue may be so watered down as to be virtually useless as advocacy documents." (Gardner 1991,74) 117 Regelung, die die Kleinsparer nicht trifft, mit der Quellensteuer*. Da hab’ ich ihr dann sagen müssen: ,Was Sie da sagen, kann nur in Frankreich gelten, denn in anderen Ländern ist ein solcher Begriff nicht da, deshalb kann man in einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft nicht mit der Definition «epargne populaire» arbeiten, denn das wird dann übersetzt als «volkstümliches Sparen» oder was immer, aber damit hat man keinen rechtlichen oder erst recht nicht steuerrechtlichen Tatbestand geschaffen*; und das ist für mich ein typisches Beispiel, daß sogar eine Kommissarin, die ja ein Kabinett hat und die in einer Generaldirektion viele Beamte hat, die sich damit beschäftigen, nicht bemerkt hat, wenn man eine Regelung für Europa treffen will, daß man sich dann ganz genau die Worte ansehen muß, die dann in der Richtlinie stehen [...] im Hinblick darauf, ob sie sich übersetzen lassen und ob sie richtig übersetzt sind [...]. Sonst geht’s nicht weiter mit einer europäischen Rechtsangleichung.“ Mit der Prämisse, terminologische Exaktheit sei Voraussetzung für die EG- Rechtsangleichung, stuft Meyer-Horn die Relevanz einer Experten-Kommunikation hoch. Der Lobbyist will nicht nur bestimmte partikulare Interessen durchsetzen, er hat auch ein den EG-Beamten überlegenes Fachwissen für seinen Wirtschaftssektor, das er der Kommissionärin gegenüber ausspielen kann, und ist dabei legitimiert, weil er im Einklang mit europäischen Leitideen handeln kann. Die WSA-Vizepräsidentin Susanne Tiemann wehrt sich gegen eine geläufige Unterstellung, im WSA säßen nur Abgeschobene aus den sozioprofessionellen Verbänden, und kontert mit einer expliziten Hochstufung der Expertise von WSA-Mitgliedem: In ihm säßen die Sachverständigen als die „Leute, die was zu sagen haben“, in Vertretung der Verbandsvorsitzenden, die nicht zugleich auch noch engagierte WSA-Mitglieder sein könnten. Darüber hinaus idealisiert der Pressesprecher Whyte den WSA als „Frühwarnsystem“: Er sei die erste EG-Institution vor Parlament und Rat, die sich öffentlich mit EG-„topics“ beschäftige und so der Kommission und dem Rat dazu einen „rapport des forces“ liefere. 34 Das läuft der Alltagspraxis journalistischer Arbeit zuwider: Journalisten orientieren sich an Entscheidungsphasen und -institutionen und vernachlässigen dabei Recherchen, wie die Geschichte der Themenbehandlung und die Genese eines Rechtsaktes im Einzelfall gelaufen sind. Als wir ihm gegenüber negative Bewertungen des WSA aus Lobbyistenkreisen zitieren, bekennt sich Whyte zum WSA mit seiner politischen Funktion, 34 Der WSA bearbeitet gelegentlich EG-Themen, bevor sie in den Medien auftauchen. So wurde im Fall der Stellungnahme zu den „Maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ ein Dreivierteljahr, nachdem Fragen der Tankersicherheit im WSA kontrovers diskutiert worden waren und schließlich in eine Stellungnahme einmündeten (verabschiedet am 26.5.1992), im „Spiegel“ darüber berichtet: „In Brüssel wird über strengere Sicherheitsauflagen für Tanker verhandelt. Doch die Billigflaggen sollen nicht angetastet werden“. Der Artikel enthält die Wertung: „Tatsächlich tut sich die Gemeinschaft [...] besonders schwer, wenn es um die Sicherung des Seeverkehrs geht. Mit dem Argument, billige Frachtraten senkten die Energiekosten, wurden alle Versuche abgeblockt, das Risiko von Ölkatastrophen zu verringern.“ („Schwarze Listen.“ In: Der Spiegel 5, 1.2.1993, S. 142-143) 118 die Interessen von Nichtpolitikem zu vertreten. Nach Beseitigung des notorischen EG-Demokratiedefizits hält er die Frage für aktuell: „What can the ESC bring in terms of extra democracy? “ Die kritische Außensicht des WSA sei exemplarisch verdeutlicht an einer Interview-Stellungnahme eines Mitarbeiters des sogenannten „Informationsbüros“ eines deutschen Bundeslandes, also eines Vertreters regionaler Interessen bei der EG. Seine Perspektive ist somit prinzipiell von eigenen Interessen geleitet und nicht fraglos wertneutrale Beschreibung einer europäischen Realität. 35 Unser Gesprächspartner spricht dem WSA Relevanz für die eigentliche, wesentliche Arbeit des Informationsbüros ab. WSA-Stellungnahmen ließen sich als fachliche Informationsquelle nutzen, weil sie mit Experten-Kompetenz geschrieben seien 36 sie seien aber für den Entscheidungsprozeß unwichtig. Zudem habe der WSA eine arbeitnehmerfreundliche Tendenz: Die Gruppe III der „verschiedenen Interessen“ stimme oft mit der Arbeitnehmer-Gruppe II und majorisiere so die Arbeitgeber-Gruppe I. Aus der Sicht seiner früheren Tätigkeit für einen europäischen Arbeitgeberverband unterstellt der Mitarbeiter des Informationsbüros damit, der WSA verfehle seine Aufgabe, die wirtschaftlichen und sozialen Interessen repräsentativ zu spiegeln und ein reales Abbild gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zu geben; er deutet an, der WSA sei historisch zur Befriedung von Gewerkschaftsinteressen geschaffen worden d.h. seine Errichtung sei ein mittlerweile historisch überlebtes taktisches Manöver gewesen. Die Darstellung unseres Gesprächspartners ist prototypisch dafür, wie negative Bewertungen des WSA von außen expandiert werden: durch eine Präzisierung des juristischen Status des WSA er ist Institution, kein Organ, und damit subsidiär als Hilfsorgan für die EG-Organe - und durch mehrere Begründungen: 35 Zur Funktion dieser „Informationsbüros“: „Zentrale Aufgabe der ,Horchposten 1 ist es, relevante Informationen aus der Kommission und anderen EG-Stellen so früh wie möglich an die Landesregierungen weiterzuleiten. Zugleich sind die Büros bestrebt, die verantwortlichen EG-Beamten im Vorfeld wichtiger Entscheidungen für die Interessenlage des jeweiligen Bundeslandes zu sensibilisieren“ (Hoenig 1989). Seit dem Ratifikationsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte wurde der Einfluß der Bundesländer durch eine „gesetzlich abgesicherte Mitwirkung der Länder bei der Formulierung der deutschen Europapolitik“ (Stock 1989) verstärkt. 36 WSA-Texte und ihre journalistische Präsentation dienen oft weniger als relevante Konsultationstexte im Rechtsetzungsverfahren, eher als Hintergrundinformationen, die von Journalisten nicht aktuell verwendet, aber für späteren Gebrauch archiviert werden, falls das Thema in den politischen Entscheidungsorganen aktuell wird. Darauf weist im Gespräch auch der stellvertretende WSA-Pressesprecher Francis Whyte hin: „A lot of journalists tell me they find it interesting, but they put it straight into their files and then it comes out whenever this topic is dealt with by the Council or, you know, by their national Government, then they look into their file and they see that the Committee did something one year ago on this topic, and it’ll come out. And I’ll encourage them to do that, I mean, I tell them at least use it as a background source of information, that’s better than nothing, you know.“ 119 - Opposition zwischen der formalen Relevanz („der ist zwar in den Legislativprozeß mit eingebunden dadurch, daß in vielen Fällen Stellungnahmen erforderlich sind“) und der tatsächlichen inhaltlichen Berücksichügung der WSA-Stellungnahmen („aber der Inhalt dieser Stellungnahme spielt keine Rolle“); mangelnde Kontrollmöglichkeit des WSA über die Rezeption seiner Stellungnahmen („der WSA hat auch keine Möglichkeit, irgendwie Einfluß zu nehmen, ob die Stellungnahmen berücksichtigt werden oder gleich nach Ablieferung im Papierkorb verschwinden, ist völlig dem Ermessen des Rates beziehungsweise der Kommission überlassen“); - Opposition zwischen einer theoretischen Funktionszuschreibung (Bündelung und Repräsentanz der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen) und einer defizitären Handlungspraxis aufgrund der Brüsseler Lobbyisten-Realität („aber wenn Sie gucken, was hier alles in Brüssel an Organisationen und Verbänden der Wirtschaft, der Sozialpartner und was auch immer vertreten ist, scheint der WSA diese Aufgabe nicht so recht zu erfüllen“); kritische Bewertung von Versuchen des WSA, seinen Status aufzuwerten (z.B. Angliederung eines Regionalausschusses). 3.10 Das kollektive Selbstverständnis des WSA: Zwischen Brüchigkeit und Stilisierung Die Geringschätzung des WSA von außen hat Konsequenzen für das Selbstbild der WSA-Funktionsträger; sie übernehmen freilich nicht die Zuschreibung politischer Irrelevanz, sondern versuchen auf mehreren Wegen, den WSA als Institution aufzuwerten und durch Verweis auf die genuinen Qualitäten seiner Textgenese sein Image zu verbessern. Auf die Frage, ob der WSA dafür sorgen kann, daß seine Stellungnahmen emstgenommen und im weiteren Verlauf des EG-Rechtsetzungsverfahrens bei der Überarbeitung des Rechtsaktsentwurfs auch berücksichtigt werden, verweist die damalige Vizepräsidentin Tiemann zum einen auf die Taktik, mit dem EP und dessen Berichterstatter zum selben Projekt Kontakt zu halten, um so indirekt über ein einflußreicheres EG-Organ auf die Kommission einzuwirken. Das ist wirksam, weil der WSA meist schneller als das EP seine Stellungnahme fertigstellt und so den Entscheidungsprozeß im EP zu beeinflussen versuchen kann. Zum anderen erhält der WSA vierteljährlich von der Kommission einen Bericht über das Schicksal der WSA-Stellungnahmen. Ungewöhnlich deutlich verweist sie darauf, daß es zwischen WSA und EG- Ministerrat derartige Kontakte nicht gebe: Der Rat nehme nicht Kenntnis von den WSA-Stellungnahmen. Das führt sie aber nicht auf Gründe wie ein mangelndes politisches Gewicht des WSA, geschweige denn auf Inkompetenz zurück, sondern darauf, daß der WSA in einigen EG-Mitgliedstaaten, insbesondere in Deutschland, weitgehend unbekannt sei, seine Bedeutung nicht 120 erkannt werde und seine Funktionsträger sich ständig legitimieren müßten. Diese Darstellung wird vom Koordinator des Übersetzungsdienstes, Heinz Zerwes, ergänzt: Die Zusammenarbeit mit dem Parlaments-Berichterstatter schafft einen zusätzlichen Zeitdruck neben den von Kommission und Rat gesetzten Terminen und den knappen Ressourcen zur Organisation von Sitzungen: Wenn der WSA erst zeitgleich mit dem EP fertig ist, verspielt er eine seiner wenigen Möglichkeiten, für eine positive Wirkung seiner Texte zu sorgen. Die fehlende Interaktion mit dem Ministerrat und sein Desinteresse an den WSA-Stellungnahmen lassen sich z.T. dadurch kompensieren, daß der WSA die Kommission veranlaßt, ihre ursprünglichen Entwürfe gemäß Artikel 149 EWG-Vertrag zu modifizieren. „Der WSA ist die offizielle Informations- und Clearingstelle der Interessengruppen auf übernationaler Ebene, die ihnen die Möglichkeit gibt, sich ,von Amts wegen“ mit den europäischen Behörden in Verbindung zu setzen.“ (Zellentin 1962,152) Wenn diese Zuschreibung, die Mitgliedschaft im WSA sei von zentraler Relevanz für erweiterte Handlungsmöglichkeiten im EG-Rahmen und institutionell abgesicherte Kontakte zu den EG-Organen, nicht schon 1962 euphemistisch war, so hat jedenfalls heute der WSA diese Rolle verloren. Als offizielle (Selbst-)Legitimation des WSA nach wie vor hochgehalten wird Zellentins Begründung einer zentralen „Bedeutung des WSA für die Repräsentation organisierter Interessen“, nämlich „die allseitige Anerkennung der kollektiven Willensbildung im WSA; immer weniger orientieren sich die Behörden an Stellungnahmen, die von einzelnen Gruppen im Alleingang eingebracht werden, immer mehr dagegen an den von allen repräsentativen Gruppen beschlossenen Stellungnahmen des WSA.“ (Zellentin 1962,152) Die so angestrebte Imageaufwertung des WSA wird auch deutlich aus einer Broschüre, mit der er Öffentlichkeitsarbeit betreibt. 37 Darin heißt es: „Als Beratende Versammlung der Vertreter des wirtschaftlichen und sozialen Lebens der Mitgliedstaaten ist der Wirtschafts- und Sozialausschuß integrierender Bestandteil des institutionellen Gefüges der Europäischen Gemeinschaften. Mit seiner Einsetzung wurde der Zweck verfolgt, die verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Verbände an der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes zu beteiligen und ihnen institutionell die Möglichkeit zu geben, die Kommission und den Rat, aber auch das Europäische Parlament über ihren Standpunkt in den zur Debatte stehenden Fragen zu unterrichten.“ (S. 5) In dieser Broschüre definiert der 1992 verstorbene ehemalige WSA-Präsident Francis Staedelin den Ausschuß als „Plattform der Vertreter der verschiedenen Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens“ (ebd., 7). Für Stae- 37 „Eine für das europäische Einigungswerk unverzichtbare Institution. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europäischen Gemeinschaften“. Prospekt o.J. 121 delin ist der WSA hingegen weder ein Verhandlungsforum noch eine Expertenrunde. Anläßlich der Wahl von Susanne Tiemann zur WSA-Präsidentin berichtet Heide Newson im deutschsprachigen Brüsseler Monatsmagazin „Der Kontakt“ über die Aufgaben des WSA und die Wünsche der neuen Präsidentin: „Durch den ständigen Pendelverkehr zwischen Brüssel und den Heimatländern bleibt eine gewisse Frische, Flexibilität, Realitätsbezogenheit und vor allem Motivation erhalten. Gerade diese Flexibilität will sich Susanne Tiemann erhalten. Sie hat nach eigenen Worten die feste Absicht, den Wirtschafts- und Sozialausschuß zum Spiegelbild der europäischen Bevölkerung zu machen und als deren Sprachrohr aufzutreten. ,Wir müssen uns“ so Frau Tiemann gegenüber dem Kontakt - ,um mehr Bürgemähe bemühen, uns Klarheit darüber verschaffen, was die Bürger wollen und ihnen erklären, warum und auf welche Weise die Europäische Gemeinschaft ihnen bei der Lösung ihrer Probleme helfen kann.“ [...] Auch wenn die Kommission nach wie vor dem WSA die Schau stiehlt, so ist das Verhältnis zwischen beiden Institutionen und auch zum Europa-Parlament ausgezeichnet [...].“ (Newson 1993) Das Interesse der neuen WSA-Präsidentin richtet sich mithin auf eine Imageaufwertung des WSA. Das soll im einzelnen erreicht werden durch: - Betonung des guten Verhältnisses zur EG-Kommission (zumindest in der Medienöffentlichkeit bevorzugt Frau Tiemann offenbar keine Konfliktstrategie! ); - Ausweitung seiner Aufgaben („Bürgemähe“ und Vermittlung der EG-Politik an die Bürger) über die ihm von den EG-Verträgen allein zugewiesene Aufgabe der Stellungnahmen hinaus; - Stilisierung des Status des WSA-Mitglieder (WSA-Mitgliedschaft als Nebentätigkeit, Pendelverkehr zwischen Brüssel und ihrem Wohn- und Arbeitsort) zu positiven und WSA-spezifischen Voraussetzungen für eine sinnvolle Partizipation im europäischen Rechtsetzungsverfahren („Frische, Flexibilität, Realitätsbezogenheit und vor allem Motivation“); schließlich durch allenfalls Andeutung einiger WSA-Probleme (die Rechtsunverbindlichkeit seiner Stellungnahmen, kein Anspruch auf Gehör bei der Kommission; die Altersstruktur der Mitglieder, Uberrepräsentanz von Pensionären; seine Unbekanntheit bei vielen EG-Bürgem und die Geringschätzung durch Lobbyisten); der Ministerrat als eigentliches EG-Entscheidungsgremium wird im Kontrast zum ausdrücklichen Lob für die gute Beziehung zur Kommission gar nicht erwähnt. 38 38 Das läßt sich interpretieren als versteckte, nur für Insider kenntliche Kritik, daß sich der Rat dem WSA gegenüber arrogant verhalte. 122 Die politische Irrelevanz des WSA für den europäischen Integrationsprozeß vermindert nicht das linguistische Interesse an einer Beschreibung der im WSA etablierten Verfahren der Textproduktion. 39 Allerdings muß mituntersucht werden, inwieweit das Bewußtsein der im WSA an der Textproduktion Beteiligten (Mitglieder, Sekretariat, Übersetzer usw.), daß ihre Arbeit von den anderen Institutionen im EG-Rechtsetzungsverfahren geringgeschätzt wird, direkt oder indirekt Einfluß nimmt auf den Argumentationsstil und die Arbeitsorganisation im WSA. 3.11 Der akzeptierte Gremienstil Der Normalfall des akzeptierten Gremienstils ist gekennzeichnet durch ausgebaute partnertaktische Höflichkeit: Glückwünsche an den Berichterstatter und explizit positive Bewertungen seines Entwurfs dienen strategisch zum Abfedem des folgenden Widerspruchs. Dabei ist die übliche „ja-aber“-Balance mit ausgebauten Einräumungsteilen auffällig verschoben. Der Nivellierung pointierter Aussagen zum Zweck der Konsensfindung dienen Stereotype und Leerformeln; in ihnen werden Axiome europäischer Integrationspolitik reproduziert. Ein Beispiel aus der Debatte zu einer Stellungnahme zur „Einwanderungspolitik“ der Gemeinschaft (28.11.1991): „ich glaube auch daß es- ** die wichtigste Forderung ist und ich unterstütze die volldaß wir zu einer koordinierten Einwanderungs**politik in der Gemeinschaft *** kommen müssen'-. [...] ich bin auch durchaus der Meinung daß die Gemeinschaft hier einen Rahmen/ ** <-für entsprechende Maßnahmen/ ** setzen sollteV* Obwohl er im folgenden schrittweise einen starken Dissens zum Text markiert, beruft sich der Deutsche Werner Löw hier auf die Verfahrensqualität des EG-Gesetzgebungsverfahrens, die bei inhaltlichen Divergenzen eine gemeinsame Argumentationsbasis garantiert. 40 39 In ähnlicher Weise problematisiert schon Zellentin die Relevanz des WSA für ihr zentrales Untersuchungsinteresse: Von welchen Faktoren hängen Konsens- und Gruppenbildung in europäischen Gremien ab? „Man mag einwenden, dass der WSA kein geeigneter Rahmen für eine derartige Untersuchung sei, da die ihm vertraglich beigemessene Bedeutung qua politische Institution durch die juristische Unverbindlichkeit seiner Stellungnahmen sehr gering sei. Dem sei entgegengehalten, daß der integratorische Impetus des WSA davon unberührt bleibt. Durch die fortgesetzte Teilnahme an den WSA-Arbeiten werden Attitüden und Gewohnheiten der Mitglieder beeinflusst: ,Une osmose se produit peu ä peu, tres reelle. La oü venait des Franjais, des Allemands, des Italians, des Beiges, des N6erlandais et des Luxembourgeois ne discutent plus que des Europeens. En cherchant ensemble des solutions nous creons pour nous-memes cet esprit europeen.' Roger de Staercke, 1. Präsident des WSA, in: L’European, N. 8, 20.12.1959.“ (Zellentin 1962,162) 40 Diese Argumentationsstruktur wird in Schütte (1993b) im einzelnen dargestellt und als WSA-prototypisch gewertet. 123 Solche argumentativen Topoi haben oft die Funktion, ein Thema abzuhandeln, ohne sich festlegen zu müssen, um so einen Spagat zwischen den konträren Textanforderungen „Konsens“ und „profilierte Stellungnahme“ zu ermöglichen. Mit Leerformeln können Berichterstatter, die ja auch einer der drei Gruppen im WSA angehören, in ihren Texten die Position der Gegenseite berücksichtigen und so eine ausgewogene Relevanzstruktur suggerieren. Whitworth benutzt die von ihm als idiomatisch bezeichnete Wendung „motherhood round“ zur Kennzeichnung eines Typs von Änderungsanträgen zu WSA-Stellungnahmenentwürfen, denen niemand ernstlich widersprechen möchte, weil unbezweifelbar positiv besetzte Dinge gefordert werden. Interessanterweise vermeidet Whitworth dabei negative Bewertungen solcher „motherhood round“-Vorschläge, etwa als Gemeinplätze, sondern definiert sie über das Maß möglicher Unterstützung durch die WSA-Mitglieder („it was something which everybody could support“). 41 Thematisierungen kulturell bedingter Verständigungsprobleme sind in Sitzungen selten und erklärungswürdig und sind eher in informellen Gesprächen in Sitzungspausen zu erwarten, wo sie als „Nachverbrennungen“ im Sinne von Goffman (1982, 21 lf.) in Abwesenheit des Schädigers Imagereparaturen durchführen. So wurde ein Italiener aus der Arbeitgeber-Gruppe, der zu einer Stellungnahme der Fachgruppe „Umweltschutz“ zu einem Richtlinienvorschlag über Verpackungen und Verpackungsabfälle auf der Plenartagung die meisten Änderungsanträge gestellt hatte, in der nachfolgenden Kaffeepause in einer Gruppe von Deutschen als suspekt typisiert: Er fahre einen Jaguar mit Chauffeur, der auch noch einen Hut trage, habe Ähnlichkeit mit dem italienischen Ex-Außenminister de Michelis, einem notorisch „bunten Hund“, und habe sich obendrein nicht in der Studiengruppe engagiert. So wurde mit Hilfe von Stereotypen Einverständnis in der Bewertung seines Verhaltens hergestellt. Auch in ethnographischen Interviews haben uns WSA-Mitglieder und -Funktionsträger stereotype Zuschreibungen nationaler Stile geliefert: Beispielsweise würden sich deutsche Berichterstatter knapp und deutlich zu Änderungsanträgen äußern, italienische Berichterstatter dagegen lange reden und in einer für Deutsche nicht interpretierbaren Weise offenlassen, ob sie einen Änderungsantrag annähmen oder ablehnten. Kehrseite der Medaille ist ein Strategieverdacht bei Deutschen, wenn Italiener Kommentare mit dezidiertem Lob beginnen: Unweigerlich wird eine weitgehende Ablehnung folgen. Das läßt sich verallgemeinern zu einer gegenseitigen Fremdheitswahmehmung: Italiener werden durch die „direkte Art“ von Deutschen vor den Kopf gestoßen. Aus deutscher Sicht neigen Italiener zu rhetorischen Ornamenten. 41 Interessanterweise hält die Transkribentin als „native speaker“ des Englischen diese Wendung nicht für idiomatisch. Vgl. Kapitel 5.5.4 zum Kontext dieser Kategorisierung. 124 Bemerkenswert ist, daß diese stereotypen Zuschreibungen als Wahmehmungskonstrukt durch gegensätzliche empirische Befunde nicht erschüttert werden: Auch Deutsche passen sich dem herrschenden Stil weitgehender Indirektheit an, reden nicht signifikant kürzer als Italiener. In den Sitzungen selbst fungieren Thematisierungen stilistischer Abweichungen als Krisenindikatoren: Sie werden implizit definiert als kalkulierte Tabubrüche, um schwerwiegendere Tabubrüche in direkter, expliziter Form zu vermeiden. Auf die eigene nationale Kompetenz wird dann rekurriert, wenn man dem anderen indirekt einen Verstoß gegen den dominanten Gremienstil vorwerfen möchte. Manifest geschieht, indem man dem anderen Inkompetenz und Skurrilität zuschreibt. Stil ist dann keine kulturbedingte Verhaltenskonditionierung, sondern eine Ressource für den Umgang mit Extravagantem. Dazu zwei Beispiele: (1) Nach dem Besuch eines EG-Kommissars wird die Debatte in der WSA- Plenartagung mit der Äußerung eines Engländers zur Geschäftsordnung wiederaufgenommen: „Madam chairman fol forgive me for raising this point\ but while I know that we agreedthat we would errerr stop our debate * when the commissioner arrived I thought it slight unfortunate that you didn’t allow the: amitment the: amendment moved by Mister Hilkens to be completed'“ Er rügt einen abrupten Diskussionsabbruch als extrem unhöflich: Während des Beitrags seines Kollegen seien alle aufgesprungen und hätten den Kommissar begrüßt. Hinter dieser Kritik steckt eine strategische Überlegung: Der WSA muß zwar das unbestreitbare politische Übergewicht der Kommission auch durch eine sensible Behandlung von Kommissarbesuchen akzeptieren, um diese erwünschte Form von Kontakten nicht zu gefährden und um dabei im Rahmen seiner überaus beschränkten Kompetenzen seine Interessen wahmehmen zu können. „Unterwürfig zu sein“ (im Original: „obsequious“), ist aber nicht nur ein Verstoß gegen Umgangsformen im WSA, indem es das Image einzelner WSA- Mitglieder beschädigt (es wird demonstriert: „Was du zu sagen hast, ist völlig irrelevant, sobald der Kommissar kommt! “). Vielmehr wird so auch das erwünschte Image des WSA gegenüber der Kommission demontiert, nämlich seine Versuche, seine Position selbstbewußt aufzuwerten, aktiv zu handeln und sich nicht den Vorgaben der Kommission unterzuordnen. Teil dieser Strategie muß sein, in den Sitzungen autark zu handeln, also selbst Tages- und Geschäftsordnung festzulegen. (2) Wenn ein französischer Berichterstatter die Kritik eines Engländers an seinem Textentwurf mit „je sais pas si je dois prendre ? a pour de P humour anglais“ kommentiert, will er nicht in erster Linie seinem Kollegen einen Stil zuschreiben, vielmehr über ein ethnisches Stereotyp die Kritik zurückweisen, verbunden mit der Warnung, daß bei einem Insi- 125 stieren auf dieser Kritik Sozialitätsidealisierungen 42 wie die Austauschbarkeit der Standpunkte nicht mehr gelten. Wichtig für eine Bestimmung des normalen WSA-Stils sind auch die technischen Bedingungen: Für die Verdolmetschung ab der Fachgruppenebene verfügt jeder Platz über einen Kopfhörer mit Sprachenwahlschalter. Die jeweils drei Dolmetscher pro Kabine werden durch eine zusätzliche Regiekabine angesteuert. Das zwingt zu einer strikten Regelung des Rederechts: Zu Beginn jeder Phase der Debatte zu einer Textvorlage (allgemeine Aussprache, seitenweise Prüfung mit Behandlung von Änderungsanträgen) wird vom Sitzungsleiter eine Rednerliste geöffnet und dann vor Aufruf des ersten Redners wieder geschlossen. Der Vorsitzende ruft nun auch namentlich die einzelnen Redner auf, die dann durch Knopfdruck das Mikro an ihrem Sitzplatz einschalten müssen. Novizen (insbesondere Experten mit geringer Erfahrung in WSA-Gremienarbeit) oder zerstreute WSA-Mitglieder vergessen das oft und müssen ihren Redebeitrag dann von vorne beginnen. Außer wenn in Sonderfällen ein Zeitlimit verfügt worden ist, sind so die Redner mit ihren Beiträgen gegen Unterbrechungen, Zwischenrufe und Überlappungen geschützt. Technisch bedingte Zwänge gibt es vor allem für den Tum-Beginn. Sehr knappe Redebeiträge werden im niederländischen Sociaal-Economisch Raad, dem nationalen Gegenstück zum WSA, positiv bewertet, lange Redebeiträge gelten prinzipiell als langweilig. Ein niederländisches WSA-Mitglied hatdies im Hinterkopf gegen EG-Konventionen verstoßen: „Es gibt ein paar Sachen, die man hier lernen muß: Als ich hier ganz am Anfang war, hatte ich die Neigung, um so, wie man das in Holland im Wirtschafts- und Sozialausschuß macht, sehr knapp zu formulieren. Wenn man dort sehr viel redet, dann hört überhaupt keiner mehr zu. Also ich habe hier anfangs gesagt: ,Voorzitter, ik stel voor dat en dat te doen‘, und dann war ich in sechs Sekunden fertig. Da hat mir einer der Dolmetscher oder diejenige, die damals die Führung der Dolmetscherteams auch hatte, eine Holländerin, die hat mir dann gesagt: ,Das sollen Sie doch nicht tun“ [...] Sie hat so gesagt, ,[...] meinen, daß Sie jetzt sprechen. Wenn Sie das nicht tun, dann sind Sie schon ausgesprochen, bevor Sie eigentlich dabei, zu übersetzt werden.* Also besser ist immer, wenn man etwas Knappes anzubieten hat, zu sagen: ,Herr Vorsitzender, ich werde jetzt etwas sagen...“* So prägen institutionelle Zwänge den Stil in europäischen Gremien. Ebenso können deiktische Bezüge auf den Wahmehmungsraum zu Störungen im Dolmetschprozeß führen, weil die Dolmetscher in ihrer Kabine diesen Wahrnehmungsraum nicht teilen und oft eine gestische oder mimische Unterstützung nicht erkennen können. Als eine Vertreterin der EG-Kommission vor der Fachgruppe „Außenbeziehungen“ des WSA über russische Assoziationswünsche referiert, macht sie einen kleinen Exkurs zur Definition des „Euro- 42 Zur Bewältigung der grundsätzlichen Unvereinbarkeiten des Interaktionsprozesses wie etwa einer Unvergleichbarkeit der beteiligten Selbstidentitäten bilden die Beteiligten derartige praktische Idealisierungen; damit unterstellen sie, daß die Unvereinbarkeiten für die ablaufende Interaktion in ausreichendem Maß aufgehoben sind (vgl. Kallmeyer/ Schütze 1976; Schütz 1962/ 1964/ 1966). 126 päischen Wirtschaftsraumes“ und den englischen und französischen Entsprechungen für diesen Fachterminus: „sie sprechen von einem ,espace‘- oder von einem .European Economic * Space*/ ** damit das nicht verwechselt wird mit der European Economic * Area/ die wir ja mit den ** eh EFTA-Ländern abgeschlossen haben/ eh: * wir hatten uns damals ->das nur am Rande bemerkt e: manfangs hießen diesollte das Abkommen was wir mit den EFTA- Ländern abschließen wollten auch .European Economic * Space* heißen -> >aber dann dachte man spacedas spielt sich MIT ZEIGEGESTE #da oben ab/ # <also- ** wir sind dagegen und habens also area etwas bodenständiger genanntV* Diese Erläuterung wird von der englischen Dolmetscherin mit „but then ** people felt that the word .space* had a ** a negative connotation that’s meaning emptinessso they chose a different-um ** expression for that\“, also unvollständig und ungenau übersetzt; offenbar hat die Dolmetscherin die Geste nach oben (Assoziation „Weltraum“) nicht erfaßt. 3.12 Einzelanalyse I: Ein „normaler“ Debattenbeitrag Ein Statement von Klaus Boisseree im Rahmen der allgemeinen Aussprache auf der 304. WSA-Plenartagung kontextualisiert in typischer Weise eine Reihe von kommunikativen Rahmenbedingungen der WSA-Textarbeit. Es geht bei diesem Tagesordnungspunkt um die WSA-Stellungnahme zu einem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verpackungen und Verpakkungsabfälle“. Die Tendenz der Stellungnahme wird durch den ersten Absatz ihres Vorworts vorgreifend verdeutlicht: „Der Vorschlag ist ein wichtiger Knotenpunkt bei der Verflechtung zwischen der Umweltschutzpolitik und der Vollendung des Binnenmarktes. Er läßt die Konflikte zwischen den verschiedenen auf dem Spiel stehenden Interessen, die in empfindlicher Weise berührt werden, offen zutage treten, zumal die Probleme in den einzelnen Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Ergebnissen angegangen werden. Der Vorschlag wirft außerdem das Problem einer korrekten Definition des Subsidiaritätsprinzips in diesem spezifischen Bereich auf.“ (Abschnitt 1.1, S. 1) Die Stellungnahme stellt im Abschnitt „Zielsetzungen“ eine Prioritätenfolge bei der Behandlung des Verpackungsmüll-Problems auf: „- Abschaffung bzw. Verringerung überflüssiger Verpackungen; - Vermeidung von Wegwerfverpackungen bzw. Reduzierung ihrer Menge; Organisation ihrer getrennten Einsammlung und Behandlung unter Beschränkung des Müllverkehrs auf ein Mindestmaß; - Wiederverwendung der Verpackungen (Mehrwegsystem); - Verwertung der Verpackungsabfälle, wobei der stofflichen und chemischen Verwertung Vorrang vor der thermischen Verwertung einzuräumen ist; 127 endgültige Beseitigung erst als letzte Möglichkeit.“ (Abschnitt 2.2.3, S. 3) Von den Formalien (u.a. Bericht der Präsidentin über ihre Aktivitäten und Verabschiedung der Stellungnahmen ohne Debatte) und der Vorstellung des Textes durch Fachgruppenvorsitzenden und Berichterstatter abgesehen, ist dies der erste Debattenbeitrag auf dieser Plenartagung. Boisseree eröffnet damit die allgemeine Aussprache zum ersten Tagesordnungspunkt mit Debatte; eine solche Debatte findet hier allein schon wegen der vorliegenden Änderungsanträge statt. Offenbar bietet ein Statement in dieser strukturellen Position Gelegenheit zu zeigen, daß man sich um Gestaltungsorientierung durch spielerische Expansion der Eröffnung bemüht 43 : In den Dank an die Vorsitzende für die Einräumung des Rederechts wird in einer Nebensequenz ein bewußt irrelevanter Aspekt zum Ablauf der Debatte expandiert, nämlich daß die „meisten Wortmeldungen mit B anfangen“. Diese Nebensequenz fungiert als Mittel zur Aufmerksamkeitssicherung und zur Demonstration spezifischer Interaktionskompetenz: Der Sprecher zeigt sich in der Lage, seine Äußerung knapp dosiert dysfunktional zu garnieren. Eine solche spielerisch-kurzzeitige Rollendistanz haben wir öfters in der Phase des Übergangs zum einleitenden Debattenbeitrag in der allgemeinen Aussprache, auch in Studiengruppensitzungen, gefunden. Die Rahmung ist im vorliegenden Beispiel ausgebaut: Neben dem Dank an die Vorsitzende für die Einräumung des Rederechts kündigt der Sprecher die argumentative Makrostruktur seines Statements an; es werde drei Aspekte umfassen und diene der Relevanzhochstufung für beide zur Rede stehende Texte die Kommissionsvorlage und die WSA-Stellungnahme dazu. Auch der Abschluß des Redebeitrags wird durch einen resümierenden Appell an die Kollegen gerahmt, der Stellungnahme zuzustimmen. Auffällig ist der Gallizismus „rapporteur“ anstelle von „Berichterstatter“: Diese Wortwahl verweist auf die (Teil-)Akkulturation des Sprechers in der frankophonen Umgebung von Brüssel, auf die Dominanz des Französischen als interner Verkehrssprache in den EG-Institutionen. Es kann sich hier im übrigen nicht um eine Kontextualisierung der konkreten Situation handeln, denn der Berichterstatter ist Italiener. Redebeiträge in der allgemeinen Debatte kontextualisieren generell die Rahmenbedingungen: einerseits die EG-institutionelle Arbeitsteilung im Rechtsetzungsverfahren (Kommissionsvorschlag, Konkurrenz zwischen einzelstaatlichen Regelungen und ihre Harmonisierung), andererseits die WSAinteme Arbeitsteilung im Verfahren zur Produktion von Stellungnahmen (Berichterstatter, Fachgruppe usw.). 43 Das könnte die rhetorische Funktion des „iudicem attentum parare“ haben, des Versuchs, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen trotz seiner „gegenstandsabgewandten seelischen Einstellung“ oder eines „Bagatellcharakters des Gegenstandes“ (Lausberg 3 1990, 152). 128 Boisserees Redebeitrag ist gekennzeichnet durch eine partielle Fachsprachlichkeit und eine Selbstdefinition als Experten zum aktuellen Thema. Das wird deutlich an Formulierungen wie Anteil der Verpackungen am gesamten Müll und Hierarchie des Umgehens mit Abfällen. Boisseree beachtet ein Ausgewogenheitsprinzip von Einräumung und Widerspruch: erst Unterstützung für die Kommissionsinitiative, dann Etablierung eines eigenen Fokus. Er argumentiert mit EG-Topoi („Subsidiaritätsprinzip“, „Harmonisierung des Binnenmarktes“) und mit „wir“-Appellen: Bestimmte zentrale Punkte sollen trotz der vorliegenden Änderungsanträge vorgreifend als für den WSA konsensfähig herausgestrichen werden. Zudem werden Initiativen von einzelstaatlichen Verbänden, die den WSA tragen, hochgestuft, um der EG-Kommission eine Rolle als alleinige Akteurin auf der Bühne europäischer Umweltpolitik zu bestreiten. 3.13 Einzelanalyse II: Der Sonderfall Zum Schluß dieses Kapitels soll eine auffällige Episode darauf untersucht werden, was sie in mikroanalytischer Perspektive über Charakteristika der WSA-Textarbeit aussagt. Im „Entwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Maghreb-Staaten 1 “ vom 13. August 1992 werden als Ergebnis der Debatte einige Passagen getilgt (im folgenden Zitat aus der deutschen Textversion durch Durchstreichung markiert): „1.3. Gefahren, Spannungen und Konflikte im Mittelmeerraum und im Maghreb 1.3.4. Parallel zu den sozialen Spannungen und in engem Zusammenhang mit ihnen haben sich im Mittelmeerraum neue politische Spannungen entwickelt. Während in anderen Mittelmeerregionen die Verschärfung des Nationalismus zu beobachten ist, breitet sich in einem großen Teil des Maghreb der religiöse Fundamentalismus aus. [...] 1.3.6. Andererseits ist in Europa eine Ausbreitung ebenso besorgniserregender Verhaltensweisen zu verzeichnen, nämlich der Abschottung nach außen, dem Unverständnis^ dem Chauvinismus, der vermeintlichen Überlegenheitder westlichen und christlichen Kultur und Zivilisation und einer zunehmend antinrabischen Stimmung, die der Golfkrieg ans Tageslieht-gebracht und werter genährt hat. Es sind Verhaltensweisen, deren tiefe Wurzeln in der Angst vor dem Andersartigen, der religiösen Intoleranz und dem Unwissen liegen. Ihre Erscheinungsformen, nämlich rassistische Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit, die sich in letzter Zeit verstärkt zeigen, sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs dieser negativen Kultur.“ (S. 8f.) Kriterien, die Fachgruppendebatte zu diesen Passagen als Sonderfall auszuwählen, waren, daß hier sich typische und abweichende Kommunikationsmuster mischen; 129 die Veränderung eines Textentwurfs unmittelbar-sinnlich zu beobachten ist (nämlich in Form einer handschriftlichen Streichung des Berichterstatters in seinem italienischen Textexemplar); die interaktive Bearbeitung eines vermeintlich scharfen Dissens unseren Normalformerwartungen zur Expansion von Argumentationen widerspricht; ein aktuelles politisches Problem in einer auffälligen Weise bearbeitet wird: Die sich durchsetzende Sachverhaltsdarstellung und Relevanzsetzung kontrastiert mit bekannten Mediendarstellungen des Problems. Das letzte Auswahlkriterium ist das am wenigsten linguistische. In diesem Beispiel läßt sich einmal konkret beobachten, unter welchen situativen (Konsens-)Zwängen EG-Texte so allgemein und inhaltsarm geraten, wie sie sich oftmals lesen. Was kann durch diesen Text noch bewegt werden angesichts einer furchtbaren Realität, wie sie etwa im „Spiegel“ am 10.8.1992 in einem Report von Walter Mayr über „Verzweiflung und Gewalt in den Pariser Vorstädten“ beschrieben wurde? „Schon als im Frühjahr der junge Maghrebiner Kamel Haced aus einer angrenzenden Siedlung auf der Straße verblutete, niedergestochen von einem Jungen aus der bürgerlichen Rue Montgerbault im Streit um ein gestohlenes Moped, schlugen die Wogen hoch. Ominöse Todesfälle in den Siedlungen sind das Trauma all derer, die versuchen, die verlotterten Vorstädte der Metropolen, besonders aber die Pariser Banlieue vor dem großen Knall zu schützen. Frankreich sei nicht Los Angeles, hatte Staatspräsident Francois Mitterrand nach den blutigen Rassenkrawallen in Kalifornien gereizt der warnenden Presse entgegengeschleudert. Jene, die ihren Kopf täglich hinhalten, sehen das anders: Die Lösung für die Probleme in den Vorstadt-Ghettos dürfe nicht mehr ,ein Jahr dauern, sie muß morgen kommen', sagt William der in den benachbarten Monstersiedlungen von La Courneuve seit Jahren als Zivilstreife durch ein Spalier von Spießruten läuft: ,Wir sind an dem Punkt angelangt, wo sich entscheidet, ob der Weg nach Los Angeles führt.'“ (Mayr 1992, 148) Der Redebeitrag des französischen Arbeitgebervertreters Pelletier läßt sich resümieren, die vom Berichterstatter Amato vorgebrachten Bewertungen xenophober Verhaltensweisen in Europa seien aus französischer Sicht überzogen, wenn nicht gar beleidigend falsch, die Stellungnahme sei in diesem Punkt somit anstößig. Pelletier hat hier im wesentlichen Erfolg: Die inkriminierten Passagen werden getilgt, eine inhaltliche Diskussion findet kaum statt. Wenn aber die Bombe der sozialen Verhältnisse in den Pariser Vorstadt- Ghettos kurz vor der Explosion steht wirkt da nicht sein abwehrendes Statement wie das Verhalten der berühmten drei Affen am Toshogu-Schrein im japanischen Nikko: „nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen“? Hier zeigt sich das generelle Problem der WSA-Arbeit: Seine Mitglieder vertreten institutionalisiert sozioökonomische Gruppeninteressen in der EG, müssen aber in der gemeinsamen Arbeit unter Beachtung knapper zeitlicher 130 und finanzieller Ressourcen, unter den Zwängen eines temporären Arbeitsbündnisses, zu einem gemeinsamen Text finden. Diese Doppelorientierung kann sich unter bestimmten Konstellationen als unlösbarer Widerspruch darstellen: Um in begrenzter Zeit zu einem Textkonsens zu finden, muß die Bearbeitung bestimmter politischer Probleme ungeachtet ihrer Relevanz ausgeblendet werden. Wird freilich die konsensorientierte Erarbeitung einer gemeinsamen Stellungnahme als übergeordnetes Ziel definiert, riskiert man, in den Augen einer kritischen europäischen Öffentlichkeit als Forum der Auseinandersetzung über strittige Themen zu versagen. In ihrem Standardwerk „Inleiding tot het recht van de Europese Gemeenschappen“ halten Kapteyn und Verloren van Themaat den Einfluß des WSA für gering, weil der Mangel an Homogenität zu einem Mangel an Prägnanz bei seinen Texten und einer überstarken Orientierung an Textvorlagen der Kommission führe: „De grote verscheidenheid van gerepresenteerde, nog sterk nationaal gerichte belangen belemmert het vinden van meerderheden om duidelijke uitspraken te doen. De veelal zonder tegenstem aanvaarde adviezen vormen in de regel een verwaterd compromis dat zieh beperkt tot het geven van steun aan de hoofdlijnen van de opvattingen van de Comissie.“ 44 Liefert der WSA gar einen Beitrag zur verbreiteten europäischen „Politikverdrossenheit“, wenn er bei Dissens sogleich anstößige Passagen tilgt? Doch selbst wenn man den Kommentar Pelletiers nicht so polemisch bewerten will auffällig ist, daß hier ein französischer Arbeitgebervertreter für ein soziales Problem, das in der Textvorlage als „europäisches“ skizziert wird, die französische Problemsicht als relevante setzt, zugleich aber das Problem marginalisiert. 45 Warum kritisiert Pelletier die Textpassage so massiv, und warum hat seine Intervention so schnellen Erfolg? Das läßt sich nur beantworten unter Rekurs auf die Einbettung dieses Debattenteils in den kommunikativen Kontext: In einem sehr langen Text über die wirtschaftlichen Beziehungen der EG zu den Maghreb-Staaten (d.h. Marokko, Algerien, Tunesien) hat der Berichterstatter, der italienische Gewerkschaftler Amato, unter dem Zwischentitel „Gefahren, Spannungen und Konflikte im Mittelmeerraum und im Maghreb“ politische Spannungen und Konflikte zunächst in den Maghreb-Staaten lokalisiert (vgl. Absatz 1.3.4.). 44 Kapteyn/ Verloren van Themaat (1987, 127; „Die große Verschiedenheit der repräsentierten und noch stark national geprägten Interessen hemmt das Finden von Mehrheiten für deutliche Bekundungen. Die oft einstimmig angenommenen Stellungnahmen bilden in der Regel einen verwässerten Kompromiß, der sich darauf beschränkt, die Hauptlinien der Kommissionsauffassungen zu unterstützen“). 45 Daß auch in Frankreich das Problem nicht durchweg als eines mit wenigen kriminellen Außenseitern bagatellisiert wird, wird z.B. belegt durch einen Artikel von Bettina Kaps in der „taz“, 23.10.1992 („Der Schritt aus der Sozialarbeit. Ein Fonds fördert Unternehmensgründungen in Frankreichs desolaten Vorstädten“), in dem das Nebeneinander von staatlichen Initiativen zu Bildungsmaßnahmen und Kulturprogrammen zur Abwehr bürgerkriegsähnlicher Zustände und privaten Projekten, die über selbstverwaltete Sozialarbeit hinaus wirtschaftliche Aktivitäten anstreben, beschrieben wird. 131 Wohl zur Ausgewogenheit, damit nicht eine einseitige Sicht und Schuldzuweisung unterstellt werden kann, werden auch zunehmende Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz als Verhaltensdispositionen in Europa benannt. Der Berichterstatter bringt dabei die Dinge auf den Punkt: „eine Ausbreitung ebenso besorgniserregender Verhaltensweisen [...] nämlich der Abschottung nach außen, dem Unverständnis, dem Chauvinismus, der vermeintlichen Überlegenheit der westlichen und christlichen Kultur und Zivilisation und einer zunehmend antiarabischen Stimmung“. Diesen Relevanzsetzungen wird nun von dem französischen Arbeitgebervertreter Pelletier scharf widersprochen. „Scharf“ bezeichnet dabei einen Kontrast zum üblichen Argumentations- und Umgangsstil im WSA, der gekennzeichnet ist von gegenseitiger höflicher Rücksichtnahme, ausgebauten Formen indirekten, „diplomatischen“ Sprechens und Ausblendung von persönlichen und emotionalen Vorwürfen. Hier scheint sich eine Kontroverse zwischen dem Italiener und dem Franzosen zu der Passage über Fremdenfeindlichkeit und religiöse Intoleranz in den EG-Staaten anzubahnen. Auffällig ist aber nach Pelletiers Kritik die schnelle Einigung auf eine Kürzung des Textes statt der (zu erwartenden) zeitintensiven argumentativen Kompromißsuche. Dabei geht eine pointierte Formulierung des Absatzes verloren. Die Einigung verweist auf Prinzipien der WSA-Textarbeit: Betonung des Konsensprinzips, Beschwören einer guten und freundschaftlichen Zusammenarbeit in der Studiengruppe. Daneben schlägt eine Abhängigkeit von schriftlichen Verständigungsmustem durch: Eine Verständigung über Textänderungen, die erst in der Sitzung selbst initiiert und formuliert werden, kann aufgrund von Dolmetscherproblemen problematisch werden. So beschwert sich Pelletier an späterer Stelle, daß der vom Fachgruppenvorsitzenden spontan-diktierend formulierte Kompromißvorschlag ihm aufgrund von Dolmetscherproblemen unverständlich geblieben sei. Gut zu beobachten ist in der Fachgruppensitzung die mündlich-argumentative Orientierung an schriftsprachlichen Mustern: Pelletier zitiert aus der französischen Fassung der Textvorlage („la superiorite de la culture et de la civilisation occidentale“) und benutzt an anderer Stelle Nominalphrasen als schriftsprachlich vorgeprägte Wendungen („des autorites competentes pour le commenter“). Die Argumentationsmuster werden in einer sequentiellen Analyse zum ersten Teil seines Debattenbeitrags deutlich: Die komplexe Einleitung (in 1-10) bearbeitet hauptsächlich Probleme der Beziehungskommunikation. Pelletier redet den Sitzungspräsidenten an (hier realisiert als Minimalform „Monsieur le Presidemt-“, um die Einräumung des Rederechts zu berücksichtigen; in den meisten anderen Fällen werden Redebeiträge mit expliziten Formeln des Danks für den Präsidenten eingeleitet). Diese Anrede hat eine doppelte Funktion: Zum einen wird erneut die institu- 132 tionelle Rollenverteilung in der Sitzung ratifiziert, zum anderen dienen diese Anfangsfloskeln, wie in Kapitel 3.11 dargestellt, als „Schaltpause“ für die Dolmetscher: Ein noch nicht inhaltlich gefüllter erster Satz wird erwartet. Auffälligerweise redet Pelletier als Mitglied der Studien- und der Fachgruppe nicht den Berichterstatter Amato an, obwohl ein Kommentar zu dessen Text und Sitzungsreferat zu erwarten ist. Dieses läßt sich als Verfahren der Konfliktbegrenzung interpretieren. In 1 -7 berücksichtigt Pelletier in genereller Form Arbeit und Person des Berichterstatters und würdigt damit dessen Kompetenz; das geschieht sequentiell durch: - Referenz auf das vorangegangene Referat Amatos („notre rapporteur [...] nous a Signale“ usw.); diese Referate gehen der „allgemeinen Aussprache“ über Gesamtaspekte des Textes voran, jetzt ist man in der sog. „seitenweisen Prüfung“, in der die Angemessenheit einzelner Textabschnitte und -formulierungen diskutiert wird. - Fokussierung einer Resonanz der WSA-Arbeit bei den Maghreb-Staaten durch eine Thematisierung der Textprodukte, über die sich der WSA definiert (3-4: „eu: h les les les rapportsl les avis du Comite economique et sociaK“). Eine solche autoreflexive Thematisierung der WSA-Textarbeit und ihrer Organisationsformen findet sich häufig in den Rahmungen komplexer Redebeiträge; sie hat offenbar die Funktion, die Sinnhaftigkeit dieser Arbeit zu stabilisieren. Hier bedient sich Pelletier der Technik einer „weichen Korrektur“ von „rapport“ (= “Bericht“) zu „avis“ (= “Stellungnahme“). Die Nicht-Explizierung des Referenz-Unterschiedes verweist auf ein als geteilt unterstelltes Handlungswissen (vgl. Kapitel 3.6.1). - Fokussierung der Eigenperspektive durch Rückverweis auf die gemeinsame Arbeit in der Studiengruppe, insbesondere im Kontakt mit Vertretern der Maghreb-Staaten. Die Selbstbezeichnung als Mitglied der Studiengruppe dient dazu, Pelletiers eigene Kompetenz zu belegen, sich zu diesem Thema zu äußern, weil er schon an dieser ersten Phase der Textarbeit, in der Studiengruppe, beteiligt war. Aus dieser mit eigener Interaktionserfahrung angereicherten Perspektive wird die Kompetenz des Berichterstatters im allgemeinen gelobt, insbesondere deren Rezeption bei Vertretern der Maghreb-Staaten. Das geschieht wiederum mit doppelter Funktion: Die Außenwirkung der WSA-Stellungnahme wird in der Relevanz hochgestuft (es soll kein Papier für die Schublade oder gar für den Papierkorb werden: Eine Stellungnahme, die nach Konsultationen mit den sekundär betroffenen Maghreb-Staaten erstellt wurde, kann von den primären Adressaten EG-Kommission und Rat nicht so leicht mißachtet werden wie eine ausschließlich intern erarbeitete Stellungnahme). Zugleich möchte Pelletier absichem, daß der folgende Widerspruch nicht generell die etablierte kollegiale Interaktionsbeziehung zum Berichterstatter belasten soll. 133 In 7-10 und 11-12 leitet er zweistufig zum Widerspruchsteil über. „Ce qui veut dire“ (7-10) ist hier eine multifunktionale Floskel: ein Gliederungssignal, als Hesitationsmoment eine „gefüllte Pause“ während mentaler Formulierungsarbeit, zugleich aber auch Schlußfolgerung aus 3-7 mit einer Umwertung weg von einem Lob für die Kompetenz des Berichterstatters, hin zu einer Aufforderung an ihn, die Rezeption seiner Stellungnahme in den Maghreb-Ländern in seiner Textplanung stärker zu berücksichtigen und unerwünschten Interpretationen vorzubeugen. 46 Zugleich wird der folgende Widerspruch in der Relevanz hochgestuft: Der Textteil, der dabei fokussiert werden soll, ist nicht beliebig und damit in der Formulierung irrelevant; damit wird implizit zugleich nochmals die ablaufende Formulierungsarbeit als wichtig herausgestrichen. In 11-12 reformuliert Pelletier seine Position, Textformulierungen seien angesichts brisanter Wirkungen genau zu prüfen, und wechselt die Perspektive durch Anrede des Berichterstatters; dieser Wechsel wirkt als Fokussierungsmittel (im Sinne von „Achtung, jetzt kommt es! “). Die Art der Anrede schillert: zum einen als Betonung der guten Kommunikationsbeziehung („eher ami“), zum anderen bildet sie das erste Glied in einem starken Kontrast mit den folgenden stark und auf die Person des Berichterstatters hin formulierten Vorwürfen („flagellations“, „masochisme“). Pelletier beginnt seinen Widerspruch (in 13-15) durch Fokussierung eines bestimmten Textabsatzes. Auffällig ist dabei, daß Pelletier in rhetorischer Kontrastierung urplötzlich „voll aufdreht“ und vor einer bewertungsneutralen Lokalisierung der kritisierten Formulierungen eine quintessenzartige Summenformel präsentiert. Er konkretisiert seine Vorwürfe (in 15-17), indem er dem Berichterstatter eine Gleichsetzung unterstellt („sur un pied d’egalite“), deren Objekte nicht explizit genannt werden: Es geht um negativ bewertete Verhaltensweisen in Europa und in den Maghreb-Staaten. Nach dem Motto „wem der Schuh paßt, der zieht ihn an“ fokussiert Pelletier in 17-21 ein weiteres Mal von Amatos Lokalisierung „in Europa“ weg die spezifischen Verhältnisse in Frankreich, für die er sich als Experten definiert. Hier beansprucht Pelletier eine besondere Kompetenz, wohl aufgrund der französischen Kolonialgeschichte, die zu einer besonders starken Immigration aus den Maghreb-Staaten und einer nach wie vor bestehenden politischen Stimmung geführt hat, für diese Länder eher als andere EG-Mitgliedstaaten zuständig zu sein. Diesem Anspruch wird im Verlauf der Debatte auch nicht widersprochen: Niemand bestreitet Pelletier die besondere Kompetenz in dieser Frage oder fokussiert in einer Entgegnung Pelletiers Thesen. Durch das französische Beispiel belegt Pelletier (in 21-25), daß er Amatos Vorwurf einer europäischen Fremdenfeindlichkeit zurückweist: Frankreich baue Mo- 46 Dieser Aspekt kommt nur in der französischen Originalsprache heraus, wird in der deutschen Verdolmetschung unterschlagen. 134 scheen, etwa in Lyon; Regierung und Volk widmeten dem Problem bereits ihre volle Aufmerksamkeit. Die Sequenzanalyse soll an dieser Stelle abgebrochen werden. Weitere Formulierungsmuster in Pelletiers Widerspruch lassen sich als Argumentations- Topoi im aristotelischen Sinne 47 beschreiben. Dazu gehören der Topos des Unterschieds (wenn Pelletier auf der Unvergleichbarkeit der Verhältnisse in den Maghreb-Staaten und in Frankreich besteht), der Autoritäts-Topos in Form einer Selbst-Kompetenzzuschreibung „ich als Franzose“: „moi je suis bien place en tant que fran^ais/ pour parier des conditions dans lesquelles sont acceuillis=euh les maghrebins/ “ (18-20) die Abwehr eines Teil-Ganze-Schlusses (von marginalen Krawallen darf man nicht auf eine generelle französische Fremdenfeindlichkeit schließen) und ein - „Undankbarkeits-Topos“ „das haben wir nicht verdient“: „ce paragraphe * il est choquant/ eu: h il est provocateu: r euh nous nous ne meritons pas Sa\hein- 48 „ (42-44). Pelletier stützt sich zudem auf schriftlich vorformulierte Routineformeln (z.B. „des autorites competentes“); seine gehäufte Verwendung von Nominalgruppen ist Stilmerkmal des schriftlichen Französisch. Interessant ist der Fortgang der Debatte: Man könnte erwarten, bei einem so scharfen Dissens würde es sehr lange dauern, bis man durch Diskussion zu einem Kompromiß gelangt - oder nach langem Hin und Her werde schließlich eine Kampfabstimmung stattfinden; zudem müsse der Angriff auf das Image des Berichterstatters („auto-flagellation“, „masochisme“) als interaktives Problem bearbeitet werden. Statt dessen schlägt der Vorsitzende sofort eine radikale Kürzung des Absatzes vor (um alle konkreten und brisanten Benennungen); auffälligerweise beginnt er sofort nach Pelletiers Redebeitrag, ohne das zeitlich versetzte Ende der Verdolmetschung abzuwarten. Daraus läßt sich zweierlei schließen: Der spanische Präsident hat ohne Dolmetscherhilfe zugehört, und er markiert Zeitknappheit bei der Bearbeitung der Divergenz. Mit der Kürzung nimmt er in Kauf, daß eine relativ blutleere Formulierung zurückbleibt, der alle nach kurzer Beratung ohne Abstimmung, wenn auch ohne Begeisterung zustimmen. 47 Mündliche Mitteilung von Walter Kindt, Bielefeld. Vgl. auch Kindt (1992), der Argumentieren als ein Verfahren der Positionsentwicklung beschreibt. Dabei gelten rekurrente, als Teile eines muttersprachlichen Musterwissens kenntliche und mit vorliegenden Katalogen für Argumentationsfiguren korrelierende Manifestationen im Anschluß an Aristoteles als Topoi. 48 Das „hein-“ indiziert hier gegenüber dem Äußerungsbeginn (Anrede des Präsidenten) eine zunehmende Direktheit. 135 Das Verfahren zur Bearbeitung von Änderungsvorschlägen (in der WSA- Fachgruppe) bzw. -anträgen (im WSA-Plenum) besteht in seiner Regelform aus einem schriftlich eingereichten Antrag mit kurzer Begründung, seiner mündlichen Begründung durch den Antragsteller (bzw. einen Wortführer einer Antragsteller-Gruppe), der Gegenrede und der Stellungnahme des Berichterstatters, ob er den Änderungsvorschlag bzw. -antrag akzeptiert. Die Position der Gegenrede wird hier von einem niederländischen Gewerkschafter ausgefüllt (vgl. 62-74), der den Berichterstatter zwar unterstützt, aber in einer wesentlich kürzeren und argumentativ weniger ausgebauten Form („ik wil de rapporteur toch wel steunen waar ** waar * de zeer algemene lijn van hun betoog heengaatV 9 "). Diese Unterstützung wirkt nur formal, hält nicht die schon zuvor vom Präsidenten vorgeschlagenen Textkürzungen auf. Eine Erklärung für diese Wirkungslosigkeit bietet die Passage unseres Interviews mit diesem Niederländer, in der er im nachhinein die Situation interpretiert: „Ja, ich habe mich dagegen gewehrt, gesagt, [...] daß der Amato dort einen ganz reellen Punkt angesprochen hat, daß man dann über die Formulierung vielleicht noch diskutieren könnte, aber daß diese Gefahren allerdings unterstrichen werden sollten. Also das fand ich falsch, daß der Pelletier das einfach untergebuttert haben wollte [...]“ Diese Unterstützung wird allerdings relativiert durch Kritik, die er im Interview in anderen Punkten an Person und Text des Berichterstatters äußert: Seine Texte seien nach allgemeiner Einschätzung zu lang, er drängele sich gerne als Berichterstatter in den Vordergrund, das könne aber von anderen WSA-Mitgliedem schlecht explizit und öffentlich kritisiert werden zumindest dann nicht, wenn sie nicht bereit sind, selbst mehr Berichterstattertätigkeiten zu übernehmen. Auch weitgehende Forderungen des Berichterstatters an anderer Stelle veranlassen den Niederländer zu allenfalls distanzierter Solidarität: „An der andern Seite aber, ja, das sind so die Eigenartigkeiten, fand ich es sehr schlecht, daß der Amato gesagt hat: Das haben wir... die Gefahr des Fundamentalismus in Algerien zum Beispiel, und dann hat er so Sätze gebraucht, die Gemeinschaft könne da nicht... passiv sich die Sachen angucken, womit also eigentlich der Eindruck geweckt wurde, daß wir da eingreifen sollten. Und ich habe da gesagt, ich bin überhaupt kein Freund des Fundamentalismus, aber ich finde es ziemlich weitgehend, in einer Stellungnahme des WSA dafür zu plädieren, daß in der externen Politik der Gemeinschaft diese Interventions- Autorität befürwortet wird [...j“ Die hier gegebenen kommunikativen „Sonderbedingungen“ lassen sich so rekapitulieren: 49 „Ich möchte den Berichterstatter denn doch unterstützen in bezug auf die ganz allgemeine Richtung seiner Darlegung.“ 136 - Die Stellungnahme ist für die zur Verfügung stehende Zeit zu lang, jedenfalls für eine extensive inhaltliche Diskussionen bei zutage tretenden Divergenzen. - Dieses Problem gilt den an der Fachgruppensitzung teilnehmenden WSA- Mitgliedem als bei diesem Berichterstatter und dem von ihm präferierten Argumentations- und Schreibstil als erwartbar, kann aber nicht in der Sitzung explizit thematisiert werden. So bleibt offen, ob hier zwei WSA- Mitglieder einen fundamentalen Dissens zum Fundamentalismus zeigen oder lediglich die Idiosynkrasien eines Berichterstatters als störend ausgeblendet werden. - Die Gegenrede zur Unterstützung des Berichterstatters fällt kurz und wirkungslos aus. Sie nimmt nur formal eine im Verfahren zur Bearbeitung von Änderungsvorschlägen (Fachgruppe) bzw. -anträgen (Plenum) vorgesehene fakultative Position ein. Das läßt sich interpretieren als Gruppensolidarität des niederländischen Gewerkschaftlers mit seinem italienischen Kollegen, damit die Vorwürfe des französischen Arbeitgebervertreters nicht ganz unwidersprochen bleiben. Tatsächlich aber hat der Niederländer Vorbehalte gegen den Präsentationsstil des Berichterstatters und gegen andere, thematisch verwandte Passagen seines Textentwurfs (wie die suggerierte EG-Intervention gegen den Maghreb-Fundamentalismus); diese Vorbehalte werden durch die knappe Form seiner Gegenrede angedeutet, aber nicht expliziert. Freilich ließe sich hier auch als konkurrierende Hypothese formulieren, daß der Niederländer auf seinen typischen und aus dem niederländischen WSA-Pendant, dem „Sociaal-Economisch Raad“ gewohnten knappen Argumentationsstil zurückgreift. Eine Erklärung, warum hier schnell Einigung über die weitgehende Streichung einer Textpassage erzielt wird, liefert auch eine Passage unseres Interviews mit einem Abgeordneten des Europäischen Parlaments; er kennt zwar nicht exakt die hier vorliegende Situation aus eigener Anschauung, wohl aber ähnliche Probleme aus der Arbeit an Stellungnahmen im Europäischen Parlament: „Ja, das ist natürlich so ein Punkt, wo Sie, nur wenn Sie die Materie kennen, um die es da geht, und den Hauptansatz des Projektes, sagen können: Das war möglicherweise eine Nebenpiste, die in sich natürlich bedeutsam ist, aber die in den Gedankengang dieses ursprünglichen Berichts nicht reinpassen und deswegen rausgeholt werden müßte, dann hätten sie allerdings auch keinerlei Restbezug mehr haben dürfen. Dann müßte auch dieser Passus ,auch bei uns gibt es solche Dinge*, der müßte dann auch gefallen sein. Bloß sind die dann wieder nicht so konsequent und sagen: ,Wir wollen also unsere interessante Diskussion nicht völlig herausstreichen.*“ 137 Die Einigung über die Kürzung der fraglichen Textpassage ist nach dieser Interpretation also möglich, indem sie implizit als nicht zentral für die hauptsächliche Intention der Stellungnahme 50 in der Relevanz zurückgestuft wird. So ergeben sich an dieser Stelle folgende Abweichungen von der Normalform zur Bearbeitung von Änderungsvorschlägen: - Der Änderungsvorschlag ist nicht schriftlich eingereicht worden; das wird aber toleriert, indem die Kritik zu einem Kürzungsvorschlag umdefmiert wird. Bei längeren neuen Formulierungsvorschlägen würde dieses Verfahren ausscheiden. - Der Sitzungspräsident macht einen Vorschlag zum Verfahren vor der Gegenrede und der Anhörung des Berichterstatters und markiert dadurch Eile bei der Behandlung des Textentwurfs. Die Eile wird auch durch den sofortigen Anschluß, vor dem Ende der Verdolmetschung, sichtbar. - Der Initiator des Änderungsvorschlags insistiert zweimal auf Kürzungen, die über den Vorschlag des Präsidenten hinausgehen. - Der Berichterstatter rechtfertigt seinen Textentwurf vorwiegend verfahrenstaktisch (die Kritik würdige sein bereits gezeigtes Entgegenkommen in Textformulierungen, die sich von Vorfassungen unterscheiden, nicht). - Trotz der Gegenrede findet keine Abstimmung statt, und der Gegenredner protestiert auch nicht dagegen. Fazit: Durch Sonderbedingungen wird ein institutionell vorgegebenes Handlungsmuster in extremer Verzerrung realisiert. Die Maximen der WSA-Textarbeit werden dennoch beachtet: Orientierung nicht primär auf einen (politischen) Interessenausgleich und einen Ausgleich von Meinungsdifferenzen mit einer dazu erforderlichen extensiven Diskussion von Inhalten, sondern auf das Textprodukt und eine ökonomische Formulierungsarbeit unter Beachtung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Hinzufügen ist, daß das hier diskutierte Problem bei der Behandlung der überarbeiteten Stellungnahme auf der 299. WSA-Plenartagung am 24.9.1992 nicht mehr explizit thematisiert wird (es ist ja „vom Tisch“). Der Text wird nun mit der üblichen Konsens-Routine behandelt: Der Italiener Pasquali verweist in Vertretung für den Fachgruppenpräsidenten Zufiaur auf die Annahme in der Fachgruppe ohne Gegenstimmen. Pelletier dankt in der allgemeinen Aussprache Amato für die Berücksichtigung verschiedener Bemerkungen, fokussiert nur die Integration der Maghreb-Staaten in die Gemeinschaft und beschäftigt sich mit dem Problem der semantischen 50 Nach dem „Informationsverrnerk“ des WSA-Generalsekretariates vom 18.9.1992 ist „wesentlicher Inhalt der Stellungnahme der Fachgruppe“ u.a.: „Die regionale Integration des Maghreb muß vorrangiges Ziel der Zusammenarbeit zwischen der EG und dem Maghreb werden.“ 138 Intension von „Einbeziehung“. Der Italiener Pricolo lobt, daß die nun vorliegende Textfassung „realistischer“ geworden sei und Anregungen aus der Fachgruppe berücksichtige. Der Spanier Carbeza sieht den Maghreb als Zone von strategischem Interesse. Es gebe Probleme mit einer größer werdenden Einwanderungswelle, insbesondere über die Meerenge von Gibraltar hinweg. Deswegen sei eine gemeinsame EG-Einwanderungspolitik nötig, wobei das Abkommen zwischen den USA und Mexiko als Modell dienen könne. WSA- Präsident Geuenich regt einen Verzicht auf eine seitenweise Prüfung des Dokuments an; damit ist das Plenum einverstanden und nimmt den Text einstimmig ohne Enthaltungen an. Geuenich beglückwünscht den Berichterstatter mit den Worten: „Eine größere Übereinstimmung kann man nicht erreichen, Herr Berichterstatter.“ 4. Fallstudie „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“: viele Sitzungen wenig Neues 4.1 Gliederung Im folgenden Kapitel soll die Initiativ-Stellungnahme „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“ des Wirtschafts- und Sozialausschusses in den einzelnen Etappen ihrer Textgenese vorgestellt werden. Um die Darstellung, Analyse und Interpretation der Revisionen, Eliminierungen, Hinzufügungen, Umstellungen, Neuakzentuierungen etc. transparent und nachvollziehbar zu machen, sind im Anhang sechs Textfassungen im Wortlaut abgedruckt. Dabei werden jeweils drei Versionen nach ihrer inhaltlichen Übereinstimmung nebeneinander abgedruckt, die Fassungen 1 -3 auf den Seiten 404-420, die Fassungen 4-6 auf den Seiten 421-433. Im folgenden Kapitel wird bei Bezug auf die der Studienbzw. der Fachgruppe vorgelegten „Schemata“, „Vorentwürfe“ oder „Entwürfe“ und bei wörtlichen Zitaten in Klammem auf die entsprechende im Anhang nachzublättemde - Textstelle verwiesen, wobei die erste (arabische) Ziffer für die Seite, die zweite (römische) für die Spalte steht. Der Aufbau erfolgt nach rein chronologischen Gesichtspunkten, d.h. es werden die Diskussionen und Textrevisionen von Sitzung zu Sitzung dokumentiert. Das war für diese spezielle Fallstudie das naheliegende Procedere, weil zum einen nicht alle vorgenommenen Eingriffe am Text durch die vorherige Session motiviert waren, zum anderen kontrovers geführte Textaushandlungsdebatten Seltenheitswert hatten und bis auf wenige Ausnahmen auf eine Arbeitssitzung beschränkt waren. Schließlich führten auch Umgang und Zusammenspiel zwischen Berichterstatter und Gruppenmitgliedem dazu, daß kaum exemplarische Strategien zur Durchsetzung von Formulierungsinteressen zu beobachten waren. Und zu guter Letzt war auch das Thema bis auf wenige strittige Aspekte (Türkei, Zypern, Maghreb) weitgehend von Konsens geprägt nach Ende des Kalten Krieges variierten die Ansichten von Arbeitgebern und Gewerkschaften bezüglich der Länder Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas kaum noch, „Stellvertretergefechte“ werden im WSA (endgültig) nicht (mehr) ausgetragen. Vom üblichen Schema weicht die Erstellung der Stellungnahme „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“ ab. Entgegen dem normalen Vorgehen (zwei Studien-, eine Fachgruppensitzung(en), Verabschiedung im Plenum) wird hieraufgrund der parallel stattfindenden Tagung des Rates insgesamt fünfmal getagt (zweimal in der Studien-, dann einmal in der Fachgruppe, dann wieder in der Studien- und schließlich noch einmal in der Fachgruppe), bis die Stellungnahme der Vollversammlung präsentiert wird. Das kompli- 140 ziert die Analyse, zumal schon vergessen geglaubte Textversionen urplötzlich später wieder ohne erkennbaren Grund auftauchen können. Neben Veränderungen im Text soll im folgenden Kapitel vor allem auch den im engeren Sinne linguistisch relevanten Phänomenen, die im Laufe der Texterstellung zu beobachten waren, Augenmerk geschenkt werden. Dabei wird immer wieder die französische Ausgangsfassung herangezogen, die aber letztlich oftmals auch erst durch Abgleich mit der englischen und/ oder italienischen Fassung hundertprozentig interpretierbar wird. Metaphorik, Phraseologie und Stilistik werden dann beschrieben, wenn sie selten genug in interkultureller Kommunikation - Eingang in die Textproduktion finden. Schließlich bot sich an, am Beispiel einer Fachgruppensitzung anhand eines konkreten Beispiels das tatsächliche Vorhandensein einer typisch europäischen Fachsprache, des Eurospeak, vorzuführen. 4.2 Konstitution und Zusammensetzung der Studiengruppe Mit Schreiben Nr. 1554/ 92 vom 20. März 1992 berief der Vorsitzende der Studiengruppe „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“, Giancarlo Pasquali, zum 14. April 1992 die Mitglieder zur ersten Sitzung ein. Der vorgenannten Studiengruppe gehörten neben dem italienischen Vorsitzenden und dem französischen Berichterstatter Bernard Mourgues dreizehn weitere Mitglieder an: zwei Damen (eine Italienerin, eine Britin) standen elf Herren (drei Deutsche, zwei Spanier, zwei Niederländer, ein immer Englisch sprechender - Däne, ein Grieche, ein Italiener und ein Brite) gegenüber. Zwei der Sachverständigen (und zwar des Berichterstatters sowie der Gruppe I, der Arbeitgeber) waren Franzosen, einer Däne (Experte der Gruppe n, Arbeitnehmer) und einer schließlich Italiener (Gruppe III, sonstige Interessen). Arbeitssprachen für diese und die folgenden Studiengruppensitzungen waren Französisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Griechisch, auch eine Verdolmetschung in diese Sprachen wurde angeboten. Für Niederländer und Dänen wurde weder eine Verdolmetschung aus noch eine Übersetzung in ihre jeweiligen Muttersprachen angeboten. Die Interessengruppen waren wie im konsens- und proporzorientierten WSA üblich gleich stark besetzt: jeweils fünf Vertreter von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und „sonstigen“ Vertretern kooperierten in dieser Runde. Für die Stellungnahme zur „Künftigen Erweiterung der Gemeinschaft“ hat der Wirtschafts- und Sozialausschuß sein bei der Pariser Gipfelkonferenz im Oktober 1972 zugestandenes und im Juni 1974 in der veränderten WSA-Geschäftsordnung vom Rat gebilligtes Initiativrecht in Anspruch genommen (Louet 1981, I). Es handelt sich bei dieser Stellungnahme also nicht um eine nach Artikel 198 EWG-Vertrag obligatorische Anhörung des WSA. 1 Die 1 Artikel 198 bestimmt, daß „der Ausschuß vom Rat oder der Kommission in den in diesem Vertrag vorgesehenen Fällen gehört werden [muß]. Er kann von diesen Organen in allen Fällen gehört werden, in denen diese es für angebracht halten.“ Die im EWG-Vertrag 141 Studiengruppe konnte auf die bereits vorliegende „Ergänzende Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses“ über „Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den mittel- und osteuropäischen Staaten“ (CES 1119/ 91, Berichterstatter: Jens Peter Petersen) zurückgreifen. Vom Berichterstatter Bernard Mourgues, einem Vertreter der französischen Gewerkschaft Force Ouvriere, wurde den Mitgliedern der Studiengruppe und den jeweiligen Experten ein im französischen Original acht Seiten langes Arbeitsdokument (Document de travail, Working document) vorgelegt. Dieses Arbeitsdokument berief sich ausdrücklich auf das Maastrichter Gipfeltreffen vom 11./ 12. Dezember 1991, anläßlich dessen einige Punkte hinsichtlich eventueller künftiger Mitglieder der Gemeinschaft angesprochen worden waren, die eine „eingehende Prüfung [...] erforderlich [machten]“ (405/ 1). 4.3 Erste Studiengruppensitzung am 14. April 1992 In Kapitel I. „Maastricht, Vollendung des Binnenmarkts und die mögliche Erweiterung der Gemeinschaft“ (Maastricht, l’achevement du Marche unique et le futur elargissement de la Communaute) resümierte der Berichterstatter in aller Kürze den Werdegang von Stellungnahmen, die sich mit Beitrittskandidaten befaßten, die bis dahin noch nicht Mitglied waren und entweder einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hatten oder mit großer Wahrscheinlichkeit in Kürze einen solchen stellen würden. Auf dem Maastrichter Gipfel wurde die Kommission aufgefordert, bis Juni 1992 einen Bericht über die künftige Erweiterung der Gemeinschaft vorzulegen. Die Kommission sah in der Tat in der „Erweiterung der Gemeinschaft“, wie es der damalige Vizepräsident und Generaldirektor der GD I, Auswärtige Beziehungen, Frans Andriessen, im Februar 1992 vor der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik angedeutet hatte, eines der Schlüsselthemen der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1992. Schon in diesem einleitenden Kapitel wird angedeutet, daß eine „quantitative“ Erweiterung“ (407/ 1) der Gemeinschaft auch zu einem „qualitativen* Sprung“ (407/ 1), d.h. einer tiefgehenden (im französischen Original profond) Reorganisation von Institutionsstrukturen und „traditionellen Arbeitsmethoden“ (407/ 1) führen würde. Als Beitrittskandidaten werden die Türkei, Zypern, Malta, Österreich, Schweden und Finnland bereits im einführenden Kapitel explizit genannt, die Möglichkeit, daß Norwegen und die Schweiz noch 1992 einen Antrag einreichen würden, wird kurz skizziert. In Kapitel II., das die metaphorische Überschrift „Die neue europäische Architektur der Gemeinschaft“ (408/ 1) (La nouvelle architecture europeenne de „vorgesehenen Fälle“ sind im „Rahmen des allgemeinen Zuständigkeitsbereichs des Ausschusses“ (Artikel 197) insbesondere Fragen der Landwirtschaft und des Verkehrs, danebengemäß der Fachgruppenzuordnungen die Themenbereiche Wirtschaft, Energie, Umwelt, Industrie, Regionalismus, Soziales und in beschränkterem Rahmen - Außenpolitik. 142 la Communaute) trägt, wird ein Ausblick über die Verhandlungen mit den EFTA-Ländem, die zu dem sogenannten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) führen sollen, und über die Assoziierungsabkommen mit der damaligen Tschechoslowakei, Ungarn und Polen sowie über die Verhandlungen mit Bulgarien, Rumänien, den Baltischen Republiken und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gegeben. Die Schwierigkeiten, die die teilweise als unbefriedigend empfundenen Regelungen für die künftigen Beitrittsstaaten in sich tragen, werden kurz dargestellt. Es wird auch nicht verschwiegen, daß dort, wo die Bevölkerung über den Beitritt zu Europäischem Wirtschaftsraum und Europäischer Gemeinschaft zu entscheiden hat, wie im Falle der Schweiz, mit Akzeptanzschwierigkeiten zu rechnen ist. In Kapitel III. „Die Gemeinschaftsorgane und ihr Rüstzeug für eine Erweiterung“ (410/ 1) (Les Institutions communautaires et leur capacite de faire face ä Velargissemeni) wird herausgestrichen, daß durch den in Maastricht vereinbarten Vertrag bzw. durch die Ratifizierung von seiten der nationalen Parlamente organisatorische Schwierigkeiten auf die EG zukommen werden. Institutionen, die von diesen Schwierigkeiten betroffen sein werden, seien in erster Linie das Europäische Parlament und der Ministerrat. Kritische Fragen werden von Mourgues aufgeworfen: - „Werden die subtilen 2 Maastrichter Kompromisse zu einer Lähmung des Beschlußfassungsverfahrens der Gemeinschaft führen? “ (410/ 1) - „Wird das Subsidiaritätsprinzip in der Praxis funktionieren? “ (410f./ I) und schließlich gelte es auszutarieren, ob und welche neuen Fragen und Probleme die anzustrebende neue Soziale Gemeinschaft an die Institutionen stellen werde. (411/ 1) In Kapitel IV. „Eine ,vertiefte* oder ,erweiterte‘ Gemeinschaft? “ (412/ 1) (Une Communaute europeenne plus „profonde“ ou plus „large“? ) wird als Denkspiel mit noch nicht präzisierbarer Prognose präsentiert, daß sich die Gemeinschaftauch nach Äußerungen ihres Generalsekretärs Jacques Delorsin Zukunft auf bis zu 30 Mitgliedstaaten ausweiten könnte. Die Frage, ob durch die Erweiterung der EG ein so komplexes Gebilde entstünde, daß zentrale Entscheidungsorgane stärkere Befugnisse erhalten müßten, wird problematisiert. Der Berichterstatter wirft die Frage auf, ob es nicht richtiger sei, vor einer „großen Erweiterung“ (413/ 1) (elargissement „majeur“) erstmal abzuwarten, bis der „Besitzstand“ (410/ 1) (les acquis) von Maastricht in den zwölf Mitgliedstaaten verankert ist. 2 Im Deutschen bleibt ein wenig unklar, was an den Maastrichter Beschlüssen „subtil“ ist. Hier sind die Übersetzer wohl den Weg des geringsten Widerstands (frz. subtil dt. subtil auch im Engl, subtle) gegangen und haben darauf verzichtet, klärend im Sinne von interpretierend (frz. subtil,scharf“, .listig“, .scharfsinnig“, .spitzfindig“) zu wirken. 143 Ein kurzes Kapitel V. „Zeitplan“ (413/ 1) (Calendrier) gibt die Vorstellung des damaligen Vizepräsidenten Andriessen wieder, daß die derzeitigen Gemeinschaftsstrukturen bis zu vier neue Mitglieder verkraften würden. Eine darüber hinausgehende Erweiterung der EG solle tunlichst erst nach der Ratifizierung des Unionsvertrags, der Maastrichter Beschlüsse, in Angriff genommen werden. Für Beitrittsverhandlungen mit weiteren Kandidaten sollte abgewartet werden, welche Ergebnisse aus einer Regierungskonferenz 1996 resultieren werden. Konkreter wird es in Kapitel VI. „Bedingungen für die Aufnahme neuer Staaten“ (411/ 1) (Les conditions d’adhesion pour les nouveaux membres). Zugangsbedingungen für beitrittswillige Länder sind, „daß sie in die Gemeinschaft ,passen', den gemeinschaftlichen Besitzstand' annehmen und die allgemeinen demokratischen und rechtlichen Normen der anderen Mitgliedstaaten erfüllen“ (411/ 1). Für die Länder Mittel- und Osteuropas, die Staaten des ehemaligen Rats für gemeinsame Wirtschaftshilfe (RGW) gilt darüber hinaus, daß eine Neuordnung der Volkswirtschaft Voraussetzung für Aufnahmeverhandlungen mit der EG ist. Als „geeignete Vorstufe“ (414/ 1) für einen späteren Beitritt werden Assoziierungsabkommen angesehen, in deren Rahmen die assoziierten Länder ihre Beitrittswürdigkeit unter Beweis stellen könnten, indem Demokratie und Rechtsstaatlichkeit umgesetzt und ausgebaut werden und eine soziale Marktwirtschaft eingeführt wird. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, daß der EWG-Vertrag (Artikel 237) einem jeden europäischen Staat die Möglichkeit zusichert, die Mitgliedschaft zu beantragen. Besondere Schwierigkeiten könnten dadurch auftreten, daß jedes neue Mitglied den Unionsvertrag als Ganzes unterzeichnen und so zumindest die Vorstellung von Delors sich dazu bereiterklären muß, an einer gemeinsamen EG- Außen- und Verteidigungspolitik (GASP) teilzunehmen. In Kapitel VII. „Derzeit vorliegende Anträge zum Beitritt zur Gemeinschaft“ (417/ 1) (Les demandes d’adhesion ä la Communaute dejä presentees) werden die sechs Staaten vorgestellt, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Arbeitsdokuments (7. April 1992) Anträge auf Mitgliedschaft in der EG gestellt haben. Das sind in der Reihenfolge der Antragstellung: die Türkei, Österreich, Malta, Zypern, Schweden und Finnland. Es werden kurz die Schwierigkeitenseien es geographische Hürden, Verletzungen der Menschenrechte, wirtschaftliche Schwierigkeiten oder die Probleme, die sich aus einer etwaigen Neutralität ergeben vorgestellt. Ein sich daran anschließendes, nicht numeriertes Kapitel befaßt sich mit "Weitere[n] in Betracht kommende[n] Beitrittskandidaten“ (418/ 1) (Autres candidats possibles), die Schweiz, Norwegen, Ungarn, Polen und die damals noch existierende Tschechoslowakei. Werden schon die letzteren drei Staaten „angesichts der beträchtlichen wirtschaftlichen Unterschiede“ „auf einer anderen Ebene“ (419/ 1) angesiedelt, so werden Beitrittsmöglichkeiten für weitere Länder- Bulgarien, Rumänien, Slowenien, Kroatien, die baltischen Staaten, „GUS“ unverbindlich und schwammig (»plastifizierend«, siehe 144 dazu Kapitel 8.) „auf eine ganz andere Ebene" (419/ 1) verwiesen und mithin abgeschoben. Interessanterweise wird hier die Diskussion über das ansonsten eher britischen Euroskeptikem und Gegnern der Sozialcharta vorbehaltene „Europa ä la carte“ (419/ 1) angeregt, das beitrittswilligen Staaten eine schrittweise Übernahme des Unionsvertrages zugesteht. Das Dokument schließt mit Kapitel VIII. „Die Kommission und die Frage der Erweiterung“ (419/ 1) (La Commission et la question de Velargissement). In diesem Kapitel wird dargestellt, daß die Kommission zwar nach dem Maastrichter Gipfel eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Frans Andriessen eingerichtet habe, daß aber die Kommission als solche sich bisher noch nicht mit der Erweiterung befaßt habe und folglich auch noch kein diesbezügliches Kommissionsdokument vorliege. Bei diesem „Arbeitsdokument“, gewissermaßen einem „Vorentwurf zum Vorentwurf einer Stellungnahme“, handelt es sich zunächst eher einmal um eine Sammlung und Sortierung der Gedanken des Berichterstatters und darüber hinaus der Anregungen, die sein französischer Experte und Landsmann Delforge in den Text einfließen ließ. Der Vorentwurf ist noch relativ grob gegliedert, eine Hierachie der einzelnen Kapitel schwer erkennbar. Bei dieser Gedankensammlung handelt es sich um ein typisch romanisches Textverständnis sicherlich eine gewagte Behauptung, die aber in anderen Studiengruppen durchaus verifiziert werden konnte. 4 4.4 Zweite Studiengruppensitzung am 13. Mai 1992 Für die zweite Sitzung der Studiengruppe, die am 13. Mai 1992 stattfand, legte der Berichterstatter ein schema d’avis am 5. Mai 1992 vor, das am gleichen Tag auch in der englischen Fassung als draft outline of an opinion erschien. Einen Tag später wurde die italienische Übersetzung (progetto di schema di parere) herausgegeben; und schließlich noch einen Tag später wurde die deutsche Fassung eines "Schema[s] für den Vorentwurf einer Stellungnahme“ präsentiert. Die in dem ursprünglichen Arbeitsdokument angerissenen acht Komplexe (römische Ziffemnumerierung) sind in diesem Vorentwurf einer etwas präziseren Gliederung mit sechzehn Kapiteln (in arabischen Zahlen) gewichen. Nahm das Arbeitsdokument noch ausdrücklich Bezug auf das Maastrichter Gipfeltreffen im Dezember 1991, stand das Schema für den Vorentwurf schon ganz im Zeichen der im Juni 1992 in Lis- 3 Hervorhebungen J.B. 4 Eine Reihe mittel- und nordwesteuropäischer Gesprächspartner, d.h. Gesprächspartner aus Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien, vertrat die Ansicht, sie und ihre Landsleute hätten eine Tendenz, Texte kürzer, knapper, präziser und besser gegliedert zu verfassen als ihre süd- und südwesteuropäischen Kollegen, beispielsweise aus Frankreich, Italien, Spanien und Portugal, aber auch aus Griechenland. 145 sabon stattfindenden Sitzung des Europäischen Rates. 5 Es war vorgesehen, daß die Kommission dort in einem einführenden Bericht die Auswirkungen einer Erweiterung auf die künftige Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft erörtern sollte, womit sie den Forderungen des Maastrichter Gipfels nachkommen sollte. Der Gipfel führte nun dazu, daß die Studiengruppe im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden der Fachgruppe „Außenbzw. Außenhandels- und Entwicklungspolitik“ beschloß, für die Fachgruppensitzung am 11. Juni lediglich ein „Schema für den Entwurf“ auszuarbeiten, da schon zu diesem Zeitpunkt klar war, daß auf dieser Sitzung ein Vertreter der Kommission über die Beschlüsse von Lissabon berichten würde. Damit wurde von dem im WSA ansonsten üblichen Textgeneseverfahren abgewichen: Gelten normalerweise zwei bis drei Studiengruppensitzungen als ausreichend, um der Fachgruppe einen „Vorentwurf für eine Stellungnahme“ präsentieren zu können 6 , so wird hier durch die Beschränkung auf ein „Schema für einen Entwurf“ die Möglichkeit geschaffen, das Thema „EG- Erweiterung“ insgesamt zweimal der Fachgruppe vorzulegen, um somit die Möglichkeit zu nutzen, Einfluß auf die Behandlung des Themas in anderen Gremien (hier: Europäischer Rat in Lissabon) nehmen zu können. Daß eine Abweichung vom üblichen Procedere auch von den Mitgliedern des Ausschusses selbst als verwirrend empfunden wird, machte der Verlauf der Fachgruppensitzung deutlich, in der Turbulenzen auftraten, ob etwa angesichts der Zeitnot - Abstimmungen überhaupt zulässig seien. Die bei den Mitgliedern verinnerlichte Geschäftsordnung ist in solchen Fällen nicht »abrufbar«. Daß das „Schema für den Vorentwurf einer Stellungnahme“ mit etwas mehr als sechs Seiten um zwei Seiten kürzer ausfiel als das erste Arbeitsdokument, geht nicht zuletzt auf eine Straffung der „einführenden Bemerkungen“ (422/ II) (Observations preliminaires) zurück. Die Würdigung der Ergebnisse des Maastrichter Gipfels und die wichtige Rolle, die die Kommission der Europäischen Gemeinschaft einschließlich ihres Vizepräsidenten Andriessen der EG-Erweiterung beimaßen, wurden in die zweite Fassung nicht mehr aufgenommen. Vergangenheit und Gegenwart werden in einem einzigen Absatz als treibende Kräfte für die Überlegungen hinsichtlich einer Erweiterung der EG genannt: zum einen die schon 1957 in die Präambel der Römischen Verträge aufgenommene Klausel der Möglichkeit einer künftigen Erweiterung, zum anderen die historisch überwundene Teilung Europas in einen West- und 5 Der Europäische Rat wird gebildet von den Staatsund/ oder Regierungschefs der EG- Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten der EG. Begleitet werden sie von den Außenministern bzw. einem Mitglied der Kommission. Der Rat ist das politische Führungs- und Koordinierungsorgan der Gemeinschaft. Seine Rechtsgrundlage ist die Einheitliche Europäische Akte, Artikel 2. Der Europäische Rat tagt „mindestens“ zweimal, in der Regel jedoch dreimal pro Jahr. 6 In Einzelfällen kann auch völlig darauf verzichtet werden, vgl. etwa die „Zweite ergänzende Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema ,Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den mittel- und osteuropäischen Staaten: Bulgarien und Rumänien““, CES 1334/ 92, 25. November 1992. 146 einen Ostteil. Kurz wird noch einmal resümiert, daß sechs Länder bereits einen Antrag auf EG-Mitgliedschaft gestellt haben, daß andere voraussichtlich folgen werden. War in dem ersten Papier noch anspruchsvoll, gleichwohl ein wenig diffus von einer „quantitativen Erweiterung der Gemeinschaft“ (407/ 1), die zu einem „qualitativen Sprung“ (407/ 1) führen würde, die Rede, ist der jetzt vorliegende Text etwas konkreter und führt aus, daß bis dahin in erster Linie wirtschaftliche Betrachtungen maßgeblich für Diskussionen einer Erweiterung waren, während in der Zukunft wohl eher oder zumindest gleichrangig politische Überlegungen berücksichtigt werden müßten. Die Kapitel 1. und 2. zitieren Vorgaben von EWG-Vertrag und Europäischem Rat. Das ist zum einen der Artikel 237 des EWG-Vertrags, der bestimmt, daß „jeder europäische Staat beantragen kann, Mitglied der Gemeinschaft zu werden“, und damit zumindest implizit weitere europäische Staaten, die gewisse wirtschaftliche, soziale und politische Grundsätze erfüllen, zur Mitgliedschaft auffordert. Und das ist zum zweiten die Abschlußerklärung des Europäischen Rates anläßlich des Maastrichter Gipfels im Dezember 1991. Wörtlich werden diese Passagen in das „Schema für den Vorentwurf“ eingearbeitet: „Der Europäische Rat erinnert daran, daß der Vertrag über die Europäische Union, über den die Staats- und Regierungschefs jetzt Einvernehmen erzielt haben, vorsieht, daß jeder europäische Staat, dessen Regierungssystem auf demokratischen Grundsätzen beruht, einen Antrag auf Beitritt zur Union stellen kann. Der Europäische Rat nimmt davon Kenntnis, daß die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union auf der Grundlage des jetzt vereinbarten Vertrags beginnen können, sobald die Gemeinschaft 1992 ihre Verhandlungen über die Eigenmittel und die damit in Zusammenhang stehenden Fragen abgeschlossen hat. Der Europäische Rat stellt fest, daß verschiedene europäische Länder einen Beitrittsantrag gestellt oder ihre Absicht, der Union beizutreten, bekundet haben. Der Europäische Rat ersucht die Kommission, diese Fragen, einschließlich der Auswirkungen für die künftige Entwicklung der Union, im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates in Lissabon zu prüfen.“ (41 lf./ II) Damit werden noch einmal Dringlichkeit und Wichtigkeit des Themas unterstrichen - Grund genug für den WSA, seinen Sachverstand in das laufende Verfahren einzubringen und die gesellschaftlichen Gruppen am Entscheidungsprozeß zu beteiligen. In Kapitel 3. folgt eine Aufforderung seitens der Fachgruppe an die Kommission, die folgenden drei Punkte zu berücksichtigen: (1) Das Inkrafttreten des Binnenmarkts zum 1. Januar 1993; (408/ 11) (2) das gleichzeitige Inkrafttreten des Europäischen Wirtschaftsraums, der einen weit(est)gehend freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen gewährleisten werde; (409/ 11) 147 (3) die Schwierigkeiten, die die Ratifizierang und die Umsetzung der Maastrichter Vereinbarungen den einzelnen Mitgliedstaaten bereiteten und einige dabei wohl sogar überforderten. (410/ 11) Kapitel 4. ist eine in Frageform formulierte Aufforderung an die Mitgliedstaaten, gerade jetzt ihren „politischen Willen, ja ihre Entschlossenheit [zu] bekräftigen, der ,Vertiefung* der Gemeinschaft entsprechend dem in den Maastrichter Übereinkünften aufgezeichneten Weg höchsten Vorrang einzuräumen“ (406/ II). 7 Damit wird Kapitel IV. aus dem ersten Arbeitsdokument „eine ,vertiefte* oder erweiterte* Gemeinschaft? “ (412/ 1) in anderer Textumgebung wieder aufgenommen, ohne aber die herausragende Rolle des Kommissionspräsidenten Jacques Delors und dessen Vorstellung und Sorgen hinsichtlich einer Erweiterung der Gemeinschaft aufs Neue zu problematisieren oder zu kommentieren. Statt institutioneller Probleme, wie sie etwa durch eine stärkere Zentralisierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft entstünden, werden in dem neuen Papier konkret gemeinsame Absichten wie die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) sowie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) genannt. Der zweite Teil des ursprünglichen Kapitels IV., der Aspekt der Erweiterung (versus „Vertiefung“), wird nunmehr in einem separaten Kapitel (5.) abgehandelt. Auch hier bedient sich der Berichterstatter der Frageform, in die er die „logische Konsequenz“ (406/ 11) verpackt, daß sämtliche Länder, die schon einen Antrag gestellt haben oder künftig einen stellen werden, den „gesamten gemeinschaftlichen Besitzstand, einschließlich des neuen Besitzstandes nach Maßgabe der Maastrichter Übereinkünfte [akzeptieren müßten“] (406/ II). 8 7 Hervorhebungen so im Text. Im französischen Originaltext wird gar eine doppelte Hervorhebung (fett vs. kursiv) vorgegeben: „Entre parentheses, pour ainsi dire, et tout ä fait independamment du rapport d’introduction que le Conseil europeen de Maastricht a demands ä la Commission de rediger pour juin 1992, ne conviendrait-il pas que les Etats membres reaffirment maintenant leur volonte politique, voire leur determination ä accorder une priorite absolue ä r,approfondissement‘ de la Communautö dans la voie indiquee par les accords de Maastricht, ä savoir TUEM ainsi qu’une politique etrangere et de sdcurite commune.“ [UEM steht für Unite Economique et Monetaire, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)]. 8 Der deutsche Begriff „gemeinschaftlicher Besitzstand“ ist ein zentraler Terminus in der schriftlichen Alltagskommunikation der Brüsseler Eurokratie. Gleichwohl wird er allem Anschein nach selbst von Fachleuten als so schwierig empfunden, daß er in der mündlichen Kommunikation dem französischen acquis communautaire weicht. Selbst in die deutschsprachige Presse hat acquis communautaire als terminus technicus Einzug gehalten, cf. Klaus-Peter Schmid, der den „Zeit“-Lesem das Verständnis der folgenden Textpassage zutraut: „Als der Vertrag von Maastricht unterschrieben wurde, galt er als Rahmen für das Europa von morgen. Wer Mitglied werden will, so lautete die Vorgabe, muß den acquis communautaire akzeptieren, also die EG so nehmen, wie sie ist. Nach der Ratifizierung des Abkommens weiß jeder, daß das eine Illusion war. Eine Europäische Union der Zwanzig wird es nicht geben. Schon die zwischen den Zwölf erreichte Integrationsdichte ist ständig 148 Das leitet direkt über in Kapitel 6., in dem der Berichterstatter postuliert, daß die politische Struktur Europas davon abhängen werde, ob die Gemeinschaft eben darauf bestehen würde, daß neue Mitglieder alle Maastrichter Übereinkünfte bejahen müßten. Im anschließenden Unterkapitel 6.1. werden Überlegungen zur Integration und Kohäsion der Europäischen Gemeinschaft bzw. zu einem größeren Europa unter die Lupe genommen. Es ist unbestritten, daß eine Integration angestrebt wird und eine Kohäsion Europas zumindest existent ist. Insofern scheint sich der Berichterstatter verpflichtet zu fühlen, diese Gedanken in seiner Stellungnahme zu placieren. Dennoch ist die Aussage dieses Absatzes als eher banal einzuschätzen. Die Vagheit der Formulierung tut zwar keinem weh, stellt aber auch niemanden so recht zufrieden. Die Neigung vieler Berichterstatter, Selbstverständlichkeiten in einen Text einzuarbeiten, wird in diesem Falle von den Studien- und Fachgruppenmitgliedem nicht hingenommen: Das belegen auch die Überarbeitungen in den künftigen Fassungen, die nach mehr oder weniger heftigen Diskussionen in den jeweiligen Studienbzw. Fachgruppensitzungen erforderlich wurden. Zwar wurde der Wortlaut in den Fassungen immer wieder überarbeitet, die Aussage als solche blieb jedoch verschwommen. Textvorlage für die 2. Studiengruppensitzung am 13. Mai 1992: „Obwohl die Integration der Europäischen Gemeinschaft und die Integration oder Kohäsion eines größeren Europas zwei gesonderte Prozesse sind, sind sie doch mit einander (sic! ) verflochten. Zu klären ist, inwieweit die Gemeinschaft sich dafür verantwortlich fühlen sollte, die Führungsrolle in der europaweiten Integration zu übernehmen.“ (407/ 11) Textvorlage für die 1. Fachgruppensitzung am 11. Juni 1992: „Die Integration der EWG, ihre schrittweise Erweiterung und die Kohäsion Europas als Ganzes sind wesentliche Bestandteile des künftigen Gleichgewichts auf dem europäischen Kontinent. Die Gemeinschaft wird in der näheren Zukunft in noch größerem Maße eine dynamische, entscheidende Rolle spielen.“ (407/ 11) Textvorlage für die 3. Studiengruppensitzung am 17. Juli 1992: „Die Integration der EWG, ihre schrittweise Erweiterung und die aus dem Vertrag von Maastricht hervorgehende Kohäsion der Europäischen Union sind wesentliche Bestandteile des künftigen Gleichgewichts auf dem europäischen Kontinent. Die Europäische Union wird in der näheren Zukunft in noch größerem Maße eine dynamische, entscheidende Rolle spielen.“ (427/ 1) Textvorlage für die 2. Fachgruppensitzung am 11. September 1992: [Der erste Satz ist gegenüber der letzten Studiengruppensitzung unverändert geblieben, der zweite erhielt einen Zusatz]: gefährdet, jedes neue Mitglied erschwert die gemeinschaftliche Willensbildung. Am Ende könnte die Maschinerie Stillstehen.“ (Schmid 1993b) 149 „Die Europäische Union wird hierbei insoweit in noch größerem Maße eine dynamische, entscheidende Rolle spielen, als sich ihr Zusammenhalt durch ihre institutionelle Weiterentwicklung noch verstärken wird.“ (427/ 11) Die Vagheit blieb gewahrt trotz der jeweils geänderten Formulierungsmuster. Die Metapher „verflochten“ (407/ 11) (im Original qui s’interprenent und im Italienischen interdipendenti ist diese Metaphorik weniger eindeutig) wurde durch eine andere, „Bestandteile des Gleichgewichts“ (407/ III bzw. 427/ 1) (elements essentiels de l’equilibre, it. elementi essenziali dell’equilibria, engl, vital to stability, vormals interdependent), substituiert. Unklar bleibt, inwieweit der Berichterstatter durch intensional wie extensional dehnbare Begriffe wie „dynamisch“ (407/ III bzw. 427/ 1) bewußt Spielraum für semantische Interpretationen eröffnete und ob das Stilmittel der Aktantenreduktion, „zu klären ist“ (407/ 11) (il reste a precisex) wer soll das klären, der Wirtschafts- und Sozialausschuß, der Berichterstatter, die Kommission? -, strategisch verwendet wurde, um jedem der beteiligten Aktanten die jeweils genehme Auslegung zu ermöglichen. Einiges deutet jedoch darauf hin, daß Mourgues sich selbst gemeint hat, da er ab der dritten Version eine apodiktische Formulierung gewählt hat, die er erst wieder für die allerletzte Fassung abschwächte. In dieser Form wurde sie schließlich auch der Plenarversammlung vorgelegt und im Rahmen der Gesamtstellungnahme einstimmig verabschiedet. Kapitel 7. des „Schemas“ enthält eine Warnung an die Länder, die der EG beitreten möchten. Deren Botschaft besagt, die Kandidaten sollten nicht dem Irrtum erliegen, sich jene Teile aus der EG herauspicken zu können, die ihnen profitabel erscheinen, lästige Verpflichtungen aber beiseite zu schieben. Damit wird die der Gastronomie entlehnte Metapher „Europa ä la carte“ (419/ 1) wiederaufgenommen, allerdings wurde das Stilmittel gewechselt. In zweifacher Hinsicht textsortenuntypisch stellt der Berichterstatter die Beitrittskandidaten vor die Alternative: „Alles oder nichts“ (414/ 11) (im französischen Original: „Ce sera tout ou rien“). Einerseits ist es untypisch, daß ein Berichterstatter des WSA seine Befugnisse so weit ausdehnt, daß er sich quasi die Rolle eines Verhandlungsführers für die gesamte Gemeinschaft anmaßt; andererseits stellt ein derartig krasses Verdikt einen besonders scharfen Kontrast zur gerade vorher zur Kunst erhobenen verschwommenen Formuliererei dar. Bezeichnenderweise ist dieser Passus in der Fassung für die nächste Fachgruppensitzung wieder getilgt, nachdem in der Studiengruppensitzung das deutsche WSA-Mitglied Jens Peter Petersen die Formulierung scherzhaft rügte, sich dabei ungeniert Stereotype zunutze machte und schließlich mit Hilfe seiner doppelbödigen Anregung die Streichung bewirkte: „Ich störe mich etwas an den letzten drei Worten im Deutschen: Alles oder nichts! Das ist für uns ein kategorischer Imperativ, der so schwarzartig ist, daß er kaum eine andere Argumentation zuläßt. Also ich würde gerne den Herrn Berichterstatter bitten, darüber nachzudenken, ob man es vielleicht etwas französischer definieren kann, also diplomatischer 150 sagen kann. Mit dem Inhalt völlig einverstanden, würde ich in Deutsch alles oder nichts streichen [Gelächter].“ Da in dem Dokument, das in der zweiten Sitzung der Studiengruppe am 13. Mai 1992 vorgelegt wurde, die Präsentation der einzelnen beitrittswilligen Staaten nicht mehr vorhanden ist, werden in den Kapiteln 8. und 9. diejenigen Länder kurz skizziert, die als relativ unproblematisch angesehen werden. Es handelt sich hierbei um Österreich, Schweden, Finnland und Malta sowie die potentiell beitrittswilligen Staaten Norwegen und die Schweiz. Interessant ist hierbei, daß eine recht scharf formulierte Passage in der darauffolgenden Fassung etwas abgeschwächt wurde. Heißt es noch im „Schema für den Vorentwurf einer Stellungnahme“, der den Mitgliedern der Studiengruppe in der Sitzung am 13. Mai 1992 präsentiert wurde: „Von den derzeit vorliegenden Beitrittsanträgen dürften die von Österreich, Schweden, Finnland und Malta unproblematisch sein, soweit die Gemeinschaft von Anfang an sicher sein kann, daß sie sich dem gemeinschaftlichen Besitzstand — selbstverständlich auch aus dem Maastrichter Übereinkünften hervorgehenden verpflichten“ (417/ 11), so wurde daraus bis zur Fachgruppensitzung am 11. Juni 1992: „Von den derzeit vorliegenden Beitrittsanträgen dürften die von Österreich, Schweden, Finnland und Malta unproblematisch sein. Diese Staaten sind offenbar in der Lage, den gemeinschaftlichen Besitzstand einschließlich den aus den Maastrichter Übereinkünften hervorgehenden zu übernehmen.“ (415/ III) 9 In Kapitel 10. spannt der Berichterstatter den Bogen etwas weiter und geht auf Assoziierungsabkommen ein, die die Gemeinschaft schon mit Polen, der damals noch existierenden Tschechoslowakei und Ungarn (der sogenannten Visegrad-Gruppe 10 ) ausgehandelt hatte und die damals mit Rumänien und Bulgarien sowie einer Reihe von Nachfolgestaaten der Sowjetunion einschließlich der baltischen Staaten angestrebt wurden. Diese Kooperationsabkommen gelten gemeinhin als notwendig, weil die meisten dieser Staaten die Voraussetzungen für einen EG-Beitritt nicht erfüllen, sei es in wirtschaftlicher Hinsicht (Etablierung der Marktwirtschaft), sei es bei politischen Vorgaben (wie Stärkung von Demokratie und/ oder Rechtsstaatlichkeit), sei es in 9 Es handelt sich hier um eine etwas holprige Übersetzung des französischen Originals: „tant que la Communaute sera des le depart convaincue de leur engagement vis-ä-vis de I’acquis communautaire et, bien sür, de celui qui resulte des accords de Maastricht.“ entsprechend in der überarbeiteten Fassung: „Ces Etats paraissent etre en mesure d’accepter l’acquis communautaire y compris celui qui resulte des accords de Maastricht.“ 10 Die Gruppe wurde nach dem ungarischen Ort Visegräd (fälschlicherweise bzw. bohemisierend i.d.R. als ViSegrad bezeichnet) benannt, wo am 15. Februar 1991 die (Minister-)Präsidenten Havel, Wal? sa und Antall ein Abkommen über die Förderung des freien Verkehrs von Kapital und Arbeit sowie Rechtsgarantien für nationale Minderheiten Unterzeichneten, das aber in erster Linie als „Vehikel für eine möglichst schnelle Aufnahme in die EG“ (Süddeutsche Zeitung 12./ 13.6. 1993) dienen sollte. 151 Menschenrechtsfragen (Problematik ethnischer, sprachlicher und seltener religiöser Minoritäten). Diese „Europaabkommen“ sind nach Artikel 238 des EWG-Vertrags Assoziierungsabkommen, vergleichbar denen mit einer Reihe von früheren britischen und französischen Kolonien in Afrika, der Karibik und im pazifischen Raum (sogenannte AKP-Staaten). Assoziierungsabkommen sollennach einer Definition des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) - „besondere und privilegierte Beziehungen zu einem Drittland schaffen, wonach der Assoziationspartner zumindestens teilweise am Gemeinschaftssystem teilhaben, jedoch außerhalb des Entscheidungsprozesses der EG bleiben muß.“ 11 Gleichwohl läßt sich aus Assoziierungsabkommen kein zeitlicher Anspruch auf EG-Mitgliedschaft herleiten. Dennoch werden sie als sinnvolle Zwischenstationen auf halbem Weg in Form angegliederter Mitglieder hin zur Vollmitgliedschaft angesehen. Diese Begriffe „halber Weg“, „Zwischenstation“, „Vollmitgliedschaft“ und „angegliederte Mitglieder“ verwendet der Berichterstatter in seinem Entwurf hervorgehoben. 12 Während in den Kapiteln 11. und 11.1. die Schwierigkeiten der Beitrittskandidaten hinsichtlich der Erfüllung der Gemeinschaftskriterien in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht im Mittelpunkt stehen, greifen die Kapitel 12. und 12.1. die Problematik auf, die für die Gemeinschaftsinstitutionen der EG akut wird, wenn neue Staaten in die Gemeinschaft drängen. An dieser Stelle fordert der Berichterstatter weiterhin auf, darüber nachzudenken, welche Auswirkungen eine größere EG auf das weitere Europa hätte. 13 11 Zitiert nach: „Die neuen Assoziierungspartner: Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei. Die Europaabkommen der Europäischen Gemeinschaft“. In: „Europäische Zeitung“, Juni 1992, S. 27f. 12 Es handelt sich hierbei um (zum Teil durchaus freie) Übersetzungen des französischen Originaltextes etape intermediaire ,halber Weg“, adhesion .Vollmitgliedschaft* und schließlich affiliation .angegliederte Mitglieder*, wobei bezeichnenderweise etape intermediaire einmal als .Zwischenstation*, einmal als .halber Weg* übersetzt wird. Interessant in diesem Zusammenhang auch die Übersetzung ins Englische, wo auch ein Bild für Zwischenstation (halfway house) gewählt wird, während das Italienische dem französischen Original folgt (stadia intermedia). Die größten Probleme scheint die Übersetzung der französischen Fassung la notion d’affiliation gemacht zu haben, die im Deutschen als ,Idee* wiedergegeben wird und im Italienischen als weniger semantisierte ipotesi erscheint. 13 Um hier die deutsche Fassung zu verstehen, ist es wiederum hilfreich, das französische Original zu Rate ziehen. Dort heißt es: „De meme, il serait imprudent, pour l’heure, d’erriettre des hypotheses sur Timpact d’une Communaute europeenne elargie sur TEurope en general“. Dieses Europe en general wird im Deutschen als „weiteres Europa“, wohl einer englischen Fassung folgend, in der es „wider Europe“ heißt, wiedergegeben. Um dann endgültig zu begreifen, was gemeint ist, hilft schließlich der italienische Text weiter, in dem es wörtlich heißt: „Europa piü ampia“. Im übrigen klärt die Fassung der Sitzung vom 11. Juni 1992 die Leser dieses Textes über die Absichten des Berichterstatters auf, denn dort heißt es: „Die Fachgruppe würde es sehr begrüßen, wenn [...] die Fragen der unvermeidlichen Folgen einer starken Erweiterung [...] für die weitere Entwicklung Europas an der Schwelle zum dritten Jahrtausend behandelt würden“. (412/ III) 152 Im Kapitel 12.1. werden Modelle einer künftigen institutionellen Gliederung Europas diskutiert. Es gilt als Konsens, daß Änderungsbedarf vorhanden ist. Da hierje nach Mitgliedstaat unterschiedliche Vorstellungen bestehen und dementsprechend mehrere Lösungsvorschläge miteinander konkurrieren, ruft der Berichterstatter zu einer Diskussion über mögliche Systeme auf, obwohl er persönlich nicht glaubt, daß vor 1996 die Thematik einer institutionellen Reform Europas auf der Tagesordnung von Regierungskonferenzen stehen werde. In diesem Kapitel werden die Reizwörter „Föderalismus“, „Subsidiarität“ und „souveräne Staaten“ (413/ II) eingeführt. Die Modelle föderaler Systeme (etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika oder der Bundesrepublik Deutschland) werden als betrachtungswürdig charakterisiert, es wird aber vor Imitationen gewarnt. Dieses verleitet den Berichterstatter zu der etwas gewagten Schlußfolgerung: „Wenn innerhalb der EG von .Subsidiarität* und Souveränen Staaten* gesprochen wird, so bedeutet dies, daß keines der beiden Modelle den Bedürfnissen der Gemeinschaft im vollen Umfange gerecht werden wird“ (413/ II). 14 In den abschließenden Kapiteln 13., 14., 14.1., 15. und 16. werden noch einmal die Probleme zusammengefaßt, die sich der EG durch bereits gestellte oder künftige Beitrittsgesuche aufbauen bzw. aufbauen werden. Immer wieder verweist der Berichterstatter auf die Maastrichter Beschlüsse, die auch für neue Mitgliedstaaten hohe Hürden setzen und den jetzigen Mitgliedstaaten negativ ausgedrückt hinreichend Vorwände liefern, neue Beitrittsgesuche abzublocken. Um nicht sagen zu müssen, daß gewisse Beitrittsgesuche unerwünscht sind, wird postuliert, „daß die Gemeinschaft die Dinge nicht überstürzen sollte“ (419/ 11), daß man aber immerhin doch schon einmal beginnen sollte nachzudenken. Gerade die Erweiterung der EG um Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine angedeutete Ausdehnung bis nach Wladiwostok bereitete den Fachgruppenmitgliedem einiges Kopfzerbrechen. Das deutsche WSA-Mitglied Göke Frerichs, Gruppe der Arbeitgeber, bringt dies auf den Punkt: „Wir haben uns zum Beispiel gequält um die Frage, was wir machen mit dem Staat Rußland und der GUS. Deswegen haben wir gesagt: Rußland und einige andere Staaten der GUS wir wollen doch nicht Tadschinkistan (sic! 15 ) und wie diese ganzen Länder jenseits des Ural heißen - und deshalb haben wir dann im nächsten Absatz noch die ethnischen, religiösen und politischen Konflikte mitaufgeführt und haben gesagt, das müssen wir nicht unter drei eins tun, das müssen wir unter drei zwei fassen, da ja mit diesen Ländern nicht verhandelt wird. Das kann mal kommen, aber nur dann, wenn wir die ethnischen, religiösen und politischen Konflikte miteinbeziehen. Wir haben uns gedrückt um 14 Es handelt sich hier keineswegs um einen Übersetzungsfehler, denn auch das Französische spricht von: „Le fait que l’on parle dans le cadre commununautaire de subsidiarite et d'Etats souverains signifie qu’aucun de ces deux modales ne repondrait exactement aux besoins de la Communaute“. Daß der Gedanke etwas unausgewogen war, bewiesen auch die anschließende Diskussion sowie die Tilgung des Passus bis zur folgenden Sitzung. 15 Eine interessante Kontamination von Tadschikistan und Dschingis Khan, wie sie ja in mündlicher Rede durchaus frequent ist. 153 die Frage: Wird Europa vom Atlantik bis zum Ural reichen oder kleiner oder größer. Das können wir ja gar nicht ansprechen, deswegen haben wir’s getrennt. Danke! “ Der Berichterstatter macht einen interessanten Schlenker 16 bezüglich der Beziehungen zu den Nachbarstaaten im Mittelmeerraum, worunter insbesondere die Maghrebstaaten zu verstehen sind. Eine Klärung der Beziehungen erscheint den WSA-Mitgliedem vor allen Dingen vor dem Hintergrund, daß ein Großteil der unerwünschten illegalen Einwanderer aus den Staaten Nord- und Schwarzafrikas über diese Länder in die EG gelangt, wünschenswert und notwendig. 4.5 Erste Fachgruppensitzung am 11. Juni 1992 Bei der 140. Sitzung der WSA-Fachgruppe „Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik“ am 11.06.1992 waren zum Tagesordnungspunkt „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“ zwei Vertreter der Kommission im Wirtschafts- und Sozialausschuß anwesend: Der ursprünglich geladene und angekündigte Generaldirektor der GD I „Auswärtige Beziehungen“, Horst Krenzier, wurde vertreten von seiner Assistentin Viola Groebner. Die Tagesordnung sah vor, daß sie Ausführungen „zu den jüngsten Entwicklungen in den Beziehungen der Gemeinschaft zu Drittländern, die in die Zuständigkeit von Frans Andriessen, Vizepräsident der Kommission, fallen“, machte. Dieses einleitende Referat wurde eindeutig als „Einführung“ 17 charakterisiert. Der andere Vertreter der Kommission war Wolfgang Kist, Referatsleiter in der gleichen Generaldirektion und in der dortigen Direktion K (Nord-Süd-Beziehungen) für „Allgemeine Zollpräferenzen; Strategien und Koordinierungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ zuständig. Er war den Teilnehmern dieser WSA-Fachgruppensitzung zum Teil schon bekannt, da er auch der Sitzung am 13. Mai 1992 beigewohnt hatte. Die „künftige Erweiterung der Gemeinschaft“ war als TOP 5 auf die Tagesordnung gesetzt. An der „Allgemeinen Aussprache“ beteiligte sich Kist mittels eines Statements; er kündigte an, zu Fragen der WSA-Mitglieder Stellung zu nehmen, was dann aber aus Zeitnot nicht mehr möglich war. Während sich in der allgemeinen Aussprache WSA-Mitglieder in der Regel auf kurze Beiträge beschränken, sieht der äußere Rahmen von Fachgruppensitzungen vor, daß Kommissionsvertreter die Gelegenheit haben, in längeren Statements erstens ihre Auffassung bzw. die der Kommission vorzustellen, zweitens in einem längeren Beitrag Anregungen und Kritikpunkte der WSA- Mitglieder aufzunehmen und je nach eigenem Geschmack zu beantworten 16 Interessant deswegen, weil gewissermaßen parallel eine Stellungnahme zu den Beziehungen mit den Maghrebstaaten erarbeitet wurde, die auf der gleichen Fachgruppensitzung wie die Stellungnahme zur Erweiterung der EG verabschiedet wurde. 17 Die Einführung und Vorstellung Frau Groebners wurde vom spanisch-baskischen Fachgruppenvorsitzenden Jose Maria Zufiaur Narvaiza auf spanisch vorgenommen, entsprechend wurden die einführenden Worte als „introducciön“ charakterisiert. 154 oder mit Verweis auf Zeitnot auszuklammem. Während der eine Kommissionsvertreter, Wolfgang Kist, in seinen Beiträgen vom Deutschen ins Französische oder Englische switchte, wobei er sich nach Möglichkeit der Sprache der jeweiligen Adressaten bediente, hielt Viola Groebner ihr Referat in deutscher Sprache. In diesem Vortrag sind jedoch eine Reihe englischer und französischer Fachtermini und Eurojargonwörter eingebaut. Im Gegensatz zu vielen anderen Generaldirektionen scheint in der GD I Englisch die bevorzugte Arbeitssprache zu sein. Darauf deuten zahlreiche englische Termini hin. Außerdem wurden die Verhandlungen mit den osteuropäischen Staaten, den baltischen Staaten und verschiedenen Nachfolgeländem der zerfallenen Sowjetunion in der Regel auf englisch geführt. 18 Eine lexikalische Fundgrube für die Beschreibung eines EG-spezifischen Fachjargons ist die Rede von Viola Groebner, die in ihrem Statement eine reichhaltige multilinguale Terminologie verwendet. Einige der Fremdwörter, die sie in ihrem Vortrag verwendet, sind schlichtweg wörtliche Übersetzungen einer EG-Fachsprache ins Deutsche. Kasten: »Eurospeak« in einer WSA-Fachgruppensitzung Beispiele für eine Verbindung sprachlicher Elemente des Französischen oder Englischen mit dem Deutschen finden sich etwa bei dem Begriff „das communautaire Leben"', die Maxime für ein notwendiges schrittweises Vorgehen wird als ne pas brüler les etapes bezeichnet. Ein Anglizismus exploratorische Gespräche dient als Opposition zu ,harten Verhandlungen 1 . Während die Kennzeichnung einer Gedankensammlung als brainstorming process bereits weitgehend Eingang in die deutsche Alltagssprache von Wissenschaftlern, Journalisten oder Managern gefunden hat, sind grants, ,Leistungen, die nicht zurückgezahlt werden müssen* (im Gegensatz etwa zu Krediten), (noch) nicht allgemeinverständlich. Die Maßnahmen zur Durchführung dieser finanziellen Transaktionen werden als Implementation bezeichnet. Die Verwaltung wird, hier ist nicht erkennbar, ob die Interferenz aus dem Französischen oder aus dem Englischen stammt, Administration genannt. Auch die Verpflichtung, einen Teil von Nahrungsmitteln bei Drittländern zu kaufen, hier als Triangularität denominiert, ist die Adaption eines im Deutschen ungewöhnlichen Terminus, der, aus dem Lateinischen 18 Gerade die Aufforderung der EG-Kommission, die Verhandlungen mit der Sowjetunion bzw. deren Nachfolgestaaten auf englisch oder französisch, wenn nicht auf russisch, zu führen, brachte den EG-Institutionen zahlreiche Proteste seitens deutscher Regierungsstellen ein. Dort wurde immer wieder darauf abgehoben, daß Deutsch über lange Zeiträume lingua franca in Osteuropa gewesen sei. Vor allem auch deutsche Firmen beschwerten sich darüber, daß sie Gebote auf dem lukrativen Kooperationsmarkt mit den zerfallenden RGW-Staaten in englischer, französischer oder russischer Sprache einreichen mußten, obwohl sie der Ansicht waren, daß viele ihrer osteuropäischen Gesprächspartner leichteren Zugang zum Deutschen als zu den anderen Sprachen hatten (siehe dazu Korch 1992, 33; Münster 1992). Wie so oft ist nicht eindeutig zu klären, ob es solche Anweisungen tatsächlich gegeben hat. Kommissionspräsident Jacques Delors hat dies zumindest entschieden dementiert (Gack 1993). 155 stammend, im Französischen und Englischen im Gegensatz dazu weite Anwendung findet. 19 Immer wieder verwendet Viola Groebner wörtlich übersetzte Termini vom Typus „Adjektiv plus Substantiv“, von denen im Deutschen nur das Substantiv geläufig ist, die Adjektive akzeptabel, aber nicht allgemein verbreitet sind. Hierzu gehören: Indikative Programme, auch Indikativprogramme, also Rahmenprogramme 1 im Gegensatz zu Aktionsprogrammen 1 , wobei erstere stärker ins Detail gehen. Hierzu gehören auch Begriffe wie prioritäre Bereiche für vorrangige Bereiche* und das durchaus verständliche, aber im Deutschen wenig verwendete Adjektiv budgetär, das Groebner in den Zusammensetzungen mit Richtlinien und Autoritäten verwendet. Weiterhin werden einseitige Maßnahmen als unilaterale Maßnahmen bezeichnet, in Analogiebildung zu bilaterale Maßnahmen. Ausscl s: „,Hni ja, das Gemeinschaftsleben geht weiter*, hat Präsident Delors in der Pressekonferenz, nachdem das dänische Votum bekannt war, gesagt Ich werde Ihnen kurz berichten, was unsere täglichen Probleme mit Drittländern betrifft [...] alles was wie gesagt im Moment zum normalen kommunautären Leben gehört, werde ich kurz anreißen. Wir haben also mit jeder Republik eine Koordinierungseinheit geschaffen, denn wir können nicht mit sämtliche 1 blik sögenannt nehrins Detail . 1 Rahmen de: st! ,..]“ Außerdem wird eine Reihe englischer Fachtermini verwendet, da deutsche Begriffe hier entweder sehr aufwendig sind oder auf Erscheinungen hindeuten, die im deutschen Kreditwesen unbekannt sind. Hierzu gehört der Fachterminus des waiver of sovereign immunity, der für eine Kreditrückzahlungsgarantie durch das Land, dem der Kredit zugute kommt, steht. Weiterhin spricht Groebner von feasibility-Studien, die die Kommission anfertigt und die überprüfen sollen, inwieweit Kreditprogramme machbar, sprich finanzierbar sind. Ein board of members steht für einen , Verwaltungsausschuß*, eine Retorsionsliste ist eine Liste von Gegenmaßnahmen (im Deutschen wird in der Regel ,Sanktionsliste* benutzt), und letztlich steht input für günstige Verhandlungsbedingungen. Wir haben hier mithin ein Phänomen von Sprachökonomie vorliegen, und zwar in doppelter Hinsicht: einmal auf lexikalischer Ebene, was naheliegend ist, weil zu unterstellen ist, daß in Verhandlungen mit Aktanten verschiedener Muttersprache bei Termini technici auf linguae francae zurückgegriffen wird, zum anderen auf pragmatischer Ebene, weil Groebner unterstellen kann, daß 19 Als triangularite bzw. triangularity, die für französischresp. englischsprachige natives akzeptabler sind, da triangle und triangulaire! triangular alltagssprachlich verwendet werden (im Deutschen ist in diesem Sinne nur das Musikinstrument verständlich). 156 ihre Adressaten (Zuhörer/ Leser) mit den fachsprachlichen Termini vertraut sind und somit ein umständliches metakommunikatives und daher unpraktisches Verfahren WSA-Insidem erspart werden kann. Diese besondere fachterminologische Sprachmischung wird nur denjenigen aufgefallen sein, die dem Vortrag auf deutsch zugehört haben. In der Verdolmetschung in andere Sprachen gehen im Deutschen nicht alltägliche oder übliche Termini unter, da die Dolmetscher sie für die jeweiligen Einzelsprachen präparieren. 20 4.6 Dritte Studiengruppensitzung am 17. Juli 1992 Das „Schema für eine Stellungnahme zur künftigen Erweiterung der Gemeinschaft“, das am 11. Juni 1992 in der Fachgruppe vorgelegt worden war, ist weitgehend identisch mit dem „Vorentwurf einer Stellungnahme“, der in der nächsten Studiengruppensitzung vom 17. Juli 1992 erörtert wurde. Gliederungsmäßig fällt auf, daß nach einführenden Bemerkungen die schon im Juni präsentierten sechzehn Kapitel plus einem Unterpunkt auch hier wieder vorhanden und um weitere drei Unterpunkte erweitert worden sind. Seitenmäßig führte das zu einer geringfügigen Verlängerung des Dokuments, obwohl der Vorspann zu den „Einführenden Bemerkungen“ wegfiel, da mittlerweile der Europäische Rat in Lissabon getagt hatte und dadurch der Appell an dieses Gremium, die Zusammenarbeit mit den Experten im WSA zu suchen, obsolet geworden war. Anstelle dieses Vorspanns finden wir nunmehr schon die allen WSA-Stellungnahmen gemeinsame einleitende Fassung: „der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß [...] eine Stellungnahme zum Thema [...] zu erarbeiten“ (422/ 1). Bereits in den „Einführenden Bemerkungen“ werden Redundanzen getilgt. Es wird zwar noch darauf hingewiesen, daß die Gründungsgeschichte der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Zweiteilung der Welt stand, doch entfällt nunmehr der Zusatz „die UdSSR besteht nicht mehr. Andererseits hat sie [die EG] sich als eine Realität erwiesen, die als solche 20 In ihrem Bemühen, den für den Europäischen Wirtschaftsraum nunmehr eingeführten englischen Begriff European Economic Area anstelle von ursprünglich European Economic Space zu erläutern, provozierte die Referentin unbeabsichtigt eine kleine Übersetzungspanne, da der Dolmetscher von seiner Kabine aus nicht die begleitende Gestik Viola Groebners verfolgen konnte. Groebner erläuterte die englische Terminologie mit folgenden Worten: „Anfangs sollte das Abkommen, das wir mit den EFTA-Ländern abschließen wollten, European Economic Space heißen, aber dann dachte man, space das spielt sich [und hier macht sie eine Bewegung nach oben] da oben ab - , also haben wir uns das überlegt und etwas bodenständiger area genannt“. Die englische Übersetzung gibt folgenden Sachverhalt wieder: „but then people felt that the word space had a negative connotation that’s meaning emptiness so they chose a different expression for that“. Offenbar greift der Dolmetscher hier auf sein EG-bezogenes professionelles Alltagswissen zurück, um ein „Loch“ zu füllen: Er extemporiert also eine Definition, weil er die definitorische Geste nicht wahrgenommen hat. Allgemein läßt sich vermuten, daß bei deiktischen Ausdrücken Verdolmetschungsprobleme zu erwarten sind, zumal dann, wenn sie durch paralinguistische Mittel in ihrer situativen Bedeutung festgelegt werden. 157 auf der internationalen Bühne ihren festen Platz einnimmt“ (406/ III). Die Formulierung „in dieser Hinsicht hat die bevorstehende Vollendung des Binnenmarkts eine Sogwirkung“ (408/ HI) wird ersetzt durch den Wortlaut „in diesem Kontext hat die Aussicht auf die Vollendung des Binnenmarkts [...] eine Sogwirkung“ (422/ I). 21 Die abschwächende Umformulierung von „bevorstehende Vollendung des Binnenmarkts“ zu „die Aussicht auf die Vollendung des Binnenmarkts“ findet sich im übrigen im französischen Original nicht: Dort heißt es jeweils la perspective de la realisation du marche interieur. Allerdings wurde im Französischen die Satzstellung von einer Fassung zur anderen verändert, was wohl ausschlaggebend für divergierende Übersetzungen ins Deutsche war. Auch entfällt der Hinweis darauf, daß die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft „an Attraktivität gewonnen“ (408/ III) habe. Da auch die Schweiz in der Zwischenzeit einen offiziellen Antrag auf Aufnahme in die Gemeinschaft gestellt hatte, wird sie hier im Text berücksichtigt, der darüber hinaus um den Zusatz erweitert wurde, daß künftig weitere Beitrittsgesuche, in diesem Fall von seiten der Länder Mittel- und Osteuropas, eingereicht würden. Konkretisiert wurde der Passus, daß neben wirtschaftliche Betrachtungen auch politische Überlegungen treten, durch die Formulierung, daß nunmehr politische Überlegungen „im Vordergrund“ (423/ 1) stünden. In Kapitel 1. wird der Satz „So werden für andere europäische Staaten, die sich zu den gleichen Zielen bekennen wie die Gemeinschaft, neue Beitrittsperspektiven eröffnet“ (417/ ni) durch die Formulierung „für andere europäische Staaten, die sich zu den gleichen Zielen bekennen wie die Gemeinschaft, eröffnen sich so neue Perspektiven, die sie dazu anregen, ihren Beitritt zur Gemeinschaft zu beantragen“ (423/ 1) ersetzt. Kapitel 2. bleibt nach wie vor der Abschlußerklärung des Europäischen Rates vom Dezember 1991 in Maastricht Vorbehalten. Die Formulierung wird nicht abgeändert. In Kapitel 3. ist die Gliederungsstruktur erhalten geblieben, die Spiegelstrichsortierung nach erstens, zweitens und drittens wich einer Schematisierung nach dem Muster a), b) und c). Wie schon an einigen anderen Stellen wird auch hier der Text ein wenig in die Länge gezogen, wobei der Inhalt abgeschwächt wird. Besagte der Text, der der Fachgruppe vorlag, noch, „der einführende Bericht der Kommission über die Auswirkungen der Erweiterungen auf die ? künftige Entwicklung der Gemeinschaft sollte zumindest darauf 21 Die entsprechenden Stellen für „in diesem Kontext“ lauten im französischen Original „ä cet egard“, im Italienischen „in tale contesto“ und im Englischen „in this respect“, wobei interessant ist, daß der Wechsel im Deutschen von „in dieser Hinsicht“ zu „in diesem Kontext“ eine Folge der Übersetzung ist. Im Original tauchte schon in der Fassung vom 1. Juni 1992 die Formulierung „ä cet egard“ auf. Entsprechendes gilt für das Italienische und das Englische. Das Bild der „Sogwirkung“ ist im französischen Ausgangstext „un effet d’entramement“, wobei es sich möglicherweise um eine nachträglich eingefügte Re-Translation aus dem Deutschen handelt, da diese Metapher im Französischen nicht lexikalisiert ist. Dafür spricht auch, daß im englischen Text chain reaction .Kettenreaktion“, im spanischen Text „un efecto de arrastre“ und im italienischen Text schließlich „un effetto di traino“ stehen. 158 [i.e. das Inkrafttreten des Binnenmarktes zum 1. Januar 1993, das Wirksamwerden des EWR zum gleichen Termin und die Problematik des „gemeinsamen Besitzstandes“, J.B.] eingehen“ (408/ III), wurde hier „darauf 4 durch „auf folgende Aspekte“ (424/ 1) ersetzt. Bei dem ersten Aspekt wurde die Aufforderung „in unmißverständlicher Form“ (408/ III) ebenso getilgt wie der einschränkende Hinweis, daß der Binnenmarkt „mit einigen Ausnahmen“ (408/ III) am 1. Januar 1993 in Kraft trete. Beim zweiten Aspekt wurde darauf verzichtet, die Gewährleistung des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen als „weitestgehend“ (409/ III) zu bezeichnen. Außerdem wird redundantdie Ländergruppe, die den EWR definiert, EWG und EFTA, namentlich aufgeführt. Punkt c) hat die Formulierung der Textfassung vom Juni 1992 stark verwässert, in der die konkrete Formulierung, „daß die [...] letztendliche Umsetzung des aus den in Maastricht getroffenen Vereinbarungen hervorgehenden neuen Besitzstandes die Mitgliedstaaten bis zum kommenden Januar wohl stark beschäftigen werden“ (410/ III), gewählt worden war. Hier heißt es nun schlicht „die damit [also mit der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages, J.B.] einhergehenden Folgen dürften die Mitgliedstaaten bis zum kommenden Januar stark beschäftigen“ (425/ 1). Der Abschnitt 4., in dem in der vorigen Fassung beitrittswillige Länder vorgestellt und die Bedingungen für einen EG-Beitritt genannt worden waren, hat eine deutliche Präzisierung erfahren, mit Bezugnahme auf die Schlußfolgerungen, die zum Abschluß der Tagung des Europäischen Rates in Lissabon (26./ 27. Juni 1992) veröffentlicht worden waren. 22 ln Lissabon hatte der Europäische Rat festgelegt, daß Verhandlungen über den Beitritt potentieller Kandidaten erst dann beginnen könnten, wenn die Verteilung der Eigenmittel geregelt sei. Des weiteren vertrat der Rat die Ansicht, daß das EWR-Abkommen ein erster Schritt für eine Vollmitgliedschaft der Europäischen Union darstelle. Es wurde auf die nächste Tagung des Rates in Edinburgh verwiesen, bis zu der möglichst die Verhandlungsgrundlagen fertiggestellt sein sollten, und es wurde konkret Bezug genommen auf das Delors-Paket II. 23 In Kapitel 5., wo bisher eher verschleiernde und inhaltsleere Termini wie „Vertiefung der Gemeinschaft“, „Entschlossenheit bekräftigen“ (406/ III) etc. dominierten, wird nun konkret auf ein Ziel der Europäischen Union, dem sich auch künftige beitrittswillige Staaten unterzuordnen haben werden, die ge- 22 „Schlußfolgerungen“ sind in der EG-üblichen Terminologie alle Arten von Dokumenten, „Papieren“ (papers) etc., die nach Abschluß von Sitzungen publik gemacht werden. Es handelt sich dabei weniger um Schlußfolgerungen im engeren Sinne, der Terminus stellt lediglich eine Übersetzung von französisch conclusions dar. 23 Bei dem Delors-Paket II (französisch paquet Delors II, engl. DELORSII packet) handelt es sich um ein Bündel von Finanz- und Strukturmaßnahmen. Die im Deutschen gebräuchliche (Ubersetzungs-)Form „Delors-II-Paket“ taucht in dieser Stellungnahme auch in der schließlich vom Plenum verabschiedeten Fassung nicht auf, obwohl generell eine Vereinheitlichung der Terminologie angestrebt wird. 159 meinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 24 , hingewiesen. An dieser Stelle ist ein neuer Unterpunkt 5.1. eingefügt, der das bisherige Kapitel 6. wörtlich abgelöst hat. Dementsprechend verschieben sich die nächsten Absätze in der Vorfassung 7. bis 12.1.um jeweils ein Kapitel nach vorne (6. bis 11.1.). Danach wird ein Kapitel 12.1. eingeschoben, das neu ist, das aber gestattet, das ursprüngliche Gliederungsschema insgesamt beizubehalten. Das jetzige Kapitel 6. (früher 7.) ist weitgehend unverändert geblieben, lediglich die Formulierung „die Kohäsion Europas als Ganzes“ (407/ III) ist präzisiert worden durch die Formulierung „Die aus dem Vertrag von Maastricht hervorgehende Kohäsion der Europäischen Union“ (427/ 1). Die folgenden Kapitel 7., 8., 9., in denen die potentiellen Beitrittskandidaten vorgestellt werden, bleiben bezüglich der Beitrittsgesuche der EFTA-Staaten Österreich, Finnland und Schweden in etwa gleichlautend. Hinzugekommen ist nach ihrem offiziellen Beitrittsgesuch die Schweiz, deren Antrag als unproblematisch eingeschätzt wird. 25 Auch die Einschätzung Norwegens weicht von den ursprünglichen Formulierungen nicht ab. Im Falle der Türkei, Zyperns und Maltas wurden angesichts einer engagierten, teilweise heftigen Diskussion in der Fachgruppe die Aufnahmekonditionen präzisiert. Vor allem hinsichtlich der Türkei hatte einer der deutschen Gewerkschaftsvertreter, Dr. Herbert Nierhaus (DAG), darauf bestanden, eine schärfere Formulierung zu wählen: „Herr Vorsitzender, ich möchte gerne zu der Formulierung Punkt acht a) Türkei etwas sagen: Ich will sagen, daß mir das alles viel zu höflich, viel zu konjunktivisch und nicht direkt und deutlich genug ist. Da wird gesagt, von Bedeutung wäre es, zur Stärkung der Demokratie in diesem Lande beizutragen. Ich bin der Meinung, es gibt überhaupt noch keine Demokratie, und wir sollten den Mut haben, sehr eindeutig zu sagen, solange da 24 Üblich ist die Verwendungsform: Ausgeschriebener Terminus plus Abkürzung in Parenthese. GASP ist eines dieser schwierigen Brüsseler Akronyme, die in verschiedenen Sprachen unterschiedlich lauten. So steht im Französischen etwa P.E.S.C. (Politique etrangäre et de securite commune); die gleiche Abkürzung kennt das Italienische für „Politica estera di sicurezza comune“. Die englische Abkürzung CFSB (für common foreign security policy) ist dagegen selten und erfährt dementsprechend auch in der englischen Textfassung keine Anwendung. 25 Hier zeigt sich, daß auch ein EG-Berichterstatter die Perspektive „von außen“ berücksichtigen sollte. Gerade bezüglich der Schweiz kommt ihm erst gar nicht in den Sinn, kritisch zu hinterfragen, ob denn die Schweizer selbst angesichts drohender Einbußen beim Pro-Kopf-Einkommen und zunehmender Umweltbelastungen durch steigendes Transit- Aufkommen dem Antrag auf Mitgliedschaft in EWR und EG gegenüber genauso „unproblematisch“ eingestellt sind, wie jener dem Berichterstatter erscheint. Die Volksabstimmung vom 8. Dezember 1992 gab den Skeptikern jedoch recht: Außer in den französischsprachigen Kantonen (Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Waadt und Wallis) und in den beiden Basler Halbkantonen wurde in allen anderen (deutsch- und italienischsprachigen) Gebieten das EWR-Abkommen mit zum Teil exorbitanter Mehrheit (eklatantestes Beispiel: Uri mit 74,6 % Ablehnung! ) zurückgewiesen. Ähnlich wie in Dänemark (nach Anti-Maastricht-Entscheid) wurden allerdings auch bei den Schweizern sogleich „Unzufriedenheit“ und „Katerstimmung“, also nachträgliche Reue über die eigene Courage (Gollmer 1993, 52) ausgemacht. 160 nicht menschenwürdige Verhältnisse, Demokratie hergestellt ist, ist überhaupt nicht daran zu denken, ist es zu diplomatisch und höflich. Wenn Zypern, das muß man ganz deutlich sagen: ,Wenn ihr nicht zusammenkommt, Jungs, dann bleibt ihr draußen! 1 , und die gleiche Deutlichkeit wünsche ich mir auch für die Türkei. Vielen Dank! “ Dies hat nun den Berichterstatter Mourgues bewogen, folgenden Passus einzufügen: „Von grundlegender Bedeutung wäre es hier, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen und den Dialog weiterzuentwickeln, so daß Fortschritte erzielt werden, die zur Stärkung der Demokratie in diesem Lande und zur Entstehung eines Rechtsstaates führen.“(427/ I) Der Fall Zypern hatte vor allem griechische WSA-Mitglieder dazu angeregt, darauf hinzuweisen, daß die Aufnahme dieses Landes keineswegs unproblematisch sei. Unter Verweis darauf, daß Zypern nach wie vor geteilt und der türkisch besiedelte und besetzte Teil der Insel als Staat von keinem anderen Land der Welt außer der Türkei anerkannt werde, hatte WSA-Mitglied Dionyssis Korfiatis (Gruppe III) folgenden Änderungsvorschlag eingebracht: „In the case of Cyprus, a democratic and fairly developped (sic! ) country, Greece has declared that its candidature is fully supported and the positive opinion of the Commission is expected this year. The question of military occupation of a part of Cyprus’ territory by Turkey is expected to be dealt with more easily after Cyprus has joined the EEC“. 26 Dem trug der Berichterstatter dann auch Rechnung mit der Formulierung, daß „die Europäische Union in Zusammenarbeit mit der UNO alles daran setzen [muß], daß ein Vereinigungsprozeß in Gang gebracht und der Teilung der Insel ein Ende gesetzt wird“. (428/ 1) Hier hat es der Berichterstatter geschickt verstanden, die von den griechischen WSA-Mitgliedem verfochtenen Partikularinteressen zwar zu berücksichtigen und einzuarbeiten, jedoch gleichwohl durch eine Umdefinition in einen EG-Gesamtzusammenhang inhaltlich zu entschärfen. Hinsichtlich einer EG-Mitgliedschaft Maltas hatten auf der Fachgruppensitzung einige Redner in ihren Statements darauf hingewiesen, daß angesichts der Größe dieses Landes vor allem Probleme im Zusammenhang mit der Entwicklung der Institutionen der Europäischen Gemeinschaften auftreten könnten, wobei es sich freilich um einen Euphemismus handelt. Im Klartext soll das heißen: Ein Zwergstaat wie Malta darf auf keinen Fall einen EG- Kommissar erhalten (wegen der Aufblähung dieses Kollegiums) und kann auch sonst keine paritätische Vertretung in EG-Institutionen erfahren (irgendwann wäre dann ja jeder Malteser Eurokrat...). Auch diese Einwände hat Bernard Mourgues berücksichtigt, obwohl er in der vorhergehenden Fas- 26 Offenbar wurde dieser Änderungsantrag so spät eingereicht, daß eine Übersetzung in alle Verhandlungssprachen (wie sonst üblich) nicht mehr möglich war. 161 sung Malta noch als unproblematischen Beitrittskandidaten eingestuft hatte. Die nunmehr gewählte Formulierung ist (bei Wahrung der notwendig scheinenden Diplomatie) schon wesentlich konkreter: „In Anbetracht der Größe Maltas wirft der Beitritt dieses Staates vorwiegend Fragen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Institutionen der Union auf.“ (428/ 1) Daß im übrigen bei Darstellung institutioneller Schwierigkeiten die Sprachregelung (nationale Amtssprache = EG-Amtssprache) gerne ausgeklammert wird, macht folgender Beitrag des deutschen Arbeitgebervertreters Jens-Peter Petersen deutlich: „Daß man Fragen dieser Art institutioneller Art beispielsweise nicht vor 95/ 96 lösen kann oder nicht wird besprechen können, ist nicht richtig. Wir müssen zwei Punkte bereits in diesem Jahr lösen, wenn wir 93 mit den Beitrittsverhandlungen beginnen wollen, und das ist die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament und das ist die Rolle der Kommission und die Zahl der Kommissionsmitglieder. Die Kommission kann nicht verhandeln, wenn nicht diese beiden institutionellen Fragen vorher geklärt sind. Alles andere - Amtssprachen und pipapo da gibt es ja viele Fragen, das kann man später...“ Folgerichtig findet die mit der Erweiterung einhergehende Sprachregelungsproblematik keine Erwähnung in dem vorliegenden Dokument. Wozu eine Ausklammerung sprachlicher Fragen schließlich führen kann, berichtet der „Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 27. September 1993: „Erstmals in der Geschichte der EG werden die Vertrags- und Gesetzestexte der Gemeinschaft für die Beitrittskandidaten Finnland, Norwegen und Schweden nicht von juristisch geschulten Linguisten übersetzt. Weil die Mitgliedsländer der Kommission 250 neue Stellen für den Ubersetzerdienst verweigert haben, müssen die Nordländer die rund 4500 Seiten des komplizierten Gemeinschaftsrechts selbst in ihre jeweilige Landessprache übertragen. Nun fürchten die Kommissionsjuristen eine Rechtsunsicherheit, da nicht in allen Mitgliedstaaten die Begriffe dieselbe Bedeutung haben.“ („Der Spiegel“ 47, 39, 27.9.1993, 169). Kapitel 9. ist gegenüber der vorigen Fassung (dort 10.) stark abgeschwächt worden. Aus „Assoziierungsabkommen“ (414/ III) wurden nun einfach „Europäische Abkommen“ (428f./ I) 27 mit den ehemaligen RGW-Staaten. Der frühere Text beinhaltete explizite Forderungen, die diese Staaten vor einem endgültigen Beitritt in die Europäischen Gemeinschaften in die Realität umsetzen mußten. Dies wurde präzis ausgeführt mit der Formulierung, daß die „Stärkung der demokratischen Strukturen in diesen Ländern [...] die Konsolidierung der Wirtschaftsdemokratie und die Einhaltung der am 4. November 1950 in Rom Unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [beinhaltet]“ (414/ III). Der Diskussion in der Fachgruppe wurde Rechnung getragen, indem die nunmehr gewählte Formulierung nur noch eine „in politischer Hinsicht [...] Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und in wirtschaftlicher 27 Im französischen Original entsprechend Accords d'association bzw. Accords europeens. 162 Hinsicht die Einführung einer dynamischen Wirtschaft“ (429/ 1) fordert. Auch die Eigenleistungen, die die EG zu erbringen hatte, um diesen Ländern den wirtschaftlichen und politischen Anschluß an westeuropäische Vorgaben zu erleichtern, erhielten eine Abschwächung. Es ist nun nicht mehr die Rede von einer „aktiven Unterstützung der Europäischen wie der internationalen Gemeinschaft“ und der „Einbeziehung der wirtschaftlichen und sozialen Organisationen im Hinblick auf die Integration der sozialen Aspekte in die wirtschaftlichen Entwicklungsprogramme“ (415/ III), sondern der Text wird allgemein gehalten, daß es „außer Zweifel [steht], daß ihre Entwicklung in entscheidendem Maße davon abhängt, daß die Europäische Union einen dauerhaften Beitrag zur Sanierung ihrer Wirtschaft leistet“ (429/ 1). Das immer wieder anzutreffende Eurojargon-Plastikwort »Herausforderung« findet sich hier im letzten Satz des Absatzes: „Die Zukunft der mittel- und osteuropäischen Länder ist eine echte Herausforderung für den Kontinent Europa“ (430/ 1), womit jegliche konkreten Hilfsmaßnahmen explizit nicht angesprochen werden. 28 Kapitel 10. (vormals Kapitel 11.) schildert die Auflagen, die die Wirtschafts- und Währungsunion den Beitrittskandidaten auferlegt. Der Absatz ist weitgehend unverändert geblieben, lediglich eine gewisse Redundanz wurde getilgt, die die Auflagen („die Annahme des gesamten gemeinschaftlichen Besitzstandes“ (416/ III)) nicht mehr namentlich nennt. Dafür wird nunmehr ein Wirtschaftssystem zugrundegelegt, das nicht mehr den Grundsätzen des Vertrags von Rom entspricht, sondern aktueller denen des Vertrags von Maastricht. Eine stilistisch etwas ungewöhnliche Bildung, nämlich die rhetorische Frage: „Wird die Europäische Gemeinschaft den europäischen Ländern, die wirtschaftlich nicht stark genug sind, sich aber in soliden Bahnen entwickeln, die Mitgliedschaft hartnäckig verweigern können? “ (416/ III) wird umformuliert in einen normalen Aussagesatz, wobei allerdings die Formulierung „die Mitgliedschaft hartnäckig verweigern“ nicht mehr auftaucht, es lediglich als „zweckmäßig“ bezeichnet wird, den Ländern bei ihrer Entwicklung „durch spezifische Abkommen“ (430/ 1) zu helfen. In Kapitel 11. (früher 12.), in dem Fragen der institutioneilen Konsequenzen einer EG-Erweiterung angesprochen werden, hat sich nach der Fachgruppensitzung eine schärfere Formulierung durchsetzen können. Wurde in dem der Fachgruppe vorliegenden Text noch verbindlich formuliert, „die Fachgruppe würde es sehr begrüßen“ (412/ III), so „legt die Fachgruppe“ nunmehr „größten Wert“ (430/ 1) darauf, diese Fragen rechtzeitig zu klären. 29 28 Der Terminus .Herausforderung“, im Verwendungssinne der Europäischen Gemeinschaft dem englischen challenge und/ oder dem französischen difi entlehnt, ziert auch eine offizielle Werbebroschüre der EG, die unter dem Titel le defi social Werbung für „europäische Zwecke“ machen möchte, indem sie den Lesern soziale Errungenschaften verführt, die zahlreichen bestehenden Diskrepanzen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten jedoch schamhaft verschweigt. 29 Erstaunlicherweise ist diese Verschärfung im französischen Quellentext nicht vorhanden. Dort heißt es in beiden Fassungen: „La Section souhaite vivement“, wobei sich der Über- 163 Der Unterpunkt 11.1. (früher zweiter Absatz von Kapitel 12.) zeigt auf, daß auch europäische Institutionen selbst die beiden Termini „Union“ (431/ 1) und „EG“ (413/ III) weitgehend synonym verwenden. Bemerkenswert ist, daß auch in diesem Absatz der Vertrag von Rom nicht mehr auftaucht, es offenbar dem Berichterstatter ausreichend erscheint, die Kandidaturen anhand der Zielsetzungen der Maastrichter Übereinkünfte zu messen. Das vormalige Kapitel 12.1. wird in dem Dokument, das zum 9. Juli 1992 vorlag, zum Kapitel 12. Hier geht es um die zeitliche Einordnung der Erweiterung. Die Formulierung bleibt weitgehend bestehen, lediglich die etwas komplizierte Formulierung „Vorschläge zu Fragen dieser Art“ (413/ III) wird ersetzt durch „Fragen dieser Art“ (431/ 1) (die ursprüngliche Fassung „de telles propositions en 1’objet“ wirkte auch wie uns Muttersprachler bestätigten im Französischen nicht gerade elegant und wurde ersetzt durch „de telles propositions“). Kapitel 13. wurde untergliedert, wobei der Passus, in dem die Regierungskonferenz aufgefordert wurde, sich Gedanken über eine künftige EG-Erweiterung ohne überstürztes Vorgehen zu machen, eliminiert wurde. Auch das in der Fassung vom 3. Juni 1992 angeführte Kapitel 14., in dem kurz die Ratspräsidentschaft zitiert wurde, die ebenfalls keine große Eile zur Realisierung einer EG-Erweiterung sah, entfällt in der jetzigen Fassung. Statt dessen wird Kapitel 15. vorgezogen auf Kapitel 14. Hier geht es insbesondere um die Probleme einer künftigen Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas und vor allem den Ländern des Mittelmeerraums, auch wenn hier nicht mehr explizit wie in der vorherigen Fassung die Maghrebländer genannt werden. Insbesondere das Problem der Einwanderung wurde in der Fachgruppe diskutiert, aber man kam überein, diese Einwanderung wohl ebenfalls im Sinne einer Imageschonung nicht mehr ausdrücklich als Bedrohung aufzuführen. Ein neuer Passus in Kapitel 15. stellt noch einmal klar, daß die „Vollziehung der Erweiterung [...] eine doppelte Herausforderung dar[stellt]“ 30 (433/ 1). Diese „doppelte Herausforderung“ bestehe zum einen darin, daß die beitrittswilligen Staaten sich den Konditionen des Vertrags von Maastricht unterwerfen müßten, zum anderen die Länder Mittel- und Osteuropas nicht nur die Erwartungen ihrer Bevölkerung hinsichtlich der Festigung der Demokratie, sondern auch die der Stärkung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung erfüllen müßten. setzer in der neueren Fassung eventuell an einer englischen Textvorlage orientiert haben könnte, wo es in beiden Fassungen lautet: „The Section strongly recommends“. Das ist insofern bemerkenswert, als in der Regel vom Sekretariat in den Ausgangsfassungen markiert wird, wo im Quellentext Veränderungen vorgenommen wurden, so daß sich der Übersetzer bei seiner Arbeit darauf konzentrieren kann, neue Stellen zu überarbeiten und die alte Übersetzung ansonsten stehenzulassen. 30 Im Originaltext wird von einem „double defi“ gesprochen. Für das Deutsche wäre wohl eine Übersetzung in .zweifache Herausforderung' angemessener und verständlicher gewesen. 164 Vermutlich durch eine Panne schloß ursprünglich der französische Text hier. Rechtzeitig zur Studiengruppensitzung wurde jedoch ein Addendum nachgereicht, um den Erwartungen einer Initiativstellungnahme des WSA entsprechendnoch einmal fest zu untermauern, daß die Fachgruppe (natürlich) davon ausgeht, daß eine Realisierung all dieser gesteckten Ziele „Entschlossenheit und einen festen politischen Willen“ (433/ I) 31 voraussetze. 4.7 Zweite Fachgruppensitzung am 11. September 1992 Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, daß die Fassung, die in der letzten Studiengruppensitzung vorgelegt wurde, weitgehend unverändert auch in der Fachgruppe wieder auftauchen würde, die dann in der Regel nur noch kleinere Änderungen vorgenommen hätte, um schließlich den Textkompromiß in der Plenartagung zur Abstimmung zu stellen. 32 Das trifft inhaltlich auch voll zu. Die äußere Gestaltung des „Entwurfs einer Stellungnahme“ erfuhr bis zur Fachgruppensitzung eine neue Gliederung, die den Text durchaus lesefreundlicher gestaltete. Die bisher recht willkürlich aneinandergehängten sechzehn Kapitel werden nunmehr in fünf Hauptkategorien unterteilt: Nach den schon bislang vorhandenen „Einführenden Bemerkungen“ (Kapitel O. [Observations preliminaires]) folgen „Allgemeine Betrachtungen“ (bisherige Kapitel 1. bis 6. [Considerations generales]), „Die beitrittswilligen Länder“ (bisherige Kapitel 7. bis 8. [Les candidatures ä 1'adhesion]), „Die Staaten Mittel- und Osteuropas“ (bisherige Kapitel 9. und 10. [Les pays de 1’Europe centrale et orientale [PECO]], „Die notwendige Anpassung der Institutionen“ (bisherige Kapitel 11. bis 13. [La necessaire adequation des institutions]) und schließlich „Schlußfolgerungen“ (bisherige Kapitel 14. bis 16. [Conclusions]). Der „Entwurf einer Stellungnahme“, der den Mitgliedern der Fachgruppe „Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik“ vorgelegt wurde, datiert vom 12. August 1992. Zwar hat der Berichterstatter, wie schon erwähnt, nur minimale inhaltliche Veränderungen vorgenommen; mit diesen hat er aber im Detail gleichwohl dem Text kleine neue Akzente verliehen. Insbesondere in den „Einführenden Bemerkungen“ schien ihm die vorherige Formulierung etwas knapp geraten zu sein, nach der die europäische Teilung in Ost und West mittlerweile der Vergangenheit angehöre. Die Gründungsgeschichte der EG wird noch einmal dargestellt: Laut Mourgues entstand sie 31 Im Original: „determination et une volonte politique consequente“, im Englischen: „determination and a concomitant political will“. 32 Gerade die Fachgruppenvorsitzenden monieren bisweilen, daß WSA-Mitglieder, die schon in der Studiengruppe dabei waren, anfangen, an einzelnen Formulierungen Kritik zu üben oder gar Versuche starten, die einzelnen Sprachfassungen abzugleichen. In dieser Fachgruppensitzung machte der Vorsitzende Zufiaur Narvaiza seinem Unmut Luft, indem er sich beschwerte: „Ich bin doch hier nicht in der Studiengruppe! Das hätten Sie vorher klären müssen“ und eine weitere Diskussion abwürgte. Wenn in der Fachgruppe schon Kritik geübt wird, dann sollte diese fundamentaler und globaler Natur sein, nicht in Details gehen. 165 in einer Situation der ideologischen und militärischen Konfrontation; die Konfrontation besteht heute nicht mehr. Statt dessen werden hier ausdrücklich „lokale Konflikte ethnischer, religiöser, politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Art in einigen Ländern Ost- und Südosteuropas“ (422/ 11) genannt. Die Formulierung ä cet egard, die ja schon in den vorherigen Texten unterschiedlich im Deutschen wiedergegeben wurde („in dieser Hinsicht“ (408/ III) vs. „in diesem Kontext“ (422/ 1)) wich im Französischen der Formulierung II n’en demeure pas moins que, ergab im Englischen nevertheless und wird schließlich ins Deutsche übertragen als „nichtsdestoweniger“ (422/ 11). Dieser kleine Absatz zeigt ja schon, wie in EG-Stellungnahmen immer wieder Texte aufgebläht werden, mittels offenbar beliebig austauschbarer Leerfloskeln. Es scheint so, daß ein eigentlich „harmloser“ Satz wie „Die Aussicht auf die Vollendung des Binnenmarkts zum 1. Januar 1993 durch die 12 Mitgliedstaaten der Gemeinschaft [erzeugt] eine Sogwirkung“ (422/ 11) offenbar als zu präzise empfunden und deswegen ein Anschluß an den vorherigen Text gesucht wird, indem „in dieser Hinsicht“, „in diesem Kontext“ oder gar „nichtsdestoweniger“ als synonym empfunden werden. Der abschließende Satz der „Einführenden Bemerkungen“, der bisher lautete: „Während bislang weitestgehend wirtschaftliche Betrachtungen im Mittelpunkt der Diskussionen über die Erweiterung standen, stehen nunmehr politische Überlegungen im Vordergrund“ (423/ 1) wurde abgeändert in „Während bislang weitestgehend wirtschaftliche Betrachtungen im Mittelpunkt der Diskussionen über die Erweiterung standen, sind nunmehr politische Überlegungen nicht zu umgehen“ (423/ II). 33 Kapitel 1. „Allgemeine Betrachtungen“ folgt weitgehend der vorherigen Fassung. Lediglich im Unterpunkt 1.3. (früher 3.) wird der Text etwas verbindlicher: „Der einführende Bericht der Kommission über die Auswirkungen der Erweiterung auf die künftige Entwicklung der Gemeinschaft sollte zumindest auf folgende Aspekte eingehen“ (424/ 1) weicht einer stärker fordernden Formulierung „in einem solchen einführenden Bericht der Kommission [...] müssen zwangsläufig folgende Aspekte behandelt werden“ (424/ 11). Ansonsten haben sich nur kleine Veränderungen ergeben: in Punkt 1.3.b) (ehemals: 3.b)) wurde aus EWG (EEE) in diesem Text EG (CE), in Kapitel 1.5. (ehemals 4.) wird die Ansicht des Europäischen Rates nunmehr als Zitat wiedergegeben. Außerdem wird die nur Insidern verständliche Bezugnahme auf das Delors- Paket II durch eine Parenthese erläutert. Eingefügt wird an dieser Stelle eine Stellungnahme der Fachgruppe, die hier explizit festschreiben läßt, daß eine EG-Erweiterung „nicht auf Kosten der Vertiefung gehen darf 4 sowie die „bisherigen Errungenschaften der Gemeinschaft nicht verwässern“ (426/ 11) dürfe. Schließlich ist eine letzte Abänderung innerhalb des ersten Gliederungspunkts der „Allgemeinen Betrachtungen“ festzustellen: Der Bericht- 33 Die Wortwahl im französischen Originaltext lautet: „les considerations d’ordre politique sont desormais predominantes“ bzw. „[...] s’imposent desormais“. 166 erstatter versucht, den inhaltsleeren Satz „Die Europäische Union wird in der näheren Zukunft in noch größerem Maße eine dynamische, entscheidende Rolle spielen“ (427/ 1) durch den kleinen Zusatz „als sich ihr Zusammenhalt durch ihre institutionelle Weiterentwicklung noch verstärken wird“ (427/ 11) zu retten, was aber den ganzen Satz pleonastisch aussehen läßt. In Kapitel 2. „Die beitrittswilligen Länder“ werden die künftigen EG-Mitglieder genauer unter die Lupe genommen. Unverändert blieb die Einschätzung Österreichs, Finnlands, Schwedens und der Schweiz als unproblematischer künftiger Mitglieder. Der ehemalige Absatz 8.1., der ursprünglich der Schweiz und Norwegen galt, in der letzten Fassung Norwegen Vorbehalten war (weil die Schweiz mittlerweile ja einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EG gestellt hatte), ist nunmehr aufgelöst worden und in den Unterpunkt 2.1. integriert worden. Die „problematischen Fälle“, Türkei, Zypern und Malta, erhalten ihr ursprüngliches Gliederungsschema wieder und zwar als Unterpunkte 2.2.1, 2.2.2. und 2.2.3. Zum ersten Male werden der Türkei auch positive Seiten zugerechnet: Bedingt durch den Diskussionsverlauf in der letzten Studiengruppensitzung wird nunmehr hervorgestrichen, daß die Türkei eine wichtige strategische Lage einnehme, was es unerläßlich erscheinen lasse, die Schnittstelle zweier Kontinente näher an die Europäische Union anzubinden. Dennoch werden nach wie vor Probleme gesehen. Vier Spiegelstriche machen die Anforderungen deutlich, die die Türkei als Hürden vor einem EG-Beitritt überwinden muß: eine „Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung“; die „Einführung demokratischer Verhältnisse auf dem gesamten Staatsgebiet“; eine „unumkehrbare Errichtung eines Rechtsstaates“ und schließlich die „unwiderrufliche Anerkennung der Menschenrechte“ (428/ 11). Auch hinsichtlich Zyperns wird präzisiert, wie die Spaltung der Insel zu überwinden ist. War im vorherigen Text noch die etwas unglückliche Formulierung gewählt, daß vor allem die Europäische Union und die UNO zu agieren hätten, so bezieht diese Fassung nun realistischer auch Zypern und die Türkei als Aktanten für eine Problemlösung mit ein. Weiterhin wird die Bereitschaft der EG ausgeführt, mit Hilfe von Abkommen Zypern beim Ausbau der wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen. Malta wird noch einmal konzediert, daß sein Beitritt die EG vor „keine grundlegenden Probleme“ (428/ 11) stelle. Es wird exemplarisch an diesem kleinen Lande dargelegt, daß künftige EG-Mitgliedschaften (insbesondere eben einwohnerschwache Staaten) die notwendige institutionelle Neuordnung der EG beschleunigen könnten. Die politischen Ereignisse in den Nachfolgestaaten des Warschauer Pakts bedingen im Grunde genommen immer wieder von einer Textfassung zur anderen - Aktualisierungen, die der gerade herrschenden politischen Lage Rechnung tragen. Unabhängig davon wurde aber in der Fachgruppe kritisiert, daß der Begriff „Beitrittswürdigkeit“ (429/ 1), die die betreffenden Staaten 167 unter Beweis stellen sollten 34 , nicht passend erschien. Das bisherige Kapitel 9., das in dieser Fassung zu 3.1. wurde, beschränkt sich nunmehr auf die real ausgehandelten Abkommen; die noch zu schließenden werden in einem neuen Kapitel 3.2. aufgeführt. Stärker als in den vorherigen Fassungen schreibt der Berichterstatter den „Europäischen Abkommen“ (429/ 11) mit der Tschechei, der Slowakei, Polen und Ungarn insofern eine positive Rolle zu, als sie diese Länder dazu zwingen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verwirklichen und die freie Marktwirtschaft einzuführen. Der bisher den Absatz abschließende wenig aussagekräftige, an ein diffuses Publikum gerichtete Satz „Die Zukunft der mittel- und osteuropäischen Länder ist eine echte Herausforderung für den Kontinent Europa“ (430/ 1) ist in dieser Fassung verschwunden. Er ist aber nicht, wie man hoffen könnte, völlig getilgt worden, sondern an das Ende des neueingefügten Absatzes 3.2. gesetzt worden. Dem Berichterstatter schien offenbar die bisherige Formulierung noch nicht genug Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nunmehr wurde also mit Fettdruck und „mit Nachdruck“ auf diese „große Herausforderung“ hingewiesen (430/ 11), und in dieser Form ging sie auch in die Schlußversion ein. Der neueingeführte Absatz 3.2. präzisiert, mit welchen Staaten weitere Abkommen auszuhandeln sind. Es handelt sich dabei um die bisher schon erwähnten Staaten Rumänien, Bulgarien, die Baltischen Republiken, Rußland und im Gegensatz zu früheren Fassungen jetzt nur noch einige andere Staaten der GUS sowie neu die Nachfolgerepubliken Jugoslawiens und Albanien. Eine Sicherheit, daß Beitritte dieser Staaten in absehbarer Zeit nicht zu erwarten (man könnte polemisch sagen: zu befürchten) sind, wird durch den anschließenden Passus geregelt: „Diese Verhandlungen werden eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Erleichtert werden dürften sie dadurch, daß sie gleichzeitig und mit Ländergruppen geführt werden können, die gemeinsam beschlossen haben, einerseits den Übergang zur Rechtsstaatlichkeit und zur Marktwirtschaft zu vollziehen und andererseits ihre derzeitigen ethnischen, religiösen oder politischen Konflikte zu überwinden.“ (429/ 11) Die Abwehrhaltung der WSA-Mitglieder wird in der Diskussion nur für Insider sichtbar. Generell werden Lippenbekenntnisse über die Aufnahmebereitschaft seitens der EG geäußert. Die Verschleierungsstrategie wird aber durch „ja/ aber“-Strukturen evident, nach dem Muster: „Jeder europäische Staat kann nach den Römischen Verträgen einen EG-Beitritt beantragen, aber aus EG-Sicht sind die Voraussetzungen ,leider“ noch nicht erfüllt und .bedauemswerterweise“ wohl in absehbarer Zeit auch nicht erfüllbar“. 34 Daß der Berichterstatter selbst nicht sehr glücklich über die Formulierang war, ist allein schon dadurch zu erkennen, daß er die Formulierung „dignes d’etre admis“ in Anführungszeichen setzte, auch die englische Formulierung „worthy of being admitted“ schien den Teilnehmern der Fachgruppensitzung von der Semantik her mißglückt, da sie der Meinung waren, wirtschaftliche Zwangslagen hätten mit „Würde“ nichts zu tun. 168 Kapitel 3.3. löst das vormalige Kapitel 10. wörtlich ab. Die wünschenswerte Realisierung einer Europäischen Union mit gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Orientierungen, die ja bisher eine EG-Erweiterung noch weitgehend ausschließen, veranlaßt den Berichterstatter, diesen Absatz mit einem Versuch der Um- oder Neudefinition des Begriffes „Europäischer Wirtschaftsraum“ abzuschließen: „Der tiefere Sinn des Begriffs europäischer , Wirtschaftsraum 1 , der sich vom europäischen ,Kontinentalraum 1 als solchem abhebt, wird wahrscheinlich ebenfalls noch zu definieren sein“ (430/ II). 35 Ein umfangreiches Kapitel (4.) ist der „notwendigen Anpassung der Institutionen“ gewidmet, einem Thema, das nicht unmittelbar auf den ersten Blick als zugehörig zur Thematik „EG-Erweiterung“ zu erkennen ist. Gegenüber den früheren Fassungen wird hier erstmals ausführlich geschildert, welche Probleme durch eine starke Erweiterung auf die Gemeinschaftsinstitutionen zukämen. Schon im Zuge der Verhandlungen mit den EFTA-Staaten war abzusehen, daß sich hinsichtlich der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments und der Kommission Änderungen bzw. Umstrukturierungen ergeben würden. Mit Bezug auf Malta wird darauf hingewiesen, daß bei der institutioneilen Zukunft europäischer Organisationen stärker eine „Repräsentativität der Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres geographischen und demographischen Gewichts innerhalb der Europäischen Union“ (431/ 11) Rechnung zu tragen ist, ohne daß dabei die staatliche Souveränität kleinerer Staaten außer acht gelassen werden dürfte. Leichte Kritik am Rat klingt vor allem in 3.3. an, wo bemängelt wird, daß in Maastricht die Frage einer EG-Erweiterung zu wenig Beachtung gefunden habe. Dies wird erstmals auch verbunden mit der im WSA häufig gehörten Klage, daß seine Position nicht genügend honoriert werde und generell eine schlechte Behandlung seitens anderer europäischer Organe festzustellen sei. Als Aufhänger dient hierfür, daß in Maastricht „die Rolle und die Stellung des Wirtschafts- und Sozialausschusses innerhalb der Institutionen (ex. Artikel 192) [bewußt nicht berührt]“ (432/ 11) worden sei. Ein neuer Satz zum Abschluß des Kapitels 4.3. wird allein schon optisch hervorgehoben durch Fettdruck. In ihm wird die zentrale Botschaft des Wirtschafts- und Sozialausschusses bezüglich einer Institutionsreform übermittelt: „Er [= der WSA] unterstreicht vor allem die unabdingbare Notwendigkeit, das institutioneile Gleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, gleichzeitig aber auch die Effizienz der Institutionen zu gewährleisten“ (432/ II) 36 , wobei die unvermittelte Aufnahme der Begriffe hier weder 35 Dieser Satz ist, obwohl er ohne inhaltliche Notwendigkeit (auch nicht als Folge vorausgegangener Diskussionen) an nicht unbedingt passender Stelle eingefügt wurde, von der Fachgruppe nicht aufgegriffen worden und somit auch in der letzten Fassung erhalten geblieben. 36 Sprachlich unverändert übernommen wurde, daß es für wünschenswert gehalten werde, „daß auf dem nächsten EG-Gipfel nichtsdestotrotz Leitlinien umrissen und ein Zeitplan für den voraussichtlichen Ablauf der Studienarbeiten festgelegt werden“ (432/ H). Das im Deutschen eher umgangssprachliche „nichtsdestotrotz“ (im französischen Original „d6sormais“) hat in dieser Version alle Fassungen einschließlich der im Amtsblatt publizierten und davor vom Plenum verabschiedeten Fassung überdauert. 169 auf eine Vorabdefinition zurückgeht, noch mit Hilfe eines erklärenden Kommentars eingebettet werden kann, sie mithin ein wenig rätselhaft sibyllinisch bleibt. Kapitel 5. „Schlußfolgerungen“ ist die weitgehend identische Übernahme der vorigen Kapitel 14., 15. und 16.. Für das in den vorigen Fassungen immer wieder veränderte Kapitel, das einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Migrationsbewegungen herstellen sollte, hat man nun offenbar eine Fassung gefunden, in der zu starke Reizwörter wie „Masseneinwanderung“, „Flüchtlingsströme“ und „Elendsflucht“ vermieden werden. In sehr diplomatischer Form werden Maßnahmen geschildert, die dazu führen könnten, daß Menschen aus Osteuropa und den Maghrebstaaten nicht im befürchteten Maße in die westeuropäischen Staaten drängen. Schon das Reizwort „Maghrebstaaten“ wird ersetzt durch „Mittelmeeranrainerstaaten“ (432/ II) 37 , Flucht und Aus-/ Einwanderung wird zu einer „Abwanderung aus Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum“ (432f./ II). 38 Die Fachgruppe sieht die Aufgabe der Europäischen Union darin, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit diesen Zielgebieten zu verstärken und den Ausbau der Handelsbeziehungen zu fördern, in der Hoffnung, daß dieses das Gleichgewicht erhalten möge, „das zur Abwehr von Krisen die sowohl für diese Länder als auch für Europa stets eine Gefahr sind unabdingbar ist“ (433/ 11). Zwei Änderungsanträge standen im Mittelpunkt der Diskussionen der Fachgruppensitzung. Zum einen hatte das dänische WSA-Mitglied Preben Nielsen den schriftlichen Vorschlag eingereicht, Kapitel 1.6., in dem die Willensgemeinschaft der Europäischen Union auf die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ausgedehnt wird, ersatzlos zu streichen. Dieser Argumentation konnten nicht alle Mitglieder der Fachgruppensitzung folgen, man einigte sich darauf, diesen Absatz „zwar nicht ganz zu streichen, jedoch deutlich zu straffen und umzuformulieren“. 39 37 Im Französischen ist das die Formulierung „les pays riverains de la Mediterranee“. Hier wird semantisch stark vernebelt, was dem Leser zusätzliche Interpretationsleistungen (aufgrund seines Vorwissens über Prinzipien der Europäischen Integration und den für den Binnenmarkt erreichten Stand) abverlangt. Schließlich sind auch die EG-Mitglieder Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland Mittelmeeranrainer, auch wenn sie hier natürlich nicht gemeint sind. Das weiß man aber nur, wenn man auch weiß, daß freie Wohnsitz- und Arbeitsplatzwahl durch den EG-Binnenmarkt garantiert werden. Man kann mithin die Schlußfolgerung ziehen, daß hier von Migration aus „Drittländern“ gesprochen wird. Hier wird offenbar im Zielkonflikt zwischen diplomatischer Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten und Sprachökonomie die Diplomatie präferiert. Das ließe sich beschreiben als Verstoß gegen bestimmte Gricesche Kooperationsmaximen (Maxime der Quantität: „Mache deinen Beitrag so informativ wie erforderlich“ und Maxime der Art und Weise: „Sei klar und deutlich“), weil der Bezug auf das übergeordnete Kooperationsprinzip hier eine Umformulierung nahelegt (vgl. Grice 1979). 38 Noch schöner vernebelnd ist der französische Ausgangstext, der lautet nämlich: „le maintien sur les terres d’origine des populations en expansion demographique“. 39 Europäische Gemeinschaften. Wirtschafts- und Sozialausschuß. Schreiben Nr. 4502-92, Brüssel, 21. Oktober 1992: Protokoll über die 141. Sitzung der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik am 11. September 1992 im Ausschußgebäude zu Brüssel, S. 3. 170 Einen weiteren Änderungsantrag hatte das niederländische WSA-Mitglied Bemardus Pompen, Vertreter der Gruppe EI, eingebracht. Pompen wünschte, den Gliederungspunkt 4. „Die notwendige Anpassung der Institutionen“ um einen weiteren Unterpunkt 4.3. zu ergänzen, der lauten sollte: „Nach Meinung des Ausschusses muß vor einer etwaigen Erweiterung der Gemeinschaft wenigstens jenem fundamentalen Grundsatz der Demokratie entsprochen werden, wonach Richtlinien und Verordnungen, die vom Ministerrat aufgrund von Mehrheitsbeschlüssen gefaßt werden, dem Europäischen Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten sind.“ Pompen fügte seinem Antrag eine umfangreiche Begründung bei. In einer Studiengruppensitzung war Pompen mit seinem Vorstoß zu einer Änderung noch gescheitert: Das kann daran gelegen haben, daß er ihn nicht in seiner Muttersprache, dem Niederländischen, formulieren konnte, sondern auf englisch vortragen mußte. Wahrscheinlicher ist jedoch die Hypothese, daß sein Begehr in der Fachgruppe nunmehr erfolgreich war, weil er sich zum einen schriftlich wie mündlich gründlich vorbereiten konnte (im Gegensatz zu seinen spontanen Einlassungen in der Studiengruppe) und zum anderen jetzt andere Mehrheitsverhältnisse herrschten. Seine Argumentation schien den WSA-Mitgliedem einzuleuchten; sie nahmen seinen Änderungsvorschlag mit 23 Ja-Stimmen, 14 Nein-Stimmen und 10 Stimmenthaltungen an. Die Diskussion in der Fachgruppe - und das hält das Protokoll entsprechend fest ergab weitere Wünsche der Mitglieder, in den „Einführenden Bemerkungen“ einen Passus anzufügen, der die „Notwendigkeit der Berücksichtigung der Konsequenzen des Vertrages über die Europäische Union auf Vertiefung und Erweiterung der Gemeinschaft“ beinhaltet. In bezug auf den Unterpunkt 2.2.2. betreffend Zypern beauftragten die Fachgruppenmitglieder den Berichterstatter, kleinere Umformulierungen vorzunehmen. Diese WSA-typischen Vorausabsprachen bezüglich einer geringfügigen Korrektur der vorliegenden Textfassung veranlaßte die Fachgruppe, den Text, den Mourgues eingereicht hatte, mit 35 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen und 5 Stimmenthaltungen als Stellungnahme anzunehmen. 4.8 Plenartagung am 23. September 1992 Auf der 299. WSA-Plenartagung am 23. September 1992 wurde die Stellungnahme „Künftige Erweiterung der EG“ als Punkt 9. auf die Tagesordnung gesetzt. Der Berichterstatter hatte die Anregungen der Fachgruppe aufgenommen und die „Einführenden Bemerkungen“ um einen Unterpunkt 0.4. ergänzt. Er hatte somit den Wünschen der Mitglieder der Fachgruppe Rechnung getragen, die darum gebeten hatten, mit Blick auf die Sitzung des Europäischen Rates in Edinburgh zu berücksichtigen, daß einige Mitgliedstaaten durchaus kontroverse Positionen bezüglich einer Ratifizierung des Vertrags über die Europäische Union eingenommen hatten. Den Forderungen Preben Nielsens, der in seinem Änderungsantrag in der Fachgruppensitzung Wünsche bezüglich einer Modifizierung der Aussagen zur gemeinsamen Außen- 171 und Sicherheitspolitik (GASP) geäußert hatte, entsprach der Berichterstatter nach Maßgabe der Fachgruppenmitglieder, indem er diesen Absatz erheblich straffte und er nunmehr die Mitglieder der Europäischen Union lediglich auf unverbindliche Lippenbekenntnisse festlegen wollte: Nach dieser Formulierung müssen beitrittswillige Staaten nur noch „die Perspektive einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) akzeptieren“ (426/ III). Es unterblieben also die bisher enthaltenen Forderungen, daß „Unklarheiten und Mißverständnisse auf diesem speziellen Gebiet [...] bei den neuen Beitrittsverfahren mithin“ nicht existieren dürften und daß die „zwölf Mitgliedstaaten [...] sich ihrerseits ebenfalls diesen neuentstandenen Sachverhalt zu eigen machen müssen“ (426/ 11). Die Straffung dieses Passus machte es notwendig, auch das folgende Kapitel 1.7. umzuformulieren: Aus „Die politische Struktur der kommenden Jahrzehnte wird davon abhängen, ob die Gemeinschaft hierauf bestehen wird, und davon, wie die Beitrittskandidaten darauf reagieren“ (427/ 11) wurde jetzt „Die Beharrlichkeit der Gemeinschaft in dieser Frage sowie die Reaktion der Beitrittskandiaten werden die politische Struktur Europas der kommenden Jahrzehnte maßgebend bestimmen“. (427/ III) Zu einer weiteren Änderung unter Unterpunkt 2.2.1., die künftige Mitgliedschaft der Türkei betreffend, wurde der Berichterstatter nicht zuletzt durch einen Diskussionsbeitrag des deutschen Gewerkschaftlers Nierhaus in der Fachgruppensitzung angeregt, in dem dieser eine optisch sichtbare Umgewichtung der Kriterien für eine Beitrittswürdigkeit der Türkei gefordert hatte. Die „unwiderrufliche Anerkennung der Menschenrechte“ (428/ III) ist nunmehr vor alle anderen Kriterien gerückt, einhergehend damit sonderbarerweise auch eine in der Fachgruppensitzung nicht angesprochene - Neugewichtung der anderen drei Unterpunkte. Der Unterpunkt 2.2.2. „Zypern“, den zu ändern man Mourgues in der Fachgruppensitzung gleichfalls aufgetragen hatte, findet eine wenig originelle, dafür aber offenbar akzeptable Kürzung, in dem die Türkei als eine mögliche an der Konfliktlösung beteiligte Partei getilgt wird (womit man wieder bei der unverbindlicheren ursprünglich in der Studiengruppe präsentierten Formulierung gelandet ist). Ansonsten ist die Textfassung, die Mourgues präsentierte, gegenüber der Fachgruppensitzung unverändert geblieben. Dennoch lagen auf der Plenarsitzung fünf Änderungsanträge vor. Diese betrafen die „Allgemeinen Betrachtungen“, bei denen in Kapitel 1.5. das niederländische Mitglied Ulbo Tukker einen Satz beifügen wollte, das Kapitel 2.2.1. betreffs der künftigen Mitgliedschaft der Türkei, das die griechischen Mitglieder Anna Bredima-Savopoulou und Konstantinos Douvis sowie das französische Mitglied Robert Pelletier ergänzt sehen wollten, sowie die Schlußfolgerungen, bei denen in Kapitel 5.1. das englische Mitglied John Lyons einen Zusatz wünschte und in Kapitel 5.2. 172 ein weiteres englisches Mitglied, Michael P. Strauss, eine Ersetzung wollte, genauso wie es der britische Gewerkschaftler Lyons vorschlug. Während Tukker seinen Antrag zurückzog, war der gemeinsame Antrag der WSA-Mitglieder Bredima, Pelletier und Douvis, die einen Satz „Die Wiedervereinigung Zyperns ist wohl in jedem Falle als eine Vorbedingung für die Annahme des Beitrittsgesuchs der Türkei zu betrachten“ umstritten und führte schließlich zu einer Kampfabstimmung, in deren Verlauf der Änderungsvorschlag mit 39 Ja-Stimmen, 29 Nein-Stimmen und 35 Enthaltungen angenommen wurde. Die Änderungsvorschläge von Lyons und Strauss wurden einvemehmlich d.h. nach der unausgesprochenen WSA-Geschäftsordnungsmaxime, Änderungsanträge nur dann bis zur Abstimmung zu behandeln, wenn es durch bleibende Meinungsverschiedenheiten unumgänglich ist gelöst. Schließlich wurde die Stellungnahme zur „künftigen Erweiterung der Gemeinschaft“ im Plenum des Wirtschafts- und Sozialausschusses in der Schlußabstimmung ohne Gegenstimmen bei zehn Enthaltungen angenommen. 4.9 Zusammenfassung Zusammenfassend sind für die Fallstudie der Stellungnahme „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“ folgende Punkte festzuhalten: (1) Die einzelnen Sitzungen dienten vor allem dazu, die bereits in der ersten Fassung formulierten Ideen des Berichterstatters zum einen durch abschwächende Formulierungen konsensfähig zu machen, zum anderen durch geboten erscheinende Kon- und Präzisierungen aussagefähiger zu gestalten. (2) Änderungsvorschläge hatten insbesondere dann eine Chance auf Durchsetzung, wenn sie schriftlich vorformuliert waren bzw. mit einem Abstimmungsauftrag versehen dem Berichterstatter zur Überarbeitung anheimgestellt wurden. (3) Für internationale Organisationen typische verschleiernde, euphemistische oder diplomatisierende Formulierungen wurden zwar hin und her gedrechselt, aber in der Regel substantiell nicht verändert. (4) Phraseologismen oder Metaphern tauchten ab und an auf, wurden aber mit zunehmender Orientierung auf die Plenartagung nach und nach getilgt. (5) In den einzelnen Sprachen divergierende Passagen wurden im Verlaufe der Textgenese vom Übersetzungsdienst weitgehend nivelliert. (6) Die Selbstdarstellungsperspektive des Wirtschafts- und Sozialausschusses wurde gegen Ende des Verfahrens stärker ins Licht gesetzt. (7) Des öfteren wurde die Vorrangigkeit institutioneller Reformen gegenüber der als eher unwichtig eingeschätzten Lösung der durch die Erweiterung 173 der Gemeinschaft entstehenden sprachlichen Probleme explizit herausgestrichen. (8) Eine Einflußnahme von Lobbyisten oder anderen außerhalb der Gemeinschaft positionierten Organisationen auf das Texterstellungsverfahren konnte zu keiner Zeit festgestellt werden. (9) Zu Kontroversen führte vor allem die unterschiedliche Einschätzung der einzelnen Beitrittskandidaten, insbesondere der Türkei wegen ihrer ungelösten Menschenrechtspolitik, die nicht gelöste Zypemfrage und die wirtschaftliche Rückständigkeit einer Reihe ehemaliger RGW-Staaten. (10) Zu keinem Zeitpunkt wurde in Frage gestellt, daß eine einstimmige Verabschiedung der Thematik angestrebt wurde. Die schließlich auch erfolgte Annahme der Stellungnahme ohne eine einzige Gegenstimme liefert ein beredtes Zeugnis für Formulierungskunst und Kompromißfähigkeit von Berichterstatter bzw. Vorsitzendem der Studiengruppe. Diese Techniken konnten allerdings nicht verhindern, daß die konkrete Aussagekraft der Stellungnahme nicht wesentlich über ohnedies schon vorher Bekanntes und Gesagtes hinausreicht. 5. Fallstudie „Maritime Industrien“: divergente Gruppeninteressen 5.1 Einführung Im folgenden soll zunächst in allgemeiner Form die methodische Fragestellung unserer Fallstudie „Maritime Industrien“ dargestellt werden (vgl. Kapitel 5.2). Danach folgen unter 5.3 die äußeren Daten der Textgenese, angefangen vom Bezugstext der Kommission, den WSA-Stellungnahmen ja im Regelfall haben. Das können Rechtsaktvorschläge oder Texte minderer Rechtsverbindlichkeit, z.B. „Mitteilungen“ sein; nur bei den sog. „Initiativstellungnahmen“ des WSA kann ein Bezugstext fehlen. Einige der zahlreichen uns vorliegenden Texte sind verfahrensrelevante Primärtexte (also Fassungen der Stellungnahme), andere Texte sind dagegen als Zusatztexte zu klassifizieren, die nur informative oder unterstützende Funktion für die Textgenese haben. Unter 5.4 werden die Zusammensetzung der Studiengruppe, die sprachliche Zugehörigkeit ihrer Mitglieder, die Möglichkeiten der Sprachenwahl und die Arbeitsweise in der Studiengruppe beschrieben. Kapitel 5.5 stellt die Idiosynkrasien dieser Textgenese dar: auf der einen Seite die Manifestation eines „Routineverfahrens“, angezeigt durch regulären Verlauf (die Studiengruppensitzungen folgen im Abstand von je ca. vier Wochen aufeinander) und ausgebaute Rollenverteilung mit Experten für den Berichterstatter und die drei Gruppen; auf der anderen Seite Probleme, die aufgrund der besonderen Zielrichtung dieser Stellungnahme erwartbar oder aus der Dynamik der Textgenese spontan entstanden sind. Dazu gehören eine Fokussierung in der Textarbeit auf den Stellungnahmenstatus, verbunden mit der problematischen Stellung des WSA zur Kommission und zu einem „Maritimen Forum“. Besonders interessant ist, wie ein temporärer Konflikt behandelt und behoben wird. Diese sog. „ergänzende Stellungnahme“ 1 bezieht sich als „sektorspezifische“ Ergänzung auf eine vorangegangene Initiativstellungnahme „Industriepolitik 1 Artikel 20 Abs. 3 der WSA-Geschäftsordnung vom 13.6.1974 lautet: „Der Ausschuss wird von seinem Präsidenten im Benehmen mit dem Präsidium einberufen, um die Untersuchung von Gegenständen fortzusetzen, zu denen er bereits eine Stellungnahme abgegeben hat.“ Diese Bestimmung wird in einer Studie des WSA so interpretiert: „Eine ergänzende Stellungnahme kann nicht nur zu einer Stellungnahme abgegeben werden, die aufgrund einer obligatorischen oder fakultativen Befassung durch die Kommission oder den Rat verabschiedet wurde, sondern auch, um eine früher abgegebene Initiativstellungnahme zu ergänzen [Fußnote: Sie ermöglicht es dem Ausschuss z.B. seine erste Stellungnahme zu einer bestimmten Frage zu ergänzen, wenn er aufgrund der gesetzten Fristen die Prüfung 175 in einem offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld“; der deutsche Berichterstatter für diesen Text ist auch Mitglied der Studiengruppe „Maritime Industrien“. Der Problembereich ist komplex, wie allein aus der Aufzählung der Themen in der Kommissionsvorlage deutlich wird (vgl. Kapitel 5.3.1). Das schafft für die Textgenese das Problem einer angemessenen Kondensierung, Abstraktion, Auswahl relevanter Gesichtspunkte sowie einer Gliederung und Gewichtung von Einzelaspekten. Im Laufe der Textgenese stellt sich heraus, daß es spezifische Interessengegensätze nicht nur zwischen den WSA-Gruppen I und II (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) gibt, sondern auch Gruppenbildungen diametral dazu: Reeder vs. Schiffbauer; mediterrane Länder vs. Länder der nördlichen EG; peripher-partikulare Interessen (z.B. irischer Fischer). Besondere Merkmale und interessante Punkte bei dieser Textgenese sind: a) Wie wird der Bezug zur vorgeordneten WSA-Stellungnahme „Industriepolitik“ definiert (vgl. Kapitel 5.5.1)? Ist der Status der „ergänzenden Stellungnahme“ nur Geschäftsordnungstrick, um das komplizierte Verfahren einer neuen Initiativstellungnahme zu vermeiden, oder sehen die Beteiligten als ihre Aufgabe, den Bezug durch inhaltliche Analogien deutlich zu machen? b) Wie wird das Problem bearbeitet, daß der WSA von der Kommission ursprünglich nicht zum sog. „Maritimen Forum“ eingeladen worden ist (vgl. Kapitel 5.5.2)? c) Wann und wie werden Ansprüche an die globale Textgliederung erhoben, löst sie der Berichterstatter ein (vgl. Kapitel 5.5.3)? d) Was löst den Änderungsvorschlag des englischen Gewerkschaftlers Lyons in der Fachgruppe zu einem aus seiner Sicht unterrepräsentierten „human factor“ aus, wie ist die nachfolgende Turbulenz und (teils informelle) Konsensfindung zu erklären (vgl. Kapitel 5.5.4)? e) Wie sehen Aushandlungen zu einzelnen Textformulierungen aus („weighed down“; Tankersicherheit; Bewertung der japanischen Exportstrategie), welchen Erfolg haben Interventionen von Mitgliedern der Studiengruppe und von Experten der Gruppen (vgl. Kapitel 5.5.5)? 5.2 Zur methodischen Fragestellung der Fallstudie Ziel einer linguistischen Fallstudie zur Textgenese im Wirtschafts- und Sozialausschuß kann weder eine Paraphrase der Stellungnahme noch eine Beschreibung der EG-Politik im fraglichen Bereich sein. Auch einzelne Beobeines Beratungsgegenstandes nicht vertiefen konnte]. Sie stellt ein Instrument dar, das erforderlich ist, damit sich der Ausschuss Gehör verschaffen kann, wenn sich die Gegebenheiten oder die Rechtslage auf einem bestimmten Gebiet, zu dem sich der Ausschuss bereits geäussert hat, geändert haben.“ (Wirtschafts- und Sozialausschuß 1981, 164) 176 achtungen zu idiosynkratischen Besonderheiten gerade dieser Textgenese sind nur interessant, insofern sie Belege der besonderen interaktiven Verfahren und Problemlösungsstrategien beim „gemeinsamen Schreiben“ im Wirtschafts- und Sozialausschuß sind. Das bedeutet, positiv gewendet: Welche Phänomene sind kontingent, welche Phänomene sind Belege für etablierte Verfahren der Artikulation von Interessengegensätzen? Phänomene interaktiver Textgenese in sprachlichen Kontaktsituationen sind linguistisch dann interessant, wenn sie in Analogie zu bekannten Phänomenen in anderen Kontexten gesetzt werden können oder wenn sie kontraintuitiv sind, d.h. nicht den Erwartungen an die situationsspezifischen Kommunikationsmuster entsprechen. Freilich ist auch denkbar, daß die Analyse Vorurteile bestätigt. Ein Beispiel: Ausgehend von der Unterstellung, daß in interkultureller Kommunikation generell Auto- und Heterostereotype die Selbst- und die Partnerwahmehmung in Form von Interpretationsfolien steuern, begreifen Beteiligte das Verhalten des anderssprachigen Kommunikationspartners als Ausprägung invarianter kulturspezifischer Dispositionen. Das ist nicht unbedingt als Manifestation eines Vorurteils zu sehen, das internationale Kommunikation behindert oder gar blockiert. Vielmehr lassen sich stereotype Zuschreibungen an den anderssprachigen Kommunikationspartner (z.B. „typisch Deutscher/ typisch deutsch...“) auch als Versuche einer „Reduktion von Komplexität“ sehen, das als abweichend, wenn nicht gar für die anstehenden gemeinsamen Aufgaben als dysfunktional empfundene Kommunikationsverhalten des anderen zu typisieren und damit handhabbar zu machen. Für die professionelle Interaktion in europäischen Institutionen ist aber zu erwarten, daß die Beteiligten Manifestationen kultureller Stereotype nicht als arbeitsentlastende Interpretationsfolien begreifen 2 , sondern als Kommunikationsbarrieren, die eine arbeitsökonomische Bewältigung der vordefinierten gemeinsamen Aufgaben behindern. Im WSA müssen der vorliegende Textentwurf durchgearbeitet und möglichst Konsens über eine Bewertung von Formulierungen und Änderungswünschen erzielt werden; eine Fokussierung auf negativ bewertete kulturspezifische Verhaltensstile von anderen Mitgliedern der Arbeitsgruppe (z.B. wenn Deutsche denken, daß Italiener lange, lebhaft und blumig reden) wäre in dieser Perspektive kontraproduktiv. Ein interessantes Ergebnis der Analyse wären nun Indikatoren dafür, wie WSA-Mitglieder mit dieser Ambivalenz kultureller Stereotype tatsächlich umgehen. Nach unseren Beobachtungen verwenden sie hier eine Doppelstrategie: Auf der offiziellen Ebene thematisieren sie Wahrnehmungen abweichender kultureller Verhaltensstile nicht als solche, weil das temporäre Arbeitsbündnis bedroht wäre. Tatsächlich werden solche Unterschiede aber sehr 2 So unterschiedet Quasthoff (1989, 37) zwischen normalen und harmlosen Alltagskategorisierungen und den potentiell destruktiven Stereotypen als der Modellvorstellung der Vorurteilsforschung. 177 wohl wahrgenommen und typisiert thematisiert werden sie dann außerhalb der „offiziellen“ Sitzungsinteraktion: in Nebenbemerkungen, in Außerungseinleitungen, die als in der Relevanz zurückgestuft gewertet werden können, in „Nachverbrennungen“ 3 im Interview mit uns oder in Pausengesprächen. Tauchen solche Typisierungen als Teil einer Gestaltungsorientierung von Äußerungen in den Sitzungen auf, werden sie in der Regel als idiosynkratische Zuschreibungen an den Personalstil des anderen ausgegeben und damit entschärft. Sie sollen zwar gerade nicht als Typisierungen eines auffälligen kulturspezifischen Verhaltens gelten; wenn aber beispielsweise zwei Deutsche nacheinander in den Einleitungen ihrer Redebeiträge das kommunikative Verhalten eines Italieners, seine Gestik und Emphase, als bemerkenswert bezeichnen, kostet es sie wohl Anstrengung, sich nicht in kulturellen Stereotypen zu ergehen: „ja herzlichen Dank * Herr Arena/ Sie habens ja in Ihrer uns schon bekannten * lebendigen Weise/ ** zusammengefaßt und vorgetragen/ ** was uns hier bewegt/ “ „eh mir liegt es natürlich nicht so in dieser lebendigen Weise wie es unser Berichterstatter immer wieder schafft- ** eh nun meinen Beitrag zu leisten/ gleichwohl will ich versuchen ihn auch etwas interessant zu gestalten'.“ Im Zentrum der Fallstudie sollen markante Punkte der Textveränderung stehen; vor dem Hintergrund von Sitzungen und Sekundärinformationen soll die Formulierungsarbeit diskutiert werden. Leitfrage ist dabei, durch welche Interventionen sich Texte verändern. Eine Typologie solcher Interventionen müßte u.a. umfassen: - Änderungen aufgrund von Änderungswünschen, -Vorschlägen und -anträgen; - Arbeit zwischen den Sitzungen; dazu gehören auch Änderungen aufgrund der Eigeninitiative des Berichterstatters und seines Experten; 3 Nach Goffman (1982, 97ff.) besteht ein wesentlicher Teil der kommunikativen Beziehungsarbeit darin, in bestätigenden oder in korrektiven Austäuschen das eigene Image zu modellieren und das der Kollegen zu bearbeiten. Eine der Techniken, Imagegefährdungen zu bearbeiten, die durch Verstöße gegen soziale Normen entstanden sind, sieht Goffman in den sog. „Nachverbrennungen“: „Wenn ein Individuum feststellt, daß andere Personen sich in ihren Beziehungen zu ihm offensiv verhalten (sei es, indem sie eine rituelle Handlung unterlassen, sei es, indem sie sie unzureichend oder allzu ausgiebig vollziehen), so kann es warten, bis sie den Austausch mit ihm beendet und der Begegnung den Rücken gekehrt haben, und erst dann zum Ausdruck bringen, was es wirklich von ihnen hält. Hierzu stehen ihm mehrere Möglichkeiten zur Verfügung [...]. Jede dieser Möglichkeiten stellt eine fundamentale Anpassungsstrategie dar. Obwohl er offen auf die Möglichkeit verzichtet, das zu erreichen, was er für die angemessene korrektive Handlung seitens der Regelübertreter hält (und damit in gewisser Weise auch auf sie verzichtet), gibt er doch den Umstehenden gleichzeitig zu verstehen, daß er das Verhalten der Regelübertreter noch immer für unakzeptabel hält. Er führt das aus, was man eine ,Nachverbrennung 1 nennen könnte ein Protest, der heimlich geäußert wird, während die Zielscheiben dieses Protests den Schauplatz verlassen [...].“ (Goffman 1982, 21 lf.) 178 unterschiedlicher Grad von „Diskutiertheit“: einmalig von einem WSA- Mitglied vorgebrachter Änderungsantrag vs. einmaliger Gruppenantrag vs. wiederkehrende Versuche in verschiedenen Sitzungen bzw. Phasen der WSA-Textarbeit. Dabei können Änderungen als eher zufällig klassifiziert werden, als metasprachlich-„linguistische“ Korrekturen oder als Ausdruck vielfältiger Interessengegensätze (z.B. Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer, Mittelmeeranrainer gegen Nordstaaten). Wichtig für die Beschreibung der Muster bei der Behandlung von Änderungsanträgen ist die Kontinuität der Argumentation: Wird auf vorangegangene Situationen eben dieser Textgenese oder auf eingeführte Prinzipien der WSA-Textarbeit verwiesen? Gibt es Indizien für eine Trennung zwischen „wörtlicher Bedeutung“ von Änderungsanträgen und politischer Intention? 5.3 Äußerer Verlauf der Textgenese 5.3.1 Der Bezugstext: Die Mitteilung der EG-Kommission Zwar ist der Wirtschafts- und Sozialausschuß in diesem Fall nicht von der Kommission im Sinne des Artikels 198, Absatz 1 EWG-Vertrag mit einer Stellungnahme „befaßt“ worden. Allerdings handelt es sich auch nicht um eine Initiativstellungnahme, die der WSA aus eigener Initiative zu einem von ihm als relevant angesehenen Thema erarbeitet, zu dem sich die Kommission noch nicht konkret geäußert hat. Die Stellungnahme zu den „maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ bezieht sich auf einen Kommissionstext, der im Titel aller WSA-Textentwürfe zitiert wird und allen Mitgliedern der Studiengruppe vorliegt. Es handelt sich um die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß: „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“. Dokument KOM(91) 335 endg. Brüssel, 20.9.1991. Das Inhaltsverzeichnis dieser 24 Seiten und einen statistischen Anhang umfassenden Mitteilung zeigt das weite thematische Spektrum auf, mit dem die Kommission hier einen komplexen Bereich ihrer Industriepolitik und ihrer politischen Absichten darstellt: „B.MARITIME THEMEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE EUROPÄISCHE GE- MEINSCHAFT B .1. DIE BEDEUTUNG MARITIMER THEMEN B.I.l. Meeresressourcen B.I.2. Umweltpolitische Gesichtspunkte und internationale Normen a) Klima b) Normen c) Umweltverschmutzung 179 B.I.3. Weltweite Verflechtung der Wirtschaft B.II. DAS GEMEINSCHAFTSINTERESSE B.II.l. Beschäftigung B.II.2 Handel a) Abhängigkeit der Gemeinschaft vom Welthandel b) Ausweitung des innereuropäischen Handels B.II.3. Umwelt B.II.4. Fischerei B.II.5. Meereswissenschaft B. III. Die EG vor neuen maritimen Herausforderungen C. EUROPAS MARITIME INDUSTRIEN: ELEMENTE FÜR DIE EUROPÄISCHE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT C. I. DER SCHIFFBAU C.II. DIE EG-FLOTTE C.III. DIE ZULIEFERINDUSTRIE C.IV. MEERESRESSOURCENINDUSTRIE UND MEERESFORSCHUNG C. V. LAGE IN JAPAN UND DEN USA D. EINE NEUE EUROPÄISCHE MARITIME INITIATIVE D. I. EIN ANSATZ IM RAHMEN DES INDUSTRIEPOLITISCHEN KONZEPTS DER KOMMISSION D.II. AUF DEM WEGE ZU EINEM EINHEITLICHEN MARITIMEN ANSATZ - Maßnahmen D.II. 1. Rahmenbedingungen der Wirtschaft D.II.2. Sicherheit D.II.3. FuE 4 D.II.4. Verkehr D.II.5. Ausbildung D.II.6. Umwelt D.II.7. Wettbewerb in der EG D.II.8. Internationale Dimension D.III. EINE INTEGRIERTE EUROPÄISCHE ANTWORT* (S. If.) 4 „FuE“ ist ein EG-spezifisches Akronym für „Forschung und Entwicklung“. So hat ein Referat in der Generaldirektion XII (Wissenschaft, Forschung und Entwicklung), das sich mit dem „SPEAR“-Programm („Support Programme for a European Assessment of Research“) beschäftigt, den Titel „Entwicklung der FuE-Programme (SPEAR)“ (Quelle: Organisationsplan der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Februar 1991, 74). 180 Wir möchten einige Überlegungen zu auffälligen Formulierungstechniken in dieser Mitteilung und zu deren kommunikativer Funktion einfügen. Eine Mitteilung über eine „sektorspezifische Industriepolitik“ ist notwendig allgemein gehalten und abstrakt, weil sie das Panorama einer geplanten EG- Politik und nicht Einzelmaßnahmen darstellt. Sie ist kein EG-Rechtsakt im engeren Sinne, sondern eine politische Absichtserklärung 5 , um das Panorama von Sachverhalten und Problemen in einem bestimmten Regelungsbereich sowie die Notwendigkeit und Interdependenz zukünftiger legistischer Maßnahmen aufzuzeigen. Die EG-Kommission legt eine längerfristige Planung dar und reklamiert mit Hilfe einer solchen Mitteilung oft einen bislang leeren Bereich politisch-gesetzgeberischen Handelns als Bereich der EG-Politik. Das fordert von der Textsorte „Mitteilung“, die natürliche Komplexität der Sachverhalte zu reduzieren, zu gewichten und Verständnis bei den Adressaten für die aufgezeigten Problemzusammenhänge und die Problemsicht der Kommission zu wecken. Derartige Vorlauftexte für Rechtsakte sind von den textsortenspezischen Anforderungen und der Adressatenorientierung her nicht so präzise definiert wie Rechtsakte. Wieweit der Problemkontext argumentativ expliziert werden muß und welches Vorwissen bei den möglichen Adressaten vorausgesetzt werden kann, unterliegt der Aushandlung in der Textarbeit. In den abschließenden „Schlußfolgerungen“ schlägt die Kommission vor, „[...] ein Diskussionsforum mit Vertretern aller betroffenen Parteien zu schaffen, und dem Forum folgende Aufgaben zu übertragen: genauer den Aufgabenbereich des globalen und horizontalen Konzepts zu definieren, identifizieren (sic! ) der wichtigsten Bereiche und der Maßnahmen, die entwickelt werden müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der maritimen Industrien der EG zu verbessern; die geeignete Methode für die Umsetzung dieser Maßnahmen zu bewerten. Das Forum soll der Kommission innerhalb von 9 Monaten nach Annahme dieser Mitteilung einen Bericht vorlegen [...].“ (S. 23f.) Aus der Sicht von WSA-Mitgliedem ist dieses eine zentrale politische Aussage der Kommissionsmitteilung; der Text verfolge hauptsächlich die Absicht, Gruppen von Betroffenen für ein Diskussionsforum zum Problembereich zu gewinnen. Die Mitteilung muß daher die unterschiedlichen Perspek- 5 Oppermann (1991, 187) spricht zum Abschluß einer Typologie von EG-Rechtsakten von einer „Fülle von weiteren Akten [...] unter wechselnden Bezeichnungen (Erklärungen, Kommuniques, Memoranden, Pläne, Mitteilungen, Programme u.a.m.). Unmittelbare Rechtswirkungen werden mit ihnen normalerweise nicht angestrebt, doch wären sie erreichbar. Auch ihr politischer Bindungswert* ist meist noch geringer zu veranschlagen als bei den Beschlüssen und Entschließungen.“ Gelegentlich würden aber „grundlegende politische Aussagen in einer flexiblen Form getroffen“. 181 tiven und Interessenlagen berücksichtigen, darf andererseits aber die Position der EG-Kommission zum Themenbereich vorab nicht zu stark festlegen. Unter diesen Kontextbedingungen ist nicht verwunderlich, daß als Formulierungstechniken vor allem inhaltsarme Sätze und Tautologien, Plastikwörter 6 , EG-spezifische Textbausteine und Aktantenreduktion durch fehlenden Agens oder durch kollektiven Agens auffallen; dazu einige Belege: Beispiele für inhaltsarme Sätze und Tautologien sind: „Die EG sollte prüfen, welches der beste Weg zur Bewältigung der maritimen Herausforderungen ist.“ (S. Her) „Aus diesem Grund verdienen Meereswissenschaft und -technologic als Voraussetzung dafür höchste Aufmerksamkeit.“ (S. 8) „Gleichzeitig muß man sich darüber im Klaren sein, daß die Meeresnutzung als interdisziplinärer Vorgang auf die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bereichen und Fachgebieten angewiesen ist.“ (S. 8) „Die besonderen maritimen Interessen der EG müssen vor dem Hintergrund der internationalen maritimen Dimension gesehen werden." (S. 8) mit dem Zusatz: „Nur effiziente maritime Industrien können garantieren, daß die Gemeinschaft in der Lage sein wird, angemessen und erfolgreich am Welthandel teilzunehmen und die Weltmeere zu nutzen.“ (S. 9) „Für den Schiffbau ist unverzichtbar, daß es [hier unklarer Bezug, W.S.] sichere und umweltfreundliche Schiffstypen zu möglichst niedrigen Preisen unter fairen, normalen Wettbewerbsbedingungen anbieten kann.“ (S. 11) „Die moderne vielseitige Meereswissenschaft braucht eine optimale Organisation der Meeresforschung.“ (S. 14) 7 „Die Kommission, hat in der Vergangenheit bereits eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet und vorgeschlagen. Einige sind bereits beschlossen worden, bei anderen, steht die notwendige Zustimmung des Rates noch aus. Es fehlt jedoch an einer umfassenden Betrachtungsweise des maritimen Bereichs. Daher ist ein neues, wirkungsvolles Konzept für die maritimen Industrien Europas notwendig.“ (S. 16) „Dabei verdienen vor allem jene Bereiche besondere Berücksichtigung, die gesamtwirtschaftlich eine bedeutende Rolle spielen.“ (S. 16) „Sicherheit auf See ist ein Anliegen von großer Bedeutung.“ (S. 17) 6 Pörksen (1988, 21) verbindet mit diesem Begriff „die Vorstellung von unendlicher Formbarkeit mit der einer geformten Stereotypie.“ 7 Allerdings wird der kritisierte gegenwärtige Organisationsstand anschließend expliziert! 182 „Die Grundlage der maritimen FuE Europas sollte durch eine Koordinierung der Anforderungen an die meereswissenschaftliche und technische FuE Europas gestärkt werden.“ (S. 18) „Maritime Herausforderungen [...] können nicht länger nur auf der Basis der spezifischen Fragestellung gehandhabt werden.“ (S. 21) „Angesichts der Vielfältigkeit der gesamten maritimen Dimension und der wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen der Reinerhaltung der Ozeane und der Meeresressourcen auf der einen Seite und Schiffahrt, Schiffbau und Nutzung der Meeresressourcen auf der anderen Seite, sind alle maritimen Bereiche Teil einer einzigen maritimen Dimension.“ (S.9) Vor allem das letzte Beispiel zeigt eine Diskrepanz zwischen detaillierter Problembeschreibung und stereotyper Darstellung der zugehörigen EG- Handlungsperspektive. Auch das Resümee der Mitteilung fällt tautologisch und inhaltsarm aus: „Die verschiedenen maritimen Themen und Herausforderungen müssen deshalb als Bestandteile einer umfassenden maritimen Dimension gesehen und entsprechend gehandhabt werden.“ (S. 21) Beispiele für Plastikwörter sind „auf internationaler Ebene“ (S. Iter), „Interessen“ (S. Iter), „internationales Umfeld“ (S. 1 ter), „Herausforderung(en)“ (S. Iter, 3, 7, 7, 12, 21), „Aspekte“, „Basis“, „Dimension“ (S. Iter, 3. Spiegelstrich), „Initiative“ (S. 2), „Fragen“ (S. 2), „langfristig von entscheidender Bedeutung“ (S. 8) oder „Strategien“ (S. 20). EG-spezifische Textbausteine wie „nach Vollendung des Binnenmarktes“ (S. 5), „ein vitales Interesse“ (S. 6), „auf dem erforderlichen Niveau“ (S. 6) und „ein wichtiger Faktor für die XY-Interessen der EG.“ (S. 10) verweisen als beliebig verwendbare argumentative Versatzstücke zugleich auf den Systemcharakter der EG. Durch fehlenden Agens werden systematisch Aktanten reduziert: „Die Weltmeere gelten heute als letzte große Herausforderung auf der Erde um (sic! ) Ressourcen zu erschließen und zu nutzen und so zur Versorgung der Menschheit auch in Zukunft beizutragen.“ (S. 3) An wen richtet sich die „Herausforderung“? Wer soll erschließen und beitragen? Diese Aktanten werden nicht explizit genannt. „Die Meeresressourcen rücken somit immer mehr ins Zentrum des Interesses [...]“ (S. 3) Auch hier wird nicht ausdrücklich gesagt, wessen Interesse betroffen ist. „Geforscht wird ferner im Bereich der Nutzung der Meere zur Gewinnung emeuerbarer Energien [...]“ (S. 3) „Da angenommen wird, daß auf jeden Fischer, der auf See arbeitet, vier bis fünf Arbeitsplätze an Land entfallen, ergeben sich [...]“ (S. 4) 183 Durch derartige Passivkonstruktionen werden Informationen ausgeblendet, hier: wer in diesem Bereich forscht, wer etwas annimmt und worauf sich diese Annahme stützt. Aktanten können auch semantisch durch kollektiven Agens reduziert werden: „[...] ist die EG bemüht, [...]“ (S. 5) Diese summarische Beschreibung ohne Angabe der EG-Institution, der verantwortlichen Dienststelle, der Person oder des Verfahrensstands macht die Funktion von Aktantenreduktion deutlich: Sie blendet bestimmte Informationen aus, verzichtet auf explizite Benennung von Verantwortlichkeit. Zum einen ist die Kommissions-Mitteilung technologisch orientiert auf eine „verstärkte Nutzung der Meere“ zur Gewinnung von Nahrungsmitteln, Energie, Mineralien, chemischen Stoffen und Lebensraum („Meeresressourcen“) (S. 3). Doch auch ökologische Grundtatsachen werden berücksichtigt, etwa zum Klima: „Die Ozeane wirken wie ein großer Speicher für Wärme und Kohlenstoff, die beide zwischen der Atmosphäre und den Weltmeeren auf natürliche Weise und in gewaltigem Umfange ausgetauscht werden.“ (S. 3) Hier wird am Vergleich die Bemühung um eine anschauliche Formulierung deutlich. Auch bei der Umweltbelastung durch Verkehr gibt es ein dezidiert ökologisch orientiertes Plädoyer: „Schiffe verbrauchen je beförderte Tonne weniger Energie und belasten die Umwelt weniger mit Lärm- und Schadstoffen als jedes andere Verkehrsmittel.“ (S. 6) Auf der einen Seite neigt die Kommissions-Mitteilung zu Abstraktionen und vagen Beschreibungen. Dabei dienen semantisch blasse Verben zur Verknüpfung von Nominalphrasen, die eine stichwortartige Auflistung thematischer Aspekte enthalten, wobei die Art der argumentativen Verknüpfung vage bleibt. Beispiele: „Das wachsende Bewußtsein über die Bedeutung der Meeresressourcen geht zunehmend mit der Sorge um die Reinerhaltung der Meere einher [...]“ (S. 3, Hervorhebungen W.S.) „Die Bedeutung der Meeresressourcen und der Umweltverschmutzung spiegelt sich aber auch in zwischenstaatlichen Konflikten wegen des Zugangs zu Seegebieten und der Beanspruchung von Seegebieten wider.“ (S. 3) Auf der anderen Seite verdeutlicht die Mitteilung konkrete Sachverhalte durch Beispiele: „Die Unfälle der ,Exxon Valdez', der .Herald of Free Enterprise', der .Scandinavian Star' und die jüngsten Vorfälle im Mittelmeer unterstreichen die Notwendigkeit, strengere internationale Regeln und Normen bezüglich Sicherheit, Kontrolle von Meeresverschmutzungen sowie der Konstruktion und des Betriebs von Schiffen im Rahmen der .International Maritime Organization' (IMO) auszuarbeiten.“ (S. 4) 184 So wird mit aktuellen Einzelfällen die Notwendigkeit allgemeiner Regelungen belegt. Dadurch wird die Rezeption des Textes einerseits erleichtert, andererseits eingeschränkt auf einen bestimmten Zeitraum, in dem diese Beispiele als aktuell gelten können; das wird vor allem an einem indexikalen Ausdruck wie „die jüngsten Vorfälle“ deutlich, der nur relativ zum Publikationsdatum des Textes verständlich ist. Zugleich aber verzichtet der Text an dieser Stelle auf eine Explizierung der geforderten Regeln und Normen. Im Kontrast zu Darstellungen von ökologischen Tatsachen im Präsens Indikativ werden Vermutungen durch Futur-Formulierungen oder durch Konjunktiv geäußert und so als Prognosen markiert: „Nach Vollendung des Binnenmarktes und Fortführung der Liberalisierungsprozesse in den mittel- und osteuropäischen Ländern werden die Schiffahrt entlang der europäischen Küsten, der Mittelmeer-, Ostsee- und Schwarzmeerküste sowie die Binnenschiffahrt zunehmen. Die in Europa bereits jetzt hohe Verkehrsnachfrage wird weiter steigen.“ (S. 5) „[...] Darüber hinaus dürften Küsten- und Binnenschiffahrt in vielen Fällen das kostengünstigere Verkehrsmittel sein.“ (S. 6) „Die Möglichkeit, technologisch anspruchvolle (sic! ) Schiffe zu bauen, welche EG-Reedem erlauben, mit kleinen aber gut geschulten Besatzungen zu operieren, könnte die Wettbewerbsfähigkeit der EG Flotten gegenüber Drittländern erhöhen.“ (S. 10) Diese Vagheit im Potentialis läßt sich interpretieren als implizite Berücksichtigung abweichender, aber mächtiger Positionen von Interessengruppen. So steht die Anspielung auf die „kleinen aber gut geschulten Besatzungen“ gegen die gewerkschaftliche Position, daß durch den Einsatz neuer Technologien Arbeitsplätze je nach Sicht abgebaut bzw. vernichtet werden. Durch den Konjunktiv wird hier die Aussage als vertretbar hingestellt, ohne daß sich die Kommission von vornherein mit ihr identifiziert und so gewerkschaftlichen Widerspruch herausfordert. Auch die englische Fassung ist entsprechend vage, drückt das allerdings z.T. mit anderen syntaktischen Mitteln aus: „Short sea transport [...] and inland waterway transport will increase with the completion of the internal market [...]. Trade and transport demand in Europe, already high, will rise further.“ (p. 5, Flervorhebungen W.S.) „[...] In many cases, short sea transport and inland waterway transport are also likely to be the most cost-effective means of transport.“ (p. 6) „The possibility of building technologically sophisticated ships, allowing EC shipowners to operate with smaller but highly trained crews, may allow for improving the competitiveness of EC fleets vis-ä-vis those of third countries.“ (p. 10) Das Futur im ersten Beispiel gibt die Prognose als verläßlich aus, Formulierungen wie „are likely“ und „may“ lassen dagegen offen, ob die Prognose eintreten wird. Die französische Fassung verzichtet durch die Wahl von futur 185 proche oder gar des einfachen Präsens weitgehend darauf, Distanz syntaktisch auszudrücken, diese Distanz steckt allenfalls in der Semantik der Verben „offrir“ und „permettre“, mit denen Disposition und Entwicklungspotential angezeigt werden: „La navigation cotiere [...] et les tranports fluviaux vont s'intensifier grace ä l’achevement du marche interieur [...]. Les echanges et la demande de transport dejä eleves, vont encore progresser en Europe.“ (p. 5) „[...] Enfin, la navigation cotiere et les transports fluviaux offrent dans bien des cas le meilleur rapport coüt/ rendement.“ (p. 6) „La possibilite de construire des navires technologiquement tres sophistiques permet aux armateurs de la CEE d’exploiter leurs navires avec un equipage reduit mais hautement qualifie et d’accroitre ainsi la competivite de la flotte CEE par rapport ä celle des pays tiers.“ (p. 10) Relativ konkret wird die Kommission bei einer Distanzierung von amerikanischen und japanischen Maßnahmen: „Die USA setzten 1990 einseitige Vorschriften in Kraft, wonach zu einem späteren Zeitpunkt neue Tanker, die amerikanische Häfen anlaufen wollen, Doppelhüllen haben müssen. Auf der anderen Seite schlagen die Japaner im Rahmen der laufenden IMO-Verhandlungen den von einer führenden japanischen Werft entwickelten Zwischendecktanker als Alternative vor.“ (S. 6) Die Kommission kritisiert also eine Einseitigkeit der Vorschriften, d.h. mangelnde Abstimmung, einen Protektionismus mit umweltpolitischem Vorwand (EG-Tanker ohne Doppelhülle dürfen amerikanische Häfen nicht mehr anlaufen), und Maßnahmen, die sie für nur scheinbar umweltpolitische hält, die in Wahrheit aber die Drittländer zur Förderung ihrer eigenen Wirtschaft treffen („von einer führenden japanischen Werft entwickelt“). Die generelle Aussage „In Japan besteht in Mischkonzemen und bei Fördermaßnahmen ein enger Zusammenhang zwischen Schiffahrt und Schiffbau“ (S. 15) wird belegt durch detailliertere Darstellungen zum „home credit scheme“ (Finanzierungen zu niedrigen Kosten für japanische Reeder für den Kauf von in Japan gebauten Schiffen) und zu „Subventionen für scheinbar unabhängige Forschungsinstitute“. Zu dieser Kritik korrespondiert eine Vertretung europäischer wirtschaftlicher Interessen gegen Konkurrenten auf dem Weltmarkt, auch indem die Kommission europäische Standortvorteile herausstreicht: „Europa besitzt auf diesen Gebieten Erfahrung und ein umfangreiches Wissen, und hat insofern das größtmögliche Interesse daran, diesen komparativen Vorteil nicht zu verlieren.“ (S. 9) 186 „Heute verdankt die EG ihren Marktanteil von 20% (gegenüber 38% von Japan) dem Bau von Schiffen mit einem hohen technologischen Gehalt; hier verfügt die Gemeinschaft nach wie vor über einen komparativen Vorteil. Die jüngsten Anstrengungen Japans, dieses Marktsegment zunächst über den erfolgreichen Bau von Container- und Fahrgastschiffen zu erobern, bereiten diesem Industriezweig ernsthafte Schwierigkeiten. [...]“ (S. 11) Die Kommissionsmitteilung operiert mit EG-Neologismen, die ohne explizite Definition eingeführt werden, wie „multimodale Verkehrsketten“ (S. 5), „[...Jressourcen“ (z.B. „Meeresressourcen“, „Fischressourcen“), „Aquakulturprodukte“ (S. 7), „Synergieeffekte“ (S. 16), „horizontale Maßnahmen“ (S. 16) und „Binnenmarkt“ (gemeint ist der EG-Binnenmarkt) (S. 21). Zentrale argumentative Topoi verweisen auf nicht weiter hinterfragte Prinzipien der EG-Politik: „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ (S. Iter), „unverzerrter Wettbewerb“ (S. 20), „Konvergenz der Wettbewerbsbedingungen“ (S. 20); „innergemeinschaftlicher Liberalisierungsprozeß“ (S. 5), „Bereitschaft zur Zusammenarbeit“ (S. 9), „Beseitigung von Handelshemmnissen“ (S. 17), „Angleichung von Normen“ (S. 17), „am Weltmarkt faire Rahmenbedingungen für europäische Unternehmen“ (S. 21), „harmonisierte Position der Gemeinschaft“ (S. 21), „globaler und horizontaler Ansatz“ (S. 22), Identifizierung von „gemeinsamen Interessen“ (S. 22, 24) und „interne Politik-Koordinierung“ (S. 23). Mit zahlreichen Verweisen auf andere EG-Rechtsakte, Berichte und Programme soll die vorliegende Mitteilung in einen größeren Kontext eingebettet werden: „Beabsichtigt ist, die entsprechenden maritimen Themen im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Industriepolitik der Gemeinschaft, wie kürzlich in der Mitteilung der Kommission ,Industriepolitik in einem offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld“ 8 dargelegt, zu entwickeln.“ (S. 1 ter) Gehäuft werden EG-spezifische Abkürzungen und Akronyme verwendet: „Das FuTE 9 -Programm der Gemeinschaft im Bereich Meereswissenschaft und -technologie MAST 10 soll das Wissen über die Meeresumwelt erweitern und damit Technologien zum Schutz und zur Nutzung von Meeresressourcen fördern sowie die Zusammenarbeit einzelstaatlicher FuTE-Programme unterstützen.“ (S. 8) „Das BRITE/ EURAM 11 Programm der EG wendet sich an Materialien und Fertigungstechnologien, wobei Gebiete wie automatisches Schweißen mit Blick auf höhere Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Schiffskonstruktionen eingeschlossen sind.“ (S. 8) 8 COM(90) end. 16. November 1990. 9 FuTE - „Forschung und Technologie“ (deutsche Abkürzung! ); vgl. Fußnote 4 10 Vgl. Amtsblatt Nr. L200, 13.7.1989; MAST - Marine Science and Technology (vgl. Gondrand 1991, 176). 11 BRITE - Basic Reseach in Industrial Technologies for Europe (Gondrand 1991, 59); EURAM - European Research in Advanced Materials (Gondrand 1991, 131: „Fusionne avec BRITE sous le nom de BRITE EURAM.“). 187 Gelegentlich tauchen in solchen Querverweisen offenkundige englische Interferenzen graphematischer und syntaktischer Art auf: „Wie schon in der Mitteilung der Kommission ,Industriepolitik In Einem Offenen Und Wettbewerbsorientierten Umfeld' [...] betont, ist es heute nich (sic! ) länger möglich von Industrien mit hohem oder niedrigem Technologiegehalt zu sprechen, sondern nur noch von Produkten mit underschiedlichem (sic! ) Niveau technischer Differenziertheit.“ (S. 10) „Dies waren die wichtigsten Ziele der vier in 1986 (Hervorhebung W.S.) angenommen (sic! ) Ratsvorschriften (S. 12) Damit schließen wir diesen Exkurs zum Kommissionstext und kehren zu den WSA-Entwürfen für eine Stellungnahme zurück. 5.3.2 „Primärtexte“ für die WSA-Stellungnahme Als „Primärtexte“ sehen wir die Texte an, über die in Sitzungen verhandelt wird und die als Vorstufen der endgültigen Stellungnahme zu betrachten sind. 12 Dazu zählt zunächst das „Arbeitsdokument der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen zu der Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (Dok. KOM(91) 335 endg.). Berichterstatter: Herr Arena. Brüssel, 5. Februar 1992. Eingang: 5. Februar 1992“. Nach einem Hinweis auf dem Deckblatt soll das Arbeitsdokument („Working Document“, „Document de travail“...) auf der Studiengruppensitzung am 12. Februar 1992 behandelt werden. Seine Gliederung und thematische Grobstruktur in Stichworten: 1. Vorwort: im wesentlichen Zustimmung gemeinsame Berücksichtigung der Zweige der maritimen Wirtschaft - Abkehr von sektoriellen Einzelkonzepten bisherige schädliche Verwaltung von Krisensituationen 2. Flotte - Untergang angesichts des europäischen Binnenmarktes und der Internationalisierung der Märkte inakzeptabel - Reeder-Perspektive: Wettbewerbsbenachteiligung durch Gesetze und Regelungen, Konsequenz: Ausflaggen - Gemeinschaftsregister EUROS 13 12 Durchgängig haben alle diese Texte bis auf die Veröffentlichung im EG-Amtsblatt eine Dossiemummer „IND/ 444 .Maritime Industrien'“ (bzw. Kurzform in anderen Sprachen, z.B. „Maritime Industries“ oder „Industries maritimes“) in der rechten oberen Ecke des Deckblatts. 13 Der akronymische Neologismus „EUROS“ wird außer durch eine Kurzformel „Gemeinschaftsregister“ (bzw. „Community shipping register“, „registre communautaire“) nicht explizit erklärt, also als bekannt vorausgesetzt. 188 3. Schiffbauindustrie: - Einführung - Verbindungen zwischen Reedereien und Schiffbau, Vergleich EG mit Japan und Korea - Wirkungen bisheriger Stützungspolitik - Probleme mit dem Protektionismus anderer Staaten - Verhandlungen über freiwillige Angebotskontrolle mit Japan/ Korea - Schiffbau-Expansion gemeinsame Strategie von Reedern, Werften und Zulieferern - Zersplitterung - Kooperationen zwischen europäischen Unternehmen - Zuliefererindustrie - Standardisierung der Erzeugnisse 4. Häfen: - Elektronik und Informatik - Abwicklungsstandards für alle Häfen - Investitionen zur Modernisierung des Hafensystems 5. Meeresumwelt: - Einführung - Tankerverkehr und Verschmutzungsrisiko für die Meere - Interventionspläne gegen die Verschmutzung nationale Ubergangsmaßnahmen integriertes System der Vorbeugung, Bestrafung und Beseitigung 6. Nutzung der Meeresressourcen: - Nutzung und Erhaltung oder Nutzung gegen Erhaltung wissenschaftliche Kenntnisse gegen industrielle Aspekte sektorenübergreifende europäische Politik zur Technologieförderung kurz- und mittelfristige Entwicklungen - Fischerei und Überfischung notwendige politische Disziplin auf dem Fischereisektor 7. Forschungsaktivitäten: - Hochstufung - Koordinierung sowie Programm- und Finanzrahmen japanische Aktivitäten im Vergleich mit der EG. Allein diese Aufzählung zeigt, welch weitgespannter thematischer Rahmen, welches Panorama von Einzelaspekten als relevant angesehen werden. Die Darstellungsform ist wiederkehrend zu jedem thematischen Teil eine Abfolge unterschiedlicher (Interessen-)Perspektiven: Sicht der EG-Institutionen, der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer. Im ersten Satz wird eine resümierende Zustimmung zur Kommissionsvorlage mit der Einschränkung „im wesentlichen“ vorweggenommen. In der deutschen Fassung herrscht Nominalstil mit langen und komplexen Sätzen, z.B. im zweiten Absatz des Vorwortes: 189 „Zum ersten Mal finden die verschiedenen Zweige der maritimen Wirtschaft gemeinsame Berücksichtigung im Rahmen einer Politik für die Wiederankurbelung der Industrien dieses Sektors.“ Ist das nur für die deutsche Fassung typisch? Im Englischen wird statt des Funktionsverbgefüges „Berücksichtigung finden“ eine Passivkonstruktion verwendet, die Umstandsangabe „im Rahmen einer Politik...“ wird gerundial wiedergegeben („the aim being“), und statt der umständlichen „Wiederankurbelung“ findet sich eine Infinitivkonstruktion: „For the first time, the various sectors of the Community’s maritime economy are considered as a single unit, the aim being to give a new boost to the industries concerned.“ Ähnlicher der deutschen Fassung ist die französische Übersetzung: „En effet, pour la premiere fois, les differentes composantes de l’economie maritime europeenne sont considerees d’une fa£on unitaire et dans le cadre d’une politique de relance des industries de ce secteur.“ Gängig sind Thema-Rhema-Konstruktionen, d.h. zu eingeführten Bereichen einer EG-Politik, markiert durch Eurojargon, erfolgen eigene Schlußfolgerungen. Beispiel: „Die Nutzung der Meeresressourcen (Energie, Mineralstoffe, biologische und Oberflächenressourcen) erfordert einen systematischen Ansatz im vollen Bewußtsein der Folgen menschlichen Eingreifens in das empfindliche Gleichgewicht der Meeresumwelt [...].“ Der nächste Primärtext ist der Vorentwurf einer Stellungnahme 14 : Vorentwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen zu der Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (Dok. KOM (91) 335 endg.). Berichterstatter: Herr Arena. Brüssel, den 3. März 1992. R/ CES 179/ 92 (I) DC/ hi. Eingang: 24. Februar 1992. Versand: 5. März 1992 Auch die Funktion dieses Dokuments wird durch einen Vermerk erläutert: „Dieses Dokument wird in der Sitzung am 12. März 1992 erörtert“. Der Text hegt uns auch in den anderen Arbeitssprachen dieser Studiengruppe vor, also auf englisch, französisch und italienisch; zur Illustration hier einmal die Titel dieser Fassungen: Preliminary draft opinion of the Section for Industry, Commerce, Crafts and Services on the Commission Communication on New Challenges for Maritime Industries (COM (91) 14 Der Beginn der Registratumummer („RI...“) verweist auf den Status des Textes: Es ist ein vorläufiger Text, über den noch kein offizielles WSA-(Teil-)Gremium abgestimmt hat und der daher noch nicht als WSA-Stellungnahme nach außen gegeben werden soll, sondern als „restricted“ bzw. „restreint“ zu behandeln ist. Des weiteren informiert die Referenznummer darüber, daß der Text im Original auf italienisch vorliegt, welcher deutsche Übersetzer den Text bearbeitet (in Großbuchstaben) und wer ihn im Schreibpool betreut hat (in Kleinbuchstaben). 190 335 final). Rapporteur: Mr Arena. Brussels, 27 February 1992. Original received on: 24 February 1992. Sent on: 3 March 1992. R/ CES 179/ 92 I/ OU/ WGR/ ss/ hm Avant-projet d’avis de la section de l’industrie, du commerce, de l’artisanat et des services sur la Communication de la Commission „Nouveaux defis aux industries maritimes“ (doc. COM(91) 335 final). Rapporteur: M. Arena. Bruxelles, le 27 fevrier 1992. Reiju le 24 fevrier 1992. Transmission le 4 mars 1992. R/ CES 179/ 92.1-RD-PS/ sf/ sl Sezione „Industria, commercio, artigianato e servizi“. Progetto preliminare di parere in merito alia Comunicazione della Commissione „Nuove slide per le Industrie maritime“ (doc. COM(91) 335 def.). Relatore: Arena. Documento ricevuto il 24 febbraio 1992. R/ CES 179/ 92 Offenbar ist die deutsche Version geringfügig später als die englische und französische fertiggestellt worden; im Unterschied zu Kommissionsdokumenten und vor allem Veröffentlichungen im EG-Amtsblatt, bei denen offiziell ein gemeinsamer Herausgabe-Termin angegeben wird, dokumentieren also die Deckblätter dieser WSA-Zwischentexte die Chronologie der Bearbeitung im WSA-Generalsekretariat. Bei der englischen und französischen Fassung zeigen die Referenznummem, daß jeweils zwei Übersetzer arbeitsteilig den Text übersetzt haben. Unsere italienische Fassung ist Kopie des dem deutschen Übersetzer di Carlo vorliegenden Textes. Darin hat der zuständige portugiesische WSA-Beamte auf französisch die Änderungen gegenüber dem Arbeitsdokument markiert („DC Pages modifiees ä TAPA Industries maritimes 1 Ind/ 444“, „voir Document de Travail (DT)“, „nouveau“ usw.), um dem Übersetzer so Orientierung und Arbeit zu erleichtern: Was ist hinzugefügt worden (markiert durch „nouveau“), was ist geändert worden (z.B. in der Textgliederung: Verweise wie „voir DT, page 3, 3 demieres indents“), was ist gestrichen worden? Nach der zweiten Studiengruppensitzung am 12. März 1993 entsteht ein revidierter Vorentwurf: Revidierter Vorentwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen zu der Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (Dok. KOM(91) 335 endg.). Berichterstatter: Herr Arena. Brüssel, den 30. März 1992. Eingang: 24. März 1992. Versand: 31. März 1992. R/ CES 179/ 92 rev. (I) DC/ js Wiederum informiert ein „N.B.“-Vermerk über den Verwendungszweck des Textes: „Dieses Dokument wird in der Sitzung am 7. April erörtert“. Einen Tag vor der Sitzung werden noch zwei Korrigenda vorgelegt, die etwa in der englischen Fassung so betitelt sind: Corrigendum to the Revised Preliminary Draft Opinion of the Section for Industry, Commerce, Crafts and Services on the Commission Communication on New Challenges for Maritime Industries (COM (91) 335 final). Rapporteur: Mr Arena. Brussels, 6 April 1992. R/ CES 179/ 92 rev. Corr. I/ CH/ CAT/ hm 191 Corrigendum 2 15 to the Revised Preliminary Draft Opinion of the Section for Industry, Commerce, Crafts and Services on the Commission Communication on New Challenges for Maritime Industries (COM (91) 335 final). Rapporteur: Mr Arena. Brussels, 6 April 1992. R/ CES 179/ 92 rev. Corr. 2 I/ CH/ CAT/ hm Nach diesen Korrigenda soll auf Seite 6 ein neuer Paragraph 2.9.8. zu „future maritime transport requirements“ bzw. ein neuer Absatz unter 2.8.3. („Reedereiverwaltungskosten“) hinzugefügt werden, in dem die bisherigen Kommissionsvorschläge für ein attraktives EUROS-Register als unzureichend kritisiert werden. Nach der letzten Studiengruppensitzung am 7. April 1992 wird ein Entwurf der Stellungnahme als Vorlage für die Fachgruppensitzung mit entsprechendem „N.B.“-Vermerk („Dieses Dokument wird in der Sitzung am 6. Mai 1992 erörtert“) erstellt: Entwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen zu der Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (Dok. KOM (91) 335 endg.). Berichterstatter: Herr Arena. Brüssel, den 24. April 1992. Eingang: 9. April 1992. Versand: 24. April 1992. CES 179/ 92 (I) DC/ js Erstmals tauchen nun schriftlich eingereichte Änderungsvorschläge auf: Änderungsvorschlag von Frau Bredima-Savopoulou. CES 179/ 92 Änd. 1 (E) CD/ GD/ sk Änderungsvorschlag von Herrn Whitworth. CES 179/ 92 Änd. 2 (E) js Änderungsvorschlag von Herrn Lyons. CES 179/ 92 Änd. 3 (E) W/ DC/ el Lyons’ Änderungsvorschlag betrifft vier Textstellen, jeweils auch kurze Begründungen. Zu einem Konflikt kommt es in der Sitzung besonders durch den zweiten Teil dieses Änderungsvorschlags (Einfügung einer neuen Ziffer 2.10.5. zur „Berücksichtigung des menschlichen Faktors“; vgl. Kapitel 5.5.4). Die Primärtexte werden mit der Stellungnahme als Vorlage für die Plenarsitzung fortgesetzt: Ergänzende Stellungnahme der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen zu der Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (Dok. KOM(91) 335 endg.). Berichterstatter: Herr Arena. Brüssel, den 12. Mai 1992. CES 179/ 92 fin (I/ E) DC/ M/ DC/ hm Erneut wird ein Korrigendum vorgelegt: Korrigendum zur Ergänzenden Stellungnahme der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen zu der Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien 15 Die Zahl „2“ ist in allen drei Sprachfassungen zum Deckblatt des 1. Korrigendums mit Schreibmaschine hinzugefügt worden. Das zeigt, daß bei einem noch internen Text die Anforderungen an die äußere Form (Druck) im Zweifelsfall (Termindruck einen Tag vor der Sitzung) zugunsten von Arbeitsökonomie reduziert sind. 192 vor neuen Herausforderungen“ (Dok. KOM(91) 335 endg.). Berichterstatter: Herr Arena. Brüssel, den 21. Mai 1992. CES 179/ 92 fin Korr. (I/ E) M/ S/ sk Dieses Korrigendum ist das Ergebnis eines internen, informellen Vermittlungsgesprächs, durch das ein Konflikt auf der Fachgruppensitzung (vgl. Kapitel 5.5.4) ausgeräumt werden sollte. Es gibt nur einen Änderungsantrag für die Plenarsitzung: Änderungsantrag von Herrn Kaaris, 297. Plenartagung, 26./ 27. Mai, Punkt: 7, Dossier IND/ 444 „Maritime Industrien“. CES 179/ 92 fin Änd 1 (E) W/ hi Er möchte am Ende der Ziffer 2.7., in der es um den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit der EG-Flotte geht, einen Satz angefügt sehen: „Darüber hinaus ist die Schiffahrt dem unlauteren Wettbewerb anderer Verkehrsträger, namentlich des Schienen- und des Kraftverkehrs, ausgesetzt, die beide noch subventioniert werden.“ Diesen Antrag hat der in Brüssel wohnhafte Däne Kaaris, der auch in Sitzungen meist englisch spricht, auf englisch eingereicht. Er wird aber bei nur 2 Pro-Stimmen verworfen. Nach der Plenartagung am 26. Mai 1992 lautet die endgültige Fassung der Stellungnahme: Europäische Gemeinschaften, Wirtschafts- und Sozialausschuß: Ergänzende Stellungnahme der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen zu der Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (Dok. KOM(91) 335 endg.). Berichterstatter: Herr Arena. Brüssel, den 26. Mai 1992. CES 639/ 92 (FE) M/ DC/ el Sie wird nach einigen Monaten am selben Tag in allen neun EG-Amtssprachen im EG-Amtsblatt veröffentlicht, z.B. in der deutschen Fassung als Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission ,Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen* (92/ C 223/ 13). Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 223, 31.8.1992,8.36-41 Dabei werden in einem Vorspann die institutionellen Eckdaten der Textgenese dargestellt; dieser Vorspann wird als Textbaustein nicht eigens vom Berichterstatter formuliert, vielmehr werden in ein fertiges Muster vom WSA-Sekretariat die entsprechenden Daten eingefügt: „Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 17. Dezember 1991, gemäß Artikel 20 Absatz 3 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu vorgenannter Vorlage zu erarbeiten. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 1992 an. Berichterstatter war Herr Arena. 193 Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 297. Plenartagung (Sitzung vom 26. Mai 1992) einstimmig folgende Stellungnahme.“ Dieser Vorspann blendet somit die Arbeit in der Studiengruppe aus; auch wenn in Studiengruppen der Hauptanteil der WSA-Textarbeit geleistet wird und in ihnen wesentlich expliziter als in Fachgruppe und Plenum Interessendivergenzen expliziert werden und ein Interessenausgleich praktiziert wird, sind sie doch lediglich interne Arbeitsorgane des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Im Amtsblatt werden nur die Gremien aufgeführt, die durch die primäre EG-Gesetzgebung, u.a. die Römischen Verträge, etabliert worden sind: Fachgruppe und Plenum. 5.3.3 Sekundärtexte für die WSA-Stellungnahme Den Primärtexten ordnet sich im Verlauf der Textarbeit eine Reihe von Zusatztexten zu, die in unterschiedlichem Maße WSA-intem sind und verschiedene Adressatengruppen ansprechen sollen. Dazu gehört der Informationsvermerk .„Maritime Industrien“ (Ergänzende Stellungnahme)“ des WSA- Generalsekretariates, Dir. B, Dossier IND/ 444 Dokument CES 61/ 92 (1. und 2. Fassung) (PO) M/ S/ el, Brüssel, 28. Januar 1992 Dieser neunseitige Sekundärtext dient zur Information der Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialausschusses (vor allem der betroffenen Studien- und Fachgruppe). Er zählt die relevanten Angaben zum Verfahren auf (Rechtsgrundlage, Zuständigkeit einer WSA-Fachgruppe, Frist, Mitglieder der Studiengruppe, benannte Experten usw.), faßt den „wesentlichen Inhalt des Kommissionsvorschlags“ zusammen, referiert relativ ausführlich dessen abschließende Schlußfolgerungen und schlägt tabellarisch einen „Zeitplan für die Erarbeitung der Stellungnahme des Ausschusses“ vor. Einladungsschreiben zu den Studien- und Fachgruppensitzungen sind im Briefkopf formularartig neunsprachig, die Schreiben selbst werden einzeln in den neun EG-Amtssprachen verfaßt. Thema der ersten Studiengruppensitzung soll außer den Formalien vor allem eine „Erörterung der Mitteilung der Kommission [...]“, bei der zweiten Sitzung eine „Erörterung des Vorentwurfs einer Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission [...]“ sein. Zum ersten Mal für diese Studiengruppe findet sich auf dieser Einladung ein Vermerk „Arbeitssprachen: D-E-F-GR-I“; er wird zu Beginn der Sitzung durch eine Erklärung des zuständigen WSA-Beamten modifiziert (vgl. Kapitel 5.4). Das Einladungsschreiben wird also nicht nur in der eingeschränkten Zahl von Arbeitssprachen für diese Sitzung bzw. Studiengruppe erstellt, sondern in allen Amtssprachen. Während sich die Studiengruppe nur dem einen Text widmet, für den sie konstituiert worden ist, umfaßt die Tagesordnung der Fachgruppensitzung zehn Punkte, von denen fünf einer „Erarbeitung der Stellungnahme der Fachgruppe“ dienen; die Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission „Die 194 maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ ist nach den Formalien (Annahme des Entwurfs der Tagesordnung und Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung) der erste inhaltliche Tagesordnungspunkt. Auch dieser Einladungsbrief liegt in den anderen acht EG-Amtssprachen vor. Es gibt schriftliche Kommentare von Mitgliedern der Studiengruppe zum Arbeitsdokument: Maratime (sic! ) industries study group: 5 February 1992. Submission by Liam Connellan (als Telefax geschickt am 30.1.1992 um 16.45 Uhr) F. J. Whitworth, Telefax am 8.2.92: Section for industry, commerce, crafts and services, Study Group on Maritime Industries (Rapporteur: Mr Arena) Das sind zumeist Diskussionsbeiträge von Mitgliedern der Studiengruppe, die nicht zu der betreffenden Sitzung kommen können, aber doch eigene Interessen verbringen wollen. So beginnt Connellan mit einer in fünf Punkte gegliederten Problemdarstellung zur Fischerei („Fishing“), in der er eine Ausweitung einer Fischereizone von 6 auf 12 Meilen fordert, zu der erst nach zwischenstaatlichen Vereinbarungen ausländische Fischer Zugang haben sollen. Auf diese Weise thematisiert Connellan partikulare irische Wirtschaftsinteressen. Connellan ist auch in späteren Sitzungen nie präsent, und dieser Punkt wird bei den späteren Textfassungen nicht berücksichtigt. Ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Abwesenheit und Nichtberücksichtigung besteht, mag dahinstehen zumindest haben in der Studiengruppenphase nur schriftlich eingereichte Vorschläge kaum eine Chance, da sie dann in der Sitzung auch nicht behandelt werden und der Berichterstatter sich nicht ausdrücklich zu ihnen äußern muß. Das Protokoll zur Fachgruppensitzung umfaßt eine Anwesenheitsliste und die Ergebnisse der Beratungen (Abstimmungsergebnisse zu den Änderungsvorschlägen und der gesamten Stellungnahme). Zu Tagesordnungspunkt 4 („Die maritimen Industrien...“) führt es aus: „Die Fachgruppe nahm mit 36 gegen 6 Stimmen bei 7 Enthaltungen die Stellungnahme zu folgender Kommissionsvorlage an: [...] Die Fachgruppe nahm einige Änderungsvorschläge von Frau BREDIMA SAVOPOULOU und Herrn WHIT- WORTH an. Ein Änderungsvorschlag von Herrn Lyons zur Situation der Arbeitnehmer wurde entgegen dem Standpunkt des Berichterstatters angenommen, der dann gegen die Stellungnahme der Fachgruppe stimmte.“ (S. 3) Protokolle der Fachgruppensitzungen unserer anderen Fallstudien deuten auch inhaltliche Argumente an und listen die Diskutanten auf; offenbar ist die Ausführlichkeit des Fachgruppenprotokolls nicht strikt normiert. Die Pressemitteilung vor der Plenartagung erscheint in allen Sprachen, die deutsche Fassung trägt den Reihentitel „WSA aktuell“. Die Ausgabe vom Mai 1992 weist wie üblich auf die vorläufige Tagesordnung der nächsten Plenartagung, hier am 26./ 27.5.1992, hin, indem sie alle Kurztitel mit Spie- 195 gelstrichen aufzählt; hervorgehoben werden durch die Überschrift zu dieser Meldung die Tagesordnungspunkte „Fischerei und Economic sociale 1 (Gemeinwirtschaft)“ die „Maritimen Industrien“ nicht! Das deutet darauf hin, daß diese Stellungnahme nach Einschätzung der WSA-Pressestelle zu den weniger wichtigen für die Tagung in diesem Monat zählt. Tagesordnung und Zeitplan für die Plenartagung: Der „Entwurf der ausführlichen Tagesordnung für die 297. Plenartagung des Wirtschafts- und Sozialausschusses am 26. und 27. Mai 1992 im Ausschußgebäude, 2, rue Ravenstein zu Brüssel“ erscheint in zwei Auflagen: am 19. Mai und aktualisiert am Vortag der Sitzung, also am 25. Mai. Zusätzliche Informationen zum Ablauf gibt der gleichfalls am 25. Mai erscheinende „Zeitplan für die Abwicklung der Arbeiten im Rahmen der 297. Plenartagung des Wirtschafts- und Sozialausschusses am 26.Hl. Mai 1992“, der mit ungefähren Uhrzeiten die Verteilung der Tagesordnungspunkte auf die beiden Sitzungstage angibt. Aus diesen beiden Texten geht hervor, daß die Stellungnahme „Maritime Industrien“ die erste ist, die nach dem „Verfahren mit Debatte“ verabschiedet werden soll. Die Gegenstimmen in der Fachgruppe, u.a. die des Berichterstatters, und der Änderungsantrag für die Plenartagung machen ein Verfahren mit Debatte obligatorisch. Nach der Plenartagung gibt es zwei Pressemitteilungen: Zum einen gibt der WSA-Pressesprecher Francis Whyte eine nur auf französisch verbreitete Gesamtübersicht heraus (297eme session pleniere. IB 5/ 92. Bruxelles, juin 1992). Darin wird die Stellungnahme „Maritime Industrien“ an 2 Stellen erwähnt: in der Einleitung (unter der Kapitelüberschrift „L’economie sociale en vedette“): „Deux avis concement les affaires maritimes. L’un porte sur la communication de la Commission ,Nouveaux defis aux industries maritimes*. II s’agit d’un avis complementaire ä celui que le Comite avail formula en novembre 1990 sur la politique industrielle dans un environnement ouvert et concurrentiel. Grace ä cet avis d’initiative, le Comite a obtenu sa participation au Forum mis en place par la Commission sur cette question.“ Hier wird also ein greifbares politisches Ergebnis der Stellungnahme, die Teilnahme des WSA am Kommissions-Forum, fokussiert; im einzelnen unter der Kapitelüberschrift „Pour une politique specifique de soutien aux industries de transport maritimes et de la construction navale“ (S. 14-17). Zum anderen gibt es eine eigenständige Pressemitteilung für die Stellungnahme „Maritime Industrien“, die in allen Sprachen erscheint: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Pressemitteilung PK 27/ 92: Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen. Die gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik muß durch eine besondere Hilfe für die gemeinschaftliche Schiffahrts- und Schiffbauindustrie ergänzt werden. Brüssel, den 2. Juni 1992. 196 Diese zweiseitige Zusammenfassung der WSA-Stellungnahme, vor allem der Forderungen, zitiert die mündliche Präsentation des Berichterstatters in der Plenartagung: Sieben Richtlinien zur Unterstützung des Schiffbaus wurden bereits angenommen“, erklärte der Berichterstatter, Herr Romolo Arena (Präsident der FINSIDER Internazionale, Italien), bei der Vorlage der Stellungnahme im Plenum. ,Mit der siebten ist die Kommission bis an die Grenzen des Machbaren gegangen. Unsere maritimen Industrien sind der weltweiten Konkurrenz schutzlos ausgeliefert.““ (S. 1) Diese Zitiertechnik paßt zur Maxime des WSA-Pressesprechers, mit der er seine Presseerklärungen journalistisch-lebendig gestalten möchte: „If something is said during the debate in a more journalistic way, say if the rapporteur, introducing the debate will use a formula which he didn’t use in his draft, you know, written by hand, or writing, then we’ll put it in the Release and give it a bit of life.“ Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Texten und Textsorten wird graphisch deutlich. 16 5.4 Zusammensetzung, Sprachenverteilung und Arbeitsweise der Studiengruppe Die Arbeitssprachen in der Studiengruppe werden in der Regel auf dem Einladungsschreiben angekündigt; bei der 1. Sitzung am 12.2.1992 unterbleibt 16 vgl. beiliegende Graphik. Legende zur Numerierung der Texte (chronologisch geordnet): 1 Mitteilung der Kommission „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“ (20.9.1991) 2 Teilnehmerliste des Maritimen Forums, 28.1.1992 3 Informationsvermerk des WSA-Generalsekretariats, 28.1.1992 4 Einladung zur 1. Studiengruppensitzung, 29.1.1992 5 Arbeitsdokument, 5.2.1992 6 Schriftliche Diskussionsbeiträge von Studiengruppenmitgliedem, 30.1 ./ 8.2.1992 7 Einladung zur 2. Studiengruppensitzung, 17.2.1992 7a Einladung zur 3. Studiengruppensitzung 8 Vorentwurf einer Stellungnahme, 3.3.1992 9 Revidierter Vorentwurf einer Stellungnahme, 24.3.1992 10 1. Korrigendum zu 9, 6.4.1992 11 2. Korrigendum zu 9, 6.4.1992 12 Aufnahmevermerk zur 3. Studiengruppensitzung, 7.4.1992 13 Einladung zur Fachgruppensitzung, 10.4.1992 14 Entwurf der Stellungnahme, 24.4.1992 15 Änderungsvorschläge aus der Fachgruppe 16 Protokoll der Fachgruppensitzung, 6.5.1992 17 Pressemitteilung „WSA-Aktuell“ über das Plenum vom 26.5.1992 18 Tagesordnung und Zeitplan für die Plenartagung, 19. und aktualisiert am 25.5.1992 19 Entwurf der Stellungnahme, 12.5.1992 20 Korrigendum zu 19, 21.5.1992 21 Änderungsantrag für die Plenarsitzung, 26.5.1992 22 Endgültige Fassung der Stellungnahme, 26.5.1992 23 Pressemitteilungen zur „297eme session pleniere“ Nr. PK 27/ 92 24 Veröffentlichung der Stellungnahme im EG-Amtsblatt Nr. C 223, 31.8.1992 Textgenese der Stellungnahme "Maritime Industrien 197 wird referiert in Wirtschafts- und Sozialausschuß 198 das jedoch. Bei der Einladung für die 2. Sitzung am 12.3.92 wird eine symmetrische Verdolmetschung (D-E-F-GR-I) angekündigt, von der dann in der Praxis abgewichen wird (Hören: D-E-I-GR; Sprechen: D-E-I-GR-DÄ-SP- FR). Zum Berichterstatter ist zuvor vom Präsidium der Fachgruppe, d.h. außerhalb der Verfügungsgewalt dieser Studiengruppe, das italienische WSA-Mitglied Arena aus der Arbeitgebergruppe bestellt worden. Ihm steht ein Landsmann, der Präsident eines Werftenverbandes Silvestrini, als Sachverständiger zur Seite. Zur Studiengruppe gehören WSA-Mitglieder aus sieben Staaten: drei Briten, ein Däne, neben dem Vorsitzenden ein weiterer Deutscher, zwei Griechen, ein Ire, neben dem Berichterstatter ein weiterer Italiener, zwei Niederländer und zwei Spanier. Die Experten der drei Gruppen kommen aus Großbritannien, Italien und Frankreich. In Sitzungen von Studiengruppen sollen nicht mehr als vier, bei abweichender Sprache des Berichterstatters allenfalls fünf Sprachen verwendet werden. Man versucht zwar in der Regel, dieses Kriterium bei der Zusammenstellung der Gruppe zu berücksichtigen im Fall der „Maritimen Industrien“ war das offenbar nicht möglich, weil gerade hier starke maritime Interessen aus EG-Ländem mit kleineren Sprachgemeinschaften, z.T. gerade aus peripheren Ländern, involviert waren (z.B. Griechenland). Dagegen wurde auf Niederländisch aktiv und passiv verzichtet trotz der starken Bedeutung, die maritime Industrien für dieses Land haben, weil offenbar die niederländischen Studiengruppenmitglieder bereit waren, auf eine Fremdsprache auszuweichen. WSA-Sitzungen haben drei Phasen: (1) Eröffnung (Präliminarien zur Geschäftsordnung); (2) Textbehandlung (meist in der Abfolge: Berichterstatter stellt seinen Entwurf vor - Kommissionsmitglied nimmt Stellung, Diskussion dazu allgemeine Aussprache zum Textentwurf seitenweise Prüfung des Dokuments); (3) Schluß (z. B. weitere Terminplanung). Die Phase 2 umfaßt bei Studiengruppen nur einen Text, in Fachgruppensitzungen sind es mehrere Texte, bei Plenartagungen eine Vielzahl; so werden auf der 297. Plenartagung vom 26.121. Mai 1992 neben der Stellungnahme „Maritime Industrien“ 23 Stellungnahmen verhandelt, davon allein elf mit Debatte. So kann in Studiengruppen wesentlich ausführlicher diskutiert werden. Institutioneile Sprachenprobleme (z.B. fehlende Verdolmetschung in eine eigentlich vorgesehene Arbeitssprache oder nicht vorliegende Sprachfassungen von Texten) werden charakteristischerweise bei der Sitzungseröffnung explizit thematisiert. So wird auch hier die aktuelle Arbeitssprachenregelung mehrmals durch entsprechende Ansagen des Studiengruppenvorsitzenden angesprochen. 199 Derartige Probleme werden in der Studiengruppensitzung vom 12.3.1992 ausführlich behandelt: dann darf ich ganz offiziell jetzt zum Tagesordnungspunkt zwei kommen/ Erörterung des Vorentwurfs und darf Herrn Arena *** bitten *** eine Einführung zu geben/ &bevor er aber dazu das Wort nimmt/ möchte ich noch etwas nachholen/ *3* man kann-eh *** sprechen/ *** Deutsch Englisch Italienisch und Griechisch/ ** Französisch Dänisch und Spanisch/ aber hören ** nur die Sprachen Deutsch Englisch Italienisch und GriechischX Das ist also die- ** das ist die: ** Kleiderordnung die man uns * vorgegeben hatich bitte also um Nachsicht daß es nicht möglich war für alle Bereiche hier ** volle Übersetzung zu gewährleisteriv *** Haben Sie nichts verstanden- [Nebengespräch mit dem zuständigen Beamten des WSA-Generalsekretariats] >keine französische Übersetzung <also Französisch kann man doch hören\ >das ist ja <würden Sie das bitte mal jetzt sagenwie des genau ist\“ Der Studiengruppenvorsitzende spricht hier metaphorisch („Kleiderordnung“), aber nicht scherzhaft an, daß die Sprachenregelung außerhalb seiner Verfügungsgewalt oder der der Arbeitsgruppe liegt; mit der Darstellung der Details der asymmetrischen Verdolmetschung ist er nicht ausdrücklich vertraut; daher läßt er den zuständigen portugiesischen Beamten des WSA-Generalsekretariats auf französisch den Sachverhalt darstellen. Der Studiengruppenvorsitzende ist mit dem Verzicht auf Französisch als Arbeitssprache nicht zufrieden, denn er sieht den französischen Experten der Gruppe II benachteiligt: „Aber wir haben jawir haben ja auch einen Experteneinen einen Experten der Franzose ist\ ist das nicht berücksichtigt wordenX ** der Experte der Gruppe zwei/ ist FranzoseX jadann ist er nur eingeschränktalso Französisch können Sie sprechenX ** ja\ aber nicht- ** nicht hören- *2* ja/ *4* <jaalso ich kann’s im Moment nicht ändern/ aber da muß doch ein kleiner Lapsus passiert sein &also wir haben doch einen Franzosen der sichder=eh ** nur reden kann/ aber dann im Grunde genommen nicht hörenX *** gut ich kann’s nicht ändern aber ich möchte doch darum bitten daß wir das nächste Mal dannversuchen diese Dinge *** in in Ordnung zu bringenX *** jaauf dem auf dem Dokument auf dem Dokument bei den Arbeitssprachen/ da darf ich noch sagen/ ist Französisch angegebenX *35* und nachdem die Experten der Gruppen ja auch ** wichtige Mitglieder der Studiengruppen sindwenn ja ihr Sachäh verstand mit eingehen soll in die Beratungen ** sollten wir sie natürlich hier von einer exakten Mitwirkung ** an den Gruppen auch nicht ausschließenX Vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit jetzt hier- *** hier-äh *2,5* Ersatz herbeizuschaffen/ *7* >ja\“ Der WSA-Beamte akzeptiert diese Aufgabenzuweisung und verspricht, man werde sich darum kümmern, aber sofortige Abhilfe sei nicht möglich das kommentiert der Studiengruppenvorsitzende nochmals; „Ja\ ich kann des also nur so mit Bedauern zur Kenntnis nehmen/ aber ich kann’s im Moment nicht ändern/ &vielleicht gibt’s noch eine Chance/ “ Nach dem einführenden Referat des Berichterstatters nimmt der Vorsitzende nochmals das Thema auf seine negative Ergebnisfeststellung zuvor ist vom Generalsekretariat als indirekte Kritik rezipiert worden, und organisatorische Aktivitäten hinter den Kulissen haben zu einer Lösung des Problems geführt: 200 „Bevor wir nun in eine ** allgemeine Diskussion hierüber eintreten/ darf ich noch mitteilen daß wir in etwa dreißig Minuten ** auch eine französische Vollübersetzung haben/ so daß dann ** hier eh kein Defizit mehr vorhanden ist\ Herzlichen Dank dem Sekretariat daß es das so schnell ermöglichen konnteX“ 5.5 Interaktiv-mehrsprachige Textarbeit Im Zuge der Textarbeit, zunächst in den Studiengruppen, dann in der Fachgruppe, abschließend im Plenum, stehen unterschiedliche Aspekte des Textes im Fokus. Zunächst geht es um die Rahmenbedingungen: In welcher Weise bearbeitet der WSA-Text Vorlagen der EG-Kommission, hat die EG-Kommission in diesem Fall den WSA fair behandelt? Gerade im Fall der „Maritimen Industrien“ betonen die WSA-Mitglieder ausgiebig das Gegenteil: Die Kommission hat eine Mitteilung nur an den EG-Ministerrat und an das Europäische Parlament geschickt, sie hat den WSA zudem nicht in das „Maritime Forum“ eingeladen. Fragen in dieser Phase sind: Was soll die WSA-Stellungnahme bezwecken, wer sind ihre Adressaten, soll die Stellungnahme eher pragmatisch-sachorientiert oder politisch akzentuiert sein? Die zweite Phase der Textarbeit betrifft globale Aspekte des Textes, z.B. wesentliche Gliederungspunkte. Schließlich wird an einzelnen Formulierungen gearbeitet informell in der Studiengruppe, formell (mit Änderungsvorschlägen bzw. -anträgen) in der Fachgruppe und im Plenum. Verstöße gegen dieses Ablaufmodell werden nicht nur in diesem Fall, insbesondere vom Berichterstatter, als indirektes Mittel interpretiert, Kritik zu äußern. Das Handlungs- und Textwissen, das aktive Teilnehmer ausdrücklich artikulieren, läßt erkennen, wie sie die konstitutiven Merkmale der Textsorte „WSA-Stellungnahme“ definieren und welche Prinzipien der Formulierungsarbeit sie als gültig annehmen. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Episoden, wo unterschiedliche Auffassungen dazu als Meinungsverschiedenheiten thematisiert werden. Dazu gehören folgende Fragen: - Wo und wie werden globale Textkonzepte und Aufgabe.ikataloge des Berichterstatters (Selbst- und Fremdzuschreibungen) metakommunikativ thematisiert? - Wo finden explizit oder implizit Aushandlungen darüber statt, welche Strukturen der Text und welche Aufgaben die Beteiligten haben sollen? Wo werden entsprechend die Aufgaben und Kompetenzen der Studiengruppe zusammenfassend beschrieben? Ist das rituell oder Teil eines komplexen Aushandlungsprozesses, schon bei der Festlegung der Arbeitsweise bei der Texterstellung divergente Interessen anzumelden und „Claims“ abzustecken? Derartige divergente Interessen können beispiels- 201 weise bestehen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Schiffbau- und Fischereiländem oder Nord und Süd. - Gibt es auch Indikatoren einzelkulturell definierter Vertextungsstrategien, oder werden die systematisch zugunsten eines gemeinsam akzeptierten WSA-Stils ausgeblendet? Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen sind vor allem zu erwarten in den zusammenhängenden Referaten des italienischen Berichterstatters Arena. 5.5.1 Bezug zur vorgeordneten WSA-Stellungnahme „Industriepolitik“ Arena führt in der Fachgruppensitzung am 6.5.1992 in seinen Entwurf der Stellungnahme ein, indem er den Bezugstext der Kommission, die Nichtbefassung des WSA (weswegen zunächst von seiten der WSA-Fachgruppe an eine Initiativstellungnahme gedacht wurde) und die Einbettung dieser WSA- Stellungnahme in vorangegangene Aktivitäten benennt. Nach der deutschen Verdolmetschung sagt er: „Ich möchte daran erinnern, daß es dabei um die Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Parlament und den WSA geht, eine Mitteilung über ,die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen"; und ich möchte sagen, daß dies dem Ausschuß schon zugeschickt worden ist, aber an und für sich wurde der Ausschuß nicht um eine Stellungnahme gebeten; aber das Präsidium des Ausschusses beschloß, eine Inititiativstellungnahme zu machen, in Anbetracht der Wichtigkeit dieser Unterlage und vor allem auch deswegen, weil wir schon eine Stellungnahme zur Industriepolitik abgegeben hatten, wobei für den maritimen Sektor eigentlich nur ein kleiner Teil war. Ich muß dazu sagen, daß wir in dieser Fachgruppe seinerzeit schon eine sehr, sehr wichtige und gute Stellungnahme behandelt hatten, die unser Kollege Petersen ausgearbeitet hatte, die Stellungnahme über die Industriepolitik; und bereits in der Stellungnahme des Kollegen Petersen war eine Erwähnung der Probleme für die maritimen Industrien.“ Diese Darstellung spiegelt einen Lernprozeß beim Berichterstatter; in den Studiengruppensitzungen hat der Deutsche Petersen mehrfach insistiert, in der Stellungnahme müsse der Zusammenhang zu der von ihm verfaßten Initiativstellungnahme „Industriepolitik“ betont werden. Als sich der Berichterstatter auf der Sitzung am 12.3. zu Beginn seines Referats zum Vorentwurf über die ihm zugewiesene Aufgabe einer „ergänzenden Stellungnahme“ überrascht zeigt und die Frage aufwirft, ob es in der 2. Zeile nicht statt dessen besser „Initiativstellungnahme“ heißen müsse, läßt der Studiengruppenvorsitzende eine Unterbrechung durch Petersen zu, der seine Korrektur in einer höflichen Perspektivenübemahme versteckt: „<Ergänzende Stellungnahme- Ich bin auch etwas überrascht Herr Arena/ Ich glaube das so zu erklären/ ** daß man die Grundstellungnahme zur Industriepolitik als ** die Ausgangsstellungnahme * sah und die anderen die sich mehr sektorspezifisch ausrichten wie die Elektronikindustriewie die maritimen Industrienwie die Biotechnologiewie die Textil- und Bekleidungsindustriedaß man diese alle jeweils als ** ergänzende Stellungnahme zur Grundstellungnahme ** bewertet oder so sieht\ eh ich sehe darin 202 keinen negativen ** Touch/ e: h aber ich wollte das nur noch mal zur Erklärung mit beifügen\ja\“ Das veranlaßt den Vorsitzenden zu einer auf das aktuelle Textgeneseverfahren bezogenen Reformulierung: „das würde also heißenwir müssen dann hier eine kleine Änderung vornehmen/ Man müßte dann sagen daß der Wirtschafts- und Sozialausschuß zur eurol europäischen Industriepolitik eine Stellungnahme abgegeben hat/ und daß hierzu eine ergänzende Stellungnahme zum besonderen Bereich ** der maritimen Industrie jetzt hier erfolgfx So etwa in dieser Richtung/ das wird aber dann der Berichterstatter mit dem Sekretariat ** zusammen in die richtige Form bringen'. Herr Arena- Sie haben weiter das Wort\“ Interessant ist hier seine Technik, den Fokus aufzulösen, bevor er dem Berichterstatter zur Fortsetzung seines Referats wieder das Wort erteilt: ein Verweis auf die WSA-Arbeitsteilung der präzise Stellungnahmen-Status wird zur Formalie heruntergestuft, die Arbeit in der Studiengruppe soll aber von Formalien entlastet werden, denn dafür ist das Sekretariat als Hilfsorgan des Berichterstatters zuständig. Im revidierten Vorentwurf wird ein neuer erster Absatz in die „Einleitung“ aufgenommen: „Dieses Dokument ergänzt die frühere Stellungnahme des Ausschusses [Fußnote: ABI Nr. C 40 vom 17.2.92] zu der Mitteilung der Kommission ,Die Industriepolitik in einem offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld* (Dok. KOM(90)556 endg. vom 16. November 1990).“ Neben dieser formalen Kohärenz ist aber schon in den „Schlußfolgerungen“ des Vorentwurfs für einen inhaltlichen Verweis gesorgt worden: „Der Ausschuß plädiert erneut (vgl. Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission .Industriepolitik in einem offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld* [Fußnote mit Verweis auf das Amtsblatt] für eine klare Trennung zwischen der allgemeinen Ausrichtung und den wirtschaftspolitischen Instrumenten.“ Diese Formulierung bleibt bis zur Veröffentlichung im Amtsblatt gleich, wird lediglich durch einen Nachsatz ergänzt, der einen Schwerpunkt der zwischenzeitlichen Diskussion in den Sitzungen berücksichtigt: „[...] wobei den Wettbewerbsaspekten besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist.“ 5.5.2 Teilnahme des WSA am „Maritimen Forum“ In jeder Sitzung wird das Problem einer Teilnahme des WSA am „Maritimen Forum“ thematisiert, das von der Kommission in den „Schlußfolgerungen“ ihrer Mitteilung initiiert und vor der ersten Studiengruppensitzung auch schon konstituiert worden ist. In der ersten Studiengruppensitzung am 12.2.1992 wird eine Teilnehmerliste (auf französisch) der ersten Sitzung des „Maritimen Forums“ vom 28.1.1992 verteilt; danach haben u.a. Mitglieder des Europäischen Parlaments, Vertreter aus EFTA-Staaten und europäischer 203 Fachverbände (Weiften, Reeder, Fischerei, Bohrgesellschaften, Gewerkschaften) teilgenommen der WSA war nicht eingeladen. Der Stil, dieses Problem zu thematisieren, verändert sich im Verlauf der WSA-Textarbeit erheblich: Zunächst handelt es sich um mündlich direkt vorgetragene Beschwerden, daß der WSA nicht eingeladen wurde, gerichtet an den anwesenden Kommissionsvertreter, und Aufforderungen, Abhilfe zu schaffen. Die Nichteinladung soll im Text der Stellungnahme erwähnt werden. Später aber, als der WSA zu den folgenden Sitzungen des „Maritimen Forums“ doch noch eingeladen wird, beglückwünscht man sich gegenseitig zu diesem politischen Erfolg. In der ersten Studiengruppensitzung am 12.2.1992 hat vor einer Behandlung des Arbeitsdokumentes des Berichterstatters der Kommissionsvertreter Carvalho Gelegenheit, die Position der Kommission darzustellen; er beschließt seinen Vortrag mit der Zusage, Meinungen des WSA würden positiv aufgenommen werden. Der Studiengruppenvorsitzende Flum räumt sich darauf zunächst selbst ein ausgebautes Rederecht ein. Nach der routinemäßigen Dankesformel „Herzlichen Dank Herr Carvalho für die Einführung in dieses Dokument“ begründet er diese Selbstwahl mit den angeblichen Rollenbeschränkungen seiner Funktion als Studiengruppenvorsitzender: „ich darf mir einige * Bemerkungen erlauben weil ich ja nachher an der Diskussion auch nicht so teilnehmen kann ** in dieser Funktion-“. Eine solche vorgebliche Bescheidenheit instrumentalisiert er auch rahmend gegen Ende seines Statements, indem er in der Form einer Entschuldigung („ich bitte um Nachsicht, wenn ich vielleicht=eh eh ** als Vorsitzender ** im Moment meinen Bogen überspannt habe“) die Kontinuität in der WSA-Arbeit behauptet und sich besondere Rechte zuschreibt, die Position des WSA zu vertreten. Im folgenden beschwert er sich über die Art, wie die Kommission den WSA in diesem Fall behandele; kontrastiv bewertet er die Zusammenarbeit bei der vorangegangenen Stellungnahme zur „Industriepolitik in einem offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld“ positiv („aufgefordert von Kommissar Bangemann“), definiert als „Botschaft“, d.h. als Kemaussage dieser Stellungnahme: „[...] daß man wegen der * wirtschaftlichen politischen ökonomischen Sicht/ *** diese europäische Industriepolitik nur erfolgreich verwirklichen können/ ** wenn auch die Arbeitnehmer und ihre Organisationen mit einbezogen werdenX“ Flum benutzt hier mithin den Verweis auf eine vorgängige WSA-Stellungnahme, um Interessen der gewerkschaftlichen Gruppe II, der er angehört, zu artikulieren. An einer späteren Stelle seines längeren Kommentars kritisiert Flum die Zusammensetzung des „Maritimen Forums“, die die „soziale Dimension“ nicht berücksichtige. Insgesamt steht Flums Statement in der Linie eines argumentativen Topos, die institutioneile Rolle des WSA zu thematisie- 204 ren und die von ihm erwartete Synthese von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerpositionen hochzustufen. Man hat nun den Eindruck, daß sich Flum und Petersen gegenseitig die „Bälle zuwerfen“: Petersen gibt vor, Flums Kritik an der Kommission zu moderat zu finden. In seinem mehrteiligen Statement stuft er zunächst die Frage der Beteiligung des WSA am „Maritimen Forum“ in der Relevanz zurück („ich will jetzt gar nicht mehr eh darüber diskutieren [...]“) und klagt in ironischer Brechung („so distinguiert sollte man uns eigentlich einschätzen-“) zumindest einen Beobachterstatus für den WSA ein. Interessanterweise wird diese Kritik an der Kommission erst nach der Einführung des Berichterstatters in sein Arbeitsdokument expandiert und expliziert. In der zweiten Studiengruppensitzung am 12.3.1992 eröffnet Petersen, nachdem der Berichterstatter seinen Vorentwurf präsentiert hat, die allgemeine Diskussion mit generellem Dank an ihn und Lob für den Text, insbesondere für die Schlußfolgerungen. Im Widerspruchsteil seiner längeren Äußerung verbindet er das Thema „Nichteinladung des WSA“ strategisch geschickt mit einem in dieser Phase der Textarbeit anstehenden Problem, nämlich der Zielsetzung der Stellungnahme: ■■ Eine Fragedie hält ich allerdings an den Berichterstatter/ und das ist die Frage ->die wir im Grunde genommen in der ersten Sitzung auch schon angesprochen haben\ <Welche Zielrichtung verfolgen wir mit diesem ** PapierX Es gibt=eh seit dem 28. Januar/ diese vier Arbeitsgruppen im im Rahmen des DiskussionsforumsX Eh sie werden sich konkret ** befassen ** a mit der ökonomischen Analyse/ b mit Forschung und Entwicklung/ Sicherheit und Umweltschutz und der Meeres**boden**technik wenn nicht das- oder mit dem maritimen Verkehrt eh/ ** wenn wir ** einleitend beklagen daß wir im Grunde genommen nicht gehört werden- ** dann ** hätte ich mir vorgestellt sollten wir in diesem Papier ** noch konkreter als es bisher geschehen ist/ unsere Vorstellungen zu den einzelnen Abschnitten ** artikulieren die ** jetzt in den Arbeitsgruppen behandelt werderiv Ganz konkretwas erwarten wir im Rahmen der Forschung und Entwicklung/ Was erwarten wir im maritimen Verkehr/ Was erwarten wir bei Sicherheit und UmweltschutzX Ich frage nur zunächst mal/ ob wir so weit gehen wollen- Ich könnt es mir eben vorstellen um damit klar ** zu sagen ** ,ihr habt einen Fehler begangen liebe Kommission indem ihr uns nicht eingeladen habt- >in diesem Diskussionsforum an diesem Diskussionsforum in den Arbeitsgruppen ** mitzuwirkenV eh: ** ja oder wollen wir eine generelle Stellungnahme in der wir also auch die Probleme ** der maritimen Industrien nochmals sehr deutlich schildernsehr drastisch schildern/ und im Grunde genommen primär das Ziel haben den Problemaufriß den die Kommission ja schon ** in Umrissen gemacht hat in ihrem Papier nochmals ** konkreter eh und weiter vielleicht mit neuen Aspekten versehenvorzutragenX Das sind zwei Zielrichtungen man kann sie natürlich auch beide verbinden ** nur ich hätte eh ** mir gewünscht/ daß man ** in den Einzelaspekten ** sehr konkret dann Vorschläge findet/ zu del in del also für die einzelnen Arbeitsgruppen- ** eh konkrete Vorschläge oder noch konkretere Vorschläge findet <-als sie bisher in diesem Papier enthalten sind\“ Petersen stellt hier zwei Modelle einer textuellen Makrostruktur als Alternativen einander gegenüber: 205 - Orientierung an den Aufgaben, die den einzelnen Arbeitsgruppen des „Maritimen Forums“ zugewiesen sind vs. genereller Problemaufriß als Konkretisierung und Aspektualisierung der Kommissionsmitteilung. Petersen sagt zwar nicht explizit, welches das von ihm präferierte Textmodell ist; die erste Alternative wird aber unterschwellig als argumentativ vorteilhafter angedeutet zum einen, weil so die Kapitel des WSA-Textes als Beitrag zu den Themen des „Maritimen Forums“ handlungsorientiert festgelegt sind und nicht schlicht die Kommissionsmitteilung reduplizieren; zum anderen, weil so der WSA in besonderer Weise seine Kompetenz beweisen kann (und damit die Kommission beschämen kann, die ihn verkannt habe). In dieser Studiengruppensitzung sind Petersens Überlegungen folglich stärker als in der ersten ausgewiesen als Reflexion zum Text der Stellungnahme. Auch in der 3. Studiengruppensitzung wird das „Maritime Forum“ thematisiertdiesmal aber in einer metakommunikativen Perspektive. An dieser Sitzung nimmt die Fachgruppenvorsitzende Robinson teil. Als sie sich zu Beginn der seitenweisen Prüfung in dem Moment zu Wort meldet, als der Studiengruppenvorsitzende von der als unproblematisch erachteten Einleitung“ (Kapitel 1.) zu den „Allgemeinen Bemerkungen“ (Kapitel 2.) übergehen will, verwirrt ihn das; auf seine Rückfrage, ob sie zur Einleitung eine Bemerkung machen wolle, liefert sie zwei Identifizierungshinweisezunächst auf englisch: „Yes * on one one one-“ Der Hinweis kommt nicht an, auch weil sie nicht ihr Mikrofon eingeschaltet hat; so beginnt sie ihren Redebeitrag mit einer deutschen Lokalisierung auf dieser Ebene elementarer Verständigungssicherung werden kurzzeitig im WSA fremdsprachige Identifizierungshilfen präferiert: „eins-eins-eins- ** er because em as somebody who isn’t an expert in the sher maritime industries-1 didn’t understand what the Forum * wasand so I would just like toit comes back to itit’d be nice to have it explained'.“ Diese Anregung wird aus einer demonstrativen Nicht-Experten-Perspektive vorgetragen: Die WSA-Stellungnahme soll sich nicht nur an Insider wenden; Robinson tritt hier auf als Anwältin zukünftiger Leser der Stellungnahme außerhalb des WSA und macht deren fehlende Wissensvoraussetzungen zum Problem. Das wird vom Studiengruppenvorsitzenden explizit begrüßt: „Ja- *** Sie haben Recht ich hab’ mir das auch angekreuzt das Forum/ ** äh wenn man nicht weiß wie die Dinge gehen/ solltl sollte hier bei eins eins eins noch eine kurze Erklärung dazuwas dieses Forum eigentlich bedeutet damit auch derjenige- ** der nicht an der Sitzung ** der Studiengruppe teilnimmt weiß um was es hier geht\ also bei eins eins eins/ wo wir sagen es soll ein Beitrag zu den Arbeiten des Forums sein/ sollten wir noch etwas ** das Forum präzisieren/ damit man weiß/ ** was unter diesem Forum zu 206 verstehen ist\ das ist ja das Gremium wo man uns eigentlich ** ausgeschlossen hatte\ wo wir jetzt aber dann doch die Chance bekommen/ auch noch unsere Vorstellungen einzubringenX“ Wie drücken sich diese Interventionen nun in den einzelnen Entwürfen der Stellungnahme aus? Der „Vorentwurf einer Stellungnahme“ vom 3.3.1992 enthält als „Einleitung“ zwei Absätze, davon als ersten: „Leider muß festgestellt werden, daß die Kommission es nicht für nötig erachtet hat, den Ausschuß bereits zu Beginn der diesbezüglichen Überlegungen ausdrücklich um seine Vorschläge zu einer Thematik zu bitten, die so brisante wirtschaftliche und soziale Aspekte beinhaltet wie ,Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen*.“ In der Studiengruppenarbeit wird nicht mit formellen Anträgen gearbeitet; statt dessen werden Anderungswünsche als Vorschläge an den Berichterstatter ausgegeben (vgl. Kapitel 3.3.1). Zu dieser Stelle gibt es aufeinanderfolgend zwei solcher Vorschläge, der erste vom deutschen Mitglied Petersen: „Herr Arenaeh Herr * Berichterstatter wie wäre es denn wenn wir hier in- ** eh wir wollen ja den Text des Vorspannes auch ändern'-. ** im Hinblick auf die Erläuterung der ergänzenden Stellungnahme- und wenn wir in diesen Satz gleich mit hineinfügen- ,<-und deshalb verzichtet der eh Ausschuß auch darauf/ die in diesen Grunddokumenten enthaltenen ** Anregungen ->für horizontale Maßnahmen hier nochmal * im einzelnen zu wiederholenV man kann’s ja nachlesen'x der zweite Punkt/ ** und damit bin ich schon bei Seitei bei der Einleitung/ *** im Punkt eins eins- ** da steht,diese Stellungnahme soll ein Beitrag zu den Arbeiten des Forums- und so weiter die sich noch bis Ende Oktober oder bis Oktober hinziehen wirdV könnten wir hier * nicht auch einen ergänzenden Satz anbringen/ daß der Ausschuß sich zu diesen verschiedenen * Gebieten- ** um die es sich hier handelt in dem Rahmen der maritimen Industrien/ eh verschiedentlich geäußert hat und ** ehdiese *** em Dokomente nochmals zitierendamit man sofort weiß wo wol ** wo läuft das hin/ und auch hier sagen ,und zu diesen konkreten ** Vorschlägen verweisen wir- ->zu unseren konkreten Vorschlägen in diesem Zusammenhang verweisen wir auf diese DokumenteV das wäre einfach zur Klarstellung vielleicht ne ** Anregung'-. >vielen DankV* Der Studiengruppenvorsitzende akzentuiert seinen Vorschlag zum selben Thema etwas anders und versucht, den Erfolg seiner Intervention dadurch abzusichem, daß er dem Berichterstatter eine Ratifizierung seines Vorschlags vorab unterstellt: „darf ich mir auch noch eine Anregung an den Berichterstatter erlauben- ** also ich würde bei eins eins- *** mit einer positiven ** mit einem positiven Satz beginnenich darf’s mal so: ** lose formulieren ich würde sagen/ *** ,der Wirtschafts- und Sozialausschuß hat sich in den zurückliegenden Jahren/ ** schon mehrfach und sehr präzise ** mit Fragen der maritimen Industrie beschäftigt ** die jeweilige Zusammenarbeit/ mit der Kommission/ ** war * konstruktiv ** und hatte für beide Seite positive ErgebnisseV und denn würde ich sagen *** ,es ist deshalb mehr als verwunderlich'X daß bei diesem Papier ** der Wirtschafts- und Sozialausschuß * im Grunde genommen gar nicht gehört werden sollteX* also ich würde zuerst sagen ** was wir seither für Beiträge ** eingebracht haben/ ** als Wirtschafts- und Sozialausschuß/ ** 207 und würde daraus dann folgern daß es eigentlich kein Verständnis dafür gibt ** daß die Kommission unsere Erfahrungen auf diesen Gebieten ** eigentlich nicht von sich aus abfragtX ich sehe der Herr Berichterstatter ist bereit- *** der Spur nach diesen Gedankengängen zu folgenX“ Schließlich übernimmt der Berichterstatter beide Vorschläge aber nur partiell. Im „Revidierten Vorentwurf einer Stellungnahme“ vom 30.3.1992 wird in der Einleitung vor dem bereits zitierten Satz eingefügt: „Dieses Dokument ergänzt die frühere Stellungnahme des Ausschusses [Fußnote mit Fundstelle im EG-Amtsblatt] zu der Mitteilung der Kommission „Die Industriepolitik in einem offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld“ (Dok KOM )90) 556 endg. vom 16. November 1990). 1.1. Der Ausschuß hat sich in den letzten Jahren schon mehrfach mit maritimen Problemen auseinandergesetzt [Fußnote mit den Titeln und Amtsblatt-Fundstellen von 5 WSA- Stellungnahmen aus den Jahren 1989 bis 1991].“ Der folgende Satz mit der Kritik an der Verfahrensweise der Kommission (Nichtbefassung des WSA) wird lediglich durch zwei Adverbien („nun“ und „diesmal“) an den Kontext adaptiert, aber nicht in der vom Studiengruppenvorsitzenden angeregten Weise in der Formulierung verschärft. 5.5.3 Rollenverteilung und Ansprüche an die Textgliederung Wie sieht der Studiengruppenvorsitzende Flum seine Rolle zwischen formaler Gesprächsleitung und inhaltlichen Beiträgen? In der ersten Studiengruppensitzung am 12.2.1992 sagt er: „es steht mir ja nicht zu * dem Berichterstatter *** Vorschläge zu unterbreiten aber ich möchte einige Gedanken noch anfügen/ ** in der Erwartung daß ereh: sie * sich einfach noch einmal * überlegtX“ Flum sichert seinen Übergriff, tatsächlich eine detaillierte Gliederung der Stellungnahme vorzugeben, ab durch eine erneute Bescheidenheitsformel, in der eben diese Handlungsweise als illegitim bezeichnet wird. Indem er sagt, was er in seiner Rolle nicht tun darf, sichert er ab, eben dieses tun zu dürfen. 17 Der deutsche Studiengruppenvorsitzende praktiziert hier mithin ein weitgefaßtes Verständnis seiner eigenen Rolle, auch wenn er diesen Anspruch als problematisch behandelt. In dieser Sitzung bewerten Arena und Flum implizit unterschiedlich, ob eine pragmatisch-lösungsorientierte oder aber eine politische Stellungnahme pro- 17 Diese paradoxe Technik ist seit der antiken Rhetorik bekannt als „praeteritio“: eine ironische „Kundgabe der Absicht, gewisse Dinge auszulassen“, die eine Nennung dieser Dinge einschließt, allerdings nicht ihre Detaillierung. Bei Aufzählungen wird von „percursio“ gesprochen, die Ausschmückung der Glieder verstärkt die ironische Wirkung. Die „praeteritio“ folgt aus einer adressatenorientierten Kalkulation, die direkte Nennung werde der eigenen Sache schaden (nach Lausberg 1990, 436f.). 208 duziert werden soll. Arena resümiert sein Arbeitsdokument, die Stellungnahme solle problemlösungsorientiert und kein politischer Beitrag sein. Dagegen eröffnet der Studiengruppenvorsitzende gleich darauf die Debatte, indem er u.a. sagt: „ich glaube in einem sind wir uns einig/ *3* die Stellungnahme des WSA darf kein *1,5* technologisches Papier werden/ ** das die Botschaft verhüllt/ ** sondern es muß ein politisches Papier sein/ ** das die Sorgen und Nöteaber auch die Erfahrungen dieses AusschussesX *** zum Ausdruck bringtX“ Nachdem er sich in der beschriebenen Weise absichert, daß er als Vorsitzender einen inhaltlichen Beitrag leisten darf, listet er einen ganzen Katalog von Vorschlägen zur Gliederung der Stellungnahme auf: „wir sollten dieses Papier beginnen mit einer kurzen: ** Bestandsbeschreibung der SituationX damit deutlich wird/ ** welche wirtschaftliche soziale/ und handelspolitische ** Bedeutung- ** dieser maritime Bereich ** für diese Gemeinschaft insgesamt hatXund wir sollten auch deutlich machen/ ** daß die Aderlässe der vergangenen Jahrzehnte/ im Grunde genommen so weit gegangen sind daß wir heute- ** eigentlich als stärkste Wirtschaftsgemeinschaft der Erde- *2* vor der Situation stehen nicht einmal mehr eine eigene Flotte und eigene Ressourcen [/ re"zä: sn/ ] in diesem Bereich zu habn &ich glaube das ist ein Punkt/ ** den wir etwas herausstellen sollten und wir sollten in so einer Art Vorbemerkung/ ** auch noch einmal mit aufnehmenX ** was dieser Wirtschafts- und Sozialausschuß/ ** bevor dieses Papier kamauf diesem Gebiet alles schon für Gedanken entwickelt hat\&und ich glaube es ist=eh- ** es wäre sehr ** überlegenswert- und es ischl wäre sehr wichtigdiese Dinge noch einmal zusammenzufassenX ** HOLT LUFT *** der Berichterstatter hat * am Schluß darauf hingewiesen: / ** ü auf die soziale Bedeutung/ &ich bin sicher daß er den entsprechenden Platz findetin diesem Zusammenhang- ** hier unterzubringenX wir sollten- ** auchX *2,5* darauf hinweisen/ *** welche strukturellen Auswirkungen ** der Niedergang der Werftindustrie beispielsweise hat\ ** in Gegenden/ wo teilweise die Werftindustrie ** der einzige Arbeitgeber ist/ und dort wo Werftindustrie im Grunde genommen- ** dann reduziert oder beseitigt wurde- ** ein großer NiedergangX in ganzen Regionen mit zur Folge * war\ *1,5* wir sollten auch die Kommission ermuntern etwas * verstärkt darüber nachzudenken/ wie wir die friedenspolitische Initiative die wir ja zur Zeit weltweit erleben- ** und die ja auch den Einsatz/ ** von Kriegsfahrzeugen auf Wasser- ** so hoffe ich reduzieren wird/ ** wie man also nun ** Werften/ die auf diesem Gebiet seither tätig war- ** wie man die unterstützt/ um * andere ProdukteX ** eh aufzulegenX und da kann ich noch aus meinem Lande sagen aus dem ich komme/ ** da haben auch die Arbeitnehmer in vl in Verbindung mit den Unternehmensleitungenschon ganz wichtige * Vorschläge gemacht wir haben teilweise besondere Arbeitskreise- ** wo man sich überlegt/ wie kann man diesen strukturellen Wandel- ** auch-eh ** wirtschaftlich * und sozial sinnvoll nutzerix &ich glaube das ist auch ein Bereich/ der: ** ganz wichtig ist\ ** wir sollten dann Herr BerichterstatterX und sehr geehrter Herr ArenaX ** das was die Kommission auch im Bereichder Ausbildung *** eh vorgetragen hat noch einmal unterstützenX die qualifizierte Ausbildung ist ein ganz wichtiger BeitragX *** zur Sicherheit *** unserer SchiffahrfX ** und wir sollten als * europäische Gemeinschaftauch das Angebot an Drittländer machen/ daß auch hier teilweise Ausbildung für anderewo die Ausbildung! wo der Ausbildungsstand dort noch nicht so weit ist/ daß wir hier wenn man so will- ** aus Fürsorge ** auch Ausbildungen für jene übernehmen/ die vielleicht nachher in dieser- ** in dieser Gemeinschaft * gar nicht beheimatet sind\ die Ausbildungsfrage ist eine globale Frage * für die Sicherheit auf den MeerenX ** dann * kommt natürlichund-eh 209 diesen Punkt werden Sie ->da muß ich Sie gar nicht mehr animieren/ <-dann ist natürlich der Bereich des Umweltschutzes ein * ganz bedeutender ArtikeK der also weit über das hinausgeht/ was mit mit mehr Sicherheit für Schiffe und für Tanker und so weiter zusammenhängf. und ich glaube hiermit sollten wir auch eine Verbindung herstellen\ daß dieser Umweltschutz zur Erhaltung der Meere * und ihrer Umgebung ** auch eine Möglichkeit istzusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen/ das ist ein ganz wichtiger Punkt/ Umweltschutz ist auch ein ganz * enorm wichtiger * wirtschaftlicher Bereich der hiereigentlich * einiges machen kann/ und was mich besonders bewegt das darf ich auch noch sagen/ ist * diese: Nutzung der MeeresressourcenX da liegen ja ungeheure Schätze noch auf dem Meeresboden/ aber da darf ich Ihnen sagen/ nicht alles was da ist- *1,5* kann auch umweltverträglich und sinnvoll genutzt werden/ und wenn ich auf der einen Seite daran denke wie wir ** unsem Schutzmantel um die Erde- * schon zerstörendann sollten wir das Meer/ ** als einer der wichtigsten Lebensgrundlagen/ ** nicht auch noch durch die Ausbeutung aller möglichen Ressourcen * beschädigen/ Das ist ein Punkt/ von dem ich meine/ daß er ** große Bedeutung ** hat/ [...]“ Der angestrebte politische Charakter der WSA-Stellungnahme ist mithin für Flum nicht nur Leerformel, sondern wird durch eine Liste von Vorschlägen konkretisiert. Zu diesen Vorschlägen gehören: - Eine Bestandsaufnahme der Situation mit einer politisch akzentuierten Relevanzhochstufung des maritimen Bereichs als Handlungsraum der EG. - Eine als „Vorbemerkung“ zu realisierende Verknüpfung der aktuellen WSA-Stellungnahme mit seinen bisherigen Aktivitäten auf dem Gebiet. Hier greift Flum ein Argumentationsmuster auf, das sich in vielen WSA- Debatten findet: Die Kontinuität seiner Arbeit wird betont durch Verweis auf vorangegangene Stellungnahmen zum gleichen oder verwandten Thema. - Eine stärkere Berücksichtigung der „sozialen Bedeutung“, als sie der Berichterstatter schon in Aussicht gestellt hat. Interessant ist die indirekte Technik Flums, Arena dazu aufzufordem: „ich bin sicher daß er den entsprechenden Platz findetin diesem Zusammenhang- ** hier unterzubringen\“ stellt demonstrativ nicht Arenas Zuständigkeit und Sachkompetenz in Frage, den Text nach Flums Wünschen umzuformulieren, und suggeriert zugleich Unstrittigkeit. - Eine Darlegung der strukturellen Auswirkungen des Niedergangs der Werftindustrie auf die Beschäftigungslage in monostrukturellen Gebieten eine dezidiert gewerkschaftliche Interessenperspektive. - Aufgreifen eines aktuellen politischen Themas: unter Verweis auf modellhafte Arbeitnehmer-Aktivitäten in seinem eigenen Lande (Arbeitskreis zur Rüstungskonversion) sollen Werften bei ffiedenspolitischen Initiativen unterstützt werden. Die Divergenz zwischen Arena und Rum wird im folgenden nicht weiter mündlich aufgearbeitet. Unsere Vermutung ist, daß sie auch aufgrund der Kommunikationsbedingungen bestehen bleiben kann: Die Arbeit in WSA- Sitzungen ist im wesentlichen ein Austausch von verdolmetschten Monolo- 210 gen, jeweils mit ausdrücklich erteiltem Rederecht, Interventionen in Form von Zwischenfragen oder Zurückweisungen gelten als Störungen. So gibt es keinen Zwang, inhaltliche Divergenzen zu thematisieren und vor dem nächsten Verfahrensschritt auszuräumen, wenn es den Beteiligten angesichts ihrer globalen Handlungsorientierung nicht opportun erscheint. Was geschieht nun mit den Wünschen Flums? Die Bestandsaufnahme der Situation macht einen großen Teil der „allgemeinen Bemerkungen“ aus. Ein Verweis mit Quellenangaben zu den bisherigen Aktivitäten des WSA im Bereich maritimer Probleme findet sich erst in der „Einleitung“ der übernächsten Fassung, des revidierten Vorentwurfs für die Studiengruppensitzung am 7.4.1992. Dagegen werden soziale Aspekte schon im Vorentwurf in zwei Absätzen erwähnt, allerdings beide Male sehr global: zum einen in den „Allgemeinen Bemerkungen“ nach einem Lob für die Kommissions-Initiative und die Einrichtung eines Forums: „Indessen dürfte den zahlreichen sozialen Aspekten, die im Zusammenhang mit dieser Thematik ebenfalls zur Sprache kommen werden, in dem zu erörternden Dokument nicht die ihnen gebührende Beachtung geschenkt worden sein; und diese Vernachlässigung spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Arbeitsgruppen [des Forums, W.S.] wider.“ zum anderen als letzte „Schlußfolgerung“: .„Soziale Dimension* bedeutet aber auch sichere Arbeitsplätze und Schutz der Meeresumwelt, zwei Anliegen, die vielleicht mehr mit Kultur und fachlicher Kompetenz zu tun haben als mit Technologie. [...]“ Die Probleme der Schiffbauindustrie werden allerdings in beiden Fassungen des Vorentwurfs ausschließlich unter dem Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit dargestellt: Dazu gehören eine strukturelle Anpassung durch Senkung der Produktionskapazität, (notwendige) Subventionen, die Aushandlung einer freiwilligen Produktionskontrolle mit asiatischen Ländern und die Fraglichkeit der europäischen Spitzentechnologie als Wettbewerbsvorteil. Die Beschäftigungsprobleme im Schiffbau bleiben vorerst ausgeblendet, und der mündliche Vorschlag des Vorsitzenden, Initiativen zur Rüstungskonversion zu unterstützen, bleibt „Eintagsfliege“. 5.5.4 Die Kontroverse um den Änderungsvorschlag zum „human factor“ In der Fachgruppensitzung am 6.5.1992 werden drei formelle Änderungsvorschläge eingereicht, die jeweils mehrere Textstellen betreffen, daneben werden mündlich informelle Änderungswünsche geäußert. Diese Anträge werden im Rahmen der seitenweise Prüfung sehr unterschiedlich behandelt. Zu Beginn der Aussprache im Rahmen der „seitenweisen Prüfung“ steckt der Berichterstatter dazu den Rahmen ab. Nach der deutschen Verdolmetschung führt er aus: 211 „[...] die Kollegen, die sich zu Wort gemeldet haben, haben einen sehr wertvollen Beitrag in der Arbeitsgruppe 18 geleistet. Wir haben praktisch während der ganzen Arbeit auf der gleichen Wellenlänge gelegen.“ Er beschwört so die für die Studiengruppenarbeit unterstellte Kooperation, die er auch als Modell für die Behandlung der Änderungsvorschläge in der Fachgruppensitzung fortsetzen möchte. Der Engländer Lyons führt in seinem Änderungsvorschlag zu vier verschiedenen Textstellen u.a. eine neu einzufügende Ziffer 2.10.5. ein: „Die Berücksichtigung des menschlichen Faktors (und zwar ausdrücklich und nicht nur im Rahmen anderer Maßnahmen) ist mit Blick auf den sicheren und rationellen Betrieb eines Schiffes von ganz besonderer Bedeutung. Der technische Fortschritt hat zu Einsparungen bei den Mannschaftskosten geführt, die aber allzuleicht auf Kosten der Sicherheit an Bord gehen. Die potentiellen Kostenvorteile aufgrund geringeren Treibstoffverbrauchs bzw. aufgrund einer durch eine andere Methode erreichten Treibstoffeinsparung sowie die Erlangung niedrigerer Zinssätze können die Einsparungen, die durch den Einsatz billiger Arbeitskräfte aus Ländern der Dritten Welt erzielt werden können, bei weitem übertreffen. Der menschliche Faktor ist bei 80% aller Unfälle auf See beteiligt. Der Nachdruck, der jetzt bei den Hafenstaatkontrollen zu Recht auf den Sozialvorschriften liegt, sollte auf die Ausbildung, die Sprachkenntnisse, die Vertrautheit mit dem Schiff und seine Sicherheitsvorschriften und auf sonstige Maßnahmen dieser Art ausgedehnt werden. Der sichere und rationelle Betrieb eines Schiffes setzt unbedingt eine angemessene Ausbildung der Mannschaften voraus, wobei nicht zuletzt an das Erlernen zwischensprachlicher Kommunikationstechniken zu denken wäre. Die Gemeinschaft muß dafür Sorge tragen, daß die Kapitäne nicht nur die Verantwortung für die Sicherheit ihrer auf See befindlichen Schiffe tragen, sondern auch den rechtlichen Schutz genießen, der erforderlich ist, um diese lebenswichtige Aufgabe mit der nötigen Selbstsicherheit ausüben zu können. Ferner sollte die Gemeinschaft Maßnahmen ergreifen, um den Seefahrerbe-ruf attraktiver zu machen, weil andernfalls der prognostizierte Mangel an ausgebildeten Mannschaften eintreten könnte. Es sollte von dem Grundsatz ausgegangen werden, daß der sichere Betrieb eines Schiffes durch eine voll ständig ausgebildete Mannschaft auch die rationellste Art und Weise des Schiffsbetriebs ist.“ Die schriftliche Begründung fällt wesentlich kürzer als dieser Text aus: „Offensichtlich. Ich war in den beiden letzten Sitzungen der Studiengruppe leider nicht anwesend, habe die vorgenannten Punkte aber in der ersten Sitzung zur Sprache gebracht und dabei den Eindruck gewonnen, daß mir allgemein zugestimmt wurde.“ Lyons verzichtet hier schriftlich auf eine explizite Begründung, argumentiert lediglich mit einem Verweis auf eine weit zurückliegende Phase der Textarbeit (erste Studiengruppensitzung) und konstruiert eine Kontinuität zwischen dieser Sitzung und der Fachgruppensitzung. Rückblende: Tatsächlich hat er sich in der ersten Studiengruppensitzung zweimal zu Wort gemeldet. Sein erster Redebeitrag gehörte zur Diskussion nach dem Referat des Kommissionsvertreters Carvalho. Darin hat Lyons neben Lob für das Kommissi- 18 Hier berücksichtigt die Verdolmetschung den für den WSA wesentlichen terminologischen Unterschied zwischen Arbeits- und Studiengruppe nicht. 212 onsdokument das Fehlen zweier Aspekte sowohl in der Kommissionsmitteilung als auch im damals vorliegenden Arbeitsdokument bemängelt: die gefährlichen Seerouten in Europa als Umweltproblem (wenn Schiffe Öl ablassen, mit den bekannten wirtschaftlichen und ökologischen Schäden, mit Touristen und Fischern als Opfern) und das Problem eines Zusammenhangs zwischen qualifizierten Schiffsbesatzungen und Sicherheitsnormen. Der zweite Redebeitrag von Lyons war der letzte vor Schluß der Sitzung; darin forderte er unter Bezug auf die „Preliminary Remarks“ im „Working Document“ eine „equal emphasis on environment and human aspects.“ Den Änderungsvorschlag lehnt der Berichterstatter ab, denn er störe die Ausgewogenheit seiner Stellungnahme. Zudem habe Lyons nur an der ersten Studiengruppensitzung teilgenommen. Als der Änderungsvorschlag gleichwohl angenommen wird, distanziert sich Arena vom veränderten Text, indem er bei der abschließenden Abstimmung gegen ihn votiert. 19 In der Plenartagung wird aber diese Kontroverse nur noch in sehr abgeschwächter Form thematisiert: Im Rahmen des üblichen Verfahrens beschränkt sich die Fachgruppenvorsitzende Ann Robinson bei ihrer „introduction“ auf eine formale Darstellung des Arbeitsergebnisses der Fachgruppe: „Thank you chairmariU (..) introducing this er: opinion from the industry sectionon the Commission communication on ,new challenges for maritime industries“/ 1 would like to draw your attention to the fact that this was adopted by a large majority of thirty-six votes- ** in favour of the opinionthere were however six votes aeainst the opinion and seven abstentionsa sixl the section howeverem a corrigendum has been produced which you should have before you and er in the corrigendum there are a number of items which er the rapporteur Mister Are Arena has accepted in agreement with Mister Lyons and Mister Whitworth who had proposed amendments- I believe there is just one other amendment which * remains to be discussedbut you have before you an opinion which 19 Diese Kontroverse wird auch vom „Protokoll über die 177. Sitzung der Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen am 6. Mai 1992 im Ausschußgebäude zu Brüssel“ (Schreiben Nr. 2333/ 92 vom 26. Mai 1992) verzeichnet: „Ein Änderungsvorschlag von Herrn LYONS wurde entgegen dem Standpunkt des Berichterstatters angenommen, der dann gegen die Stellungnahme der Fachgruppe stimmte.“ Dagegen läßt die Pressemitteilung (Nr. PK 27/ 92 vom 2. Juni 1992) über die in der Plenartagung verabschiedete WSA-Stellungnahme keine Spuren der vorausgegangenen Kontroverse erkennen. In ihren abschließenden drei Absätzen faßt sie kritische WSA- Positionen gegenüber der Kommissionsvorlage zusammen: „Der Ausschuß vermißt in der Mitteilung der Kommission klare Aussagen [...] Der Ausschuß plädiert für eine klare Trennung [...]“ Und schließlich: „Unzureichende Berücksichtigung findet in der Kommissionsvorlage schließlich die soziale Dimension, obwohl gerade sie einschließlich des Aspekts sicherer Arbeitsplätze und des Schutzes der Meeresumwelt eine der Prioritäten einer Politik zugunsten der maritimen Industrien der Gemeinschaft sein sollte.“ Mithin suggeriert diese Pressemitteilung eine konsistente WSA-Haltung. Daran ist bemerkenswert, daß der Verfasser der Pressemitteilung an dieser Stelle darauf verzichtet, die Kontroverse als Manifestation eines zugrundeliegenden Konfliktes aufzuarbeiten, wie es sonst nach seiner Interview-Aussage eines seiner Arbeitsprinzipien ist, aus der Stellungnahme ein journalistisch brauchbares Destillat herzustellen. 213 was accepted by a large majority and a corrigendum which is ** again the result o of work between various peopleputting input into this very important opinion'', thank you\“ Sie betont mithin die große Mehrheit, mit der die Stellungnahme in der Fachgruppe angenommen wurde, verschweigt, daß unter den Gegenstimmen der Berichterstatter war, spricht eine informelle Arbeit am Text unter Beteiligung von Arena, Lyons und Whitworth an und stellt den Konsens, der dabei erzielt wurde, auf eine Stufe mit dem formellen Abstimmungsergebnis in der Fachgruppe. Der Berichterstatter verweist in seinem Referat abschließend darauf, die Änderungsvorschläge von Whitworth und Lyons seien verschoben worden auf den Punkt 2.14. (statt, wie vorgeschlagen und von der Fachgruppe angenommen, Punkt 2.10.5.). In der seitenweisen Prüfung wiederholt WSA-Vizepräsident Kazazis, der die Sitzung leitet, nur den Hinweis, bei 2.14. sei das Korrigendum zu beachten; niemand meldet sich dazu noch zu Wort. Offenbar sind bei dieser zeitweiligen Kontroverse zwei Umstände nicht direkter Beobachtung zugänglich: a) Aus Sicht des Berichterstatters hat der Antragsteller einige implizite Regeln der WSA-Textarbeit verletzt; als die Mehrheit der Fachgruppe ihm in dieser Bewertung nicht folgen mag, reagiert er demonstrativ beleidigt und distanziert sich von seinem Text. Zu diesen Regeln gehört offenbar: Wer als Mitglied einer Studiengruppe nicht regelmäßig an deren Sitzungen teilgenommen hat, hat kein Recht, unangekündigt formelle Änderungsvorschläge in der Fachgruppe zu machen und so den Berichterstatter „vorzuführen“. b) Zwischen Fachgruppensitzung und Plenartagung findet eine Bereinigung durch Kompromißfindung „hinter den Kulissen“ statt, die einer teilnehmenden Beobachtung, etwa durch uns, nicht zugänglich ist und deren Thematisierung in der abschließenden Sitzung auch von niemandem für wünschenswert gehalten wird. Bei derartigen Divergenzen gibt es also offenbar eine Doppelstruktur von „offizieller“ Behandlung während der Sitzung und „inoffizieller“ Bereinigung außerhalb der Sitzungen. Hintergrundinformationen und eine Interpretation der Situation hat uns Whitworth, englisches Mitglied der Studiengruppe, geliefert; er beschreibt in ausgebauter Form, „how we resolved the problem of Mr Lyons’ amendment“, und ordnet diese Darstellung eines Einzelfalles zugleich positiv bewerteten Prinzipien der WSA-Textarbeit zu: „[...] the history of that is that Mr Lyons tabled the amendment at the Section meeting, without having previously discussed it with Mr Arena [...] and normally... well it depends, if I’m proposing to table an amendment and I’ve been involved in the Study Group and have a good relationship with the Rapporteur I will usually say to the Rapporteur: ,Look, I’m putting in this amendment’ [...] If I’m putting in an amendment for an Opinion which 214 has been drafted by one of my Group I colleagues I will probably do the same [...]. I don’t know, I think I conclude that Mr Lyons had not given Mr Arena previous notice of this. Mr Arena didn’t like the thing at all [...] I find it hard to think why, because I thought that Mr Lyons’ amendment was what I call a ,motherhood round*, you know it had, you know, the Americans say motherhood and apple pie are good and lovely things... [...] It’s an idiomatic expression. It’s an American expression really, motherhood in America is [...] synonymous with all the virtues [...], therefore if you say motherhood is a good thing [...] everyone will agree with you [...] and so I think that his amendment was pretty well a motherhood one [...]. He talked about training and manpower... and all the things we all say yes, yes to [...] so but Mr Arena didn like it, and the Section voted in favour of it [...] which brought Mr Arena to the strange position of having to vote against his own amendment. I mean in the middle of all this Mr Lyons had spoken to me and I had asked him to make a small change in his amendment on a sort of technical point regarding the employment of non-European seafarers which is particularly sensitive area from the background I come from, which he agreed to do [...] then we agreed alright [...]. Well then Mr Arena having voted against his own Opinion, between then and the Plenary Session he drafted a form of words and said to Mr Lyons .Would this form of words take care of your amendment? * [...] In other words: .Could I at the plenary session amend your amendment to this? * [...] And Mr Lyons I think said yes, and he came to me and said the same and I said ,yes, if you change this to that* [...]. And certainly when he approached me he had Mr de Santos from the Secretariat with him who did the necessary translating [...]. So that’s how we worked that out.“ Dieser Bericht, wie zwischen Fachgruppensitzung und Plenartagung „hinter den Kulissen“ mit dem konfliktträchtigen Änderungsvorschlag von Lyons verfahren wurde, läßt sich als Beleg für unsere zunächst hypothetische Behauptung von Verständigungsproblemen interpretieren, die WSA-Mitglieder mit unterschiedlichen Sprachen bei informeller Kommunikation haben können: Der Änderungsvorschlag führte in der Fachgruppensitzung zum Konflikt, weil er dem Berichterstatter nicht informell und vorab avisiert worden war. Vermutlich hat der englische Antragsteller eben wegen dieses Verständigungsproblems darauf verzichtet: Eine Aussprache und gegebenenfalls Vorabverständigung zwischen ihm und dem Italiener hätte die Vermittlung und aushilfsweise Verdolmetschung des zuständigen portugiesischen Beamten aus dem WSA-Generalsekretariat erfordert; problemlos möglich war dagegen die Vorabverständigung über die genaue Formulierung des Änderungsvorschlags zwischen den beiden Engländern zu einem Punkt, zu dem Whitworth sich als Experten definierte bzw. seine Interessen betroffen sah und wo dem Antragsteller Lyons also daran gelegen sein mußte, sich der Unterstützung von Whitworth vorab zu versichern. Der Berichterstatter interpretierte nun in der Fachgruppensitzung das Verhalten des Engländers als Kommunikationsbruch, verstärkt dadurch, daß Lyons an den zwei entscheidenden Studiengruppensitzungen nicht teilgenommen habe. Die Mithilfe des WSA-Beamten war nun bei dem Interessenausgleich zwischen Fachgruppe und Plenum unverzichtbar. Interessant ist, daß Whitworth die Verständigung „hinter den Kulissen“, bei der er mitgeholfen hat, eher als geschickte Behebung einer Kommunikationspanne ausgibt, sie nicht als Verstoß gegen die WSA-Geschäftsordnung 215 und damit gegen die Kontrollierbarkeit des Verfahrens, als „Mauschelei“, wertet. Die Rückfrage, erstaunlicherweise sei ja der Fachgruppen-Dissens auf der Plenartagung gar nicht mehr angesprochen worden, beantwortet er mit „it had been smoothed out in, in between [...]. It’s a good thing that we can do that.“ Bei der Abwägung zwischen zwei konkurrierenden Arbeitsprinzipien gibt er implizit einem den Vorrang. Eine strikte Beachtung der WSA-Geschäftsordnung hätte erfordert, daß der in der Fachgruppe angenommene Änderungsvorschlag unverändert im dem Plenum vorgelegten Text erschienen wäre. Höherrangig ist aber für den WSA, durch geeignete Verfahren der Kompromißfindung spätestens im Plenum geschlossen einen Stellungnahmentext zu unterstützen, um so mit der Stellungnahme stärker auf die Adressaten einwirken zu können. Was passiert nun zwischen Fachgruppensitzung und Plenum? Der Berichterstatter legt nicht, wie nach seinem Abstimmungsverhalten erwartet werden könnte, sein Amt nieder, er präsentiert vielmehr zunächst am 12.5.1992 einen überarbeiteten Textentwurf („Ergänzende Stellungnahme der Fachgruppe [...]“), in dem beinahe wörtlich der durch die Fachgruppe angenommene Änderungsvorschlag enthalten ist. Die einzige Diskrepanz - Lyons hat formuliert: „[...] Die potentiellen Kostenvorteile aufgrund geringeren Treibstoffverbrauchs bzw. aufgrund einer durch eine andere Methode erreichten Treibstoffeinsparung sowie die Erlangung niedrigerer Zinssätze können die Einsparungen, die durch den Einsatz billiger Arbeitskräfte aus Ländern der dritten Welt erzielt werden können, bei weitem übertreffen Im Text vom 12.5.1992 wird die Prognose mit starkem Geltungsanspruch „können die Einsparungen bei weitem übertreffen“ durch eine etwas gewundenere und vorsichtigere Wertung ersetzt: „[...] sind als Einsparungen zu betrachten, die mindestens so hoch sind wie die Einsparungen, die durch den Einsatz billiger Arbeitskräfte aus Ländern der Dritten Welt erzielt werden können [...].“ Dann aber wird dem Plenum am 21.5., also fünf Tage vor der Plenartagung, ein „Korrigendum“ vorgelegt: „Ziffer 2.10.5 ist zu streichen und durch eine neue Ziffer 2.14 zu ersetzen: ,2.14. Der menschliche Faktor Besonders notwendig ist es, die Bedeutung des menschlichen Faktors für einen sicheren und rationellen Schiffsbetrieb in den Mittelpunkt zu rücken. Da bei 80% aller Unfälle auf See der menschliche Faktor mit im Spiel ist, sollte unbedingt von dem Grundsatz ausgegangen werden, daß eine sichere Steuerung der Schiffe durch hervorragend ausgebildete Mannschaften auch die rationellste Art und Weise des Schiffsbetriebs ist. In diesem Sinne sollten die sozialrechtlichen Aspekte bei der staatlichen Hafenaufsicht mehr Gewicht erhalten und die Ausbildung miteinbeziehen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Sicherheitssystemen und dem Problem der gemischtsprachigen Mannschaften liegen 216 sollte. Einsparungen bei den Betriebskosten sollten vor allem durch Kostenvorteile aufgrund des technischen Fortschritts und niedrigerer Zinssätze und nicht einfach durch den Einsatz billiger Arbeitskräfte aus Ländern der Dritten Welt erzielt werden. Die Gemeinschaft sollte ihrerseits die Anwerbung von Seeleuten fördern und den Kapitänen den rechtlichen Schutz gewähren, der notwendig ist, um die Sicherheit der ihnen unterstehenden Schiffe zu garantieren.“ 1 Diese Fassung unterscheidet sich von Lyons’ Änderungsvorschlag zum einen bei der Einordnung in die Textgliederung. Der menschliche Faktor war zunächst dem Unterkapitel „2.10. Der Schutz der Meeresumwelt“ zugeordnet; das implizierte, daß Einsparungen bei sozialen Maßnahmen vor allem wegen des höheren Risikos von Schiffsunfällen und dadurch ausgelösten Umweltkatastrophen verwerflich seien nun wird daraus ein eigenständiger Punkt, der nicht unmittelbar anderen thematischen Aspekten untergeordnet wird. Zum anderen wird die strikte und kritische Behauptung eines kausalen Zusammenhangs „Der technische Fortschritt hat zu Einsparungen bei den Mannschaftskosten geführt, die aber allzuleicht auf Kosten der Sicherheit an Bord gehen“ durch eine positivere, weichere Schlußfolgerung ersetzt: „[...] sollte unbedingt von dem Grundsatz ausgegangen werden, daß eine sichere Steuerung der Schiffe durch hervorragend ausgebildete Mannschaften auch die rationellste Art und Weise des Schiffsbetriebs ist“. Der eindeutig gewerkschaftlich akzentuierten Position Lyons’ steht also eine Kompromißformel gegenüber, die Investitionen in Mannschaftskosten (Ausbildung) als betriebswirtschaftlich sinnvoll und nicht als Interessengegensatz zu rationeller Schiffsführung hinstellt. Im Verlauf der Textarbeit ist der Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretem um die Berücksichtigung sozialer Aspekte auch an anderer Stelle deutlich geworden, freilich nicht so manifest kontrovers. In der Studiengruppensitzung vom 7.4.1992 äußert ein griechisches Mitglied aus der Gruppe IE, technischer Berater des Reederverbandes für Passagierschiffe, sinngemäß, in dem Stellungnahmenteil zur „Gemeinschaftsflotte“ werde die Frage der Menschen, der „menschliche Faktor“, nicht berücksichtigt. Bei der ersten Sitzung der Studiengruppe sei von allen Mitgliedern der Gruppe, aber vom Berichterstatter besonders darauf aufmerksam gemacht worden, daß das Papier der Kommission leider kaum Platz für die soziale Dimension dieser Frage habe. Entweder führe es überhaupt nichts oder sehr wenig über Besatzungen oder generell über den menschlichen Faktor aus. Das sei von allen in der Studiengruppe sehr nachdrücklich angesprochen worden. Leider stehe in diesem revidierten Papier nichts dazu. Der Grieche pointiert seine Kritik: Der WSA übertreffe sogar die Kommissionum nicht zu sagen, daß er 217 „päpstlicher als der Papst“ sei. 20 Man sage absolut nichts, darauf wolle er nur aufmerksam machen. Diese Intervention verpufft spurlos, freilich auch, weil sie als erster Redebeitrag nach einer Kaffeepause an ungünstiger Stelle vorgebracht wird: Der Textabschnitt zur Gemeinschaftsflotte, auf den der Grieche referiert, ist vor der Pause abgehandelt worden. Nach der Pause drängelt der Studiengruppenvorsitzende unter Verweis auf Zeitnot als gemeinsames Kontextwissen: „wir haben noch aclu Seiten/ und für diese acht Seiten stehen uns noch neunzig * Minuten zur Verfügung/ Kommentare- ** bei dieser ** Feststellung erübrigen sich/ “ Er ruft sodann den nächsten Abschnitt auf. Als der Grieche seinen verspäteten Redebeitrag beendet hat, wird dieser vom Vorsitzenden nur pro forma gewürdigt, aber als untauglich für eine weitere Behandlung in der Sitzung verworfen: „ja- *** danke schön ich glaube wir können äh nicht mehr zurückgehen/ wir haben diesen Punkt vorher ** äh schon abgehandelt der Berichterstatter hat ja den Text vorgelesen/ er wird Ihren Beitrag noch einmal in der Erinnerung behalten/ “ Wird der Grieche hier diskriminiert, oder hat er sich nicht verfahrenskonform verhalten, sich nicht rechtzeitig nachdrücklich zu Wort gemeldet? Es ist sein einziger Redebeitrag in der Sitzung, er spricht im Gegensatz zu seiner griechischen Kollegin in seiner Muttersprache und ist auf die Verdolmetschung angewiesen. So ist durchaus als normal erklärlich, was den anderen an seinem Verhalten als „lange Leitung“ erscheinen muß. Ihm freilich muß als Chancenungleichheit erscheinen, wie sein Einwurf behandelt wird, zumal er sich doch einigen argumentativen WSA-Konventionen angepaßt hat, wie der verklausulierten Kritik am Berichterstatter durch Verantwortungszuschreibung an die ganze Studiengruppe („wir“) und einer Berufung auf Kontinuität in der Textarbeit durch den Verweis auf Kritik am Kommissionsdokument in der ersten Studiengruppensitzung, die sich nicht im Stellungnahmen-Vorentwurf niedergeschlagen habe. 5.5.5 Einzelne Textformulierungen 5.5.5.1 „weighed down“ Der Vorentwurf der Stellungnahme, der der Studiengruppe am 12.3.1992 vorgelegt wird, befaßt sich im Abschnitt 2.5. mit Problemen der europäischen Reeder. Er führt in 2.5.1. aus: „Da sie in einem naturgemäß internationalen Kontext tätig sind, beklagen die europäischen Reeder die Lasten und Regelungen, die sie vor dem Hintergrund eines Wettbe- 20 Die griechische Redensart lautet, wörtlich übersetzt, „königlicher als der König“; wir danken Pantelis Nikitopoulos für diesen Hinweis. 218 werbs, der sich unfairer Preispraktiken und protektionistischer Maßnahmen bedient, als eine Benachteiligung empfinden In der englischen Fassung lautet dieser Satz: „Community shipowners operating as they do on a market which is by definition international, feel weighed down by constraints and regulations which they find punitive when facing competition distorted by unfair practices and protectionist tactics.“ In der seitenweisen Behandlung kommentiert die englische Expertin der Arbeitgebergruppe diesen Satz so: „[...] in this paragraph perhaps ** [...] they are all quite good ideas when they are separated out- I’d like to question particularly some wording em I think that *** the phrase ,weigh down’ is rather an unfortunate phrase it suggests perhaps that shipowners want total freedomwithout any respect for safety and I think this is this is=em: is not quite the case [...]“ Nicht der gesamte Handel werde durch unfaire Praktiken verzerrt. Aus der Subventionspolitik für den Schiffbau ergebe sich das Problem der Over- Tonnage, das hier in dem Dokument noch nicht ausreichend angesprochen werde. Zu dieser Kritik verzichtet der Berichterstatter ausdrücklich auf einen Kommentar. Der revidierte Vorentwurf, der am 7.4.1992 in der Studiengruppe behandelt wird, behandelt die „Gemeinschaftsflotte“ unter 2.8.; hier wird der Niedergang der eigenen Flotte vor dem Hintergrund der „Vollendung des Binnenmarktes“ und einer "fortschreitende[n] Intemationalisierung der Märkte“ beklagt. Unter 2.8.2. wird wiederum die Reederperspektive angesprochen: „Da sie in dem oben beschriebenen internationalen Kontext operieren müssen, beklagen die europäischen Reeder die ihnen auferlegten Belastungen und Regelungen, die ihre Wettbewerbsposition entscheidend beeinträchtigen.“ Dieser Satz lautet in der englischen Fassung: „Community shipowners operating as they do on an international market as described above, feel weighed down by constraints and regulations which seriously undermine their competitiveness.“ Die relativ dezidierte Beschreibung zum Beleg von Wettbewerbsbenachteiligungen (durch „unfaire Preispraktiken und protektionistische Maßnahmen“) ist zwar zu einer Summenformel mit der schlichten Behauptung von Beeinträchtigungen abstrahiert, die Formulierung „weighed down“ ist aber erhalten geblieben. Das greift nun in der Sitzung vom 7.4.1992 das englische Studiengruppenmitglied Whitworth auf: „this may be a linguistic nuance- ** em the phrase- .weighed down* in -> in EnglishX ** em looks as isem the: Community shipowners/ em are carryingif you likeem an unnecessary burdenem part of this burden em is indeed necessary because a great many of the regulations/ concern safety ** em and other standards/ based on international 219 instruments/ and which the Member States and the Community generally have ratified/ andrer translated into their national legislation/ while so many of our competitors worldwide have failed to do soso: e, 111 think it isit is right to sayem that we are em subject to constraints and regulations which seriously undermine competitiveness/ em but I would prefer in English to seeem the wording ,are subject to‘ rather than ,feel weighed down by/ ‘ for the reason I indicated\ thank you\ * 4*“ Seine Argumentationstechnik: Einleitend sorgt er für eine Konfliktentschärfung, indem er seine Kritik als „nur“ sprachliche an einer Formulierung in seiner Muttersprache ausgibt. Er suggeriert damit eine systematische Trennung zwischen minder relevanten sprachlichen Konkordanzproblemen und den eigentlichen, inhaltlichen Divergenzen. Kern seiner Argumentation ist, die Kennzeichnung „weighed down“ für die Reederperspektive zurückzuweisen, weil er einen Bumerang-Effekt befürchtet: Reeder könnten sich schlecht gegen EG-weit akzeptierte und ratifizierte Sicherheitsauflagen stemmen; eine solche Argumentation wäre langfristig imageschädlich. Im Zwiespalt zwischen der partikularen Interessenperspektive der Reeder, die ja Whitworth als Mitglied der Gruppe I im WSA vertritt, und einer übergreifenden EG-Perspektive entscheidet er sich demonstrativ für die zweite: Er verwirft eine Darstellung, daß Reeder sich gegenüber den EG-Behörden über Auflagen beschwerten, zugunsten einer Feststellung, daß Drittländer sich nicht an solche Restriktionen hielten und so den Wettbewerb verzerrten dem sei man in der EG gemeinsam ausgesetzt. Diese Intervention ist zweifach interessant zum einen als spezifische Form der Zusammenarbeit zwischen Expertin (Gruppe I) und einem Studiengruppenmitglied der gleichen Gruppe und Nationalität; da sie als „Minenhund“ mit ihrer Intervention noch nicht hinreichend erfolgreich war, setzt er sich nun selbst für eine Textänderung ein. Diese Arbeitsteilung funktioniert vor dem Hintergrund einer hohen gegenseitigen Wertschätzung; so bezeichnet Whitworth im Interview die Kooperation zwischen ihm und der englischen Expertin als produktiv für einen großen Teil der Redaktionsarbeit am Text, die wesentlich zu einer guten Stellungnahme beigetragen habe. Zum anderen ist für die WSA-Textarbeit bezeichnend, daß hier ein Arbeitgebervertreter einer dezidiert arbeitgeberfreundlichen Argumentation eines Berichterstatters seiner eigenen Gruppe widerspricht, weil sie strategisch ungeschickt gewerkschaftlichen Widerstand herausfordem und die übergeordnete Perspektive gemeinsamer EG-Interessen unzureichend berücksichtigen würde. Das soziale Konfliktpotential dieses Absatzes deutet anschließend der deutsche Studiengruppenvorsitzende, ein Gewerkschaftler, an: „bei zwo acht zwo müssen wir natürlich ** sehr sorgfältig ** prüfen/ ob dieser Absatz nicht-eh Weiterungen hat die damitl die so gar nicht gemeint sind\ also auferlegte Belastungen und Regelungen/ des können ja auch Schutzregelungen soziale Regelungen seindie die * Reeder ** tragen müssen undwenn man uns darüberwenn man sich darüber dann auch beklagt/ äh in dieser Eindeutigkeit- ** dann wäre das mindestens ein 220 Nachdenken oder ein Fragezeichen wert\ ich wollte das nur sagen/ nicht daß wir nachher sagen wir mal Diskussionen bekommen vielleicht in der Fachgruppe oder im Plenum/ die wir heute schon entschärfen könnteriv *2,5* wenn es hier heißen würde ,die beschriebenen internationale äh die in dem=eh beschriebenen internationalen Kontext-eh ** eh notwendigen wettbewerbspolitischen Maßnahmen-' wenn man’s vielleicht auf diesen Bereich beziehen würdegenerell * auf wettbewerbspolitische * Maßnahmendann könnten vielleicht andere Ausdeutungen so nicht kommen aber- ** >vielleicht sind Sie anderer Auffassung ich weiß es nicht\ *5* <also ich wollte mit meinem Beitragnur ** darauf hinweisen- *** daß zwo acht zwo im Grunde genommen auch so verstanden und ausgelegt werden könnte/ daß das was wir bis jetzt in der Gemeinschaft erreicht haben/ auch ** mit Sozialstandards auch in diesem Bereich/ also diese- ** diese Regelungen beklagenswert wären\ die sind vielleicht beklagenswert aus der Sicht der Reeder/ ** aber ob sie beklagenswert sind auch aus der Gesamtsicht des Wirtschafts- und Sozialauschusses/ ** das möcht’ ich etwas in Frage stellenX“ Zu dieser Replik mag Flum durchaus durch inhaltlichen Dissens mit 2/ hitworth veranlaßt sein, er argumentiert hier aber nicht als Gewerkschaftler gegen Arbeitgeberinteressen, sondern als Studiengruppenvorsitzender, der für eine effektive Arbeit in der Studiengruppe und eine sinnvolle Vorarbeit in der späteren Fachgruppe verantwortlich ist und daher dafür sorgen muß, daß der Text eine „Gesamtsicht des Wirtschafts- und Sozialausschusses“, d.h. einen Interessenausgleich und eine zwischen den Sozialpartnern konsensfähige Position statt der partikularen Einzelinteressen enthalten soll und - Konflikte in der Studiengruppe angesprochen, geklärt und entschärft werden, damit sie die Arbeit in der Fachgruppe und erst recht im Plenum entlasten. Flum vermeidet auch einen direkten Widerspruch, benutzt Fragen und Konjunktive und hält so demonstrativ die Möglichkeit abweichender Meinungen offen. Seine Replik und die nachfolgende Entgegnung des Berichterstatters veranlassen Whitworth zu einer Expansion des Fokus, der die ursprüngliche Zuschreibung als einer „linguistic nuance“ ad absurdum führt. Er betont den Konsens mit dem Berichterstatter und macht als nicht strittig klar, Reeder in der EG müßten sich völlig zu Recht bestimmten Bestimmungen unterwerfen: „it is a fact er that er Community shipowners em operating em currently under their national flags/ em have ** quite properly and entirely properly- ** em to abide by certain regulations/ and * to meet certain em social imperatives/ em which they have negotiated em with the representatives of their seafarers/ which are entirely appropriate em for the: em employment ** of er Europeans in in these vesselsX this is a feetwe are not really weighed down by themand we don’t resent them/ and * we just have to hye with them-“ Sein Einwand beziehe sich darauf, daß Mitbewerber aus Drittländern derartigen Bestimmungen und kostenträchtigen sozialen Verpflichtungen nicht unterworfen seien, was die Wettbewerbsfähigkeit der EG-Reeder behindere. Dann problematisiert er nochmals die Angemessenheit der Formulierung 221 „weighed down“ durch Paraphrase mit „complaining“ einer negativ besetzten und darum abzulehnenden Zuschreibung: „the reason I ** er queried em the feeling weighed downis that I think we want to make it clearem that ** the er European shipowners are not ** em complaining about having to operate their ships properly * and to man them properlyand to pay the people who man/ them properlythey aren’t complaining about that at allthey are only complaining that their competitors are able to get away with something very differentem and thereforeand it was only a nuanceem I felt ,weighed down* ** er was * a little negativeand that’s why I suggested an altemativeV’ Whitworth hat seine Formulierungskritik ausdrücklich auf die englische Fassung bezogen, und so bleiben z.B. die deutsche („[...] beklagen die europäischen Reeder“) und die französische Fassung („[...] les armateurs europeens sont entraves“) bis zur Veröffentlichung im Amtsblatt unverändert. Wohl aber wird die englische Fassung geändert; zunächst heißt es gemäß dem Wunsch von Whitworth im Entwurf, der der Fachgruppe am 6.5.1992 vorgelegt wird: „Community shipowners, operating as they do on an international market as described above, are subject to constraints and regulations which seriously undermine their competitiveness.“ Wie stark drücken die drei Verben die Kritik europäischer Reeder an „Belastungen und Regelungen“ aus? Auf einer Skala müßte wohl „beklagen“ einen Mittelplatz zwischen dem wertungsneutralen „are subject to“ und dem emphatischen „feel weighed down by“ einnehmen. Doch die englische Fassung bleibt nicht so: Auf der Fachgruppensitzung kritisiert zunächst der französische Gewerkschafter Mourgues die Formulierung des Absatzes 2.8.2. Er wehrt sich gegen eine Ermahnung der Fachgruppenvorsitzenden, nicht gegen die Arbeitsteilung zwischen Studien- und Fachgruppen zu verstoßen: Was solle die seitenweise Behandlung sonst? Nach einem VermittlungsVorschlag des Berichterstatters, die Stellungnahme nicht als „Poesie“, sondern als „Prosa“ zu betrachten, schlägt der portugiesische Gewerkschaftler Cal eine Streichung von 2.8.2. vor, wenn der Absatz nicht geändert werde. Die Fachgruppenvorsitzende schlägt eine informelle Redaktionsarbeit zwischen Mourgues, Arena und Cal vor, Whitworth wendet sich gegen eine Streichung. Als die Fachgruppenvorsitzende über die Streichung abstimmen lassen will, entsteht eine Konfusion zur Geschäftsordnung; die Abstimmung unterbleibt. Diese Debatte hinterläßt Spuren in der englischen Endfassung der Stellungnahme im EG-Amtsblatt bei der Beschreibung des Wettbewerbsproblems wird die (Leidens-)Perspektive der europäischen Reeder nun ganz getilgt: „The competitiveness of Community shipowners, operating as they do on an international market as described above, is seriously undermined by constraints and regulations since these are not applied, as they should be, by all countries.“ 222 Bei „weighed down“ geht es sozusagen ans „Eingemachte“, um die Akzeptanz sozialer Verpflichtungen und kostenträchtiger Sicherheitsstandards für EG-Arbeitgeber. Wesentlich unkomplizierter sind andere Änderungsvorschläge zu behandeln, die Whitworth als „nuances of drafting“ deklariert und mit seiner muttersprachlichen Kompetenz begründet: „the points I will have to make are really nuances of draftingand possibly related better to the English language-“ So kritisiert er den Satz aus der „Revised Preliminary Draft Opinion“ „Historically, every country which has developed maritime industries has relied on its national navy as the main customer and the same holds for off-shore activities“ und führt aus: „the use of the word .navv* in English is is is confusing because that is er: taken really as referring more to warships in in in our languagethan than merchant ships and-1 do have a slight- ** em ** er redrafting there which would make the thing clearer/ em which would read historically/ em no country has supported these industries/ without a domestic shipping industry as a major customer-““ Sein Reformulierungsvorschlag wird im Prinzip akzeptiert, allerdings steht in der nachfolgenden englischen Fassung statt „industry“ „sector“. 5.5.5.2 Japanische Exportstrategie Im revidierten Vorbericht werden in den allgemeinen Bemerkungen unter Punkt 2.7. Gründe für den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit für EG-Reeder und Werften benannt und unter 2.7.1. für den EG-Angstgegner Japan konkretisiert: „Auffallend ist die Politik Japans im maritimen Bereich: eine moderne, ganz und gar auf einheimischen Werften gebaute nationale Flotte im Dienste einer stark integrierten und exportorientierten Wirtschaft. Auf der anderen Seite setzt sich immer mehr der Eindruck durch, daß das Japanische System“ mehr und mehr das Vertrauen untergräbt, auf dem der freie Handel basiert.“ Diesen Textentwurf kommentiert ein Deutscher aus der Arbeitgebergruppe in der Studiengruppensitzung am 7.4.1992: „[...] der zweite Punkt ist/ ich müßte eigentlich den-eh: Berichterstatter ermutigen hier etwas ** mutiger zu werdenX eh: es ist in der Tat sodaß diese zwei Sätze die hier unter zwei sieben eins stehen/ nur dem verständlich werden/ <-der sich-eh intensiv mit der japanischen Exportstrategie ** befaßt hat\ es ist ganz klar/ wer in die Geschichte Japans eindringt/ daß die Eisen- und Stahlindustrie und die Schiffbauindustriedas waren die beiden Basisindustrien/ um weltweit ** die Märkte zu erobemX sie wollten mit eigenen Schiffen ihre Produkte ** >dann entsprechend äh äh exportieren/ und in eh dabei sind Strategien angewa-eh wandt worden ** die * nun wirklich nicht als fair ** eh mehr anzul eh eh also Untemehmensstrategien eingesetzt worden die kaum als fair ** im Sinne der weltweiten Arbeitsteilung ** zu interpretieren sind und infolgedessen ** hier 223 zumindsstens den * letzten Satz Herr Berichterstatter im deutschen Text heißt es/ ,auf der andern Seite setzt sich immer mehr der Eindruck durch daß das Japanische ** mehr und mehr das Vertrauen untergräbt- 1 ** hier würd’ ich wesentlich härter seindieses japanische System hat das Vertrauen längst im weltweiten ** Wettbewerb untergraben und das-eh es ist nicht mehr der Eindruck es ist TatsacheX und wer eh eh mit Unternehmen laufend zu tun hat und ** vor Ort in München die Elektroindustrie sieht * wie sie hart zu kämpfen hat gegenüber * einem unfairen Wettbewerb der- ** äh würde es sicherlich begrüßen wenn hier die Formulierungen etwas deutlicher ** zum Tragen kämen-“ Der Skopus der Argumentation ist eingeschränkt, der Redner widerspricht nicht explizit den Intentionen des Berichterstatters, unterstellt vielmehr ein gemeinsames Wollen. Statt dessen bezweifelt er die richtige Übersetzung einiger deutscher Formulierungen 21 : „Ich wäre dankbar wenn das Sekretariat mal die Formulierungen noch mal überprüfen würde &wir hatten eben schon die Diskussion darüber/ eh wir hatten es im Rahmen von zwo sieben/ ich halte den deutschen Text so wie er übersetzt ist nicht für gutich weiß genau ich sehe s sehe manche Sätze/ was der Herr Berichterstatter gemeint hat aber das kommt in der Formulierung im Deutschen nicht zum Ausdruck/ deswegen wäre ich dankbar/ ** Herr Vorsitzender wenn auch das Sekretariat sich nochmals diesen ** Text=eh genau auf stilistische fral Punkte anschal eh schauen würdeX“ In einem Exkurs zur Geschichte der japanischen Exportstrategie operiert er mit einer indirekten („man“) Kompetenzzuschreibung an sich selbst: „es ist in der Tat sodaß diese zwei Sätze die hier unter zwei sieben eins stehen/ nur dem verständlich werden/ <-der sich=eh intensiv mit der japanischen Exportstrategie ** befaßt hat\ es ist ganz klar/ wer in die Geschichte Japans eindringt/ " Er schließt ein Plädoyer für schärfere Formulierungen an, das mit regionalen Beobachtungen aus einem anderen Industriesektor begründet wird: 21 Tatsächlich ergibt ein Vergleich mit der italienischen Fassung aber keine signifikanten Ubersetzungsschwächen: „Eclatante e la politica seguita dal Giappone in campo marittimo: una flotta di bandiera modema, realizzata interamente nei cantieri ngzionali, al servizio di un’economica fortemente integrata e orientata all’esportazione. E ormai diffusa d’altra parte la sensazione che il ,sistema Giappone* stia minando la fiducia su cui si basa il libero commercio.“ Die Argumentationsfigur des. WSA-Mitglieds hier: Solidarisierung mit dem Berichterstatterkollegen auf Kosten der Übersetzer. Dieses wird auch in einem Zeitungsbericht über den EG-Sprachendienst aus der Sicht einer französischen Dolmetscherin referiert: „Mitunter [...] würden Dolmetscher aber auch für diplomatische Zwecke instrumentalisiert. Helmut Schmidt etwa hat die Französin in besonders unangenehmer Erinnerung: ,Vor allem bei den politischen Tischgesprächen hatte er die Angewohnheit, zunächst einmal eine sehr gewagte These oder Forderung zu formulieren und übersetzen zu lassen. Wenn der Gesprächspartner einverstanden war, nickte er zufrieden. Reagierte sein Gegenüber aber entsetzt, dann schob Schmidt alles auf den Dolmetscher, der offenbar falsch übersetzt habe, und trug noch einmal eine stark abgeschwächte Version vor.“ (Döpfner 1992). Der Autor kommentiert das so: „Verhandlungsgeschick auf dem Rücken der Sprachvermittler“. 224 „hier würd’ ich wesentlich härter seindieses japanische System hat das Vertrauen längst im weltweiten ** Wettbewerb untergraben und das-eh es ist nicht mehr der Eindruck es ist TatsacheX und wer eh eh mit Unternehmen laufend zu tun hat und ** vor Ort in München die Elektroindustrie sieht * wie sie hart zu kämpfen hat gegenüber * einem unfairen Wettbewerb der- ** äh würde es sicherlich begrüßen wenn hier die Formulierungen etwas deutlicher ** zum Tragen kämen“ Solche Verschärfungen von Bewertungen in WSA-Stellungnahmen sind offenbar nur möglich in der solidarischen Abwehr gegenüber einem als Konkurrenten wahrgenommenen Drittland (hier: Japan), sind tendenziell hingegen nicht zu erwarten bei der Thematisierung von innergemeinschaftlichen Interessendivergenzen, insbesondere nicht bei sozialen Konflikten. Auch Whitworth kommentiert diesen Abschnitt: „[...] the Japanese doesn’t only ha have a national flagged fleet/ em it also em has an own fleet under other flagsso it’s really getting the best of both worldsem it is it is busy ** em advancing its national fleet through its national shipbuilding em er industry and everything that goes with it/ but it’s also em getting the best shipbuilding deals and tax benefits which it can from anybody e]se- ** em and er er ** of building and operating em ships under other flags as wellso: em again I’ve suggested possibly the insertion of a few words if if the rapporteur agrees/ em after the word economy/ we might say something like- ,coupled with full use * of the best available shipbuilding deals and tax benefits worldwide/ for Japanese own tonnage under other flags’ and then continued ,has generated’ et cetera et cetera em-1 think it is- ** em er an outstanding example- ** em of an an industrial strategy which seeks to sweep all before it- ** em and it is LEICHT LACHEND #remarkably successful# unfortunately In seiner Argumentation liefert er hier zunächst eine idiomatisch-metaphorische Begründung seines Detaillierungsvorschlags („it’s really getting the best of both worlds“ = „die Vorteile beider Seiten genießen“) und legt danach eine ausgearbeitete Formulierung vor. Der Berichterstatter Arena fängt seine Replik auf italienisch an, zitiert dann als Kommentar zum Korrekturvorschlag eines Spaniers aus der französischen Textfassung und bleibt anschließend beim Französischen: „on va ajouter ce que euh Monsieur Petersen a dit/ parce que vraiment euh: je suis d’accord on aurait ete un peu plus prudent parce queeuh: : voul6 pas faire le chemin de champ/ euh: avant avoir entendu le groupeX et on va ajouter aussi lesso les observations de Monsieur Whitworth/ done on va renforcer toute la politiqueparce que je suis d’aecord/ les Japonais [...]“ Er argumentiert hier mit der Umschreibung einer Maxime der WSA-Textarbeit: Man sollte sich als Berichterstatter nicht durch radikale Formulierungen exponieren vor einer Ratifizierung durch die Studiengruppe. Wie wird Arenas doppelte Zusage umgesetzt? Im Entwurf für die Fachgruppe heißt es: „Auffallend ist die Politik Japans im maritimen Bereich: eine moderne, ganz und gar auf einheimischen Werften gebaute nationale Flotte im Dienste einer stark integrierten und 225 exportorientierten Wirtschaft, die alle Synergien nutzt. Auf der anderen Seite setzt sich immer mehr der Eindruck durch, daß das japanische System' mehr und mehr das Vertrauen untergrabe« hat, auf dem der freie Handel basiert.“ (Hervorhebungen W.S.) Petersens ausgebaute Begründung mit Vorwürfen an die japanische Exportstrategie schnurrt also zusammen zu einem Tempuswechsel; Whitworths Explizierungsvorschlag „coupled with full use * of the best available shipbuilding deals and tax benefits worldwide/ for Japanese own tonnage under other flags“ wird in der englischen Fassung zunächst nur verkürzt zu einer bloßen Andeutung des gemeinten Zusammenhangs („in which all synergies are exploited“) und, indem das Prädikat „astounding“ für „Japan’s maritime policy“ zu „distinctive“ entpersonalisiert wird. Die Endfassung der Stellungnahme im Amtsblatt berücksichtigt Whitworths Wunsch stärker: „Japan has developed a distinctive maritime policy a modem national fleet, entirely built in Japanese shipyards (supplemented by Japanese controlled vessels under other flags also built in other, even cheaper countries) and serving a closely integrated, exportoriented economy in which all synergies are exploited. [...]“ (Hervorhebungen W.S.) 5.5.5.3 Tankersicherheit Unter dem Stichwort „Schutz der Meeresumwelt“ führt der Vorentwurf der Stellungnahme unter Punkt 2.8.2. aus, „daß die Verpflichtungen, die im Rahmen zahlreicher internationaler Übereinkommen eingegangen wurden, das Problem der Verschmutzung offenbar nicht nennenswert verringert haben. Es herrscht vielmehr ein gewisser Pessimismus hinsichtlich der Effizienz einer sehr breiten Zusammenarbeit, die allzu häufig Schwachstellen aufweist. Die Annahme des ,Oil Pollution Act' durch die Vereinigten Staaten und Kanada im Jahre 1990 (der für die in amerikanischen Gewässern verkehrenden Tanker, die nach Juni 1990 gebaut wurden, doppelwandige Schiffskörper vorschreibt) macht deutlich, daß die gefährdeteren Länder in der Zwischenzeit selbst dafür sorgen müssen, ihre Schutz- und Interventionssysteme zu verstärken. Die Gemeinschaftsaktion für den Umweltschutz müßte folglich auf gesetzlicher wie auch auf operationeller Ebene (Entwicklung und Finanzierung spezifischer Projekte) verstärkt in diese Richtung gelenkt werden, um zu einem integrierten System der Vorbeugung/ Bestrafung/ Sanierung zu gelangen.“ Das kommentiert die Griechin Anna Bredima-Savopoulou, die in der Arbeitgeber-Gruppe den griechischen Reederverband im WSA vertritt, in der Studiengruppensitzung am 12.3.1992. Frau Bredima spricht in dieser Studiengruppe englisch und bezieht sich dabei auch auf die englischen Textfassungen. Sie betont, daß der „Oil Pollution Act“ (OPA) 1990 nur von den USA und Kanada angenommen wurde. Sie spricht sich dagegen aus, auf Gemeinschaftsebene mehr zu tun, als etablierte internationale Regeln für Sicherheit und Vorbeugung zu unterstützen und internationale Konventionen zu ratifizieren. Dieses begründet sie zum einen arbeitsökonomisch: 226 „we should avoid a duplication of worker that is being carried by er ably most ablyby international er organizationsV* Zum anderen klagt sie (wieder das beliebte Verfahren im WSA! ) die Kontinuität mit einer früheren, einstimmig angenommenen WSA-Stellungnahme ein, bei der sie Berichterstatterin war: „concerning ** the minimum requirements for vessels entering or leaving Community ports/ carrying packages of dangerous or polluting goods“ Daran schließt sie eine knappe Kritik am OPA an als einem „unworkable piece of legislation/ which deviates from international er: rules and er renders the US er coasts/ ** er ** untouchable by by vessels of other flags\“ Sie unterstellt damit, daß dieses Gesetz den Umweltschutz nur vorschiebe, um tatsächlich Wettbewerbshindemisse für europäische Schiffe in amerikanischen Häfen aufzubauen. Im revidierten Vorentwurf wird der Absatz in ein eigenes Kapitel „Der Schutz der Meeresumwelt“ verschoben; unter Punkt 2.10.3.1. heißt es nun: „Der globale und internationale Charakter der Probleme im Zusammenhang mit dem Schutz der Meeresumwelt wirft automatisch die Frage nach der Effizienz einer sehr breiten Zusammenarbeit auf, die bislang allzu häufig Schwachstellen aufwies. Das erklärt auch, weshalb die Vereinigten Staaten im Jahr 1990 den ,Oil Pollution Act‘ angenommen haben (der für die in amerikanischen Gewässern verkehrenden Tanker, die nach Juni 1990 gebaut wurden, doppelwandige Schiffskörper vorschreibt); diese Maßnahme birgt eine hohe potentielle Schutzwirkung und mußte sich zwangsläufig auf die kürzlich im Rahmen der IMO [Fußnote: IMO - International Maritime Organization] vereinbarten neuen Normen für den Bau neuer und die Wartung bereits in Dienst befindlicher Schiffe auswirken.“ Für diese Umformulierung hält Frau Bredima in der Sitzung vom 7.4.1992 rituelles Lob und expliziten Tadel bereit: „here * the text er has been considerably improved since the last meeting/ but nevertheless I’m not quite happy with the current versionbecause it is not sufficently clear as to what we meaner are we implying that the cooperation er was not efficient and therefore the United States have adopted the OPA/ * because if this is * if this is what we mean * this is not er * factually er * correct er ** the er * the Oil Pollution Act was adopted by the US as an over-reaction/ to the Exxon Valdez er accident in Alaska er and it contains a number/ * of controversial points * it has been criticised/ severely by governments all over the world as a unilateral piece of legislation which will be very difficult/ to er * apply * it is an unworkable instrument so ** er I don’t think that on the one hand we can say/ that er * imply/ that er because of lack of efficient cooperation er this * er Act was adopted and then consider it in a way as an example/ to be followed as a measure of considerable significance because/ this is not really what it/ er actually happened * so I would suggest we rephrase again this paragraph er Chairman *3* if I can give you one more er example * er the Act contains provisions whereby it creates unlimited liability * for oil pollution and this unlimited liability is uninsurable/ and the ultimate result will be that the vessel * foreign vessels will not call at US ports/ * so I 227 don’t think that this is really a significant piece of legislation to constitute a considerable a measure of considerable significance“ Das Lob wird nicht spezifiziert; es kann rituelle Einleitung zu einem Widerspruch sein, meint aber wohl auch den Verzicht auf nebulöse Forderungen nach besonderen Gemeinschaftsaktionen für den Umweltschutz. Im Widerspruchsteil kritisiert Bredima die Vagheit des Textes, die zu einer aus ihrer Sicht falschen Interpretation führen könne, die Amerikaner hätten aufgrund der Erfahrung schlechter internationaler Zusammenarbeit den OPA angenommen. Sie stellt dieses Gesetz dagegen dar als einseitige „Überreaktion“ auf das Tankerunglück der „Exxon Valdez“ in Alaska, das auch die Kommissionsmitteilung als Beleg für die Notwendigkeit internationaler Regelungen herangezogen hat. Sie führt nun ihre Kritik (mit einer Wiederholung ihrer Typisierung „unworkable instrument“) einerseits etwas detaillierter als in der vorangegangenen Sitzung aus: Die unbegrenzte Haftung bei Ölverschmutzungen sei nicht versicherbar und hindere fremde Schiffe so daran, US-Häfen anzulaufen. Andererseits besteht die Kritik aus nicht weiter explizierten und auch gar nicht weiter explikationsfähigen Zuschreibungen: „it contains a number/ * of controversial points * it has been criticised/ severely by governments all over the world as a unilateral piece of legislation which will be very difficult/ to er * apolv“: der OPA sei kein „significant piece of legislation to constitute a considerable a measure of considerable significance“ Diese Argumentation verweist auf ihre partikulare Perspektive als Vertreterin mediterraner, konkret: griechischer Reederinteressen. Der Studiengruppenvorsitzende widerspricht ihr, indem er die Formulierung des Berichterstatters unterstützt: „Ja- Herr Berichterstatter- *** also ich kann nur sagen/ wenn ich mal von mir aus eine ** Reflexion von mir geben darf/ <-mir hat zwo zehn drei eins in der vorliegenden Fassung sehr gut gefalleriv weil er * sehr deutlich macht/ *** um was es geht/ daß es=eh internationale Probleme gibt/ die also nur * im Grunde genommen * zusammen gelöst werden können/ und dann ist hingewiesen auf eine Maßnahme der Amerikaner/ und dann ist ganz konkret gesagt/ *** was man tun sollte um die Schutzwirkung zu verstärken\ also das ist eigentlich einefür einen Laien/ lesbare- ** und einleuchtende ** Darstellung einer ganz schwierigen SituationX und wenn wir hier nicht ein Stück nach vorne gehen- *** werden wir eines Tages unsere Umwelt und unsere Meere selbst kaputtmachen\ also das ist wirklich ** eh ** für mich-eh außerhalb jeglicher Frage\ ich habe Verständnis daß *** bei den Reedereien da oder dort eh bestimmte Schwierigkeiten aufkommen können- ** aberda muß man dann überlegen/ was vorrangig ist * also ich würde von mir aus meinen/ *** daß zwo zehn drei eins/ in dieser Fassung eigentlich ** ein guter vertretbarer Schritt nach vorne ist/ und unter dieses Niveau könnten wir eigentlich guten Gewissens gar nicht gehen“ Obwohl Flum hier auf die Kritik von Bredima reagiert, spricht er nicht sie direkt an, sondern den Berichterstatter. Flum thematisiert das Problem der Reduktion von Komplexität; die Stellungnahme soll eine „schwierige Situation“ für Laien verständlich machen. Er präferiert damit ausdrücklich eine andere Zielsetzung für diese Stellungnahmesie soll nicht Vehikel von 228 (wenn auch gefilterten und synthetisierten) Gruppeninteressen sein, sondern an das öffentliche ökologische Gewissen appellieren. Flum nimmt in seiner Begründung auch gemeinplatzverdächtige Abstraktionen in Kauf, deren Wahrheitsgehalt kaum zu bestreiten ist: „daß es-eh internationale Probleme gibt/ die also nur * im Grunde genommen * zusammen gelöst werden können/ “ oder „und wenn wir hier nicht ein Stück nach vorne gehen- *** werden wir eines Tages unsere Umwelt und unsere Meere selbst kaputtmachenX“ Frau Bredima fühlt sich mißverstanden und ergreift nochmals das Wort: „Sorry for er speaking again on this point chairman but er-1 believe the problem is not the lack ** of safety standards * safety standards er are are doubled by international organisations but the relevant conventions/ are not ratified/ and they are not strictly enforced/ * that’s where the problem lies *2* it’s not the idea of adopting * unilaterally * safety standards or regionally ** that’s the basic point I believe that we should stressX * that these international conventions have to be ratified/ and they have/ to be enforced-.“ Trotz ihrer Einwände bleibt der Absatz zunächst in der Fassung des Entwurfs für die Fachgruppe unverändert; allerdings werden in der späteren Endfassung die neuen IMO-Normen durch Angabe von Daten für das Inkrafttreten etwas präziser dargestellt: „[• ■ •] die ab Juli 1996 für den Bau neuer Schiffe und ab Juli 1995 für die strengere Überprüfung bereits in Dienst befindlicher Schiffe gelten.“ So wird dem Wunsch der Griechin, die in internationalen Organisationen ausgehandelten Sicherheitsregelungen als ausreichend zu definieren, in abgeschwächter Form entsprochen. Bei der Behandlung dieses Themas zeigt sich der Wirtschafts- und Sozialausschuß als „Barometer“ für die Kommission, welche Maßnahmen in welcher Schärfe bei den betroffenen Gruppen durchsetzbar sind, bevor die Diskussion dazu in ein öffentliches oder Entscheidungsstadium tritt. 22 22 Es ist sicherlich nicht zufällig, daß hier gerade eine griechische Vertreterin von Reederinteressen sich so exponiert und für die EG-Institutionen einen zusätzlichen Handlungsbedarf zur Verhütung von Tankerunfällen bestreitet. Fast ein Jahr nach der Arbeit an der WSA-Stellungnahme „Maritime Industrien“ berichtet der „Spiegel“ darüber, daß in Brüssel über strengere Sicherheitsauflagen für Tanker verhandelt werde. Doch die Billigflaggen sollten nicht angetastet werden. Der „Spiegel“ kommt dabei zu der Wertung: „Tatsächlich tut sich die Gemeinschaft [...] besonders schwer, wenn es um die Sicherung des Seeverkehrs geht. Mit dem Argument, billige .Frachtraten senkten die Energiekosten, wurden alle Versuche abgeblockt, das Risiko von Ölkatastrophen zu verringern.“ Er schiebt den Schwarzen Peter den Griechen zu: „Dem Vorschlag, alle vor 1982 gebauten Tanker nicht mehr ohne Nachrüstung in europäische Häfen zu lassen, widersprachen die Griechen. Ins Protokoll wurde ein flauer Kompromiß hineingeschrieben: Die ,Sicherheitslücke’ zwischen neuen und alten Schiffen sei zu verringern’.“ („Schwarze Listen.“ In: Der Spiegel 5, 1.2.1993, S. 142-143) 6. Fallstudie „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“: ein ostpolitisches Einmann-Unternehmen 6.1 Einführung Auch in dieser Fallstudie sollen zur Verdeutlichung zunächst die äußeren Daten des Textgeneseprozesses dargestellt werden: Auf welche Texte bezieht sich die Stellungnahme, über welche Fassungen wird in welchen Sitzungen verhandelt, wie unterscheiden sich die Fassungen (vgl. Kapitel 6.2)? Angeschlossen werden Überlegungen zur Dominanz bestimmter Arbeitssprachen bei dieser Textgenese (vgl. Kapitel 6.3). Es handelt sich um eine Initiativstellungnahme, der WSA ist also nicht „befaßt“ worden. Zudem ist die Arbeit am Text von einigen Besonderheiten geprägt; so tauchen keinerlei formelle Änderungsvorschläge auf, die Formulierungs- und Redaktionsarbeit am Text wird im wesentlichen vom Berichterstatter allein geleistet. Was statt dessen im Fokus der WSA-Sitzungen steht, soll in Kapitel 6.4 dargestellt werden. Einzelne Aushandlungen zu Textformulierungen werden in Kapitel 6.5 präsentiert. 6.2 Der Verlauf der Textgenese: Texte, Inhalte, Präsentationsformen 6.2.1 Bezugs- und Primärtexte Im Laufe der Arbeit an der Stellungnahme wird wiederholt u.a. auf vier Texte Bezug genommen, die auch in der Studiengruppe verteilt werden: (1) ein WSA-Informationsbericht zu Mittel- und Osteuropa: Wirtschafts- und Sozialausschuß: Informationsbericht der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema „Mittel- und Osteuropäische Staaten (Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Sowjetunion, DDR, Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien)“ (Voller Wortlaut). Berichterstatter: Herr Garcia Morales. Dossier AUSS/ 74. Brüssel, August 1990. Dokument CES 492/ 90 fin. Nach einem Vermerk zum Verfahren (S. 3) wurde die Fachgruppe am 26.9.1989 vom WSA-Präsidium mit diesem Bericht beauftragt. Der Bericht wurde von der Fachgruppe in ihrer 126. Sitzung am 27.6.1990 angenommen und an das Plenum weitergeleitet: „Der Ausschuß stimmte auf seiner Plenartagung am 5. Juli 1990 mit großer Mehrheit bei 3 Stimmenthaltungen dafür, diesen Bericht zusammen mit einem Protokoll über die diesbezügliche Debatte den übrigen Institutionen der EG zukommen zu lassen.“ 230 Für diesen Bericht war Jens P. Petersen, der Berichterstatter in unserer Fallstudie, „Mitberichterstatter“ für die DDR; er wurde dabei vom Sachverständigen Peter Wiesner unterstützt. Auf Expertenhilfe hat er für die Stellungnahme „Baltische Staaten“ ausdrücklich verzichtet weil er sich selbst die nötige Kompetenz zuschreibt, einen autarken Arbeitsstil vorzieht, und um dem WSA Kosten zu ersparen. Die 1990 noch nicht unabhängigen baltischen Staaten kommen im Informationsbericht nur am Rande vor. Im Abschnitt über die Sowjetunion (S. 77-89) wird „die von den baltischen Staaten betriebene Loslösung von der Union“ als exemplarisch für „Schwierigkeiten bei der Verwirklichung der Perestrojka“ genannt: „Das litauische Parlament hat mit seiner Erklärung, das eigene Land in die Unabhängigkeit führen zu wollen, ein Beispiel gegeben, dem andere Sowjetrepubliken folgen könnten, allen voran die beiden übrigen baltischen Länder, die dazu bereits ihre Absicht bekundet haben. Die zentrale Macht reagierte darauf mit Härte; sie verhängte Sanktionen, wie beispielsweise den Lieferstopp für Erdöl und andere Rohstoffe, die zahlreiche litauische Fabriken in die Krise gestürzt und 40.000 Arbeitslose verursacht haben.“ (S. 82) (2) eine WSA-Stellungnahme zu den „Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den mittel- und osteuropäischen Staaten“. Diese im Dezember 1991 verabschiedete Stellungnahme (35 Seiten) wird auch mit ISBN-Nummer als Broschüre vertrieben, soll also einen größeren Leserkreis erreichen; diese Veröffentlichung enthält ein Abstract: „Nach einem Vorspann, der die wichtigsten Einschätzungen und Forderungen zusammenfaßt, befaßt sich die in dieser Veröffentlichung enthaltene Stellungnahme zunächst mit den wirtschaftlichen Aussichten Mittelun [sic! ] Osteuropas; anschließend behandelt sie die Entwicklung von der Gemeinsamen Erklärung der Europäischen Gemeinschaft und des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (25. Juni 1988) bis hin zu den Assoziierungsabkommen, die in Polen, der CSFR [sic! ] und [sic! zu ergänzen: „Ungarn“, W.S.] ausgehandelt wurden.“ 1 Die Tendenz dieser Stellungnahme wird im Vorwort deutlich: „[...] Die Beseitigung wirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen dem westlichen und östlichen Teil Europas ist eine der vordringlichsten Aufgaben. Deshalb begrüßt der Ausschuß die sogenannten Europa-Abkommen, die eine historische Chance nutzen, um nicht nur den Handel, sondern auch den politischen Dialog voranzutreiben, ln seiner Stellungnahme, für die als Berichterstatter Herr Jens Peter PETERSEN (Arbeitgeber, Deutschland) verantwortlich zeichnet, plädiert er dafür, auch die vielfältigen sozialen Elemente gebührend zu berücksichtigen, in der Präambel der Verträge die soziale Dimension des Europäischen Einigungsprozesses anzusprechen und die wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in den institutionellen Rahmen der Abkommen miteinzubeziehen.“ (S. 5) Das Zitat ist mit Schreibfehlern authentisch; das zeigt hier in einem nicht verallgemeinerbaren Einzelfall den Termindruck, unter dem manche WSA-Texte veröffentlicht werden müssen. 231 (3) eine Mitteilung der Kommission: Kommission der Europäischen Gemeinschaften: „Die Entwicklung der industriellen Zusammenarbeit mit den Ländern Mittel- und Osteuropas und den unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion.“ Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Parlament. Brüssel, den 13. März 1992. Dokument SEK(92) 363 endg. Sie enthält u.a. eine Kurzdarstellung der sog. „horizontalen Aktionen“ (G- 24 2 , PHARE-Programm 3 , Handels- und Kooperationsabkommen 4 , Europa- Abkommen 5 usw.). Die baltischen Staaten werden im Kapitel „Die unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion“ nicht gesondert erwähnt. (4) eine WSA-Stellungnahme zu den Europa-Abkommen mit Bulgarien und Rumänien: Wirtschafts- und Sozialausschuß: Zweite ergänzende Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den 2 „Coordinated assistance to Central and Eastern European countries (comprising the 12 Member States of the EC plus Australia; Austria; Canada; Finland; Iceland; Japan; New Zealand; Norway; Sweden; Switzerland; Turkey; United States of America)“ (Ramsay 3 1991,47) Zu den Nutznießern der G-24-Aktionen sind im Januar 1991 Rumänien, im September 1991 die baltischen Staaten und Albanien hinzugekommen. In der Mitteilung wird die Höhe der Hilfszusagen angegeben sowie die Formen der industriellen Zusammenarbeit skizziert: „der Zugang für die Produkte der Länder Mittel- und Osteuropas zu westlichen Märkten und die Investitionsförderung.“ (S. 7) 3 „PHARE“ ist ein in den beiden dominanten EG-Verkehrssprachen Englisch und Französisch semantisierbares Akronym „Poland/ Hungary Assistance for Economic Restructuring (OJ [- EG-Amtsblatt, W.S.] L 375/ 89) (Ramsay 3 1991,70) bzw. „Pologne Hongrie Assistance pour la Restructuration Economique“ (nach Philips-Slavkoff/ Röttinger 1991) 4 Abkommen über Außenhandel sowie handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ungarn und der Tschechoslowakei (1988), Polen (1989) und Bulgarien (1990), die zur Unterscheidung von Assoziierungsabkommen „Abkommen der ersten Generation“ genannt werden und neben Liberalisierungsbestimmungen (Meistbegünstigung, Aussetzung und spätere Abschaffung von mengenmäßigen Beschränkungen für bestimmte Produkte) Schutzklauseln, ein Konsultationsverfahren und z.T. auch einen Kooperationsteil enthalten (nach Philips-Slavkoff/ Röttinger 1991,535-537) 5 Assoziierungsabkommen mit mittel- und osteuropäischen Staaten nach Art. 238 EWG- Vertrag. „Der Begriff der Assoziierung ist in Artikel 238 EWG-Vertrag nicht definiert. Die Assoziierung ist eine besondere Integrationsform, die bei beitrittswilligen Ländern auch der Vorbereitung des Beitritts dient. Nach der Definition des Europäischen Gerichtshofs sollen Assoziierungen besondere und privilegierte Beziehungen zu einem Drittland schaffen, wonach der Assoziationspartner zumindestens teilweise am Gemeinschaftssystem teilhaben, jedoch außerhalb des Entscheidungsprozesses der EG bleiben muß. Assoziierungsabkommen müssen deshalb mehr sein als ein reines Handelabkommen und Materien enthalten, die auch nach dem EWG-Vertrag gemeinschaftsintem geregelt werden können.“ {Die Europaabkommen der Europäischen Gemeinschaft. Die neuen Assoziierungspartner: Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei. In: Europäische Zeitung, Juni 1992, S. 27). Europaabkommen sollen an die Stelle der Handels- und Kooperationsabkommen treten (als „Abkommen der zweiten Generation“) und enthalten neben einem wirtschaftlich-finanziellen Teil einen institutioneilen Rahmen für die Entwicklung des politischen Dialogs. Dieser dient einer Integration in die Gemeinschaft, einer politischen Konvergenz und einer kulturellen Zusammenarbeit (nach Philips-Slavkoff/ Röttinger 1991,537f.) 232 mittel- und osteuropäischen Staaten: Bulgarien und Rumänien“. Dossier AUSS/ 104. Brüssel, den 25. November 1992. Dokument CES 1334/ 92 (E/ D) RS/ R/ el. Für diese Stellungnahme ist gleichfalls Petersen Berichterstatter, dabei wird' aber aus Zeitdruck auf eine Studiengruppenarbeit verzichtet. Die Arbeit an diesem Text ist der Grund für eine beträchtliche Verzögerung der Studiengruppenarbeit zur Stellungnahme „Baltische Staaten“, die auch in der Studiengruppe angesprochen wird; so sagt der Berichterstatter am Schluß der 2. Studiengruppensitzung: „Ich muß jetzt zuerst das Europa-Abkommen mit Bulgarien-Rumänien fertig machen. Hier stehen wir unter Druck. Und erst, wenn wir damit fertig sind, dann lassen Sie einmal ’ne neue Perspektive folgen, was diese Arbeit anbelangt.“ Diese Äußerung zeigt in umgangssprachlicher Form die Präferenzorganisation für die WSA-Textproduktion: Vorrangig sind Texte, die vor einem bestimmten Entscheidungstermin (EG-Ministerrat beschließt einen Rechtsakt oder schließt ein Abkommen mit Drittstaaten ab) fertiggestellt werden müssen, da sie andernfalls von vornherein Makulatur wären. Zugleich ist Petersens Äußerung kennzeichnend für den abkürzenden Insidertalk auf Studiengruppensitzungen: Er kann voraussetzen, daß seine Kollegen wissen, daß er nicht das „Europa-Abkommen“ selbst fertig macht, sondern die WSA-Stellungnahme dazu. Diese Metonymie suggeriert freilich auch, für wie bedeutend er seinen Beitrag zu diesem Abkommen hält. Eine umgangssprachliche Formulierung wie „unter Druck stehen“ ist gebunden an mündliche Äußerungen in nicht-öffentlichen Gremien; weder der Sachverhalt noch gar eine solche Formulierung tauchen in schriftlichen Dokumenten auf. Die WSA-Stellungnahme wird in folgenden Entwurfsfassungen erstellt: (1) Arbeitsdokument: Wirtschafts- und Sozialausschuß: Arbeitsdokument für die Studiengruppe „Beziehungen EG/ Baltische Staaten“ der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zur Vorbereitung des Entwurfs einer Stellungnahme über „Die Beziehungen der EG zu den baltischen Staaten“. Berichterstatter: Herr J. P. Petersen. Zusammenkunft mit den Vertretern der Republik Estland, der Republik Lettland und der Republik Litauen bei den Europäischen Gemeinschaften. Diskussionsthemen. Brüssel, den 18. März 1992. Versand: 18. März 1992. Dossier: AUSS/ 98. Dokument R/ CES 316/ 92 (D)js Das Arbeitsdokument enthält einen „NB“-Vermerk: „Dieses Dokument dient als Grundlage der Diskussion in der Sitzung der Studiengruppe am 6. April 1992 ab 10.00 Uhr“. Der Termin dieser Sitzung wird aber auf den 21.5.1992 verschoben. Das Arbeitsdokument liegt auch auf englisch und französisch vor. (2) Vorentwurf der Stellungnahme: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 4. September 1992: Vorentwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungs- 233 politik zum Thema „Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“. Berichterstatter: Herr Petersen. Eingang: 31. August 1992. Versand: 4. September 1992. R/ CES 667/ 92 (D) el Dieser Textentwurf wird auf dem Deckblatt markiert durch den „NB“-Vermerk: „Dieses Dokument dient als Grundlage der Diskussion in der 2. Sitzung der Studiengruppe am 16. September 1992 ab 14.30 Uhr.“ Der Vorentwurf besteht aus dem üblichen rituellen Vorspann (Felder für die Daten der Abstimmungen in Fachgruppe und Plenum sind noch frei gelassen), einem Gliederungsschema und dem Text. Dabei sind einzelne Abschnitte vorerst nur durch Stichworte gefüllt („2.1. Wirtschaftliche Reformprozesse im Baltikum“, „2.2. Gesamtwirtschaftliche Entwicklung“, „4. Zu künftigen Europa-Abkommen mit Estland, Lettland und Litauen“ mit den ersten 7 Unterpunkten), andere Abschnitte werden als „nicht fertiggestellt“ markiert („4.8. Finanzielle Zusammenarbeit“, „4.9. Organe“, „5. Schlußbemerkungen“ und der Anhang mit „Schlüsseldaten aus dem Baltikum“ und „wichtigen politischen und wirtschaftspolitischen Ereignissen in den baltischen Staaten“). Aus dem schriftlichen Text allein ist nicht ersichtlich, ob der Berichterstatter seine Arbeit aus ungenannten Gründen (etwa Zeitnot) nicht hat fertigstellen können oder ob er diese Punkte bewußt offengelassen hat, um Anregungen aus der Diskussion in der Studiengruppe aufnehmen zu können. Bei „2.1. Wirtschaftliche Reformprozesse im Baltikum“ werden Stichwörter genannt, die mit sehr unterschiedlicher Wertigkeit expandiert werden könnten: allgemein-unverbindlich-diplomatisch: z.B. als Würdigung von Ansätzen und Absichtserklärungen der baltischen Regierungen) oder kritisch: z.B. als Fokussierung der katastrophalen Wirtschaftslage, ungeklärter rechtlicher Fragen (Rückgabe von Privateigentum oder Entschädigung) und Fragen der staatlichen Identität: Bestehen die 1940 okkupierten Republiken oder die nun unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken fort? Wir unterstellen, daß hier der Verzicht auf ausformulierte Textentwürfe Absicht ist: In einer Diskussion mit den Mitgliedern der Studiengruppe läßt sich besser behandeln, ob und wie explizit diese Brisanz in der WSA-Stellungnahme thematisiert werden soll, als wenn der Berichterstatter sich vorzeitig durch einen nicht konsensfähigen Vorstoß festlegen würde. In der „Vorbemerkung“ findet sich ein (fast schon ritueller) Verweis auf thematisch verwandte Vorarbeiten des WSA, mit der Quellenangabe einer „ergänzenden Stellungnahme“ desselben Berichterstatters. Eine Datumsangabe zum Kenntnisstand („Juli 1992“) scheint dem Berichterstatter wohl angesichts eines sich ungewöhnlich schnell wandelnden Beschreibungsgegenstandes zur eigenen Absicherung notwendig; dieses Datum fällt im übrigen zusammen mit dem Datum einer Informationsreise, die der Berichterstatter zu- 234 sammen mit der Studiengruppenvorsitzenden, dem niederländischen WSA- Mitglied Etty und einem Beamten des WSA-Generalsekretariats in die baltischen Staaten unternommen hat. (3) Revidierter Vorentwurf der Stellungnahme: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 8. Februar 1993: Revidierter Vorentwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema „Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ (Abschnitte 1 bis 3). Berichterstatter: Herr Petersen. Versand: 8. Februar 1993. R/ CES 667/ 92 rev. (D) hi Wiederum gibt ein „NB“-Vermerk den Verwendungszweck an: „Dieses Dokument dient als Grundlage der Diskussion in der 3. Sitzung der Studiengruppe am 17. Februar 1993 ab 11.00 Uhr.“ Nach wie vor ist der Stellungnahmenentwurf nicht fertiggestellt: Das Kapitel 4 („Zu künftigen Europa-Abkommen mit Estland, Lettland und Litauen“) ist zunächst dieselbe Stichwortliste wie in der ersten Fassung; der Anhang besteht nur aus den beiden Titeln „Schlüsseldaten aus dem Baltikum“ und „Wichtige politische und wirtschaftspolitische Ereignisse in den baltischen Staaten“. Doch bis zur Studiengruppensitzung werden 2 „Addenda“ geliefert; das erste betrifft den ersten Teil zu „Abschnitt 4“: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 15. Februar 1993: Addendum zu dem revidierten Vorentwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema „Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ (Abschnitt 4). Berichterstatter: Herr Petersen. Versand: 15. Februar 1993. R/ CES 667/ 92 rev. Add. 1 (D) js Das zweite Addendum schließlich betrifft die restlichen Absätze desselben Kapitels: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 16. Februar 1993: Zweites Addendum zu dem revidierten Vorentwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema „Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ (Punkt 4.11. bis 4.13.2.). Berichterstatter: Herr Petersen. Versand: 16. Februar 1993. R/ CES 667/ 92 rev. Add. 2 (D) js (4) Entwurf einer Stellungnahme als Vorlage zur Fachgruppensitzung: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 26. Febmar 1993: Entwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema „Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“. Berichterstatter: Herr Petersen. Eingang: 23. Februar 1993. Versand: 26. Februar 1993. CES 667/ 92 (D) js Der Text enthält den „NB: “-Vermerk: „Dieses Dokument wird in der Sitzung der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik am 11. März 1993 erörtert.“ Eine Schlußbemerkung auf S. 33 illustriert die wiederum torsohafte Lieferung: „Die letzten beiden Abschnitte werden als 235 Addendum vorgelegt“. Das betrifft die Abschnitte „Wirtschaftliche Zusammenarbeit“ und „Finanzielle Zusammenarbeit“. Dieses Addendum ist betitelt: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 5. März 1993: Addendum zu dem Entwurf einer Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema „Die Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“. Berichterstatter: Herr Petersen. Eingang: 1. März 1993. Versand: 5. März 1993. CES 667/ 92 Add. (D) js Es enthält die Teilkapitel 4.20-4.23 („Wirtschaftliche Zusammenarbeit“) sowie 4.24-4.26 („Finanzielle Zusammenarbeit“) und ist wie der Stellungnahmenentwurf in allen neun Sprachen vorhanden. (5) Stellungnahme der Fachgruppe als Vorlage für die Plenartagung: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 17. März 1993: Stellungnahme der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zum Thema „Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Baltischen Staaten“. Berichterstatter: Herr Petersen. CES 667/ 92 fin (D) js Die Stellungnahme wird nach der Plenartagung trotz des positiven Votums noch redaktionell überarbeitet und liegt dann vor als: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 25. März 1993: Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Baltischen Staaten“. CES 348/ 93 (D) js Dieser Text unterscheidet sich inhaltlich von der Vorlage für die Plenarsitzung nur durch einige Formulierungen im 1. Kapitel, die auf eine Intervention von Neville Beale in der Plenar-Diskussion zurückgehen (vgl. Kapitel 6.3). Der Text wird aber nicht mehr als Stellungnahme einer Fachgruppe bezeichnet, sondern als Stellungnahme des Ausschusses. (6) Die letzte Version in der Reihe „offizieller“ Textfassungen ist wie üblich die Veröffentlichung im EG-Amtsblatt: Stellungnahme zum Thema „Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Baltischen Staaten“ (93/ C 129/ 10). Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 129 vom 10.5.1993, S. 31-48 Der Vorspann informiert über die Rahmendaten der Textgenese: „Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 27. Februar gemäß Artikel 20 Absatz 4 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zum Thema ,Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Baltischen Staaten' zu erarbeiten. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik nahm ihre Stellungnahme am 11. März 1993 an. Berichterstatter war Herr Petersen. 236 Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 304. Plenartagung (Sitzung vom 25. März 1993) ohne Gegenstimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.“ Diese Präambel von 3 Absätzen wird auch durch das Layout (einspaltig, beidseitig eingerückt) gegenüber dem laufenden Text (Zweispaltensatz) hervorgehoben. Der Vorspann beinhaltet das Datum des WSA-Beschlusses zur Erarbeitung einer Initiativ-Stellungnahme, die Rechtsgrundlage, die Daten zur Annahme der Stellungnahme durch die zuständige Fachgruppe, die Person des Berichterstatters und das Ergebnis der Abstimmung im Plenum. Dies ist sozusagen die juristische Minimalform einer Darstellung der Textgeschichte. Solche Präambeln dienen nicht lediglich der Information des Lesers, sondern sind in dieser standardisierten Form durch den Artikel 43 der WSA-Geschäftsordnung vorgeschrieben. Im Text folgt der Einführung eine „Vorbemerkung“ als Verweis auf thematisch verwandte WSA-Stellungnahmen damit wird die Kontinuität in der Arbeit betont - und eine vorgreifende Verdeutlichung des Stellungnahmeninhalts. Die folgende „Zusammenfassung“ präsentiert in Form von Zitaten Kemsätze aus dem folgenden Hauptteil. Dieser Teil der Stellungnahme ist wohl gedacht als Orientierungshilfe angesichts der Länge und thematischen Komplexität des Dokuments so wird aber die Zusammenfassung schon über zweieinhalb Seiten lang! Der Hauptteil ist gegliedert in vier Kapitel: „1. Der Weg in die Unabhängigkeit“ „2. Gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ „3. Handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Baltischen Staaten“ „4. Zu künftigen Europa-Abkommen mit Estland, Lettland und Litauen“. Das besonders lange vierte Kapitel ist nach einer Vorbemerkung mit Kritik an der EG-Kommission wiederum gegliedert in Anlehnung an die Struktur solcher Europa-Abkommen („Präambel“, „Politischer Dialog“, „Allgemeine Grundsätze“, „Freier Warenverkehr“, „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“; „Niederlassungsrecht und Dienstleistungsverkehr“, „Kapitalverkehr“, „Wettbewerb und Angleichung der Rechtsvorschriften“, „Wirtschaftliche Zusammenarbeit“, „Finanzielle Zusammenarbeit“). Diese Unterpunkte sind Zwischentitel; sie zeigen so die differenzierte Bandbreite von relevanten Themen. Das belegt die Darstellung des Berichterstatters in der Plenartagung, daß diese Initiativ-Stellungnahme nicht schlicht die Außenbeziehungen der EG behandelt, zu denen der WSA in der Tat kein Befassungsrecht hätte, sondern eine ganze Palette von Subthemen zur Außenhandelspolitik, zu denen er bei späteren von der Kommission geplanten Einzelmaßnahmen ohnehin gehört werden müßte. 237 6.2.2 Sekundärtexte Auch im Verlauf dieser Textgenese gibt es eine Reihe von Sekundär- oder Hilfstexten; dazu zählen u.a.: (1) ein erster Informationsvermerk des WSA-Generalsekretariats: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 14. Mai 1992: Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik, Studiengruppe „Beziehungen EG/ Baltische Staaten“. Informationen über die baltischen Staaten. Dokument DI 38/ 92 (D) bb Er trägt den Vermerk (man beachte die Beschränkung bei den Arbeitssprachen! ): „Dieser Vermerk ist auf Deutsch, Englisch und Französisch verfügbar. Er wurde vom Sekretariat der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik zusammengestellt.“ (2) Protokoll der Fachgruppensitzung: Europäische Gemeinschaften, Wirtschafts- und Sozialausschuß, Schreiben Nr. 1230/ 93, Brüssel, den 5. April 1993. Protokoll über die 145. Sitzung der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik am 11. März 1993 im Ausschußgebäude zu Brüssel. CES 319/ 93 (D/ E) ue Der TOP 4 („Erarbeitung einer Stellungnahme der Fachgruppe zu den , Beziehungen EG/ Baltische Staaten* (Berichterstatter: Herr PETERSEN - Dok. R/ CES 667/ 92 rev.)“) wird so resümiert: „Zunächst stellte der BERICHTERSTAl'lER ausführlich den Entwurf der Stellungnahme vor. Dabei wies er auch auf das prinzipielle Problem hin, daß der Ausschuß einerseits zu Fragen der Außenbeziehungen in der Regel nicht befaßt werde, daß andererseits die Assoziationsabkommen Politikbereiche beträfen, zu denen der Ausschuß normalerweise befaßt werde. Daher könne der Ausschuß seine beratende Aufgabe hierbei nur mittels Initiativstellungnahmen erfüllen, und er müsse dabei davon ausgehen können, dieselbe Unterstützung seitens der Kommission zu erhalten wie im Falle von Befassungen. Die Stellungnahme werde diesmal schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, d.h. selbst vor der Ausarbeitung spezifischer Verhandlungsrichtlinien, vorgelegt, um dem Argument entgegnen zu können, daß die Verhandlungen bereits zu weit fortgeschritten seien, um die Rolle der gesellschaftlichen Gruppen im Rahmen von Assoziierungsabkommen noch gebührend berücksichtigen zu können. Der BERICHTERSTATTER erläuterte die verschiedenen Kapitel und griff einzelne wichtige Punkte heraus. Wegen der außergewöhnlichen Länge des Textes wurde beschlossen, auf eine allgemeine Debatte zu verzichten und generelle Bemerkungen im Rahmen der Beratungen zu den einzelnen Abschnitten vorzubringen. An der Debatte beteiligten sich die Vorsitzende der Studiengruppe, Frau GUILLAUME, Frau BREDIMA sowie die Herren BERNS, NIERHAUS, ETTY, PASQUALI, LIVERANI, POMPEN, WICK, MOURGUES, PRICOLO und KAARIS. Der BERICHTERSTATTER sagte zu, die zahlreichen Anmerkungen bei der Überarbeitung des Textes zu berücksichtigen und soweit wie möglich im Sinne der Interventen einzubauen. 238 Die Stellungnahme wurde einstimmig angenommen. Angesichts der besonderen Qualität der Stellungnahme wurde darauf Wert gelegt, daß angemessene Maßnahmen ergriffen werden, um eine entsprechende Publizität zu erreichen.“ An diesem Protokoll fällt die ausführliche Form auf; es referiert Kernpunkte des Berichterstatter-Referats und enthält eine Liste der an der Diskussion aktiv Beteiligten. Außerdem werden die Abweichungen vom geschäftsordnungsgemäßen Verfahren dargestellt: die Abstimmung mit einstimmiger Annahme eines Textes, der danach noch vom Berichterstatter im Sinne von Anmerkungen vor der Abstimmung überarbeitet werden soll; die vage Formel „angemessene Maßnahmen [...], um eine entsprechende Publizität zu erreichen“ anstelle einer Explikation, wer vorgeschlagen hat, dafür zu sorgen, daß die Stellungnahme auf der Plenartagung debattiert wird, verweist indirekt darauf, daß eine Debatte auf der Plenartagung nicht notwendig Zeichen für die Strittigkeit des Textes ist; hier ist die Debatte PR-Mittel, um dem Text eine bessere Rezeption zu verschaffen. (3) Ein späterer zweiter Informationsvermerk; Dir. C. Brüssel, den 22. März 1993. Informationsvermerk: Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Baltischen Staaten.“ Stellungnahme: Dok CES 667/ 92 fin Der Informationsvermerk liefert nach den Verfahrens-Formalien eine „Begründung der Initiativstellungnahme“ und stellt den „wesentlichen Inhalt der Stellungnahme der Fachgruppe“ dar als Ergebnis eines zweimaligen Kondensierungsprozesses: Die Stellungnahme beginnt bei einem Gesamtumfang von 31 Seiten mit einer viereinhalbseitigen Zusammenfassung, aus der wiederum die zweiseitige Zusammenfassung für den Informationsvermerk destilliert wurde. Die Technik ist dabei eine Auswahl relevanter Sätze, nicht eine Umformulierung ganzer Absätze. Dabei werden Sätze allgemeinen Inhalts (meist also die in einen komplexen Sachverhalt einführenden) und solche ausgewählt, die pointiert eine WSA-Bewertung enthalten. In der Begründung der Initiativstellungnahme heißt es u.a; „Die Kommission widmete in ihrem Arbeitsprogramm für 1992 breiten Raum der Verstärkung der Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas durch Hilfsprogramme und der Konsolidierung der Beziehungen der Gemeinschaft mit diesen Ländern mittels verschiedenartiger, der jeweiligen Situation angepaßter Abkommen. Der Prozeß der totalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzung in Mittel- und Osteuropa weist einen Umfang und ein Maß an Heterogenität auf, die es unmöglich machen, eine Gesamtsicht der Dinge im Rahmen einer Initiativarbeit des Ausschusses zu erlangen. Es wurde daher beschlossen, sich in einem nächsten Schritt anschließend an die vom Ausschuß bereits erstellten Informationsberichte und Initiativstellungnahmen zu Mittel- und Osteuropa auf einen Bereich zu konzentrieren, der für die im Ausschuß 239 vertretenen Interessengruppen auch Möglichkeiten bietet, die weitere Entwicklung der Beziehungen mitzugestalten. Nachdem sich der Ausschuß in einer seiner letzten Initiativstellungnahmen zu den Beziehungen der Gemeinschaft zu Mittel- und Osteuropa mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei befaßt hat, erschienen die baltischen Staaten, also Estland, Lettland und Litauen, als besonders geeignet für den nächsten Schritt, da sie aufgrund ihrer historischen Bindungen zu Ländern West- und Nordeuropas prädestiniert sind für eine Rolle als Drehscheibe für Wirtschaftsbeziehungen zwischen West und Ost. [...] Der im Ausschuß vertretene wirtschaftliche und soziale Sachverstand könnte in dieser Situation durchaus einen hilfreichen Beitrag leisten, indem marktwirtschaftliche Mechanismen, die Erfordernisse einer sinnvollen Eingliederung in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung sowie die Vorteile regionaler Integration in bezug auf die baltischen Staaten erläutert werden. Damit kann sowohl die Ausgestaltung der Ostpolitik der Gemeinschaft beratend begleitet wie auch die Entwicklung zu wirtschaftlicher Lebensfähigkeit der neu entstehenden Republiken gefördert werden.“ (S. 2f.) (4) Tagesordnung für die WSA-Plenartagung: Europäische Gemeinschaften, Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 23. März 1993. Entwurf der ausführlichen Tagesordnung für die 304. Plenartagung des Wirtschafts- und Sozialausschusses am 24./ 25. März 1993 im Ausschußgebäude, 2, nie Ravenstein zu Brüssel. CES 269/ 93 rev. 2 (F) M/ S-KW/ K/ sk Nach diesem Entwurf gibt es sechs Tagesordnungspunkte, die „nach dem Verfahren mit Debatte“ verabschiedet werden sollen. Zur Initiativstellungnahme „Beziehungen zu den Baltischen Staaten“ sind für das Plenum keine Änderungsanträge eingebracht wurden, die Stellungnahme ist auch in der Fachgruppe einstimmig angenommen worden. Dennoch wird diese Stellungnahme im Plenum diskutiert. Dies geht auf eine Initiative des deutschen Fachgruppenmitglieds Göke Frerichs zurück, der am Schluß der Fachgruppensitzung nach der einstimmigen Annahme vorschlägt, diese „wichtige Stellungnahme“ sollte im Plenum referiert werden. Der Fachgruppenvorsitzende Carroll nimmt diese Anregung positiv auf. Diese Besonderheit verweist auf ein Dilemma der WSA-Arbeit: Angesichts der Vielzahl von Texten, die für jede Plenartagung zur Behandlung anstehen, möchte die Geschäftsordnung für ein zeitsparendes Procedere sorgen: Ist bereits auf Fachgruppenebene ein Konsens erzielt, wird bis zum Beweis des Gegenteils unterstellt, daß er auch auf der Ebene der Plenartagung fortbesteht, um so die Arbeit von redundanten Diskussionen zu entlasten. Andererseits arbeitet der Berichterstatter besonders gut und effizient, wenn er abweichende Meinungen in der Studiengruppen- und Fachgruppenphase von vornherein in seinen Text so einbezieht, daß gar keine formellen Änderungsanträge gestellt werden. Ein Stellungnahmen-Text wird zudem als besonders gut bewertet, wenn es keine Gegenstimmen in den Abstimmungen gibt, weil der Text dann offenkundig von einem breiten Konsens unterschiedlicher wirtschaftlicher und sozialer Gruppen getragen wird. 240 Mitunter entsteht wie hier ein Zielkonflikt zwischen zeitökonomischer Arbeit und dem Wunsch, durch eine Behandlung mit Debatte im Plenum einem besonders guten und wichtigen Text zu mehr Publizität zu verhelfen. Dahinter steht die Vorstellung, daß die Diskussion auf den Plenartagungen weniger der Aushandlung einzelner Formulierungen im Text gilt, sondern dazu, globale Bewertungen auszudrücken und darüber hinaus den Text und den Berichterstatter solidarisch zu unterstützen, um das Gewicht der WSA-Stellungnahme bei den Adressaten Kommission und Rat zu steigern. (5) Zeitplan für die Plenartagung: Europäische Gemeinschaften, Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel, den 23. März 1993. Zeitplan für die Abwicklung der Arbeiten im Rahmen der 304. Plenartagung des Wirtschafts- und Sozialausschusses am 24./ 25. März 1993. CES 270/ 93 (F) KW/ K/ el Nach diesem Zeitplan ist die Behandlung der Stellungnahme „Beziehungen zu den Baltischen Staaten“ als letzter Tagesordnungspunkt (Nr. 11) am ersten Sitzungstag vorgesehen, bevor gegen 19.30 Uhr die Tagung unterbrochen werden soll. Tatsächlich wird die Tagesordnung aufgrand situativer Zwänge umgestellt: Das Referat des neuen griechischen Kommissars Paleokrassas und die Diskussion dazu dauern länger als geplant, einige Berichterstatter können aber nur am ersten Sitzungstag anwesend sein. So wird die Stellungnahme erst am zweiten Tag gegen 10.15 Uhr behandelt. Das führt gleichfalls zu Zeitnot: Die Stellungnahme muß in einer halben Stunde abgehandelt werden, da gleich darauf eine WSA-Pressekonferenz mit baltischen Botschaftern und Fachjoumalisten stattfinden soll. Die tagesaktuelle WSA-Presseerklärung erscheint nur auf französisch: Relations CE-Pays baltes: un avis d’initiative du CES pour rendre la passage ä l’economie de marche „socialement acceptable“. Bruxelles, le 29 mars 1993 Durch die Überschrift wird hier die „Sozialverträglichkeit des Übergangs zur Marktwirtschaft“ als zentrale WSA-Forderung hervorgehoben. In der monatlichen Presseübersicht des WSA (März/ April 1993), die in allen Amtssprachen erscheint, in der deutschen Fassung unter dem Titel „WSA aktuell“, wird die Stellungnahme der Beziehungen zu den Baltischen Staaten an zwei Stellen erwähnt: „Im Blickpunkt: Baltische Staaten: Blick auf „Europaabkommen“ (S. 1)/ März-Plenartagung: Die Baltischen Staaten: Europäische Verträge (S. 2)“ Hier heißt es: „Nach Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei rückt der Ausschuß die Beziehungen zwischen der EG und Lettland, Estland und Litauen in den Vordergrund, denen eine wichtige Brückenfunktion zwischen Westeuropa und Mittel- und Osteuropa zukommt.“ (S. 1) 241 Auf S. 2 werden „einige Kernstücke dieses Dokuments“ aufgezählt (Sozialverträglichkeit, Europa-Abkommen mit Politischem Dialog unter Einschluß wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gruppen, Arbeitsmigranten, Minderheitenschutz) und die Aktualität des Textes betont („zu einem Zeitpunkt, da Moskau von einer schweren politischen Krise geschüttelt wurde und der Abzug der sowjetischen Truppen aus den Baltischen Staaten stockte“). Die Presseresonanz ist recht dürftig: In der Meldung von „Agence Europe“ Session pleniere du Comite economique et social des CE: CES/ Etats baltes: Le comite se prononce une fois de plus pour la conclusion d’accords europeens dissociation entre la CE et Estonie, Lituanie et Lettonie demarches et suggestions sur le contenu. Agence Europe, Lundi/ Mardi 29 & 30 mars 1993, N° 5950 (Nouvelle Serie), S. 13 wird als zentral die WSA-Forderung hervorgehoben, die EG solle mit den baltischen Staaten Europa-Abkommen abschließen in Analogie zu den bereits mit osteuropäischen Staaten abgeschlossenen. In der Meldung der zweisprachigen Agentur „european report / europolitique“ „EC calls for further links with Baltic States“, european report n° 1847, March 27, 1993, S. V/ 8 „Pour un renforcement des liens avec les Etats baltes“. europolitique n° 1848, le 31 mars 1993 werden in einem halbseitigen Artikel ein Bericht des Europäischen Parlaments (Ausschuß für Außenbeziehungen) und die WSA-Stellungnahme referiert. Der EP-Bericht wird dabei als erster genannt, detaillierter dargestellt, und er nimmt zwei Drittel des Artikels ein. Als zentral für die WSA-Stellungnahme werden Forderungen nach Europaabkommen analog zu schon abgeschlossenen, nach Schutz für die sozialen und die Minderheitenrechte und nach einem Abzug der russischen Truppen (der durch einen EG-Fonds unterstützt werden soll) herausgestrichen: „This Opinion opts for Association Agreements with the Baltic states, similar to those already signed between the EC and the Visegrad [sic! ] countries, Bulgaria and Romania. It also calls for the protection of all social rights as well as the rights of minorities. It similarly calls for the withdrawal of Russian troops from the Baltic states and urges the Community to establish a fund which would facilitate the armies’ pull-out.“ 6.2.3 Der Inhalt des „Vorentwurfs“ In 1.1. schreibt der Text dem Baltikum eine „wichtige Brückenfunktion“ zu; diese beliebte Metapher wird in einem sehr lesenswerten aktuellen Buch der Journalistin Marianna Butenschön relativiert: „[...] die uralte Funktion der Brücke zwischen Ost und West, die das Baltikum wieder übernehmen möchte. Lettland würde auf dieser Brücke einen besonders günstigen Platze 242 einnehmen, weil es drei eisfreie Häfen besitzt: Riga, Ventspils und Liepaja.“ (Butenschön 1992, 173) 6 Butenschön sieht hier die baltischen mit anderen osteuropäischen Staaten in Konkurrenz - Rußland könne sich seine „Brücken“-Partner aussuchen. Im Vorentwurf der Stellungnahme wird die historisch vorgeprägte politische Orientierung der baltischen Staaten so umschrieben: „Traditionell eng verbunden den Ländern Nord- und Westeuropas“. Diese globale Beschreibung verzichtet auf eine Differenzierung zwischen den drei baltischen Staaten (tatsächlich muß man wohl von spezifischen Affinitäten wie Estland - Finnland, Lettland - Deutschland, Litauen - Polen ausgehen 7 ). Überhaupt neigt der Vorentwurf zur Metaphorik: „[...] sind sie geradezu prädestiniert, als Drehscheibe zu fungieren für die Intensivierung und Ausweitung der west-östlichen Wirtschaftsbeziehungen.“ Die Metapher „Drehscheibe“ vernebelt eine präzise Benennung wirtschaftlicher Prozesse und vermeidet eine Festlegung, wie es z.B. mit der Konkurrenzsituation der baltischen Staaten mit den anderen osteuropäischen Staaten (den ehemaligen COMECON-Staaten) steht. Im Abschnitt 1.2. wird die westliche Einstellung zur baltisch-sowjetischen Entwicklung in den letzten Jahren durch „Mit großer Sympathie und Anteilnahme“ umschrieben. Das scheint uns bestenfalls ein Euphemismus zu sein hat man im Westen nicht die baltischen Unabhängigkeitsbestrebungen lange als gefährlichen Separatismus gesehen und die Staaten gerade nicht unterstützt, sondern auf Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestrojka gesetzt, für die die baltischen Ansprüche sich als Gefahr ausnahmen? Im Abschnitt 1.3. behauptet der Text: „Perestrojka und Glasnost spielten in diesem Kontext eine politisch eminent wichtige Rolle.“ Die zeitweiligen Gegensätze zu Gorbatschow, den die Balten zunehmend als imperialen Politiker wahmahmen, werden in dieser Formulierung noch nicht berücksichtigt, sondern erst in 1.4. thematisiert: Mit ihren Unabhängigkeitserklärungen zwischen dem 11.3. und dem 4.5.1990 seien 6 Dieses Buch lag auch dem Berichterstatter als Informationsquelle vor. 7 In der ersten Studiengruppensitzung beschreibt der litauische Vertreter, Vygaudas Uäackas, „conseiller“ der litauischen EG-Botschaft, die traditionellen außenpolitischen Affinitäten seines Landes: „We are more cooperative with the Scandinavian countries and Latvia as well, but now in Lithuania we are much more linked to Germany personally and to Poland as well due to historical circumstances. But recently the situation is completely different due to the simple fact it was always being explained, and if you followed our presentations to you you ought to notice that about 90 per cent of our trade were and still is with the former Soviet Republics.“ 243 „die Balten in Moskau auf erbitterten Widerstand [gestoßen], Wirtschaftssanktionen und militärische Eskalation waren zwangsläufige Folgen.“ In den Abschnitten 1.7 und 1.8. wird das Problem der russischen Streitkräfte ungewöhnlich ausführlich behandelt. Aus politischer Vorsicht wird aber auf einen angesichts der Nationalität des Berichterstatters naheliegenden Vergleich mit der Situation in der Ex-DDR verzichtet. Der erste Absatz von Abschnitt 3.1. besteht im wesentlichen aus einer sehr generellen, stark konsensorientierten Formulierung allgemeingültiger Prinzipien für „handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit“, konkretisiert für die osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn, CSFR. Erneut wird hingewiesen auf die vorangegangene Stellungnahme desselben Berichterstatters: „Die Entwicklung und Stärkung demokratischer Strukturen wie auch die Öffnung der Grenzen so der Ausschuß in seiner Stellungnahme zu den Europa-Abkommen mit Polen, Ungarn und der CSFR sind wesentliche Eckpunkte für eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn.“ In 3.3 und 3.4 schließt sich ein indirekter Hinweis auf Initiativen aus anderen Staaten an, die der EG den Rang abgelaufen haben (EFTA-Staaten und, was ja partiell deckungsgleich ist, „Ostseeanrainer“). Zu diesem Vorentwurf stellen sich einige generelle Fragen: - Welche Perspektive ist in dieser Stellungnahme dominant: Soll sie die Positionen der politisch relevanten EG-Institutionen Kommission und Rat referieren, sollen die Interessen der baltischen Staaten artikuliert werden, oder stehen die Interessen des WSA im Vordergrund, auch durch Forcieren gegenüber der Kommission, außenpolitische Themen behandeln zu dürfen? - Die baltischen Staaten werden (von Detailangaben zur historischen Entwicklung auf dem „Weg in die Unabhängigkeit“ abgesehen) stets kollektiv angesprochen. Fraglich ist, ob das zu deren separatistischem Selbstverständnis paßt, wie es auch auf der ersten Studiengruppensitzung von den Botschafts-Vertretern der drei baltischen Staaten artikuliert wurde (vgl. Kapitel 6.4.5). - Steht es dem WSA zu, sich in die „inneren Angelegenheiten“ der baltischen Länder einzumischen (z.B. Minderheitenpolitik, Wahlrecht für Russen, nationalistische Tendenzen), indem er Vorbedingungen für Wirtschaftsabkommen formuliert? - Von einer Hilfe für die (drückenden) Umweltprobleme der baltischen Länder ist im ausformulierten Teil noch nicht die Rede (Wasserverschmutzung des litauischen Flusses Düna und der Ostsee, Kernkraftwerk Ignalina in Litauen); allenfalls könnten die Stichwörter „Umwelt“ und „Kernenergie“ unter 4.7. in dieser Weise inhaltlich gefüllt werden. 244 6.2.4 Der Inhalt des „Revidierten Vorentwurfs“ Der „Revidierte Vorentwurf“ weist im wesentlichen folgende Unterschiede zur Vorfassung auf: - Das Kapitel 2 („Gesamtwirtschaftliche Entwicklung“) ist ausgeführt; dabei ist der Teiltitel „Wirtschaftliche Reformprozesse und [...]“ aus dem ersten Entwurf getilgt worden. - Das Gliederungsschema nach dem Prolog ist entfallen, wie der Berichterstatter auf der 2. Studiengruppensitzung auch angekündigt hat. In der „Vorbemerkung“ wird der Hinweis auf vorangegangene Befassungen des WSA mit Reformprozessen in Mittel- und Osteuropa nicht mehr nur durch die „ergänzende Stellungnahme zu den Europa-Abkommen, die die Europäische Gemeinschaft mit Polen, Ungarn und der CSFR abgeschlossen hat“ belegt, sondern auch durch die ergänzende Stellungnahme zu den Europa-Abkommen mit Bulgarien und Rumänien (jeweils mit Fundstelle im Amtsblatt). Als Aktualisierung ist nach der Spaltung der Tschechoslowakei zu Beginn 1993 aus „CSFR“ „ehemalige CSFR“ geworden. Das relativierende Adverb „schwerpunktmäßig“ ist bei der Beschreibung der Zielsetzung der Stellungnahme verschoben worden von „Umgestaltungs- und Emeuerungsprozesse“ auf „Frage einer weiteren Intensivierung der politische, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen der Europäischen Gemeinschaften zu diesen Ländern“ zu fragen ist, ob hier eine andere Fokussierung der Stellungnahme angekündigt wird, weg von einer Beschreibung der baltischen Situation aus der Außenperspektive, hin zu einer Zustandsbeschreibung und Prognose der Zusammenarbeit von EG und Baltikum? 6.2.5 Der Inhalt des „Entwurfs der Stellungnahme“ Neu gegenüber dem „Revidierten Vorentwurf einer Stellungnahme“ beginnt der „Entwurf“ mit einer fünfseitigen Zusammenfassung der folgenden Abschnitte; dabei werden inhaltlich zentrale Kemsätze oder Passagen von wichtigen Abschnitten unverändert übernommen (mit anschließendem Verweis auf die Abschnitts-Numerierung). Offenbar soll dieser neue Teil eine Lesehilfe darstellen und einen schnellen Überblick über den Inhalt der Stellungnahme ermöglichen. Beispiel: „2.3. Die gesamtwirtschaftlichen Analysen zeigen eines in aller Klarheit: Die Volkswirtschaften der drei Baltischen Staaten befinden sich in der schwierigsten Phase des wirtschaftlichen Transformationsprozesses zwischen Planwirtschaft nnrt MarktwirKr-haft. Das alte System ist weitgehend zusammengebrochen, das neue System kann mir allm-ihU^n greifen. Zwangsläufige Folgen sind Wachstumseinbrüche in kaum erwartetem Ausmaß. gm hohes Inflationstempo, steigende Arbeitslosigkeit und schrumpfende Realeinkommen Für die Bevölkerung im Baltikum mit Sicherheit schwer verständlich und noch schwerer erträglich. Im Westen hingegen herrscht Zuversicht, wird unterstellt, die Bevölkerung der Reformstaaten sei bereit, die erheblichen Belastungen des Emeuerungs- und 245 Umstrukturierungsprozesses geduldig zu tragen nicht nur heute, auch morgen. Freilich, jüngste Wahlergebnisse in östlichen Nachbarstaaten lassen auch andere Deutungen zu.“ (S. 13). 8 Die in die Zusammenfassung übernommenen Sätze sind Kemsätze einer Analyse der „gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Die anderen Sätze dienen zur Überleitung und Fokussierung oder Relevanzhochstufung (nach einer Darstellung von Wirtschaftsdaten der einzelnen baltischen Staaten) bzw. stellen nicht weiter belegte Perspektivierungen (als Vermutung zur Reaktion der baltischen Bevölkerung auf die schlechte Wirtschaftslage im Gegensatz zu einer westlichen Verkennung der Lage) und Relativierungen aufgrund jüngster politischer Ereignisse dar. Einige Veränderungen im einzelnen: 1.2. Die Daten für die Friedensverträge mit Sowjetrußland nach dem I. Weltkrieg werden ausgedünnt (z.B. von „am 2. Februar 1920“ zu „im Februar 1920“); „wesentlich beschwerlicher“ wird zu „äußerst beschwerlich“ (zu „innenpolitischen Konsolidierung der jungen Staaten“) gesteigert; „Hitler-Stalin-Pakt“ wird zu „Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin“ expandiert; „in einem Geheimen Zusatzprotokoll und zwei späteren Ergänzungen Estland, Lettland und Litauen sowie Ostpolen“ wird historisch präzisiert zu „in einem Geheimen Zusatzprotokoll Estland und Lettland, in zwei späteren Ergänzungen auch Litauen sowie Ostpolen“ (das ermöglicht eine Zuordnung). 1.8. Die Parenthese im Vorfeld des Volksdeputiertenkongresses-“ wird hinzugefügt zur vermutungsweisen Interpretation einer Jelzin-Verfügung, den russischen Truppenabzug aus den baltischen Staaten zu stoppen; so werden die angeführten „innenpolitischen Gründe“ präzisiert. 1.9. Zwei Sätze werden am Schluß hinzugefügt: „In den Baltischen Staaten sollten mit westlicher Unterstützung Hilfen, wie z.B. die Finanzierung von Sprachkursen, für Angehörige von Minderheiten zur Verfügung gestellt werden, die sich einbürgern lassen wollen. Auch sollte die Gemeinschaft ihre Bereitschaft zeigen, bei der Lösung des heiklen Problems des Truppenabzugs als Vermittler zur Verfügung zu stehen.“ Hier wird eine Anregung aus der 3. Studiengruppensitzung aufgegriffen. Das Kapitel 1 „Der Weg in die Unabhängigkeit“ ist auf der Studiengruppensitzung am 17.2.1993 nicht kommentiert worden; es handelt sich also zumeist um selbst-initiierte redaktionelle Änderungen des Berichterstatters. Dieses Kapitel ist weniger eine wertende Stellungnahme, sondern liefert Hintergrundinformationen zum Verständnis der aktuellen politischen Situation; es spricht damit weniger die primären Adressaten in der Kommission an (bei denen diese historischen Kenntnisse als bekannt unterstellt werden können), sondern ein weiteres interessiertes Publikum, das die WSA-Stellungnahme als kondensierte Einführung in bestimmte Probleme der EG-Politik rezipiert. Diese wertungsffeie Art der Sachverhaltsdarstellung wird allerdings Unterstreichung W.S. (= in die Zusammenfassung (S. 2) übernommen). 246 im Abschnitt 1.8 suspendiert, wo der schleppende russische Truppenabzug als politisches Druckmittel interpretiert wird. 2.2.1. 1. Absatz: „[...] könnte sich die Zahl der Arbeitslosen auf rund 50.000 erhöht und damit in nur sechs Monaten praktisch verdoppelt haben“ wird zu „[...] hat sich die Zahl der Arbeitslosen stärker erhöht“: Der Verzicht auf eine Zahlenangabe mit einer Interpretation der Entwicklung bedeutet semantische Vagheit statt syntaktischer Modalisierung. Das litauische Inflationstempo wird durch „und im Jahresdurchschnitt 1000% betrug“ präzisiert. 2. Absatz: Der „amtierende litauische Präsident“ wird nach seiner Wahl im Februar ’93 zum „litauischen Staatspräsidenten“ aktualisiert. Danach wird er nicht mehr als Sprecher seiner Litauischen Demokratischen Arbeiterpartei (LDAP) lediglich mit einer Andeutung politischer Reformforderungen zitiert, sondern in indirekter Rede mit einer kritischeren und pointierteren eigenen Forderung: „den wirtschaftlichen Reformprozeß .behutsam’ fortzuführen. Die überstürzten Reformen, insbesondere die voreilige Auflösung der landwirtschaftlichen Genossenschaften, hätten seines Erachtens zu dem dramatischen Produktionsrückgang beigetragen. Er will verlorene Märkte in den unabhängigen Republiken der GUS wieder erschließen, die Gespräche mit Rußland über Ölimporte erfolgreich zu Ende führen und die Subventionen für die Landwirtschaft erhöhen“. 2.2.2. „Ebenfalls“ wird bei der Beschreibung des Rückgang des lettischen Bruttoinlandsproduktes hinzugefügt, um die Analogie zur zuvor beschriebenen litauischen Wirtschaftsentwicklung zu betonen. Ein relativierendes Adjektiv „(registrierte)“ zu „Arbeitslosenquote“ drückt Distanzierung vom Realitätsanspruch dieser Zahlenangabe aus. 2.2.3. Der „Wachstumseinbruch“ für 1992 wird von „prognostiziert“ zu „von rund 25% geschätzt“ präzisiert. Dafür wird der folgende Satz mit einer vermutungsweisen Gleichsetzung mit den lettischen Daten und einer „veralteten“ Zahl für das erste Halbjahr 1992 getilgt („Er dürfte in ähnlicher Größenordnung liegen wie in Lettland, nachdem das volkswirtschaftliche Gesamtprodukt bereits im ersten Halbjahr 1992 um gut 30% schrumpfte“). Bei den Industriesektoren mit überdurchschnittlich starkem Rückgang wird neu an erster Stelle die „Zellstoff- und Papierindustrie“ genannt, dafür wird an letzter Stelle die „Glasindustrie“ getilgt. Wiederum wird die Angabe zur Arbeitslosigkeit durch „registrierte“ relativiert und durch „auch in Estland“ präzisiert. Eine Vermutung zu den Gründen für die unerwartet gering wachsende Arbeitslosigkeit wird weggelassen („Trotz unausgelasteter Produktionskapazitäten scheuen sich die Unternehmen anscheinend, Arbeitskräfte zu entlassen.“). Eine Klassifizierung der estnischen Währung wird von der distanzlosen Apposition „(eine echte Hartwährung)“ zum Relativsatz „die bislang in einer festen Kursrelation zur DM steht“ modifiziert. Das deiktische „Derzeit“ wird durch „Zur Jahreswende“ ersetzt und die Zahl der monatlichen Inflationsrate von „um 7 %“ zu „um 3,5 %“ korrigiert. 2.3. Die metaphorische Paraphrase „Tal der Tränen“ zu „schwierigste Phase des wirtschaftlichen Transformationsprozesses“ wird getilgt. 2.4. Eine vagere Formulierung wird durch eine bestimmtere, selbstbewußte ersetzt: „stellt sich für den Ausschuß die ganz grundsätzliche Frage, ob [...] daran gedacht wurde [...]“ wird zu „betont der Ausschuß, daß [...]“; durch Tilgung des „auch“ (sozialverträgliche Gestaltung des Übergangs zur Marktwirtschaft) und Normsetzung „daß der Übergang [...] zu gestalten ist“ wird fokussiert. Die folgende Distanzierung „Zweifel sind durchaus angebracht“ wird getilgt. „Auch sollte bedacht werden“ wird zu „Auch sei daran erinnert“ 247 verschärft. „Mehr“ wird getilgt: Die Aussage, „daß Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht unabhängig voneinander betrieben werden können“, gilt nun absolut, nicht zeitlich relativiert. 3.2. Der Schlußsatz „Freilich, in den Genuß der gemeinschaftlichen und bilateralen Hilfen sollten zunehmend auch die Baltischen Republiken kommen“ wird durch einen Satz ersetzt, der die Perspektive des Gemeinschaftsinteresses stärker betont: „In diesem Sinne muß der Gemeinschaft daran gelegen sein, daß die Infrastrukturen dieser Länder entwikkelt werden, um einen wirtschaftlichen Aufschwung zu ermöglichen.“ 3.9. Der Satz „Zur Assoziierung der drei Länder und der Option auf spätere EG-Mitgliedschaft gibt es keine überzeugende Alternative“ wird getilgt. Von den Korrekturen abgesehen, betreffen die meisten Änderungen also Aktualisierungen aufgrund neuerer verfügbarer Daten, Präzisierungen und Veränderungen von Bewertungen. 6.3 Sprachenverteilung Für die Textarbeit sind in diesem Fall Deutsch, Englisch und Französisch die drei Hauptsprachen, allerdings aus unterschiedlichen Gründen: (1) Deutsch ist Sprache des Berichterstatters; vor allem in den ersten beiden Studiengruppensitzungen, in denen er noch keinen vollständigen Textentwurf vorlegen kann, nutzt er statt dessen sein vorgängiges Rederecht exzessiv aus. (2) Englisch ist diplomatische lingua franca, so auch dominierende Sprache während des Hearings mit Botschaftsvertretem aus den drei baltischen Staaten, die englisch sprechen, ebenso die WSA-Mitglieder Guillaume, der Niederländer Etty und der Italiener Romoli (der Italiener Amato und der Franzose Mercier sprechen französisch, Petersen deutsch). Hier zeigt sich freilich auch ein Kompetenzgefälle zwischen den drei baltischen Vertretern: Der lettische EG-Botschafter Dahlmann spricht gut englisch und hat einen mit präzisen statistischen Zahlen dokumentierten Vortrag zur schlechten wirtschaftlichen Situation Lettlands vorbereitet; die beiden anderen Vertreter sind wegen der akustischen Raumbedingungen und wegen ihrer Phonetik kaum zu verstehen, auch ihre Problemdarstellungen scheinen nicht so klar gegliedert. (3) Französisch ist dominierende Sprache für WSA-inteme Verwaltungsvorgänge und (wie bei den anderen EG-Institutionen) für die Pressearbeit im WSA. Das läßt sich illustrieren durch eine Randbemerkung auf dem „Entwurf einer Stellungnahme“, der nach der Fachgruppensitzung dem Übersetzungsdienst vorgelegt wird und in dem die Veränderungen, Kürzungen und Zusätze für die Fassung zur Plenartagung markiert sind; auf dem Deckblatt heißt es: ,AUX POOLS ! [- Schreibdienst] 248 Attention ä la numeration des footnotes' qui n’est plus correcte apres les modifications apportees au texte. Veuillez la corriger s.v.p." Als die Plenartagung am 24.3.1993 gegen Ende des ersten Sitzungstages wegen Verschiebungen in der Tagesordnung und eines überlangen Besuchs des neuen griechischen EG-Kommissars Paleokrassas in Zeitnot gerät und zu überlegen ist, ob noch eine Stellungnahme behandelt werden kann und wenn ja, welche, sagt WSA-Präsidentin Tiemann: „Herr Petersen hat sich einverstanden erklärt seine Stellungnahme zu Punkt elf morgen zu machen * morgen früh- ** <Herr Pelletier kann nicht die stel seine Stellungnahme morgen/ ** eh uns=eh präsentieren/ weil er heute abend schon nach Hause fliegen muß\ wir stehen jetzt vor der Wahl/ wir könnenwir können weitermachen bis/ ** on peut continuer jusqu’ä/ *** eh ** <bi: s viertel vor acht- *** es erscheint mir kaum möglich in dieser Zeit ** eine so wichtige Stellungnahme/ einschließlich Gegenstellungnahme/ abzuhandelnX“ Die Zwischenfrage auf französisch ist an den neben ihr sitzenden Beamten des WSA-Generalsekretariats gerichtet, seine ebenfalls französische Antwort bleibt ohne Mikro unverständlich. Sie ist gleichwohl nicht verfahrensoffiziell, nur Teil einer Nebensequenz zur Verständigungssicherung. Die Information wird erst durch die nachfolgende Reformulierung der Präsidentin in ihrer Sprache als offiziell ratifiziert. Auch die Pressekonferenz am 25.3.1993, in der die fertige WSA-Stellungnahme in Anwesenheit von baltischen Botschaftern Fachjoumalisten präsentiert werden soll, eröffnet der portugiesische WSA-Pressesprecher de Almeida auf französisch, indem er u.a. sagt: „on vous a invite d’arriver aujourd’hui pour vous presenter un avis d’initiative du comite economique et social, qui a d’ailleurs ete adopte il y a dix minutes ä peine, il a ete adopte avec une seule abstention, un avis qui conceme les relations de la Communaute avec les Pays baltes.“ Arbeitssprachen auf dieser Pressekonferenz sind Deutsch, Englisch und Französisch (mit Verdolmetschung); Etty als Mitglied der Studiengruppe und Teilnehmer an der Studienreise spricht englisch. Die Fragen der Journalisten werden auf englisch und französisch gestellt. Die sprachliche Orientierung wird aus einer Episode deutlich: Nach dem Referat des Berichterstatters möchte der Pressesprecher dem litauischen Botschafter das Wort geben. Als der nicht sogleich zu verstehen scheint, wechselt der Pressesprecher vom Französischen ins Englische: „si Monsieur l’ambassadeur veut dire un mot bref sur la situation, sinon je passe directement aux questions, Monsieur l’ambassadeur vous voulez dire, do you want to say something about... in one of the three languages you can choose." Doch der Botschafter hält sein Kurzreferat auf französisch. 249 6.4 Idiosynkrasien dieses Textgeneseprozesses - oder liegt ein anderes Verfahrensmuster vor? Die Arbeit an der Initiativ-Stellungnahme „Baltische Staaten“ ist durch einen wesentlichen Unterschied zur Stellungnahme „Maritime Industrien“ gekennzeichnet: Dort wurden einige formelle Änderungsvorschläge (in der Fachgruppe) und -anträge (im Plenum) vorgetragen, von denen einer sogar zu Verfahrens-Turbulenzen führte. Noch größere Relevanz bekommt die Behandlung von Änderungswünschen oder gar von Gegenentwürfen, die zu Minderheitenvoten führen können, bei sozialen Themen (vgl. Kapitel 7). Eine solche Brisanz wohnt dem Thema der „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ offenbar nicht inne. Das liegt zum einen daran, daß entscheidend divergente Interessen je nach WSA-Gruppenzugehörigkeit (Arbeitgeber, Arbeitnehmer) oder nach Herkunftsland (z.B. mediterrane vs. nördliche Interessen) in der Textarbeit nicht manifest werden. Zum anderen sieht sich der Berichterstatter, Jens P. Petersen, der im WSA für die Arbeitgeber- Gruppe den Bundesverband der Deutschen Industrie vertritt, nicht nur selbst als besonders geschickt darin, eigene zentrale Formulierungsinteressen und die Wünsche von Kollegen unter einen Hut zu bringen diese Kompetenz, auf Einwände zu reagieren oder sie gar zu antizipieren, wird ihm auch von vielen unserer Gesprächspartner im WSA attestiert. Diese Kompetenz äußert sich auch darin, daß er nicht partikulare Arbeitgeber-Interessen betont, sondern markiert andere Perspektiven übernimmt: gewerkschaftsnah, wenn die Relevanz einer „sozialen Dimension“ unterstrichen wird (auch wenn dann eine Konkretisierung unterbleibt), und industriekritisch, wenn er sich gegen die Ausbreitung eines rücksichtslosen Manchester- Kapitalismus im derzeitigen wirtschaftspolitischen Vakuum der mittel- und osteuropäischen Staaten ausspricht. So ist diese Textarbeit gekennzeichnet durch zahlreiche informelle (redaktionelle“) Änderungen ohne Abstimmung. Sogar die in der Plenartagung ohne Gegenstimmen angenommene Fassung wird noch leicht überarbeitet aufgrund von Änderungswünschen des Engländers Beale: „[...] all I want to do is to askerr it is the last opportunity I haveto ask Mister Petersen ** to look again at his historical versions in paragraph one point two- ** errin the: last sentence but one/ ** he says that the Red Army occupied these states * in the summer of nineteen-forty\ ** well I was only a schoolboy in nineteen thirty-nine and nineteen fortybut I did have colleagl Polish colleagueswhen I was serving in the rol British Royal Airforce/ who would be prisoners of war of the Soviets/ ** from nineteen thirty-nine onwards- ** and sowould he change ** ,the occupation by the Red Army of the Baltic States* instead of .these states* because then it doesn’t refer to Eastern Poland/ that that I’m quite sure aboutwell I’m certainly less sure about but I think I read recently in the Encyclopaedia Britannica that Lithuania wasn’t in fact included ** in the agreement between Germany and and and the Soviet Unionand it was Stalin ** who occupied Lithuania as well as Estonia and Latviathat caused the first break ** between the two countries- I’m not too sure about that perhaps Mister *** err Petersen would like to check 250 that himselfand my final point is- ** I think it might be somewhat betterin the: ** er second sentence of one point twoinstead of using the phrase .Russian domination* ** to say .Russian sovereignty*- ** because that something like two or three hundred years er is that the same situation in Finland- Finland and all the Baltic States ** were internationally recognized/ as parts of the sol of the sovereign ** er tsarist empire/ ** but the idea of Russian domination ** is essentially a twentieth century concept\ ** if you read Leo Tolstoy/ you realize that when-err Kutusovmanages to err recapture that area ** from Napoleon/ that was considered liberation\ err 111 ** I think that the word .sovereignty* rather than .domination* might be better there\ thank you\“ Auffällig ist hier: Beale stellt die Korrektheit des historischen Exkurses im ersten Teil der Stellungnahme an drei Stellen explizit in Frage: (1) Hat die Rote Armee im Sommer 1940 neben den baltischen Staaten auch Ostpolen besetzt, wie das anaphorische „these states“ mit Bezug u.a. auf „Lithuania and Eastern Poland“ nahelegt? (2) War auch Litauen im deutsch-sowjetischen Geheimabkommen von 1939 enthalten, oder war Stalins Besetzung dieses Landes selbst nach diesem Unrechts-„Vertrag“ ein Übergriff? (3) Beale hält das Wort „domination“ für ein modernes politisches Konzept und damit für unangemessen, um eine historisch ältere politische Abhängigkeit peripherer Territorien von einer staatlichen Zentralgewalt zu beschreiben. Interessant sind seine unterschiedlich „indirekten“ Argumentationsmuster und Begründungen zu diesen drei Anderungswünschen: Zu L: Beale verweist nicht auf schriftliche Referenzen (z.B. Nachschlagewerke, Lexika), sondern auf seine eigene Lebenserfahrung, obwohl die zum fraglichen Punkt gebrochen ist: Zur fraglichen Zeit war er noch nicht fähig, historisch-politische Zusammenhänge zu durchschauen („I was only a schoolboy“), er kann jedoch für seine Ansicht verläßliche Zeugen benennen („I did have colleagl Polish colleagueswhen I was serving in the rol British Royal Airforce/ who would be prisoners of war of the Soviets/ ** from nineteen thirty-nine onwards-“). Zu 2.: Zu diesem Punkt behauptet Beale nicht, daß er sich dessen sicher sei gleichwohl beruft er sich hier auf die Autorität der „Encyclopaedia Britannica“, mithin eine schriftliche Quelle seines Heimatlandes, der er so implizit Verläßlichkeit unterstellt. Zu 3.: Kurzer historischer Exkurs zur Begründung einer anderen Wortwahl. Der Berichterstatter würdigt in seiner Stellungnahme, in der er zusammenfassend auf mehrere Debattenbeiträge eingeht, die Anderungswünsche seines Kollegen Beale explizit positiv: „Herrn Beale bin ich für die beiden Hinweise * besonders dankbar/ es ist ja eine ganz schwierige Situation auch mit diesen ZusatzprotokollenX und erst in jüngster Zeithat man 251 in russischen Archiven ** zusätzlich die ergänzenden Protokolle gefundenin denen dann auch * Polen praktisch zum Teil noch ** in das Interessengebiet der der ** Russenzu dem zum Interessengebiet der Russen erklärt wurde\ wir werden die Souveränität ändern und wir werden auch ** diesen Punkt den Sie noch erwähnt haben im Rahmen dieser ** geheiml dieser Zusatzprotokolle und der Besetzung * ebenfalls ändern'“ Die Stellungnahme der Fachgruppe als Vorlage für die Plenartagung wird auch tatsächlich trotz des einstimmig-positiven Votums gleich nach der Tagung und anschließenden Pressekonferenz zwischen Berichterstatter und zuständigem Beamten im WSA-Generalsekretariat redaktionell überarbeitet: Im Satz „Schon nach dem Ersten Weltkrieg konnten sich die Balten erfolgreich von der russischen Herrschaft lösen“ wird „Herrschaft“ durch „Souveränität“ ersetzt (in der englischen Fassung: „sovereignty“ statt „domination“). Das anaphorisch unklare „die Staaten“ in „[...] besetzte die Rote Armee die Staaten im Sommer 1940 und entmachtete die Regierungen“ wird zu „die Baltischen Staaten“ präzisiert (in der englischen Fassung „the Baltic States“ statt „these states“). In diesen beiden Fällen kommt der Berichterstatter also dem Wunsch Beales nach; die Amtsblatt-Fassung bleibt dann unverändert. Die Darstellung der „Geheimen Zusatzprotokolle“ (also Beales zweiter Punkt) bleibt allerdings unangetastethier insistiert der Berichterstatter auf der Verläßlichkeit seiner historischen Quellen und auf seiner eigenen Kompetenz. Als weitere Abweichung vom normalen Verfahren legt der Berichterstatter zur 2. Studiengruppensitzung einen unvollständigen Textentwurf vor, in dem einige Kapitel nur durch Stichworte angedeutet werden. Um so länger führt er im mündlichen Referat aus, was er noch schreiben will. Er meldet sich auch in der seitenweise Prüfung wiederholt zu Wort, ohne daß ein anderes Mitglied der Studiengruppe zum fraglichen Punkt überhaupt interveniert hätte. In diesen Abweichungen von der üblichen Verteilung der Redebeiträge zeigt sich die Arbeitsökonomie des ansonsten üblichen WSA-Verfahrens: Die Orientierung auf schriftliche Texte zwingt zur verbalen Sparsamkeit; liegen keine Texte vor, kann ohne zeitliche Restriktionen und strikte thematische Orientierung geredet werden. 6.4.1 Präsentationsformen: Detaillierung und Kondensierung Das Verfahren der WSA-Textgenese sieht vor, daß der Berichterstatter seine jeweils vorliegenden Textentwürfe zu Beginn der Sitzung bzw. der Behandlung des Tagesordnungspunktes darstellen und erläutern kann. In diesen mündlichen Referaten verfolgt er prinzipiell zwei einander widersprechende Formulierungsstrategien: Detaillierung versus Kondensierung. „Detaillierung“ bedeutet, daß der Berichterstatter für bestimmte schriftliche Sachverhaltsdarstellungen eine maximale Textlänge nicht überschreiten möchte, dafür aber die Details im mündlichen Vortrag liefert. Das kann unterschiedliche Gründe haben; so mag es dem Berichterstatter politisch nicht opportun erscheinen, bestimmte kritische Wertungen „schwarz auf weiß“ zu explizieren, während er die relativ flüchtige mündliche Darstellung als nicht 252 so brisant ansieht. Mündlich lassen sich so auch eher durch verläßliche Informationen und Daten weniger gut belegte Vermutungen äußern, die dem Berichterstatter aber wichtig erscheinen, damit bestimmte Darstellungen im schriftlichen Text für die WSA-Kollegen plausibel und akzeptabel werden. Ein Beispiel aus der vorliegenden Stellungnahme ist das als zentral angesehene Problem des russischen Truppenabzugs aus den baltischen Staaten (vgl. Kapitel 6.4.3). Durch „Kondensierung“, das gegenläufige Verfahren, werden detaillierte Sachverhaltsdarstellungen im Text vom Berichterstatter in der Sitzung verkürzend, generalisierend und abstrahierend referiert. Zum einen wird so Zeit gespart, was in der Fachgruppe und besonders im Plenum wichtig ist, wo für die Behandlung eines Textes im Rahmen der Tagesordnung nur begrenzte Zeit zur Verfügung steht; dagegen beschäftigen sich die Studiengruppen in einer Sitzung in der Regel nur mit einem Text, der Berichterstatter hat mithin wesentlich mehr Zeit für seine Präsentation. Freilich überstrapaziert der Berichterstatter diesen Freiraum auf der zweiten Studiengruppensitzung, auch weil er nicht einen vollständigen Text vorlegen konnte und die fehlenden Teile nun erstmals mündlich und exposeartig vorträgt. Er redet auf dieser Sitzung über eine Stunde, trotz einer vorsichtigen Intervention der Studiengruppenvorsitzenden. Dafür entschuldigt er sich zu Beginn seines Referats auf der nächsten Studiengruppensitzung am 17.2.1993: „Vielen Dank Frau Vorsitzende ich=ehmeine Damen und Herren ich=eh * werde mich auf jeden Fall kurz halten denn ich habe noch * eh den mahnenden Zeigefinger im Visier den die Frau Vorsitzende mal erhoben hat auf der zweiten Sitzung als ich ** doch relativ ausführlich die Probleme eh eh darlegteV Zum anderen kann der Berichterstatter durch Kondensierung gewichten: Bestimmte Aspekte können als aktuell und diskussionswürdig herausgestrichen, andere als subsidiär in den Hintergrund der allgemeinen Aufmerksamkeit gestellt werden. So gliedert der Berichterstatter auf der Plenartagung sein Referat (das ohnehin wegen einer verschobenen Tagesordnung und einer unmittelbar danach folgenden Pressekonferenz zu dieser WSA-Stellungnahme unter starkem Zeitdruck steht) in „ein paar Vorbemerkungen und ein paar Schlußbemerkungen“, die er einleitend bereits für wichtiger erklärt als ein Referat des Inhalts. Die Vorbemerkungen betreffen (1) eine Rechtfertigung dieser Stellungnahme auf die Frage hin: „warum machen wir eine Stellungnahme/ ** äh: zu Europa-Abkommen die überhaupt noch nicht=äh sich in Verhandlungen befinden äh in der Aushandlung befinden- ** mit den baltischen Staaten/ “ Petersen erklärt dazu, die im Baltikum Vorgefundene schwierige Situation, insbesondere die aktuellen dramatischen Vorgänge in Moskau, legitimierten eine Stellungnahme zur Situation der Baltischen Staaten. 253 (2) das Timing der Stellungnahme, nämlich die Notwendigkeit, eine WSA- Stellungnahme abzugeben, bevor die Verhandlungsrichtlinien des Rates für die Kommission festliegen: „ich habe immer wieder festgestellt/ daß wenn einmal Verhandlungsrichtlinien der Gemeinschaft verabschiedet sind\ ** von Rat verabschiedet/ dann ist es ungemein schwierig/ das Schiff * der Kommission noch zu ändern/ weil die Kommission kaum bereit istunsere Vorschläge * aufzunehmen/ “ Die Komplexität von Verhandlungspositionen der EG-Kommission für Verhandlungen mit Drittstaaten und den normativen Vorgaben des Rates dafür wird hier zu einer Variante der gängigen maritimen EG-Metaphorik reduziert („das Schiff“). (3) die besondere Herausforderung an die Expertise des WSA und seiner Mitglieder, die eine Stellungnahme zu den baltischen Staaten im Vergleich zu den Stellungnahmen zu anderen osteuropäischen Staaten darstelle; man habe es nämlich mit „drei Republiken zu tun/ <die Bestandteil eines-eh der ehemaligen UdSSR ** gewesen sinddie also ganz andere Bedingungen ** äh äh äh v vo vorzuweisen haben als-äh die früheren ** RGW-Staaten die immerhin noch eine gewisse Unabhängigkeitstaatliche Unabhängigkeit aufweisenkonnten/ und deshalb ist es natürlich zum Teil schwierig gewesen/ Informationen zu bekommen/ bis hin zur Frage der statistischen Unterlagenes gab eben keine eigenen Statistiken/ sie wurden in Moskau zentral erfaßt/ und dort wo notwendiggeschönt <-und verzerrtV“ Nach den Vorbemerkungen referiert Petersen den Inhalt; er kündigt dabei sein Referat als „ganz kurz“ an. Dabei wird beispielsweise das erste Kapitel „Der Weg in die Unabhängigkeit“ (im Dokument CES 667/ 92 fm drei Seiten lang), das einen geschichtlichen Abriß der letzten 50 Jahre bietet, unter Verzicht auf Details kurz und bildlich umschrieben mit „wie es denn in den letzten fünfzig Jahren ** äh äh v äh v gewesen ist/ wie äh die Entwicklung rauf und runter ging in Fragen Unabhängigkeit“ Danach fokussiert Petersen das nach seiner Ansicht „zentrale Problem“, die Frage des Truppenabzugs (vgl. Kapitel 6.4.4). Zum zweiten Kapitel („Gesamtwirtschaftliche Entwicklung“) liefert Petersen eine strukturierende Lesehilfe: „[...] hab ich mich auf vier ** Komponenten beschränkt- ** das gesamtwirtschaftliche Wachstum die Industrieproduktion ** den Arbeitsmarkt und die Inflation-“ Die Beschränkung wird mit der mageren statistischen Datenlage begründet (vgl. Kapitel 6.3.2). Dazu bietet Petersen eine Interpretationshilfe in Form eines Resümees dieses Kapitels, die mit drei besonders einleuchtenden Beispielen angereichert wird, und in Form der für die Handlungspraxis der EG notwendigen Schlußfolgerungen: 254 „Sie sehen aus der Analyse zumindestens daß es * eine katastrophale Lage geworden ist/ Inflationsraten bis zu tausend und mehr Prozent im Jahr/ ** äh mit-äh: einschl mit-äh ** dramatischen Einbrüchen in den Realeinkommen/ äh ** mit einer Zerfledderung des sozialen Netzes ** und * dergleichen Dinge mehr/ hier ** meine ich äh zeigt sich deutlich wie notwendig ** nicht nur finanzielle Hilfesondern auch * Beratungshilfe * des Westens geboten ist\“ Petersen verzichtet hier insbesondere auf eine Gliederung seines Referats nach Ländern; im Text hat er die volkswirtschaftliche Analyse nach den vier benannten Kriterien nacheinander einzeln für Lettland, Estland und Litauen durchgeführt, auch um dem Bedürfnis der baltischen Staaten nach eigener Identität entgegenzukommen, also jeweils für sich wahrgenommen zu werden. In der Präsentation wird eine globale und kondensierende EG-Perspektive auf das Baltikum als Ganzes bevorzugt. Anders fällt die mündliche Präsentationsform der „Einführung“ in die Debatte auf der Plenartagung durch den stellvertretenden Fachgruppenvorsitzenden Kaaris aus: er expandiert sie, indem er die fallspezifischen Verfahren der Informationsbeschaffung erwähnt (im einzelnen: „fact-fmding-mission“ » und Hearing mit den Vertretern der baltischen Botschaften). Damit betont er, daß der WSA in diesem Fall die Qualität seiner Informationen durch eine Bandbreite unterschiedlicher Perspektiven abgesichert habe. Gestaltungsorientierter wird diese „Einführung“ abgeschlossen durch einen persönlichen Relevanzbezug: Kaaris definiert sich als Dänen und verweist auf besondere historische dänisch-baltische Bindungen anhand eines mythologischen Kemdatums: in der Schlacht von Reval 1238 fiel angeblich die dänische Flagge („Danebrog“) als Kreuzesfahne vom Himmel. In dieser Weise die dänische Geschichte zu legitimieren geht hart an einem situationsinadäquaten Mißgriff vorbei: Kaaris präsentiert ausgerechnet eine Episode aus der Frühphase westlich-imperialer Kolonialisierungspolitik gegenüber dem Baltikum, die als Modell für gegenwärtige und künftige Beziehungen fragwürdig erscheint: Möglicherweise sehen zwar Balten westliche Wirtschaftsinteressen als Versuche neokolonialistischer Einflußnahme an, dem WSA muß aber daran gelegen sein, diesen Eindruck zu zerstreuen und dieser Wertung zu widersprechen! 6.4.2 Problem der Informationsbeschaffung Die Textgenese dieser Initiativstellungnahme hat ungewöhnlich lange gedauert; mehrfach wurden auch Termine für die Studiengruppensitzungen verschoben. Das hatte mehrere Gründe: Zum einen ist diese Stellungnahme keine dringende Terminsache, weder in dem Sinne, daß die Kommission bis zu einem festen Termin eine Stellungnahme beim WSA bestellt hat, noch in dem Sinne, daß der WSA mit seiner Initiativstellungnahme vor bestimmten anderen Aktivitäten von anderen EG- Organen fertig sein möchte, um sie in seinem Sinne beeinflussen zu können. Im konkreten Fall gab es eine Terminkollision: Der Berichterstatter mußte 255 eine andere Stellungnahme zu Europa-Abkommen mit Bulgarien und Rumänien vorziehen. 9 Ein wichtiger Grund für die Verzögerung des Verfahrens liegt in einem ungewöhnlich großen Aufwand zur Informationsbeschaffung: Am 21.5.1992 wurde die erste Sitzung der Studiengruppe als Hearing mit Vertretern der 3 baltischen EG-Botschaften und Vertretern der EG-Kommission organisiert; diese erste Studiengruppensitzung fokussierte also noch nicht die Texterstellung, sondern diente dazu, die Perspektive der Balten kennenzulemen. Außerdem fand eine Studienreise („Fact-Finding Mission“) einer Delegation aus drei WSA-Mitgliedem (je einem aus den drei Gruppen, nämlich dem Berichterstatter, dem Niederländer Etty für die Gruppe II und der englischen Studiengruppenvorsitzende Guillaume für die Gruppe HI) und dem zuständigen Beamten des WSA-Generalsekretariats Jungk ins Baltikum statt. So begründet Frau Guillaume in ihrer Eröffnung der 2. Studiengruppensitzung deren Terminverschiebung vom 16.7. auf den 16.9.1992 mit der zwischenzeitlichen Reise: „Our rapporteur Mr Petersen and Mr Etty/ were attending the Helsinki-meeting/ and then later in July/ Mr Jungk/ Mr Etty and Mr Petersenand 1/ visited em Estonia Latvia and LithuaniaX And *** this was a very interesting ** if exhausting- ** visit\ we\ I think we were on eight planes/ attended about twenty meetings/ ** and drove for six hundred miles/ much to er Mr Petersen’s ** slight discomfort in cars which had absolutely no seatbelts at alb But nevertheless we met ** em ** the relevant AUFZÄHLEND ministers/ we met em ** bankers/ we met trade-unionists and officials from the chambers of commerce- # *** Andit was a ** it was a very busy and worthwhile visitV' Interessant ist hier ihre selektive Darstellung: Sie zählt äußerliche, „touristische“ Aspekte der Reise auf (besuchte Länder, Zahl der benutzten Flugzeuge, Reisestrecke und Sitzungen mit zugehörigen Kategorien von Kontaktpersonen), sozusagen als Minimalform eines Berichts über eine Dienstreise. Den garniert sie aber mit einer Anekdote: die fehlenden Sicherheitsgurte als „human touch“-Episode, zugleich aber als Andeutung einer Rückständigkeit der baltischen Staaten. Darüber hinaus aber verzichtet sie auf eine inhaltliche Darstellung und Bewertung von Reiseergebnissen, wohl weil das mit ihrem Verständnis ihrer Rolle als Studiengruppenvorsitzende kollidieren würde; sie will dem Berichterstatter nicht vorgreifen. Im Gegensatz zum Vorsitzenden der Studiengruppe „Maritime Industrien“, der wiederholt eigene Formulierungswünsche zur Tendenz, globalen Struktur und zu Einzelaspekten dieser Stellungnahme äußerte, sieht Frau Guillaume ihre Aufgabe in einer Kombination aus Gesprächsorganisation (Eröffnung, Vergabe von Rederecht, Er- 9 Zwischen der 2. und der 3. Studiengruppensitzung lag etwa ein halbes Jahr, nicht wie üblich ein Monat; nachdem wir mehrfach beim Berichterstatter und beim WSA-Sekretariat nachgefragt hatten, wann denn die nächste Sitzung stattfinden würde, sagte uns der Berichterstatter zu Beginn der 3. Studiengruppensitzung sogar scherzhaft, die Sitzung finde vor allem statt, damit wir unsere Fallstudie abschließen könnten. 256 gebnissicherung usw.) und Beziehungsarbeit, indem sie durch explizite Berücksichtigung von Partnerperspektiven für ein gutes Gesprächsklima sorgt. Auch der Berichterstatter berichtet dann über die Studienreise in die baltischen Staaten: „Frau Vorsitzende hat bereits gesagt daß wir einige Tage in=eh vier Tage genau in den baltischen Staaten waren/ ** wir waren erst in Tallinn in=eh Estland/ dann in Riga in=eh Lettland und zum Schluß in Vilnius in Litauen/ ** und wir waren relativ und ich glaube das kann sie bestätigen „hoch aufgehängt“ wie man so schön sagt/ Wir haben also mit sehr vielen=eh wir haben auch mit Ministern geredet wir haben mit *** dem Vorsitzenden der=m mit dem Präsidenten der Estnischen=eh Zentralbank gesprochen/ das war damals sehr notwendig/ Sie erinnern sich daß-eh wir Anfang Juli dort waren und am * 20. Juni ** ist erstmals die estnische Krone eingeführt worden &insoweit gab das ja guten Anlaß ** mit-eh dem Präsidenten der Notenbank zu sprechen/ wir hatten einige Minister/ stellvertretende Minister/ und auch hohe Beamte aus den * Ministerien ** in den * verschiedenen in den drei LändemX <Ich will nicht im einzelnen auf diese ** Gespräche eingehen/ ich will=eh nur eh eines sagen/ ** eh daß wir *2* em *3* eh ** eh daß-eh ich-eh Informationen die dort gesammelt werden konnten und auch Papiere die wir bekamen/ *** Eingang finden in unsere Stellungnahme/ und=eh dort dann im einzelnen auch erörtert werden'» *2,5* eh/ *** das ist die eine Seite der Medaille &die andere Seite ist daß natürlich Informationen aus den drei Ländern alleine nicht hinreichenum eine Stellungnahme abzugeben wir mußten auch die andere Seite hören/ das heißt/ von den Unternehmen auch die Kommission den Ministerien in den nationalen Mitgliedsstaaten und-eh dort eben=eh ergänzende ** Ansichten einzu eh um dort ergänzende Ansichten einzuholen und ** auch dieses ist inzwischen ** geschehen/ em *** ich-em habe deshalb eben sehr spät erst angefangen überhaupt ** zu schreiben/ weil es keinen Zweck hatmit=eh sehr schwammigen und unzureichenden Informationen zu beginnenX“ Teilweise wiederholt er hier Informationen, die die Vorsitzende schon gegeben hat. Diese Redundanz wird nicht als störend empfunden, weil er die Informationen dabei präzisiert (z.B. Angabe der baltischen Hauptstädte, in denen sie waren) und aspektualisiert (z.B. daß das Gespräch mit dem estnischen Zentralbank-Chef angesichts der unmittelbar vorangegangenen Einführung einer estnischen Währung gut getimt war). Sein „audiatur et altera pars“-Argument ist hier ambivalent: - Für die Informationsbeschaffung ist wichtig, sich nicht auf offiziell-offiziöse Problemdarstellungen aus den Ministerien der baltischen Staaten zu verlassen, sondern auch die Perspektive der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in diesen Staaten kennenzulemen; diese Fokussierung ist eine WSA-spezifische Arbeitsstrategie. - Zum anderen hält er bloße Fakten als Grundlage für eine Arbeit an der Stellungnahme für unzureichend; er möchte auch Wertungen, Problemsichten und Wünsche der Gesprächspartner in den baltischen Staaten kennenlemen. Doch welche Interessen sollte der WSA mit einer solchen Stellungnahme vertreten? Darf er als Advokat baltischer Interessen gegenüber unaufgeklärten 257 anderen EG-Institutionen auftreten, oder sollte er die Interessen der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in der EG betonen? Mehrfach wird auch in den Sitzungen das Problem thematisiert, zuverlässige Informationen und brauchbare statistische Zahlen zu bekommen; so sagt der Berichterstatter in der Plenartagung: „deshalb ist es natürlich zum Teil schwierig gewesen/ Informationen zu bekommen/ bis hin zur Frage der statistischen Unterlagenes gab eben keine eigenen Statistiken/ sie wurden in Moskau zentral erfaßt/ und dort wo notwendiggeschönt <-und verzerrtV“ 6.5 Einzelne Formulierungsaspekte Die Arbeit an einzelnen Formulierungen kann bei einem thematisch so komplexen und relativ langen Text wie dieser Stellungnahme nicht vollständig dargestellt werden. Wir möchten uns hier auf einige besonders interessante Aspekte beschränken, die in mehreren Phasen des Textentwurfs behandelt werden und für das Selbstverständnis des WSA sowie Maximen seiner Textproduktion erhellend sind. 6.5.1 Kritik an der Kommission Die Leitfrage der folgenden Darstellung eines „Fingerhakeins mit der Kommission“ lautet: Mit welchen Formulierungen wird in den Textentwürfen die Politik der EG-Kommission gegenüber dem WSA kritisiert, werden Vorwürfe wie eines Vorenthaltens von wichtigen Informationen für die WSA- Arbeit und eines Nichtemstnehmens seines Rechts auf Initiativstellungnahmen formuliert, auf welche Interventionen gehen Änderungen dieser Formulierungen zurück? Im „Arbeitsdokument“ (18.3.1992), im „Vorentwurf einer Stellungnahme“ (4.9.1992) und im „Revidierten Vorentwurf einer Stellungnahme“ (8.2.1993) ist diesbezüglich noch Fehlanzeige. Allerdings wird die Kritik vom Berichterstatter bereits in seinem Schlußreferat auf der 1. Studiengruppensitzung am 21.5.1992 angesprochen: „wir können nur n paar Schwerpunkte herausgreifen * was in diesen Europa-Abkommen besonders ** eh geregelt sein sollteeh und hier/ LEICHT LACHEND #muß ich leider mich wieder kritisch an die Kommission wendenN# ** Sie haben in der Präambel zu den Europa-Abkommen die Beitrittsoptioneh eh eh drin/ ** nach Artikel zwo siebenunddreißig dann/ obwohl die Assoziierungsabkommen über zwo achtunddreißig laufenX cjedes Land hat in Europa das Recht/ seinen Beitrittswunsch zu artikulieren/ und=eh vor diesem Hintergrund frage ich mich warum Sie diesen Beitrittsoptionen ** eh eh drin aufgenommen haben/ Sie können andere Länder nicht schlechter stellenals Polen Ungarn * und die * CSFRdas heißt Sie werden mit dieser Beitrittsoption/ egal was in Lissabon rauskommtweiterhin ** leben * müssen/ “ 258 Hier wird in einer durch Lachen markierten metakommunikativen Nebensequenz 10 (noch) nicht eine Verfahrenskritik an der Kooperationsbereitschaft der EG-Kommission gegenüber dem WSA bei der aktuellen Textgenese geübt, sondern eine politische, nämlich an der Verhandlungsposition der EG- Kommission für die Europa-Abkommen. Auf der 2. Studiengruppensitzung am 16.9.1992 spottet der Berichterstatter: „Das wenige, was in den Europa-Abkommen für Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei, der CSFR, noch enthalten war an sozialen Überlegungen, das ist inzwischen auch gestrichen worden. Und ich habe dank glücklicher Fügung, wie Manna vom Himmel das Mandat der Kommission in der Hand. Das ist für uns von der Kommission nicht zur Verfügung gestellt worden. Und da steht diese entscheidende Passage: [...]“ In spielerischer Imagearbeit schreibt er sich so eine Souveränität bei der Beschaffung notwendiger Informationen zu, die auch durch Obstruktion der Kommission nicht zu erschüttern ist. Durch den scherzhaften Vergleich wird die Beschaffungsquelle verdunkeltder Berichterstatter will wohl seinen Informanten schützen. Im „Addendum zu dem Revidierten Vorentwurf einer Stellungnahme“ (15.2.1993) für die 3. Studiengruppensitzung am 17. 2 1993 wird nun erstmals in den einleitenden Bemerkungen im Kapitel 4 („Zu künftigen Europa- Abkommen mit Estland, Lettland und Litauen“) auch schriftlich ein kritischer Ton angeschlagen: „4.1. Bei Ausarbeitung seiner Initiativstellungnahmen über die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaften zu mittel- und osteuropäischen Staaten stand der Ausschuß stets vor der Schwierigkeit, einschlägige Informationen zu erhalten. Zwar erklärte sich die EG- Kommission zu Gesprächen grundsätzlich bereit und auch zur Beantwortung gezielter Fragen, aber die Versorgung mit fundierten Unterlagen, z.B. über den Stand laufender Assoziierungsverhandlungen, war äußerst dürftig. Zudem mußte der Ausschuß erkennen, daß die EG-Kommission strikt an den vom Rat verabschiedeten Verhandlungsrichtlinien festhielt und streng genommen kaum bereit war, Forderungen des Ausschusses im nachhinein in die Richtlinien aufzunehmen und vom Rat absegnen zu lassen. Deshalb das Anliegen des Ausschusses, seine ergänzenden Anmerkungen (auch kritischer Art) vor Fertigstellung neuer Verhandlungsrichtlinien für europäische Assoziierungsabkommen zu unterbreiten. Er sieht darin zugleich die Chance, potentiellen Verhandlungspartnern im Osten Europas namentlich den Regierungen der Baltischen Staaten die Sicht der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in der Gemeinschaft zu einzelnen Elementen dieser Abkommen nahezubringen. [...]“ Er kritisiert, zu einer vorangegangenen Stellungnahme, für ihn Modell der jetzigen, seien wichtige Informationen vorenthalten worden. Die Kritik fokussiert mithin nicht die aktuelle Textgenese noch kann man ja nicht die Informationspolitik der EG-Kommission zur Stellungnahme „Baltische Staaten“ thematisieren und kritisieren, weil man ja mittendrin ist! 10 „Side sequence“ im Sinne von Jefferson (1972) als eingeschobene Aktivität, die die Realisierung eines übergeordneten Handlungsschemas nur zeitweise suspendiert. 259 Das generelle Argumentationsmuster hier: Durch den Verweis auf eine vorangegangene WSA-Stellungnahme werden Kontinuität in der Arbeit und noch anhaltende Relevanz des Vorläufer-Textes (natürlich vom selben Berichterstatter! ) betont. Zugleich wird eine potentielle Konfliktlinie angedeutet, die sich im Laufe der weiteren Textgenese konkretisieren könnte. Die Kritik wird argumentativ verknüpft mit einer Begründung, warum überhaupt der WSA zu diesen Themen Initiativstellungnahmen abgebe, daß ihm dabei zentral an konstruktiven Beiträgen für Verhandlungsrichtlinien bei Assoziierungsverhandlungen liege. Der WSA bietet sich zudem als Gesprächspartner für assoziierungswillige Regierungen außerhalb der EG an und betreibt damit eine Politik, seinen Status als EG-Institution aufzuwerten. Das kommentiert der Berichterstatter Petersen in seinem Eingangsreferat auf der 3. Studiengruppensitzung: Im ersten Abschnitt des 4. Kapitels äußere er sich kritisch gegenüber der Gemeinschaft - „Unterlagen sind nicht verfügbar [...]. Unterlagen waren auf dem offenen Markt ich sage es mal lässig“. Petersen findet „dieses laufende Antichambrieren“ lästig, wenn er vom Chefunterhändler zum EG-Kommissar Andriessen geschickt werde. Bei der späteren seitenweisen Behandlung verspricht bei 4.1. der Kommissionsvertreter, sich bei der Kommission für eine Besserung einzusetzen. Petersen will durch Umformulierungen, die er sich bereits selbst vor der Sitzung vorgenommen habe, Kritik abmildem. Im Entwurf einer Stellungnahme (26.2.1993) heißt es dann 11 : „4.1. Bei Ausarbeitung seiner Initiativstellungnahmen über die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaften zu mittel- und osteuropäischen Staaten stand der Ausschuß jedesmal vor der Schwierigkeit, einschlägige Informationen zu erhalten. Zwar erklärte sich die EG-Kommission zu Gesprächen grundsätzlich bereit und auch zur Beantwortung gezielter Fragen, aber die Versorgung mit aktuellen Unterlagen, z.B. über den Stand der Assoziierungsverhandlungen, war äußerst unbefriedigend. Zudem mußte der Ausschuß erkennen, daß die EG-Kommission nicht nur strikt an den vom Rat verabschiedeten Verhandlungsrichtlinien festhielt, sondern auch kaum bereit war, Forderungen des Ausschusses im nachhinein in die Richtlinien aufzunehmen und vom Rat absegnen zu lassen. Deshalb das Anliegen des Ausschusses, seine ergänzenden Anmerkungen (auch kritischer Art) vor Fertigstellung neuer Verhandlungsrichtlinien für europäische Assoziierungsabkommen zu unterbreiten. Er sieht darin zugleich die Chance, potentiellen Verhandlungspartnern im Osten Europas namentlich den Regierungen der Baltischen Staaten die Sicht der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in der Gemeinschaft zu einzelnen Elementen dieser Abkommen nahezubringen. [...]“ Die Textänderungen sind kleinerer, eher redaktioneller Art: - „jedesmal“ statt „stets“ (zu „stand der Ausschuß vor der Schwierigkeit“); - „aktuellen“ statt „fundierten“ (zu „Unterlagen“); 11 Änderungen gegenüber dem revidierten Vorentwurf bzw. dessen Addendum sind hier und im folgenden von uns unterstrichen. 260 - „der“ statt „laufender“ (zu „Assoziierungsverhandlungen“); - „unbefriedigend“ statt „dürftig“ (zu „Versorgung mit Unterlagen“); - Tilgung von „streng genommen“ (zur Bereitschaft der Kommission, Anregungen des WSA aufzugreifen); - Veränderung im Satzbau: „daß [...] nicht nur [...] sondern auch statt „daß [...] und dazu Umstellung des Adverbs „strikt“. Mit diesen Änderungen werden kritische Bemerkungen präzisiert und nuanciert. Doch auf der Fachgruppensitzung am 11.3.1993 hält im Rahmen der seitenweisen Behandlung der Niederländer Etty eine deutlichere Formulierung für die Kritik an der Kommission für angebracht. Petersen weist auf seine höfliche Regression gegenüber dem Ausgangstext hin, in der Annahme, scharfe Formulierungen würden auf Widerstand stoßen. 12 In der „Stellungnahme der Fachgruppe“ vom 17.3.1993 für die Plenartagung heißt es: „4.1. Bei Ausarbeitung seiner Initiativstellungnahmen über die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaften zu mittel- und osteuropäischen Staaten stand der Ausschuß jedesmal vor der Schwierigkeit, einschlägige Informationen zu erhalten. Zwar erklärte sich die EG-Kommission zu Gesprächen grundsätzlich bereit und auch zur Beantwortung gezielter Fragen, aber die Versorgung mit aktuellen Unterlagen, z.B. über den Stand der Assoziierungsverhandlungen, war äußerst unbefriedigend. Der Ausschuß sieht darin eine objektive Gefährdung seines Rechtes auf Initiativstellungnahmen. Zudem mußte der Ausschuß erkennen, daß die EG-Kommission kaum bereit war, Forderungen des Ausschusses im nachhinein in die Verhandlungsrichtlinien aufzunehmen und vom Rat genehmigen zu lassen. Deshalb das Anliegen des Ausschusses, seine ergänzenden Anmerkungen (auch kritischer Art) vor Fertigstellung neuer Verhandlungsrichtlinien für europäische Assoziierungsabkommen zu unterbreiten. Er sieht darin zugleich die Chance, potentiellen Verhandlungspartnern im Osten Europas namentlich den Regierungen der Baltischen Staaten die Sicht der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in der Gemeinschaft zu einzelnen Elementen dieser Abkommen nahezubringen. [...]“ Die Textänderungen bestehen zum einen in der Einfügung eines neuen Satzes mit einer Generalisierung der Kritik: Das Verhalten der Kommission wird nicht als Einzelfall gesehen, sondern als Störung eines „institutioneilen Gleichgewichts“, indem systematisch die Initiativstellungnahme als eine der wenigen Handlungsmöglichkeiten des WSA über die „Befassung“ durch die Kommission hinaus demontiert werde. Dazu wird als stilistische Änderung „absegnen“ durch „genehmigen“, also ein farbiges polemisches Verb durch ein textsortenadäquateres, wenn auch blässeres ersetzt. 12 Seine Überraschung angesichts der gegenteiligen Aufforderung aus der Fachgruppe bekundet Petersen auch uns gegenüber in einem privaten Gespräch nach der Sitzung. 261 Auf der Plenartagung am 25.3.1993 bemerkt der Berichterstatter vor dem Referat des Stellungnahmeninhalts u.a.: "->und drittens eine weitere Vorbemerkung/ ** eine kritische ** Anmerkung/ *** zur KommissionX *** wann immer wir Inititiativstellungnahmen zumindest so weit meine Erfahrung- ** äh durchführen wollen/ m: sind wir natürlich darauf angewiesen von der Kommission ** eine gewisse Unterstützung zu erhaltenx *** man hat uns angeboten Gespräche zu führen/ aber man hat uns jedwede * schriftliche Information/ vor allen Dingen auch über den Fortgang=eh der Verhandlungen zur Assoziierung dieser Länder- ** Rumänien Bulgarien ->nur um mal ein Beispiel zu wählen ** <-verweigert\ ich sehe darin allmählich eine objektive Gefährdung unseres Rechts auf Initiativstellungnahmen ** wir haben neunzehnhundertzweiundsiebzig dieses Recht vom Europäischen Rat einbel äh äh *** gen äh gewährt bekommen und nun-äh- ** äh stehen wir vor der äh äh Tatsachedaß wann immer * es der Kommission nicht genehm ist- <-sie die Schotten dichtmachtX ->und das halte ich für ein <-unmögliches * UnterfangenX ** -> >ich halte es deshalb für ein unmögliches Unterfangen weil es ja nicht ** nun ** Bereiche sind im außenwirtschaftl äh äh politischen ** Sektor die eigentlich äh uns gar nichts angehen/ äh sondern deshalb weil diese Abkommen ** ähm- *** KLOPFT AUF DAS PULT zahlreiche Politikbereiche erfassen ** zu denen wir * wenn sie isoliert betrachtet werdenwie Wettbewerbspolitikoder- * ->Umweltpolitik oder Verkehr oder Telekommunikation oder Geldwäsche was immer Sie wollen/ <-dann auf jeden Fall befaßt werdenX nur weil es unter einem Dach ** eines Assoziierunesabkommen läuftwerden wir * nicht befaßtX und deshalb ** äh ist-äh s äh mein ** Nachdruck so starkum hier auch * Stellungnahmen abzueebenX“ Hier macht er sich also persönlich die von der Fachgruppe gewünschte Verschärfung zu eigen, nämlich die mangelhafte Information durch die EG- Kommission als Angriff auf das Selbstbefassungsrecht des WSA schlechthin zu werten. Die Generalisierung begründet und expandiert er in einem Exkurs, in dem er auf die Entstehung des WSA-Selbstbefassungrechts hinweist und dessen Bedeutung für solche Bereiche einer EG-Politik herausstreicht, für die ein Recht des WSA auf Befassung zwischen ihm und der Kommission strittig ist. Rhetorisch mischt er dabei schriftsprachliche Übernahmen („ich sehe darin allmählich eine objektive Gefährdung“) und eine dem Umgangssprachlich-Mündlichen eigene metaphorische Phraseologie („die Schotten dichtmachen“). Die nach der Plenartagung punktuell überarbeitete Stellungnahme bleibt in 4.1. gleich. Der Berichterstatter kommt in der Pressekonferenz nach der Plenartagung nicht auf diese Kritik zurück, und auch in allen Presseerklärungen wird diese kritische Passage nicht referiert. 6.5.2 Zitate und Verweise als Technik der Sachverhaltsdarstellung Verweise auf einschlägige frühere WSA-Stellungnahmen haben generell mehrere Funktionen: - Zum einen wird so die Kontinuität der WSA-Arbeit betont. Das geschieht durch rituelle Formeln in „Vorbemerkungen“ oder an ähnlich herausgeho- 262 bener Stelle in der Stellungnahme, z.B. in der Stellungnahme vom 25.3.1993, S. 1: „Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hat sich in vergangenen Jahren mehrfach mit den Reformprozessen in Mittel- und Osteuropa befaßt, zuletzt detailliert in zwei ergänzenden Stellungnahmen zu den Europa-Abkommen mit Polen, Ungarn und der ehemaligen CSFR sowie Bulgarien und Rumänien.“ Dazu werden die Fundstellen im EG-Amtsblatt angegeben. - Kritik an der EG-Kommission wegen mangelhafter Kooperation mit dem WSA wird in indirekter Form belegt: Gemeint ist eigentlich das jetzige Verfahren, angesprochen werden kann freilich nur ein bereits abgeschlossenes. - Relevanzhochstufung für alte WSA-Texte, um sie vor einer Einstufung und Behandlung als Makulatur zu bewahren. - Imagearbeit für den Berichterstatter: Er verweist vorzugsweise auf eigene alte WSA-Stellungnahmen und betont so sein Engagement im WSA und seine Sachkompetenz. - Ökonomie: Die aktuelle Textarbeit wird in mehrfacher Hinsicht entlastet gleichbleibende Sachverhaltsdarstellungen brauchen nicht wiederholt zu werden; eine eingeführte Gliederung kann einfach übernommen werden und muß nicht neu ausgehandelt werden. Diese Technik wird durch ein Statement des Berichterstatters Petersen in der 1. Studiengruppensitzung deutlich: „<zur Gliederung möchte ich Ihnen folgendes sagen/ wir haben ja ein sehr umfassendeseh d-eh Dokument hier geerarbeitet-eh zu den-eh drei Staaten Polen Ungarn und der CSFR/ ich werde mich im groben und ganzen an diese Gliederung halten/ die Stellungnahme wird allerdings wesentlich kürzer werden/ als die damalige/ weil wir sehr viele Überlegungen dort schon drinhaben/ “ Eine andere Technik der Sachverhaltsdarstellung besteht darin, ausdrücklich Sekundärliteratur als Informationsquelle heranzuziehen. Über die üblichen Zitate aus EG-Texten hinaus werden in den Entwürfen der Stellungnahme „Baltische Staaten“ politologische und ökonomische Fachtexte herangezogen. 13 Diese beiden Verfahren sind eingeführt und allgemein akzeptiert. Wörtliche Zitate dagegen haben eine umstrittene Belegqualität. Auf Kritik in der 3. Studiengruppensitzung an Zitaten entgegnet der Berichterstatter: „Und ich habe auch die Zitate, das möchte ich Ihnen noch sagen, ich habe nicht ohne Grund zitiert, weil dieses Thema in der Tat so heiß ist, daß ich persönlich kein fremdes 13 Hier sind das z.B. K. Ludwig, Das Baltikum: Estland, Lettland, Litauen. 2., neub. Auflage - München: Beck, 1992; J.K. Galbraith, Ein Rezept namens Kapitalismus. In: Die Zeit, Nr. 44- 26. Oktober 1990; J. Fels: Morgendämmerung im Osten? (iwd Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft). Köln, Jg. 19/ 7. Januar 1993. 263 falsches Wort hier wählen wollte, sondern sagte, laß die andern reden, aber sprich das Problem an. Das war also meine Intention in diesem Zusammenhang.“ Gleichwohl tilgt er für die nächste Textversion u.a. das folgende Zitat im Abschnitt 4.4. (im Kontext einer künftigen EG-Mitgliedschaft der Baltischen Staaten): „In gleichem Sinne äußerte sich kürzlich der lettische Premierminister Ivars Godmanis. Er wolle so in einem Interview - ,so schnell es ginge 1 , ein Assoziierungsabkommen mit Brüssel schließen, und er sei hoffnungsvoll, ,noch in diesem Jahrzehnt die Vollmitgliedschaft zu erreichen.*“ (S. 2) 6.5.3 „Verblose Sätze“ eine punktuelle Stilkritik In der Fachgruppensitzung am 11.3.1993 äußert sich der Deutsche Nierhaus nach der Einführung des Berichterstatters zu mehreren Aspekten kritisch, u.a. zu stilistischen Merkmalen des Textes: „Ich will aber eine Anmerkung zur Seite zwei noch macheriv ** und darum * erlaube ich mir hier das Wort zu nehmen/ ** und zwar zur deutschen Fassung Seite zwei dritter Absatz/ *** Herr Peters- ** Herr Petersen/ ** da wird gesagt daß „zwangsläufige Folge undeutlich #Wachstumseinbrüche# von kaum vorstellbarem Ausmaße“ sindin der deutschen Fassung ist das nicht ganz logischwas zwangsläufig ist ist auch vorstellbar/ ich würde vorschlagen zu sagen zwangsläufige Folgen sind * Wachstums an äh äh ein ein- Wachstumseinbrüche in kaum vorstellbarem Ausmaß und nicht erwartetem Ausmaß* ist ein deutsches (Wort? )l und eine zweite/ formale kleine marginale Anmerkung Herr Vorsitzender/ in der deutschen Fassung des Textes/ ** sind bei einundzwanzig Sätzendie Verben- oder die Hilfsverben herausgefallenX das macht die Lesbarkeit nicht besonders gut/ &es ist auch kein gutes Deutsch/ ich habe ** mir erlaubt in einer Fassung diese Stellen zu markieren/ damit wir hier nicht unnötig lange drüber reden/ werde ich siedem Sekretariat geben dann kann das korrigiert werdenvielen Dank Herr Vorsitzende^ *6*“ Der Berichterstatter akzeptiert die erste Formulierungskritik trotz ihres etwas verworrenen Vortrags; er ersetzt im Satz „Zwangsläufige Folgen sind Wachstumseinbrüche in kaum erwartetem Ausmaß, ein hohes Inflationstempo, steigende Arbeitslosigkeit und schrumpfende Realeinkommen“ „zwangsläufige“ durch ein in Bezug auf die logische Verknüpfung neutraleres „die“ und fügt außerdem unabhängig von der Kritik vor „hohes Inflationstempo“ ein „noch“ ein wohl um diese wirtschaftliche Entwicklung nicht als irreversibel zu brandmarken und einem baltischen Optimismus nicht allzu kraß zu widersprechen. Seine zweite Formulierungskritik leitet Nierhaus ein durch eine Relevanzrückstufung: „eine zweite/ formale kleine marginale Anmerkung“. Auffällig ist dabei die Adressierung seiner Kritik: Zweimal wird der Fachgruppenvorsitzende angesprochen, und das Textexemplar, in dem Nierhaus die monierten verblosen Sätze angestrichen hat, wird nicht dem Berichterstatter, sondern dem Sekretariat avisiert. Die Begründung für diese Intervention: „das macht 264 die Lesbarkeit nicht besonders gut/ &es ist auch kein gutes Deutsch/ “. Nierhaus berücksichtigt, daß die Arbeit in der Fachgruppe von derartiger Formulierungsarbeit entlastet werden soll, will deshalb seine markierte Textfassung dem Sekretariat zur Verfügung stellen. In seiner mehrere Interventionen kommentierenden Replik kommt später der Berichterstatter auch auf diese Stilkritik von Nierhaus zu sprechen: „<Herr Nierhaus- *** ja\ Verben Hilfsverben entschuldigen Sieich war es bewußt ich hab sie bewußt ** gekippt/ und zwar will ich Ihnen äh äh zwei Sätze dazu sagen fünfzehn Jahre ichl * mein Lebenslauf ist furchtbar einfach fünfzehn Jahre ** war ich in einem ** äh gröl in dem größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut- ** da habe ich ** die Verben und die Hilfsverben benutzt/ ** indem das schön ausführlich und auch korrekt war/ ** und dann war ich fünfzehn Jahre *** in-eh ** dem großen Industrieverband- ** in Köln\ ** dort hatte ich einen Journalisten an der Seite der andauernd sagte- ,Wenn du was lesbar machen willst/ schmeiß alle Verben und die Hilfsverben raus/ ** das wird kürzer * prägnanter/ als wenn das immer so geht- >mit Verben und würden und sollten und ** so-‘ <der Text liest sich besser\ also nun wo soll ich hingehenX ich hab mich dieser Meinung angeschlossen und fand es also ganz gut/ daß wir mal etwas griffiger <-Deutsch/ ** nicht einwandfrei- ->sofort zugegeben * aber nachdem Sie sich Arbeit gemacht haben/ wäre ich dankbar wenn ich Ihre Hinweise bekommen würde/ einigedie auch bleiben werdentreffen wir uns auf der Mitteeinige übernehme ich/ ich habe damals auch übernommen das Wort,Technik“ ** statt,Technologie“/ das war auch Ihre * Anregung in einer anderen StellungnahmeX ** >so\“ Der Berichterstatter rechtfertigt mithin seine Präferenz für verblose Sätze und begründet das durch textsortenspezifische Normen im Rahmen einer verkürzten autobiographischen Lebensgeschichte. Dabei steht für Petersen eine Korrektheit in wissenschaftlichen Texten in Opposition zu einer journalistischen Orientierung in argumentativen Texten zur Vertretung wirtschaftlicher Interessen. Er vertritt damit ein anderes Konzept für „Lesbarkeit“ als Nierhaus: hier syntaktische Korrektheit, dort journalistische Orientierung auf Leserbedürfnisse. Ein Vergleich der vorliegenden mit der dann für die Plenartagung überarbeiteten Textfassung zeigt, daß der Berichterstatter sich an sein Kompromißangebot hält und teilweise dem Anderungswunsch folgt. In der Sitzung wird in gegenseitigem Einvernehmen auf eine explizite Aushandlung von Fall zu Fall verzichtet. Die Gestaltungsorientierung des Berichterstatters ist zugleich Imagearbeit: Er rechtfertigt seine Abweichungen von der normalen schriftsprachlichen Syntax des Deutschen in anekdotisch präsentierter Lebenserfahrung mit unterschiedlichen Textsorten und Textsortennormen. Diese Aushandlung zwischen zwei deutschen WSA-Mitgliedem betrifft stilistische Eigenschaften nur der deutschen Textfassung; der Status als eingebettete Nebensequenz wird auch deutlich am (unterdrückten) Lachen anderer WSA-Mitglieder: Offenbar sehen sie diese Stilfrage nicht als ernsthaftes Problem an. 265 Hier einige Beispiele für Petersens verblose Sätze aus der deutschen Fassung (mit den entsprechenden Sätzen in der englischen, französischen und niederländischen Fassung): (aus 2.1: Gesamtwirtschaftliche Entwicklung) „Weit abgeschlagen die Nachfolgerepubliken der früheren Sowjetunion, in denen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Stabilisierungspolitik noch nicht gegeben sind.“ Der Berichterstatter bleibt in der Überarbeitung für das Plenum bei seiner Formulierung. „The republics of the Former Soviet Union are trailing way behind, since the conditions for a successful stabilization policy do not yet exist in these countries.“ „Loin derriere ces Etats, les republiques de 1’ancienne Union Sovietique ne remplissent pas encore les conditions necessaires au succes d’une politique de stabilisation.“ Die französische ist hier die einzige Sprachfassung, die den Verzicht auf Verben übernimmt im Widerspruch zum gängigen Klischee romanischer Geschwätzigkeit! „De voormalige republieken van de Sovjet-Unie, waar de voorwaarden voor een succesvol stabilisierungsbeleid nog niet aanwezig zijn, hebben grote achterstand opgelopen.“ Auch in der niederländischen Fassung wird ein Verb verwendet im Widerspruch zu der Selbsteinschätzung niederländischer Übersetzer, daß ihre Texte im Vergleich zum Deutschen knapper sind und auf inhaltsleere Formulierungen („Sprechblasen“) verzichten! „Realistisch letztendlich nur der Schluß, daß sich der Produktionsrückgang in diesem Jahr fortsetzt [...]“ Der Berichterstatter fügt ein „ist“ nach „realistisch“ ein. „The only conclusion which can be realistically made is that in 1993 output is continuing to decline [...]“ „La seule constatation realiste qui s’impose en fin de compte est la suivante: la production continue de reculer cette annee [...]“ „De enige realistische conclusie is dan ook dat de produktie dit jaar verder zal teruglopen Auf das Hilfsverb wird nur in der deutschen Originalfassung verzichtet. (aus 2.2.: zur Volkswirtschaft in den baltischen Staaten) „Im Ergebnis ein gesamtwirtschaftlicher Einbruch, der im abgelaufenen Jahr wesentlich schärfer ausfiel als vielfach erwartet: [...]“ Der Berichterstatter formuliert redaktionell um zu „Dies ergab einen gesamtwirtschaftlichen Einbruch [...]“ 266 „The resultant slump in overall economic activity was much more severe in 1992 than had been generally expected.“ Die Nominalphrase „Im Ergebnis“ wird hier mit einem gerundialen Attribut „resultant“ wiedergegeben. „II en est resulte un effondrement economique general qui sest avere Tan dernier beaucoup plus prononce que tous les pronostics ne Tavaient prevu.“ „De hieruit voortvloeiende macroeconomische crisis gaf het afgelopen jaar dan ook een veel grimmiger beeid te zien da algemeen was verwacht.“ Die niederländische Fassung findet zu einer ähnlichen Übersetzungslösung wie die englische: zu einem Attribut „hieruit voortvloeiende“ als Partizip Präsens. (2.2.1.: zu Litauen) „Besorgniserregend das Inflationstempo, das sich 1992 nochmals beschleunigte und im Jahresdurchschnitt 1000% betrug.“ Der Berichterstatter fügt „ist“ ein. „The rate of inflation, which continued to increase in 1992 is a further matter of concern the average rate of inflation for the year as a whole was 1000%.“ „Le rhythme de Tinflation, qui s’est encore accelere en 1992 et a atteint 1000 % en moyenne annuelle, est lui aussi trds preoccupant.“ „Reden tot zorg vormt voorts het tempo van de inflatie, die in 1992 nog eens is aangetrokken en een jaargemiddelde van 1000% heeft bereikt.“ Die deutsche Zusammensetzung aus Nomen und Partizip („Besorgniserregend“) wird unterschiedlich übersetzt: N+Präp+N im Englischen; nur mit einem Partizip im Französischen, das der deutschen, aus einem Funktionsverbgefüge („Besorgnis erregen“) abgeleiteten Formulierung äquivalent scheint; gleichfalls N+Präp+N im Niederländischen. 6.5.4 Russischer Truppenabzug und russische Minderheiten Seit der Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten, aber noch vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wurden Forderungen baltischer Politiker nach einem schnellen Abzug der Sowjetarmee aus ihren Staaten laut. Butenschön stellt das Problem dar als Komplex finanzieller Zwänge und nationaler Empfindlichkeiten in den baltischen Staaten aufgrund historischer Erfahrungen: „[...] der neue sowjetische Verteidigungsminister Jewgenij Schaposchnikow hat bereits erklärt, ein Abzug komme erst nach 1994 in Frage, wenn die sowjetischen Truppen aus den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten zurückgekehrt sind. Die baltischen Staaten könnten den Abzug aber beschleunigen, wenn sie, genau wie die Bundesrepublik, beim Bau von Wohnungen für Offiziersfamilien helfen würden eine Zumutung für die drei 267 Völker, die anders als die Deutschen die Sowjetunion nicht überfallen haben und ihr nichts schulden.“ (Butenschön 1992, 347) Ein Problem von ähnlicher politischer Brisanz ist das der russischen Minoritäten in den baltischen Staaten. Beim „Hearing“ mit baltischen Botschaftsvertretem auf der 1. Studiengruppensitzung am 21.5.1992 antwortet auf die Frage eines italienischen Studiengruppenmitglieds, ob sich aus dem russischen Bevölkerungsanteil interethnische Probleme ergäben, der Vertreter Estlands, Clyde Kuli, die ethnischen Probleme mit Minoritäten rührten von der russischen Kolonialisierungspolitik der siebziger Jahre her, die für Europa eine einmalige historische Erfahrung darstelle und wesentlich ideologisch bestimmt gewesen sei; er selbst habe in den siebziger Jahren in Moskau studiert. Die Menschen, die nicht den (baltischen) Nationalitäten von 1940 angehörten, führten jetzt zu einem Problem der nationalen Identität. Er formuliert als Leitfragen zur politischen Behandlung des Problems: Welche Kriterien sind jetzt für eine Staatsbürgerschaft anzulegen? Sind etwa Kinder von Russen, die in den sechziger Jahren in Estland geboren wurden, Esten? Für die Wahlberechtigung habe man eine pragmatische Lösung gefunden: Wer 2 Monate in Estland gelebt habe, sei wahlberechtigt. Wie schlagen sich nun diese Sekundärinformationen in den Textentwürfen zur Stellungnahme nieder? Im „Revidierten Vorentwurf einer Stellungnahme“ für die 3. Studiengruppensitzung am 17. Februar 1993 wird der historische Abriß in Kapitel 1 („Der Weg in die Unabhängigkeit“) abgeschlossen mit einer Darstellung dieses zentralen Problems, der fortbestehenden Präsenz russischer Truppen in den baltischen Staaten: „1.9. Der Ausschuß wertet die Stationierung der ehemals sowjetischen Streitkräfte in den Baltischen Republiken nach wie vor als schwere Hypothek auf den eingeleiteten Transformationsprozessen. Nach seiner Überzeugung sollte im Rahmen des finanziellen Beistands für Rußland ein zweckgebundener Fonds eingerichtet werden, um den Rückzug der Streitkräfte zu finanzieren. Denkbar wäre auch, die wirtschaftliche Hilfe für Rußland so das Votum des amerikanischen Senats im Juli vorigen Jahres nach einer Übergangszeit an deutliche Fortschritte beim Abzug der fremden Truppen aus dem Baltikum zu koppeln.“ Die Expertin für die Arbeitnehmer-Gruppe II und deutsche Mitarbeiterin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), Renate Langewiesche, findet diese kritische Bewertung der Stationierung gelungen und unterstützt ausdrücklich die Formulierung „zweckgebunden“ im zweiten Satz. Sie schlägt aber vor, „unverzüglich“ hinzuzufügen und finanziellen Beistand auch für Rußland zu befürworten. Der Berichterstatter folgt dem Wunsch; generell würdigt er alle kritischen Beiträge („weil man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht“) und sieht im Adverb „unverzüglich“ eine Annäherung an die Position der USA in dieser Frage. Das PHARE-Programm wolle soziale und demokratische Ziele fördern, und die Förderung von Sprachkursen sei extrem wichtig. So wird der Absatz umformuliert zu: 268 „1.9. Der Ausschuß wertet die Stationierung der ehemals sowjetischen Streitkräfte in den Baltischen Republiken nach wie vor als schwere Hypothek auf den eingeleiteten Transformationsprozessen. Nach seiner Überzeugung sollte im Rahmen des finanziellen Beistands für Rußland unverzüglich ein zweckgebundener Fonds eingerichtet werden, um den Rückzug der Streitkräfte zu finanzieren. Denkbar wäre auch, die wirtschaftliche Hilfe für Rußland so das Votum des amerikanischen Senats im Juli vorigen Jahres nach einer Übergangszeit an deutliche Fortschritte beim Abzug der fremden Truppen aus dem Baltikum zu koppeln. In den Baltischen Staaten sollten mit westlicher Unterstützung Hilfen, wie z.B. die Finanzierung von Sprachkursen, für Angehörige von Minderheiten zur Verfügung gestellt werden, die sich einbürgem lassen wollen. Auch sollte die Gemeinschaft ihre Bereitschaft zeigen, bei der Lösung des heiklen Problems des Truppenabzugs als Vermittler zur Verfügung zu stehen.“ In der Fachgruppensitzung begründet der Berichterstatter, daß diese Problemdarstellung im einleitenden historischen Kapitel situiert worden ist, mit ihrem Charakter als „Altlast“: „hier hal wollte ich eigentlich noch mal/ ** ä Verständnis wecken- ** für die Probleme dieser Staaten/ wie ihr Weg gewesen ist/ über die Zeit seit praktisch seitäh den äh * ä Friedensverträgen von 1920/ ** ähm äh wie äh mit welchen Problemen sie zu kämpfen hatten- und was heute ** nur noch als grundlegendes Problem im Rahmen der Unabhängigkeit ^abgesehen von den wirtschaftlich-sozialen Dingen/ ** äh übriggeblieben istdas ist die Frage des Truppenabzugs/ “ Die Konfliktpositionen beider Seiten veranschaulicht Petersen mit Hilfe dreier fiktiver Zitate und schafft damit eine Verstehensvoraussetzung für den Text; zunächst werden zwei Zitate kollektiven Sprechern in den Mund gelegt: „[•••] daß dann die Russen- Ende August/ ein Riesenpaket vorlegten/ von neun Punkten/ sagten ,wenn ihr das alles erfüllt/ dann ziehen wir auch die Truppen zurück-' ** äh/ die Balten sehen das anderssie sagen ,ihr seid ungefragt gekommen/ und bittegeht auch ohne Bedingungen und verlaßt unsere * LänderY“ Darauf veranschaulicht Petersen die Politik des russischen Präsidenten gegenüber den Balten durch ein ihm zugeschriebenes fiktives Zitat: „aber inzwischen * kam dann Ende Oktober der absolute Stopp/ des Präsidenten/ ** Jelzin/ der sagte ,es gibt keinen Rückzug der Truppenund-äh ** wir haben- *2* ähm *** äh ** ihr verletzt die Menschenrechte dort zu stark/ wir brauchen die Truppenum unsere Bürgerzu * schützen/ '“ Der Berichterstatter behandelt hier die „tatsächlichen“ Gründe für Verzögerungen bei dem Truppenabzug als politisch brisant. Indiz dafür ist die Praeteritio: Er kündigt an, aus Zeitnot auf die Erläuterung von Gründen verzichten zu wollen, tut dann aber doch genau das, expliziert die angenommenen innenpolitischen Gründe über die vage Andeutung im Text (in 1.7.) hinaus und demonstriert damit seine Fähigkeit, komplexe und diplomatisch vernebelte politische Zusammenhänge „auf den Punkt“ zu bringen: „die-äh *** Gründe will ich jetzt nicht er äh äh erläutern hier/ weil hier die Zeit ja auch voranschreitet/ äm- ** auf jeden Fall- ** auch innenpolitische Gründe für den Präsidenten 269 Jelzin spielten hierbei eine Rolle/ er brauchte die Unterstützung * des Militärs * auf dem Volksdeputiertenkongreß im Dezember/ und das Militär ** stellt man ruhigdie russische Generalität wenn man sagt ,wir tri ziehen unsere Truppen aus den besetzten Gebieten nicht zurück-* >das war also das große * GeschenkX <der Westen hat zwar * ärgerlich reagiert/ aber * bis heute nichts Grundlegendes getan/ “ In der Sitzung thematisiert Etty diesen Absatz mit zwei Anregungen: Fonds seien nicht nur eine „stilistische Frage“, und eine Kofinanzierung der Sprachkurse sei als Finanz- und Sachhilfe der Gemeinschaft in Form von Seminaren und Veröffentlichungen sinnvoll. In seiner Replik unterstellt der Berichterstatter hier ein Mißverständnis. So formuliert er den Absatz erneut um, teilweise als Differenzierung, teilweise als Streichung: „1.9. Der Ausschuß wertet die Stationierung der ehemals sowjetischen Streitkräfte in den Baltischen Republiken nach wie vor als schwere Hypothek auf den eingeleiteten Transformationsprozessen. Nach seiner Überzeugung sollte im Rahmen des finanziellen Beistands für Rußland unverzüglich ein zweckgebundener Fonds eingerichtet werden, um den Rückzug der Streitkräfte finanziell zu erleichtern und damit ein wesentliches Hindernis für den vollständigen Truppenabzug aus dem Weg zu räumen. Denkbar wäre, die wirtschaftliche Hilfe für Rußland so das Votum des amerikanischen Senats im Juli vorigen Jahres nach einer Übergangszeit an deutliche Fortschritte beim Abzug der fremden Truppen aus dem Baltikum zu koppeln. Auch sollte die Gemeinschaft ihre uneingeschränkte Bereitschaft zeigen, bei Lösung des heiklen Problems als Vermittler zur Verfügung zu stehen, um den Aufbau der jungen Demokratien zu stärken und politisches Gefährdungspotential zu beseitigen.“ 6.5.5 Altruismus oder Betonung der EG-Interessen? Schon beim „Hearing“ während der ersten Studiengruppensitzung am 21. Mai 1992 werden Perspektivendivergenzen zwischen WSA-Mitgliedem und den Balten deutlich: Die WSA-Mitglieder sehen die baltischen Staaten als Einheit und fordern eine politische Integration vor einer Wirtschaftskooperation mit der EG, die Balten betonen ihre politische und kulturelle Eigenständigkeit. So verweist der lettische Botschafter Dahlmann auf eine Zwischenfrage der Studiengruppenvorsitzenden Guillaume nach Perspektiven für eine Wirtschaftszusammenarbeit zwischen den drei Staaten in einer Antwort mit der „ja-aber“-Struktur partieller Berücksichtigung der Frageperspektive, dann aber abweichender eigener Relevanzsetzung auf den »Baltischen Rat«, in dem man sich regelmäßig treffe. Die Gemeinsamkeit definiert er sodann negativ, über historisch bedingte gemeinsame Probleme: daß fremde Truppen in den drei Ländern stationiert seien, daß das Fehlen eines Abzugsplans sich dabei als Bremse für ausländische Investitionen auswirke, und daß Russisch während der Annexion die offizielle Sprache war. 270 Demgegenüber betont Dahlmann aber die Bedeutung der eigenen Sprachen und des eigenen Kulturhintergrunds, und streitet ungefragt ab, daß die Staaten historisch Probleme miteinander gehabt hätten: „Well we would go back all three of us to the currencies which we had before the annexation *** and with the co-operation we have a Baltic Council which we are meeting regularly * and of course we have one common problem that we have foreign troops being stationed in the three territories in the three countries ** and that gives us ** very very big problems because firstly who is coming to invest money when you have such a large * numbers of foreign troops where there is no timetable at all when are they going to withdraw *4* and then we are co-ordinating of course we are informing each other on the negotiation position ** and also here in Brussels we are sitting together in various meetings in various institutions and we are also exchanging information and having * a stand of our own ** what united us as a result of the annexation was that we all spoke Russian that was the only thing I think * otherwise we have our own language we have our own culture background ** and we have er as far as I know historically we have had no problems ***“ Er bemüht sich also in ausgebauter Form, die angedeuteten Erwartungen aus EG-Sicht zur baltischen Kooperation zu berücksichtigen und sie weitgehend positiv darzustellen. Zugleich betont er aber im Kontext einer sehr wirtschaftspolitisch fachlich geprägten Diskussion, daß das Konzept einer baltischen Einheit für die Balten negativ besetzt ist (eine Gemeinsamkeit war die Benutzung der Okkupantensprache Russisch) und die baltischen Völker aus kulturgeschichtlichen Gründen auf einzelnen Identitäten beharren wollen. Er bestreitet zugleich die unterschwellige westliche Unterstellung, daß das für das Zusammenleben der baltischen Völker historisch jemals ein Problem war. In der 3. Studiengruppensitzung deutet sich ein fundamentaler Dissens zwischen dem Berichterstatter Petersen und dem vertretungsweise neu hinzugekommenen Studiengruppenmitglied Mourgues an: Wie weit sollen Unterstützungsmaßnahmen für die baltischen Staaten von Bedingungen abhängig gemacht werden? Sollen baltische Hoffnungen auf künftige EG-Integration kommentarlos unterstützt werden oder nicht? Petersens Position ist, wenn auch durch die zeitliche Distanz relativiert, immer noch geprägt von den persönlichen Erfahrungen auf der Informationsreise; er möchte die WSA-Stellungnahme zu einer Bühne für baltische Wünsche und Ansprüche machen. Mourgues fokussiert die EG-Perspektive (mit den Leitfragen: Was können wir von denen verlangen? Ist eine EG-Assoziation nicht unrealistisch? ) Der Dissens wird durch Bekundungen, sich entgegenkommen zu wollen, überdeckt. Er wird (auch entgegen unseren Erwartungen) weder in der Fachgruppe noch im Plenum weiter bearbeitet. 271 6.5.6 Europa-Abkommen und soziale Dimension: die „Sozialverträglichkeit des Umbaus zur Marktwirtschaft“ Dieser thematische Aspekt wird durch die folgenden beiden Textstellen der endgültigen Stellungnahme im Amtsblatt deutlich 14 : Aus der „Zusammenfassung“: „Der Ausschuß betont, daß bei Ausarbeitung und Umsetzung der wirtschaftspolitischen Transformationsstrategien der Übergang zur Marktwirtschaft auch ,sozialverträglich‘ zu gestalten ist. Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik können nicht unabhängig voneinander betrieben werden, ,marktorientiertes und sozialorientiertes Handeln' müssen stets miteinander verbunden sein (2.4.).“ (S. 32) Abschließender Absatz im Kapitel „Gesamtwirtschaftliche Entwicklung“: „2.4. Erneut betont der Ausschuß, daß bei Ausarbeitung und Umsetzung der wirtschaftspolitischen Transformationsstrategien der Übergang zur Marktwirtschaft auch ,sozialverträglich' zu gestalten ist. Westlichen Beratern sollte bewußt sein, daß sich für ,die Probleme des Übergangs von einer Planzu einer Marktwirtschaft, mit denen diese Länder zu kämpfen haben, ... weder in der Wirtschaftstheorie noch im Erfahrungswissen Patentlösungen' [Fußnote: BIZ, Bank für internationalen Zahlungsausgleich, 61. Jahresbericht, Basel, Juni 1991] finden lassen. Auch sei daran erinnert, daß Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nicht unabhängig voneinander betrieben werden können, .marktorientiertes und sozialorientiertes Handeln' stets miteinander verbunden sein müssen. Mehrfach hat der Ausschuß darauf hingewiesen, daß unter den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen, wie sie in Europa bestehen, ein Wirtschaftsraum, der nicht auch Sozialraum wäre, undenkbar ist. Wer noch immer glaubt, er könne eine funktionierende Marktwirtschaft ohne das Adjektiv .sozial' schaffen, wird mit seiner Wirtschaftspolitik dauerhaft scheitern. Dies sollten nicht nur, aber auch die Politiker in den jungen Demokratien Mittel- und Osteuropas beherzigen.“ (S. 37) Allgemein gehaltene, vage Aussagen werden hier mit standardisiertem rhetorischen Pathos garniert; so füllen in den letzten beiden Sätzen moralisch akzentuierte Konsensformeln den Topos einer Interdependenz wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung aus. Über die beiden Sätze hinaus, die auch in der Zusammenfassung zitiert werden, enthält diese Darstellung nur inhaltsarme Appelle selbst wenn man in Rechnung stellt, daß angesichts der Länge und des thematischen Umfangs der Stellungnahme Detaillierungen nicht zu leisten sind. Selbst das Zitat an dieser Stelle (aus dem Jahresbericht der BIZ, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) ist seltsam blaß und vor allem nicht deutlich in seiner argumentativen Funktion im Originalkontext: Ist es dort ebensolcher Gemeinplatz, ist es eine einleitende Relativierung (z.B. eine Bitte um Generalabsolution für die geringe analytische und prognostische Schärfe einer Aussage), oder ist es eine Schlußfolgerung? 14 Die Anführungszeichen werden hier offenbar in unterschiedlicher Funktion gebraucht: Zitatkennzeichnung oder Hervorhebung von zentralen (aber nicht weiter als definitionsbedürftig erachteten) Begriffen. 272 Die argumentative Technik besteht hier darin, auf Vorarbeiten des WSA zu verweisen, in denen gleichfalls axiomatisch behandelte Maximen europäischer Integration beschworen werden (etwa „[...] daß unter den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen, wie sie in Europa bestehen, ein Wirtschaftsraum, der nicht auch Sozialraum wäre, undenkbar ist“). Diese Passage wird trotz ihrer argumentativen Blässe in der nur auf französisch erschienenen Presseerklärung des WSA (vom 29. März 1993) durch deren Überschrift als zentrale Aussage bzw. Forderung des Ausschusses hervorgehoben: „un avis d’initiative du CES pour rendre la passage ä I’economic de marche ,socialement acceptable““ Im dritten Absatz wird diese Aussage aufgegriffen, aber nur durch eine Kurzdarstellung der gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme der baltischen Staaten ergänzt (das ist eine Kurzfassung der vier Hauptkriterien, nach denen in Kapitel 2 der Stellungnahme die „gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ einzeln für die drei baltischen Staaten dargestellt wird), nicht aber durch eine Detaillierung, was unter „Sozialverträglichkeit“ zu verstehen ist: „Le passage ä reconomie de marche doit etre rendu ,socialement acceptable“ dans ces pays, qui connaissent une baisse de croissance d’une ampleur sans precedent, un rythme d’inflation encore eleve, une augmentation du chomage et une contraction des revenus r6els.“. Woran liegen die prinzipielle Unschärfe und der Verzicht auf Detaillierung, die in auffälligem Kontrast zu der vorangehenden fundierten und mit statistischen Zahlen angereicherten Darstellung der „gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (2.1.-2.3.) stehen? Hier werden nämlich drei Einzeldarstellungen zu den baltischen Staaten jeweils strukturiert nach ausgewählten Kembegriffen einer volkswirtschaftlichen Analyse („Bruttoinlandsprodukt“, „Industrieproduktion“, „Arbeitsmarktlage“, „Inflation“). Danach werden die einzelstaatlichen Panoramen zusammengefaßt (2.3.), darin heißt es u.a: „Das alte System ist weitgehend zusammengebrochen, das neue System kann nicht zuletzt wegen unterschiedlicher time-lags der verschiedenen Reformelemente nur allmählich greifen. Die Folgen sind Wachstumseinbrüche in kaum erwartetem Ausmaß, ein noch hohes Inflationstempo, steigende Arbeitslosigkeit und schrumpfende Realeinkommen [• ■■ ]“• Eine klare Aussage in einem wirtschaftspolitischen Gutachten! In diesem Referat kann der Berichterstatter, gelernter Diplom-Volkswirt, seine ganze berufliche Kompetenz ausspielen und indirekt durch seine Auswahl der Daten und mit den daraus unabweisbaren Schlußfolgerungen zugleich die Perspektive seiner Arbeitgebergruppe ins Spiel bringen. Demgegenüber darf nun so unsere Hypothese die konkurrierende Domäne der Gruppe n, die durch Begriffe wie „Sozialverträglichkeit“ angedeutet 273 wird, nicht zu kurz kommen. Auch wenn diese Perspektive nicht zentrales Anliegen des Berichterstatters ist, zwingt ihn der Gruppenproporz doch, die Darstellung aufzublähen, damit wenigstens vom äußeren Format her die Darstellung einer sozialen Dimension annähernd gleichgewichtig erscheint. „Sozialverträglichkeit“ ist ein Schlüsselwort, das direkt das Selbstverständnis des WSA betrifft: Seine Aufgabe ist die Integration wirtschaftlicher und sozialer Interessen in den EG-Rechtsetzungsprozeß; er muß daher Wert darauf legen, daß wirtschaftliche nicht gegen soziale Interessen ausgespielt werden. Wie schwierig und konfliktträchtig diese Aufgabe ist, wenn das Soziale nicht nur ein Aspekt unter vielen gleichrangigen ist, sondern Thema der Stellungnahme, zeigt der „Erste Bericht zur Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte“ (vgl. Kapitel 7). Tabellarischer Zeitplan zu den Daten der Textgenese zur Stellungnahme „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ (Sitzungstermine sind kursiv gekennzeichnet) August 1990 Bezugstext: WSA-Informationsbericht zu Mittel- und Osteuropa Dezember Bezugstext: WSA-Stellungnahme zu Mittel- und Ost- 1991 europa 13.3.1992 Bezugstext: Mitteilung der Kommission „Die Entwicklung der industriellen Zusammenarbeit mit den Ländern Mittel- und Osteuropas und den unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion“ 18.3.1992 Versand des WSA-Arbeitsdokuments 30.3.1992 Einladung zur 1. Sitzung der Studiengruppe (der Termin 6.4.1992 wird auf den 21.5.1992 verschoben) 14.5.1992 Informationsvermerk des WSA-Generalsekretariats 21.5.1992 1. Sitzung der Studiengruppe 2.6.1992 Einladung zur 2. Studiengruppensitzung für den 16.7.1992 18.6.1992 TerminVerschiebung für die 2. Studiengruppensitzung auf den 16.9.1992 4.9.1992 Versand des Vorentwurfs der Stellungnahme 16.9.1992 2. Sitzung der Studiengruppe 25.11.1992 Bezugstext: WSA-Stellungnahme zu den Europa-Abkommen mit Bulgarien und Rumänien 274 26.1.1993 8.2.1993 15.2.1993 16.2.1993 17.2.1993 3.2.1993 26.2.1993 5.3.1993 11.3.1993 17.3.1993 22.3.1993 23.3.1993 25.3.1993 25.3.1993 25.3.1993 27.3.1993 29.3.1993 29.3.1993 5.4.1993 10.5.1993 Einladung zur 3. Studiengruppensitzung für den 17. 2. 1993 Versand des Revidierten Vorentwurfs der Stellungnahme Versand des 1. Addendum zum Revidierten Vorentwurf der Stellungnahme Versand des 2. Addendum zum Revidierten Vorentwurf der Stellungnahme 3. Sitzung der Studiengruppe Einladung zur Fachgruppensitzung für den 11.3.1993 Versand des Entwurfs einer Stellungnahme als Vorlage zur Fachgruppensitzung Versand eines Addendum zum Entwurf einer Stellungnahme Sitzung der Fachgruppe Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik Versand der Stellungnahme der Fachgruppe als Vorlage für die Plenartagung Informationsvermerk des WSA-Generalsekretariats als Vorlage für die Plenartagung Entwurf der ausführlichen Tagesordnung für die 304. WSA-Plenartagung am 24./ 25.3.1993 Behandlung und Verabschiedung der Stellungnahme aufder Plenartagung WSA-Pressekonferenz zur Stellungnahme ,ßaltische Staaten“ im Anschluß an die Plenartagung Endfassung der Stellungnahme nach redaktioneller Überarbeitung nach der Plenartagung Meldung von „european report / europolitique“: „EC calls for further links with Baltic States“ WSA-Presseerklärung (nur auf französisch: „Relations CE-Pays bakes: un avis d’initiative du CES pour rendre la passage ä T economic de marche ,socialement acceptable“ 4 ) Meldung von „Agence Europe“ Protokoll der Fachgruppensitzung Veröffentlichung im EG-Amtsblatt Nr. C 129 7. Fallstudie zum Bericht zur Sozialcharta: unaufhebbare Konflikte im Sozialbereich 7.1 Sonderform einer WSA-Debatte Die Textarbeit im WSA läuft in der Regel auf einen breiten Konsens hinaus, denn so wird die WSA-Stellungnahme gegenüber den Adressaten gewichtiger. Als erfolgreich in diesem Sinne bewerten WSA-Mitglieder einen Berichterstatter, wenn er Änderungswünsche antizipierend in seinen Text aufnimmt, so daß Kampfabstimmungen um einzelne Formulierungen oder den ganzen Text unterbleiben können. Die Divergenzen können in der Studiengrappe und bedingt auch noch in der Fachgruppe ausgetragen werden, im Plenum wird dagegen eine breite Zustimmung favorisiert. Dieses Verfahren versagt oft bei sozialen Themen, wo eine im Ton signifikant schärfere Debatte mit persönlichen Unterstellungen eher der eines Parlaments ähnelt. Uns wurde in Gesprächen mit WSA-Mitgliedem und Mitarbeitern des WSA-Generalsekretariats durchweg erklärt, daß Stellungnahmen aus der Fachgruppe für Sozialfragen wesentlich kontroverser erörtert würden als im WSA üblich. Häufig gibt es Minderheitserklärungen der unterlegenen Gruppe. Das soziale Thema ist im vorliegenden Fall aber nicht hinreichende Erklärung für den kontroversen Verlauf der Debatte und das knappe Abstimmungsergebnis. Das zeigt der in der Plenartagung vom 1./ 2.7.1992 folgende Tagesordnungspunkt zu einer InitiativStellungnahme „Entwicklung der sozialen Lage 1991“ mit dem deutschen Arbeitgebervertreter Werner Löw als Berichterstatter. Sie wird laut Protokoll „mehrheitlich bei 5 Stimmenthaltungen“ verabschiedet. Dazu liegen dem Plenum 6 Änderungsanträge vor, die sämtlich einvemehmlich und ohne Abstimmung erledigt werden. Eine WSA-Stellungnahme von 1989 zur „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ wurde von vielen unserer Gesprächspartner als Höhepunkt der bisherigen WSA-Arbeit bewertet, weil der WSA hier auf Befassung durch Kommissionspräsident Delors erstmals einen weitreichenden, aber innerhalb der Sozialpartner konsensfähigen Kanon vorgelegt habe. Im folgenden wird zunächst diese Sozialcharta und ihre Wahrnehmung im EG-Kontext referiert und dann die Plenardebatte vom 1./ 2.7.1992 über den „Ersten Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ untersucht. In dieser Debatte gab es scharfe Kontroversen zwischen der Berichterstatterin, einer deutschen Gewerkschaftlerin, und britischen WSA-Mitgliedem, die vor der Folie englischer Vorbehalte gegen eine europäische Sozialpolitik argumentierten. 276 Zugrundeliegende Interaktions- und Argumentationsregeln werden im Gegensatz zum problemlosen Normalfall im Konfliktfall explizit thematisiert. So ist er für uns neben den relativ konfliktfreien Fallstudien relevant für Musterbeschreibungen. Konfliktträchtigkeit bis zur Endabstimmung im Plenum ist zwar Ausnahme für die WSA-Arbeitspraxis, aber die Behandlung von Kontroversen zeigt besonders deutlich, welche Aushandlungsverfahren für Textformulierungen im WSA etabliert sind. 7.2 Zum Kontext und zur Vorgeschichte: Die EG-Sozialcharta Die „Sozialcharta“ und ihre Textgeschichte sind Ausnahmen in der Flut üblicher WSA-Stellungnahmen: Die Sozialcharta wurde auf persönliche Befassung durch den Kommissionspräsidenten Delors geschrieben; auf sie wird oft verwiesen als einzigen Text, der Spuren in der Arbeit der Kommission hinterlassen habe. Die Verwässerung durch den späteren Kommissionstext bzw. das durch den Europäischen Rat angenommene Dokument werden ambivalent gewertet: Einerseits hat der WSA gegenüber der Flalbherzigkeit der anderen EG-Institutionen vorgeführt, wie eine auf Konsens beruhende Sozialcharta eigentlich auszusehen hätte andererseits zeigt auch das Schicksal der Sozialcharta, wie machtlos er im Gefüge der EG ist. Europäische Sozialpolitik ist von zwei fundamentalen Interessendivergenzen geprägt zwischen Großbritannien und dem Rest der Gemeinschaft sowie zwischen Nord und Süd; das beschreibt der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth so: „Schon der Begriff ,Europäischer Sozialraum‘, den Frankreichs Staatspräsident Mitterrand bereits 1982 geprägt und mit konkreten Vorschlägen ausgefüllt hatte, war der britischen Premierministerin Thatcher suspekt. Strikt ablehnend reagierte sie auf die Idee eines Sockelgesetzes, in dem die wichtigsten sozialen Grundnormen der Gemeinschaft festgeschrieben werden könnten. Vorschriften über Mindestlohn, maximale Arbeitszeiten, Mindesturlaub und erst recht über Mitbestimmungsmöglichkeiten von Arbeitnehmern erschienen ihr als unnötige und schädliche ,Überreglementierung‘, die im Gegensatz zur angestrebten Deregulierung des Gemeinsamen Marktes stehe. Demgegenüber unterstützen die Bundesregierung und die europäischen Kemländer die EG-weite Einführung sozialer Sockelgarantien für Arbeitnehmer. Widerstand dagegen zeichnet sich aber auch bei den südeuropäischen Ländern ab, die ihre künftigen Wettbewerbschancen teilweise sogar durch eine Lockerung sozialer Schutzbelange erhöhen wollen.“ (Späth 1989, 72) Im folgenden soll als Hintergrundinformation der Text der Sozialcharta referiert werden, um die Debatte zum Kommissionsbericht über ihre Anwendung verständlich zu machen. Die Sozialcharta ist veröffentlicht worden unter dem Titel: 211 Europäische Gemeinschaften, Wirtschafts- und Sozialausschuß: Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften“, ABI Nr. C 126 vom 23.5.1989. 1 Bereits die Präambel weicht von der Standardformulierung ab, in formaler Analogie zum abweichenden Verfahren der Befassung, nämlich einer persönlichen Aufforderung durch den Kommissionspräsidenten Delors und den Vizepräsidenten Marin vor der Vorlage eines offiziellen Kommissions"Vorschlags“ anstelle einer institutionellen Befassung nach einer solchen Vorlage: „Mit Schreiben der Herren DELORS und MARIN vom 9. November 1988 wurde der Wirtschafts- und Sozialausschuß von der Kommission gebeten, einen Meinungsaustausch und eingehende Überlegungen zum möglichen Inhalt einer ,EG-Charta der Sozialen Grundrechte* anzustellen.“ (S. 1) Der WSA wird im Normalfall sehr spät in das EG-Rechtsetzungsverfahren einbezogen. Die Kommission kann oder muß den WSA erst zu einer Stellungnahme auffordem, nachdem sie eine Position eingenommen hat. Demgegenüber stellt sich für das niederländische WSA-Mitglied Lustenhouwer die Arbeit an der Sozialcharta als Ausnahme, aber auch als Zukunftsmodell dar: „Etwas anderes wäre es, wenn die Kommission, sagen wir, in der Vorphase den WSA fragt: ,Wie würden Sie denken global über eine gesetzliche Regelung in diesen oder solchen Beziehungen? * Das könnte auch sein, macht die Kommission nicht, hat sie einmal gemacht; denn solche Art Charta, das könnte auch eine Möglichkeit sein.“ Nicht nur für WSA-Insider ist die Vorab-Befassung im Fall der Sozialcharta etwas Besonderes gewesen, sie wird auch von interessierten Beobachtern so gewertet. So schränkt der Mitarbeiter des Informationsbüros eines deutschen Bundeslandes seine Darstellung der mangelnden politischen Bedeutung des WSA in einem Punkt ein: „Er spielt hier in Europa keine Rolle, mit wenigen Ausnahmen. Es gibt einzelne Fälle, da wurden auch politisch kluge Schachzüge gemacht, etwa vom Kommissionspräsidenten Delors im Falle der Sozialcharta das ist, also Sozialpolitik ist sowieso ein sehr heikles Thema auf europäischer Ebene - und Stichwort europäischer Sozialraum*, da gab’s dann eine Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, die da öfters auch zitiert wurde, als Begründung herangezogen wurde.“ Eine weitere Besonderheit dieser Stellungnahme war, daß sie wegen ihres ressortübergreifenden Charakters von einem „Unterausschuß“ vorbereitet wurde, weil das Thema nicht in die alleinige Zuständigkeit einer Fachgruppe fiel. Unterausschüsse berichten unmittelbar an das Plenum. Der Text der „Sozialcharta“ ist gegliedert in I. Grundlagen des Sozialen Europas II. 1992: Die Gewährleistung der Sozialen Grundrechte i Im folgenden wird zitiert nach der Druckschrift CES 270/ 89, Brüssel, Februar 1989. 278 III. Die Verwirklichung des europäischen Sozialmodells 1. Sicherstellung der Grundprinzipien in Form von sozialen Rechten im Rechtssystem der Gemeinschaft A. Allgemeine Normen B. Regelungen auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen, des Arbeitsmarktes und der Arbeitsbedingungen 2. Die soziale Dimension des Binnenmarktes 3. Die verbraucherpolitische Dimension des Europäischen Binnenmarktes 4. Der soziale Dialog auf Ebene der Gemeinschaft IV. Bemerkungen zur Anwendung der Sozialen Grundrechte Im Teil I werden einige Voraussetzungen axiomatisch und das primäre Gemeinschaftsrecht als Rechtsgrundlage relevant gesetzt, schließlich werden die Hauptziele des Binnenmarktes und Maximen zur Bedeutung der Sozialpolitik für die europäische Integration genannt: „In der Überzeugung, daß mit der Umsetzung der Einheitlichen Akte in Europa eine wirtschaftliche und soziale Einheit entsteht, die sich namentlich auf eine Entwicklung der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern gründet, bekräftigt der Wirtschafts- und Sozialausschuß seine Zustimmung zur Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes, der nicht nur Wirtschaft, Handel, Handwerk und Dienstleistungen stärken soll, sondern der auch die Grundlage für eine Weiterentwicklung des sozialen Wohlstandes für alle Bürger, des Abbaus der großen Arbeitslosigkeit sowie die Weiterentwicklung der Verbraucher- und Umweltpolitik sichert.“ (S. 1) Dabei wird die Zielsetzung einer solchen Sozialcharta generell eingeschränkt: „Wollte man eine umfassende präzise Antwort auf diese Frage geben, müßte eine europäische Verfassung oder ein Grundgesetz ausgearbeitet werden. So fesselnd eine solche Arbeit auch ist, sie kann nicht in ein paar Wochen erledigt werden.“ (S. 1) Folglich wird zugleich das Themenspektrum arbeitsökonomisch auf drei Bereiche beschränkt: "a) die Sicherstellung der .Grundwerte' in Form von sozialen Rechten im Rechtssystem der Gemeinschaft; b) die soziale Dimension des Binnenmarktes; c) der soziale Dialog in der Gemeinschaft.“ (S. 2) Die Beschränkung soll eine Fokussierung vorerst derjenigen sozialen Grundrechte erlauben, „denen aufgrund des Inkrafttretens der Einheitlichen Europäischen Akte und der neuen, mit der Schaffung des Binnenmarktes verbundenen spezifischen Bedürfnisse ganz besondere Bedeutung zukommt“ (S. 3). 279 Im n. Teil wird betont, daß wirtschaftliche und soziale Aspekte des Binnenmarktes notwendig gleichrangig und synchron weiterentwickelt werden müssen: „Der Binnenmarkt darf nicht als bloße Freihandelszone definiert werden, da die angestrebte europäischen Integration nur dann Sinn und Zweck hat, wenn die Lebens- und Arbeitsbedingungen aller Teile der Bevölkerung verbessert werden.“ (S. 3) Die Sozialcharta bedient sich dabei der WSA-typischen Argumentationstechniken: Verweis auf eigene frühere Stellungnahmen, Zitat aus einer eigenen „Entschließung“ und Zitate aus den „Schlußfolgerungen“ der letzten Tagungen des Europäischen Rates. Dann verweist sie auf bereits ausgehandelte Definitionen der sozialen Grundrechte in „verschiedenen überstaatlichen Gremien wie den Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeitsorganisation, dem Europarat und der OECD“. Pragmatisch übernimmt die WSA-Sozialcharta Systeme, die in anderen politischen Kontexten etabliert sind, und paßt sie an EG-Spezifika an: „Es geht [...] nicht darum, neue Bestimmungen zu erfinden, sondern darum, bereits bestehende und auf anderer Ebene anerkannte Vorschriften zunächst heranzuziehen und dann anhand von Rechten, die den durch die Schaffung des Binnenmarktes entstehenden neuen Bedürfnissen Rechnung tragen und dessen reibungsloses Funktionieren gestatten, in neuer Form festzulegen.“ (S. 4) Der Teil HI synthetisiert durch ein „Immunisierungsargument“ konträre Positionen: „Der Ausschuß hebt erneut die Bedeutung hervor, die er der Autonomie der Sozialpartner und der Sozialgesetzgebungsbefugnis der Mitgliedstaaten beimißt.“ (S. 6) Auf derartige Formeln können sich auch die britischen Gegner der Stellungnahme von Frau Engelen-Kefer zum Anwendungsbericht berufen, die mehr Respekt vor der Autonomie der EG-Mitgliedstaaten bei der Sozialgesetzgebung fordern. Die Abschnitte III. 1.A und III.l.B enthalten als wichtigster Textteil stichwortartige Listen („Katalog“) von Grundrechten, jeweils mit Bezug auf analoge Rechte in Konventionen oder Charten anderer internationaler Organisationen wie Europarat oder UNO. Ein Beispiel ist das „Recht auf Bildung (Europarat: Artikel 2 des Protokolls Nr. 1 (Zusatzprotokoll) zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten; UNO: Artikel 6, 13, 14 und 15 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte); [...]“ (S. 7) 2 2 Eine Kurzfassung des vollständigen Katalogs sozialer Grundrechte findet sich als Fußnote 1 zum Abschnitt 1.11.2 in der Stellungnahme zum „Ersten Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ (s. Anhang zu diesem Kapitel). 280 Die „soziale Dimension des Binnenmarktes“ wird definiert als Aufgabe, die konfligierenden, wenn auch kohärenten Ziele „Wahrung von Vielfalt“ und „Harmonisierung“ auf sozialem Gebiet zu kombinieren: "A) die Wahrung der nationalen Vielfalt in bezug auf das Arbeitsrecht, die soziale Sicherheit sowie die Arbeitgeber/ Arbeitnehmerbeziehungen, sofern die nationale Realität dem europäischen Sozialmodell entspricht, [...] B) die erforderliche Festlegung gemeinsamer Regelungen.“ (S. 10) Im Teil IV benennt bereits der WSA explizit seine Bedenken gegen das Rechtsinstrument der „Charta“: Dieser Begriff könnte den „Eindruck aufdrängen, daß die gemeinsame Sozialpolitik bei der Vollendung des Binnenmarktes [...] nur von zweitrangiger Bedeutung ist“ (S. 12), eine Einschätzung, die auch durch ein Zitat aus den „Schlußfolgerungen“ des Sozialrates vom 22.6.1984 untermauert wird, in dem die Gleichzeitigkeit von Zusammenhalt und Ausbau auf wirtschaftspolitischem wie auf sozialpolitischem Gebiet gefordert wird. Dennoch wurden die sozialen Grundrechte nur in Form einer „Charta“ auf der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg im Dezember 1989 angenommen erstes Indiz für eine „Verwässerung“ der EG-Sozialpolitik! Nicht nur die inhaltlichen Erwartungen an eine solche Charta waren hoch, sondern auch die an ihren Status als Rechtsinstrument. So definiert Alois Peressin in einem „Grußwort“ zu den Referaten eines Symposiums an der TH Darmstadt am 9.11.1989 (Böhme/ Peressin (Hrsg.) 1990) die Chancen des europäischen Binnenmarktes aus Gewerkschaftssicht: „die Arbeitslosigkeit abzubauen, mehr Lebensqualität zu schaffen, Armut und soziales Gefälle innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu beseitigen, daß er ökologische Verbesserungen ermöglicht und eine Stabilisierung der friedlichen Entwicklung in Europa sichert.“ (Böhme/ Peressin (Hrsg.) 1990, VIII) Freilich äußert er aus Arbeitnehmerperspektive auch seine Skepsis an der Realisierbarkeit derartiger Ziele einer sozialen Integration: „Das Kapital hat sich schon längst organisiert für diesen europäischen Binnenmarkt. Aber die Probleme der Arbeitnehmer und ihrer Familien sind noch nicht einmal ansatzweise verbindlich geregelt. Wie anders wäre es zu verstehen, daß der Entwurf einer Gemeinschafts-Charta der sozialen Grundrechte erst auf dem Gipfel im Dezember dieses Jahres als .feierliche Erklärung“ ohne Rechtsverbindlichkeit veröffentlicht werden soll. Hierzu meinen wir, daß dies nicht die Art der sozialen und wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer sein kann. Diese Sozial-Charta muß die Durchsetzbarkeit beinhalten, muß die Möglichkeit bieten, durch Einspruch und Klagerecht auch rechtskräftig zu werden. Deshalb denke ich, daß wir als Gewerkschaften im europäischen Bereich, über die ideologischen Unterschiedlichkeiten der europäischen Gewerkschaften hinweg, gemeinsam dafür eintreten müssen, daß in dieser Sozial-Charta rechtsverbindliche Normen festgelegt werden.“ (Böhme/ Peressin 1990, VIII) 281 Der WSA hat in diesem Fall demonstriert, wie über fundamentale Interessengegensätze hinweg aussagekräftige programmatische Rechtstexte formuliert werden können. So meint das deutsche WSA-Mitglied Klaus Meyer-Horn: „Und so gibt es Punkte, da sind die Nordländer gegen die Südländer, anderes, da sind die Arbeitgeber gegen die Arbeitnehmer, da nun würde ich sagen, sollte sich der Wirtschafts- und Sozialausschuß bemühen, doch viele Kompromisse zu finden, ohne daß es verwässert wird. Und das ist ja gelungen mit der Sozialcharta, da hat man, ohne allzuviel Text opfern zu müssen, doch ein breites Votum bekommen, obwohl es eine Frage war, die das Lager spaltete, in die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, aber das ist dann doch gelungen. Und da war übrigens auch wieder das sprachliche Problem, wie auch bei der Währungsunion und bei Delors II, das sprachliche Problem ist (engl.) ,social*. Wenn Sie .social* sagen, dann sehen die Engländer Massen mit roten Fahnen da marschieren, also ein (engl.) .social dialogue* ist für die unmöglich, es sei denn, mit Brecheisen aufeinander zugehen; und im Deutschen ist es also nicht negativ besetzt, jeder will sogar sozial sein! “ Positiv in diesem verminten Gelände wird der WSA nicht nur von seinen Mitgliedern gesehen. Die „Financial Times“ verweist in einem ansonsten sehr abfälligen Zeitungsartikel über den WSA auf die Diskrepanz zwischen seiner glanzvollen Version der „Sozialcharta“ und deren weiteren Schicksal: „The Committee had a big moment of glory a few years ago when Mr Jacques Delors, the Commission president, invited its views on a .Social Europe*. However, its scheme for strong legal measures to improve the lot of all citizens in Europe bears no relation to the weak, narrow and voluntary Social Charter signed by 11 countries in 1989.“ (Kellaway 1991) Brüske schränkt seine Darstellung der brüchigen öffentlichen Wahrnehmung des WSA in einem Punkt ein: „Einen kleinen Popularitätsschub erfuhr der WSA im Kontext der Sozialcharta. Die internationale (Fach-)Presse berichtete sehr intensiv über die inhaltliche Seite dieses Unternehmens [...].“ (Brüske 1990, 89) An anderer Stelle würdigt Brüske diese Arbeit des WSA noch umfassender: „Ein besonderes Beispiel ist der Grundsatzentwurf für die schließlich von den anderen Organen übernommene Charta der sozialen Grundrechte [...]. In diesem Fall hat der WSA zum ersten Mal in seiner Geschichte entscheidende Akzente gesetzt, bevor die übliche EG-Entscheidungsfindung begann. Als repräsentatives Organ neben dem Europäischen Parlament hat er damit seinem ureigensten Auftrag entsprochen: Lösungsvorschläge zu diskutieren und zu formulieren, die die unterschiedlichen Interessengruppen gemeinsam verantworten können und wollen.“ (Brüske 1991,329) Die Bedeutung der Sozialcharta als Grundlagentext erhellt auch daran, daß sie in anderen WSA-Stellungnahmen gleichrangig mit dem sog. „acquis communautaire“ 3 als rechtlicher Besitzstand genannt wird, den Drittstaaten 3 Das sind „alle sekundären Rechtsnormen - Richtlinien, Verordnungen und Entscheidungen -, die aufgrund der Verträge erlassen wurden“ (Leonard 1989,198). 282 zu akzeptieren haben, wenn sie mit der EG Assoziationsverträge schließen wollen. So äußert sich der Berichterstatter Petersen auf der 2. Sitzung der Studiengruppe „Beziehungen EG/ Baltische Staaten“ des WSA am 16.9.1992 über die relevanten Punkte für künftige Europa-Abkommen mit osteuropäischen Staaten: „Der Beitrittswunsch, den müssen sie aufnehmen, klar, auch für die baltischen Staaten. Sie nehmen den Beitrittswunsch auch auf in die Abkommen mit Bulgarien, Rumänien. Ich persönlich bin der Meinung und der Ausschuß war es auch, daß man den acquis communautaire auch in der Präambel anspricht und ebenso die soziale Dimension, die Gemeinschafts-Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer.“ Die Rechtsverbindlichkeit der Sozialcharta wird freilich relativiert, wenn sie nur in der Präambel solcher Abkommen erscheint: Das ist, wie Petersen an anderer Stelle sagt, nur eine „nette Geste“, nicht Verpflichtung. Im Referat auf der Plenartagung am 25.3.1993 wendet der Berichterstatter Petersen den Aspekt „Sozialcharta“ auf die künftigen Europa-Abkommen mit den baltischen Staaten an: „und jetzt richte ich mich in dl meinen Ausführungen ** an dies normale Gerippe- ** der Europa-Abkommen das eigentlich unverändert ** in allen weiteren Abkommen auch beibehalten werden wird/ in der Präambel ** da begrüßen wir natürlich die Grundsätze Achtung der Menschenrechte mi eh Minoritätenrechte Mehrparteien-System- ** äh Liberalisierung der Wirtschaft und dergleichen Dinge mehr/ <wir fordern aber erneut die Einführung der sozialen ** Dimension/ und die ** äh-Herausstel hebung der Gemeinschaftscharta der sozialen GrundrechteX mir scheint das unabdingbar' gerade vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen sozialen Probleme mit denen diese Reformstaaten * konfrontiert sind\“ Und auch auf der WSA-Pressekonferenz zu dieser Initiativstellungnahme am selben Tag fordert Petersen für die künftigen Europa-Abkommen mit den baltischen Staaten: „In der Präambel dieser Abkommen fehlt uns der Hinweis auf die soziale Dimension des europäischen Einigungswerkes; es fehlt uns die Aufnahme der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte in die Präambel. Wir glauben, daß die Reformprozesse doch deutlich gezeigt haben sollten in allen Ländern, welche sozialen Probleme mit diesen Reformprozessen verbunden sind, und wir meinen, daß in diesen Abkommen dieses in der Präambel auch deutlich zum Ausdruck kommen sollte, um auch klar zum Ausdruck zu bringen, daß auch die Verhandlungspartner auf beiden Seiten sich der sozialen Dimension und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer verpflichtet fühlen.“ 283 7.3 „Erster Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“: Texte Der Text der Initiativstellungnahme zum „Ersten Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ liegt uns in den letzten zwei Stufen vor; zunächst als INITIATIVSTELLUNGNAHME der Fachgruppe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur zum Thema „Erster Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ (Dok. KOM (91)511 endg.). Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER, Dokument CES 206/ 92 fin (E/ D/ I) M/ K/ C/ el Dieser Text wurde dem Plenum des WSA am 2.7.1992 vorgelegt und vier Monate darauf im EG-Amtsblatt veröffentlicht: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme zum Thema „Erster Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 287, 4.11.1992, S. 39-48 Im Vergleich zu anderen WSA-Stellungnahmen fällt eine komplexe Gliederung mit vier Anlagen auf. Die Präambel stellt wie üblich die rechtlich relevanten Rahmendaten der Textgenese dar: „Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 26. Mai gemäß Artikel 20 Absatz 4 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu vorgenannter Vorlage zu erarbeiten. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur nahm ihre Stellungnahme am 18. Juni 1992 an. Berichterstatterin war Frau Engelen-Kefer. Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 298. Plenartagung (Sitzung vom 2. Juli 1992) mit 88 gegen 65 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme.“ Auffällig kurz ist nach dieser Darstellung der Zeitraum zwischen dem Beschluß, eine Initiativstellungnahme zu verfassen, und der Annahme in der Fachgruppe. Das könnte die Schlußfolgerung nahelegen, daß keine Studiengruppenarbeit stattfand und die Berichterstatterin die Arbeit allein gemacht hat. Andererseits wird aber in der Plenardebatte auf die vier Studiengruppen- und eine Fachgruppensitzung zu dieser Stellungnahme hingewiesen. Mithin ist die Textarbeit offenbar durch das WSA-Plenum erst legitimiert worden, als sie schon ihre ersten Stufen durchlaufen hatte. Die Präambel der Veröffentlichung im Amtsblatt zeigt ein für soziale Themen normales, gegenüber dem Gros der WSA-Stellungnahmen aber ungewöhnlich schlechtes Abstimmungsergebnis: Von den 154 abstimmenden WSA-Mitgliedem haben mit 88 nur 57,14% für die Stellungnahme gestimmt, von allen 189 WSA-Mitgliedem gar nur 46,56%. Üblicherweise werden nur bei solch kontroversem Ergebnis bei der Veröffentlichung der WSA-Stellungnahme im Amtsblatt die genauen Zahlen des Abstimmungsergebnisses 284 angegeben; mithin kann man auch nur in solchen Fällen die ungefähre Beteiligung an der Abstimmung erkennen (hier 81,48%). 4 Die Gliederung des Texts der Stellungnahme selbst geben wir im folgenden stichwortartig wieder 5 : 1. Allgemeine Bemerkungen 1.1. : Verweis auf den Einsatz des WSA für „eine Gemeinschaft sozialer Grundrechte“. 1.2. : Anlaß der Stellungnahme: Vorlage des Kommissionsberichts. 1.3. : Anerkennung für pünktliche Vorlage des Kommissionsberichts; Maximen des Europäischen Binnenmarktes. 1.4. : Fußnote mit Verweis auf die „wichtigsten Stellungnahmen des WSA zur Durchführung der Sozialcharta“ im Anhang, Kritik an schleppendem Tempo des Rats, Vorschläge aus der Sozialcharta und dem sozialen Aktionsprogramm anzunehmen; Diskrepanz zum Stand der Umsetzung des Binnenmarkt-Weißbuchs. 1.5. : Kritik an fehlender praktischer Umsetzung konkreter, garantierter sozialer Grundnormen in der Gemeinschaft. 1.6. : Scheitern im Rat aufgrund des Vetorechts einzelner Mitgliedstaaten. Im Text findet sich hier (Ziffer 1.6.1) eine abstrahierende Europa-Metaphorik: „im europäischen Geleitzug“ als Variante zur gängigen „Zug“-Metaphorik 6 und als Wiederaufnahme „mit Volldampf*. 7 1.7. : Forderung nach sozialpolitischen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit. 4 Die Einschränkung „ungefähr“ ist notwendig, weil sich WSA-Mitglieder bei der Abstimmung durch ein anderes Mitglied vertreten lassen können, ohne daß das beim Abstimmungsergebnis und bei der Auflistung zur namentlichen Abstimmung eigens vermerkt würde. 5 Den vollständigen Text dieser Stellungnahme s. Anhang; dabei sind die Veränderungen gegenüber der Fachgruppenfassung durch Unterstreichung markiert. 6 Belege dazu sind u.a.: Schröder (1992) berichtet über die Schweizer Entscheidung, einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der EG zu stellen; der Schlußabsatz lautet: „Die Spekulationen gehen derzeit dahin, daß möglicherweise die EG.nach dem Maastrichter Gipfel, der föderal strukturierten Ländern wie der Schweiz und Österreich die Tür zur Gemeinschaft ein Stück weiter aufgestoßen hat, einer ersten Gruppe von beitrittswilligen Staaten zumindest den Teppich vor den Toren der EG aufrollt. Neben Österreich, Schweden und Finnland, allsamt in der Freihandelszone organisiert, konnte und wollte die Schweiz diesen Zug offensichtlich nicht verpassen.“ Schmid (1992) setzt ein Metaphemzitat im Bild bleibend fort: „Glaubt man Bundeskanzler Helmut Kohl, dann ist der Europazug nicht zu bremsen, sondern wird ab sofort sogar beschleunigt“. Bei Buhl (1992) finden sich in einer Darstellung, daß der Rückfall in die nationale Eigensucht die öemeinschaft gefährdet, weil nicht die Allmacht der Europäischen Gemeinschaft drohe, sondern ihre Ohnmacht („kein gleichmacherischer Superstaat dräut am Horizont, sondern die Zerfaserung des organisierten Europas in seine Einzelteile“) mehrere Belege für Europa-Metaphorik: „Zug auf dem Abstellgleis“, „[...] könnten nicht nur die Pläne von Maastricht unter die Räder geraten“, „Totenschein für Maastricht“. 7 Hier verzichtet die englische Version teilweise auf Bildlichkeit: „full speed ahead“. 285 1.8.: Gipfeltreffen von Maastricht [...] 1.11.1.: Empfehlung an die Kommission, „sowohl eine zusätzliche Unterstützung als auch die Möglichkeit von Sanktionen [...] zu erwägen, um die ordnungsgemäße Durchführung gemeinsam getroffener bindender Beschlüsse in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten“; zusätzlicher Rechtsweg für EG-Bürger bei Nichteinhaltung von EG-Richtlinien. 2. Besondere Bemerkungen (relativ kurz, zu „Arbeitsmarkt“, „Beschäftigung und Arbeitsentgelt", „Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“, „Freizügigkeit“, „Sozialer Schutz“, „Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer“, „Gleichbehandlung von Männern und Frauen“, „Berufsbildung“, „Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz“, „Kinder und Jugendliche“, „Ältere Menschen“, „Behinderte“). Anhang I: „Die wichtigsten Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses, in denen die sozialen Grundrechte der Gemeinschaft befürwortet werden, und Richtlinienvorschläge zur Durchführung der Sozialcharta“. Die nahezu zweiseitige Aufzählung in Anhang I (jeweils mit Fundstelle im EG-Amtsblatt) verdeutlicht, daß die vorliegende Stellungnahme kein Ad-hoc- Kommentar zu einem einzelnen Kommissionspapier sein soll, sondern als Gelegenheit genutzt wird, die Position des WSA zur EG-Sozialpolitik schlechthin und seine kontinuierliche Arbeit zu diesem Thema zu propagieren. Das wird auch im Text der Stellungnahme unter 1.4 formuliert: „Mit eben diesem Verständnis von Ausgewogenheit und Parität des wirtschaftlichen und des sozialen Fortschritts haben der Ausschuß und das Europäische Parlament bei der Förderung der Umsetzung der Sozialcharta und des sozialen Aktionsprogramms positiv mit der Kommission zusammengearbeitet" (S. 39). Anhang II: „Nachstehende anwesende bzw. vertretene Mitglieder stimmten für die Stellungnahme: [...] Nachstehende anwesende bzw. vertretene Mitglieder stimmten gegen die Stellungnahme: [...] Nachstehendes Mitglied enthielt sich der Stimme: [...]“ Anhang III: „Folgende Änderunganträge, die mindestens ein Viertel Ja-Stimmen erhielten, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt: [...]“ Anhang IV: „Minderheitserklärung nach der namentlichen Abstimmung über die gesamte Stellungnahme der Gruppe der Arbeitgeber, die gegen die Stellungnahme stimmte“. Nach Ansicht der Arbeitgeber hat die Stellungnahme Mängel in den allgemeinen Bemerkungen: „- Der fehlende Fortschritt auf Gemeinschaftsebene ist darin übertrieben dargestellt [...]. In der Stellungnahme wird versucht, das augenscheinlich schleppende Vorwärtskommen darauf zurückzuführen, daß es der Rat nicht geschafft habe, Einigkeit zu erzielen, während die Substanz der Kommissionsvorschläge nicht angesprochen wird, die keine Zustimmung gefunden haben. - In der Stellungnahme wird ignoriert, daß sich über das im Maastrichter Vertrag und in den Schlußfolgerungen des Gipfeltreffens von Lissabon verankerte Subsidiaritätsprinzip eine verstärkte Diskussion entfacht hat. 286 - In den häufigen Verweisen auf frühere Stellungnahmen des Ausschusses kommt nicht zum Ausdruck, daß zu den umstrittenen Themen häufig keine Einigkeit erzielt wurde.“ Mithin ist die Strittigkeit schon an den Texten selber zu erkennen: Sowohl der von der Fachgruppe verabschiedete und dem Plenum vorgelegte Entwurf vom 22.6.1993 als auch die endgültige Fassung im Amtsblatt enthalten einen Anhang mit dem Wortlaut und dem Abstimmungsergebnis von Änderungsanträgen, „die mindestens ein Viertel Ja-Stimmen erhielten“ und „im Verlauf der Beratungen abgelehnt“ wurden. Der Entwurf führt im Anhang die in der Fachgruppe abgelehnten, die Amtsblatt-Endfassung die im Plenum abgelehnten Änderungsanträge auf. Teilweise sind es die gleichen und in beiden Gremien abgelehnten Anträge. 7.4 Die Debatte: Strategie und Verlauf Im Interview stellte die Berichterstatterin Ursula Engelen-Kefer, stellvertretende Vorsitzende des DGB, retrospektiv dar, mit welcher Strategie sie aufgrund welcher kommunikativen Intentionen und Annahmen über den Verlauf der Debatte in die Plenartagung gegangen ist, wie sie den Ablauf der Debatte, die Änderungsanträge und die Minderheitserklärung interpretiert und wie sie das Ergebnis bewertet. Diese Darstellung ist interessant für die Frage, ob der Verlauf der Debatte an ihrem idiosynkratischen Arbeits- und Präsentationsstil liegt, an der Konflikthaltigkeit des Themas oder an beidem. Frau Engelen-Kefer definiert als für sie unabdingbares Prinzip ihrer sozialpolitischen Haltung eine Politik verbindlicher Mindeststandards auf der europäischen Ebene und grenzt das gegen eine negativ bewertete Reduktion von Sozialpolitik auf „Wohlfahrtspolitik“ ab; Veränderungen der Stellungnahme, die nicht von dieser Grundannahme ausgingen, seien für sie nicht akzeptabel gewesen. Dadurch schränkt sie ihre Kompromißbereitschaft bei diesem Text entscheidend ein. Als ihre Strategie beschreibt sie, zentrale Aspekte seien unverzichtbar, könnten nicht Gegenstand von Zugeständnissen werden. Das expliziert sie durch die Darstellung eines Zielkonflikts: Eine Übernahme der gegnerischen Argumentation (etwa der Forderung, die Kommission müsse ihre Initiativen besser vorbereiten und nach sozialpolitischen Aktivitäten in den Mitgliedstaaten ausrichten) hätte im Sinne des WSA-Konsensprinzips die Zustimmung auch der Arbeitgeber bewirkt. Doch demgegenüber legitimiert Frau Engelen-Kefer das Forcieren eigener zentraler Formulierungsinteressen: „Eine vollständige Verkehrung dessen, was ich eigentlich wollte“, ist für zu unzumutbar. Diese Darstellung generalisiert sie an anderer Stelle im Gespräch nach dem Einräumungs-Widerspruchs-Muster: Eine Bereitschaft zu Formulierungsanpassungen in Studien- und Fachgruppe, damit der Text allseits „erträglicher“ wird, als Thematisierung des üblichen WSA-Verfahrens, stellt sie gegen ihr Beharren auf einer „Aussage“ (im Sinne von „Botschaft“): 287 „Ich hab’ es nie akzeptiert, wenn dann keine Aussage mehr drin ist, denn dann würd’ ich keine Stellungnahme abgeben, nicht, dann kann die irgend jemand anders abgeben“ Interessant in ihrer Perspektive ist eine Verschiebung von Zuständigkeiten: Die „Initiative ergriffen“ hat nicht der WSA, sondern sie persönlich. So legitimiert Frau Engelen-Kefer das Forcieren auf ihrer Grundannahme: Da sie die Stellungnahme selbst angeregt hat, nimmt sie für sich ein besonderes Gestaltungsrecht in Anspruch. Verallgemeinernd definiert sie als Zweckbestimmung einer derartigen sozialpolitischen Initiativstellungnahme, der Text werde nicht auf Befassung durch die Kommission hin, sondern aufgrund selbstbestimmter Relevanzsetzungen verfaßt, nämlich als „ein ganz bewußtes Wollen, hier mal zu versuchen, aufzuzeigen, was ist denn Maastricht überhaupt, bringt das einen Fortschritt? Wir sind der Meinung, daß es einen Fortschritt bringt aber wo hat der Fortschritt Nachteile? “ Dazu werden „Aufhänger“ als Bezugstexte der Kommission selbst ausgewählt, um die eigene Perspektive auf zugrundeliegende Probleme der EG- Politik artikulieren zu können, d.h. der Bezugstext wird instrumentalisiert. Frau Engelen-Kefer erklärt die Schärfe englischer Reaktionen in der Debatte, z.B. auch eine beiseite gesprochene Verbalinjurie von Robert J. Moreland (vgl. Kapitel 7.4.5.4), mit ihrem Stil als Berichterstatterin: „Ich hab’ die natürlich maßlos geärgert“; trotz Abschwächungen im Laufe der Textarbeit bevorzuge sie eine „klare Ausdrucksweise“; sie hält sich eine „klare Gedankenführung“ und eine Bereitschaft zugute, Konflikte einzugehen; diesen Personalstil beschreibt sie als auffällig vor dem Hintergrund des institutionstypischen Stils, Provokationen durch Verklausulierung zu reduzieren: „Manchmal verklausuliert man ja hier, nicht, und dann reizt man... man provoziert weniger.“ Von anderen wird Engelen-Kefers Stil weniger positiv bewertet. Ein deutsches WSA-Mitglied aus der Arbeitgebergruppe schreibt im Interview sich die Fähigkeit zu, Argumente bereits in der Studien- und Fachgruppenphase so weit zu berücksichtigen, daß er dafür eigens gelobt werde. Als drastisches Gegenbeispiel nennt er die Berichterstatterin unserer Fallstudie: „wenn Frau Engelen-Kefer den europäischen Betriebsrat hier- ** eh vorträgt/ und so völlig eh=eh draufknallt/ ja/ weil sie mit vierzig Gegenstimmen dann- ** arbeiten muß/ und mit Änderungsanträgen und * Minderheitserklärungen/ ** dann ist das aus meiner Sicht auch ein Fehler=>eh * mangelnde Bereitschaft der mangelnden Bereitschaft KLOPFT DREIMAL AUF DEN TISCH #in den Arbeitsgruppen bereits# ** auf Kompromisse abzustellenX &wir sind nun mal drei Gruppen Sie müssen- ** el eh ja/ Regierungsprogramme sind etwas anderes als Parteiprogramme >das muß man eben sehen-“ 288 Konfliktbereitschaft des Berichterstatters wird hier als kommunikativ unökonomisch, gar in metaphorisch-drastischer Redeweise („völlig draufknallt“) als Scheitern an den gestellten Aufgaben gesehen, wenn diese Bereitschaft zu Änderungsanträgen, Minderheitserklärungen und zu einer nicht vemachlässigbaren Zahl von Gegenstimmen führt. 8 Indirekt wird Frau Engelen-Kefer hier durch den Vergleich von Regierungsprogrammen mit Parteiprogrammen zudem der Vorwurf gemacht, die textsortenspezifischen Anforderungen einer WSA-Stellungnahme zu verfehlen, weil sie zu stark programmatische Texte ihrer eigenen Gruppe berücksichtige. 7.4.1 Referat der Berichterstatterin Die Debatte wird nach einer Einführung durch den Fachgruppenvorsitzenden wie üblich durch ein Referat der Berichterstatterin zu ihrem Entwurf eröffnet. Darin fallen die gehäuften „wir“-Referenzen auf die Fachgruppe auf, wie z.B.: -wir meinen daß es hier * dringend erforderlich istdaß ä: h hier eine vernünftige ** Politik festgelegt wird-“ „wir haben ** äh festgestellt/ daß es hierbei ** äh eine Reihe von ä: h ** rl Schritten in die richtige Richtung gibt/ “ „wir glaubendaß dies ein wichtiger Schritt * nach vome ist\“ „und wir ** haben auch * einen gewissen Optimismus zum Ausdruck gebracht-“ Das heißt: Bewertungen und Desiderate werden nicht als persönliche der Berichterstatterin oder partikulare der Arbeitnehmer-Gruppe formuliert, sondern als für die Fachgruppe kollektiv gültige. Dabei wird die Strittigkeit der Bewertungen ausgeblendet der Gebrauch von „wir“ fungiert als Appell an das Plenum, gleichfalls der Stellungnahme zuzustimmen. Das Referat orientiert sich an der Struktur des Stellungnahmenentwurfs, d.h. seinen Abschnitten und Kemaussagen. Die Gliederung des Referats wird durch die Strukturierung der Textvorlage vorgegeben. 9 Diese Gliederung wird auch explizit gemacht durch Benennung („weiterer Teil“ u.ä.) und durch terminierende Intonation, die jeweils das Referat zu einem Kapitel der Vorlage abschließt. Für das Kondensierungsverfahren, komplexe und detaillierte Sachverhaltsdarstellungen aus dem Text im mündlichen Referat kürzer, allgemeiner und globaler abzuhandeln (vgl. Kapitel 7.4.1), findet sich hier ein besonders krasses Beispiel: 8 Dabei sind 40 Gegenstimmen nicht einmal 25% der WSA-Mitglieder! 9 Allerdings ist der Bezug nicht ganz einfach herzustellen; auf die Dezimalgliederung der Vorlage wird im Referat nicht ausdrücklich referiert. 289 „äh dann haben wir in einemäh weiteren Teil/ ** dargestellt- ->ich will jetzt hier nicht auf alles Einzelne eingehen/ <-äh welche Ergebnisse/ äh der Bericht über die Anwendung der Sozialcharta/ in Einzelfällen ä der * sozialen Politik der Arbeitsmarktpolitik ** erbracht hat/ und wounserer Meinung nach- Erfordernisse bestehen/ zu weiterem Handelnäh der Europäischen * Gemeinschaft'',“ Dabei werden metakommunikative Ankündigungen zur Referatstruktur durch schnelleres Sprechen als Einschübe kenntlich gemacht, z.B. durch „ich will jetzt hier nicht auf alles Einzelne eingehen“: abkürzender Verzicht auf eine Explikation mit einer Relevanzrückstufung für die aktuelle Debatte, obwohl in den „Besonderen Bemerkungen“ ab Ziffer 2 besonders substantiell Sozialpolitik in einzelnen Problembereichen behandelt wird. Statt dessen fokussiert die Berichterstatterin mit zwei Schlußbemerkungen eine Aktualisierung und Einordnung ihres Entwurfs in den allgemeinpolitischen Kontext: Sie möchte auf den Maastrichter Vertrag und das negativ ausgegangene dänische Referendum zum Maastrichter Vertrag eingehen. Die Krisenhaftigkeit schon der bisherigen Textaushandlung wird hier (im Unterschied etwa zur Plenardebatte der „Maritimen Industrien“) nicht ausgeblendet die Berichterstatterin spricht explizit Divergenzen der Vorphasen an: „Die erste Bemerkung äh betrifft ** eine- *1,5* durchgängig ** äh in den Sitzungen der Studiengruppen und der Fachgruppen ausgetragene- Kontroverse/ inwieweit * wir befugt waren und inwieweit es ** erforderlich und sinnvoll ist * in dieser Stellungnahme ** auf * die Maastrichter Verträge- und das soziale Protokoll einzugehenX äh aber/ ** wir sehen hier einen unmittelbaren Zusammenhang/ der im übrigen * auch ausdrücklich ** festgehalten ist/ in dem sozialen Protokoll von Maastricht/ daß man aufbaut/ auf der * Sozialcharta- ** und den sozialpolitischen Aktionsprogrammen/ äh beides äm * wichtige Entwicklungen ** äh iml im Sinneeiner größeren äh sozialen Entwicklung in Europa/ so daß hier * ausdrücklich ** unserer Meinung nachder unmittelbare Zusammenhangzwischen beiden * Themenbereichenäh fest * äh gelegt worden ist/ und wir * daher unserer Verantwortung * nicht gerecht geworden wären/ wenn wirin einer solchen Initiativstellungnahmezur Anwendungder * Sozialchartanicht auch * auf die weitere Entwicklung * im Rahmen der Maastrichter Verträge * eingegangen wären\“ 7.4.2 Allgemeine Aussprache Die Redebeiträge in der allgemeinen Aussprache enthalten durchweg eine globale Bewertung und eine Aspektualisierung wichtiger Punkte. Dabei findet sich unabhängig von der Tendenz einer Zustimmung oder Ablehnung zum Text rekursiv-paraphrastisch eine Relevanzhochstufung für die „soziale Dimension“ einer europäischen Integration gegenüber der etablierten „wirtschaftlich-monetären“ Integration. Dabei werden ablehnende Statements in dieser Debatte abweichend von der üblichen Praxis nicht durch Lob für den Berichterstatter eingeleitet, statt dessen widersprechen die Sprecher fast unvermittelt und kündigen an, gegen die Stellungnahme zu stimmen. Als Beispiel hier der Beginn des Statements von Francis Whitworth: 290 „erthank you chairman\ RÄUSPERT SICH I’m afraid that I’m unhappy with this opinion/ ** I regret that I can’t support it\ *** like the previous speaker/ er I do not believe that the picture is as black as the rapporteur thinks ismuch has already been achieved/ much is in the pipeline/ much has already been placed on national level * as part two of the Commission report indicatesadmittedly a number of the more controversial proposals/ ** have got bogged down in the Council of MinistersV [...]“ Auffällig ist hier erneut die Metaphorik: Neben dem expliziten Widerspruch zur Schwarzmalerei der Berichterstatterin kontrastiert „in the pipeline“ implizit zu ihrer Negativwertung, daß viele EG-Rechtsakte zur EG-Sozialpolitik noch nicht umgesetzt sind - Whitworth meint, sie seien, wenn auch nicht sichtbar, so doch auf dem Weg zur Ratifizierung. 10 Wo gemeinhin einleitend Kritik durch Lob für den Berichterstatter und die gemeinsame Arbeit in Studien- und Fachgruppe abgefedert wird, steht außer Platzhaltern wie „I’m afraid“ allenfalls ein ausgebauter spielerisch-metakommunikativer Einschub zu den spezifischen lokalen Kommunikationsbedingungen und besonderen Umstände dieser Debatte." So wird der Appell der Präsidentin an die Kooperationsbereitschaft der Redner, nachdem sie die Rednerliste für die allgemeine Aussprache erstellt hat, „meine Kollegen wir haben * sechzehn Änderungsanträge/ äh später insofern würde ich Sie bitten sich <-sehr kurz zu fassen ->ich möchte keine Redezeitbeschränkung Ihnen vorgeben/ aber ich möchte an Sie appellieren daß Sie vielleicht sich an drei MinutenorientierenX“, vom ersten Redner Aspinall zu einem ironisch modalisierten Exkurs aufgegriffen, den seine Kollegen dann spöttisch kommentieren: „Well chairman I also try to be as=er brief as possible and to be as precise as possible-1 will attempt to do the same agam\“ Auch in dieser Debatte haben die ablehnenden Statements ausgebaute Einleitungen, in denen aber statt des üblichen rituellen Lobs massive Kritik vorgreifend verdeutlicht und explizit angekündigt wird, daß die eigene Meinung von der Stellungnahme abweiche. Die ablehnenden Statements übertragen die WSA-typische Konsensmaxime als Handlungsnorm auf die EG-Kommission: Sie habe dagegen mit sozialpolitischen Vorschlägen verstoßen, die nicht zuvor mit allen am Rechtsetzungsverfahren Beteiligten abgesprochen worden seien. So sagt etwa Moreland aus der Gruppe III: „You cannot havea Community policy unless you have some sort of consensusX she blames the Council for their lack of decisionsit is not the Council which is to blameit is 10 In der deutschen Verdolmetschung wird auf Metaphorik verzichtet („vieles wird noch erreicht werden“). 11 Das erinnert an „setting talk“: Thematisierungen des gemeinsamen Wahmehmungsraums oder der institutioneilen Bedingungen. Vgl. Drew/ Heritage (1992); Maynard (1980). 291 the CommissionX ** since the Commission is coming forwardwith proposals/ which are not basedon any consensuswithin the Community-“ Appellen an gruppenübergreifende Interessen und gemeinsame Aktionen stehen explizite Selbstdefmitionen, auch einer nationalen Interessengebundenheit, gegenüber. So werden modellhafte, vorbildliche Aktionen im eigenen Land (Deutschland, Großbritannien) betont. Die europäische „Integration“ wird paraphrasiert durch ein begrenztes Inventar von metaphorischen Routineformeln („bauen Europa“ usw.). Analog dazu sind Phraseologismen zum ideologischen Selbstverständnis des WSA, den Ausgleich der wirtschaftlichen und sozialen Kräfte zu suchen. Eine „Gleichgewichts“-Rhetorik (bezogen auf „soziale und wirtschaftliche Aspekte“) wirkt als sozialpolitische Konkretisierung von EG-Handlungsmaximen und WSA-Arbeitsprinzipien, insbesondere des Konsensprinzips. So lobt der Italiener Pasquali den Text für dessen Anreiz, den wirtschaftlichen Sektor mit dem sozialen Bereich wieder ins Gleichgewicht zu bringen: „dare uno stimulo accettare di equilibrare il settore economico con quello sociale“ Der französische Gewerkschafter Mercier greift diese Formulierung auf, um sich aber von der Auffassung zu distanzieren, es genüge, wenn das zwölfte Mitglied das Protokoll ratifiziere, um den sozialen Aufbau Europas wieder ins Gleichgewicht zu bringen: „il suffit qu’i: suffit que le douzieme membre ratifie le protocol pour=euh eu: h reequilibrer completementX la construction sociale/ “ Resümierend begründet er seine Befürwortung der Stellungnahme: Sie erfülle die Aufgabe, zu zeigen, daß Europa sich nicht nur in wirtschaftlichen und monetären Entscheidungen ausdrücke, sondern daß die im WSA vertretenen Organisationen versuchen müßten, immer wieder ein Gleichgewicht herzustellen („de reequilibrer constamment“). Die vorfixierte Rednerliste führt zu Wiederholungen von Argumenten. Mobbs als siebter und letzter Redner in der allgemeinen Aussprache bearbeitet dieses Problem, indem er auf der Integrität und Relevanz seiner Bewertungen insistiert: „Thank you Madame chairmaner as you say I am last/ so I am probably- ** liable to repeatX what a lot of other colleagues have saidX em- I do not apologize for that/ ** because I believe firmlyin what I am going to say/ er and I am afraid that some of the things ** that I do say/ er vary from what the Opinion says/ because I cannot support it I think it is insufficientin some areasX“ Zudem zieht er seine Teilnahme an allen Sitzungen heran zur Begründung seiner Kompetenz und seines Rechts, kritische Bewertungen zur Stellungnahme abzugeben. Mehrere Sprecher üben differenzierte Kritik an der Berichterstatterin, konzedieren ihr zwar kooperatives Verhalten in Einzelfragen, wo sie zuzuhören 292 bereit gewesen sei (ein Versuch, die Berichterstatter-Rolle festzuschreiben! ), werfen ihr aber vor, grundlegende Interventionen aus der Gruppenarbeit unzureichend berücksichtigt zu haben. Englische Redner lehnen eine Schuldzuweisung an ihr Land für einen mangelnden Konsens in der EG-Sozialpolitik ab. Sie weisen implizierte generelle Unterstellungen zurück, wer gegen diese Stellungnahme sei, sei damit gegen ein soziales Europa schlechthin. Dagegen setzt etwa Moreland bereits einleitend die Befürwortung eines „sozialen Europas“ axiomatisch: „1 don’t think there will be any disagreement among us members/ that we are in favour of Social Europe/ it’s integral in the Treaty of Rome, it has been- ** confirmed by the Member States on many occasionsX“ Weil Großbritannien sich mit seiner Haltung nicht zu verstecken brauche, lehnt er auch vage Formulierungen ab, wie „ein Mitgliedstaat“ zur indirekthöflichen Andeutung, daß Großbritannien nicht das Maastrichter Sozialprotokoll unterschrieben habe: „and I make no apology in saying- ** that one area of ** Community policy where I have some supportX in my own member stateand why don’t we call a state a statelet’s not talk about one member state/ let’s talk about the United KingdomX I’m not afraid to defend-“ Redebeiträge in der allgemeinen Aussprache bauen ein argumentatives Repertoire für die später zu behandelnden Änderungsanträge auf. Ein besonderes Anliegen deutscher und englischer Mitglieder aus der Gruppe Hl ist, in einer Art von „korrektivem Austausch“ (Goffman 1982) zu betonen, der WSA solle nicht auf Sozialpartnerschaft reduziert werden, sondern „alle“ wirtschaftlichen und sozialen Gruppen repräsentieren; sie berühren damit das Problem einer Selbstdefinition des WSA (vgl. Behandlung des Änderungsantrags von Moreland zu 1.13.). Eine differenzierte Haltung bringt in der allgemeinen Aussprache der niederländische Gewerkschaftler Etty vor: Er habe sich seinerzeit vom Bezugstext, der WSA-Stellungnahme „Sozialcharta“, distanziert, weil er ihn aus diversen Gründen nicht für zweckmäßig und praktikabel gehalten habe er befürworte dagegen den aktuellen Bericht zur Sozialcharta. Er betont damit das Prinzip lokal orientierter Bewertungen und Verfahren der Entscheidungsfindung, im Gegensatz zu einer Vorprägung durch Gruppeninteressen und Fraktionszwang. Bereits in der allgemeinen Aussprache wird das Subsidiaritätsprinzip als Argument benutzt, um Begrenzungen einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik einzuklagen; nach Meinung von Whitworth sind sind viele EG-Programme gemessen am Prinzip der Subsidiarität viel zu detailliert: „Recent developments are highlighted by the principle of subsidiarityX I believe that many of the Commission’s social action programs are far too detailedthey should have laid 293 down the broad principles to be followed/ and let the member states ** to introduce appropiate laws/ regulations/ “ Der Rückgriff auf Subsidiarität ist freilich nicht unumstritten: Etty als Befürworter der Stellungnahme spricht von einer heillosen Diskussion, die für viele Nährboden für Argumente sei, die eigentlich in der Gemeinschaft im sozialen Bereich am liebsten überhaupt nichts tun wollten. Auf dieses argumentative Potential wird bei den Änderungsanträgen zurückgegriffen. Für die Bewertungen ist eine Divergenz durchgängig: Ist Sozialpolitik ein autonomer Bereich der EG-Politik, oder können Fortschritte und Ziele der EG-Sozialpolitik mit anderen Bereichen verglichen und dementsprechend als defizitär kritisiert werden? Von den sieben Rednern in der allgemeinen Aussprache bewerten drei die Stellungnahme positiv. Das geschieht manifest durch text- und formulierungsbezogene Kriterien, verbunden mit einem Selbstlob für die gemeinsame Arbeit. So halten Etty und Pasquali, beide auch Mitglieder der Studiengruppe, den Text für ausgewogen, deutlich und sachlich-kritisch, für Etty beschränkt er sich auf die wichtigen Punkte. Implizit wird dadurch die Tendenz des Textes (gewerkschaftsnah, Betonung der Gemeinschaftstendenzen im Sozialbereich) unterstützt. So werden generelle formale Normen für WSA-Stellungnahmen thematisiert; der vorliegende Text wird dann aufgrund dieser Folie bewertet positiv oder negativ. Strategische Funktion solcher Bewertungen ist ein Verweis auf einen impliziten inhaltlichen Dissens. Der Engländer Mobbs etwa bemüht Normen des Textes und der Textarbeit, gegen die nach seiner Meinung die Berichterstatterin verstoßen hat, als Argument für seine inhaltlich gegensätzliche Position: Der Entwurf behandele Themen, die nicht im Kommissionsdokument enthalten seien. Mobbs mißachtet dabei gezielt den Charakter der Initiativstellungnahme, unabhängig von Kommissionsvorlagen Themen relevant setzen zu können, und definiert eine Beschränkung auf vorgegebene Themen als Aufgabe des WSA. 12 Die Berichterstatterin habe Änderungswünsche nur in Detailfragen berücksichtigt. Der Text sei zu lang („considerably longer than I think is necessary/ “) und mißachte positiv zu wertende einzelstaatliche Aktivitäten. Die Kritik im Text sei falsch adressiert: an den Rat statt an die Kommission. Dabei wechselt Mobbs den Fokus in Form einer impliziten raum-zeitlichen Vergegenwärtigung der Stationen des EG-Rechtsetzungsverfahrens: „we need to go back * and look at what the Commission has proposed/ “ 12 Dieser Vorwurf erinnert an den Vorwurf des Kommissionsbeamten Ketelsen, das Europäische Parlament maße sich ein „subsidiäres.Initiativrecht“ an bei einem Kommissionsvorschlag zur Revision einer Verordnung mit Änderungsvorschlägen zu Themen, die nach Vorstellung der Kommission gar nicht revidiert werden sollen (vgl. Kapitel 3.4.1). 294 Mobbs kritisiert, daß die Stellungnahme frühere sozialpolitische Positionspapiere (der Kommission oder des WSA) referiere, weil das eine positiv zu bewertende nationale Sozialpolitik ausblende. Bei den Opponenten ist die Strategie durchgängig, anstelle des inhaltlichen Dissens (welche Maßnahmen zur Sozialpolitik sind politisch wünschenswert? ) das Verfahrens zu thematisieren: Dahinter steckt ein „Scheuklappen“- Vorwurf mangelnder Fokussierung sozialpolitischer Initiativen, die außerhalb der EG-Institutionen, also in den Mitgliedstaaten, unternommen wurden. Anstelle einer „konstruktiven“, auf Mängelbeseitigung gerichteten Textkritik distanzieren sich Redner der Abstimmung vorgreifend vom Text: Sie bekunden Resignation, weil der Text trotz erhöhten Vorbereitungsaufwands (vier Studiengruppensitzungen, also eine mehr als üblich) auch in dieser abschließenden Behandlung im Plenum nicht mehr zu „retten“ sein werde (Mobbs). Für argumentative Zwecke werden auch Marginalien funktionalisiert; so kritisiert Moreland nicht die Aussage des einleitenden Zitats des früheren WSA- Präsidenten und Berichterstatters der „Sozialcharta“ Staedelin, sondern die Funktionsangabe, mit der er im Text eingeführt wird: „I think it is significant ** that she quotes Mister Staedelin ** in in a footnote the firstas for the chairman of the workers’ group in nineteen-ninety/ and not as the former President of the Economic and Social CommitteeV* Damit verweist er auf divergierende Ansprüche an das kollektive WSA- Selbstverständnis: Staedelin als WSA-Präsident stände für einen gruppenübergreifenden Konsens. Indirekt unterstellt er der Berichterstatterin, sie habe mit der beanstandeten Formulierung ihre Gruppeninteressen zu präferieren versucht. 7.4.3 Die Entgegnung der Berichterstatterin Die Berichterstatterin referiert in ihrer Entgegnung in der allgemeinen Aussprache die Redebeiträge zusammenfassend und auffällig langsamer als in den Abschnitten, in denen sie ihre eigene Position formuliert. Sie kündigt eine redaktionelle Änderung in Form einer Aktualisierung an: Zum Zeitpunkt der Debatte sind 7 statt 4 soziale Richtlinien im Binnenmarktprogramm verabschiedet. Diese Korrektur beeinträchtigt die argumentative Funktion dieser Zahlenangabe (Verweis auf den eklatanten Rückstand gegenüber wirtschaftlichen Richtlinien) nicht wesentlich. Die Berichterstatterin verwirft die Tauglichkeit des Subsidiaritätsprinzips, um eine umfassende EG-Sozialgesetzgebung abzuwehren: Ein „internationales europäisches Recht“ hält sie für notwendig, damit nicht „faktische“, d.h. rechtlich ungesteuerte Vorgänge die Sozialgesetzgebung eines Landes unterlaufen, aushöhlen oder unterminieren können. Als Beispiel nennt sie die 295 „grenzüberschreitende Leiharbeit“. Ihr Argumentationsmuster ist dabei ein Appell an alltagsweltliches Realitätsbewußtsein: „und es kann keinerder bereit ist * zur objektiven Beurteilung der Tatbestände behaupten/ das seien unwichtige ** oder unnötige InstrumenteX jeder der ein bißchen bereit ist\ die Realitätendes Wirtschafts- und Soziallebens zu betrachten/ weiß/ daß über grenzüberschreitende Leiharbeit/ ä äh ein *** sehr * große negative- Auswirkungen ausgehen könnenauf Arbeitsbedingungen * in den Ländern- ->in denen diese Arbeitnehmer tätig werdenV' In unserem Interview schreibt Frau Engelen-Kefer der „Subsidiarität“ durchaus eine Schlüsselwortqualität zu: „ich meine, da kommen wir ja mit in den Kern der Auseinandersetzung um meine Stellungnahme“ Sie bildet eine Opposition zwischen zwei unterschiedlichen Definitionen für „Subsidiarität“; davon bewertet sie eine (Sozialpolitik als Beispiel für eine Zuschreibung primärer Zuständigkeit an die Mitgliedstaaten mit einer Gemeinschaftskompetenz nur bei Fehlschlägen) gegenüber der Standarddefinition (die größere Gemeinschaft soll die kleinere handlungsfähig erhalten) negativ. Die Berichterstatterin hält in der Debatte ihre Schuldzuweisung für sozialpolitische Untätigkeit gegen die geäußerte Kritik in umgangssprachlichmetaphorischer Formulierung aufrecht: „zehn Jahre haben diese wichtigen * Richtlinienentwürfein den Schubladen * der Kommission geschmort/ wei: l sich der Ministerrat ** nicht in der Lage sah/ hier * voranzukommen'“ Nochmals äußert sie ihren Wunsch, das dänische Referendum zu kommentieren als Ausdruck von Bürgerängsten vor einer bürokratischen Aushöhlung demokratischer Rechte. 7.4.4 Änderungsvorschläge in der Fachgruppe Die Änderungsvorschläge 13 , die in der Sitzung der Fachgrappe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur am 18.6.1992 mindestens ein Viertel Ja-Stimmen der anwesenden Fachgruppenmitglieder erhalten haben, also von einer qualifizierten Minderheit befürwortet wurden, werden im dem Plenum vorgelegten Dokument der Initiativstellungnahme (CES 206/ 92 fin) mit Wortlaut, Begründung und dem Ergebnis der Abstimmung aufgeführt; der Antragsteller wird nicht angegeben. In der Amtsblattfassung erscheinen sie nicht mehr, dafür stehen dort die (nur noch zwei) Änderungsanträge, die ein vergleichbares Schicksal auf der Plenartagung erlitten haben. 13 N.B.: „Änderungsvorschläge“ in der Fachgruppe, "-anträge“ im Plenum! 296 Alle aufgeführten Änderungsvorschläge betreffen Streichungen jeweils eines Satzes, der den Antragstellern offenbar mit Wünschen und Wertungen zu einseitig ist. Auffällig also: In keinem Vorschlag taucht eine ausformulierte Alternative auf! Einige Änderungsvorschläge werden nur in der Fachgruppe behandelt, einige werden als Anträge im Plenum wiederholt. Im einzelnen: - Änderungsvorschlag (zu 1.4.), den Satz: „Allerdings ist der Ausschuß äußerst besorgt über das schleppende Tempo, mit dem der Rat aus der Sozialcharta und dem sozialen Aktionsprogramm stammende Vorschläge annimmt“, zu streichen, weil er zweierlei impliziere: „daß die Billigung der Vorschläge der Kommission durch den Rat nur eine Frage der Zeit ist“ und daß „der Ausschuß der einhelligen Meinung [sei], daß alle diese Vorschläge wirklich zu billigen sind“. Diese Implikationen hält der Antragsteller für strittig; die fehlende einhellige Unterstützung durch den WSA belegt er mit dem Verweis, daß viele bisherige Stellungnahmen im sozialen Bereich eben nicht einstimmig verabschiedet worden seien. - Änderungsvorschlag zu 1.6.2., sozusagen eine „zweite“ Runde zu 1.4., mit derselben Begründung. - Änderungsvorschlag zu 1.9. mit dem Vorschlag, den Satz zu streichen: „Es kann vor allem im Kontext eines Binnenmarktes unter keinen Umständen zugelassen werden, daß der rechtliche Status sozialpolitischer Beschlüsse, die nach dem neuen Verfahren der qualifizierten Mehrheit zu treffen sind, durch Komplikationen in bezug auf die Frage untergraben wird, ob ein einzelner Mitgliedstaat implizit berechtigt sein kann, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob er aus europaweiten Verpflichtungen ausschert (sei es z.B. bei der Frage des arbeitsfreien Sonntags, bei der Einsetzung europäischer Betriebsräte oder bei europaweit gültigen Rechten für Beschäftigte in atypischen Arbeitsverhältnissen)“. Die Begründung ist zweiteilig und in der Relevanz abgestuft: (1) sprachbezogen: Der Satz sei wegen seiner Länge (und unausgesprochen wohl auch wegen seiner syntaktischen Komplexität) unverständlich; (2) juristisch: Da die Rechtslage des Protokolls über die Sozialpolitik zweifelhaft sei, sei die Rechtsgrundlage von Vorschlägen, zu denen ein Beschluß gefaßt werde, unsicher; das mache aus dieser juristischen Argumentation eine „leere Phrase“. Beide Begründungen ziehen nicht der Vorschlag wird mit lediglich 15 Ja- Stimmen abgelehnt. Interessant ist angesichts dieser Begründung Frau Engelen-Kefers mündliche und metaphorisch-direkte Reformulierung dieses Absatzes in unserem Interview: 297 „Ich habe in die Stellungnahme ja ziemlich deutlich reingeschrieben, daß das an für sich nicht besonders gut ist, daß Großbritannien sich die Rosinen rauspickt aus der Entwicklung in Europa, aber da wo Verpflichtungen eingegangen werden im sozialen Bereich, sich praktisch hier herauszieht. Das hab’ ich schon mehr oder weniger deutlich drin, und auch an ein paar Beispielen.“ Der stilistische Kontrast zwischen der juristisch-abstrakten EG-Diktion und der plastischen mündlichen Reformulierung im Interview ist offenkundig. Im Vergleich: Der gemeinte Mitgliedstaat wird im Text nicht ausdrücklich genannt („ein einzelner Mitgliedstaat“), also entsteht eine interpretative Leerstelle: Ist das eine nicht-kasuistische, rechtsstrukturelle Überlegung, die im Krisenfall auf jeden sezessionswilligen Mitgliedstaat angewendet werden kann, oder höflich-verschleiemd Kritik nur an Großbritannien? - Änderungsvorschlag zu 1.9.: Streichen des Satzes „Er möchte alle Beteiligten eindringlich dazu auffordem, den Vertrag von Maastricht zu ratifizieren und erneut alle Anstrengungen zu unternehmen, um das Abkommen zum Sozialprotokoll und die Sozialcharta im gesamten Gebiet der „Europäischen Union“ aller zwölf Mitgliedstaaten anzuwenden“. Die Begründung, dieser Appell sei blauäugig, impliziert: Nur realistische Appelle sollten in die Stellungnahme aufgenommen werden; das sieht nur eine Minderheit so. - Änderungsvorschlag zu 1.10.1.: „Zweite Runde“ zum vorangegangenen Änderungsvorschlag - Streichen des Satzes „Der Ausschuß hofft, daß dies keine Regierung eines einzelnen Mitgliedstaates im Januar 1993 noch wünscht.“ Dieser Satz bezieht sich mit „dies“ darauf, daß die Regierung eines Mitgliedstaates sich den mit dem sozialen Kapitel des Maastrichter Vertrages verbundenen gemeinsamen Verpflichtungen nicht entziehen kann. Der Änderungsvorschlag wird mit derselben Begründung wie der vorangegangene gestellt. - Änderungsvorschlag zu 1.11.1.; der Niederländer Lustenhouwer schlägt vor, den Satz zu streichen: „Die Möglichkeit einer auf europäisches Arbeitsrecht spezialisierten, aus entsprechend qualifizierten Richtern zusammengesetzten und durch die Einbeziehung der Sozialpartner unterstützten Kammer des Europäischen Gerichtshofs könnte ebenfalls im Zusammenhang mit der Durchführung der Sozialcharta in Erwägung gezogen werden.“ Die schriftliche Begründung ist die Kurzform seiner mündlichen Begründung auf der Plenartagung (s.u.). Eine zusätzliche arbeitsrechtliche Kammer des EuGH hält er einerseits für überflüssig (jeder EG-Bürger kann gegenüber einem Mitgliedstaat klagen, der einer Verpflichtung aufgrund einer EG- Richtlinie nicht nachkommt), andererseits für schädlich: Der Abstand zwischen Bürgern und Gericht werde vergrößert (implizit heißt das wohl: weil Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als Organisationen der Sozialpart- 298 ner sich dazwischendrängen), Laienrichter gefährden die Unabhängigkeit der Rechtsprechung. 7.4.5 Änderungsanträge auf der Plenartagung An den 16 Änderungsanträgen auf der 298. WSA-Plenartagung am 2.7.1992 fällt zunächst die große Zahl auf, bei allerdings wenigen Antragstellern. 6 Anträge stammen von Moreland, 8 von Aspinall, nur je einer von Löw und Lustenhouwer also werden 14 von 16 Anträgen von zwei Engländern der Gruppe III gestellt. Auch als Gegenredner treten nur einige WSA-Mitglieder auf, dafür aber wiederholt. Die Möglichkeit zur Gegenrede wird aber nicht in allen Fällen wahrgenommen. Auffällig ist also auch, daß Engländer aus der Arbeitgebergruppe (sozusagen die natürlichen Opponenten der deutschen Berichterstatterin vom DGB) sich mit Änderungsanträgen zurückhalten sie melden vielmehr ihre prinzipiellen Vorbehalte in der allgemeinen Aussprache an und unterstützen später die Minderheitserklärung der Gruppe I. Keiner der von der Berichterstatterin abgelehnten und dann zur Abstimmung gestellten Änderungsanträge wird angenommen. Dabei gibt es aber „Beerdigungen erster Klasse“ und „zweiter Klasse“: Bei mindestens einem Viertel Ja-Stimmen werden sie in den Anhang der Stellungnahme im Amtsblatt aufgenommen und fallen so nicht völlig unter den Tisch. Die Tendenz der englischen Änderungsanträge ist gegenläufig: - Formulierungen aus Vertragstexten sollen präzise übernommen werden; dagegen wird eine Aufweichung unerwünscht präziser Zielvorgaben und Referenzen auf EG-Rechtsakte durch pauschale Formulierungen wie „effiziente Sozialpolitik“ gewünscht. Im folgenden sollen die Änderungsanträge, geordnet nach dem Typ ihrer Behandlung, im einzelnen diskutiert werden; dabei orientieren wir uns jeweils an der Abfolge von Redebeiträgen. Aus den 16 Änderungsanträgen ergibt sich eine Typologie von Verfahren zur Behandlung; die konfliktreduzierende Möglichkeit, daß der Antragsteller seinen Änderungsantrag zurückzieht, wird in dieser Debatte nie wahrgenommen. Die folgende Liste ist nach aufsteigender Konfliktorientierung geordnet: - Die Berichterstatterin akzeptiert den Änderungsantrag, die Abstimmung fällt aus (vgl. Kapitel 7.4.5.1). - Die Divergenz wird als Abweichung zwischen den Sprachfassungen umdefiniert (vgl. Kapitel 7.4.5.2). - Ein Kompromißvorschlag der Berichterstatterin wird ohne Abstimmung akzeptiert (vgl. Kapitel 7.4.5.3). - Bei anhaltendem Dissens zwischen dem Antragsteller und der Berichterstatterin wird über den Antrag abgestimmt (vgl. Kapitel 7.4.5.4). 299 7.4.5.1 Akzeptierte Änderungsanträge (1) In einem Änderungsantrag zu 1.8.2. (von Wilfred Aspinall) geht es um eine für die Argumentation entbehrliche, lediglich die Fruchtbarkeit der WSA-Textproduktion zum wiederholten Male illustrierende Fußnote mit einem Querverweis auf einen Informationsbericht: „Siehe den Informationsbericht zum Thema .Europa der Bürger 1 , Dok. CES 955/ 91 fin, Ziffer 2.3.5“. Diesen Verweis opfert die Berichterstatterin, als minimale Form von Entgegenkommen, weil er für die Darstellung ihrer Position nicht zentral ist. Hier liegt die verfahrensmäßige Minimalform für eine Behandlung vor: Die schriftliche Begründung („Aus sich heraus verständlich“) ist nur ein Platzhalter, auf eine mündliche wird auf eine entsprechende Suggestivfrage der Präsidentin („oder ist es klar“) verzichtet, eine Gegenrede findet nicht statt, die Einwilligung der Berichterstatterin erfolgt en passant, indem zugleich die Präsidentin die nonverbal gegebene Einwilligung konstatiert und die Berichterstatterin ohne eigenen Tum ein „ja okay“ hinterherschiebt. (2) Änderungsantrag zu 1.8.1. (Aspinall): Der Antragsteller verweist zur Begründung auf die Diskussion in der Fachgruppe und zitiert wörtlich aus dem Sozialprotokoll des Maastrichter Vertrags 14 : 14 Der gesamte Wortlaut des Protokolls zur Sozialpolitik lautet in der englischen Fassung: PROTOCOL ON SOCIAL POLICY THE HIGH CONTRACTING PARTIES, NOTING that eleven Member States, that is to say the Kingdom of Belgium, the Kingdom of Denmark and Federal Republic of Germany, the Hellenic Republic, the Kingdom of Spain, the French Republic, Ireland, the Italian Republic, the Grand Duchy of Luxembourg, the Kingdom of the Netherlands and the Portuguese Republic, wish to continue along the path laid down in the 1989 Social Charter; that they have adopted among themselves an Agreement to this end; that this Agreement is annexed to this Protocol; that this Protocol and the said Agreement are without prejudice to the provisions of this Treaty, particularly those relating to social policy which constitute an integral part of the „acquis communautaire“: 1. Agree to authorize those eleven Member States to have recourse to the institutions, procedures and mechanisms of the Treaty for the purposes of taking among themselves and applying as far as they are concerned the acts and decisions required for giving effect to the abovementioned Agreement. 2. The United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland shall not take part in the deliberations and the adoption by the Council of Commission proposals made on the basis of the Protocol and the abovementioned Agreement. By way of derogation from Article 148(2) of the Treaty, acts of the Council which are made pursuant to this Protocol and which must be adopted by a qualified majority shall be deemed to be so adopted if they have received at least forty-four votes in favour. The unanimity of the members of the Council, with the exception of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, shall be necessary for acts of the Council which must be adopted unanimously and for those amending the Commission proposal. 300 „THE HIGH CONTRACTING PARTIES [...] wish to continue along the path laid down in the 1989 Social Charter“ sowie aus dem Abkommen zur Sozialpolitik, das gleichfalls nur von elf EG- Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde: „[...] WISHING TO implement to the 1989 Social Charter on the basis of the ,acquis communautaire* [...]“ Das Verfahren wird einvemehmlich ohne Gegenrede durchgeführt, die Berichterstatterin akzeptiert den Änderungsantrag. Allerdings fällt ein Ungleichgewicht zwischen der längeren mündlichen Begründung und der knappen, nur durch Irrealis („ich könnte den Antrag akzeptieren“) modalisierten Stellungnahme der Berichterstatterin auf. (3) Änderungsantrag zum Anhang I: Der deutsche Arbeitgebervertreter Löw möchte die Abstimmungsergebnisse zu der Auflistung früherer einschlägiger WSA-Stellungnahmen als Gebot der „Fairneß“ hinzugefügt wissen, damit die Strittigkeit dieser Stellungnahmen nicht verdunkelt und die Brauchbarkeit dieser Liste für partikulare politische Interessen relativiert wird. 7.4.5.2 Divergenz umdefiniert als Abweichung der Sprachfassungen Nach einem Änderungsantrag zu 2.1.6.2. (von Moreland) soll in einem Abschnitt „Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer“ im Textteil „[...] um flexible Formen der Mitwirkung zu gewährleisten, die den unterschiedlichen Erfahrungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern Rechnung tragen“ die Formulierung „Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ gestrichen und (nach der deutschen Version) durch das Wort „Arbeitsverhältnisse“ ersetzt werden. Moreland verzichtet auf eine schriftliche Begründung („Der Antrag versteht sich von selbst“), verläßt sich in der Debatte dann aber doch nicht auf eine solche Selbstevidenz: „Certainly in the English version it * refers to keeping the union practices in the different member states/ I would prefer the term to be .employment practices'em * as- ** em * perhaps I will not get into a great controversyer over this/ but I would simply say/ that most of the practices that are referred to here are not necessarily union practices/ they would be described as * .employment practice' they wouldn’t necessarily involve unions or other workers’ organizations and .employment' would make much more senseX“ Acts adopted by the Council and any financial consequences other than administrative costs entailed for the institutions shall not be applicable to the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland. 3. This Protocol shall be annexed to the Treaty establishing the European Community. 301 Eine terminologische Divergenz wird vom Antragsteller zwar in der Relevanz zurückgestuft, läßt sich aber als Reflex unterschiedlicher Ansprüche interpretieren, welche sozialen Organisationen am sozialen Dialog bei der sektorspezifischen Verabschiedung von Rechtsvorschriften beteiligt werden sollen; Moreland sieht die Gewerkschaftsseite durch den Begriff ..union practices“ unzulässig präferiert. Die Berichterstatterin entgegnet darauf; „Ich weiß/ daß es hier um sehr schwierige * Fragen auch de: r ** Terminologie/ in verschiedenen Sprachen geht\ was hier aufrechterhalten b bleiben muß/ ist daß es- ** um die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern geht\ ** der Begriff der bei mir in dem Antrag von Herrn Moreland stehtäh würde etwas anderes bedeuten\ er sagt nämlich/ .Arbeitsverhältnisse‘\ ** das wäre viel zu eng\ man könnte hier sagen/ anstelle der .Beziehungen zwischen den SozialpartnemV ** auch .Arbeitsbeziehungen*das wäre * zumindest in der deutschen Terminologie/ ** gleichzusetzenX aber * ich möchte nicht Abstand nehmenvon dem Begriff/ oder von der Aussage- ** daß es hier ** vor allem um die Beziehungen zwischen den Sozialparteien gehf\“ Sie ratifiziert damit den Vorstoß von Moreland, eine ideologische Frage zu einer terminologischen umzudefinieren, und würdigt seine demonstrative Nichtdramatisierung der Divergenz („perhaps I will not get into a great controversyer over this/ “). Eine Umformulierung ist für sie denkbar, darf aber nicht die Referenz auf „Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ aufgeben (in ihrer Entgegnung benutzt sie dreimal diesen Begriff! ). Daher verwirft sie die Alternative „Arbeitsverhältnisse“ als zu „eng“. Diese bildliche Wertung ist interessant; Alltagssprachlich würde man „Arbeitsverhältnisse“ und das von Moreland vorgeschlagene englische Pendant „employment practices“ wohl eher als Hyperonym zu „Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“, somit als weiter in der Bedeutung ansehen. In der interessengeleiteten Perspektive der Berichterstatterin führt der Begriff aber weg von einer Fokussierung der erwünschten institutioneilen Rolle der Sozialparteien auf „Arbeitsbedingungen“ hin (so ihre Reformulierung im Interview), ist also zu „eng“ im Sinne von „abwegig“. Die Divergenz führt zu zwei Beiträgen zur Geschäftsordnung. Der Niederländer Lustenhouwer zeigt, daß er der Berichterstatterin im Original zugehört hat; er zitiert ihre Kritik an „Arbeitsverhältnisse“ („[...] wäre mir viel zu eng\“) auf deutsch, weil er sie für inkompatibel mit der niederländischen Version des Stellungnahmenentwurfs hält: Dort heiße es bereits wörtlich „nationale- ** arbeidsverhoudingen“. was im Deutschen nur mit „Arbeitsverhältnisse“ zu übersetzen sei. Aufgrund dieser Intervention definiert die Präsidentin das Problem endgültig als eine „Unklarheit in der Übersetzung“ um. Moreland ist auf eine Frage der Präsidentin zwar bereit, den Begriff „working practices“, den ihm der Dolmetscher geliefert hat, zu akzeptieren, nicht aber die Berichterstatterin. Darauf meldet sich der britische Gewerkschaftler Tom Jenkins zur Geschäftsordnung und schlägt mit der Autorität des Vorsitzenden 302 der Gruppe II „industrial relations“ vor. So wird dann auch für die englische Version im Amtsblatt verfahren die deutsche bleibt unverändert. „Arbeitsbeziehungen“, gleichzusetzen mit „industrial relations“, ist auch in der Interview-Retrospektive von Frau Engelen-Kefer das einzige sprachliche Problem dieser Debatte gewesen, das im übrigen durch Beheben von Übersetzungsfehlern zu lösen gewesen sei. Freilich geht es dabei nicht nur um Formulierungen. Prototypisch für derartige Begriffe, die Gegenstand „semantischer Kämpfe“ 15 sein können, weil ihre Übersetzung nicht konventionalisiert ist, sei so Frau Engelen-Kefer im Interview der Begriff der „Mitbestimmung“, der freilich in diesem Fall nicht aktuell war. Im selben Interview sprach Gerd Muhr, ehemaliger WSA-Präsident (von 1984 bis 1986), von einer Opposition zwischen einem „begrifflichen“ und einem „politischen Kampfproblem“, das nicht nur zwischen den WSA-Gruppen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch innerhalb der Gewerkschaften bestanden habe: „Mitbestimmung“ wurde in den siebziger Jahren von anderen europäischen Gewerkschaften mit der Parole „Mitbestimmung = deutsche Arbeitsfront“ als verrufenes deutsches Konzept abgelehnt. 7.4.5.3 Kompromißvorschläge der Berichterstatterin Ein Änderungsantrag zu 1.1. (von Moreland) sowie die schriftliche und die mündliche Begründung heben darauf ab, die Formulierung in der Stellungnahme „Der Wirtschafts- und Sozialausschuß [...] setzt sich seit langem für eine Gemeinschaft sozialer Grundrechte ein, bei der es darum geht, unter Achtung der Rolle der Sozialpart- 15 Koselleck (1979, 113) sieht als Zweck des semantischen Kampfes, besonders in Krisenzeiten „politische oder soziale Positionen zu definieren und kraft der Definition aufrecht zu erhalten oder durchzusetzen“. Seit der Französischen Revolution habe sich dieser Kampf verschärft und strukturell verändert: Begriffe dienten seitdem nicht mehr nur, Vorgegebenheiten zu erfassen, sie würden, in die Zukunft ausgreifend, Zukunftsbegriffe prägen; erst künftig zu erringende Positionen müßten sprachlich vorformuliert werden, um überhaupt bezogen oder errungen werden zu können. Hermanns schreibt bestimmten Schlüsselwörtern eine symptomfunktionale Brisanz zu, „insofern nämlich ein Sprecher durch ihren Gebrauch sich als Angehörigen einer bestimmten Partei, zu deren Sprache Wort oder Wendung gehört, zu erkennen gibt“ (Hermanns 1982, 88). Das sind „Fahnenwörter“, also „Wörter einer Parteisprache [...], deren Funktion es gerade ist, daß an ihnen Freund und Feind den Parteistandpunkt, für den sie stehen, erkennen sollen. [...] Die Brisanz ist also bei diesen Wörtern einer Parteisprache keine gewissermaßen unerwünschte Begleiterscheinung, sondern sie werden gerade geprägt und verwendet, damit sich daran die Geister scheiden“ (Hermanns 1982, 91). Dabei ergibt sich Polysemie, wenn solche Wörter in verschiedener Bedeutung gleichzeitig den Sprachen verschiedener ideologischer Parteien angehören. Klein nimmt als für politische Auseinandersetzungen konstitutiv nicht nur den „Kampf mit Wörtern“, sondern auch „um Wörter, meist um Schlagwörter“ (Klein 1989, 11) und deren deskriptive oder deontische Bedeutung, an. 303 ner und der Mitgliedstaaten ,in die Rechtsordnung der Gemeinschaft mit ihren überstaatlichen Eigentümlichkeiten grundlegende soziale Garantien aufzunehmen 16 beschädige indirekt die Identität des WSA: Ist er ein duales Gremium von „Sozialpartnern“, also von Arbeitgebern und Gewerkschaften, oder vertritt der WSA alle wirtschaftlichen und sozialen Gruppen? Moreland möchte eine Kontinuität der WSA-Texte einklagen, indem er eine Formulierung in der WSA-„Sozialcharta“ kanonisch setzt: „I think that one should rel remember * that when we dealt with the: er proposal ** with Mister Staedelin as rapporteur on basic Community social rights- *** the whole tenor of that proposal which was unfortunately not followed by ** the Council or the Commissionwas that it should represent the interests of all the economic and social interestsand not be simply about labour legislationX“ Dahinter steht das Interesse von Moreland, daß seine Gruppe DI der diversen Interessen nicht durch eine Reduktion des WSA auf die Gruppen I und n diskriminiert wird. In der Gegenrede rechtfertigt die italienische Gewerkschaftlerin Cassina die Formulierung der Berichterstatterin und fokussiert eine Auseinandersetzung mit der „Subsidiaritäts“-Definition, wie sie vom Europäischen Rat in Lissabon etabliert worden ist - Subsidiarität sei nicht nur eine Angelegenheit für EG, Nationen und Regionen, sondern auch der Sozialpartner. Die von Moreland gewünschte Formulierung sei abzulehnen, weil sie dieses Partizipationsinteresse verdunkeln würde. Die Replik der Berichterstatterin „Alsoich möchte gerne * einen * Kompromißweg äh anbieten/ und zwar äm äh ich bin * voll der Auffassung/ die auch Frau Cassinahier geäußert hat- ** äh wir müssen deutlich machenäh daß die Interessender spezifischen Gruppen- ** der Sozialparteiender * Arbeitnehmer und Gewerkschaften- ** zu berücksichtigen sind\ das darf also nicht gestrichen werdenV ** aber ich hätte nichts dagegen/ wenn man ergänzend ** aufnehmen würde/ daß auch sonstigewirtschaftliche und soziale Interessen- ** einbezogen werden müssenX aber es darf nicht verzichtet werdenauf die besonderen Interessen der Gewerkschaften * und der Arbeitgeber“ ist vierteilig: Nach einer Ankündigung, daß sie ihre Äußerung im Verfahren als Kompromißangebot verstanden haben möchte, bettet sie das tatsächliche Kompromißangebot ein in Relevanzhochstufungen, an dieser Stelle die Interessen der Sozialpartner zu artikulieren. Sie übernimmt dabei einerseits inhaltlich die Position der Gegenrednerin, bietet aber als versöhnliche Geste eine Aufblähung des Textes um eine weitere Phrase an. Hier soll mithin eine Divergenz weder durch Abstimmung über alternative Formulierungen für Strittiges noch durch Ausblenden in Form von Streichen, sondern durch 16 Damit wird eine Formulierung aus der Sozialcharta zitiert; vgl. ABI. Nr. C 126 vom 23.5.1989, Kapitel III, Ziffer 1. 304 Addition beider Perspektiven bereinigt werden. Die Äußerung der Berichterstatterin hat also eine schillernde Thema-Rhema-Struktur: Ankündigung und Manifestation eines rhematischen Teils (Kompromißangebot), zugleich aber dessen Rückstufung durch eine Einrahmung, in der sie auf eigenen Foki insistiert. Das vom Verfahren her vorgesehene Rederecht (Entgegnung auf das Kompromißangebot), wofür ihm aber nur ein kurzer Tum zugewiesen wird („wenn Sie kurz antworten könnten bitte“), strapaziert Moreland durch einen Verweis auf eine angebliche Divergenz zwischen der englischen und der französischen Fassung des Sozialprotokolls im Maastrichter Vertrag: „that in the French version/ it is referred to as the .social partners 1 but in the English version it is .labour and management 1 “. 17 Er möchte also das Problem, welche sozialen und wirtschaftlichen Organisationen im Skopus stehen sollen, als nicht WSA-spezifisch eingeengt sehen, sondern in einen weitergefaßten EG-Kontext stellen. Die Vizepräsidentin Tiemann reinterpretiert Morelands Stellungnahme zum Kompromißangebot der Berichterstatterin als verfahrensrelevante Aussage; sie blendet damit eine Thematisierung des weiteren Kontextes des Maastrichter Vertrags als lokal dysfunktional aus: „ich entnehme dem daß Sie mit dem Kompromißvorschlag einverstanden sind/ erheben sich sonst Widersprüche hiergegen/ *** das ist nicht der Fall dann können wir den Antrag als erledigt betrachtenV 1 7.4.5.4 Abstimmung bei anhaltendem Dissens (1) Änderungsantrag zu 1.3.-1.10.3.: Zu einem längeren zentralen Textabschnitt, in dem u.a. die Kommission gelobt, der Rat für sein schleppendes Tempo bei der Annahme von Vorschlägen gerügt und das Verfahren einer qualifizierten Mehrheit für sozialpolitische Beschlüsse anstelle des Vetorechts gefordert wird, legt Moreland eine kompakte dreiteilige Formulierungsaltemative vor, die lange Ausführungen des Stellungnahmenentwurfs auf strittige Punkte komprimiert und konträre Bewertungen einführt - Lob für den Rat, Schuld bei der Kommission. Damit versucht Moreland eine andere, dezentrale EG-Sozialpolitik als angemessen zu definieren, die sich kompatibel zum Subsidiaritätsprinzip sowie zu den 17 vgl. „Agreement on Social Policy concluded between the member states of the European Community with the exception of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland“: In Artikel 1 wird als Ziel der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten u.a. der „dialogue between management and labour“ definiert. Das ist in Einklang mit „EUROVOC“ Bd. 3, dem mehrsprachigen Thesaurus als Anhang des Registers zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Ausgabe in deutscher Sprache 1987, wo als Entsprechungen zu „Sozialpartner“ „management and labour 11 (engl.) und „partenaire social“ (frz.) (S. 164f.) angegeben werden. 305 traditionellen wirtschaftspolitischen Zielen „Wachstum“ und „Schaffung neuer Arbeitsplätze“ verhält: „1.3. Der Ausschuß begrüßt einige vom Rat im Rahmen des sozialen Aktionsprogramms verabschiedeten Maßnahmen und stellt fest, daß weitere Maßnahmen vom Rat vorangebracht werden. 1.4. Der Ausschuß bedauert allerdings das schleppende Tempo bei einigen Maßnahmen. Verschuldet hat dies zum Teil die Kommission mit ihren Vorschlägen, die nicht von allen betroffenen Parteien (wie den Arbeitgebern) unterstützt, deren Kosten nicht gebührend berechnet wurden und die vor allem (wie beim Vorschlag zur Teilzeitarbeit) nicht eindeutig auf die Schaffung von Arbeitsplätzen hinzielen. 1.5. Der Ausschuß bedauert ferner, daß auf dem Maastrichter EG-Gipfel keine Einigung aller zwölf Mitgliedstaaten über die Sozialpolitik erzielt werden konnte. Er ist der Ansicht, daß Mitgliedstaaten und Kommission den Schwerpunkt auf eine Sozialpolitik legen müssen, die unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips mit Wirtschaftswachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze in Einklang steht und nicht hyperzentralisiert und bürokratisch erscheint. Solange nicht alle Mitgliedstaaten und Interessengruppen überzeugt sind, daß die Gemeinschaft eben diesen Schwerpunkt setzt, wird es keinen angemessenen Fortschritt in der Sozialpolitik geben und das ,Abkommen' nicht von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet werden." Die mündliche Begründung von Moreland fällt etwas länger aus als die apodiktische schriftliche („Der ursprüngliche Text liegt nicht im Sinne des Fortschritts auf sozialem Gebiet“), ist aber doch angesichts der Fundamentalopposition zum Text auffällig kurz. Moreland wehrt sich gegen die unterschwellige Zuschreibung „Gegenstellungnahme“ (in seinem englischen Statement mit dem französischen „contravis“). Er beruft sich auf seinen Redebeitrag in der allgemeinen Aussprache, durch den er sich von einer näheren Begründung an dieser Stelle entlastet sieht. Stattdessen zieht er ein Resümee seines Änderungsvorschlags: „I do believe that it is fundamentally wrong/ ** to continue ** attacking the Council', the central problems are * based on the fact * that there is not a consensus [...]“ In ihrer Gegenrede wehrt Frau Cassina Morelands Vorschlag ab: Die Punkte 1.3.-1.10.3. beträfen den Kern der Stellungnahme. Um die Komplexität des Entwurfs der Berichterstatterin zu rechtfertigen, liefert Frau Cassina eine Definition zu „Initiativstellungnahme“: Diese gehe immer von einer freieren und ungebundeneren Prämisse aus als eine Stellungnahme, die auf einem präzisen Vorschlag beruhe. Von dieser Prämisse wird die Einschätzung abgeleitet, daß die Berichterstatterin die komplexe Realität richtig dargestellt habe. Cassina hält Moreland vor, mit der Forderung, Kommissionsvorschläge sollten ausschließlich der „Schaffung von Arbeitsplätzen“ dienen, der Kommission eine in ihrer Konsensorientierung triviale Aufgabe zuzuweisen, die der Komplexität der Wirtschaftsentwicklung nicht gerecht werde. Die Berichterstatterin kündigt ihre Replik als kurz an; sie fällt tatsächlich auch kurz und summarisch aus: 306 „Dieser Antrag ** würde meine Stellungnahme * substantiell ** einschränken- ** und ich kann ihm beim besten Willen ** nicht zustimmen\“ Die Absage wird minimal höflich garniert. Diese Prägnanz stellt die Berichterstatterin als möglich dar aufgrund der zuvor langen Argumentation der Gegenrednerin, die sie hier ohne Distanzierung übernimmt. Damit läßt sie diesen Änderungsantrag immerhin von allen Anträgen der aufwendigste Versuch, die Stellungnahme in ihrer Tendenz umzukehren! ins Leere laufen; er wird mit 51: 80 Stimmen abgelehnt. (2) Änderungsantrag zu 1.4. (Aspinall): Der Antragsteller begründet seinen Antrag, den Satz „Mit eben diesem Verständnis von Ausgewogenheit und Parität des wirtschaftlichen und des sozialen Fortschritts haben der Ausschuß und das Europäische Parlament bei der Förderung der Umsetzung der Sozialcharta und des sozialen Aktionsprogramms positiv mit der Kommission zusammengearbeitet“ umzuformulieren zu „Mit eben diesem Verständnis [...] bei der Förderung der Sozialcharta und der Umsetzung des sozialen Aktionsprogramms [...]“, mit der Notwendigkeit begrifflicher Präzision; er fordert zwei kompatible Begriffspaare, nämlich „Förderung“ von „Zielen“ und „Umsetzung“ von pragmatisch formulierten „Vorschlägen“. Zur Verständigungssicherung definiert er als konstitutiv für die Sozialcharta, sie habe die Ziele aufgestellt, die die Kommission und andere Beteiligte erreichen wollten, und sei auch vom Rat mit Ausnahme eines Mitgliedstaats angenommen worden. Das „Soziale Aktionsprogramm“ sei aber etwas anderes, werde von der Kommission erarbeitet, aber nicht vom Rat angenommen, es handele sich also um unverbindlichere Ideen. Hinter diesem semantischen Exkurs steht eine politische Absicht: Eine „Förderung“ ist rechtlich nicht verfahrensmäßig einklagbar und damit vager als „Umsetzung“. Implizit wird damit die „Sozialcharta“ (bei deren Abstimmung im WSA hat sich Aspinall 1989 der Stimme enthalten) gegenüber dem Sozialen Aktionsprogramm in der politischen Bedeutung relativiert; auf jeden Fall sind es für Aspinall zwei Paar Schuhe. Die Berichterstatterin hält an ihrer Formulierung fest, mit zwei Begründungen: - Sie wendet sich gegen eine kategoriale Trennung von „Sozialcharta“ und „Sozialem Aktionsprogramm“, weil sie auf die weitgehenden Ansprüche der Sozialcharta als Rechtsgrundlage nicht verzichten möchte. - Sie beruft sich auf ihre Aufgabe, zu einem bestimmten Kommissionstext eine Stellungnahme zu verfassen, und benutzt den Titel dieses Textes („Anwendung“) als Paraphrase zu ihrer Textformulierung „Förderung der Umsetzung“. 307 Berichterstatter neigen zur Expansion ihrer Entgegnungen um zusätzliche Kommentare und Begründungen. Die WSA-Präsidentin dagegen ist an einer möglichst kurzen Replik interessiert. Im Interview hat sie uns als problematisch geschildert, wenn sie nach einem längeren Statement des Berichterstatters nicht wisse, ob er einen Änderungsantrag annehme oder nicht, weil er statt „ja“ oder „nein“ Kommentare nachliefere; das passiere vor allem bei italienischen Berichterstattern. Sie versucht darum hier, die Berichterstatterin nach ihrer Kurzbegründung an einer ersten Stelle möglicher Redeübergabe 18 zu unterbrechen, als die Tendenz der Entgegnung (Ablehnung ohne Kompromißangebot) für die Fortsetzung des Verfahrens zur Bearbeitung von Änderungsanträgen hinreichend deutlich geworden ist (Abstimmung wird notwendig). Die Berichterstatterin setzt jedoch ihre Begründung um einen weiteren Satz fort: ST: Dankeschön Herr Aspinallspricht jemand gegen den ST: Antrag- *3* das ist nicht der Fall * Frau Engelen-Kefer ST: * könnten Sie sich mit dem Antrag einverstanden ST: erklären- UE: äh- ** nein- Frau Vorsitzende/ denn äh die: ÜE: Sozialcharta/ ** enthält äh schon weitergehende UE: Vorstellungen/ gegenüber dem Sozialen Aktionsprogramm/ ST: #okay\# K #LEISE# UE: und äh: der Bericht über den wir die UE: Initiativstellungnahme abgeben heißt ja auch ** UE: „Bericht über die AnwendunaX ** der Sozialcharta\“ ST: Dankeschön dann stimmen wir über den Antrag ab/ [...]“ Der Änderungsantrag wird mit 22: 92 Stimmen bei 14 Enthaltungen abgelehnt. (3) 1. Änderungsantrag zu 1.9. (Aspinall): Aspinall möchte den ersten Teil dieses Absatzes, nämlich den Text „Inzwischen hat die Kommission zu verstehen gegeben, daß sie sobald das Abkommen zum Protokoll zur Sozialpolitik ratifiziert und anwendbar ist von ihren darin gewährten 18 .transition relevant point“ nach Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974). 308 Vorrechten Gebrauch machen wird, um Vorschläge einem aus 11 Mitgliedern bestehenden Rat zu unterbreiten, sofern dies zur Durchsetzung bzw. zur Ingangsetzung des sozialen Aktionsprogramms erforderlich ist. Es kann vor allem im Kontext eines Binnenmarktes unter keinen Umständen zugelassen werden, daß der rechtliche Status sozialpolitischer Beschlüsse, die nach dem neuen Verfahren der qualifizierten Mehrheit zu treffen sind, durch Komplikationen in bezug auf die Frage untergraben wird, ob ein einzelner Mitgliedstaat implizit berechtigt sein kann, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob er aus europaweiten Verpflichtungen ausschert (sei es z.B. bei der Frage des arbeitsfreien Sonntags, bei der Einsetzung europäischer Betriebsräte oder bei europaweit gültigen Rechten für Beschäftigte in atypischen Arbeitsverhältnissen)“, ersetzen durch „Inzwischen wird die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten zu prüfen haben, wie sie unter dem einmal ratifizierten und geltenden Abkommen zum Protokoll zur Sozialpolitik am besten von ihren Vorrechten Gebruch (sic! ) machen kann und dabei zur Förderung des sozialen Aktionsprogramms vom Subsidiaritätsgrundsatz ausgeht.“ Auch in seiner schriftlichen Begründung zieht Aspinall das Subsidiaritätsprinzip heran: „Auf der Grundlage des Arguments, daß in der Gemeinschaft die Subsidiarität als Richtschnur gelten sollte, sollten wir akzeptieren, daß ein Thema, das die Arbeitnehmer betrifft, auf der am besten geeigneten Ebene erörtert wird. Auf dieser Grundlage hat ein Mitgliedstaat [gemeint ist das Vereinte Königreich, W.S.] einen demokratischen Beschluß gefaßt [...].“ In seiner mündlichen Begründung beschäftigt sich Aspinall mit einem anderen Aspekt, mit der Belegqualität von mehr oder minder offiziellen Äußerungen aus der Kommission. Anstelle eines in der Tendenz sympathisierenden Referats von inoffiziellen und anonymen Standpunkten, das wohl auf Äußerungen von Kommissionsvertretem in Studien- und Fachgruppensitzungen zurückgeht („hat die Kommission zu verstehen gegeben“), befürwortet Aspinall eine sich auf das Subsidiaritätsprinzip berufende Vorgabe an die Kommission. Hier kollidieren zwei Prinzipien einer EG-Sozialpolitik: (1) auf seiten der Berichterstatterin die kategorische Forderung, eine gemeinschaftliche Sozialpolitik mit Mehrheitsentscheidungen zu beschließen und gegen Störungen abzusichem, die durch eigenwillige Mitgliedstaaten entstehen, wenn sie sich ein Ausscheren im Einzelfall Vorbehalten wollen (dazu liefert sie stichwortartige Beispiele); (2) auf seiten des britischen Antragstellers der Versuch, die Kommission als Motor auch einer EG-Sozialpolitik abzuwerten und in ihre Schranken zu verweisen. Der Gegenredner, der niederländische Gewerkschaftler van Dijk, fordert eine andere Kompetenzenverteilung: Es liege in der Verantwortung der Kommission, zu bestimmen, auf welcher Grundlage sie ihre Vorschläge mache, das 309 müsse sie nicht erst mit den Mitgliedstaaten absprechen. Später in den Ratssitzungen könne dann darüber diskutiert werden, wie entschieden werde. Der Ministerrat könne sich einverstanden mit dem Vorschlag der Kommission erklären oder nicht; die Kommission sei aber für sich selbst verantwortlich, nicht der Rat oder die Mitgliedstaaten für die Kommission. Er stuft also die Autonomie der Kommission für ihre legislativen Initiativen hoch, sieht sie nicht gebunden an eine Konsenssuche (dann würden britische Vetos eine gemeinsame Sozialpolitik ohnehin lahmlegen! ). Die Berichterstatterin kann sich in ihrer Replik kurz auf eine Unterstützung für den Gegenredner van Dijk und eine Ablehnung des Antrags beschränken, weil er eine zu starke Betonung des Subsidiaritätsprinzips enthalte. Der Änderungsantrag wird mit 23 Pro- und einer „überwältigenden Mehrheit“ von Gegenstimmen bei 14 Enthaltungen abgelehnt. (4) 2. Änderungsantrag zu 1.9. (Aspinall): In seiner mündlichen Begründung sagt Aspinall explizit, er wolle diese Redegelegenheit nutzen, sich mit der Gegenrede von van Dijk zu seinem vorangegangenen Änderungsantrag auseinanderzusetzen. Ausgehend von der Maxime „we need to have an effective social policy“ stellt er einen Katalog von Arbeitsschritten auf, dem die Kommission bei der Vorbereitung von Rechtsakten genügen müsse: „you don’t just go to the social partnersyou have to discuss it with the Member States“ Eine effiziente Sozialpolitik ist für Aspinall durch möglichst breite Unterstützung abgesichert. Dies provoziert Etty zu einer geschäftsordnungsmäßigen Rüge, daß Aspinall statt einer Begründung für den neuen eine „Abstimmungserklärung“ zum vorangegangenen Änderungsantrag abgegeben habe. Darin sieht er einen Verstoß seines Vorredners gegen die Geschäftsordnung, einen Übergriff in der Ausnutzung des Rederechts. Diese Rüge wird als solche zum Verfahren ausgegeben, dahinter stehen aber konträre Interessen zur EG-Sozialpolitik von Etty und Aspinall, die verschiedenen WSA-Gruppen angehören. Die Präsidentin agiert nun im ursprünglichen Wortsinn als Moderatorin. Sie betreibt einen Interessenausgleich: einerseits eine Konfliktbegrenzung durch den Appell, „großzügig“ zu sein und den Redebeitrag Aspinalls doch als Begründung zu betrachten - Ettys Intervention wird nicht als Rüge zur Geschäftsordnung anerkannt. Andererseits ist Aspinalls Rederecht damit beendet, obwohl die Präsidentin ihn zuvor unterbrochen hat. Der Änderungsantrag wird einmütig vom Gegenredner und von der Berichterstatterin abgelehnt, weil der explizite Verweis auf Kodifizierungen der EG- Sozialpolitik „unverzichtbar“ und die gewünschte vagere Formulierung nicht akzeptabel sei. Die Berichterstatterin stimmt van Dijk zu, bietet aber eine 310 Ergänzung statt Ersatz an. Auf die Bitte der Präsidentin, als Entgegnung nur „ja“ oder „nein“ zu sagen, sagt Aspinall laut und mit demonstrativ indifferenter Intonation „no“; diese Hyperkorrektheit wird durch Gelächter im Plenum als ironisch ratifiziert. Der Änderungsantrag wird mit 20 Pro- und einer „überwältigenden Mehrheit“ von Gegenstimmen bei 21 Enthaltungen abgelehnt. (5) Änderungsantrag zu 1.10.1.: Aspinall beantragt, den ganzen Absatz (s. Anhang) mit Prognosen, welche Annahmen zum Binnenmarkt, zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Politischen Union als verbürgt gelten können, zu streichen. Seine schriftliche Begründung: „Diese Feststellung ist verfrüht und nicht verifizierbar. Nach dem dänischen Referendum ist alles möglich, insbesondere in bezug auf die Politische Union. Nichts ist sicher. Auf jeden Fall hat ein Mitgliedstaat nicht für ,raus‘ gestimmt, sondern 11 haben sich für ,Drinbleiben“ entschieden. Die Grundlage der Subsidiarität muß erhalten bleiben.“ In seiner mündlichen Begründung reformuliert er den Vorwurf, hier gehe der Text von voreiligen Annahmen aus und sei damit unsolide, u.a. so: „I just feel that one-ten-one is ** what must be classified as being preemptive-“ In seiner Gegenrede spricht van Dijk einleitend an, daß er nun schon zum dritten Mal einem Änderungsantrag Aspinalls widerspreche: „ja het lijkt wel ol of I alsof ik vandaag * continu * de amendementen van de heer ** aspinall * moet afbreken* het gaat me niet om de persoon * het gaat me hier om de <inhoud“ Er bearbeitet damit den Eindruck, daß es in der Debatte um einen rituellen Schlagabtausch mit feststehendem Personal gehe, als problematisch, insistiert auf einer inhaltlichen Fokussierung, setzt aber zugleich Aspinalls Modalisierung (die man paraphrasieren könnte mit „ich argumentiere nicht ernsthaft gegen den Text, weil dieser schon unseriös ist“) scheinbar kooperativ fort. Danach scheint er nämlich Aspinalls begründende Gemeinplätze inhaltlich zu unterstützen, widerspricht aber deren argumentativer Relevanz: „wat in zijn <-motivering Staat ** tweede zin * of de derde zin * ben ik volledigmet hem eens * <-niets * is zeker * ->maar ->dat is in het hele leven zo * dat het niet zeker is\# dus wat dat betreft ben ik * ehben ik het volledig eens met wat daar staat\ I dan zou ik die paragraaf zoals hij ** voorstelt * niet willen schrappen\ ** hetgeen watnamelijk in de paragraaf Staat * is volledig iuist\“ 19 19 Deutsche Verdolmetschung in der Sitzung: „Mit dem zweiten oder dritten Satz bin ich einverstanden: Nichts ist sicher, aber das ist im ganzen Leben so, daß alles unsicher ist. 311 Auch die Präsidentin greift diese spielerische Modalisierung auf: In der gestaltungsorientierten Variation „sicher ist auch...“ fokussiert sie auf eine ergebnisorientiert-konstruktive Textarbeit trotz der vorangegangenen Ironie bei der Behandlung von Änderungsanträgen: „ich denke * sicher ist auch daß wir diese Stellungnahme * mit Anstand abschließen werden/ “ Der Änderungsantrag wird mit 20 Pro- und „überwältigender Mehrheit“ von Gegenstimmen bei 34 Enthaltungen abgelehnt. (6) Änderungsantrag zu 1.11.1. (Aspinall): Der Antragsteller bietet zur Verkürzung der Textarbeit an, zwei Änderungsanträge zum selben Absatz der Vorlage zusammenzuziehen. Der „Spareffekt“ wird jedoch nicht ratifiziert, weil die Zusammenziehung von der Präsidentin zur Verdeutlichung nochmals referiert werden muß und die Berichterstatterin die beiden Anträge doch getrennt behandelt, nämlich nur einen akzeptiert. Der Antrag, in der Formulierung „Wenn man den zweiten Teil des Berichts liest, wird nämlich klar, daß einige der begeistertsten Anhänger sozialpolitischer Richtlinien manchmal bei deren Umsetzung in die Praxis am zögerlichsten sind, während ironischerweise der Mitgliedstaat, dem die geringste Begeisterung nachgesagt wird, bei der tatsächlichen Durchführung vielleicht mit die besten Ergebnisse erzielt“ das „Wörtchen ,mit“‘ zu streichen, ist ein rhetorischer Versuch, den „Spieß umzudrehen“: Der englische Antragsteller weist die unterschwellige Unterstellung zurück, sein Land sei generell der Bremser in der europäischen Sozialpolitik, weil Großbritannien sich im Maastrichter Sozialprotokoll von einer gemeinsamen Sozialpolitik distanziert. Hier kann er auftrumpfen und eine ausdrückliche Nennung seines Landes fordern, weil Großbritannien bei der bisherigen Umsetzung der Sozialpolitik am besten von allen EG-Mitgliedstaaten dastehe. Seine Argumente: - Großbritannien ist kein unsicherer Kantonist, sondern erfüllt seine Verpflichtungen aus den Römischen Verträgen vorbildlich. - Bei der Darstellung von Tatsachen ist Vagheit unangemessen. - Großbritannien tut etwas, die anderen reden nur und leiten aus ihrem Gerede unangebrachte Vorwürfe an die Adresse Großbritanniens ab. In ihrer Replik beruft sich die Berichterstatterin auf eine konkurrierende Bescheidenheitsnorm, die eine zurückhaltende Formulierungsweise nahelege: Da kann ich ihm nur zustimmen. Aber der Absatz, so wie er von Ihnen vorgeschlagen ist, das würde ich nicht streichen. Das, was in dem Absatz steht, ist richtig.“ 312 „ich würde das niemals wagen/ zu sagen ,wir sind der Beste*- ** äh ich wäre hier etwas vorsichtiger/ “ Dieser Änderungsantrag wird bei 11 Pro- und einer „überwältigenden Mehrheit“ von Gegenstimmen bei 42 Enthaltungen abgelehnt. (7) Änderungsantrag zu 1.13.: Moreland möchte im Satz „Ferner sollte im sozialen Bereich, wie im Protokoll vorgesehen, die Rolle der Sozialpartner im Hinblick auf die Gemeinschaftsmaßnahmen aufgewertet werden, und zwar durch die Schaffung eines sozialen Dialogs für die jeweiligen Sektoren, in dessen Rahmen die Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter ihre spezifischen Anliegen zur Geltung bringen können.“ das Wort „Sozialpartner“ durch die Formulierung „wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen“ ersetzt wissen. In seiner schriftlichen Begründung „Wie bei Änderungsantrag IO 20 : In der Stellungnahme zum Thema ,Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften* wurde nachdrücklich auf die Bedeutung aller Interessen verwiesen.“ verweist er auf zwei Formulierungs-Analogien: zur vorangehenden Textstelle in Ziffer 1.1., bei deren er einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt hat, und nochmals auf den kanonischen Status der „Sozialcharta“ auch für einzelne Formulierungen in abgeleiteten Texten. Bei Ziffer 1.1. wurde der Antrag einvemehmlich durch Aufnahme beider Formulierungen erledigt. Doch bei Ziffer 1.13. entsteht Konfusion. Die Präsidentin unterstellt eine Analogie und fragt, ob sie von einem Konsens ausgehen könne. Als die Berichterstatterin nach einer Pause von 6 Sekunden nicht reagiert hat, unterstellt die Präsidentin Einverständnis und bedankt sichdoch nun widerspricht Frau Engelen-Kefer doch noch und bestreitet die unterstellten Analogien: „Hier handelt es sich ja um den sozialen Dialog'x ** und der soziale Dialog sollte sich schon * beschränken ** auf die sozialen * Gruppen der Gewerkschaften- und der ArbeitseberverbändeX und deshalb ist das hier anders zu sehen/ als äh bei den beiden vorherigen TextstellenX ** hier/ würde ich den Antrag ablehnenX“ Sie spricht damit dem Begriff „sozialer Dialog“ an dieser Stelle eine besondere Qualität zu: Es handele sich nicht um einen alltagssprachlich-programmatischen Begriff mit unscharfer Extension bei den Beteiligten, sondern einen institutionell nach Art. 118b EWG-Vertrag 21 abgesicherten. Dazu ge- 20 Zur Behandlung dieses Änderungsantrags vgl. Kapitel 7.4.5.3. 21 „Die Kommission bemüht sich darum, den Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene zu entwickeln, der, wenn diese es für wünschenswert halten, zu vertraglichen Beziehungen führen kann.“ Vgl. dazu Ketelsen (1991, 775): „Der durch Art 118 b nunmehr im EWG-Vertrag verankerte Grundsatz des sozialen Dialogs versucht die Rolle der Sozialpartner bei der Konzipierung und Umsetzung der Sozial- und Arbeitspolitik der Gemeinschaft näher zu bestimmen und festzuschreiben. Grundgedanke ist, daß die Sozialpartner den mit der Vollendung des Binnenmarktes einhergehenden sozialen Wandel auf 313 hört, daß nur Gewerkschaften und Arbeitgeber an ihm beteiligt sind, nicht aber andere soziale oder wirtschaftliche Gruppen, auch wenn sie im WSA vertreten sind. Diese Interpretation des „sozialen Dialogs“ ist angesichts der begrifflichen Unschärfe in Art. 118b nicht verbürgt, sondern Teil eines semantischen Kampfes um eben diesen Begriff. Moreland bekommt Gelegenheit zu einer Replik, in der er der Berichterstatterin eine undeutliche Formulierung vorwirft: „It would certainly be extremely helpful for usthat * where one says- ** means management and labour one savs it\ ememand where one means all the social and economic interests/ one says that\ the phrase .social partners 1 is extremely confusing in Englishit would be much better to use those phrases-“ Vermutlich steckt hinter seinem Argument, der Ausdruck „social partners“ sei im Englischen verwirrend, also nicht-idiomatisch, eine deutsche Interferenz, eine (typisch britische? ) gesellschaftliche Modellvorstellung, für die eine „Sozialpartnerschaft“ nur eine Schimäre sein kann. Moreland unterstellt nach wie vor, daß die Berichterstatterin den Antrag angenommen habe; als er von umsitzenden Kollegen auf seinen Irrtum aufmerksam gemacht wird, sagt er halblaut und ohne Mikrofon „Silly woman! “ Eine solche persönliche Verbalinjurie steht in starkem Kontrast zum üblichen höflichen Stil im WSA. Der Antrag wird zwar mit 32 Pro-Stimmen gegen eine „ganz überwiegende“ Mehrheit abgelehnt, hat aber für die englische Fassung im Amtsblatt doch informell-redaktionelle Konsequenzen: In diesem Absatz kommen in der deutschen Fassung die „Sozialpartner“ zweimal vor. In der englischen Fassung der Stellungnahme im Amtsblatt werden an der zweiten Stelle die „social partners“ belassen, dagegen spricht die erste Stelle von „management and labour“, wie Moreland für die zweite Stelle fordert. Die „Sozialpartner“ sind in der englischen Fassung durchweg nicht einheitlich übersetzt: Im Absatz 1.1. bleibt es bei den „social partners“, ebenso in 1.5.2. und 1.9. In 1.10.3. werden die „Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ mit „industrial relations“ wiedergegeben, wie es für eine entsprechende Stelle in 2.1.6.2. in der Plenartagung ausgehandelt worden ist. (8) Änderungsantrag zu 2.1.2.1. (Moreland), den Absatz zu streichen: „Angesichts der Schwierigkeiten im Rat bezüglich der wichtigen Vorschläge zum Thema .Besondere Formen der Beschäftigung 1 (atypische Tätigkeiten) möchte der Ausschuß die Kommission an seinen mehrheitlich vertretenen Standpunkt zur Anwendung der Artikel 118a und 100 a als angemessene Rechtsgrundlage erinnern.“ Die angegebenen Artikel des EWG-Vertrags betreffen die Harmonisierung der Sozialvorschriften und allgemein die Angleichung der Rechtsvorschriften europäischer Ebene diskutieren und mit ihren Lösungsvorschlägen den sich bildenden europäischen Sozialraum mitgestalten sollen.“ 314 für den EG-Binnenmarkt; dabei soll jeweils der Rat „auf Vorschlag der Kommission, in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses [...] mit qualifizierter Mehrheit“ durch Richtlinien Mindestvorschriften bzw. Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ erlassen. Moreland begründet seinen Antrag mündlich mit strittigen Zuschreibungen an das Selbstverständnis des WSA und den Status seiner Mitglieder: Ist er ein Gremium von Rechtsexperten oder nicht? Moreland warnt den WSA vor Kompetenzüberschreitung angesichts einer aus seiner Sicht brüchigen Rechtsgrundlage: „There is some danger for this Committee to make comments on the legal basis because we are not after all * a body of legal expertsa and it is essentially a legal matterV' Der Änderungsantrag wird mit 27: 77 Stimmen bei 32 Enthaltungen abgelehnt. (9) Änderungsantrag zu 1.11.1 (Lustenhouwer), den letzten Satz der Ziffer „Die Möglichkeit einer auf europäisches Arbeitsrecht spezialisierten, aus entsprechend qualifizierten Richtern zusammengesetzten und durch die Einbeziehung der Sozialpartner unterstützten Kammer des Europäischen Gerichtshofs könnte ebenfalls im Zusammenhang mit der Durchführung der Sozialcharta in Erwägung gezogen werden.“ zu streichen. Der Antrag wird schriftlich so begründet: „Aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann im Prinzip jedes Rechtssubjekt, also auch eine natürliche Person, gegenüber einem Mitgliedstaat, der einer aufgrund einer europäischen Richtlinie bestehenden Verpflichtung nicht nachkommt, sein Recht erwirken. Die in dieser Textstelle vorgeschlagene Einrichtung einer gesonderten Kammer des Europäischen Gerichtshofs ist daher überflüssig und auch nicht erstrebenswert, weil sie den Abstand zwischen den Bürgern und den gerichtlichen Instanzen vergrößert; ferner ist die Einschaltung von Laienrichtern als Vertretung der Sozialpartner im arbeitsrechtlichen Bereich unter dem Blickwinkel der Unabhängigkeit der Rechtsprechung abzulehnen.“ Die Präsidentin spricht von „einer gewissen Abwechslung“, spielt damit, ohne es explizit zu thematisieren oder gar zu kritisieren, auf die Vielzahl der Änderungsanträge bei nur wenigen Antragstellern an. Bevor er seinen Antrag begründet, verweist Lustenhouwer darauf, daß er einen Antrag aus der Fachgruppe, der dort bereits mit allerdings einer qualifizierten Minderheit von Ja-Stimmen abgelehnt worden ist, erneut stelle: 315 „In de afdeling-eh ** heeft de voorzitter mij gezegd=eh ** je moet zelf dat amendement indienen bij Mn elf een * dat we hier * in dit gebouw niet bij het hof van cassatie zijn\“ 22 Das aus seiner Sicht juristisch Problematische am Vorschlag der Berichterstatterin veranlaßt den Niederländer, auf einer „Berufung“ zu bestehen. Der Konfliktpunkt ist: Reichen die bisherigen Kompetenzen des EuGH und die Klagerechte europäischer Bürger auch im Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts aus? Sollte eine besondere EuGH-Kammer die Sozialpartner institutionell vertreten, oder vergrößert das den Abstand zwischen Gericht und Bürgern? So argumentiert der Antragsteller, er hält den Vorschlag für schädlich: „Dan creeer je alleen een grotere afstand tussen burger ** en-eh I ende rechtspraak zelf* und angesichts etablierter Rechtswege für überflüssig; er zählt diese auf, u.a. gilt: „Voorts kan er wanneer er onduideliikheid bestaat over al dan niet van toepassing zijn op die situatie van europese richtlijnen ** een preiudiciele vraag gesteld worden aan het hof van justitie die bevoegd is op alle terreinen/ * inclusief de arbeidsrecht en het sociale beleid (de te oefenen? )\“ 23 Die Berichterstatterin beruft sich in ihrer Entgegnung auf gute, modellhafte Erfahrungen in ihrem Land: „Ich kann nur sagen daß wir in Deutschland/ und zwar *** unter Zustimmung ** der beiden Sozialparteien/ *** ein ausgebautes Wesen der Arbeitsgerichtsbarkeit haben/ *** diese Arbeitsgerichtsbarkeit ist getrennt/ ** von der allgemeinen Gerichtsbarkeit/ ** wegen der besonderen- ** spezifischen Inhalte/ einer derartigen Rechtsprechung/ ** und/ gleichzeitig sind beide Sozialparteien/ die Gewerkschaften und die Arbeitgeber- ** an den Entscheidungen * beteiligt/ über * ehrenamtliche Richterdie sie aus ihren jeweiligen Verbändenzu benennen haben\ *** und ich glaube/ daß sich dieses System * hervorragend ** bewährt hat/ *** und äh * deshalb ** meine ich * daß es wichtig wärewenn wir ** beim Europäischen Gerichtshof ** der ja in zunehmendem Maße/ von nationalen Stellen angerufen wirdin Fragen * arbeitsrechtlicher Entscheidungen- ** eine ähnlich * qualifizierte sachverständige * arbeitsrechtliche Rechtsprechung haben-“ Sie provoziert damit eine Replik Lustenhouwers. Ein solcher zweiter argumentierender Redebeitrag des Antragstellers ist im Verfahren zur Behandlung von Änderungsanträgen an sich nicht vorgesehen; Lustenhouwer nutzt die Gelegenheit, zu einem Kompromißvorschlag der Berichterstatterin, nämlich 22 Deutsche Verdolmetschung in der Sitzung: „In der Fachgruppe habe ich den gleichen Änderungsantrag zu 1.11.1. vorgetragen, und da hat der Vorsitzende zu mir gesagt: ,Wir sind hier nicht beim Kassationsgericht in diesem Gebäude.“ 1 23 Deutsche Verdolmetschung: „Außerdem hat die Kommission die Möglichkeit, sich an den Gerichtshof zu wenden und Mitgliedstaaten vor den Gerichtshof zu zitieren dafür, daß sie ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind.“ 316 „ich bin bereit/ ** hier äh die Formulierung ** äh etwas ** zu * verändern/ zum Beispiel könnte aus dem letzten Satz gestrichen werdenäh in der * äh Zeile nach dem Komma/ also nach spezialisiertenkönnte ich streichen- ,aus entsprechend qualifizierten Richtern zusammengesetzten Stellung zu nehmen, zu einer Ablehnung, die er mit Emphase begründet, das sei eine implizite Diskriminierung der institutionellen Regelungen in anderen Ländern: „dat is een impliciete diskwalificatie van Systemen in andere lidstaten * dat vind ik #EXTRA BETONT: TONHÖHE GEHT HOCH# #bjjzonder# ergerlijkX“ Der Änderungsantrag wird zwar mit 59 Pro- und 76 Gegenstimmen bei 7 Enthaltungen abgelehnt, aber es ist ein „relevanter“ Änderungsantrag: Er wird im Anhang der Stellungnahme im EG-Amtsblatt aufgenommen, weil er mehr als ein Viertel Ja-Stimmen bekommen hat. Die Berichterstatterin hat uns ihren Vorschlag einer eigenen europäischen Arbeitsgerichtsbarkeit und dessen Schicksal nochmals im Interview expliziert und begründet. Dazu gehört ein Kompromißangebot schon vor der Plenartagung eine Reduktion der ursprünglichen Idee eines eigenständigen Arbeitsgerichts auf eine Kammer des EuGH. Damit geht Frau Engelen-Kefer auf das Problem ein, daß der Vorschlag schon in der Studiengruppen- und Fachgruppenarbeit umstritten bzw. nicht vermittelbar war („das hab’ ich nicht verständlich machen können“). Sie referiert die Einwände, der Vorschlag sei typisch deutsch und Affront gegen die Unabhängigkeit der Jurisprudenz. Gerd Muhr sekundiert an dieser Stelle: „Im Augenblick ist ja der Anteil originären europäischen Arbeits- und Sozialrechts relativ gering“. Er referiert das Problem der Rechtsgrundlage bei EG-Richtlinien: Im Normalfall ist das Gesetz zur Umsetzung einer Richtlinie für den Prozeß maßgeblich. Nur das Argument, das Gesetz setze die Richtlinie nicht richtig um, führt zu einer Vorlage an den EuGH. Gleichfalls im Interview hat ein niederländischer Mitarbeiter des WSA-Übersetzungsdienstes, ohne mit den inhaltlichen Details vertraut zu sein, den Konflikt mit dem Diskriminierungs-Argument als strukturell erwartbar bezeichnet. Auf die Frage nach Ablehnung und Ressentiments gerade in kleinen EG-Ländem, wenn Deutsche ihre eigenen Verhältnisse als modellhaft anbieten, interpretiert der niederländische Übersetzer Lustenhouwers Einstellung und verallgemeinert das Problem durch Querverweise auf andere Politikbereiche: „Ja, ich kann mir vorstellen, daß bestimmte Länder bestimmte Regelungen kennen, die juristisch vielleicht viel weniger ausgearbeitet sind als in Deutschland, wo juristisch alles immer dreihundertprozentig abgesichert wird, aber wo die Regelungen auch sehr gut funktionieren, die Regelungen etwas pragmatischer ausgerichtet sind. Und da nun so ein 317 offizielles Verfahren daraus zu machen, das vielleicht sehr schwerfällig funktioniert ich denke, daß er so was gemeint hat, daß man das vielleicht in der Sache etwas pragmatischer regeln kann als ganz über den juristischen Weg alles dreihundertprozentig abzusichem, mit allem Verwaltungskram und so weiter. Kleinere Länder haben das öfters. In Dänemark gibt’s sehr viele pragmatische Regelungen, die sehr gut funktionieren in dem Land und wo eigentlich überhaupt nicht das Bedürfnis besteht, da wieder eine offizielle Instanz irgendwie ins Leben zu rufen. Ich denke, daß er so was gemeint hat. Ja, und ich weiß auch nicht immer, ob deutsche Spezialisten immer so gut über die Grenzen gucken, was da passiert. Ich hab’ vor kurzem den ,Spiegel‘-Artikel gelesen über die Unis, die überfüllt werden, und Hörsäle, wo die Leute, was weiß ich, auf den Stufen sitzen und in der Tür oft stehen bleiben müssen, weil die Säle überfüllt sind. Und da hat’s einen Ausschuß gegeben, und der hat jetzt einen Bericht rausgebracht, in dem stand, daß das anders gemacht werden muß, daß man versuchen muß, weniger Studenten zu kriegen erst mal, und daß die Studenten viel mehr persönliche Begleitung brauchen, weil die auch viel zu lange studieren in Deutschland. Und ich denke: Na, das System, das gibt’s in England schon seit eh’ und je und an mehreren holländischen Universitäten, vor allem Maastricht, gibt’s das auch, wo das gemacht wird, vor allem [...] beim Medizinstudium, wo alles pro Krankheit geht und die Krankheitsbilder überhaupt nicht integriert werden irgendwie. Und das gibt’s auch schon lange, in Maastricht gibt’s das schon seit achtzehn Jahren. Seitdem die Uni besteht, ist das Medizinstudium so ausgerichtet, daß alles problemgerichtet gelöst wird. Und da kommt dann ein deutscher Ausschuß und darüber wird überhaupt nicht geredet, daß es im Ausland das gibt. Aber die erfinden das wieder aufs Neue, so ein System.“ Das heißt: Vertreter der kleinen deutschen Nachbarn reagieren empfindlich und unterstellen schnell arrogante Scheuklappen, wenn Deutsche ihre deutschen Institutionen auf die EG übertragen wollen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob es in anderen Ländern vergleichbare, möglicherweise schon länger bestehende und bewährte Problemlösungen gibt. 7.4.6 Minderheitserklärung der Arbeitgeber Eine Minderheitserklärung der Arbeitgeber kann erst abgegeben werden, nachdem das Abstimmungsergebnis bekanntgegeben ist. Das erfolgt bei dieser Tagung erst geraume Zeit nach Abschluß der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt, weil der Präsident der Arbeitgebergruppe eine namentliche Abstimmung beantragt und deren Auszählung Zeit braucht. In der Zwischenzeit werden mehrere Äußerungen zur Geschäftsordnung vorgebracht, die indirekt die Legitimität dieser Minderheitenerklärung bestreiten. So bittet Tom Jenkins, Präsident der Arbeitnehmergruppe, die Präsidentin um eine Interpretation zu Artikel 43 der WSA-Geschäftsordnung. 24 Er problema- 24 Artikel 43, Absatz 5 der WSA-Geschäftsordnung lautet in der deutschen Version: „Wenn eine im Ausschuß gebildete Gruppe oder eine in ihm vertretene Interessengruppe des wirtschaftlichen und sozialen Lebens hinsichtlich einer dem Plenum unterbreiteten Vorlage eine abweichende, aber in sich geschlossene Auffassung vertritt, kann ihre Haltung nach 318 tisiert, daß in der allgemeinen Aussprache bereits zwei Mitglieder der Gruppe I (Mobbs und Whitworth) stets im eigenen Namen, nicht im Namen der Gruppe I gesprochen hätten: „They were never speaking on behalf of their groupsthey were saying ,1 I ->I I I‘-“ Dieses Recht bestreitet er ihnen nicht, vermißt aber den laut Geschäftsordnung erforderlichen „uniformed standpoint“ der Gruppe I in der Debatte. Er zollt Moreland demonstrativ für sein „radical amendment“ zu 1.3.-1.10.3. Respekt („he had a courage of his convictions“), um im Kontrast den Verzicht der Gruppe I als solcher auf eine argumentative Auseinandersetzung in der Debatte zu brandmarken. Die Präsidentin entzieht sich einer Antwort auf Jenkins’ Frage mit dem Hinweis, bisher liege ihr „keine Äußerung auf Minderheitsvotum“ vor. Der englische Gewerkschaftler Alexander R. Smith insistiert auf einer Legitimitätsprüfung für das Minderheitenvotum: Es dürfe der Stellungnahme nur angehängt werden, wenn es offiziell von der Gruppe I gutgeheißen und im Namen der Gruppe I unterbreitet werde. Wiederum geht die Präsidentin nicht auf die Aufforderung ein, sondern erklärt sie mit demonstrativ rekursiven Tautologien für verfrüht: „Eine Minderheitenerklärung ist eine Erklärung der Minderheit wie der Name sagtum eine solche Erklärung durchzuführen/ bedarf es erst der Feststellung einer Minderheit das heißt also/ daß eine solche Erklärung überhaupt erst nach Abstimmung und nach dem Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses eingebracht werden kannwir müssen also darauf warten/ bis uns das Abstimmungergebnis vorliegt/ um überhaupt zu sehen ob eine solche Minderheitenerklärung möglich ist\ insofern bitte haben Sie Verständnis/ daß wir dieses Abstimmungerklärl äh äh diese Abstimmungsl das Abstimmungsergebnis abwarten/ und dann gemäß Artikel dreiundvierzig verfahrenV“ Schließlich trägt Löw namens der Gruppe I die Erklärung vor. Offenbar ist sie erst kurz zuvor von der Gruppe formuliert worden und liegt nur in Englisch vor; so bedient sich auch Löw dieser englischen Fassung (s. den deutschen Wortlaut im Anhang). Frau Engelen-Kefer referiert im Interview diese ablehnende Haltung der Arbeitgeber, gegliedert nach drei Kritikpunkten: (1) global: Zu starke Betonung der „Weiterentwicklung der Sozialpolitik in Europa“. (2) Andere Schuldzuweisung bzw. anders adressierte Kritik: Die Arbeitgeber werfen der Kommission vor, daß sie Entwürfe vorlege, die zu detailliert seien, zu viel regeln wollten und damit im Ministerrat hängenblieben; dagegen sieht die Berichterstatterin die Verantwortung für eine fehlende Abschluß einer namentlichen Abstimmung über den Beratungsgegenstand in einer kurzen Erklärung dargelegt werden, die der Stellungnahme als Anhang beigefügt wird.“ 319 Weiterentwicklung der EG-Sozialpolitik beim Ministerrat, „der eben bisher eben sehr wenig gemacht hat in der Verabschiedung von rechtlich verbindlichen Instrumenten auf sozialpolitischem Gebiet“. (3) Mißachtung der nationalen Aktivitäten, insbesondere des sozialpolitischen Fortschritts in Großbritannien. Die „Verhärtung“ der Auseinandersetzung von der Fachgruppe zum Plenum schreibt die Berichterstatterin der zwischenzeitlichen Konferenz von Lissabon, wo „Subsidiarität“ als Prinzip festgeschrieben wurde, und der Übernahme der EG-Ratspräsidentschaft durch die Briten zu; sie unterstellt Absprachen mit dem Ziel, ein neues Verständnis von „Subsidiarität“ auch im WSA durchzusetzen: Die Arbeitgebervertreter im WSA hätten weder individuell noch autark ihre Strategie für die Behandlung des Textes im Plenum festgelegt (wie es die WSA-Ideologie der Nicht-Weisungsgebundenheit suggeriert), sondern sich durch äußere Ereignisse und Absprachen festlegen lassen. Sie unterstellt einen „Fraktionszwang“ bei der Abstimmung, da ihr zuvor Zustimmung von einzelnen Arbeitgebervertretem signalisiert worden sei. 7.4.7 Erklärung zum Maastrichter Vertrag und zum dänischen Referendum Die Berichterstatterin scheitert mit dem Versuch, eine Aktualisierung ihres Textes durch das Plenum durch Thematisierung des kurz zuvor negativ ausgegangenen ersten dänischen Maastricht-Referendums absegnen zu lassen; auch die Form einer WSA-Entschließung wird ihr später unter Berufung auf die Geschäftsordnung verwehrt. So bleibt ihr schließlich als letzte Möglichkeit, eine „Erklärung zur Stimmabgabe“ zum Verlesen einer Erklärung zu nutzen. An dieser Stelle spricht sonst nie der Berichterstatter, vielmehr werden abweichende Voten zu Protokoll gegeben (auch zur Rechtfertigung gegenüber dem eigenen Verband), eine Aussprache über derartige Erklärungen darf laut Geschäftsordnung nicht stattfinden (darauf weist die Sitzungspräsidentin zuvor noch ausdrücklich hin). So verpufft die Absicht der Berichterstatterin, die WSA-Stellungnahme durch Aktualisierung politisch aufzuwerten. Im Interview äußert sie sich dazu selbstkritisch: Sie habe ihre Initiative nicht genügend vorbereitet, etwa durch Abklärung mit anderen wichtigen Funktionsträgem im WSA (z.B. dem Präsidenten der Arbeitgebergruppe), und sich das Scheitern darum selbst zuzuschreiben. Dieses Scheitern ist umso frappierender, als die Berichterstatterin weder einen selbst formulierten noch einen Text aus bloß gewerkschaftlicher Perspektive in das Verfahren einbringen, sondern als demonstratives Angebot gruppenübergreifender Konsenssuche eine „gemeinsame Erklärung“ von BDA und DGB übernehmen möchte. Sie scheitert also trotz dieses ausdrücklichen Bezugs auf die WSA-Existenzgrundlage des sozialen Dialogs. 320 Indizien, daß die Berichterstatterin ihre Strategie in diesem Punkt als gescheitert ansieht, finden sich auch in ihrer „Erklärung zur Stimmabgabe“ selbst: „Ja * Frau Vorsitzende Sie hatten mir ja eben gesagt/ daß ich mein Anliegen/ äh: die Bewertung des Referendums in Dänemarkhier ** äh als Erklärung zu meiner ->Stimmabgabe abgeben sollte und das möchte ich jetzt gerne tun/ und damit zu Protokoll geben/ und * dem weiteren Verfahren hier anheimstellenX und zwar würde ich dazu gerne folgende Erklärung abgeben/ ** LIEST VOR #die aktuelle europapolitische Diskussion/ ** sollte als Chance zur Neubesinnung und Kurskorrektur genutzt werden/ deshalb plädieren# äh- ** wl plädiert der WSA wäre es dannmüßte es ja dann heißen/ wenn/ oder wie es im Augenblickl bl sl plädieren wjr oder plädiere ich dafür/ LIEST VOR #unmittelbar nach Inkrafttreten des Unionsvertrages dafür Sorge zu tragen/ daß die mit Recht beklagten Unvollkommenheiten und Lücken- ** des neuen Vertrages geheilt werden/ in einer neu einzuberufenden Regierungskonferenz/ müssen vor allem die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt/ und die Entscheidungsprozesse * offener und transparenter gestaltet werden/ die in Maastricht nicht erreichte Parallelität/ von Währungsunion ** und Politischer Unionmuß nachgeholt werden'# danke schön/ “ Diese Indizien sind die Konfusionen beim richtigen Numerus („plädieren“ - DGB und BDA vs. „plädiert“ der WSA; „wir“ vs. „ich“), außerdem die vage Aufforderung „und damit zu Protokoll geben/ und * dem weiteren Verfahren hier anheimstellen/ “, mit der die Berichterstatterin den Anspruch aufgibt, die weitere Behandlung dieses Statements im Verfahren maßgeblich zu beeinflussen im Kontrast zu ihren entschiedenen Kommentaren zu Formulierungsaltemativen zuvor. Wenn Frau Engelen-Kefer das Scheitern ihres Vorstoßes als Folge ihrer schlechten Vorbereitung sieht („im Verfahren schiefgelaufen“), interpretiert sie das mithin nicht nicht als politischen Affront. Sie konstatiert eine Kollision zwischen dem Wunsch, aktuelle wichtige politische Vorkommnisse auch in einer späten Phase der Textgenese noch kommentarhaft in den Text aufzunehmen, und Zwängen der Geschäftsordnung. 7.5 Zusammenfassung der Argumentationsmuster Die inhaltlich strittigen Punkte sind: - Hat die Kommission ein Sanktionsrecht gegen säumige Mitgliedstaaten im Bereich der EG-Sozialpolitik? - Sollte eine eigene europäische Arbeitsgerichtsbarkeit eingerichtet werden, wenn ja, nach welchem Modell? - Wem ist der „Schwarze Peter“ zuzuschieben, liegt die Verantwortlichkeit für mangelnden Fortschritt in der EG-Sozialpolitik bei der Kommission oder beim Rat? 25 25 Hinter den englischen Vorstößen, eine Kritik an mangelndem Fortschritt in der EG-Sozialpolitik vom Ministerrat auf die Kommission zu lenken, steht der Versuch, das einzige föderale Element auch der Europäischen Union nach dem Maastrichter Vertrag, den Ministerrat, gegenüber den zentralistischen Elementen Kommission und Parlament zu stüt- 321 - Ist Sozialpolitik im wesentlichen Arbeitsmarktpolitik, oder umfaßt sie andere Bereiche (etwa eine Politik für sozial Schwache)? - Sollte eine Stellungnahme, die sich einen Bericht der Kommission zum Anlaß nimmt, aktuellere Ereignisse (konkret Maastricht und das dänische Referendum) thematisieren? - Sollten einzelstaatliche Maßnahmen zur Sozialpolitik anerkannt oder im Interesse einer übergreifenden EG-Sozialpolitik verworfen werden? Auffällig ist: Sowohl im Referat der Berichterstatterin als auch in der allgemeinen Aussprache, im Debattenteil zu den meisten Änderungsanträgen und im Minderheitsvotum der Arbeitgeber-Gruppe werden fast ausschließlich die „Allgemeinen Bemerkungen“ ihrer Stellungnahme thematisiert, nicht aber die „Besonderen Bemerkungen“, in denen konkrete sozialpolitische Themen (z.B. „Beschäftigung und Arbeitsentgelt“, „Gleichbehandlung von Männern und Frauen“) behandelt werden. Das zeigt, daß der Dissens als prinzipieller behandelt wird (was soll eine EG-Sozialpolitik umfassen, was soll sie bewirken? ), daß sich der Streit nicht an Einzelforderungen entzündet. Durchgängig werden gruppen- und länderspezifische Interessen direkt oder verschlüsselt (z.B. über Geschäftsordnungsdebatten) vorgebracht, unter Berufung auf Schlüsselbegriffe (wie „Subsidiaritätsprinzip“) und Topoi (wie „Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher und sozialer Integration“) supranationaler EG-Politik. Die Behandlung des „Ersten Berichts zur Sozialcharta“ präsentiert sich als für den Sozialbereich übliche, ansonsten für den WSA unübliche Austragung eines prinzipiellen Konflikts. Indikatoren im Verfahren dafür sind: die Vielzahl von Änderungsanträgen, bereits in der Fachgruppe, aber auch (noch) im Plenum, die namentliche Abstimmung, das Minderheitsvotum der Arbeitgebergruppe und schließlich in den Redebeiträgen der allgemeinen Aussprache ein nahezu unmittelbarer Widerspruch ohne das gängige rituelle Lob. Änderungsanträge werden oft nicht als Ausdruck abweichender Interessen definiert, sondern zu „Versuchen zur Verbesserung“ stilisiert. Auffällig ist die Diskrepanz zwischen einerseits dem manifesten Streit, kenntlich an der kontroversen allgemeinen Aussprache und Vielzahl der Änderungsanträge, und andererseits den minimalen Konsequenzen, die diese Debatte für Veränderungen am Text hat. zen. Vgl. Alois Berger: „Die EU hat kein Recht auf die EG. Europäische Gemeinschaft oder Europäische Union? “ In: taz, 26.11.1993. Berger berichtet über den „semantischen Kampf* zwischen den Bezeichnungen EG und EU, dabei auch über die Absicht des britischen Premiers Major, mit der Bezeichnung EG sparsam umzugehen: „Dahinter steckt der Gedanke, daß die EG-Behörden sich weiterhin mit ihren angestammten Aufgaben beschäftigen sollen und alles Zusätzliche, was der Maastrichter Vertrag so bringt, in der Union behandelt wird.“ 322 Für Außenstehende ist kaum nachzuvollziehen, warum bei einem syntaktischen komplizierten Satz wie „Es wird mittlerweile klar erkannt und akzeptiert, daß der Europäische Binnenmarkt keinen Selbstzweck darstellt, sondern vielmehr ein Mittel zur besseren Sicherung sowohl des wirtschaftlichen Fortschritts als auch des sozialen Wohlstands überall in der Gemeinschaft ist, und daß ein dauerhaftes Modell einer sozialen Marktwirtschaft für die ganze Gemeinschaft gleichermaßen auf freiem Unternehmertum und wirtschaftlichem Wachstum sowie auf sozialen Grundrechten, sozialem Konsens und Zusammenhalt beruhen muß“ (aus Ziffer 1.3.), der in unverbindlicher Programmatik zu verharren scheint, von den Beteiligten in der Sitzung so hartnäckig über alternative Formulierungen mit minimaler semantischer Differenz verhandelt wird. Für die Beteiligten ist dieses durchaus relevant: Diese Debatte im WSA ist für Gewerkschaftler und Arbeitgeber eine der wenigen Chancen im EG-Bereich, den Kurs der europäischen Sozialpolitik ein winziges Stück in die eine oder andere Richtung zu verändern. Dann sind vage Formulierungen zur Mehrheitsbeschaffung unverzichtbar; zugleich werden sie in der Textarbeit aber trotz ihrer Vagheit oft als Versuche interpretiert, bestimmte Setzungen und Wertungen, die nicht „common sense“ sind, für EG-politische Folgerungen und Forderungen als Prämissen festzuschreiben. 8. Schlüsselwörter der europäischen Einigung Der Prozeß der europäischen Einigung ist ins Stocken geraten, die Akzeptanz der Politischen, Wirtschafts- und Währungsunion ist bei den Bevölkerungen der einzelnen Mitgliedstaaten gesunken. »Euro-Pessimismus« und »Euro- Skeptizismus« machen sich allerorten breit, die »Eurokritiker« gewinnen in vielen EG-Mitgliedstaaten an Boden und Stimmen. Infolge des »Maastrichter Vertrages«, der in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1991 ausgehandelt wurde, und im Zuge des zum 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Binnenmarktes sowie der seit 1. November 1993 bestehenden »Europäischen Union« wurden gewichtige Kompetenzen in der Wirtschafts- und Währungspolitik, aber auch in der Sozial- und Verteidigungspolitik von den einzelnen Mitgliedstaaten auf die Europäische Gemeinschaft verlagert. Das wurde von vielen Wirtschaftsführem, Währungshütem und nicht zuletzt von um ihre nationalen Kompetenzen oder regionalen Pfründe fürchtenden Politikern en detail oder en bloc kritisiert, auch viele Bürger der EG-Mitgliedstaaten fühlten sich angesichts der in Maastricht geschaffenen Realitäten unwohl. 8.1 »Maastricht«: Widerstand gegen die EG als Sprachkampf Der Ortsname „Maastricht“ steht in metonymischer Verwendung für all das, was in seinen Verträgen festgehalten wird. Der Kampf gegen »Maastricht« 1 wird von seinen Gegnern auch auf sprachlicher Ebene geführt: Semantische Umdeutung erfährt die niederländische Stadt etwa bei dem sozialistischen 1 Die metonymische Verwendung von Ortsnamen ist im Jargon der Europäischen Gemeinschaften weit verbreitet: „Lome“ steht für die Assoziationsabkommen der EG mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen („AKP-“) Staaten, weil der erste Vertrag („Lome I“) am 28. Februar 1975 in der togolesischen Hauptstadt unterzeichnet wurde. Die Folgeabkommen wurden entsprechend als „Lome II“, „Lome III“ bezeichnet. Derzeit gilt für den Zeitraum 1990-2000 „Lome IV“. Auch die Basis der Gemeinschaft, die Verträge, die zur Gründung von EWG und EURATOM führten, werden nach ihrem Entstehungsort „Römische“ (seltener: „Römer“) Verträge genannt. Im Zuge der Schaffung des Binnenmarktes erhielt der kleine luxemburgische Ort Schengen „Weltruhm“: Unter „Schengen(er Abkommen)“ wird eine Übereinkunft zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und den Beneluxstaaten verstanden, in der eine nach der Öffnung der Grenzen für notwendig erachtete - Angleichung der nationalen Rechtsprechungen bei Asyl-, Ausländer-, Drogen-, Einwanderungs- und Waffengesetzgebung angestrebt wird. Andere Metonymien wie Comblain-la-Tour (wichtig für »Harmonisierungsbestrebungen«) waren nur ephemerer Natur. Allerdings ist relativierend zu sagen, daß metonymische Verwendung von Ortsnamen nicht auf die EG beschränkt ist: man vergleiche Versailles, Bretton Woods, Helsinki etc. auch diese werden sowohl neutral als auch positiv oder negativ besetzt verwendet. Die Metonymie ist gegenüber der Metapher (Canossa, Waterloo u.a.) dadurch gekennzeichnet, „daß für das verbum proprium ein anderes Wort gesetzt wird, dessen eigentliche Bedeutung mit dem okkasionell gemeinten Bedeutungsinhalt in einer realen Beziehung [...], also nicht in einer Vergleichsbeziehung [...] wie bei der Metapher steht“ (Lausberg 1990, 292). 324 französischen Ex-Minister Jean-Pierre Chevenement, einem vehementen Einigungsgegner 2 , wenn er in phonetischer Verballhornung von masse-trique .dicker Knüppel* spricht und dieses Wortspiel zur Verdeutlichung seiner Ablehnung einsetzt (Fritz-Vannahme 1992, 9). Andere französische EG-Gegner äußern ihre Ablehnung des Unionsabkommens mit einer grundsätzlich falschen Aussprache des Städtenamens: statt (korrekt) von [ma: s'trikt] zu sprechen, prononcieren sie (absichtlich) falsch [ma: s'trijt]. In den Ländern, in denen die Bevölkerung zur Mitsprache zu »Maastricht« aufgerufen war, war das Echo bestenfalls zwiespältig. In einem ersten Referendum verweigerten Dänen dem Vertragswerk ihre Zustimmung, stimmten Franzosen nur mit äußerst knapper Mehrheit zu, und lediglich die Iren, die von der EG unzweifelhaft profitieren, versahen das europäische Vertragswerk mit einem eindeutig positiven plebiszitären Votum. Selbst die Schweizer versagten unter dem Einfluß von »Maastricht« ihrer Regierung die Gefolgschaft in der Frage des Beitritts zum »Europäischen Wirtschaftsraum« (also gewissermaßen der »Vorstufe« zur EG). In der Mehrzahl der Mitgliedstaaten hingegen fiel die Entscheidung zu den Unionsverträgen in den Parlamenten, die Repräsentativdemokratie blockte (eventuell vorhandene) ablehnende Bevölkerungsmeinungen mithin ab. Die Argumente der Gegner waren dabei entweder national begründet (»Preisgabe nationaler Souveränität«) oder wirtschaftlicher Natur (weitverbreitete Skepsis gegenüber einer zu schaffenden gemeinsamen Europäischen Währung, dem Ecu); Verbraucher-, Umwelt- und Datenschützer fürchteten, mühsam gewonnenes Terrain zu verlieren (Rückschritte auf in EG-Verordnungen verankerte Mindeststandards zu Lasten weitergehender nationaler Rechtsprechung); dazu kamen eher staatspolitische Bedenken (Demokratiedefizit der nichtgewählten Bürokraten) und verteidigungspolitische Sorgen (angestrebte Verteidigungsunion nach dem Vorbild der deutsch-französischen Eurocorps). 8.2 »Schlüsselwörter« versus »Plastikwörter« Dies wurde und wird von den am europäischen Einigungsprozeß beteiligten Politikern durchaus gesehen, und so beeilte man sich, bei Schwachstellen im Maastrichter CEuvre nachzubessem. In den darauffolgenden Tagungen des Europäischen Rates in Lissabon (26./ 27. Juni 1992), Birmingham (16. Oktober 1992) und Edinburgh (IL/ 12. Dezember 1992) wurde politische Ursachenforschung betrieben und wurden linguistisch gesehen - Begriffe und semantische Felder besetzt. 3 Es herrschte Konsens, daß die Ware »Europa« 2 Diese Etikettierung wird hier verkürzend und unreflektiert übernommen. Wie so viele, ist natürlich auch Chevenement kein Gegner einer »Europäischen Einigung«, sondern ein Befürworter, aber unter anderen Bedingungen, korrekt müßte man also sagen, ein »Maastricht-Gegner«! 3 Die Formulierung »Besetzen von Begriffen« geht auf den damaligen CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf zurück, der anläßlich des 22. Bundesparteitags der CDU am 18.11.1973 diese Metapher kreierte (Klein 1991,44): 325 die richtige sei, die Verkaufsstrategie aber offenbar die Adressaten nicht im gewünschten Maße erreiche. Als »Erklärungshilfen« wurden Schlüsselwörter geprägt oder auserwählt, die fortan die Diskussionen über den europäischen Einigungsprozeß begleiten sollten: Mit Hilfe des Subsidiaritätsprinzips sollte eine Politik der Harmonisierung seitens der EG-Institutionen nicht nur verwirklicht, sondern auch positiv dargestellt werden (um der Negativkonnotation »Gleichmacherei« zu entgehen); es wurden Konzepte einer Demokratisierung entworfen, die den »Eurobürgem« begrifflich zu machen versuchten, warum sie denn nicht selbst in der Lage sein sollten, in demokratisch legitimierter direkter Wahl ein Parlament zusammenzustellen, dessen Kompetenzen denen ihrer jeweiligen Pendants in den Ländern wenn schon nicht entsprechen, dann doch zumindest nahe kommen könnten. Nur so, vermeinten die Europapolitiker, sei ihren Untertanen die europäische Idee schmackhaft zu machen, deren Verwirklichung ein Europa der Bürger sein wird oder sein soll. Dieses Europa soll den Bürgern neben der Wirtschafts-, Währungs-, Verteidigungs- und Politischen Union einen Europäischen Sozialraum bescheren (aber da hatten die Briten ja schon in Maastricht etwas dagegen...) und schließlich bis zum Jahre 1999 eine allen gemeinsame Währung, den/ die EculECU (European Currency Unit 4 ), verbindlich machen. Sich selbst nahmen Politiker und Eurokraten in die Pflicht, sich diesen »gigantischen Herausforderungen« zu stellen und sie um des gemeinsamen großen Zieles, der Vollendung der Europäischen Union, willen zu meistern. Die Existenz von Schlüsselwörtern wird schon bei Peter von Polenz in seiner mittlerweise »klassischen« Geschichte der deutschen Sprache erörtert. Polenz führt Kommunikationsprobleme zwischen bundesrepublikanischem und DDR-Deutsch vor allem „auf dem Gebiet der Semantik des Wortschatzes der politischen Ideologien“ 5 u.a. auch auf die divergierende „Revolutionen finden heute auf andere Weise statt. Statt der Gebäude der Regierungen werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert...“ (zitiert nach Klein 1991,46). An dieser Stelle setzt laut Protokoll - Beifall ein, so daß der Satz unvollendet bleibt. In einer späteren Publikation greift jedoch Biedenkopf die „Metapher [...] aus einem kriegerischen, revolutionären und aggressiven Kontext“ (Kuhn 1991, 91) noch einmal auf: „Wir erleben heute eine Revolution, die sich nicht der Besetzung der Produktionsmittel, sondern der Besetzung der Begriffe bedient. Sie besetzt Begriffe und damit die Informationen in der freien Gesellschaft, indem sie die Medien besetzt, die Stätten also, in denen das wichtigste Produkt einer freien Gesellschaft hergestellt wird: die politische Information.“ (Biedenkopf 1982, 191) Seither werden Begriffe wie Demokratie, Gleichheit, Sicherheit, Umwelt etc. von politischen Parteien im parteipolitischen Sinne semantisiert und bei der Jagd nach Wählerstimmen eingesetzt. Interessant hierbei ist vor allem, daß auch der „politisch eher indifferente Ausdruck Europa“ (Vogt 1991, 276) im Europawahlkampf 1989 von der SPD mit dem Slogan „Wir sind Europa“ besetzt wurde, auch wenn dieser „relativ neutrale Name [...] erst emotionalisiert werden“ mußte (Holly 1991,258). 4 Aus den weiter unten näher erläuterten terminologischen Gründen gilt hier als konventionalisierte Schreibweise: der Ecu (mit Ausnahme von Zitaten). 5 Hervorhebung bei Polenz. 326 Interpretation des sich ständig wiederholenden Lexikons an; Frieden, Recht, gerecht, Demokratie, fortschrittlich, Freiheit, freiwillig, Humanismus, Gesellschaft, wissenschaftlich, diskutieren, aufklären u.a. seien politische „Schlüsselwörter“, die in ihrer Polysemie nicht nur systembedingt unterschiedlich interpretiert würden, sondern die auch im politischen Diskurs der Bundesrepublik „auf bestimmte Gebrauchsbedingungen hin ideologisiert worden“ seien (Polenz 9 1978, 180). Der Terminus Schlüsselwörter kann in ähnlichem Sinne ohne Schwierigkeiten auf den Makrokosmos »Europa« übertragen werden, wo neben verschiedene ideologische Überzeugungen (wenngleich der Systemwettlauf West-Ost heute institutionell keine Relevanz mehr besitzt) nationale Befindlichkeiten, divergierende gesellschaftliche Wertvorstellungen, virulent diskrepierende merkantile Interessen und eine unterschiedlich stark ausgeprägte Affinität zur »europäischen Idee« treten. Eine griffige Erläuterung des Terminus Schlüsselwort findet sich auch bei Fritz Hermanns; Man könnte mit ihm er unternimmt das am Beispiel des »kulturellen Schlüsselwortes« Arbeit die Definition wie folgt formulieren als „eins der Wörter [...], von denen gilt, so ist zumindest zu vermuten, daß sie im Selbstverständnis aller Zeitgenossen [...] - oder doch so gut wie aller eine ganz zentrale Rolle spielen“ (Hermanns 1993, 44). Natürlich interessiert die europäische Integration nicht alle - und auch nicht „so gut wie alle“ - Zeitgenossen; diejenigen jedoch, die einigermaßen regelmäßig die Berichterstattung zum Thema »Europa« verfolgen, werden zwangsläufig immer wieder auf die gleichen Begriffe stoßen. Daß »Schlüsselwörter« auf internationaler Ebene eine wichtige Rolle spielen, belegt ein Glossar der International Chamber of Commerce, das ohne jegliche wissenschaftlich-theoretischen Ambitionen unprätentiös-pragmatisch nicht nur eine mehrsprachige Terminologie (beim Terminus selbst: key words, palabras claves, mots-des, termini chiave), sondern im Vorwort en passant auch eine Definition von »Schlüsselwort« liefert: „Naturgemäß hat der internationale Handel die Kommunikation von Personen unterschiedlicher Muttersprache zur Folge. Zahlreiche Wörter und Abkürzungen, im allgemeinen englischen Ursprungs, werden täglich gebraucht, aber viele Geschäftsleute kennen das entsprechende Wort in ihrer eigenen Sprache nicht. Außerdem fällt es vielen Geschäftsleuten schwer, sich in einer Fremdsprache richtig auszudrücken [...]. Um diese Probleme zu lösen und die internationale Verständigung zu erleichtern, gibt die ICC diese neue Ausgabe eines mehrsprachigen Spezialwörterbuchs heraus.“ (ICC 2 1985, 5) Nicht verwechselt werden sollten festumrissene »Schlüsselwörter« mit den von Uwe Pörksen ausgemachten »Plastikwörtem«, wie er sie in seinem Essay zur „Sprache einer internationalen Diktatur“ beschreibt. Laut Pörksen handelt es sich dabei um „konnotative Stereotype“, „eine kleine Gruppe von Wörtern“, denen die umgangssprachliche Verwendung ihre eigentliche Semantik genommen hat (Pörksen 1988, 11). Diese »Plastikwörter« hätten die Ten- 327 denz, „Sätze zu bilden, auch ohne Verben, die, wie man so richtig sagt, eine geringe Rolle spielen“ (Pörksen 1988, 78). Die von Pörksen zusammengetragenen Beispiele reichen von »Arbeit« 6 bis »Zukunft« (umfassen u.a. »Energie«, »Identität«, »Leistung«, »Problem« und »Wachstum«) und „sind auf beunruhigende Weise austauschbar“ (Pörksen 1988, 78f.). Die europäischen Schlüsselbegriffe hingegen sind streng definiert, stehen für termini technici im engeren Sinne und sind erst durch ihre inflationäre Verwendung und Benutzung im Begriffe, zu entsemantisierten Worthülsen zu verkommen und damit „verdächtig“ (Pörksen 1988, 41), zu Plastikwörtem zu degenerieren. Das heißt jedoch nicht zwangsläufig, daß auf »europäischer Ebene« auf Plastikwörter verzichtet würde oder verzichtet werden könnte. Vielmehr findet Schütte in einer einzigen »Mitteilung« der Kommission an Rat, Parlament und WSA 7 eine ganze Reihe von Europlastikwörtern, die er in zwei Gruppen aufteilt, in „konnotative“ und „argumentative“ Stereotype. Zu ersteren zählt er auf internationaler Ebene, internationales Umfeld, Herausforderungfen), Basis, Dimension, Initiative, langfristig von entscheidender Bedeutung und Strategie (Schütte 1993a, 108), zu letzteren unverzerrter Wettbewerb, Konvergenz der Wettbewerbsbedingungen, innergemeinschaftlicher Liberalisierungsprozeß, Bereitschaft zur Zusammenarbeit, Beseitigung von Handelshemmnissen, faire Rahmenbedingungen, harmonisierte Position der Gemeinschaft (Schütte 1993a, 108f.). Keineswegs soll hier aber dem "tragische[n] Irrtum der Fremdwortjäger“ (Polenz 1979, 15), die in allen Internationalismen ein Übel sehen, das Wort geredet werden. In den folgenden Kapiteln soll vielmehr eine kurze Darstellung einiger dieser Schlüsselwörter gegeben werden. Es soll der Versuch unternommen werden, zu ergründen, inwiefern historisch-etymologische Semantik und pragmatischer Kontextbezug der Begriffe Subsidiarität, Harmonisierung, Demokratisierung, Europa der Bürger und Ecu korrelieren und divergieren. Es soll darüber hinaus kurz dargestellt werden, wie diese Termini in Texten europäischer Institutionen, in Kommissionswerbematerialien, in Broschüren von Fraktionen europäischer Parteienzusammenschlüsse, in der Textaushandlung von EG-Organen, in der Metakommunikation (= in Interviews, sei es spontan, sei es auf Nachfrage) und schließlich in den Massenmedien verwendet werden, um der jeweiligen Einstellung - Europismus und Europhorik auf der optimistischsten über zurückhaltende Zustimmung, neutrale Beobachtung und leicht kritische Distanz bis hin zu Euroskeptizis- 6 Was wiederum beweist, daß ein Schlüsselwort (wie von Hermanns am Beispiel »Arbeit« beschrieben) ohne weiteres gleichzeitig ein Plastikwort im Sinne Pörkens sein kann. 7 Bei dem Dokument handelt es sich um die „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß: ,Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen““ [- KOM (91) 335 endg., Brüssel, 20.09.1991]. Siehe zu diesem Thema auch Kapitel 5 des vorliegenden Buches. 328 mus auf der pessimistischsten Seite als Argumentationsstruktur zu dienen. Es soll aufgezeigt werden, wie die genannten Schlüsselwörter dazu eingesetzt werden, die Idee von europäischer Einigung und Identität zu unterstützen oder zu untergraben, zu protegieren oder zu desavouieren, verständlich zu machen oder zu vernebeln, zu illustrieren oder zu karikieren und persiflieren. Des weiteren soll schließlich untersucht werden, ob und gegebenenfalls wie sie sich dazu eignen, die jeweils eigenen Interessen durchzusetzen oder aber Konsens und Ausgleich zu suchen sowie Kompromisse zu ermöglichen. 8.3 Subsidiaritätsprinzip 8.3.1 Etymologie des Begriffes Lange führte der Terminus Subsidiaritätsprinzip einen linguistischen Dornröschenschlaf. Der Wahrig führt nur die Termini subsidiär, subsidiarisch und Subsidiarismus und verweist unter Subsidiarität auf „Anwendung des Subsidiarismus auf die Kirchenverfassung“ (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Neuauflage 1980, München: Mosaik, S. 1250). Interessanterweise ist letzteres Lemma in die Neubearbeitung von 1986 nicht mehr (! ) aufgenommen worden. Im Duden (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Auflage 1989, Mannheim u.a.: Duden, sowie identisch Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in sechs Bänden, 1981 Mannheim u.a.: Bibliographisches Institut) findet man neben subsidiär, subsidiarisch und Subsidiarismus unter Subsidiaritätsprinzip den Verweis -^„Subsidiarität (1)“ und dortselbst die Definition: „Subsidiarität, die; 1. (Politik, Soziol.) gesellschaftspolitisches Prinzip, nach dem übergeordnete gesellschaftliche Einheiten (bes. der Staat) nur solche Aufgaben an sich ziehen dürfen, zu deren Wahrnehmung untergeordnete Einheiten (bes. die Familie) nicht in der Lage sind. 2. (Rechtsw.) das Subsidiärsein einer Rechtsnorm." (Duden 1989, 1495 bzw. 1981,2538). Deutlicher wird lediglich ein Standardwerk der Lexikologie: Der Brockhaus Wahrig in sechs Bänden (1984, Wiesbaden: Brockhaus und Stuttgart: dva) bringt im sechsten Band, S. 132, folgende Erläuterungen: „Sub-si-dia'ris-mus <m.; Pol.; Soziol.> Gesellschaftsordnung nach dem Subsidiaritätsprinzip [zu subsidiär] Sub-si-dia-ri'tät <f.; -; unz.> 1 <Pol.; Soziol.> Subsidiaritätsprinzip 2 <kath. Kirchenrecht» Anwendung des Subsidiarismus auf die Kirchenverfassung 3 <Rechtsw.> Form der Gesetzeskonkurrenz bei Straftaten [zu subsidiär] Sub-si-dia-ri'täts-prin-zip <n.; -; unz.; Pol.; Soziol.> Grundsatz, daß übergeordnete Gemeinschaften nurfür Aufgaben zuständig sein sollen, die nachgeordnete Gemeinschaften (bzw. die einzelnen) nicht erfüllen können sub-si-di'är <Adj. 24; bildungsspr.> oV subsidiarisch <veraltend> 1.1 unterstützend', ~ eingreifen; ~e Maßnahmen 1.2 behelfsmäßig, zur Aushilfe 1.2.1 -es Recht <Rechtsw.> 329 R., das erst dann angewendet wird, wenn eine bestimmte andere Rechtsquelle keine Vorschrift enthält [< lat. subsidiarismus ,zur Reserve gehörig“; zu subsidium; sSubsidium] sub-si-dia-risch <[—'—] Adj. 24; bildungsspr.; veraltend> = subsidiär''^ Der Begriff Subsidiaritätsprinzip selbst stammt aus dem deutschen Sprachraum und wurde von Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteier, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und späterer Bischof von Mainz, 1848 geprägt. Das Wort Subsidaritätsprinzip hielt Einzug in die katholische Soziallehre, die mit der päpstlichen Enzyklika Rerum novarum Leos XIII. vom 15. Mai 1891 begründet wurde. Dieses Rundschreiben beschäftigte sich mit der Verelendung des Industriearbeiterproletariats, deren Ursachen die Kirchengewaltigen im hemmungslosen Wirtschaftsliberalismus sahen. Als Lösung der sozialen Frage wurde in Ablehnung und zur Abwehr marxistischer Ansätze die Koalitionsfreiheit der unteren Schichten postuliert, die sich in »Selbsthilfegruppen« (wie man wohl heute sagen würde) in Solidarität versammeln sollten (etwa in den Kolping-Vereinen) und nach eben diesem Subsidiaritätsprinzip versuchen sollten, all jene Aufgaben und Vorhaben, die der Staat nicht lösen konnte, auf einer untersten Ebene in Eigenregie zu lösen bzw. zu verwirklichen. Exakt auf den Tag vierzig Jahre später (am 15. Mai 1931) - Faschismus und Kommunismus waren auf dem Vormarsch und strahlten immer stärkere Attraktivität auf die von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit betroffenen Bevölkerungen aus griff der damals residierende Papst Pius XL auf die Enzyklika Rerum novarum zurück. In einer Art Fortschreibung, in Quadragesima anno, formulierte er zur Abwehr totalitärer Systeme und zur Stärkung der katholischen Glaubenslehre die Subsidiarität als Zuständigkeitsprinzip der Gesellschaft im Sinne von Förderung der Eigeninitiative und Hilfe zur Selbsthilfe. 9 8 Während der redaktionellen Überarbeitung dieses Kapitels erschien (nach »Maastricht«) Band 21 dev Brockhaus-Enzyklopädie (19. Auflage), in der dem Stichwort „Subsidiaritätsprinzip“ ein längerer Beitrag gewidmet ist (Unterpunkte: 1) kath. Soziallehre, 2) Recht). Dabei wird explizit das europäische Gemeinschaftsrecht und insonderheit der Maastrichter Vertrag hervorgehoben, und entgegen den sonstigen enzyklopädischen Gepflogenheiten wird hier sogar wertend kommentiert: „Der geänderte Art. 3 b des EWG-Vertrages bestimmt, daß die Gemeinschaft in Bereichen, die nicht in ihre ausschließl. Zuständigkeit fallen, nach dem S. nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können. Da die Einhaltung der S. bei Verordnungen und Richtlinien der EG kaum sinnvoll vom Gerichtshof der EG überprüft werden kann, erwartet man, daß sich daraus eine Verringerung der >Brüsseler< Regelungen nur ergeben wird, wenn die EG-Kommission sich bei ihren Vorschlägen eine gewisse Selbstbeschränkung auferlegt.“ (S. 396) 9 Daß semantisch mit dem Begriff Subsidiaritätsprinzip schon damals Etikettenschwindel betrieben wurde, machen nicht zuletzt die vom gleichen Papst zu verantwortenden Lateranverträge und der Abschluß des Reichskonkordats, mit dem das faschistische System Italiens bzw. die nationalsozialistische Diktatur Deutschlands internationales Renommee erfuhren, deutlich. Das in der Quadragesima anno postulierte Subsidiaritätsprinzip diente also vor allem dem Kampf gegen sozialistische Ideen, totalitäre faschistische Systeme blieben zunächst (bis zur 1937 übrigens in Deutsch verkündeten Enzyklika Mit bren- 330 8.3.2 Das »Subsidiaritätsprinzip« als Teil des Föderalismus im deutschen Sprachraum In der von der katholischen Kirche vorgegebenen Definition erfuhr der Begriff »Subsidiarität« Eingang in die Rechtsprechung. All das, was der Staat nicht oder nur schlechter als untere Instanzen bewerkstelligen konnte, sollte (Bundes-)Ländem, Gemeinden, kirchlichen Institutionen etc. überlassen werden. Das führte dazu, daß heute oftmals Subsidiaritätsprinzip und Föderalismus gleichgesetzt werden, was vor allem in Staatswesen, in denen eher zentralistische Strukturen denn föderaler Aufbau herrschen, immer wieder Irritationen hervorruft. So formuliert etwa der bayerische Ministerialdirektor Kurt Scheiter in einem Referat über Subsidiarität anläßlich eines Seminars beim Royal Institute of International Affairs 10 recht unmißverständlich: „Föderalismus ist das Gestaltungs-Prinzip für das Europa der Zukunft. Denn ohne föderale Strukturen in der EG - und zwar auch unterhalb der Ebene der Mitgliedstaaten kann sich das Subsidiaritätsprinzip als Handlungsprinzip nicht entfalten. Wir brauchen möglichst viele ,kleine Einheiten“, die Aufgaben übernehmen können. Und deshalb ist für uns staatliche und gesellschaftliche Selbstverwaltung die notwendige Ergänzung von Föderalismus und Subsidiarität. Nur in einem föderalistisch aufgebauten Europa wird die Vielfalt in der Einheit erhalten bleiben, die wir wollen.! ...] Ein föderalistisches Europa bleibt überschaubar, begreifbar und bürgemah.“ (Scheiter 1990, 218) Die hier insinuierte Aufwertung Bayerns in einem »Europa der Regionen« postuliert weit weniger unverhohlen der seinerzeitige Vorsitzende der CSUnahen Hanns-Seidel-Stiftung, Fritz Pirkl, unter dem Mantel von »Subsidiaritätsprinzip« und »Föderalismus«: „Der Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Handelns und, in engstem Zusammenhang damit, die föderative Balance der öffentlichen Gewalten auf europäischer Ebene, unterstützt von einem durchdachten Föderalismus-Konzept, sind hierbei von herausragender Wichtigkeit. Die Erkenntnis, daß die Stichworte Subsidiarität, Föderalismus und Regionalismus in einem politisch vereinten Europa die Wahrang menschlicher Verhältnisse in historisch gewachsener Vielfalt bedeuten, hat mittlerweile sogar in den zentralistisch ausgerichteten Staaten Europas Boden gewonnen. Im föderativen Staatsaufbau Deutschlands ist darauf zu achten, daß ein Vereintes Europa nicht eine Infragestellung der Staatsqualität der Bundesländer nach sich zieht. Die Bundesländer sind durch ihre Forderung nach gesicherter Mitwirkung an der Europapolitik des Bundes und an den Entscheidungen auf Gemeinschaftsebene desto effektivere Anreger einer föderativen europäischen Ordnung, je geläufiger die von ihnen getragenen Gedanken der Subsidiarität und des Föderalismus auch unseren europäischen Nachbarn werden. nender Sorge) von der päpstlichen Kritik verschont, solange sie die katholische Kirche gewähren ließen. 10 Es handelt sich hier wohlgemerkt um ein Referat, das vor »Maastricht« gehalten wurde. 331 Der Freistaat Bayern sieht eine wesentliche europapolitische Aufgabe darin, solchen Leitgedanken für das Europa der Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen.“ (Pirkl 1992, 6) Andererseits sind aber auch von deutschsprachiger (denn in diesem Fall wohl österreichischer) Seite kritische Stimmen zu vernehmen, die den zwangsläufigen Zusammenhang zwischen Subsidiaritätsprinzip, Föderalismus und Regionalismus so einfach nicht akzeptieren wollen, wie etwa Hummer/ Bohr (1992, 67): „So einfach ist das also: zuerst postuliert man die Subsidiarität als Handlungsprinzip, das dann den Föderalismus als Gestaltungsprinzip nach sich zieht und anschließend bedingen beide Kriterien eine notwendige Regionalisierung Europas. Wenngleich diese Schlußfolgerung bloß auf der Ebene politischer Postulate angesiedelt ist, ist der in ihr angelegte .Automatismus“ der gegenseitigen Bedingtheiten zwischen diesen drei Konzepten nicht schlüssig.“ Dennoch scheint offenbar von deutscher Rechtsauffassung ausgehend in diesem Sprachraum etwas vorhanden zu sein, das der Mühe wert ist, auf das Gemeinsame Europa übertragen zu werden. Knapp, bündig und entsprechend selbstbewußt erkennt Knemeyer (1990, 449): „Föderalismus und Subsidiarität, aber auch Dezentralisation gehören in der Bundesrepublik wie in Österreich und der Schweiz zum Alltagswortschatz der Politiker. In ihren Ausformungen werden sie in der Öffentlichkeit tagtäglich erlebt. Auch die Untergliederungen in Belgien, die italienischen Regionen und die spanischen Comunidades Autonomas sprechen für Föderalismus und Subsidiarität. Erst langsam aber wird das von deutschen Politikern als Magna Charta für Europa bezeichnete Subsidiaritätsprinzip von den europäischen Institutionen zur Kenntnis genommen.“ 8.3.3 Das »Subsidiaritätsprinzip« in der EG Auf europäischer Ebene war das Subsidiaritätsprinzip bis vor kurzem reichlich unbekannt. Es tauchte ausdrücklich nur in der europäischen Umweltgesetzgebung auf. Artikel 130r Abs. 4 des EWG-Vertrags lautet: „Die Gemeinschaft wird im Bereich der Umwelt insoweit tätig, als die [...] genannten Ziele besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können als auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten“ (zitiert nach Grunwald 1991, 32). Man beruft sich mithin auf den .„Grundsatz der Suche nach der bestgeeigneten Aktionsebene‘, auch als ,Subsidiariätsprinzip‘ oder ,BesserklauseF bezeichnet“ (Oppermann 1991,745). 11 Das änderte sich mit dem Maastrichter Vertrag, in den das Subsidiaritätsprinzip in Artikel 3b EGV ausdrücklich Aufnahme fand. Galt bisher das Subsidiaritätsprinzip den Bürokraten „als eine Besonderheit der von ihrem föderalen Staatsauftau geprägten Deutschen“ (Schmidhuber 1992, 25), so spürten nunmehr auch Europa-Veteranen aus anderen Staaten, wie der belgi- 11 Hervorhebungen vom zitierten Verfasser. 332 sehe christdemokratische Europaparlamentarier Leo Tindemans, daß das Thema Subsidiarität auf einmal „brandaktuell“ wurde und „im Mittelpunkt aller Gespräche steht“ (Tindemans 1992, 7). Der damalige niederländische Justizminister sah in der Subsidiarität „die Ablehnung sowohl einer Politik, die alle Vielfalt absorbiert, als auch einer Politik [...] des laissez-faire, laissez-aller, der gegen den Staat in all seinen Formen gerichtet ist“ (Hirsch- Ballin 1992, 17), und ein französischer Ex-Präsident rückte gar das Wort „Effizienz“ in die Umgebung des Subsidiaritätsprinzips (Giscard d’Estaing 1992, 41). Kurzum: Seit Maastricht ist der Begriff zu einem „geflügelten Wort geworden“, wie Egon Klepsch, der damalige Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, befand (Klepsch 1992, 38). Eiligst wurde in der Kommission eine »Mitteilung an den Rat und an das Europäische Parlament« (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c) verfaßt. In dieser „Arbeitsunterlage“ werden von der Kommission Anwendungsbereich und Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips in folgenden Bereichen behandelt: „Ausarbeitung von Rechtsvorschriften, Durchführung von Gemeinschaftspolitiken sowie finanzielle und sonstige Kontrolle der Gemeinschaftstätigkeit“ (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c, 1). Das Subsidiaritätsprinzip wird hier explizit als einer der drei Pfeiler neben der Stärkung der demokratischen Kontrolle sowie mehr Transparenz bei der gemeinschaftlichen Gesetzgebung und sonstigen Maßnahmen für die Verwirklichung der Europäischen Union angesehen. Auf insgesamt (iii+) 21 Seiten (in der deutschen Version) versucht die Kommission den Begriff »Subsidiaritätsprinzip« zu (er)klären und den Anwendungsbereich sowie die daraus resultierenden Probleme darzustellen. Darin wird u.a. festgehalten, daß laut Artikel 3b, Absatz 1 des Maastrichter Vertrags, „eine erste allzu oft verkannte - Auswirkung des Subsidiaritätsprinzips [...] die einzelstaatliche Zuständigkeit die Regel und die Gemeinschaftszuständigkeit die Ausnahme [ist]“ (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c, 3). Als problematisch erachtet die Kommission die konkrete Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips aufgrund des Fehlens einer Zuständigkeitsliste und der Abgrenzungsproblematik »ausschließliche« versus »konkurrierende Zuständigkeiten« (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c, 3f.). 12 Das Subsidiaritätsprinzip wird zweidimensional definiert: Es deckt zwei unterschiedliche Rechtsbegriffe ab, die „leicht verwechselt werden“ (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c, 4): 12 Gerade hier sehen auch deutsche Kritiker der Maastrichter Beschlüsse im Subsidiaritätsprinzip lediglich einen „vagen Formelkompromiß“, der „falls überhaupt einklagbar [...] dem bisher recht zentralistisch gestimmten Europäischen Gerichtshof bei der Auslegung großen Spielraum“ läßt (Rath 1993, 24f.). 333 (1) die Notwendigkeit des Handelns (wobei die Gemeinschaft den Beweis erbringen muß, daß ihr Eingreifen [gegen einzelne Mitgliedstaaten] begründet ist, was nur bei »ausschließlicher Zuständigkeit« möglich ist); (2) die Intensität des Handelns (Verhältnismäßigkeit der Mittel: Vorrang von Unterstützungsmaßnahmen gegenüber Reglementierung, von gegenseitiger Anerkennung gegenüber Harmonisierung, von Rahmenrichtlinien gegenüber detaillierten Regelungen etc.) (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c, 4f.). Ausdrücklich hält die Kommission fest, daß das Subsidiaritätsprinzip nicht als Blockadeinstrument dienen dürfe: „Die Subsidiarität darf nicht herangezogen werden, um das Entscheidungsverfahren zu blockieren; sie ist lediglich ein Entscheidungskriterium und muß zusammen mit anderen Elementen (Rechtsgrundlage, Bestimmungen) unter Einhaltung der für den betreffenden Vorschlag geltenden Abstimmungsregeln geprüft werden. Erst wenn das Parlament oder der Rat ,Allgemeine Angelegenheiten“ nach Prüfung eines Vorschlags der Auffassung sind, daß das Subsidiaritätsprinzip nicht beachtet wurde, sollte die Kommission ihren Vorschlag unter diesem Aspekt erneut prüfen, sofern eine ausdrückliche Aufforderung hierzu ergeht. Darüber hinaus muß der Kommission im Rahmen der interinstitutionellen Zusammenarbeit die Möglichkeit gegeben werden, ,Alarm zu schlagen“, wenn Abänderungen des Rates und des Parlaments gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen. Zu diesem Zweck sollte auch ihr Recht anerkannt werden, Vorschläge zurückzuziehen.“ (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c, 20) 8.3.4 Sprachliche »Integration« vs. »Mißbrauch« des Terminus »Subsidiaritätsprinzip« Sprachlich konnte der Terminus »Subsidiaritätsprinzip« problemlos in die meisten Systeme integriert werden: engl, principle of subsidiarity, frz. principe de subsidiarite, it. principle di sussidiarietä, port, principle de subsidiariedade und span, principle de subsidiaridad folgen dem deutsch-lateinischen Muster. Im Dänischen und Niederländischen wurden Lehnübersetzungen, ncerhedsprincip(pet) bzw. subsidiariteitsbeginsel gewählt, lediglich das Griechische fällt ganz aus dem Rahmen: xfjt; cmpjtAripMpuxTiKÖxri'tai; . 13 13 Wie eindeutig der Terminus Subsidiaritätsprinzip auf das Territorium der EG beschränkt ist, zeigt ein Blick in Fachwörterbücher zu Sprachen von Mitgliedstaaten in sehr naher Zukunft (ein schwedisches Fachwörterbuch für Recht und Wirtschaft, Parsenow 1985, führt nur Subsidien, sd. subsidier und Subsidienabkommen, sd. subsidiefördrag), in möglicherweise absehbarer Zeit (ein slowenisches Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Apovnik/ Kamicar 1989, nennt immerhin Subsidarität(sgrundsatz), sin. (nacelo) subsidiarnost(i)) oder eher noch sehr ferner Zukunft (ein analoges russisches Wörterbuch, Decsy/ Karcsay 1985, nennt Subsidiarität, russ. vspomogatel’nyj Charakter; subsidiärnost'). Als „Prinzip“ ist die Subsidiarität in keiner dieser Sprachen verankertdie Wortbildungsmöglichkeiten jener Sprachen lassen eine bedenkenlose Übertragung zu gegebener Zeit befürchten. Dagegen etwa nennt ein deutsch-niederländisches Juridisch 334 Ein komplizierter Begriff wie Subsidiarität fordert zum sprachlichen Mißbrauch geradezu heraus. Nationale Interessen und wirtschaftliches Hegemoniestreben werden unter dem Schutzmantel »Subsidiarität« ebenso verborgen wie Argumentationsstrategien, um skeptischen Bürgern die Angst vor dem bürokratischen Moloch »Europa« zu nehmen. Sehen Deutsche durchaus einen Zusammenhang zwischen Subsidiaritätsprinzip und Föderalismus, also Kompetenzenverlagerung nach »unten«, verstehen Briten unter federalism eher eine Bündelung von Macht in der nationalen Zentrale: „Die Briten - Schotten ausgenommen empfinden auch keine regionalen Stammesloyalitäten wie etwa Bayern oder Rheinländer. Während in Deutschland das Subsidiaritätsprinzip bis hin zur Aufgabenteilung zwischen Länderregierungen und Europäischer Gemeinschaft unter weitgehendem Ausschluß der Bundesregierung betrachtet werden kann, bedeutet subsidiarity* für die Briten ein Höchstmaß an Entscheidungsbefugnis für die Londoner Regierung.“ (Jenkins 1991,44) Auch den ansonsten (für britische Verhältnisse) dem europäischen Einigungsprozeß wohlgesonnenen European befällt ein ungutes Gefühl, wenn er dieses „ugly word with an honourable purpose and a marginally exotic past“ beschreibt, dessen Interpretationsspielraum anläßlich des Birminghamer Gipfels ausgereizt werden sollte: „The virtues of the S-word were sung by Prime Minister Major, Chancellor Kohl, President Mitterrand and Delors. Warnings by lawyers, of the dangers of taking a religious principle and converting it into a legal text, were ignored. [...] Britain, despite holding the EC presidency and taking the decision to hold the summit, found support only from Denmark in its determination that the subsidiarity doctrine should mean a shift of the Community’s existing powers back to national governments. Germany and France did accept the need to make the Community more voter friendly and ensure that the Brussels elite does not lose touch with the people of Europe. But, President Mitterrand insisted that subsidiarity should not have a legal status nor weaken the Community and Chancellor Kohl insisted it should not involve a repatriation of powers. Others, including the Netherlands, Belgium, Luxembourg and Spain, are determined to block any attempt to trim the powers of the Commission, a body they believe helps give a voice to the Community’s power and smaller members.“ 14 Woordenboek (Scheer 1989) das Prinzip in der Entsprechung subsidariteitsbeginsel, während in einem einschlägigen EG-Glossar, das sich insbesondere an Übersetzer wendet (Zerwes 1989), der Terminus offenbar im Gegensatz etwa zu subsidiary (arrangements, body, companies, means of organizing work etc.) und subsidization nicht aufgeführt wird, ein wohl untrügliches Signal für die Tatsache, daß der Begriff weder als fachspezifisch noch als problematisch bei der Übersetzung empfunden wird. 14 So what in the world does „subsidiarity“ mean? Who does what, and at what level... In: The European, Special Guide No. 1 (1992): Maastricht Made Simple, 34-35. 335 Unbestritten ist, daß das Subsidiaritätsprinzip auf Initiative des EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors als einer der Kernpunkte der angestrebten Politischen Union Eingang in die Vertragswerke gefunden hat (Cwik 1991, 413). Daß er aber nicht von alleine auf die Idee gekommen ist, wird gerne im Freistaat Bayern betont. So hat unlängst dessen Europaminister Thomas Goppel herausgestrichen: „Hätte nicht Jacques Delors nach seinen Gesprächen mit Franz Josef Strauß und Max Streibl in den Jahren 1988/ 89 das Subsidiaritätsprinzip aufgegriffen und europaweit bekannt gemacht, wäre nach dem knappen Ausgang des Dänemark- und Frankreich-Referendums die pro-europäische Kraft in Edinburgh nicht genügend mobilisierbar gewesen. Aus diesem Grunde sollen die Kritiker des Subsidiaritätsprinzips, die sich leichtfertig einen Alleinvertretungsanspruch was die Ratio betrifft zumessen, auf der Grundlage ihrer politischen Erfahrung und ihres Urteilsvermögens der Frage nachgehen, wo wir stünden, wenn Edinburgh zum Mißerfolg geworden wäre! Die sophistische Relativierung des Subsidiaritätsprinzips nutzt keinem. Auch seine Befürworter wissen um seine Mängel. Wir haben das Subsidiaritätsprinzip nur deshalb in der Argumentation nach vorne gebracht, weil andere EG-Mitgliedstaaten keine föderale Erfahrung haben und ihnen von daher das Vorstellungsvermögen für das reibungslose Funktionieren einer föderalen Struktur fehlt. Auch hat der Begriff .federalism' im Englischen die Bedeutung des deutschen Begriffs .Zentralismus', will das Gegenteil von dem, was wir unter Föderalismus verstehen.“ (Goppel 1993, 10f.) Sollte auch nie endgültig zu klären.sein, ob nun bayerischer Föderalismus oder die „Denktank-Küche von Kommissionspräsident Delors geradezu verschwörerisch ,Prospektivzelle 1 geheißen“ (Thalmann 1992b, 28) als treibende Kraft hinter der institutionellen Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in Artikel 3b des EGV stecken, so steht doch fest, daß die Thematik der EG- Kommission so wichtig erschien, daß sie in der schon erwähnten „Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament“ (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c) sehr viel Wert darauf legt, daß auf sie, die Kommission selbst, „aufgrund ihres Initiativrechts eine besonders wichtige Rolle“ durch die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips zukomme (EG-Kommission (Hrsg.) 1992c, 2). Wie schwierig sich selbst der „Erfinder“ des »Subsidiaritätsprinzips« mit einer Interpretation des Terminus tut, verdeutlicht die Tatsache der Auslobung einer Belohnung für eine konzise Definition: „The problem for Europe’s leaders has come, not so much in agreeing that something needed to be done, as interpreting what subsidiarity means. EC president Jacques Delors found the task so daunting that, during an emotional speech to the European parliament, he offered a job and Ecu 200,000 to anyone who could define subsidiarity on one page.“ 15 15 Vergleiche Fußnote 14. 336 8.3.5 »Subsidiaritätsprinzip« in den Fallstudien und Interviews In unseren konkreten Fallstudien wurde wiederholt auf das »Subsidiaritätsprinzip« abgehoben: In der Stellungnahme »Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen« wurde in den »Schlußfolgerungen« festgeschrieben: „So müßte auch der Begriff der ,Subsidiarität* in bezug auf die Position der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten klarer gefaßt werden. ,Wohlfahrtskonzepte* sind gewiß nicht der richtige Weg; durchaus gerechtfertigt erscheint dagegen eine von Koordinierungs- und Finanzmaßnahmen begleitete Industriepolitik, wobei diese flankierenden Maßnahmen den Wirtschaftsakteuren in der Phase der Konsolidierung und der Neubelebung der Unternehmen in einem Umfeld zunehmender Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sektoren und innerhalb dieser Sektoren als Stütze dienen.“ Hier werden also unter dem Deckmantel des »Subsidiaritätsprinzips« und unter Zuhilfenahme von Euphemismen (Plastikwörtem) wie „flankierende Maßnahmen“, „von Koordinierungs- und Finanzmaßnahmen begleitete Industriepolitik“, „Konsolidierung und Neubelebung“ sowie „als Stütze dienen“ recht unverhohlen EG-Subventionen für die verschiedenen Sparten der »maritimen Industrien«, Werften, Reedereien, Fischfangindustrie etc., gefordert, um sie gegen Konkurrenz aus Ostasien oder aus Billigflottenländem abzuschotten. Bei den Arbeiten der Studiengruppe »Die künftige Erweiterung der Gemeinschaft« brachte der Berichterstatter das »Subsidiaritätsprinzip« in ein erstes Arbeitsdokument ein, wobei die Formulierung durchaus beredtes Zeugnis dafür ist, daß selbst Insider der ihnen kryptisch erscheinenden Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in den Maastrichter Verträgen skeptisch oder ratlos gegenüberstehen: „Mit dem in Maastricht ausgehandelten Unionsvertrag und seiner Ratifizierung durch die nationalen Parlamente werden die bestehenden Strukturen mit ziemlicher Sicherheit an ihre Grenzen stoßen. Dies dürfte sowohl für den gemeinsamen Entscheidungsprozeß, von dem in erster Linie das Europäische Parlament und der Ministerrat betroffen sind, als auch für die zunehmende Zahl der Mehrheitsbeschlüsse im Rat gelten. Werden die subtilen Maastrichter Kompromisse zu einer Lähmung des Beschlußfassungsverfahrens der Gemeinschaft führen? Wird das Subsidiaritätsprinzip in der Praxis funktionieren? Auch die neue Soziale Gemeinschaft stellt die Institutionen vor viele Fragen.“ 16 Das erschien wohl selbst dem Berichterstatter als eine Aneinanderreihung von zu vielen Fragen, auf die er keine Antwort anzubieten hatte, so daß er sich bis zur Präsentation eines »Vorentwurfs einer Stellungnahme« folgendes ausdachte: „Die Fachgruppe wird zu den Vorschlägen über die Zahl der Kommissionsmitglieder, die Größe des Europäischen Parlaments und die Verfahrensweisen von Kommission, Parla- 16 Hervorhebungen J.B. 337 ment und Rat zu gegebener Zeit Bemerkungen Vorbringen. Derart detaillierte Vorschläge werden wohl nicht vor 1996 auf der Tagesordnung einer Regierungskonferenz stehen, doch macht der durch eine Erweiterung bedingte Bedarf an Änderungen in diesem Bereich es erforderlich, sich hierzu zu äußern. Ähnliche Modelle föderaler Systeme, wie sie in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik zu finden sind, sollten genauer Betrachtung unterzogen, aber nicht nachgeahmt werden. Wenn innerhalb der EG von ■ Subsidiarität* und Souveränen Staaten* gesprochen wird, so bedeutet dies, daß keines dieser beiden Modelle den Bedürfnissen der Gemeinschaft in vollem Umfang gerecht werden wird.“ 17 Es war allerdings während der Beratungen möglich, den Berichterstatter davon zu überzeugen, daß die Studiengruppe nicht erstrangig mit Fragen von »Subsidiarität« und »Föderalismus« befaßt sei, vielmehr die Aufgabe hatte, sich mit dem erwarteten Andrang neuer EG-Beitrittskandidaten zu beschäftigen. Das hatte schließlich zur Folge, daß das »Subsidiaritätsprinzip« in den folgenden vier (der Studien- und der Fachgruppe sowie der Vollversammlung) vorgelegten Textfassungen nicht mehr vorkam. Besonders häufig wird das »Subsidiaritätsprinzip« als Argument in kontroversen Diskussionen über die EG-Sozialpolitik eingebracht. Als Beispiel dafür mag das Abstimmungsverhalten der Arbeitgeber bezüglich der Stellungnahme „Erster Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ dienen. In einem Interview vertrat die verantwortliche Berichterstatterin jener Stellungnahme, die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer die Ansicht, daß gerade britische Vertreter das »Subsidiariätsprinzip« mehr oder weniger mißbräuchlich in Anspruch genommen hätten, indem sie trotz vorheriger partieller Zustimmung nach dem Lissaboner Gipfel, „wo ja dann das Prinzip der Subsidiarität wieder besonders hervorgehoben wurde“, ihre Meinung zwischen Fachgruppen- und Plenarsitzung änderten und schließlich gegen die Stellungnahme stimmten, „so nach dem Motto: ,Wir wollen ja gar nicht so weit gehen in der Entwicklung einer Sozialpolitik auf der europäischen Ebene, sondern das ist die Sache der Mitgliedstaaten selber; also die kleinere Einheit, das sind die Mitgliedstaaten, soll sich um die Sozialpolitik kümmern und nur dann, wenn das überhaupt nicht machbar ist, ist das eine Sache der Europäischen Gemeinschaft*“. 8.4 Harmonisierung Bei der Abfassung der Römischen Verträge schien zunächst niemand an eine „Angleichung“ der jeweiligen Rechtsprechungen zu denken, vielmehr schwebte den europäischen »Gründervätem« wohl eine Art „Annäherung“ der nationalen Gesetzgebungen an, wie Will 1994 in einem vergleichenden 17 Hervorhebungen vom zitierten Berichterstatter. 338 Beitrag der Genese der Europäischen Gemeinschaften und des „Mercosul“ 18 berichtet: „Em 1956, durante as negociagöes preliminares para a constitui9äo da CEE ninguem pensou em harmonizafäo do Direito Privado, menos ainda numa harmonizayäo em larga escala. [...] Com relajäo ä terminologia, e interessante observar que num primeiro momento todos pensaram em ,rapprochement' (aproxima9äo). S6 na ultima hora, por ocasiäo da reda9äo final, alguem gostou mais do termo .harmonisation'/ ,Angleichung', que entrou entäo no texto do tratado“. (Will 1994, 69) 19 Doch schon 1969 erklärte der bei der EG-Kommission für Wettbewerbspolitik und Rechtsangleichung zuständige Kommissar Hans von der Groeben vor dem Europäischen Parlament hinsichtlich einer Harmonisierung der gesetzlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten: „Der Vertrag von Rom und die in ihm festgelegte Struktur der Gemeinschaft bilden den rechtlichen und institutioneilen Rahmen, in den die Politik der Rechtsangleichung sich einzufügen hat und der für ihre Aufgaben und Grenzen bestimmend ist. Die Rechtsangleichung kann für die Gemeinschaft daher kein Selbstzweck sein. Sie gehört vielmehr zu den Mitteln und Instrumenten, die den Institutionen der Gemeinschaft zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben in die Hand gegeben sind. Damit sind der Rechtsangleichung zwei Grenzen gesetzt. Die erste Begrenzung ergibt sich aus den Zielsetzungen des Vertrags und ihrer Konfrontation mit dem jeweils erreichten Stand der Entwicklung. [...] Die zweite Begrenzung ergibt sich aus der instrumentalen Brauchbarkeit der Rechtsangleichung, [...] zur Verwirklichung der Vertragsziele beizutragen.“ 20 Schon vor zwanzig Jahren wurde in einem Artikel über Fremdwörter in der Sprache der Politik das Verbum harmonisieren in den kleinen Fundus von Wörtern „mit positivem Gefühlsbeiwert“ (im Gegensatz zu der „weit größeren Anzahl von Wörtern mit „negativem“ oder positiv-„euphemistischem Gefühlswert“) eingeordnet (Eggeling 1974). 21 So ähnlich mag von seiten der Bürokratie auch spekuliert worden sein: Mit Harmonisierung verbindet so- 18 Mercosul (portugiesisch) oder Mercosur (spanisch) bedeutet aufgelöst Mercado Comum do Sul bzw. Mercado Comün del Sur. Er umfaßt die Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay und strebt vor allem eine wirtschaftliche Freihandelszone an, im Gegensatz etwa zum Pacto Andino (Bolivien, Ekuador, Kolumbien, Peru und Venezuela), der eine „gewisse supranationale Harmonisierung“ samt zuständigem Oberstem Gerichtshof in Quito installiert hat (Will 1994, 67f.). 19 „Während der Vorverhandlungen zur Gründung der EWG 1956 dachte niemand an eine Angleichung des Privatrechts, geschweige dann an eine Angleichung in großem Ausmaße. [...] Hinsichtlich der Terminologie ist es interessant zu beobachten, daß in einem ersten Moment alle an rapprochement (Annäherung) dachten. Erst ganz zum Schluß, anläßlich der Endfassung bevorzugte irgendjemand den Terminus .harmonisatio7,Angleichung', der daraufhin Einzug in den Text hielt.“ [Übersetzung J.B.] 20 Zitiert nach Schwartz 1987, 335f. 21 Zitiert nach Eggeling 1979, 304, der in unbewußter Antizipation die Argumentation englischer und sonstiger Euroskeptiker vorwegnahm, indem er folgerte, daß „das Wort solidarisch nur einen sehr schwach positiven Gefühlswert enthält, [während] dieser bei harmonisieren und Fairneß deutlich konstatierbar [ist]“. 339 wohl der geneigte wie auch der weitgehend skeptische »Eurobürger« sicher vornehmlich Positives. Die heute vielerorts zu lesenden Komposita wie Harmonisierungssucht, Harmonisierungswahn oder Harmonisierungswut sind neueren Datums und entspringen eher einer vermeintlich übermäßig stark ausgeprägten Neigung der Brüsseler Behörden, wirklich alles bis ins kleinste Detail zu normieren, sprich zu harmonisieren. Was sehr abstrakt klingt, hat im Laufe der Jahre an Aktualität noch gewonnen und ist zu einem Hauptbestandteil der Arbeit Brüsseler EG-Kommissionsbeamter mit Auswirkungen auf das Alltagsleben aller EG-Bürger geworden. Die Neigung der EG-Bürokraten zu Schlagworten, die für alle Amtssprachen einsetzbar sind, wird auch bei »Harmonisierung« faßbar: dän. harmonisering, engl, harmonization, frz. harmonisation, griech. £vapp.ovta|J.6<; , it. armonizzazione, niederl. harmonizatie, port, harmonizagäo und span, armonizaciön sind bis auf die jeweils wortbildenden Suffixe (im Griechischen auch eines Präfixes) und den Ausfall des (ohnehin stummen) him Italienischen und Spanischen identisch. Komplizierter ist der komplette Terminus »Rechtsangleichung« (bzw. »Angleichung der Rechtsvorschriften«) in den weiteren EG-Amtssprachen: dän. lovgivningsharmonisering, engl, harmonization of legal provisions, frz. rapprochement des dispositions legales, griech. £vap|ioviap.6<; / £vapp.6vioT| xöv Kav6vo)V blKClion, it. ravvicinamento delle legislazioni, niederl. aanpassing van de wetsvoorschriften, port. harmonizagäo de disposigöes legais und span, armonizaciön de las legislaciones, einwie man sehen kann doch recht breites Spektrum von ,Annäherung* (im Französischen und im Italienischen) über ,Anpassung* (im Niederländischen) bis hin zu ,Angleichung* im Deutschen. Die stillschweigende Übereinkunft, das vereinfachende »Harmonisierung« zu verwenden, hat sicherlich nicht nur die Arbeit der Sprachendienste vereinfacht. Heute werden unter »Harmonisierung« in der EG-typischen Lesart all diejenigen Maßnahmen verstanden, die nötig sind/ waren, um die einzelnen Mitgliedstaaten und deren nationale Rechtsprechungen in die Lage zu versetzen, auf dem Weg zu einer Politischen Union über den zwischenzeitlich geschaffenen Status quo des Binnenmarkts hinaus einen legistischen Apparat zu schaffen, der den freien Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen etc. gewährleistet, ohne jedoch (getreu dem Subsidiaritätsprinzip) die Einzelstaaten zu einer übertriebenen Preisgabe nationaler Besonderheiten zu drängen, wie der deutsche EG-Kommissar Peter M. Schmidhuber unlängst betonte: „Binnenmarkt und Subsidiarität sind daher durchaus in Einklang miteinander zu bringen. Der Weg zum Binnenmarkt führt nicht automatisch über Uniformität und Subsidiarität, bedeutet nicht notwendigerweise Zersplitterung der Rechtslandschaft und neue Handelsschranken. Dies setzt allerdings voraus, daß nicht die Mitgliedstaaten - oder die Vertreter von Interessengruppen ihrerseits die Gemeinschaft zu mehr Harmonisierung als unbedingt nötig drängen.“ (Schmidhuber 1992, 26) Die ursprüngliche Vorgehensweise der Gemeinschaft war (in Anlehnung an Artikel 100 des EWG-Vertrags) von der Idee der Harmonisierung bzw. 340 Rechtsangleichung (der in der deutschsprachigen juristischen Terminologie dominante Begriff, vgl. u.a. Oppermann 1991, 412 et passim, Schwartz 1987, 336 et passim) aller gesetzlichen Vorschriften in allen Mitgliedstaaten gekennzeichnet, deren Ergebnis „eine einheitliche, in den Mitgliedstaaten ident[isch]e Rechtsordnung für die nach EWG-Vertrag geregelten Materien gewesen [wäre]“ (Streil/ Weyringer 1991, 295). Da sich jedoch u.a. aufgrund der verlangten Einstimmigkeit von Ministerratsentscheidungen und der Unmenge technischer Vorschriften ein solches Procedere als wenig praktikabel, als zu komplex und folglich langwierig erwies, wurde in der Einheitlichen Europäischen Akte festgelegt, daß „bei künftigen Initiativen zur Verwirklichung des Binnenmarktes [...] deutlich zwischen den Bereichen, in denen eine Harmonisierung unerläßlich ist, und den Bereichen, bei denen man sich auf eine gegenseitige Anerkennung der nationalen Regeln und Normen verlassen kann, unterschieden werden [muß]“ (Streil/ Weyringer 1991, 295). Dieses „Kriterium der sinnvollen Maßnahme“ (Streil/ Weyringer 1991, 305) hat als „Cassis-de-Dijon-Philosophie“ (Oppermann 1991, 748) Eingang in die Literatur gefunden, mit Bezug auf ein Urteil des Luxemburger Europäischen Gerichtshofs (Rs 120/ 78), in dem dieser ein deutsches Handelshemmnis beseitigte, das nur Likören aus Fruchtsaft mit einem Alkoholgehalt von mindestens 25% Verkehrsfähigkeit bescheinigte. Quintessenz des richterlichen Urteilsspruch war, daß diese Barriere weder dem Schutze der Gesundheit noch den Verbrauchern in irgendeiner Weise zu dienen schien, sondern lediglich Importschranken zum Schutze heimischer Produkte aufbaute [Das könnte man heute beliebig auf Reinheitsgebote für Bier und Pasta, Wurst und Käse sowie ganz aktuell auf novel food, also »neuartige (= künstliche) Lebensmittel«, und radioaktiv bestrahltes Obst und Gemüse ausdehnen]. Derzeit gilt eine Beschränkung auf die gemeinsame Regelung von notwendigen Vorschriften, vor allem in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz, wo zumeist auf dem »kleinsten gemeinsamen Nenner« harmonisiert wird, was im übrigen auch auf für alle »Gemeinschaftsbürger« besonders wichtige Fragen wie die Harmonisierung der Sozialversicherungssysteme zutrifft: „Das seit Maastricht gemeinschaftsrechtlich verankerte Subsidiaritätsprinzip verwehrt es der europäischen Legislative, in Handlungsfeldern tätig zu werden, die von den Einzelstaaten ebensogut geregelt werden können. Eine Harmonisierung oder gar eine Vereinheitlichung der sozialen Sicherungssysteme wird also weder gegenwärtig noch auf weitere Sicht zu erreichen sein.“ (Terwey 1993,16) Besonders ärgerlich werden Vereinheitlichungsbestrebungen bewertet, wenn sie auf eine Art »Zwangsharmonisierung« hinauslaufen, wie das offenbar im Falle der Gewährung von Betriebsrenten empfunden wird: 341 „Der EuGH 22 hat unter Hinweis auf Artikel 119 EWG-Vertrag (gleiches Entgelt für Männer und Frauen) die Altersgrenzen bei Betriebsrenten auf dem Niveau der Frauen zwangsharmonisiert dem frühesten Rentenalter und damit der teuersten Lösung. In frauenpolitisch kontraprodukiver Weise kommen Männer so in den Genuß eines Nachteilausgleichs, der gezielt Frauen gewährt wurde.“ (Clever 1993, 26) Dem Bürger wird suggeriert, daß Harmonisierung notwendig sei, weil ein Bedürfnis nach Sonderregelungen zwar als legitim gilt, gleichzeitig aber die Gefahr beschworen wird, daß man bei wesentlichen Ausnahmen und Rechtsverschiedenheiten auf Dauer ein „Europa im Geleitzug“ verpasse und statt dessen ein .„Europa mit zwei Geschwindigkeiten* oder gar ,ä la carte*“ provoziere 23 und eine „solche inhaltlich, ja selbst eine lediglich zeitlich abgestufte Integration zumindest für den Kern der Gemeinschaft, den Gemeinsamen Markt, und die ihn erst ermöglichende Rechtsangleichung erhebliche Probleme und Gefahren“ berge (Schwartz 1987, 359). Dementsprechend besteht ein Großteil des Brüsseler Arbeitsalltags aus Harmonisierungsbestrebungen. Daß mit »Harmonisierung« keineswegs die Schaffung einer Mindestakzeptanz der EG-Richtlinien und -Verordnungen seitens der Bürger verfolgt wird, sondern rein technokratische Hürden bewältigt oder aufgebaut werden, zeigt ein willkürlicher Ausschnitt aus der Tagesordnung der 292. Plenartagung des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 18./ 19. Dezember 1991, auf der unter anderen folgende Vorschläge für „Harmonisierungsrichtlinien“ präsentiert wurden: (1) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Massen und Abmessungen bestimmter Klassen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängem (Dok. KOM (91) 239 endg. - SYN 348); (2) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/ 157/ EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffvorrichtung von Kraftfahrzeugen (Dok. KOM (91) 51 endg. - SYN 337); (3) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängem und über ihre Montage (Dok. SN/ 2335/ 91) und schließlich (4) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über vergleichende Werbung und zur Änderung der Richtlinie 84/ 450/ EWG über irreführende Werbung (Dok. KOM (91) 147 endg.). 22 Europäischer Gerichtshof. 23 In die allerletzte Korrekturphase platzte die von CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble initiierte Diskussion über ein Kerneuropa, die in Frankreich unter den Schlagworten noyau dur und Europe ä geometrie variable ihr Pendant fand und eine Harmonisierung im engeren Sinne zunächst auf Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten beschränkt sehen will. 342 Ähnlich minutiöse Vorgaben könnten aus dem Sektor Agrarwirtschaft (Mindestgröße von Äpfeln, Rundungsgrad von Tomaten etc.) angeführt werden. Zwar erreichen solche Richtlinien nur in den seltensten Fällen die Bürger in den EG-Mitgliedstaaten, wenn aber doch (und sei es durch Glossen oder auch ernsthafte EG-feindliche Berichterstattung), dann bestätigen sie natürlich die weitverbreiteten und gerne gehegten und gepflegten Vorbehalte und Vorurteile gegen die Brüsseler Eurokratie, die im besten Falle »nichts tue, was einem direkt schade«. Nicht jeder kann dies so gelassen und ironischdistanziert kommentieren wie ein Schweizer Journalist, dessen Landsleute sich ja gegen alle Erwartungen gegen einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (also zum Antichambre der EG) ausgesprochen haben: „Denn viel mehr als es in Brüsseler EG-Kreisen erfaßt wird, bedeutet Subsidiarität auch, daß man sich angewöhnt, Fünfe gerade sein zu lassen. .Harmonisieren' ist die höchste Tätigkeit, die sich ein Bürokrat vorstellen kann, ln der Schweiz ist .Gleichmacherei' ein Schimpfwort, das den politischen Gegner erledigt.“ (Thalmann 1992a, 29) Insbesondere beim Umweltrecht wehren sich einige Staaten, die einen vergleichsweise hohen Standard (das gilt meistens für Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande) erreicht haben, gegen eine auf zu niedrigem Level angesetzte Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene. Im Zweifel werden die »Sachzwänge« der Rechtsangleichung zu Lasten der EG- Bürger ausgelegt, denn auch hier gilt, daß die „Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser ,Schutzverstärkungsklauseln‘ ist, daß auf Gemeinschaftsebene eine Harmonisierung stattgefunden hat, von der im verstärkenden Sinne abgewichen wird. Hat die EG nocht nicht gehandelt, ist im Rahmen der Subsidiaritätsklausel [...] zu entscheiden, ob MS 24 weiterhin nationales Umweltrecht setzen können [...]. Auch in solchen Fällen sind handelsbeschränkende Wirkungen des nationalen Rechtes nach den Maßstäben des Art. 36 EWGV und der ,Cassis-de-Dijon-Philosophie‘ zu beurteilen.“ (Oppermann 1991,748) Ursprünglich hatte das „Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes“ 25 , das Programm und Zeitplan der Vollendung des Binnenmarktes festlegte, „282 zu verwirklichende Maßnahmen, Verordnungen und Richtlinien auf[ge] zeigt, ohne deren Bestehen der Gemeinsame Markt unvollendet bleibt“ (Streil/ Weyringer 1991, 291). Die Kommission hatte Anfang 1991 dann auch sämtliche Vorschläge dem Rat zugeleitet, der seinerseits einen großen Teil als Verordnungen und Richtlinien verabschiedet hat, ohne daß alle Mitgliedstaaten die erforderliche Angleichung der nationalen Rechtsprechungen umgesetzt hätten. Allen Harmonisierungsbestrebungen zum Trotz ist wenig Bewegung in Richtung eines »Europas der Bürger« festzustellen. Das bestehende Demokratiedefizit läßt sich nicht zuletzt daran ablesen, daß der Terminus 24 Hervorhebung des Verfassers, „MS“ - Mitgliedstaaten. 25 Siehe EG-Kommission (Hrsg.) (1985). 343 »Harmonisierung« in vielen die Bürger direkt betreffenden Fragen - Umwelt- und Verbraucherschutz, Sozialversicherungssysteme, Informationen über chemische Zusätze in Lebensmitteln statisch und liberalistisch interpretiert wird (also Argumentation nach dem Muster: »die Rechtsangleichung läßt nicht mehr zu«). Während in der Perzeption europäischer Bürger »Harmonisierung« immer mehr zum Synonym für ,übersteigerte Normierungswut 1 degeneriert, wird in zu existentiell wichtigen Einigungsthemen hochstilisierten Randbereichen europäischer Integration (Stichwort: gemeinsames Asylrecht, Kreation gemeinsamer Sicherheitsorgane wie Europol und Eurocorps) »Harmonisierung« in konservativ bis reaktionärer Denkweise als besonders hohe Meßlatte (nach dem Motto: »je weniger individuelle Freizügigkeit, um so mehr kollektive Sicherheit«) angelegt. Das wird selbst von Insidern bisweilen kritisch gesehen, wie ein Beitrag des Direktors für Rechtsangleichung, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit bei der EG-Kommission, Ivo E. Schwartz, für die Festschrift des ehemaligen EG-Kommissars Hans von der Groeben belegt 26 : „Was die sonstige Rechtsangleichung betrifft, so findet allmählich weniger Harmonisierung statt, schon seit Jahren qualitativ und nun auch quantitativ. Was an Angleichung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist (Art. 3 Buchst, h), wird immer enger ausgelegt. Mindestregeln werden immer öfter für ausreichend gehalten. Besondere Regeln nur für den grenzüberschreitenden Verkehr nehmen zu. Damit tritt mehr und mehr die Errichtung eines Systems zurück, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt (Art. 3 Buchst. 0- Mehr Freiheit (des grenzüberschreitenden Verkehrs) steht weniger Gleichheit (der Wettbewerbsbedingungen) gegenüber. Es entstehen zueinander geöffnete nationale Märkte, aber kein Binnenmarkt. Wichtigster Gegenstand der Rechtsangleichung wird der ordre public-Bereich. Hier ist es vielfach am schwierigsten, Lösungen zu finden und Einigung zu erreichen. Im Bereich der Ausbildung findet grundsätzlich keine Angleichung mehr statt. Im nichtakademischen Bereich war dies von den zwei erwähnten Ausnahmen 27 abgesehen schon immer so. Dort gelten die in den sechziger Jahren verabschiedeten Richtlinien mit sogenannten »Übergangsmaßnahmen« noch heute (alle Tätigkeiten der Industrie, des Handels, des Handwerks und der sonstigen Gewerbe). Im Bereich des nicht die Ausbildung betreffenden Gewerbe- und des Handwerksrechts hat die Angleichung trotz Art. 57 Abs. 2 gar nicht erst begonnen. Im Bereich der technischen Hemmnisse wird manche Harmonisierungs-Hoffnung auf die Verweisung der technischen Spezifikationen an (künftige) europäische Normungsinstitute gesetzt. Aber die Schwierigkeiten sind groß; die Umstellung dauert schon Jahre. Als sehr schwierig erweist sich schließlich die fallweise Durchsetzung des freien Warenverkehrs zugunsten ausländischer Erzeugnisse, die nach anderen, nach Gerichtshof und Kommission nicht länger angleichungsbedürftigen Vorschriften produziert oder vermarktet wer- 26 Bemerkenswert an diesem Beitrag und ein „Indiz für Unbotmäßigkeit“ des Autors ist nicht zuletzt der für eine Festschrift unübliche Hinweis: „in diesem Beitrag vertretene Meinungen sind die des Verfassers“ (Schwartz 1987,333). 27 Hebammen und Krankenschwestern [J.B.]. 344 den. Oft genug genügen diese Vorschriften und Verfahren den inländischen Stellen trotz Verpflichtung zu ihrer Anerkennung nicht. Die Hersteller und Importeure kennen ihre Rechte vielfach nicht oder nehmen sie nicht wahr. Hier bleibt viel zu tun.“ (Schwartz 1987, 363 f.) Dem abschließenden Satz mag man sich anschließen, eine »Entplastifizierung« von »Harmonisierung« dürfte nicht zuletzt dazu beitragen, die Entfremdung der als weltfremd, undemokratisch und oligarchisch-autokratisch empfundenen Bürokratie von der Masse der Eurobürger Schritt für Schritt abzubauen. 8.5 »Europa der Bürger« Den europäischen Gründervätem, Jean Monnet und Robert Schuman 28 , schwebte ein Europa ohne Grenzen vor. Aus Monnets Memoiren ist der Satz „Wir koalieren nicht Staaten, wir führen Menschen zusammen“ 29 überliefert. Robert Schuman, in Luxemburg gebürtiger Lothringer und französischer Außenminister, mithin personifizierter »Europäer«, schrieb in seinem Buch Für Europa: „Diese armen Grenzen! Sie können sich nicht mehr als unverletzlich ansehen, noch unsere Sicherheit und Unabhängigkeit schützen. Sie werden überschritten und überflogen, von Fallschirmspringern und der fünften Kolonne verachtet; man befestigt keine Grenzen mehr, die Maginot-Linie, diese wunderbare Täuschung, hinter der wir uns verschanzten, besteht nicht mehr. [...] Aus trennenden Schranken müssen sie Berührungslinien werden, wo der materielle und kulturelle Austausch zustande kommt und sich verstärkt. [...] Die politischen Grenzen waren das Ergebnis einer ehrwürdigen historischen und ethnischen Entwicklung, eines langen Strebens nach nationaler Einheit; sie abzuschaffen käme gewiß niemand in den Sinn... Heute genügt es, sie zu entwerten. Unsere europäischen Grenzen sollten den Austausch von Gedanken, Personen und Gütern immer weniger beschränken.“ (Schuman 1963, 44f.) 30 Schon in seiner als Declaration Schuman in die Geschichte eingegangenen Rede vom 9. Mai 1950- Jean Monnet hatte sie verfaßt skizzierte Robert Schuman, welche Art Europa ihm vorschwebte. Obwohl es zunächst lediglich um eine Zusammenarbeit im Kohle- und Stahlsektor (spätere EGKS, vulgo »Montanunion«) zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland ging, sah er weitsichtig voraus: „L’Europe ne se fera pas d’un coup ni dans une construction d’ensemble; eile se fera par des realisations concretes creant d’abord une solidarite de fait. Le rassemblement de 28 Die deutsche Historiographie fügt aus Gründen der »Ausgewogenheit« (? ) in der Regel den Namen Konrad Adenauer hinzu, auch wenn heute hinlänglich erwiesen ist, daß es jenem viel eher um transatlantische Verankerung der jungen Bundesrepublik Deutschland ging. 29 Zitiert nach Weyringer 1991,999. Die Übersetzung von Monnets Motto ist uneinheitlich; es existiert auch eine Version: „Wir einigen keine Staaten, wir bringen Menschen zusammen“ (Fontaine 1991,5). 30 Zitiert nach Hellwig 1987,157 und 160. 345 nations europeennes exige que l’opposition seculaire de la France et de FAllemagne doit eliminee. L’action entreprise soil toucher au premier chef la France et FAllemagne.“ 31 Auch die auf den ersten Blick rein wirtschaftlichen Zusammenschlüsse EWG und EGKS enthielten in ihren Präambeln Zielvorgaben, die ein politisches Zusammenwachsen in ferner Zukunft als wünschenswert erscheinen ließen. Die Verträge sollten: „den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter Völkern [...] legen, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren“ sowie „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker [...] schaffen“. 32 Die Idee eines Europas, das seine (eigene) Identität suchen und finden sollte und somit weit mehr als einen rein zweckorientierten wirtschaftlichen (EWG, EGKS und EURATOM) und sicherheitspolitischen (die letztlich gescheiterten EVG und WEU 33 ) Zusammenschluß darstellen sollte, brauchte natürlich die Vorstellung eines »europäischen Bürgers«, der mehr darstellen sollte als einen seelenlosen homo oeconomicus. Als Monnet und Schuman ihre europäische Vision ersannen, waren die »Euro-Untertanen« noch weit davon entfernt, sich einander verbunden zu fühlen schließlich war der II. Weltkrieg gerade mal fünf Jahre vorbei. Da also von einem »europäischen« oder »EG«- Bürger konsequenterweise noch nicht gesprochen werden konnte, wurde von „der deutschen Wissenschaft [...] zunächst der Ausdruck des ,Marktbürgers“ 1 geprägt (Oppermann 1991, 82). 34 Erst später wurde dieses Wortungetüm (daneben gab es u.a. immer auch den »Gemeinschaftsbürger« bzw. den »Bürger der Gemeinschaft« 35 ) durch den weniger an materielle »Euro-Kultur« gemahnenden Terminus »EG-Bürger« abgelöst. Nachdem also der »EG-Bürger« terminologisch vorhanden war, war die zwingend erscheinende logische Konsequenz, daß auch eine »Gemeinschaft für die Bürger« kreiert wurde: Die Konstruktion »Europa der Bürger« nahm 31 Zitiert nach Reich 1991, 331. 32 Zitiert nach Magiera 1987, 331. 33 Europäische Verteidigungsgemeinschaft bzw. Westeuropäische Union. Beide sind weitgehend macht- und bedeutungslos (geblieben), auch wenn letztere in jüngster Zeit immer wieder im Zusammenhang mit der bosnischen Tragödie Erwähnung findet. 34 Siehe dazu u.a. Ipsen 1972 bzw. Grabitz 1983ff. 35 Der Begriff leidet aber in seinen Übersetzungsvarianten stark an semantischen Überlappungen zwischen Status (Ableitungen des Typus citoyen) und geo-nationaler Zugehörigkeit („Bewohner“). Laut „EUROVOC. Mehrsprachiger Thesaurus, Band 3. Anhang des Registers zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1987“, S. 46f., schwankt die Wiedergabe: dän. fcelleskabsborger, engl. Community national, frz. ressortissant communautaire, griech. fitnjKOoq KpÖTOuq pikouq tüv EK, it. cittadino della Comunitä, nieder! , ingezetene van de Gemeenschap, port, nacional das Comunidades und span. ciudadano comunitario, obwohl alle Sprachen in ihrem Lexikon den Unterschied aufweisen. Besonders augenfällig wird dies bei den romanischen Sprachen, bei denen zwei Sprachen ersteren Typ zeigen (it. cittadino, span, ciudadano), die beiden anderen zu Lösung zwei tendieren (frz. ressortissant, port, nacional)- 346 lexikalische Strukturen an. Seitdem ist sie Bestandteil der europistischen Literatur in abstracto ebenso wie der EG-Textaushandlungsdebatten in concreto. Noch jedoch wird der Begriff als (sprach-)systemimmanenter Terminus allgemeinsprachlich nicht akzeptiert, seine von Brüssel vergebene Existenz wird in nicht EG-intemer Literatur durch die unvermeidliche Setzung von Anführungszeichen markiert, aber gleichzeitig auch in Frage gestellt. In internen Papieren hingegen wird der Terminus »Europa der Bürger« ohne optische Heraushebung in fließenden Text eingebaut, wie der folgende Satz aus dem „Grünbuch über die städtische Umwelt“ verdeutlicht, bei dem man bei entsprechend maliziöser Lektüre im »Europa der Bürger« kaum mehr als im Begriff »Europa« zu erkennen vermag: dt.: „Die Neuerschaffung der abwechslungsreichen, multifunktionalen Stadt des Europas der Bürger ist somit ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Projekt, bei dem die ,Lebensqualität“ keinen Luxus darstellt, sondern ein grundlegendes Element.“ engl.: „Re-creating the diverse, multifunctional city of the citizen’s Europe is thus a social and economic project for which ,the quality of life“ is not a luxury but an essential.“ frz.: „Recreer la ville multifonctionelle dans me Europe des citoyens est par consequent un projet social et economique dans le cadre duquel ,1a qualite de la vie“ n’est pas un luxe, mais une necessite.“ griech.: „T6 vd dvadniaioopyritiel ij ttoiKtköpoptpTi JtökT) noXkaKkiw keiToupyKÜjv xhc Euptjjmc xmv TtokittW felvai fertopiveoq fva koivcüvikö Kat olKOvoptKO ayföto yid t6 otiolo fj .roiörriTa S^v elvat Ttokw&eia dkkd ouatdjSeq axoiyelo “ it.: „Pertanto, ricreare la cittä multifunzionale dell’ Europa dei cittadini e un progetto sociale ed economico per il quale la ,qualitä della vita“ non e un lusso ma una necessitä.“ ndi.: „Het herscheppen van de gevarieerde, multifunctionele stad van het Europa van de burger is dus een sociaal en economisch project, waarbij ,de kwaliteit van het bestaan“ geen luxe maar een noodzaak is.“ port.: „Recriar a cidade diversificada e multifuncional da Europa dos cidadäos constitui, portanto, um projecto economico e social para o quäl a ,qualidade de vida“ näo e um factor de luxo mas sim essencial.“ span.: „El restablecimiento de la ciudad diversa y multifuncional de la Europa de los ciudadanos es por tanto un proyecto econömico y social para el cual la ,calidad de vida“ no representa un lujo, sino un rasgo esencial.“ 36 36 Jeweils S. 10 des Dokuments »Mitteilung der Kommission an den Rat und das Parlament« „Grünbuch über die städtische Umwelt“ (- KOM (90) 218 endg.). Die dänische Fassung lag leider nicht vor. Hervorhebungen im Text, J.B. 347 Im Gegensatz zu derin fast allen Sprachen morpho-syntaktisch ungewöhnlichen Konstruktion des »Europas der Bürger« ist der weitgehende geläufige Terminus »Lebensqualität« durchgängig in Anführungszeichen gesetzt. Ein weiteres Beispiel für die visuell unmarkierte Verwendung von »Europa der Bürger« findet sich in den Ausführungen von Eduard Brackeniers zum Zusammenhang von »Subsidiarität« und »Europa der Bürger«: „Das Europa der Bürger stützt sich auf kulturelle und sprachliche Vielfalt. Die sprachliche Herausforderung, der sich Europa gegenübersieht, wird sich leichter bewältigen lassen, wenn die Europäer mehrere Sprachen sprechen oder verstehen. Im übrigen hat jeder Mensch das Recht, in allen Lebenslagen seine Muttersprache zu sprechen, sollte aber ebenfalls Fremdsprachen erlernen können.“ (Brackeniers 1991, II) Die Bestrebungen, ein »Europa der Bürger« zu schaffen, sind wesentlicher Bestandteil der Bemühungen, eine »Europäische Union« zu verwirklichen, und gehen auf die Haager Gipfelkonferenz 1969 zurück, auf der „die politischen Zielsetzungen 1 der EG neu bestätigt wurden“ (Oppermann 1991, 566). „Einen ersten Höhepunkt“ erreichten die Bemühungen um ein »Europa der Bürger« 1974, als auf dem Gipfeltreffen von Paris „eine Arbeitsgruppe beauftragt wurde, ,zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Fristen den Bürgern der neun Mitgliedstaaten besondere Rechte als Angehörigen der Gemeinschaft zuerkannt werden könnten 1 “ (Magiera 1987, 331). Auch in dem als »Tindemans-Bericht« bekannt gewordenen Dossier vom 29. Dezember 1975, mit dem der damalige belgische Premierminister zwei Ziele verfolgte, nämlich die „Definierung einer Gesamtperspektive, die als Rahmen der europäischen Aktivitäten in den Mitgliedstaaten dienen kann und die Festlegung konkreter Schritte, die gleichzeitig durchgeführt werden müssen“ (Reich 1991, 341), war ein Kapitel dem »Europa der Bürger« gewidmet. Darin ist vor allem von den individuellen Grundfreiheiten, Konsumentenrechten und dem Umweltschutz die Rede. Nachdem sich dann aber lange Zeit nichts getan hatte, wurde schließlich vom Europäischen Rat zur Schaffung eines »Europas der Bürger« 1984 der sog. Adonnino-Ausschuß 37 eingesetzt. Dieser legte ein Jahr später eine Reihe von Empfehlungen (Abbau von Grenzformalitäten, gegenseitige Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen, Förderung des Jugend-, Kultur- und Sportaustauschs) vor, die auch durchaus Interesse und Zustimmung bei Kommission und Parlament fanden. Nichtsdestoweniger erfuhren diese Vorschläge jedoch bei der Abfassung der Einheitlichen Europäischen Akte so gut wie keinerlei Berücksichtigung (Streil/ Weyringer 1991, 316) bzw. fanden die Empfehlungen, u.a. „den Angehörigen anderer MS gemeinschaftsweit besonders auf kommunaler Ebene politische Rechte einzuräumen (Kommunalwahl- 37 Der Adonnino-Ausschuß (benannt nach seinem Vorsitzenden Pietro Adonnino) wurde 1984 vom Europäischen Rat in Fontainebleau im Zuge der EG-Verfassungsreform und in Weiterverfolgung der Initiative 1974 als »ad-hoc-Ausschuß Europa der Bürger« eingesetzt (Streil/ Weyringer 1991, 315). 348 recht! ) [einzuräumen,] noch keine entscheidende Resonanz“ (Oppermann 1991, 432). 38 In engem Zusammenhang mit dem »Europa der Bürger« ist die in Art. 48ff. EWG-Veitrag vereinbarte »Freizügigkeit« der EG-Bürger (Niederlassungsfreiheit, Freiheit der Wahl von Arbeitsplatz und Wohnort) zu sehen, wobei die Interpretation gleichwohl dahin tendiert, im Rahmen der fortschreitenden Integration im »Europa der Bürger« einen noch weitergehenden, über den Freizügigkeitsstatus (in seiner wirtschaftlichen und sozialen Komponente) hinausreichenden Sinn anzunehmen. So erwerben „aufgrund des Zusammenwachsens der Gemeinschaft [...] die Angehörigen der EG-MS unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Betätigung als ,EG-Angehörige‘ bestimmte Rechte und Pflichten, deren Summe man inzwischen als eine Art von ,europäischem Bürgerrecht 4 [...] bezeichnen kann“ (Oppermann 1991, 565). 39 Mit anderen Worten: „Auch in Europa wandelt sich der Bourgeois allmählich zum Citoyen“ (ebd.), was er strenggenommen ja schon immer sein sollte: Schließlich ist das französische Vorbild des »Europas der Bürger« [’Europe des citoyens und nicht [’Europe des bourgeois. Der Freizügigkeit und damit dem »Europa der Bürger« sind jedoch auch Grenzen gesetzt: So gilt das Recht der Niederlassungsfreiheit genaugenommen nur für »Wanderarbeitnehmer« einschließlich ihrer Familien, die durch Verordnung Nr. 1612/ 68 Art lOff. begünstigt sind (Oppermann 1991, 555). Schwieriger wird es für »Prae-Arbeitnehmer« wie Auszubildende, Schüler und Studenten, Nichtberufstätige einschließlich Pensionären und Rentnern sowie für akademische Berufe. Allerdings wurde in einer „kühnen Rechtsprechung“ mit einem „bahnbrechenden Urteil“ (Oppermann 1991,550 bzw. 717) des EuGH (RS 293/ 83)‘ , °, der sogenannten »Gravier-Entscheidung«, mit Ziel eines »Europas der Bürger« festgelegt, daß das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWG-Vertrag in Verbindung mit Art. 128 EWG-Vertrag auch auf Schüler und Studenten anzuwenden sei, womit diese rechtlich zu Prae-Arbeitnehmem gemacht wurden. 1985 hat der EuGH seine »Gravier-Doktrin« präzisiert: zwar wurden einerseits die Nichtdiskriminierung bei Studiengebühren und die Auffassung des Hochschulstudiums als Berufsausbildung bekräftigt, andererseits aber auch festgelegt, daß Ausbildungsförderungen (wie etwa das dt. BAFöG) soziale Vergünstigungen darstellten, die nicht zwangsläufig auf alle EG-Bürger anzuwenden seien. Unter Umständen kann sich das von der EG hochgehaltene »Subsidiaritätsprinzip« sogar als Bremsklotz auf dem Weg zu einem »Europa der Bürger« auswirken, was sich etwa in der Gemeinsamen Berufsausbildungspolitik der EG gemäß Artikel 118 und 128 des EWG-Vertrags äußert, weil in der Bundesrepublik Deutschland jene 38 MS: Mitgliedstaaten; Abkürzungen und Hervorhebungen vom Verfasser. 39 Siehe Fußnote 38. 40 Im konkreten Falle ging es um die Befreiung einer französischen Kunststudentin von belgischen Studiengebühren entsprechend den einheimischen Kommilitonen. 349 teilweise nicht in die Zuständigkeit des Bundes, sondern in die der Länder fällt (Oppermann 1991, 604). Ein schwieriger Weg hin zu einem »Europa der Bürger« ist auch auf dem Sektor der Kulturpolitik zu gehen, da der freie Austausch von Waren und Dienstleistungen nicht unbedingt zur Kunstfreiheit beiträgt und Maßnahmen wie die Preisbindung von Druckerzeugnissen in der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellt. Auch hier soll neben Artikel 36 EWG-Vertrag, der die „Behinderung des Warenverkehrs durch ausdrücklich festgesetzte Ausnahmen für Kunstwerke“ regelt (Weyringer 1991, 1003), das allgegenwärtige »Subsidiaritätsprinzip« dem Bürger Europa näherbringen: Einerseits befürwortet die EG-Kommission den Verbleib kultureller Angelegenheiten bei den Mitgliedstaaten (bzw. in kulturföderalistischen Systemen bei den Regionen), andererseits betont sie die Unerläßlichkeit der „Aufnahme einer Vertragsbestimmung über die kulturelle Dimension der Gemeinschaftsaktivitäten im Hinblick auf die diesbezüglichen Aufgabenbereiche der Kommission“ (Weyringer 1991, 1004). Wie weit in der Kommission selbst der Begriff »Europa der Bürger« gefaßt wird, veranschaulicht die Broschüre gleichen Namens (Fontaine 1991), in der so gut wie das ganze Spektrum der Europäischen Gemeinschaft unter diesem Terminus abgedeckt wird. Das »Europa der Bürger« wird in einzelnen Kapiteln so mit dem »Europagedanke[n] im Dienste der Menschen 41 «, einer »demokratischein] Rechtsgemeinschaft 42 «, dem »Nutzen des Binnenmarkts 43 «, den »Politiken des Fortschritts 44 «, den »gemeinschaftliche[n] Rechte[n] 45 «, 41 „Das Europa der Bürger, ein zutiefst menschliches Vorhaben, das lange Zeit im Hintergrund bleiben mußte, um nicht auf die massiven Widerstände der einzelnen Staaten zu treffen, ist im Laufe der 70er Jahre zu einem erklärten politischen Ziel geworden.“ (Fontaine 1991,6) 42 „Da das Recht in den Dienst der Menschen gestellt ist und sich die Rechtsprechung auf eine .teleologische“ Auslegung der Vertragsziele stützt, insbesondere in der Weise, wie sie in der Präambel genannt werden, erfährt das Europa der Bürger eine solide Verankerung“ (Fontaine 1991,10). Bei der »Teleologie« handelt es sich um „ein äußerst problematisches Verfahren“, wie Petra Braselmann in einem Beitrag zu sprachlichen Problemen in Urteilen des Europäischen Gerichtshofes herausstreicht: „Einerseits läßt diese Methode einen großen subjektiven Ermessensspielraum zu. So wird auch von juristischer Seite kritisch vermerkt, daß man ,über keine ausreichenden Grundlagen verfügt, um den »Willen des Gesetzgebers« zu eruieren“; sie dürfe nur ein Hilfsmittel der Auslegung sein. [...] Andererseits bleibt den Richtern, die verschiedene voneinander abweichende Wortlaute gemeinrechtlich, d.h. einheitlich auslegen sollen, gar nichts anderes übrig, als dieses Instrument anzuwenden. Dieses Dilemma wird noch verschärft durch eine Rechtssituation, die sich zwischen beiden Auslegungsparametem offensichtlich nicht entscheiden kann.“ (Braselmann 1992, 71f.) 43 „Auch wenn die Vorteile, die der europäische Bürger zu Recht von der Vollendung des Binnenmarktes erwartet, allein schon überzeugend genug sind, so wäre sie doch nur unvollständig beschrieben, wenn man nicht auf den Nutzen verweisen würde, der sich aus der Durchführung des ehrgeizigen Vorhabens einer Wirtschafts- und Währungsunion ergeben dürfte.“ (Fontaine 1991, 20) 44 „Die europäische Dimension berührt heute den Lebensrahmen der Bürger, da sie die konkreten Herausforderungen der Gesellschaft angeht: Umweltschutz, Gesundheit, Verbrau- 350 mit »Europa im täglichen Leben 46 « und der »europäischen Staatsbürgerschaft 47 « verknüpft. Die von der Kommission herausgegebene Werbeschrift ist ein beredtes Beispiel dafür, auf welche Art und Weise ein positiv besetzter Begriff wie »Europa der Bürger« einerseits durchaus für konkrete Vorstellungen (Freizügigkeit, gemeinsame Staatsbürgerschaft), andererseits für diffuse, emotionale Appelle („Europa der Bürger = Europa des Herzens“) eingesetzt wird. Wie ein »Europa der Bürger« im positiven Falle zu vertreten wäre, beschreibt der renommierte Rechtswissenschaftler Emst Steindorff in seiner „Einführung“ in die europäische Gesetzgebung auf sehr (zu? ) optimistische Art: „Unkundige Kritik am .Bürokratismus 1 der EG und ihrer .Ausrichtung auf die großen Unternehmen* läßt nicht nur außer Betracht, daß die EEA mit der Änderung des Art. 149 EWGV 48 die Einflußnahme des Parlaments verstärkt hat. Sie beachtet auch nicht, daß es cherrechte, Wettbewerb und Sicherheit auf dem Gebiet des Verkehrs, Bildung, Zugang zu kulturellen Einrichtungen.“ (Fontaine 1991, 23) 45 „Ein tatsächliches Europa der Bürger kann aber nur geschaffen werden, wenn das Recht auf Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und Aufenthalt allen Bürgern der Gemeinschaft bedingungslos gewährt wird.“ (Fontaine 1991,36). 46 „Das Europa der Bürger beginnt jedoch bereits in der Grundschule.“ - „Das Europa der Bürger muß auch ein Europa des Herzens sein.“ (Fontaine 1991,42 bzw. 40) 47 „Die Schaffung einer europäischen Staatsbürgerschaft würde die Tatsache einer menschlichen Gemeinschaft und einer politischen Union sichtbar dokumentieren. Ein eigener Status als europäischer Bürger würde auch die Legitimität des Projekts Europa in der Bevölkerung verankern.“ (Fontaine 1991,45) 48 EEA “ Einheitliche Europäische Akte; Artikel 149 des EWG-Vertrags regelt in den Absätzen a)-d) die Rechte des Parlaments; „a) Der Rat legt unter den Bedingungen des Absatzes 1 mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments einen gemeinsamen Standpunkt fest. b) Der gemeinsame Standpunkt des Rates wird dem Europäischen Parlament zugeleitet. Der Rat und die Kommission unterrichten das Europäische Parlament in allen Einzelheiten über die Gründe, aus denen der Rat seinen gemeinsamen Standpunkt festgelegt hat, sowie über den Standpunkt der Kommission. Hat das Europäische Parlament diesen gemeinsamen Standpunkt binnen drei Monaten nach der Übermittlung gebilligt oder hat es sich innerhalb dieser Frist nicht geäußert, so wird der Rechtsakt vom Rat entsprechend dem gemeinsamen Standpunkt endgültig verabschiedet. c) Das Europäische Parlament kann innerhalb der unter Buchstabe b) vorgesehenen Dreimonatsfrist mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder Abänderungen an dem gemeinsamen Standpunkt des Rates vorschlagen. Es kann ferner den gemeinsamen Standpunkt des Rates mit der gleichen Mehrheit ablehnen. Das Ergebnis der Beratungen wird dem Rat und der Kommission zugeleitet. Hat das Europäische Parlament den gemeinsamen Standpunkt des Rates abgelehnt, so kann der Rat in zweiter Lesung nur einstimmig beschließen. d) Die Kommission überprüft innerhalb einer Frist von einem Monat den Vorschlag, aufgrund dessen der Rat seinen gemeinsamen Standpunkt festgelegt hat, unter Berücksichtigung der vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Abänderungen. 351 die Gemeinschaftsorgane sind, von denen die Impulse zu einem Europa der Bürger ausgehen. An erster Stelle steht die Entfaltung der im Gemeinschaftsrecht begründeten Freiheiten zu Bürgerrechten, die Bewegungs-, Aufenthalts-, Betätigungs- und Ausbildungsfreiheit über die staatlichen Grenzen hinaus einschließen und den Verzicht auf Kontrollen bei der Überschreitung der Grenzen zum Ziele haben. Ein europaeinheitlicher Paß signalisiert das. Vorschläge reichen hin bis zum kommunalen Wahlrecht. Die Eröffnung des Zugangs zum öffentlichen Dienst hat sich zunächst vor allem zugunsten solcher Ausländer ausgewirkt, die mit Inländern verheiratet sind und im Inland Zugang z.B. zur Referendarausbildung gesucht haben. Weitere Auswirkungen sind absehbar. Hinzukommt zunächst die in der Rechtsprechung entwickelte Konsumentenfreiheit: Namentlich Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit sollen nicht nur den Anbietern zugute kommen, sondern auch den Verbrauchern die Freiheit der Wahl zwischen Produkten und Leistungen aus allen EG-Staaten eröffnen, mag es sich um Waren abweichender Qualität, Dienstleistungen unter abweichender Aufsicht und insgesamt um Angebote zu anderen Preisen handeln. Während Gesundheitsschutz weitgehend noch staatliche Aufgabe ist, bemüht sich die Gemeinschaft namentlich um Verbraucherschutz. Das Tätigwerden in anderen EG-Staaten wird seit langem auf dem Gebiet der Sozialversicherung durch umfangreiche Regelungen erleichtert. Nach ersten Versuchen 1969 bemüht sich die Kommission mit einem Arbeitsdokument vom September 1988 um ,die soziale Dimension des Binnenmarkts“. Der Europäische Rat hat durch den Beschluß vom Juni 1988 Anstöße hierfür gegeben. Dies alles zeigt, daß die EG in keiner Weise nur als Instrument großer Bürokratien oder Industrien zu verstehen ist, sondern mehr und mehr um Rechte und Chancen der Bürger bemüht ist.“ (Steindorff 1990, XIX f.) 8.6 Ecu Der Terminus »Ecu« erregt Brüsseler Terminologen und Linguisten 49 ebenso, wie die Tatsache einer gemeinsamen europäischen Währung Provinzdemagogen, Regionalfürsten und Bundespolitiker elektrisiert. Je nach europafreundlicher respektive -feindlicher Einstellung engagieren sich Berufene wie Nichtberufene in Orthographie (Groß-, Kleinschreibung), Phonetik (Aussprache), Morphologie (Artikelwahl) und Metaphorik (»Esperantogeld«, Peter Gauweiler 50 ). Die »schöne Literatur« nimmt sich in Form von Fabeln dieses „Parvenüs“ (Nooteboom 1994, 34) unter den Währungen an. Die Kommission übermittelt dem Rat zusammen mit dem von ihr überprüften Vorschlag die von ihr nicht übernommenen Abänderungen des Europäischen Parlaments und nimmt dazu Stellung. Der Rat kann diese Abänderungen einstimmig annehmen. 49 »Linguisten« in der EG-Bedeutung, d.h. im weiteren Sinne: Als »Linguisten« verstehen sich in Brüssel und Luxemburg all jene, die in irgendeiner Form mit Sprache zu tun haben, also in erster Linie Übersetzer und Dolmetscher sowie das jeweilige (Verwaltungs-) Management. Einen Sonderfall stellen die juristes-linguistes dar, Sprachsachverständige im juristischen Dienst, die als Revisoren Rechtstexte auf ihre Stimmigkeit hin überprüfen. 50 „Der Spiegel“ 7, 10.02.1992, S. 20ff. 352 Wie stark etwa Diskussionen über eine korrekte Verwendung des Artikels (maskulin vs. feminin) die Übersetzer im Wirtschafts- und Sozialausschuß beschäftigt, mag ein anonym an das panneau d’afßchage angebrachter Ausschnitt aus einer englischen Zeitung unter dem Titel „Written proof that Europe is divided“ dienen: „In what may turn out to be the most expensive proof-reader’s mistake in history, distribution of the Maastricht treaty on European union has been halted because of a row over three letters. Since February, teams of proof-readers have been working furiously at the Community’s publications office in Luxembourg on the 254-page Maastricht text, one version for each of the EC’s nine official languages. About 100,000 copies in all have been printed. A fortnight ago however, the German mission in Brussels noticed in the German edition references not to the ECU but to the Ecu. The difference is crucial: in capitals, the word looks like an abbreviation for European Currency Unit; lower case implies that ,Ecu‘ is what the ECU is actually going to be called. Bonn choked: it wants Europe’s common currency to be called the Euro-Mark or Europa-Mark. Officials who met to clear up the Maastricht’s treaty text in January realised that the nine versions of the text were hopelessly inconsistent. Some said ,ECU‘, some ,ecu‘, and the French versions said ,Ecu‘. Unable to compromise, the officials agreed to differ by making the style in each language the same as that used in each language text of the Single European Act five years earlier. But the Luxembourg proof-readers were not told, and they standardised the style throughout: to Ecu. ,It was after only we’d printed the damn things that the council told us to stop,’ said a Luxembourg source last night. The printer is faced with the ticklish task of either issuing 100,000 correction slips and chasing the copies already sent out, or pulping its entire stock. The order to stop came on 1 April, but German diplomats insist they are indeadly earnest.” Der Entdecker dieser Fundstelle begnügte sich jedoch nicht, den letzten Satz, der die Bemühungen deutscher Diplomatiekunst ridikülisiert 51 , hervorzuheben, sondern fügte folgenden persönlichen Kommentar an: „Le »sexe des anges« plus facile ä determiner que celui de l’Ecu? ? “ Der Streit um den „Ecu“ wird mithin nicht nur als provinziell, sondern darüber hinaus als sophistisch charakterisiert: Die Diskussion darüber ist ebenso überflüssig wie der angelologische Disput um die Frage, ob und wenn welches Geschlecht Engel haben. Außerdem insinuiert der Sprachendienstmitarbeiter eine Konnotation sexe —> genre, auch wenn in dem Zeitungsartikel diese Frage so gar nicht angesprochen wurde und eigentlich längst durch ein Memorandum des Generalsekretärs der EG-Kommission David Williamson vom 21. Dezember 1988 geklärt schien. Demnach hat sich eine speziell zum 51 Beispiele für sprachlich motivierte Angriffe auf administrative Vorstöße deutscherseits finden sich in der englischen Presse häufig. 353 Zwecke der Vereinheitlichung der Schreibweise („une orthographe appropriee“) der Europäischen Währungseinheit zusammengesetzte Kommission („Graupe inter-services sur 1’ecu institue au sein de la Commission“) gebildet, die sich von folgenden Motivationen leiten ließ: le Groupe a voulu aligner l’orthographe de l’ecu sur celle des autres monnaies, pour ne pas donner l’impression, erronee, que l’ecu ne serait encore qu’une simple unite de compte. Le groupe s’est egalement montre preoccupe par la proliferation des differentes formes ecrites donnees ä l’ecu, dans la presse et ailleurs“. 52 Als Quintessenz der Arbeiten dieser Gruppen wird festgehalten, daß es sich beim ECU/ Ecu/ ecu um die nunmehr fünf- oder sechstwichtigste „eurocurrency“ handle, gleichwohl aber orthographische Inkompatibilitäten vorhanden seien (engl. ECU vs. frz. Ecu), mithin Hinweise auf die Herkunft von European Currency Unit, was mitverantwortlich für das künstliche sprich: schlechte - Image der Währung („giving the ecu the air of an artificially constructed unit of account“) gemacht wird. Mit Rückendeckung höchster EG- Stellen („President Delors is in full agreement with these views“) werden folgende Empfehlungen für alle offiziellen Dokumente und Arbeitspapiere der Kommission gegeben: (1) Um den Anspruch auf echte Währung („true currency“) zu unterstreichen, sollte analog zu nationalen Währungen (dollar, sterling, franc, yen) ecu geschrieben werden (mit der Ausnahme des Französischen ecu, wo der accent aigu zu setzen sei, und dem Deutschen, wo der Großschreibung Rechnung zu tragen sei, also Ecu). (2) Weiter wird für Sprachen, in denen der Artikel einen Genusunterschied markiert, das Maskulinum vorgeschlagen: im Deutschen der ecu, im Spanischen el ecu, im Portugiesischen o ecu, im Plural im Italienischen gli ecu. Die Pluralbildungen entsprechen einzelsprachlichen Wortbildungsmustem (z.B. Niederländisch de ecu’s, Dänisch ecuerne und Deutsch die Ecu, also ohne Suffix -s). (3) Außerdem weisen remarks darauf hin, daß im Englischen wie im Französischen zu prononcieren sei („not ,EESEE-YOU“‘), und den Deutschen wird ins Gewissen geschrieben, daß das Genus von der alten französischen Münze stamme „and not from the German translation: Europäische (sic! ) Währungseinheit“. 52 Commission des Communautes europeennes, SG (88) D/ 15183; der Begleitbrief ist französisch, das eigentliche Memorandum englisch. 354 Kasten: Beispiel für die praktischen Auswirkungen der Groß-/ Kleinschreibung von ECU/ Ecu VERTRAG ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION Korrigendum Seite 13, Artikel 3 a Absatz 2 statt: „des Ecu“ lesen: „der ECU“ Seite 32, Artikel 109 Absatz I statt: „den Ecu“ lesen: „die ECU“ statt: „der Ecu-Leitkurse“ lesen: „der ECU-Leitkurse“ Seite 38, Artikel 109fAbsatz 2 statt: „des Ecu“ lesen: „der ECU“ statt: „des Ecu- - Verrechnungssystems“ lesen: „des ECU- - Verrechnungssystems“ Seite 38, Artikel 109/ Absatz 3 statt: „Ecu-Banknoten“ lesen: „ECU-Banknoten“ Seite 39, Artikel 109 g erster Absatz statt: „des Ecu-Währungskorbs“ lesen: „des ECU-Währungskorbs“ Seite 39, Artikel 109 g zweiter Absatz statt: „des Ecu“ lesen: „der ECU“ Seite 41, Artikel 109 j Absatz 1 zweiter Unterabsatz statt: „des Ecu“ lesen: „der ECU“ Seite 44, Artikel 109 l Absätze 4 und 5 und Artikel 109 m Absatz 1 statt: „den Ecu“ bzw. „des Ecu“ lesen: „die ECU“ bzw. „der ECU“ Seite 170, Artikel 49.1 statt: „Ecu“ lesen: „ECU“ Seite 172, Artikel 2 statt: „des Ecu“ lesen: „der ECU“ Seite 172, Artikel 4.1 erster Unterabsatz statt: „des Ecu“ bzw. „des Ecu- Verrechnungssystems“ lesen: „der ECU“ bzw. „des ECU- Verrechnungssystems“ Seite 174, Artikel 4.2 zweiter Unterabsatz statt: „die Ecu-Banknoten“ lesen: „die ECU-Banknoten“ Seite 175, Artikel 6.2 und 6.3 statt: „Ecu“ lesen: „ECU“ Seite 178, Artikel 12 statt: „Ecu“ lesen: „ECU“ Seite 182, Artikel 23.2 statt: „Ecu“ lesen: „ECU“ Seite 218, erster und zweiter Absatz statt: „des Ecu“ lesen: „der ECU“ aus: EGKS - EWG - EAG (Hrsg.) 1992,1 Da es sich bei dem Ecu um ein Symbol wenn schon nicht der Politischen so doch zumindest der Wirtschafts- und Währungsunion handelt, empfinden viele Mitgliedstaaten hierbei einen Eingriff in ihre nationale Eigenständigkeit. Insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland wird die Einführung des 355 Ecu als verbindliches Zahlungsmittel als Kampfansage auf die (zumindest zum Zeitpunkt der Maastrichter Entscheidung) so stabile eigene Währung angesehen, zumal ja die »starke Mark« ein wenig die »deutsche Identität« verkörpert. Weil alle Mitgliedstaaten eigene NamensVorstellungen für die gemeinsame Währung haben (das reicht von der Eurokrone über den Eurobolus und die Euromark bis hin zu Eurofranken, Eurodollar, Europeso etc. 53 ), schmerzt es Deutsche besonders, sprachlich übergangen zu werden: Die erträumte Euromark soll also geopfert werden für eine Währung, deren Name auf eine mittelalterliche, von dem französischen König Louis IX. zwischen den Jahren 1266 und 1270 eingeführte Goldmünze zurückgeht. „Deren gebräuchlicher Name ,Denier d’or ä 1 ECU 1 oder ,ECU-d’or‘ [rührte] daher [...], daß sie auf ihrer Rückseite einen Turnier- oder Wappenschild mit dem Wappen des Königs, eben einen ,ecu‘, zeigte“ (Haller 1991, 213). Als „Erfinder“ der Übertragung dieser Bezeichnung auf eine gemeinsame europäische Währung gelten Helmut Schmidt und Valery Giscard d’Estaing, die des mittelalterlichen Geldstücks gedachten, als der Ecu zum 1. Januar 1979 die frühere ERE (Europäische Rechnungseinheit) ablöste. Die Auffüllung von ECU zu „European Currency Unit“ kam dagegen erst später unter deutsch-englischem Einfluß zustande (Haller 1991, 214). Natürlich ist der Ecu als künstliche Währung, als „Korbwährung“, die aus der Summe festgelegter Prozentanteile der nationalen Währungen der EG-Mitgliedstaaten (composit unit) zusammengestellt wird, den Einzelstaaten und deren Bürgern ein Fremdkörper, zumal seine seit dem 8.1.1990 gültige- Zusammensetzung (Stand: 8.10.1990, nach Cwik 1991, 435 und Haller 1991, 214) fast allen „Betroffenen“ unbekannt ist: deutsche Mark 30,36% französischer Franc 19,32% britisches Pfund 12,60% italienische Lira 9,87% niederländischer Gulden 9,49% belgischer Franc 7,78% spanische Peseta 5,15% dänische Krone 2,52% irisches Pfund 1,11% portugiesischer Escudo 0,78% 53 Siehe dazu Weimer 1992. Der Terminus Eurodollar hätte zum einen Vorteile: „Dollar“ klingt nach Stabilität und ist da in keinem Mitgliedstaat offizielle Währung sprachlich »neutral«. Der Nachteil ist, daß es historisch bereits einmal Eurodollars gab, und zwar 1949, als die USA chinesische Konten auf amerikanischen Banken nach der dortigen Revolution einfroren und die Chinesen, um jenes Problem zu umgehen, ihre Dollars auf die sich in russischem Besitz befindliche Banque Commerciale pour VEurope du Nord mit Sitz in Paris transferierten, deren telegraphische Adresse Eurobank lautete, woraus dann die Termini activites eurobancaires und Eurodollar entstanden (Saul 1991, 33). In der Sicht von Wirtschafts- und Währungsexperten mag das durchaus als Makel empfunden werden. 356 griechische Drachme 0,70% luxemburgischer Franc 0.31% 100,00% Die faktische Dominanz der D-Mark führte in den anderen Ländern regelmäßig zu Kritik, da aufgrund der »Stärke« der Deutschen Mark andere Währungen oftmals so unter Druck gerieten, daß sie abgewertet werden mußten, was vor allem im Vereinigten Königreich als Schmach empfunden wurde. Die Deutschen hielten sich dagegen mit Kritik am europäischen Währungssystem wohl auch aufgrund seiner faktischen Bedeutungslosigkeit (in Ecu wurde bislang gemäß Art. 11 der Haushaltsordnung lediglich der EG-Etat erstellt)weitgehend zurück. Das änderte sich mit den Maastrichter Beschlüssen: Jetzt wird auch in der Bundesrepublik Deutschland stellvertretend für ein »demokratisch nicht mehr kontrollierbares, sich verselbständigendes Europa« der Ecu angegangen: In seltener Einmütigkeit schmähen christlichkonservative (Gauweiler) und sozialdemokratische Politiker (Lafontaine) als „europaphobe Besitzstandswahrer“ 54 die angestrebte Euro-Währung, die von ihnen als Bedrohung föderalistischer Eigenständigkeiten empfunden wird- Campanilismus pur! Ramge 1993, 51 sieht hinter all den von deutscher Seite vorgebrachten Klagen ein Opfer-Stereotyp, in dessen Wortfeld auch Begriffe wie Preisgabe, Verzicht, Verschenken, Verkaufen (i. S. von ,verraten*)“ gehören und deren Ausgangsbedeutung in den „religiös-rituellen Sprachgebrauch“ führe (etwa schlachten, Opferlamm, Altar [eines gemeinsames Europas! ]. Dies kollidiere auffällig damit, „daß die DM zum handgreiflichen Symbol deutscher Stereotype in bezug auf positive nationale Eigenschaften und Mentalitäten geworden ist: Tüchtigkeit, Arbeitsamkeit, Fleiß, Solidität, Beständigkeit, Produktivität 1 '. Das Resultat wäre „überspitzt formuliert: Die Deutschen opfern sich selbst“ (Ramge 1993, 52). Wie stark das Eurogeld die sprachliche und schöpferische Phantasie von Europakritikem wie -befürworten! oder auch reinen Beobachtern des Einigungsprozesses anregt, zeigt nicht zuletzt ein Wettbewerb der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden, die in ihrer Institutsszeitschrift Der Sprachdienst (Heft 36, 2) im Frühjahr 1992 folgende Preisaufgabe stellte: „Ecu (Aussprache französisch, weil eine gleichnamige Münze des 13. Jahrhunderts wiederaufnehmend) oder ECU (Aussprache englisch: European Currency Cnit), das ist bundes-, gar europaweit die Frage. Aber das soll hier nicht unsere Frage sein. Vielmehr: Wenn spätestens 1999 der (oder die) Ecu/ ECU die (mehr als nur rechnerische) gemeinsame EG-Währung wird, welche Münze welchen Namens soll dann als ein 54 Daniel Cohn-Bendit in „Die Zeit“, 19.6.1992. 357 Hundertstel ECU von Hand zu Hand gehen, statt des Pfennigs, des Cents, des Centimes, des (österreichischen) Groschens, des New Pence, des Penni, des Rappens usw.? Den Europäern fehlt noch, wie uns mit der Aufforderung zu handeln geschrieben wurde und was wir uns von Experten haben bestätigen lassen, die gemeinsame Bezeichnung der kleinsten Währungseinheit. Diese »Lücke im System« hat möglicherweise dazu geführt, daß es nach dem Europäischen Unionsvertrag den Ländern erlaubt sein soll, die herkömmlichen Münzbezeichnungen beizubehalten. Kann das aber der europäischen Einheit zuträglich sein? Wer das oder den oder die X nicht ehrt, ist des ECU nicht wert. Die Gesellschafl fiir deutsche Sprache will helfend eingreifen und zuvor selber die Sprachgemeinschaft um Unterstützung bitten: Gefragt sind Ihr Ideenreichtum, Ihre Phantasie, auch Ihre »europäische« Sprachsicherheit. Denn es sollte wohl darin den ECU übertreffend ein wirklicher Internationalismus sein, der dann europaweit von Mund zu Mund gehen soll, ein Wort, das eine Chance hat, in allen Ländern freudig »angenommen« zu werden, in der Durchsichtigkeit der Bedeutung, in der Aussprache und der Schreibung. Der Ausdruck muß sich auch gut »vermehren« lassen, damit Bildungen gemäß unseren Fünf-, Zehn- und Fünfzigpfennigstücken möglich werden. Und es muß eine plausible Abkürzung mitgeliefert werden (entsprechend Pf c, Gr, p, Rp usw.). Wir haben keinen »Auftrag« außer dem selbstgewählten und werden national und gar international allenfalls dann Gehör finden mit unserem -Ihrem - Vorschlag, wenn er zwingend ist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir zur gegebenen Zeit mehrere Wortkandidaten zur Auswahl weiterreichen.“ (ebd. 71 f.) Ein halbes Jahr später konnte der Sprachdienst (Heft 36, 5) den größten Erfolg in der Geschichte seiner Preisausschreiben verkünden: rund 2.500 Einsendungen übertrafen selbst die kühnsten Erwartungen und die »Fassungskraft« der GfdS-Jury (die sich wohl in etwa an der Zahl der Einsendungen bei der Namensproblematik für die »Ex-DDR«, die »neuen Bundesländer« orientierte: 700). Die Redaktion hielt fest: „Nein, wir haben nicht nur Zustimmung erfahren. So manche, vor allem aus der Publizistik und der Ökonomie, halten die Wort-Sorgen für marginal, für »außenseiterisch« angesichts der wirklichen finanziellen und wirtschaftlichen Probleme, welche die »Währung für Europa« mit sich bringt. Doch haben nicht die sprachlichen Aspekte den stärksten Bezug zur Realität? Hat nicht die weit verbreitete Ecu-Animosität auch mit der vorläufigen - Wahl, der Herausstellung dieses Ausdrucks zu tun? Die Akzeptanz in der Sache hängt auch davon ab, wie diese sprachlich »rüberkommt«. Die Sprache bildet die Wirklichkeit, die Welt nicht nur ab, »irgendwie«, sondern sie schafft diese zugleich: nicht zuletzt durch die Art des sprachlichen »Zugriffs« ist der Mensch in der Lage, einen angestrebten Zustand zu realisieren - oder zu verhindern, in diesem Fall die Einheit der europäischen Währung. Der Kampf ums Wort, von den Politikern nur zu gern ausgefochten hier lohnte er wohl besonders, und er hätte schon bei der großen Währungseinheit entsetzen sollen. Doch vielleicht ist’s ja nicht zu spät. In nicht wenigen Zuschriften wird uns vorgehalten, wir hätten mit unserem Wettbewerb die Bezeichnung Ecu zu festigen geholfen, statt sie zu bekämpfen. Nun, mittlerweile ist es nach Äußerungen etwa des deutschen Finanzministers und des Bundeskanzlers, recht unwahrscheinlich geworden, daß uns der Ecu beschert werden wird, und wir brauchen darum nicht weiter zu erörtern, warum der Ausdruck in der Sprachgemeinschaft auf Befremden stößt; das liegt eben an seiner 358 »Fremdheit«, an der Aussprache-Unsicherheit, am Abkürzungscharakter. Das kann uns vielleicht was lehren bei der Beurteilung der F/ enni'g-Ersatzvorschläge. Daß das »europäische Hundertstel« eines Tages benannt werden muß, ist so gut wie sicher, gleichgültig ob die große Einheit dann Ecu heißt oder Mark oder Franken oder ganz anders. So ist unser Wettbewerb gewiß nicht voreilig gewesen.“ (ebd. 172) Es wurden die unterschiedlichsten Vorschläge eingereicht: Besonders häufig wurden Kurzwörter oder Akronyme vorgeschlagen, wobei besonders Dipfel (aus Deutschland, / talien, Portugal, Frankreich, England und Luxemburg), Atal (aus Atlantik bis Ura/ ) oder Pent (aus Pfennig und Cent) origineller Natur waren. Oft wurden Zusammensetzungen mit Mini {MiniEcu, Minicu, Euromini), mit Euro (Eurostar, Europenny, Eurocent) und Eu (Eupenny, Eucent) sowie mit Ecu (schwäb. Ecule, Eculette) genannt. Weniger Sympathie steckte hinter Anregungen (»Satirismen«) wie Bankrotti, Ruine, Pleiti, Kümmerling, Flop oder Eumel, unklar blieb hingegen die Motivation jener, die Orts- oder Personen-(= Politiker-)Namen verewigen wollten: Maastri und Strassi bzw. Kohling oder Waigel. Die Jury entschied sich schließlich für Cent, was sie wie folgt begründete (ebd. 173f.): „Cent ist dies ist ein begrüßenswerter Aspekt der Esperanto-Ausdruck für ,hundert“. 55 Cent ist ein gemeinsames europäisches Wort. Es ist weithin schon als Münzbezeichnung gebräuchlich, und es ist gewiß darüber hinaus brauchbar, sei es nach einer Neueinführung oder nach der Reduzierung längerer gewachsener Formen (die Centimes, Centimos, Centavos, Centesimi können leicht zu Cents werden). Der Cent ist griffig in seiner Bedeutung, seinem Schriftbild und ungeachtet landessprachlicher Abweichungen seiner Lautung. Im Deutschen würden wir den Anlaut als »ts« sprechen können, wie in den Varianten anderer Z-Wörter; vgl. Centrum, circa, Cigarette. Die Grammatik des Wortes ist unproblematisch (im Deutschen: der Cent, des Cents, die Cents), ebenso die Multiplikation (deutsch: Fünf-, Zehn-, Fünfzigcentstück). Als Abkürzung bieten sich das c und etwas deutlicher das ct an.“ (ebd. 174) Ein sprachliches Problem brächte die in allen Mitgliedstaaten verbindliche Einführung des Ecu mit sich: Damit sich die Bürger „möglichst wenig umstellen müssen“, wäre eine Verwendung aller Amtssprachen auf den Geldscheinen wünschenswert. „Doch“, fragt Klaus-Peter Schmid in der „Zeit“ vom 17.9.1993, „kann man auf einen Geldschein überhaupt mehr als drei oder vier Idiome drucken? Und wie verhält man sich, wenn die Produktion der Geldscheine beginnen muß, bevor der Kreis der beteiligten Länder definitiv festliegt von der sprachlichen Berücksichtigung von Nachzüglern wie Schweden oder Finnland ganz zu schweigen? “ (Schmid 1993a, 36). Bei dergleich profanen praktischen Problemen hilft auch die Lektüre der Maastrichter Verträge nicht weiter, denn dort ist nur festgelegt, daß bis spätestens 1. Januar 1999 die Wechselkurse der europäischen Währungen unwiderruflich fixiert werden müssen, um eine rasche Einführung der gemeinsa- 55 Diejenigen, die den Ecu als „Esperanto-Geld“ schmähen, werden dieser Argumentation wohl wenig abgewinnen können. 359 men Währung Ecu zu gewährleisten. Daß derartige Probleme aber zu lösen sind, macht die Schweiz vor, die auf ihren aktuellen Geldscheinen neben den schon traditionellen Schriftzügen auf deutsch, französisch und italienisch nunmehr auch Wertangaben in der neuen „Kunstsprache“ Rumänisch Grischun, der Ausgleichskoine der diversen bündnerromanischen Talschaftsvarietäten, tragen. 8.7 Demokratisierung Ganz offensichtlich werden die bestehenden EG-Institutionen als mit einem demokratischen Defizit behaftet angesehen, was angesichts der Tatsache, daß lediglich die Mitglieder des Europäischen Parlaments ein direktes Mandat der Bürger haben, nicht zu überraschen vermag. Hinzu kommt, daß die Rechte des EP laut Artikel 137 des EWG-Vertrags über »Beratungs- und Kontrollbefugnisse« kaum hinausgehen, auch wenn sich seit den Römischen Verträgen einiges gewandelt hat, von der Direktwahl über den Mißtrauensantrag bis hin zur förmlichen Feststellung des Haushaltsplans (Bieber 1991, 120ff.). Entscheidungen der »Bürokratie« entziehen sich bislang oftmals einer effizienten demokratischen Kontrolle, weswegen in einer Reihe von Mitgliedstaaten eine Aufwertung der gesetzgeberischen Befugnisse des Parlaments gefordert wird. Selbstverständlich tun das auch die Parlamentarier selbst, obwohl nach außen wohl eine Art »corporate identity« - EG-Entscheidungen auch dann als positiv verkauft werden, wenn sie für die eigene Organisation eindeutig negativ ausgefallen sind. Die Erwartungen seitens des Parlaments an den Maastrichter Vertrag sind keineswegs erfüllt worden, auch wenn der In Kapitel 8.3.3 schon erwähnte Fraktionsvorsitzende der EVP, Egon Klepsch, betont: „Die überlegte Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität wird allgemein als wesentliche Garantie für Demokratie angesehen. In der Beseitigung des demokratischen Defizits sehen wir als Europaabgeordnete eine unserer wesentlichen Aufgaben. [...] Wenn der Maastricht-Vertrag scheiterte, weil man ihm mangelnde Demokratie vorwirft, würde das Gegenteil eintreten: nämlich ein Weniger an demokratischer Kontrolle und an Demokratie. Maastricht bietet auch die Voraussetzung für eine bessere und verstärkte demokratische Kontrolle der Bürokratien des Rates und der Kommission. Andererseits muß an die Adresse der Regierungen gesagt werden, daß sie es sich zu einfach machen, wenn sie ständig »Bürokratie und Zentralismus in Brüssel“ kritisieren, des öfteren aber Auswüchse anprangem, die auf nationalen Vorschriften beruhen oder auch Wünsche oder Empfehlungen, die aus dem Rat kommen.“ (Klepsch 1992, 39) Immerhin beweisen schriftliche Überlegungen und mündliche Diskussionen über »Demokratiedefizit« bzw. (notwendige) »Demokratisierung« 56 , daß zu- 56 Auch bei »Demokratisierung« handelt es sich um einen Begriff, der problemlos in alle EG-Sprachen (lautlich identisch) zu integrieren ist: dän. demokratisering, engl, democra- 360 mindest in Teilbereichen europäischer Institutionen ein Problembewußtsein für die Sorgen von Mitgliedstaaten und EG-Bürgem festzustellen ist. Das Nein des dänischen Referendums wird einerseits Abneigungen gegen eine „anonyme technische Macht“, andererseits aber auch Defiziten in Kommunikation, Information und Diskussionsstand zugeschrieben (Martens 1992, 14), also Demokratisierung vielleicht auch als ein Problem der komplexen Mediengesellschaft, wie es Kabinettchef Marcell von Donat von der Brüsseler EG- Kommission konstatiert: „Die Wahrnehmung der gemeinsamen Welt bleibt Utopie. Die Demokratisierung der Staatengemeinschaft ist infolgedessen eine Schimäre. Wir werden ihr weiter nachjagen, sinnlos, weil wir sie mit zwölf getrennt lebenden Informationswelten nie erreichen können.“ (von Donat 1993b, 10) Sich der Tatsache bewußt, daß die Kompetenzenverteilung zwischen den einzelnen EG-Institutionen demokratischen Anforderungen nicht gerecht wird, versammelte der italienische Europaparlamentarier Altiero Spinelli („Indipendenti di sinistra“) Abgeordnete aller Fraktionen in dem sogenannten „Club de Crocodile“, aus dem eine Kommission hervorging, die Schritte in Richtung institutioneller Reformen im Sinne einer Demokratisierung erarbeitete (Reich 1991, 343). Der am 14. Februar 1984 von dieser Kommission vorgelegte »Unionsvertrag« wurde vom Parlament mit klarer Mehrheit angenommen und fand schließlich Eingang in die Einheitliche Europäische Akte vom 2./ 3. Dezember 1985. Ein Mehr an Demokratie bedeutete die Neuordnung der Zusammenarbeit zwischen Parlament und Rat (Stärkung des Einflusses des Parlaments auf die EG-Gesetzgebung) und die Regelung der Verfahren bei Beitritts- und Assoziierungsabkommen, bei denen eine Stellungnahme des Parlaments nach Artikel 237 und 238 EWG-Vertrag zur Bedingung gemacht wurde (Reich 1991, 345). Daß das Demokratiedefizit der EG immer spürbarer wird, liegt nicht zuletzt daran, daß immer mehr Entscheidungen nationaler Gesetzgebung von Brüssel vorgegeben werden. So werden nach Einschätzung des Kommissionspräsidenten Jacques Delors gegen Ende des 20. Jahrhunderts etwa 80% der Legislation in der Wirtschafts- und Sozialpolitik europäischer Herkunft sein, was selbst Kommissionsbeamten als „aus demokratischer Sicht [...] allmählich unhaltbar“ (Fitzmaurice 1991, 368) erscheint. tization, frz. democratisation, griech. feKStipoKpaxiopb^, it. democratizzazione, niederl. democratizatie, port, democratizagäo und span, democratizaciön. 9. Ergebnisse und Zusammenfassung 9.1 Institutioneile Bedingungen der Textarbeit im WSA Wir haben den WSA als Mikrokosmos mehrsprachig-interaktiver Textarbeit beschrieben; Textstrukturen und Funktion seiner Stellungnahmen lassen sich nämlich nur vor dem Hintergrund seiner spezifischen Stellung innerhalb der EG-Institutionen verstehen. Der WSA ist eine beratende Versammlung für Kommission und Rat, in der Vertreter der maßgeblichen Verbände der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und anderen relevanten wirtschaftlichen und sozialen Gruppen vereint sind. Er sieht sich selbst als institutionalisierte Interessenvertretung der wirtschaftlichen und sozialen Kreise. Er besteht aus 189 Mitgliedern, nach einem festen doppelten Proporz auf die 12 Mitgliedstaaten und auf die drei Gruppen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der sog. „sonstigen Interessen“ verteilt. Die Mitglieder sind ehrenamtlich tätig und kommen in der Regel nur zu den Sitzungen nach Brüssel, d.h. zwei bis drei Mal pro Monat. Der WSA gliedert sich in Fachgruppen, die jeweils einen Themenbereich der EG-Politik abdecken. Der WSA ist die einzige EG-Institution, deren Aufgabe sich im wesentlichen in Textproduktion erschöpft. Er gibt Stellungnahmen zu Rechtsaktvorschlägen der EG-Kommission ab; dabei ist in einem definierten Themenbereich seine „Befassung“ obligatorisch, in anderen Bereichen fakultativ. Außerdem kann er ohne Befassung auf eigene Initiative zu jedem EG-relevanten Thema „Initiativstellungnahmen“ abgeben, um so ein Thema als politisch relevant für die EG zu definieren. Das Verfahren der Textgenese ist durch die Geschäftsordnung geregelt; sie wurde in Kapitel 3 ausführlich dargestellt wegen ihrer Relevanz für die institutioneile Kommunikation im WSA: Unter expliziter oder stillschweigender Berufung auf die Geschäftsordnung können Themen auf die Tagesordnung gesetzt, Rederechte verteilt und Änderungsanträge behandelt werden. So ist eine Geschäftsordnung für den früheren WSA-Präsidenten Gerd Muhr auch beileibe keine Zwangsjacke für die Textarbeit, sondern notwendig für einen geregelten Interessenausgleich unter den Mitgliedern: „In solchen internationalen Gremien keine festen Formen zu haben, in denen man sich äußern kann, das kann fast tödlich sein, denn die Ideen, die da rumschwirren, bei 189 Mitgliedern, die sind sehr vielfältig.“ Eine zentrale Rolle als Textautor spielt der Berichterstatter, der ausgehend von einem Arbeitsdokument den Stellungnahmentext über mehrere Entwurfsstadien in einer Studiengruppe, dann in der Fachgruppe und schließlich 362 im Plenum verantwortlich betreut und diskutieren läßt. In der Studiengruppe wird weder über den gesamten Text noch über einzelne Formulierungen abgestimmt, wohl aber in Fachgruppe und Plenum. Die Aushandlung des Textes ist in der Studiengruppe informell: Die Mitglieder können Änderungswünsche äußern. In der Fachgruppe und im Plenum können sie schriftliche Änderungsvorschläge machen bzw. -anträge stellen, über die abgestimmt wird, wenn Dissens mit dem Berichterstatter besteht. Die Geschäftsordnung legt das Verfahren zur Behandlung einer Vorlage im Plenum weitgehend fest. Studiengruppen sind für die Textgenese besonders wichtig: Sie werden ad hoc gebildet, sind in der Größe überschaubar und setzen sich aus WSA-Mitgliedem zusammen, die für die anstehende Frage als besonders kompetent ausgewählt und für die Textarbeit motiviert sind. Jedes Mitglied kann sich aktiv an der Textarbeit beteiligen und sich im Vertrauen auf die Nicht-Öffentlichkeit der Sitzung relativ frei zu Problemen und divergenten Formulierungsinteressen äußern, ohne in dieser Phase bereits etwa die Öffentlichkeitswirkung der Stellungnahme strategisch mitberücksichtigen zu müssen. In Interviews mit WSA-Mitgliedem und anderen Interessenvertretem in Brüssel sind wir u.a. der Frage nachgegangen, ob sich der WSA als ressortübergreifenden Zusammenschluß von Lobbyisten versteht oder ob er sich gegenüber einer solchen kollektiven „pressure group“ einen institutionell abgesicherten höheren Rang zuweist. Im Gegensatz zu Lobbyisten, die in einer möglichst frühen Phase des Rechtsetzungsverfahrens mit Hilfe einer informellen Infrastruktur von Kontakten ihre partikularen Interessen einbringen, sieht der WSA seine Stärke darin, der EG-Kommission konsensfähige Positionen der europäischen Wirtschafts- und Sozialverbände mitzuteilen und die maßgeblichen EG-Organe dahingehend zu informieren, ob geplante Maßnahmen bei den Betroffenen Zustimmung finden oder ob wesentliche Widerstände zu erwarten sind. Die Stellung des WSA ist freilich im Vergleich zu anderen EG-Institutionen schwach, da seine Stellungnahmen nicht rechtsverbindlich sind, Kommission und Rat sie nicht beachten müssen. Das prekäre institutioneile Verhältnis des WSA zur EG-Kommission spiegelt sich in Randbemerkungen in seinen Stellungnahmen und in Redebeiträgen aus den Sitzungen. Sie sind gekennzeichnet durch eine Spannung zwischen lobenden Bewertungen für Kommissionsinitiativen und einer eifersüchtigen Wachsamkeit, ob die Kommission den WSA im vorliegenden Fall angemessen informiert und gewürdigt hat. Wir haben den WSA als Objekt für Fallstudien zur Textgenese aus mehreren Gründen ausgewählt: Einer war, daß der WSA diejenige EG-Institution ist, in der sich Textgenese mit vertretbarem Forschungsaufwand am besten beobachten läßt. Er unterscheidet sich darin von der EG-Kommission, bei der Länge und Komplexität eines Textgeneseverfahrens nicht von Beginn an vorhersagbar sind. Einzelne Fallstudien von Rechtsetzungsverfahren in der 363 Kommission können wegen der typologischen Vielzahl dortiger legistischer Prozesse kaum einen allgemeingültigen Anspruch erheben. Die Übersichtlichkeit der Textgenese im WSA wird bestimmt durch die Orientierung auf die Geschäftsordnung und einen Termindruck wegen von der Kommission gesetzter Fristen zur Abgabe der Stellungnahme und knapper Ressourcen (Geld, zeitlich beschränkte Dolmetscherhilfe aus dem Pool des für alle Brüsseler EG-Institutionen gemeinsamen Dolmetscherdienstes). Institutionell kooperieren im WSA drei Status-Gruppen: - Mitglieder sind aus den EG-Mitgliedstaaten delegiert und nur zu den Sitzungen in Brüssel anwesend. Fremdsprachenkenntnisse dürfen für sie nicht zur Voraussetzung für eine Mitwirkung gemacht werden; für die meisten von ihnen ist die Tätigkeit im WSA eine ehrenamtliche Zusatztätigkeit zu ihrer sonstigen Funktionärsarbeit; - Beamte des Generalsekretariats wohnen und arbeiten in Brüssel, sind polyglott (und damit vergleichbar den Kommissionsbeamten) und auch in der Vorbildung und Arbeitseinstellung vergleichbar anderen „Bürokraten“; - Übersetzer als eine besondere Gruppe von Dienstleistem im Generalsekretariat arbeiten den Mitgliedern bei der Textgenese zu, sind aber oft nicht über alle Implikationen des Verfahrens im Bilde. Bei den Mitgliedern bündeln sich Formulierungsinteressen, weil sie in fünffacher Weise sich Gruppen zuordnen: einer der 3 Gruppen, aus denen sich der WSA konstituiert (Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Vertreter „sonstiger“ Interessen); einer „Fachgruppe“, also einer Gruppe für die thematische Groborientierung bei der internen Arbeit (z.B. „Landwirtschaft“, „Industrie“, „Umwelt“ usw.); einer Nationalität und/ oder Sprachgemeinschaft; dabei bildet Belgien mit seinen zwei Haupt-Sprachgemeinschaften 1 eine Ausnahme. einem Verband, den das Mitglied im WSA repräsentiert (bei den Deutschen z.B. BDI, DGB oder Verbraucherverbände); als Experte auf ausgewiesenen Fachgebieten (persönliches berufliches Erfahrungswissen der Mitglieder). 1 Die deutschsprachige Minderheit Belgiens ist nicht im WSA vertreten. Angesichts der Anstrengungen, die die Katalanen weltweit, so auch im Europäischen Parlament, unternehmen, ihre Sprache aufwerten zu lassen, war es für uns durchaus bemerkenswert, daß wir nie beobachten konnten, daß ein katalanisches WSA-Mitglied seine kulturelle und sprachliche Eigenständigkeit betont hätte (vgl. La Gueriviere (1992, 50), der sprachliche Ansprüche von Regionalisten an die EG erwähnt; den Forderungen von katalanischer Seite würden manche europäische Parlamentarier ein wohlmeinendes Ohr leihen). 364 9.1.1 Mehrsprachigkeit Am Anfang unseres Projekts haben wir als Arbeitshypothese formuliert: Wer bei der Aushandlung von Texten nicht in seiner Muttersprache teilnehmen kann, ist bei der Durchsetzung seiner Formulierungsinteressen benachteiligt. Diese Hypothese läßt sich aufgrund unserer Beobachtungen nicht so bündig verifizieren oder falsifizieren. Der WSA stellt sich aber durchaus als geeignete Institution dar, um die Verfahren der Aushandlung von Formulierungsinteressen unter mehrsprachigen Bedingungen zu beobachten: Stellungnahmen werden in mehreren Entwurfsversionen in unterschiedlichen Gremiensitzungen mehrsprachig im Ganzen und im Detail behandelt, Formulierungen werden ausgehandelt (formell oder informell). Der WSA präsentiert sich dabei als EG-Institution, die in besonderer Weise und im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Gleichrangigkeit der EG-Amtssprachen als Arbeitssprachen beachtet. Jedes Mitglied hat prinzipiell Anspruch auf Texte in seiner Muttersprache, sofern es sich um eine EG- Amtssprache handelt, auf Übersetzung seiner verfahrensrelevanten Texte in alle anderen Amtssprachen und auf Verdolmetschung in seine und aus seiner Muttersprache. Auf diese Weise wird eine Benachteiligung von Mitgliedern verhindert, die kompetente Repräsentanten bestimmter wirtschaftlicher und sozialer Interessen und Experten für Teilgebiete der EG-Gesetzgebung sind, aber nicht über hinreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügen, um in Gremiensitzungen auf ihre Muttersprache verzichten zu können. Texte zu den Fachgruppensitzungen und Plenartagungen werden in allen neun EG-Amtssprachen vorgelegt, die Stellungnahmen erscheinen schließlich im EG- Amtsblatt ohnehin zeitgleich in allen Sprachen; in Fachgruppen und im Plenum wird zudem 9: 9 gedolmetscht. Probleme in der Mehrsprachigkeitspraxis stellen sich subtiler dar: (1) Die Relevanz von Fremdsprachenkenntnissen ist für WSA-Mitglieder ambivalent. Die Reduzierung der Zahl von Arbeitssprachen in Studiengruppen wird zu einem praktischen Problem, wenn die Studiengruppenmitglieder aus einer größeren Zahl von Ländern kommen, als Sprachen vorgesehen sind: Dann muß der eine oder andere auf seine Sprache verzichten. Zum einen hat zwar jedes Mitglied einen Anspruch auf schriftliche und mündliche Partizipation in seiner Muttersprache, zum anderen verzichten in der Praxis aus Rücksicht auf organisatorische Engpässe gelegentlich gerade WSA-Mitglieder aus kleineren Ländern in den für die Textgenese besonders relevanten Studiengruppen auf das Recht, ihre Muttersprache zu verwenden. Eine zumindest rezeptive Beherrschung von Fremdsprachen erleichtert die gemeinsame Arbeit und verschafft einen Verstehens- und Argumentationsvorsprung vor Kollegen, die total einsprachig sind; fremdsprachliche Kommunikation ist vor allem für informelle Kontakte außerhalb der Sitzungen dienlich, die gleichermaßen der Beziehungspflege und einer Aushandlung von Formulie- 365 rungen vor und nach der Sitzung und dem Interessenausgleich bei Divergenzen dienen. (2) In der ersten Phase der Textarbeit, in den Studiengruppen, ist die Zahl der Arbeitssprachen auf 4-5 reduziert. Das geschieht, um Kosten zu sparen, und wird rechtlich dadurch möglich, daß Studiengruppen im primären Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehen und daher nicht an die Vollsprachenregelung gebunden sind. Bei der Zusammensetzung der Studiengruppen wird zwar möglichst eine Kongruenz angestrebt zwischen dieser Arbeitssprachenregelung und der Verteilung der Studiengruppenmitglieder auf Sprachen; das ist freilich gerade für die Mitglieder aus kleineren Sprachgemeinschaften nicht immer möglich. (3) Texte werden im Verlauf des Verfahrens in Sprachen übersetzt, die in der Praxis nicht nachgefragt werden. So orientieren sich z.B. dänische WSA-Mitglieder oft an der englischen Fassung von Entwürfen und lassen die Produkte der dänischen Übersetzungsabteilung außer acht. Damit fallen die dänischen Produkte qualitativ zurück, da die ansonsten üblichen Rückmeldungen von Mitgliedern zu Übersetzungsproblemen und brisanten Textteilen ausbleiben. (4) Neben dem institutionell geregelten Procedere gibt es eine Reihe von informellen Verfahren, die für die Arbeit an Texten im WSA wichtig sind: Redaktionssitzungen außerhalb der Geschäftsordnung ohne Dolmetscher, Kontakte vor und nach den Sitzungen sowie in Pausen, in denen Absprachen getroffen und Kompromisse zur Textformulierung ausgehandelt werden, um die formale Sitzung davon zu entlasten. Hier sind Mitglieder durchaus auf eigene Fremdsprachenkenntnisse, auf die von Kollegen oder auf hilfsweise als Dolmetscher einspringende WSA-Beamte oder -Übersetzer angewiesen. Institutionell ist eine Arbeitsteilung zwischen Mitgliedern, Übersetzern und Dolmetschern vorgesehenmithin zwischen denen, die inhaltlich für die Texte zuständig sind, und denen, die für eine reibungslose sprachliche Vermittlung zu sorgen haben. Daß gelegentlich diese Arbeitsteilung suspendiert wird, ist sicherlich in einer relativ kleinen Institution wie dem WSA besser und reibungsloser möglich als in den großen EG-Organen wie der Kommission. Oftmals wird bei der Behandlung von Änderungsanträgen in Sitzungen auf eine Abstimmung verzichtet und statt dessen auf Anregung des Sitzungspräsidenten oder des Berichterstatters eine Kompromißformulierung ausgehandelt. Dieses informelle Verfahren wird erleichtert und verkürzt, wenn Antragsteller zeitweise auf ihre Muttersprache verzichten und auf die Sprache des Präsidenten oder des Berichterstatters übergehen können. (5) Die Leistungen der Dolmetscher werden unterschiedlich beurteilt; mitunter wurde uns gegenüber der Argwohn geäußert, daß dem WSA nicht die erste Garnitur von Dolmetschern zur Verfügung gestellt würde. Wir kön- 366 nen diese Urteile im einzelnen weder bestätigen noch entkräften, doch auch uns fiel auf, daß mitunter komplexe Äußerungen verkürzt werden, daß dabei insbesondere die Teile unter den Tisch fallen, in denen fein abgestuft und diplomatisch verklausuliert die eigene Bewertung des strittigen aktuellen Beratungsgegenstandes formuliert wird. Das sind mithin Textteile, die für die Aushandlung von Kompromissen und Konsens besonders relevant sind. Zudem ist unbestreitbar, daß Dolmetscher im WSA wegen der Bandbreite seiner Stellungnahmen ein besonders weites thematisches Spektrum kompetent abdecken müssen. Das führt dazu, daß WSA-Mitglieder oft auf die Dolmetscherhilfe verzichten, wenn sie über ausreichende passive Kenntnisse zu verfügen glauben, weil sie sich davon Vorteile versprechen: Sie hören dem Redebeitrag des Kollegen in der Originalsprache zu, können bewertende Abstufungen unmittelbar registrieren, ohne auf möglicherweise ungenaue Übersetzungen angewiesen zu sein - und sie gewinnen einen Zeitvorteil für die Planung eigener Entgegnungen. (6) Wir haben öfter beobachtet, daß angebotene Dolmetscherleistungen nicht nachgefragt wurden. So verfügen insbesondere Niederländer und Dänen, mehr als die Deutschen, über Kenntnisse, die ihnen ermöglichen, in der Originalsprache zuzuhören. Freilich läßt sich so auch die isolierte Stellung der Griechen beobachten: Wenn ein Grieche in seiner Sprache redet, benutzen alle Nichtgriechen die Kopfhörer! (7) Schließlich gibt es auch gesprächsdynamische Effekte für einen zeitweisen Fremdsprachengebrauch. 2 Gesprächsorganisatorisch-pragmatisch ist etwa die Praxis des griechischen Vizepräsidenten des Wirtschafts- und Sozialausschusses, Kazazis: Längere inhaltliche Äußerungen macht er auf griechisch, kurze Ansagen und Anweisungen (z.B. bei der Abstimmungsprozedur) arbeitsökonomisch auf französisch. Versetzen wir uns in ein WSA-Mitglied, das zwischen seiner Muttersprache und einer Verständigungssprache als Arbeitssprache wählen muß: Ihm stellt sich diese Wahl generell dar als Zielkonflikt zwischen den beiden Prinzipien Verständigung und Sprachpolitik, zwischen denen nach einer Kosten-Nutzen- Rechnung abzuwägen ist. 3 Einerseits kann das WSA-Mitglied für eine effiziente Verständigung Fremdsprachenkenntnisse nutzen, durch sie Entscheidungsprozeduren beschleunigen und Kosten reduzieren. Nicht immer freilich 2 So führt der dänische Videofilm „Tal dansk din hund. Dansk et intemationalt EF-sprog“ einen dänischen Minister und amtierenden Ratsvorsitzenden vor, der im Europäischen Parlament die Frage eines Parlamentariers auf englisch beantwortet, weil die Frage auch auf englisch gestellt worden ist. Freilich erfordert das in diesem Fall eine ausdrückliche Rechtfertigung und eine Art von scherzhaft-ausdrücklicher Billigung des Sitzungspräsidenten. 3 Ähnlich führt Marcell von Donat das EG-Arbeitssprachenproblem vor als persönliche Entscheidungssituation des Bürokraten vor einer Sitzung, in der er Vertreter von Gegenpositionen überzeugen will: „Soll ich Deutsch oder Französisch reden? “ (Donat 1993a, 79). 367 ist autarke fremdsprachliche Kommunikation in dieser Hinsicht zweckmäßigbei „diffizilen Dingen“ benutzen auch Deutsche mit guten Englischkenntnissen gelegentlich den Kopfhörer. Andererseits können WSA- Mitglieder aus sprachpolitischem Prinzip unter Rekurs auf demokratische und föderale Prinzipien auf der Verwendung ihrer Muttersprache insistieren. Ein pragmatischer Verzicht ist nur zeitweise möglich, solange er als interne Regelung der alleinigen Aushandlung der Beteiligten untersteht. Nach politischer Intervention, etwa aus einem Mitgliedstaat, wird der Verzicht unumkehrbar zum Verstoß gegen die EG-Sprachenregelung umdefmiert und sanktioniert. Unsere Arbeitshypothese wurde vor dem Hintergrund starken politischen Drucks aus Deutschland formuliert, daß Deutsch als quasi „naturwüchsige“ 4 dritte Arbeitssprache in der EG benachteiligt, wenn nicht gar diskriminiert werde. 5 Unsere Beobachtungen haben für den WSA ergeben, daß hier von einer derartigen Benachteiligung des Deutschen nicht die Rede sein kann; Deutsch ist auch in Studiengruppen ständig vertreten. Nach Meinung langjähriger WSA-Mitglieder ist die Situation „besser als früher“. Schwieriger stellt sich die Situation für Vertreter kleinerer Länder und Sprachgemeinschaften dar; so wird Niederländern, Dänen und Portugiesen eher als Deutschen zugemutet, in Studiengruppen auf ihre Sprache zu verzichten. Die Einstellung der sprachlich „benachteiligten“ WSA-Mitglieder dazu ist differenziert, sie bewegt sich zwischen Pragmatismus und Prinzipientreue: Zum einen bekunden sie einen professionellen Stolz auf ihre überdurchschnittlich entwickelten Fremdsprachenkompetenzen, zum anderen legen sie Wert darauf, 4 So leitet Burkert (1990) seine Forderung nach einer stärkeren Verfügbarkeit des Deutschen als EG-Arbeitssprache ab von einem „traditionell guten dritten Platz“ dieser Sprache, der aber ausbaufähig sei. Dafür spreche u.a., daß Deutsch die größte Sprachgemeinschaft in der EG sei. 5 Die Bundesregierung spricht in ihrem Bericht „über die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäischen Gemeinschaften“ für das zweite Halbjahr 1992 von "Fälle[n] der Benachteiligung der deutschen Sprache, die über den Einzelfall hinausweisen und strukturelle Defizite offenlegen“ (Bericht 1993, 18). Diese Fälle betreffen vor allem die externe Kommunikation der EG-Organe mit Behörden der Mitgliedstaaten (Korrespondenz, Fragebögen) und mit einer weiteren Öffentlichkeit von EG-Bürgern (Publikationen, Informationsschriften, Studienaufträge und Ausschreibungen, öffentliche Veranstaltungen). Klage wird auch über verspätet auf deutsch vorliegende Rechtsakte geführt (Bericht 1993,18f.). Ein anderes Problem ist die EG-inteme Arbeitssprachenregelung: Nach einer Erklärung ihres Sprechers, Bruno Dethomas, vom 1. September 1993 hat die EG-Kommission die aktuelle Regelung festgeschrieben: „,Die Kommission hat heute die Ausführungsbestimmungen zu ihrer Geschäftsordnung beschloßen [sic! ]. Bei dieser Gelegenheit bestätigt der Präsident der EG-Kommission, daß die geltende Sprachenregelung für die Kommissionsdokumente unverändert fortgeführt wird.“ Die Regelung ist derzeit wie folgt: - Wenn Dokumente nach außen gerichtet sind, werden sie in den Amtssprachen der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt, d.h. in Dänisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch und Spanisch. - Soweit Dokumente für den internen Gebrauch der Kommission vorgelegt werden, werden sie in den Arbeitssprachen Deutsch, Englisch und Französisch verfaßt.“ 368 daß ihre Bereitwilligkeit, auf die Muttersprache zu verzichten, als Verzicht im Einzelfall definiert wird, damit daraus kein negatives Gewohnheitsrecht konstruiert wird. Dann nämlich, so argwöhnen sie, würde schrittweise der Status des Niederländischen, Dänischen, Portugiesischen usw. als EG-Sprache demontiert. Zudem legten die Solidarität der kleinen Länder untereinander und die Rücksicht auf fehlende Fremdsprachenkenntnisse bei Funktionären der Verbände, die sie im WSA repräsentierten, doch ein Insistieren auf Verwendung ihrer Sprache auch in Fällen nahe, wo dieses im konkreten Falle nicht zwingend notwendig erscheine. Fazit: Die Chancen, eigene Formulierungsinteressen im WSA durchzusetzen, sind nicht so sehr davon abhängig, ob man dabei die Muttersprache benutzen konnte oder nicht. Wesentlicher für den Erfolg sind zwei andere Handlungsstrategien: (1) eine Anpassung an den WSA-spezifischen Formulierungsstil; (2) eine Orientierung an mehrheitsfähigen Positionen. Die Fähigkeit, eigene Formulierungsinteressen mit den institutionsspezifischen Handlungsmöglichkeiten verträglich zu gestalten, möchten wir Orientierungskompetenz nennen. Das Projekt hat gezeigt, daß nicht der sich durchsetzt, der gegenüber an der Textaushandlung Beteiligten auf der Durchsetzung seiner Muttersprache besteht, sondern der, der über die Kompetenz verfügt, sprachliche Defizite prozedural zu überwinden. 9.1.2 Textaushandlung und Konsensprinzip Die Aushandlung von EG-Texten läßt sich beschreiben als Interdependenz schriftlicher und mündlicher Fachkommunikation. Darin unterscheidet sich der WSA nicht wesentlich von anderen EG-Institutionen. In den Gremiensitzungen werden mündlich Vorgaben an den Text formuliert, divergente Ansprüche ausgehandelt, Texte zitiert und referiert sowie Normen der Textarbeit thematisiert; die Redebeiträge sind dabei nur selten spontan, meist „inszeniert“ 6 durch Anpassung an institutionsspezifisch etablierte Darstellungs- und Argumentationsmuster. Dadurch ist der Stil in mündlicher Gremienarbeit stark durch schriftsprachliche Muster und durch einen institutionsspezifischen Redestil geprägt. Er ist gekennzeichnet durch Rituale und spezifische Anrede- und Höflichkeitsformen. Längere, in sich geschlossene Redebeiträge dominieren, wobei die üblichen Phänomene mündlicher Kommunikation im Vergleich zu Alltagsgesprächen unterrepräsentiert sind. Nicht vorhanden sind etwa die Synchronisierung dialogischen Sprechens durch Rezeptionssignale und von den Beteiligten selbst organisierter Sprecherwechsel; vielmehr wird das Rederecht von Sitzungsleitem nach Voranmeldung und 6 „Inszenierung“ im Sinne von Dieckmann (1981 und 1983) als Sprechen mit kollektiven Deutungsmustern. 369 fester Rednerliste zugewiesen. Redner sind gegen Unterbrechungen von Kollegen (außer mit vorgängigen Äußerungen zur Geschäftsordnung) geschützt. Sie bilden ihre Äußerungen nach den Regeln einer schriftsprachlichen Grammatik; Anakoluthe und Ellipsen kommen somit kaum vor. Durch die Geschäftsordnung und nachgeordnete normative Texte ist das Verfahren der Textproduktion in den formellen Teilen standardisiert, dadurch zum einen transparent und kontrollierbar. Zum anderen entziehen sich interne Arbeitsvorgänge im WSA der direkten Beobachtung; dazu zählen sowohl die individuelle Arbeit des Berichterstatters zur Informations- und Datenbeschaffung sowie an Textentwürfen als auch informelle Arbeitskontakte. Die Spontaneität der Redebeiträge ist abhängig von der zeitlichen Verfügbarkeit der Textvorlagen (Entwürfe, Änderungsanträge): Je früher die Texte versandt werden, je länger vor der Sitzung sie den WSA-Mitgliedem also vorliegen, desto weniger spontan reagieren diese in der mündlichen Textaushandlung darauf, desto vor- und ausformulierter wirken ihre Redebeiträge in der Sitzung, durch Ritualisierung in der Form wie durch inhaltliche Präparierung. Aus Rücksicht auf zeitliche Beschränkungen und Zwänge ist Spontaneität nicht sonderlich erwünscht. Das liegt einerseits an der begrenzten Verfügbarkeit von Dolmetschdiensten und am insgesamt knappen Rahmen der Textgenese, also an der durch die Geschäftsordnung begrenzten Zahl von Sitzungen und Teilschritten. Hinzu kommen inhaltliche Gründe: Die Replik muß vorbereitet werden; sie ist mit den Verbänden abzustimmen, die das WSA-Mitglied vertritt; Dolmetschern und Übersetzern wird die Arbeit erleichtert, wenn sie auf schriftliche Redevorlagen zurückgreifen können. Die dominante Orientierung auf schriftliche Texte wird so als Voraussetzung für eine konstruktive und kritische Textarbeit gesehen: Textvorlagen ermöglichen den Mitgliedern eine sachgerechte und argumentative Vorbereitung von Debattenbeiträgen und Änderungsanträgen, strukturieren die Diskussion vor und verhindern überlange mündliche Darstellungen. 7 Generell zwingt die situative Mehrsprachigkeit zu einer Rücksicht auf die Vermittelbarkeit der eigenen Texte durch Übersetzer und der Redebeiträge durch Dolmetscher. Kritisch in diesem Sinne sind Zitate (deren ad hoc-Verdolmetschung bei bereits veröffentlichten amtlichen Texten nicht authentisch sein kann; bei denen entsprechend die Arbeit von Übersetzern oft nicht in einer Übersetzung, sondern in der mitunter zeitaufwendigeren Recherche des angegebenen Belegs liegt) und viele Formen rhetorischer Gestaltung: Sprichwörter, Redensarten, Sprachspiele (Metaphern, Ironie oder Scherze) sind Übersetzungshürden; indexikale Bezüge auf den gemeinsamen Wahrnehmungsraum können zu Mißverständnissen führen. Die Folge ist eine Ni- 7 Das wurde ex negative deutlich in den Studiengruppensitzungen zum Thema „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“, als unvollständig vorgelegte Textentwürfe den Berichterstatter zu sehr langen Referaten veranlaßten. 370 vdlierung des Ausdrucksreichtums im Interesse einer Effizienz gemeinsamer Textarbeit. In dieser Hinsicht sind freilich Redebeiträge im WSA zwitterhaft: WSA- Mitglieder sind im Brüsseler EG-Biotop, also einer relativ in sich geschlossenen sozialen Welt, „teilakkulturiert“. Sie passen sich einerseits gängigen Formulierungs- und Argumentationsmustem an, wie sie von der EG-Kommission mit ihrer Textkultur vorgeprägt werden. So orientieren sich WSA- Mitglieder am Sag- und Verdolmetschbaren. Andererseits ist die Verbindung zur EG-Außenwelt ja gerade für die Identität des WSA und seiner Mitglieder konstitutiv: Der WSA dient als Forum, in dem wirtschaftliche und soziale Interessenverbände in der Gemeinschaft die politischen und rechtlichen Initiativen von Kommission und Rat gemeinsam bewerten. Dazu gehört, daß sich der WSA in der Reformulierung von Kommissionstexten und in der Formulierung eigener Bewertung nicht distanzlos vorgegebenen Stilmustem unterordnet. So agieren WSA-Mitglieder mit einem interessant gemischten Kompetenzprofil: Zum einen sind sie Eurokratie-Profis und haben z.T. aus langjähriger Erfahrung mit der Arbeitsweise europäischer Gremien ihren Argumentationsstil angepaßt; zum anderen vertreten sie Einzelinteressen, die sich aus einer Reihe von Dichotomien bestimmen lassen, z.B. Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer, Nord gegen Süd, große gegen kleine EG-Länder. Wenn WSA- Mitglieder in solcher Orientierung handeln, wenn sie also ihre partikulare Interessenperspektive in den Fokus stellen, haben die Dolmetscher eine schwierige Generalistenrolle: Die WSA-Mitglieder nehmen dann auf Bedürfnisse der Dolmetscher kaum Rücksicht; das zeigt sich im Sprechtempo und in unbegrenzter Formulierungsdynamik. Im Zuge der EG-Textarbeit ist zunächst durchaus erwünscht, daß partikulare Formulierungsinteressen geäußert und über divergente Ansprüche gestritten wird. Zum Ende hin wird freilich die Konsensorientierung dominant: Das Ergebnis der Arbeit kann nicht die Festschreibung von Divergenzen und Konflikten sein, sondern muß in einem Text bestehen, der eine möglichst breite Zustimmung findet. Dies muß mit begrenzten Mitteln (Zeit, Sitzungen, Geld, Aufwand für Übersetzungen und Verdolmetschung) erreicht werden. Den Regelfall haben wir mit einer einstimmigen Verabschiedung des Textes im Plenum in unseren drei Fallstudien kennengelemt. Eine Ausnahme bildet der Sektor Soziales, in dem ideologisch verfestigte Interessengegensätze zwischen den „Sozialpartnern“ nicht durch Kompromisse überbrückbar sind. Regulär ist dabei, wenn drei Studiengruppensitzungen, die sich nur mit dem Vorentwurf einer Stellungnahme befassen, etwa im Monatsabstand aufeinander folgen, dann der Text im Rahmen einer umfangreicheren Tagesordnung auf der nächsten Fachgruppensitzung und abschließend auf der Plenartagung behandelt wird. In unseren drei großen Fallstudien gab es zwei Ausnahmen von diesem Musterverfahren: 371 in der Zahl: Die Initiativstellungnahme zur künftigen EG-Erweiterung wurde auf zwei Studiengruppensitzungen, dann in der Fachgruppe, nochmals in der Studiengruppe, wieder in der Fachgruppe und anschließend im Plenum behandelt. Die erste Behandlung in der Fachgruppe diente dazu, eine halboffizielle Position des WSA für eine bevorstehende Sitzung des Europäischen Rates formulieren zu können. - Baltische Staaten: Zwischen den Studiengruppensitzungen wurden lange Pausen eingelegt, weil der Text, auch vom Termindruck her, als nachrangig eingestuft wurde. Um die Arbeit des Berichterstatters und das erwünschte WSA-Image nicht zu beschädigen, spielten derartige Zuschreibungen freilich weder in der Plenartagung noch in der anschließenden Präsentation auf einer Pressekonferenz eine Rolle. Wenn die Aktualität eines Themas eine Verfahrensmodifikation ermöglicht, erhellt das eine Facette des WSA-Selbstverständnisses: Er möchte nicht nur einer unter vielen Ausschüssen in der Konsultationsphase im EG-Rechtsetzungsverfahren sein, sondern sich aktiv am politischen Dialog in der EG beteiligen. Die Begrenztheit der Mittel hat Konsequenzen für die Faktur des Textes: Standardisierung in rahmenden Teilen, Berufung auf axiomatisch gesetzte Topoi (z.B. der europäischen Integration), Ausblendung strittiger Punkte und Ersetzung durch Konsensformeln, Verwendung semantisch vager Schlüsselwörter, Auslagerung strittiger Punkte in minderrelevante Textteile (z.B. Minderheitenvoten oder mit qualifizierter Minderheit abgelehnte Änderungsanträge im Anhang einer Stellungnahme). Darüber hinaus gibt es zwei gegenläufige Tendenzen: zum einen eine Präzision in der Beschreibung und normativen Regelung technischer Einzelfragen aus der Expertenhaltung der Verfasser heraus, auch mit dem Ziel, Interpretationsspielräume bei sprach- und kulturspezifisch unterschiedlichen Konzepten zu minimieren, zum anderen eine politisch gewollte Vagheit bei strittigen Fragen etwa ideologischer Art. Kennzeichnend für die Textarbeit im WSA ist, daß ständige Paraphrasenbildung nicht zwangsläufig zu einer Vagheitsreduzierung führt. Das weist der Vagheit von Formulierungen eine textkonstitutive Funktion zu: Eine Verhandelbarkeit mit der Perspektive von Kompromißfindung muß auch bei Interessendivergenz gewahrt werden. Vagheit bleibt dabei garantiert z.B. durch den Austausch einer Metapher durch eine andere, durch dehnbare Begriffe wie „dynamisch“ und durch Aktantenreduktion in Passivformeln wie „zu klären ist...“. Generell wird eine Fokussierung auf einzelstaatliche Interessen und Perspektiven ausgeblendet, und unter Verzicht auf Detaillierung werden konsensfähige Formeln betont. 9.1.3 Ergebnisse der Fallstudien Der WSA ist eine mehrsprachig arbeitende EG-Institution, die ihre Existenz wesentlich durch Textproduktion legitimiert und in ihren Gremiensitzungen 372 ergebnisorientiert arbeitet: Der Text in seiner jeweils aktuellen Version muß fertig bearbeitet werden, notfalls auf Kosten zeitlich offener Konsenssuche. Die institutionellen Rahmenbedingungen dienen auch als Vorkehrungen, damit Probleme situativer Mehrsprachigkeit gar nicht mehr in den Sitzungen manifest werden. Wer in dieser Institution erfolgreich partizipieren will, für den ist eine fremdsprachliche Kompetenz nur in informellen Situationen notwendig; wichtiger ist seine Organisationskompetenz, wobei Fremdsprachenkenntnisse möglicherweise als Teilkompetenz zu beschreiben sind. Eine herausgehobene Rolle bei der Kompromißsuche können Studiengruppenvorsitzende spielen, jedenfalls dann, wenn sie sich über die reine Gesprächsleitung hinaus eine bei inhaltlichen Divergenzen vermittelnde und bei der Themenaushandlung steuernde Rolle zuschreiben. Unterschiedlich verhielten sich die Berichterstatter dabei, einen eigenen Experten/ Sachverständigen heranzuziehen: Für den Text der „Maritimen Industrien“ ließ der Italiener Arena einen Experten aus dem italienischen Werftenverband tätig werden und praktizierte mit ihm auch durchweg eine Arbeitsteilung in den Sitzungen (der Berichterstatter äußerte sich zu den politischen Akzenten, der Experte zu den technischen Sachfragen). Im Fall der „künftigen EG-Erweiterung“ hatte offenbar der französische Berichterstatter Mourgues seinem Experten Delforge die Rolle eines Zuarbeiters zugewiesen, der ihn in der Vorphase der Sitzungen mit Informationen zu versorgen hatte, aber in der Sitzung selbst mit Redebeiträgen nicht sonderlich präsent war. Die Berichterstatter verzichteten in den anderen beiden Fällen auf eigene Experten. Offenbar neigen aber Berichterstatter zu einem Experten derselben Muttersprache, wenn sie einen eigenen Experten heranziehen, weil das die Zusammenarbeit bei den Textentwürfen erleichtert. Eine wichtige Textnorm, die häufig in den Sitzungen thematisiert wurde, war die Frage: Stehen Umfang und Bedeutung der Stellungnahme in einem angemessenen Verhältnis zueinander? Werden die unterschiedlichen Interessen der WSA-Gruppen, bestimmte Themen relevant zu setzen, durch einen Proporz der Teile und eine thematische Ausgewogenheit im Text angemessen berücksichtigt? Für die Auswahl unserer Fallstudien waren zunächst forschungspraktische Gründe der Zugänglichkeit maßgeblich. Die Auswahl hat sich im nachhinein aber als glücklich erwiesen die vier Fallstudien sind repräsentativ, prototypisch und variantenreich. Das liegt an unterschiedlichen Berichterstattern unterschiedlicher Nationalität und Gruppenzugehörigkeit, an wechselnder Zuordnung der Themen zu den Fachgruppen, an unterschiedlichen Verfahren (Befassung und Initiativstellungnahme) und schließlich an der Opposition zwischen einer dominanten Konsensorientierung im Regelfall und der unvermeidbaren Kontroverse im Sozialbereich. 373 9.1.3.1 „Künftige Erweiterung der Gemeinschaft“ Erwartbar aus unserer Sicht wäre bei dieser Initiativ-Stellungnahme der Fachgruppe „Außenbeziehungen, Außenhandels- und Entwicklungspolitik“ ein Bezug zwischen der EG-Erweiterung und einer Neufassung der Amtssprachenregelung gewesen; das wurde aber nicht thematisiert. Themen in dieser Stellungnahme waren institutionelle Probleme durch die Aufnahme von Kleinstaaten und eine Koppelung von Menschenrechts- und Migrationsfragen. Der Text wurde bewußt vage gehalten („Vertiefung“ und „Erweiterung“). Aus der Studiengruppenarbeit ergeben sich in diesem Fall Beispiele für den Zwang, in der Studiengruppe fremdsprachlich zu argumentieren, die als Belege für Chancenungleichheit interpretiert werden könnten: Ein Änderungswunsch war erst in der Fachgruppe (nun in der Muttersprache) erfolgreich. Im Verlauf der Textarbeit ließ sich systematisch das Verschwinden von Metaphorik beobachten. Der Einfluß des Studiengruppenvorsitzenden auf den Fortgang der Arbeit war geprägt durch seine rezeptive Mehrsprachigkeit, die ihn die Lage versetzte, souverän und ohne übersetzungsbedingte zeitliche Verzögerungen kontroverse Meinungen zu bündeln und schlichtend zu entwirren. 9.1.3.2 „Maritime Industrien“ Diese Stellungnahme der Fachgruppe „Industrie“ bezog sich auf eine Kommissions-Mitteilung „Die maritimen Industrien vor neuen Herausforderungen“. Solche Mitteilungen sind keine Rechtsakte im engeren Sinne, sondern eine Panoramadarstellung zukünftig geplanter gesetzgeberischer Politik, mit denen die EG-Kommission ein weites thematisches Spektrum präsentiert, um die Akzeptanz ihrer Absichten bei den Betroffenen zu testen. In diesem Fall sollte die Interdependenz der einzelnen maritimen Industrien (z.B. Schiffbau, Schiffahrt, Fischerei, „Aquakultur“) und der damit verbundenen Fragen (z.B. Umweltschutz) dargestellt werden. Interessante Punkte bei der Textgenese waren: - „Maritime Industrien“ wurde als ein relevanter Sektor der Industriepolitik verstanden. - Politisches Ziel des WSA bei der Arbeit an dieser Stellungnahme war, nachträglich zu einem von der EG-Kommission initiierten „Maritimen Forum“ eingeladen zu werden und so gegenüber der Kommission seine Relevanz als emstzunehmender Gesprächspartner zu betonen. Hier fand eine gleitende Fokusverschiebung statt: Die Stellungnahme war nicht Endziel, sondern wurde Mittel zum Zweck. - Die Annahme des Änderungsvorschlages eines englischen Gewerkschaftlers zu einem seiner Meinung nach unterrepräsentierten „human factor“ löste Turbulenzen in der Fachgruppe aus, der Berichterstatter distanzierte 374 sich vom Text, informell wurde dann aber durch eine Kompromißfassung der Dissens bis zur Plenartagung bereinigt und dort nicht mehr ausgiebig thematisiert. - Bei der Aushandlung einzelner Textformulierungen mußten partikulare Interessen systematisch als kompatibel mit WSA-spezifischen Zielen maskiert werden. 9.1.3.3 „Beziehungen der EG zu den Baltischen Staaten“ Hier gab es aufgrund der Umsicht des deutschen Berichterstatters weder in der Fachgruppe noch im Plenum formelle Änderungsvorschläge. Die Formulierungs- und Redaktionsarbeit wurde im wesentlichen von ihm allein geleistet. Dabei legte er großen Wert auf die Beschaffung aktueller und verläßlicher Informationen, u.a. durch eine Studienreise einer WSA-Delegation in die baltischen Staaten und durch eine erste Studiengruppensitzung mit baltischen EG-Botschaftem (mit Englisch als dominanter Konferenzsprache). In welcher Schärfe an einer unzureichenden Unterstützung durch die EG-Kommission Kritik zu üben sei, war ein rekurrenter Punkt für Aushandlungen. Interessant war eine Diskrepanz: Eine Forderung nach „Sozialverträglichkeit des Umbaus zur Marktwirtschaft“ in den baltischen Staaten wurde in Presseerklärungen nach der Plenartagung als zentral für diese Stellungnahme hingestellt; tatsächlich fiel diese Passage in der Stellungnahme gegenüber anderen in bezug auf Belege und argumentative Detaillierung ab; die Passage war offenbar eine Konzession des Berichterstatters aus der Arbeitgeber-Gruppe an Gewerkschafter-Kollegen in der Studiengruppe. Zudem wollte er in der Pressekonferenz das Image des WSA als der EG-Institution stärken, die soziale Belange besonders stark berücksichtigt. 9.2 Sprachliche Konsequenzen 9.2.1 Stilmerkmale von WSA-Redebeiträgen Eine unserer ersten Beobachtungen in WSA-Sitzungen war der dezidiert höfliche Umgang miteinander; das betrifft sowohl das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Sitzungsleiter und einem Debattenredner als auch den Umgang der Redner untereinander. Dazu gehören vielfältige Dankesbekundungen: Rituell dankt man dem Sitzungspräsidenten für die Einräumung des Rederechts, konventionell wird auch dem Berichterstatter für den vorgelegten Text gedankt unabhängig von der eigenen Bewertung. Derartige Würdigungen werden formuliert nach dem Muster „Einräumung + Widerspruch“ und realisiert als „ja“-“aber“-Strukturen. An der Binnenstruktur vieler Redebeiträge sind die expandierten Rahmungen auffällig, in der Ausgestaltung von ungewöhnlicher Phantasie und Könnerschaft. Auf pragmatischer Ebene verweist das auf die Organisationsstruktur, die untereinander 375 bekannten divergenten Interessen und das Arbeitsbündnis, sich „nicht gegenseitig auf die Füße zu treten“. In den Einräumungen stehen Topoi zur Stabilisierung des eigenen Selbstverständnisses und zur Definition des akzeptierten WSA-Interaktionsstils. Diese auffällig vagen und formelhaften Wendungen haben Nähe zu der spezifischen Sprachvarietät mit teils fachterminologischen, teils semantisch ausgedünnten Formeln, die wir „Eurospeak“ (vgl. Born 1992a, Crampton o.J., Gondrand 1992) genannt haben; dieser Jargon dient zur Definition einer gemeinsamen EG-Perspektive und taucht darum gehäuft in den Einräumungsteilen auf, um so die folgende partikularistische Perspektive abzusichem. Diesen Rahmungen läßt sich zugleich eine Funktion für Beziehungskommunikation zuschreiben, denn Höflichkeit erzeugt generell Distanz. Bewußt läßt man offen oder verklausuliert, in welcher Rolle man den anderen wahmimmt: als Vertreter von nationalen Interessen oder den Interessen sozialer Gruppen oder als Experten. Durch die rituelle Form wird eine feste Zuordnung vermieden. Jeder Beteiligte kann bei einiger Erfahrung in der Institution Redebeiträge von anderen Mitgliedern interpretieren, einordnen und bewerten; damit könnte er auch unterstellen, der andere vertrete unredlich und partikulär seine Interessen. Doch das rituelle Verfahren blendet solche Zuschreibungen für die laufende Interaktion aus sie werden nicht thematisiert. Einräumungen sind überdies systematisch der Ort, sich auf konsensfähige Punkte zu beziehen, die durch Kemvokabeln von „Eurojargon“ angedeutet werden. Man präsentiert auch die eigene Position abgemildert und betont gleichzeitig die Konsensfähigkeit und die Orientierung an der übergeordneten gemeinsamen Perspektive. So bieten Einräumungen einen systematischen Platz für (wenn auch relativ bedeutungsleere) Schlüsselwörter als in der sozialen Gruppe verankerte und geteilte Orientierungen. In den Einräumungen weht ein Stück „europäischer Geist“. Er wird bemüht, bevor man sich dem kleinteiligen Geschäft der Konkretisierung eigener Formulierungswünsche widmet. In den Rahmungsteilen werden zugleich Vorgaben der institutioneilen Kommunikation thematisiert und institutionelle Zwänge berücksichtigt. „Kollegialität“ ist ein wesentliches Konzept der Beziehungsarbeit im WSA. Über Gruppengrenzen hinaus demonstrieren WSA-Mitglieder, trotz divergenter Interessen „miteinander zu können“, d.h. eine kollegiale Arbeitsbeziehung trotz inhaltlicher Divergenzen zu unterhalten. In diesem Sinne werden oft Meinungsverschiedenheiten als sprachliche Probleme umdefmiert und dann oft als nur „technisches Problem“ an den Übersetzungsdienst delegiert: Er muß als „Sündenbock“ herhalten, man bestätigt einander, doch eigentlich einer Meinung zu sein nur leider habe der Übersetzungsdienst keine äquivalenten Fassungen hergestellt. Es versteht sich, daß der Übersetzungsdienst über derartige Schuldzuweisungen, gegen die er sich nicht wehren kann, nicht erfreut ist! 376 WSA-Kollegialität äußert sich auch in unterschiedlichen Anredeformen. So duzen sich beispielsweise zwei deutsche WSA-Mitglieder, ein Gewerkschaftler und ein Arbeitgebervertreter, privat und in Pausengesprächen, weil sie sich über die gemeinsame Arbeit im WSA schätzen gelernt haben. In der Sitzung ist dennoch eine Anrede mit „Sie“ und der Funktion in der Sitzung (Berichterstatter, Studiengruppenvorsitzender) obligatorisch. 8 Spielformen der Kommunikation dienen gleichfalls der Demonstration von Kollegialitätsowohl in den Sitzungen in Form einer Ausschmückung von Redebeiträgen mit Kleinformen von Scherzen als auch in Pausengesprächen in Form von Frotzeleien. So begrüßten die beiden genannten Deutschen einander gelegentlich mit ironischen Bemerkungen wie „ha, da kommt ja der Klassenfeind“. Diese Kleinformen von Scherzen fallen auf vor dem Hintergrund weitgehender Reduktionen und Ausblendungen, die für den allseits akzeptierten WSA- Gremienstil typisch sind. In der Regel wird in Redebeiträgen sowohl auf emotionale Bewertungen als auch auf emphatische Bekundungen verzichtet. Gleichfalls werden Manifestationen einzelkultureller Kommunikationsstile als für die WSA-Textarbeit dysfunktional behandelt; im Normalfall bedient man sich vielmehr eines institutionstypischen konvergenten Argumentationsstils, von dem alle Beteiligten annehmen, daß er für Mitglieder aus allen EG-Staaten verfügbar ist. Manifestationen kultureller Unterschiede werden folglich nur in kommunikativen Krisen thematisiert, dann oft in strategischer Funktion: als kalkuliertes Mittel, indirekt auf inkompatible Geltungsansprüche hinzuweisen, ohne die inhaltliche Divergenz explizit machen zu müssen. 9.2.2 Argumentationsmuster Konstitutiv für die Arbeit des WSA ist, daß die in ihm vertretenen relevanten wirtschaftlichen und sozialen Gruppen im Zuge der Erarbeitung einer Stellungnahme zu einem Konsens finden sollen. Er wäre eigentlich nicht a priori zu erwarten, weil die Interessen naturgemäß divergieren. Um aber den Konsens als prinzipiell möglich behandeln zu können, werden in Redebeiträgen im Normalfall große Zustimmung artikuliert und zudem die Konsistenz der Arbeit im WSA behauptet. Das wird bezogen auf die aktuelle Textgenese und auf eine Kontinuität zu vorangegangenen Texten. Reflexionen über die Maximen der Institution kommen dabei in den WSA- Diskussionen auffällig häufig und unabhängig vom Thema der behandelten Stellungnahme vor; wir interpretieren das als Indikator dafür, daß fortgesetzt nach innen (gegenüber den anderen Mitgliedern) und nach außen (gegenüber Die Beobachtung, daß ein französische Gewerkschaftler eine italienische Kollegin seiner Gruppe in einer „time-out“-Situation während der Sitzung duzte, läßt uns freilich diese Annahme relativieren. Offenbar gilt für Gewerkschaftler gegenüber den WSA-institutionellen Stilnormen eine vorgängige Regel, die solidaritätsstiftende vertraute Anrede auch im WSA beizubehalten. 377 den EG-Organen) die Relevanz einer auf Konsens beruhenden WSA-Stellungnahme hochgestuft werden muß. Nach innen wird das Konsensprinzip betont, weil bei den Mitgliedern aufgrund einer mehrfachen Gruppenzugehörigkeit Rollenkonflikte denkbar sind. Die WSA-Mitglieder verstehen sich zum einen als Vertreter von Gruppeninteressen, Vertreter nationaler Interessen oder bestimmter Kultur- und Sprachräume, Partner im „sozialen Dialog“, zum anderen als Experten zu EG-politischen, sozialen oder technischen Sachfragen. Das wird deutlich, wenn einmal nicht der Konsens beschworen, sondern eine partikulare Wahmehmungsperspektive thematisiert wird. In Interviews mit WSA-Mitgliedem haben wir Zuschreibungen gehört, wie ein typischer Deutscher das Aufgabenprofil der Textproduktion im Kontrast zu Kollegen aus romanischen Ländern definiere. Kriterien waren dabei die Länge der Texte, Gliederung und Gewichtung von Aspekten, Weitschweifigkeit und die Explizitheit bei ausgedrückten Bewertungen. Dänen und Niederländer neigen angeblich zu Kürze und sehen in deutschen Textentwürfen pedantische Regelungsversuche. Dagegen sehen Deutsche in romanischen Entwürfen Weitschweifigkeit und fehlende Gliederung. Typischerweise werden solche Zuschreibungen in den Sitzungen selbst nie explizit thematisiert, sondern systematisch ausgeblendet. Statt dessen dominiert ein konvergenter „internationaler“ Stil mit rituellen Formen von Höflichkeit und Berücksichtigung der Partnerperspektive in einzelsprachlich äquivalenten Formulierungen. Dieser Stil wirkt auf den außenstehenden Beobachter seltsam irreal und leblos, ist aber als Routine notwendig, um das Arbeitsbündnis im Hinblick auf das dominante Kommunikationsziel nicht zu gefährden: Die Textgenese soll schließlich zu möglichst weitgehendem Konsens führen. 9.2.3 Mehrfachadressierung In kommunikationstheoretischen Beschreibungen wird Mehrfachadressierung als Grund genannt, warum Rededuelle in Parlamenten zur „Show“ tendieren: Die Beteiligten wenden sich außer an den angesprochenen Kollegen indirekt auch an Zuhörer, Medien und die „öffentliche Meinung“. 9 Wenn man die Handlungsweise des politischen Gegners bewertet, richtet sich das nicht so sehr an ihn, sondern vielmehr an das Publikum, das für die eigenen Typisierungen gewonnen werden soll. Durch Zwischenrufe und -fragen möchte man sich vor allem dem Publikum gegenüber als aktiv profilieren, dagegen weniger zur Themenbehandlung und kooperativen Problemlösung beitragen. 9 Vgl. etwa Köpf (1989), der das verschleierte kommunikative „Doppelspiel“ von Politikern in Femsehdiskussionen beschreibt: Die Absicht, für die eigenen Standpunkte gegenüber den Zuschauern zu werben, wird durch die inszenierte Diskussion verdeckt gehalten. Krzeminski (1981) beschreibt die massenmedialen Aspekte von Diskussionssendungen als „komplexes Interaktionsgeflecht“, das sich nicht auf die im Studio anwesenden und im Fernsehen abgebildeten Gesprächsteilnehmer beschränke, sondern Zuschauer und weitere Aktantenkreise einbeziehe (vgl. auch Dieckmann 1981 und 1983). 378 Ähnliches gilt für Talkshows und andere Formen von Gesprächssendungen in den Medien: Jeder Gesprächspartner bezieht bei der Planung und Ausgestaltung seiner Äußerungen mehr oder weniger bewußt die Wirkung auf das Publikum mit ein. Solche Antizipationen von Wirkungen der eigenen Äußerung sind ein wesentliches Moment des Inszenierungscharakters von Mediengesprächen. Wenn diese Annahmen habituell für die Äußerungsplanung herangezogen werden, verdichten sie sich zu Verhaltensdispositionen. Auch im WSA finden sich Formen von Mehrfachadressierung, freilich in anderer, subtilerer Form: Nach der Abstimmung im Plenum haben WSA- Mitglieder Gelegenheit, eine „Erklärung zur Abstimmung“ abzugeben. Derartige Erklärungen, warum man sich enthalten oder mit „Nein“ gestimmt hat, wirken auf den außenstehenden Beobachter zunächst recht skurril, weil sie offensichtlich nicht mehr den Willensbildungs- und Textredaktionsprozeß im WSA beeinflussen können. Sie dienen aber dazu, die Aktivitäten eines WSA- Mitglieds nach außen zu dokumentieren (insbesondere für seine Rechtfertigung gegenüber dem eigenen Verband; so kann er sich von einer Stellungnahme distanzieren, die einem Gruppenkonsens entspricht, die aber der eigene Verband nicht mittragen würde). In ähnlicher Weise sind Redebeiträge in der allgemeinen Aussprache (sowohl in der Fachgruppe als auch im Plenum) nicht unmittelbar mit dem Anspruch auf Textänderungen verbunden. Diese Statements kündigen mitunter zwar detailliertere Kommentare und Änderungsanträge in der folgenden seitenweisen Behandlung an, im wesentlichen bewerten sie aber den Text global und politisch falls sie nicht schlicht dazu dienen sollen, Anwesenheit in der Sitzung und Debattenteilnahme zu demonstrieren. Hier können abweichende Meinungen somit unverbindlich geäußert werden, d.h. ohne daß der Sprecher sich verpflichten muß, konkret für ihre Durchsetzung im Text der Stellungnahme zu kämpfen. 9.2.4 Metaphorik und Phraseologie Institutionelle Zwänge und spezifische sekundäre Sozialisationsbedingungen haben dazu geführt, daß Bürokraten gleich welcher Muttersprache einen besonderen Jargon kultivieren. So werden typisch schriftsprachliche Muster in mündliche Darstellung und Argumentation übernommen; dabei ist nicht eindeutig entscheidbar, ob rechtssprachliche Formulierungsmuster des Französischen als der dominanten EG-Arbeitssprache in anderen Sprachen interferenzartig übernommen werden oder ob sich ein genuiner, einzelsprachunabhängiger „Eurojargon“ gebildet hat. 10 Derartige Kontextualisierungen durch 10 In diesem Zusammenhang weist Henriksen (1989, 12) auf die Isolation der dänischen Übersetzer in Brüssel vom Mutterland und ihre partielle Integration in Belgien hin; das führe dazu, daß die dänischen Texte vom steifen und überladenen Stil der französischen Rechtssprache beeinflußt würden. Ab616s (1992, 392f.) fuhrt den besonderen Rede- und Argumentationsstil im Europäischen Parlament auf spezifische institutioneile Zwänge zurück wie limitierte Redezeiten, die zu Verzicht auf Rhetorik zwingen, und eine Orientie- 379 Formulierungsmuster werden insbesondere bei Metaphern und Phraseologismen deutlich. An charakteristischen Stellen „europäischer“ Kommmunikationsprozesse werden rituell oder innovativ Metaphern verwendet. 11 Es gibt sicherlich im EG-Bereich Kommunikationsdomänen und Textsorten, in denen Metaphern als deplaziert angesehen werden. In Rechtsakten werden Metaphern vermieden, weil ihnen die erforderliche Bezeichnungsgenauigkeit abgeht. Metaphern gelten zudem als ein Bereich des sprachlichen Inventars, der zwar für Argumentationen attraktiv, aber in mehrsprachigen Arbeitsgruppen tunlichst zu vermeiden ist, und zwar aus mehreren Gründen: - Sprecher haben eine eingeschränkte aktive fremdsprachliche Kompetenz im Bereich der idiomatischen Wendungen. Diese Restriktion ist im WSA freilich nur bedingt relevant, wenn jeder seine Muttersprache sprechen kann. - Metaphern schaffen Dolmetsch- und Ubersetzungsprobleme: Gibt es eine form- und sinngleiche Metapher in der Zielsprache? Gibt es eine formverschiedene, aber sinnähnliche Metapher in der Zielsprache? - Gefahr von Mißverständnissen: Die übertragene Bedeutung wird „wörtlich“ verstanden. - Implizite einzelkulturelle Bindung: Zum semantischen Potential von Metaphern gehört, was in einer bestimmten Kultur kollektiv als positiv oder als negativ bewertet wird; solche Bewertungen müssen aber über Kulturgrenzen hinaus nicht stabil sein. Dennoch tauchen Metaphern in WSA-Debatten auf. Metaphorik ist hierbei zum einen ein internes Formulierungsmittel, zum anderen ein Vermittlungs- Phänomen: - „Intern“ bedeutet: Für einen begrenzten Adressatenkreis von Experten, also Personen mit einem (weitgehend) geteilten hohen und spezialisierten Fachwissen, werden Metaphern zur Darstellung komplexer Zusammenhänge oder zur Argumentation bei divergenten Positionen verwendet; dabei kann der Sprecher in der Regel bei den Kommunikationspartnem ein Interesse für die fraglichen Sachverhalte und eine Klärung von Sachverhalten und Divergenzen voraussetzen. rung an den Verdolmetschungsmöglichkeiten, die zu einer Nivellierung idiosynkratischer Stile führe. 11 Vgl. Schäffner (1993), die im Rahmen des Metaphemverständnisses der kognitiven Semantik Metaphern als grundlegende Denkmodelle eines Kulturkreises auffaßt und der Architektur-Metapher in bezug auf die Konzipierung des künftigen vereinten Europas eine wesentliche Rolle für den politischen Diskurs, d.h. sowohl in Reden von Politikern als auch in Pressetexten, zuschreibt. Die diskursive Verwendung der Metapher ist nach Schäffner dabei ziemlich konstant und auf wenige sich wiederholende Grundmuster der Argumentation reduzierbar. 380 - „Vermittlung“ bedeutet: Ein disperses Publikum, bei dem sich nur vage Annahmen über Größe, Zusammensetzung, Vorinformiertheit und Interessen machen lassen, soll über Rechtsetzungsverfahren und Rechtstexte der EG informiert werden. Auch WSA-Stellungnahmen haben in dieser Hinsicht eine doppelte Vermittlungsfunktion: Die EG-Organe sollen über Bewertungen der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen informiert werden, aber auch diese Verbände über EG-Initiativen. Zu einer solchen Informationspolitik gehört u.a., Interesse zu wecken, den komplexen Problembereich zu verdeutlichen, die (vorgeschlagene) Problemlösung allgemeinverständlich darzustellen und schießlich für diese Maßnahmen zu werben. Metaphern haben dabei unterschiedliche Funktionen: - Sie dienen als Mittel zur Reduktion von Komplexität in Sachverhaltsdarstellungen: Relativ zu den für eine bestimmte Kommunikationssituation interaktiv als gültig gesetzten Zielen werden Metaphern als ökonomisches Formulierungsmittel benutzt, mit hinreichender Genauigkeit Probleme oder Problemzusammenhänge zu bezeichnen. 12 Umgekehrt gilt dann eine metaphemlose Darstellungsform als stilistisch spröde, zu voraussetzungsreich, zu komplex, zu aufwendig relativ zu den gesetzten Kommunikationszielen. - Sie fokussieren auf konsensfähige Punkte in einem ansonsten unübersichtlichen und strittigen Gebiet. So tauchen Metaphern gehäuft auf, um stereotyp als geteilt und gültig unterstellte Prinzipien einer europäischen Integrationspolitik zu umschreiben (z.B. die Harmonisierung des Binnenmarktes) oder aber, um einen Teilkonsens bei unterschwellig divergenten Interpretionskonzepten zu einer solchen Integrationspolitik zu suggerieren. - Sie beleben, verdeutlichen und vergegenständlichen abstrakte (wirtschafts-)politische Konzepte. 13 In dieser Funktion sind Metaphern vor allem in Vermittlungsprozessen zu erwarten, in denen ein Publikum mit laienhaften Wirtschaftskenntnissen über Maßnahmen einer europäischen Politik aufgeklärt werden soll. - Sie sichern eine Argumentation ab: Politische Prozesse werden dargestellt, als ob sie nach naturwissenschaftlichen Gesetzen abliefen. 12 Schumacher (1988, 69) beschreibt Metaphern für Prozesse europäischer Integration, z.B. die Metonymie „Europa“ für die Europäische Gemeinschaft als Institution. Dabei werden abstrakte Vorgänge bildlich konkretisiert; Metaphern sollen in expressiver oder explikativer Funktion „einen ziemlich komplizierten Vorgang durch ein einfaches Bild verständlich machen.“ 13 Schumacher (1988, 74) schreibt den Europa-Metaphern die Funktion zu, „einen komplexen und etwas abstrakten Prozeß lebhafter und konkreter auszudrücken und ein strapaziertes Thema wie Europa zu erneuern“. 381 9.2.5 „Politisch korrekte“ Streitkultur? Die Phraseologie in EG-Texten, speziell in WSA-Stellungnahmen, hat eine gewisse Affinität zu Formulierungsstrategien, die neuerdings unter dem Schlagwort „political correctness“ 14 subsumiert werden. Formulierungstechniken in EG-Gremien schlagen Brücken über soziale, wirtschaftliche und politische Interessengegensätze und verfolgen damit das Ziel, angesichts unterschiedlicher sprachlich vermittelter kultureller Leitvorstellungen eine nicht-diskriminierende Form der Referenz auf an der Kommunikation Beteiligte oder auf Dritte abzusichem. Alle sprachlichen Mittel werden ausgeblendet, die in diesem Sinne als gefährlich eingestuft werden. Derartige „Schibboleths“ wären „features of language which can be used to identify the speaker as being a certain type of human being“ (Andersson/ Trudgill 1990, 3) Dazu ein Beispiel: Die Kommissionsmitteilung „New Challenges for Maritime Industries“ zeigt, daß challenged oder challenge als EG-Worthülse für beliebige politische Aktivitätsbereiche verwendet wird, die bislang von der EG nicht oder nicht hinreichend strukturiert bearbeitet wurden, aber für eine EG-Politik reklamiert werden. Semantische Ausdünnung und Verzicht auf eine ganze Reihe sprachlicher Register sind im EG-Kontext der Preis, um Handlungsfähigkeit zu bewahren. Eine derartige „europäische Streitkultur“ erscheint als „etwas qualitativ anderes als lediglich die Summe der Streitkulturen der europäischen Nationalstaaten. Gleichzeitig ist sie auch verschieden von den Verhaltensmustern, die beim Aufeinandertreffen von zwei einzelstaatlichen Kulturen deutlich werden: Denn bei bilateralen Konflikten [...] werden häufig Unterschiede und Vorurteile unterstrichen, während bei multikulturellen Arrangements eher Gemeinsamkeiten und kooperative Verhaltensstile gesucht und gefunden werden.“ (Schmuck/ Wessels 1990, 274) Eine europäische Streitkultur ist janusköpfig: Sie wird einerseits von Konsenssuche und Rücksichtnahme bestimmt, unterliegt andererseits nach wie vor einer möglichst möglichst effizienten nationalen Interessenwahmehmung, die sich aber als Dienst an der europäischen Integration tarnen muß und sich nicht an der Stabilität des EG-Systems vergreifen darf. 14 Vgl. Beard/ Cerf (1992) für den öffentlichen Diskurs in den USA. Dieter E. Zimmer hat in der „Zeit“ eine derartige „neue Tugenddiktatur“, die mit rücksichtsvollen Euphemismen und stillschweigenden Denkprämissen eine Diskussion als tatsächlichen Austausch von Argumenten vorbeugend verhindern wolle, auch an Teilen des öffentlichen Diskurses in Deutschland ausgemacht (Zimmer 1993). 10. Ausblicke auf die künftige Sprachensituation im Hinblick auf die Politische Union In diesem abschließenden Kapitel werden einige Gedanken, die in diesem Buch schon an anderer Stelle geäußert wurden, noch einmal aufgegriffen und zusammengefaßt; schließlich war eines unserer Versprechen gegenüber vielen Gesprächspartnern, Informanten und auch Beamten, Übersetzern und Mitgliedern des WSA, die bei Forschungsbeginn formulierten Arbeitshypothesen ebenso wie gängige Stereotype vor Ort zu verifizieren und gegebenenfalls zu korrigieren und aus den gewonnenen Ergebnissen auch Empfehlungen für die sprachliche Zukunft zu wagen und auszusprechen. Da dieses Kapitel erst nach Abschluß aller anderen Abschnitte in Angriff genommen werden konnte, war mit dem 1. November 1993 die Europäische Union bereits in Kraft getreten. Deswegen wird hier in der Folge abweichend zu den vorausgegangenen Kapiteln nicht mehr von der EG, sondern von der EU die Rede sein. 10.1 Amtssprachenideologie versus Arbeitssprachenalltag Das institutionalisierte »Europa« die Europäische Union (EU) besteht derzeit aus zwölf Mitgliedstaaten, deren neun nationale Amtssprachen zugleich auch offizielle Sprachen der westeuropäischen Wirtschafts- und Völkergemeinschaft sind. Die Römischen Verträge legen in Artikel 217 des EWG-Vertrags fest, daß „die Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Gemeinschaft unbeschadet der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom Rat einstimmig getroffen wird“. Die Richtlinie Nr. 1 im übrigen die einzige, die sich mit Sprachenfragen befaßt bestimmt, daß „offizielle EG-Sprachen die offiziellen Sprachen der Mitgliedstaaten“ sind, heute also in alphabetischer Reihenfolge: Dänisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch und Spanisch. Gleichwohl sind »vor Ort«, also in Brüssel, Luxemburg und Straßburg, bei weitem nicht alle Sprachen gleichrangig der Grundkonsens, sich einerseits verständigen zu können, andererseits eine gewisse Effizienz in der Alltagsarbeit zu gewährleisten, hat zu einer Reduzierung auf zwei im Sinne von »Verkehrssprachen« offiziell inexistente- Arbeitssprachen, Englisch und Französisch, geführt (denn offiziell sind alle Amtssprachen gleichzeitig Arbeitssprachen). Französisch gilt als unerläßlich, weil es nach wie vor in der EU-internen Kommunikation dominant ist (aus historischen Gründen und nicht zuletzt, weil sich die drei »Euro-Hauptstädte« auf frankophonem Territorium befinden), und Englisch ist ein must wegen seiner uneingeschränkten Dominanz als internationaler lingua franca in den Domänen der Politik und 383 Diplomatie, der Wirtschaft und des Handels, der Wissenschaft und Technologie, der Freizeit und des Sports und bis zu einem gewissen Grade heute auch der Kultur. Im Klartext: Wer als »Bürokrat«, als EU-Beamter, Journalist, Verbandsvertreter, Lobbyist oder Politiker nicht des Englischen und Französischen mächtig ist, gilt als pas de mise, als klassische Fehlbesetzung. Hier bestätigen die Ausnahmen die Regel: Im Europäischen Parlament sowie im Wirtschafts- und Sozialausschuß können sich auch weniger polyglotte Vertreter mit Hilfe der Übersetzungsdienste gut behaupten. Die Reduzierung auf zwei »Arbeitssprachen« widerstrebt dem »europäischen Geist« und konterkariert die angestrebte »europäische Identität«, denn diese wird gemeinhin als »multikulturell« und »plurilingual« definiert. Die sprachliche Selbstbeschränkung führt aber auch zu mannigfachen Klagen all derer, die sich aufgrund eines als erzwungen empfundenen Verzichts auf ihre Muttersprache als Benachteiligte im »Euro-Alltag« sehen. Das sind in der Regel nicht die in Brüssel, Luxemburg oder Straßburg ansässigen »Euro-Architekten« (da diese ja gewissermaßen eine sprachliche Selektion durchlaufen haben), sondern vielmehr Geschäfts-, Kommunikations- und Vertragspartner der EU in den Mitgliedstaaten, die sich als Opfer einer nicht konsequent befolgten sprachlichen Äquivalenz von Ausschreibungs- und Publikationspraxis der »Euro-Institutionen« sehen, sowie mehr oder weniger einsprachige Politiker oder Ministerialbeamte, die aus Athen, Bonn, Lissabon oder Madrid zu Arbeitstreffen in die EU-Zentren anreisen. Grundtenor der Gravamina etwa aus deutscher Sicht: Bevor ein Text in der Muttersprache vorliege, hätten bereits jene zugegriffen, die die vorab edierten Fassungen in englischer oder französischer Diktion verstanden, es liege mithin eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten von Bewerbern, Kandidaten oder Bietern aus Staaten vor, in denen diese Idiome Nationalsprache sind. 10.2 Amtssprachenideologie versus EU-Erweiterung Wenn alle am europäischen Einigungsprozeß Beteiligten auf dem als beschwerlich, dornig oder steinig beschriebenen bzw. metaphorisierten - »Weg nach Europa« die Bereitschaft aufbringen, die in den Römischen Verträgen verankerte Gleichberechtigung aller Sprachen als einen der Prüfsteine für das Funktionieren einer Union, eines »Europas der Bürger« zu akzeptieren, ist Planungsbedarf vonnöten. Der Blick der Sprachplaner darf nicht auf dem »real existierenden Europa« verharren, er muß sich vielmehr dem zukünftigen Regulierungsbedarf dieser Staatengemeinschaft zuwenden: In den Einigungsverträgen ist festgehalten, daß jeder europäische Staat Mitglied des wirtschaftlichen und politischen Bündnisses werden kann, sofern er gewisse wirtschaftliche und politische Voraussetzungen (etwa das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, eine freiheitlich-demokratische Verfassung und die Einhaltung der Menschenrechte) erfüllt. Bis zum heutigen Tage hat schon eine Reihe von Staaten den Wunsch bekundet, auf den Zug in Richtung »Europäische Einigung« aufzuspringen: Finnland, Norwegen, Österreich und 384 Schweden werden wohl zum 1. Januar 1995 Mitglieder der EU werden (falls die jeweiligen Referenden entsprechend ausgehen), die Schweiz, Liechtenstein, Malta, die Türkei und Zypern haben ihre Kandidatur offiziell angemeldet und einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt, Island dürfte bald folgen mithin wären alle Staaten des früheren »Westblocks« in dieser supranationalen Organisation vereint (mit Ausnahme einiger Zwergstaaten). Die wirtschaftliche und/ oder politische Akzeptanz dieser Anträge soll uns hier nicht beschäftigen, wohl aber die schwieriger werdende Umsetzung sprachlicher Gerechtigkeit nach dem Geiste der Römischen Verträge. Die Institutionen werden sich genau überlegen müssen, inwieweit der Anspruch »nationale Amtssprache = offizielle EU-Sprache« aufrechtzuerhalten ist. Schließlich gilt über die bis heute gestellten Aufnahmeanträge hinaus als ausgemacht, daß die (zahlreicher werdenden) Nachfolgestaaten des ehemaligen sozialistischen Blockes, die im RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) zusammengeschlossen waren, irgendwann ihre Ansprüche, der EU beizutreten, deutlicher formulieren werden. Nicht auf ewig wird man die mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten mit Verweis auf ihre rückständige ökonomische Entwicklung und auf Demokratiedefizite den europäischen Institutionen femhalten und mit weitgehend unverbindlichen »Assoziierungsabkommen« oder »Europäischen Abkommen« abspeisen können. Dann würde allerdings die derzeit praktizierte EG-Sprachenregelung endgültig kollabieren. Schon heute muß das Prinzip der 9: 9-Verdolmetschungalso: aus jeder wird in jede Amtssprache übersetzteine hypothetische Kombination von 72 Übersetzungsbzw. Dolmetschmöglichkeiten abdecken. Abgesehen von räumlichen Schwierigkeiten (die Kabinen reichen soeben für drei gleichzeitig arbeitende Dolmetscher; viele Arbeitsräume sind mit neun Kabinen an den Grenzen der Nutzungsmöglichkeiten angelangt) und Problemen, Mitarbeiter für die neuen Sprachenkombinationen zu akquirieren (schon heute muß häufig auf Relaisübersetzungen nach dem Muster Dänisch —> Englisch —> Portugiesisch zurückgegriffen werden) wurde je nach positiver Begutachtung von Aufnahmeanträgen die Zahl der Amtssprachen auf bis zu 29 explodieren: Es kämen zusätzlich Bulgarisch, Estnisch, Finnisch, Isländisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Norwegisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch, Türkisch, Ukrainisch, Ungarisch und Weißrussisch als offiziell gleichzustellende Amtssprachen auf die Sprachendienste der EU zu. Die potentiellen Übersetzungsmöglichkeiten würden von den jetzt schon an die Grenzen der Kapazität stoßenden - 72 auf nicht mehr zu bewältigende 812 denkbare Sprachenpaare anwachsen. Auch wenn noch einige Zeit vergehen wird, bis wirklich alle diese Staaten die Voraussetzungen erfüllen, als voll integrierte Mitglieder in die EU aufgenommen zu werden, sollten sich die Verantwortlichen in den Sprachendiensten und das Generalsekretariat schon heute Gedanken darüber machen, wie 385 die sprachliche Zukunft gestaltet werden kann, wie sie die »Herausforderungen an die Mehrsprachigkeit« zu meistern gedenken. 10.3 Sprachliche »Zweitklassigkeit« versus Effizienz des Arbeitsalltags Kein neu aufgenommener Mitgliedstaat wird eine sprachlich basierte Zweitrangigkeit akzeptieren wollen: Österreich und die Schweiz sind in dieser Hinsicht eher »einfache Fälle«: Die nationalen Amtssprachen, Deutsch, Französisch und Italienisch, sind bereits in den Statuten verankert, sprich EU- Amtssprachen; die vierte Sprache der Schweiz, das (Bündner-/ Räto-)Romanische, wird wohl (aufgrund seiner geringen Sprecherzahl, die etwa 50.000 beträgt) weder einen offiziellen Rang beanspruchen noch erhalten, die autochthonen österreichischen Minoritätensprachen (Ungarisch, Kroatisch, Slowenisch und Tschechisch) dürfen ohnehin als subnationale Sprachen nicht erwarten, volle Anerkennung zu erfahren und Gleichberechtigung zu erlangen. Ihnen ist damit dasselbe Schicksal beschieden wie einer großen Zahl nationaler ethnischer, kultureller und sprachlicher Minderheiten in den gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten: Basken, Katalanen und Galiciern in Spanien, Friesen und Sorben in der Bundesrepublik Deutschland, Bretonen und Okzitanen in Frankreich und vielen anderen. Je nach Zählung („Was ist Sprache? “, „Was ist Dialekt? “) sind das schon heute zwischen 25 und 30 Nationalitäten, wobei paradoxerweise auch Sprecher von Amtssprachen vereinzelt Minderheitenangehörige sind: deutschsprachige Südtiroler oder Elsässer, Bewohner griechischer Enklaven in Süditalien, Flamen in Frankreich etc. Gelten also Österreich und die Schweiz eher aufgrund ihrer ökologisch ausgerichteten, von der EU-Kommission gleichwohl als separatistisch und unsolidarisch eingeschätzten Verkehrspolitik als »unsichere Kantonisten« denn als sprachliche Problemfälle, bereitet der wirtschaftlich als (weitgehend) unbedenklich geltende Beitritt der drei nordeuropäischen Nationen Finnland, Norwegen und Schweden linguistische Kopfschmerzen. Unbestritten sind dort in der EU-Amtssprachenpraxis bisher nicht gängige Idiome heimisch, zwei germanische und absolutes Neuland eine finno-ugrische Sprache. Sie in den EU-Alltag zu integrieren hieße, die in der laufenden Ubersetzer- und Dolmetschertätigkeit anfallenden Arbeiten gewaltig anwachsen zu lassen. Wenn man nicht auf die zugebenermaßen vorhandenen, oftmals beneidenswert kompetenten, gleichwohl in der EU-»Verfassung« nicht vorgesehenen- Fremdsprachkenntnisse (meist in Englisch) der Verhandlungsführer und Entsandten jener Länder zurückgreift, steigt die potentiell zu gewährleistende Kombination der Sprachendienste auf 132. Im übrigen haben die nordeuropäischen Länder schon einen Vorgeschmack darauf erhalten, was es bedeuten kann, wenn EU-Institutionen keine Mittel für neu zu schaffende Stellen in den Sprachendiensten bewilligen: Zum ersten Mal in der EG-/ EU-Geschichte wurden die EU-Gesetzes- und Vertragstexte nicht von juristisch geschulten Linguisten in die Landessprachen der Mitgliedskandidaten übersetzt. 386 Dafür hätten 250 Stellen im Sprachendienst geschaffen werden müssen, was die Kommission verweigerte. Das führte dazu, daß Finnen, Norweger und Schweden das 4.500 Seiten umfassende Gemeinschaftsrecht auf eigene Kosten übersetzen mußten (Der Spiegel 39, 27.9.1993, 169). Insbesondere »Skandinavier« (es seien hier, geographisch nicht ganz korrekt, die Finnen subsumiert) verstärken unbeabsichtigt eine Tendenz, die auf eine Beschränkung der »Arbeitssprachen« hinausläuft: Übersetzungskombinationen wie Finnisch Griechisch oder Schwedisch Portugiesisch sind nicht ohne weiteres abzudecken, man müßte verstärkt auf das oben schon angesprochene Relaissystem (Finnisch —> Französisch —> Griechisch) zurückgreifen oder aber (mit einiger Berechtigung) darauf bauen, daß die Englischkenntnisse der Nordländer Muttersprachkompetenz nahekommen. Andererseits aber sehen z.B. interne Planspiele unter Mitarbeitern des dänischen Übersetzungsdienstes vor, verstärkt Aktiv-/ Passivkompetenzmodelle zu berücksichtigen, um eine gewisse Effizienz zu garantieren: Man spricht oder schreibt also etwa Dänisch, entlastet die Sprachdienste aber ein wenig dadurch, daß man den norwegischen Ausführungen zuhört oder den schwedischen Text liest. Auch existieren Überlegungen dahingehend, ein »Euro- Skandinavisch« zu verankern, ein künstliches Konstrukt, das aufgrund einer gewissen »Opfersymmetrie« funktionieren könnte: Diese Form wird der einen Sprache entnommen, jene Konstruktion einer zweiten, jene Endung einer dritten... Solche Überlegungen sind freilich politisch brisant: Schon 1972 wurde Norwegisch als EG-Sprache kodifiziert (auch wenn der Beitritt selbst schließlich in einer Volksabstimmung verhindert wurde). Die Schlußfolgerung daraus muß lauten: Eine Verständigung durch optimales Ausnutzen von Sprachähnlichkeiten effizienter gestalten zu wollen, reibt sich mit dem Ideologen! der EU-Sprachenpolitik, der strikten Orientierung an eigenständigen Nationalsprachen. So erklärt sich auch, daß das EU-Gemeinschaftsrecht aus dem Englischen ins Schwedische übertragen wurde und nicht was man aus sprachtypologischer Sicht als naheliegend vermuten würde aus dem Dänischen (nicht zuletzt aus auch Angst vor »falschen Freunden«) (Karker 1993, 89f.). 10.4 Sprachpolitische Aufgaben für die Europäische Union »Europäische Identität« wird üblicherweise durch »Multikulturalismus« und »Plurilingualismus« definiert und auch begründet. Ein melting pot nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika gilt für ein europäisches Pendant nicht als erstrebenswert: Eine Vielzahl von Sprachen und gewachsenen Kulturen soll zu einer Gemeinschaft in einem »Europa der Regionen« beitragen. Nun sind Sprachenvielfalt und Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kultur(kreis)en nicht die europäische Summe einer Reihe monokultureller und/ oder monokephaler Regionalgebilde. Vielmehr sind durch die verschiedensten Bevölkerungswanderungsbewegungen oftmals Territorien entstanden, in denen sich verschiedene Ethnien begegnen, wo unterschiedliche Spra- 387 chen in Kontakt zueinander treten und heterogene kulturelle Herkunft eine Trennlinie zwischen Vertrautem und Fremdem bildet. Eine solche Sprachen- und Kulturvielfalt wird vor allem in urbanen Zentren durchaus als Bereicherung empfunden, internationales Flair und kosmopolitischer Charme erhöhen die Attraktivität auch der »Euro-Kapitalen«. Auf der anderen Seite aber gilt in sozialen Brennpunkten, dort, wo Wohnungen zu klein sind oder fehlen, wo Arbeitslosigkeit grassiert und (oftmals »fremde«) gesellschaftliche Randgruppen angesiedelt werden, das Nebeneinander mehrerer Sprachen und Kulturen als einer der Gründe für die eigene benachteiligte gesellschaftliche Position. Infolgedessen hat sich dort eine Xenophobie breitgemacht, so daß man in diesen sozialen Schichten toleranten multikulturellen Ideen eher feindselig gegenübersteht. Sprach- und Kulturkontakt wird dort zum Konflikt, ist also auch ein sozialer Konflikt, wie etwa die gespannten Beziehungen zwischen deutsch- und italienischsprachigen Bewohnern der Provinz Bozen beweisen, nicht zu sprechen von den sozial bedingten Spannungen mitten im »Euro-Zentrum« zwischen Flamen und Wallonen. Erklärtes Ziel der EU ist das »Europa der Bürger«, da ja neben dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital auch das Recht auf Niederlassungsfreiheit und ungehinderte Mobilität in allen Mitgliedstaaten verankert ist bzw. realisiert werden soll. Dazu ist es notwendig, die »Euro-Bürger« in den Stand zu setzen, miteinander zu kommunizieren, so daß es künftighin nicht einer schmalen Elite Vorbehalten bleiben wird, polyglott zu glänzen, sondern Fremdsprachkenntnisse im besten Sinne demokratisch selbstverständlich für große Teile der Bevölkerung werden. Dann könnten auch um ein besonders typisches Beispiel auszuwählen — deutsch-französische Städtepartnerschaften, die ja sehr zahlreich sind, nicht nur für einen Bruchteil zum (sprachlich-kulturellen) Erlebnis werden, sondern auch für diejenigen, die heute noch mehr die nonverbale Kommunikation pflegen (müssen) so sie nicht auf Englisch zurückgreifen -, ein Stück europäischer Realität darstellen. Kommunikationshemmnisse lassen sich nicht von heute auf morgen beseitigen. Auch wird es immer Einwände, deren Berechtigung ich im Einzelfalle auch nicht bestreiten möchte, gegen den unten folgenden Forderungskatalog geben. Dennoch ist zu berücksichtigen daß die Idee der »Europäischen Union« immer eine Utopie war, der man nur Stück für Stück näherkommen konnte und die möglicherweise nie ganz zu verwirklichen sein wird. Ebenso sind die Vorschläge zu sprachlichen Reformen in ihrer Gesamtheit eine Utopie, mithin nur im Zuge eines langsamen Umdenkens umzusetzen, dessenungeachtet möglicherweise Mosaiksteinchen, die aus der bisher noch reichlich abstrakten, idealistischen Vision des »Europas der Bürger« ein kommunikationsfreudiges, in einer »Willensgemeinschaft« zusammengeschlossenes, gleichwohl auf kulturelle und sprachliche Vielfalt bedachtes »europäisches Volk« fernab aller engstirnigen Nationalismen und Egoismen formen könnten. Dazu wäre im einzelnen zu wünschen: 388 (1) Zwei Fremdsprachen sollten für jeden EU-Bürger zum Standard werden und nicht länger eine Ausnahme darstellen. Diese Forderung wird vor allem in kleineren EU-Mitgliedstaaten längst umgesetzt, da dort Fremdsprachenkenntnisse automatisch Bestandteil einer karriereorientierten Ausbildung sind. Das andere Extrem stellt das Vereinigte Königreich dar, wo der Erwerb »kontinentaler« Sprachen noch weithin als exotisch gilt. Auf EU-Ebene haben gerade britische Bürokraten ein ausgesprochen ambivalentes Verhältnis zur Mehrsprachigkeitsproblematik, denn ihr Eingeständnis fehlender Fremdsprachenkenntnisse bleibt zumeist ohne (nachteilige) Konsequenzen. Die Forderung der Beherrschung zweier Fremdsprachen wird auch von der Europäischen Union selbst erhoben. (2) Fremdsprachenunterricht muß spätestens im Alter von acht Jahren einsetzen, wie das in einer Reihe von Mitgliedstaaten schon heute selbstverständlich ist und wie es auch in einigen Bundesländern (probeweise) eingeführt wurde. Die Praxis hat fast überall das Argument widerlegt, daß Kinder, die früh Fremdsprachen erlernen, überlastet seien oder Schwächen in anderen wichtigen Fächern aufweisen. Vielmehr wird heute von der Fremdsprachenpädagogik darauf verwiesen, daß es Kindern viel leichter als Erwachsenen fällt, Fremdsprachenkenntnisse zu erwerben, und daß man diese Tatsache möglichst nutzen sollte. (3) Es muß vermehrt Unterricht in anderen Fächern (Natur-, Geistes- und Geowissenschaften) in Fremdsprachen abgehalten werden (»verstärkter Englisch-ZFranzösischunterricht«), wie es in mehrsprachigen Territorien (etwa im ladinischen Gebiet der Provinz Bozen) üblich ist. Ebenso sollte die Praxis ein Ende finden, alle Filme für Fernsehen und Kino zu synchronisieren - Untertitel erfüllen, wie andere Länder zeigen, dieselbe Funktion und gestatten darüber hinaus das Hörerlebnis in der Originalsprache. Fast überflüssig ist es, hier den selbst auf universitärer Ebene verbreiteten Brauch, Anglistik/ Englisch oder Romanistik/ Französisch, Italienisch oder Spanisch auf deutsch zu unterrichten (! ), zu kritisieren. (4) Man müßte erwägen, ob man Englisch erst als zweite Fremdsprache unterrichten sollte, wenn man einmal unterstellt, daß es bei Jugendlichen kaum Motivationsdefizite gibt, es zu erlernen: Das hohe Prestige von Pop-Musik und sonstiger anglo-amerikanischer (materieller) Kultur macht Englisch zu einem begehrten Objekt freiwilligen Lerneifers. Allerdings darf man die Tatsache nicht verkennen, daß das Schulsystem schon heute allzuoft nicht in der Lage ist, Schülern ausreichende Kenntnisse in einer Fremdsprache (das ist derzeit in aller Regel Englisch) zu vermitteln, die sie in den Stand setzen, im Sinne einer europäischen Integration zu kommunizieren. (5) Austauschprogramme müssen verstärkt gefördert werden. Es kann nicht ausreichen, daß Studenten, Akademiker und Wissenschaftler von EU- Programmen wie ERASMUS und LINGUA profitieren können. Vielmehr müssen schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt Schüler 389 zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten hin und her vermittelt werden, etwa im Rahmen von Städte- und Schulpartnerschaften. Auch sind bisher Kontakte unter Jugendlichen, die nicht studieren, sondern eine gewerbliche, kaufmännische oder sonstige Ausbildung absolvieren und damit oftmals wesentlich früher ins Berufsleben eintreten, weit weniger zahlreich. Gerade im Hinblick auf die immer stärker zusammenwachsenden Wirtschaftsräume besteht auch hier ein ausgesprochener Handlungsbedarf. (6) Wir sollten des weiteren unsere Vorstellungen von sprachlicher Höflichkeit revidieren: Statt zu versuchen, in einer Fremdsprache, etwa einem Basic English, Minimalkommunikation zu praktizieren, sollten wirwenn immer möglich unsere Muttersprache verwenden; der durchaus löbliche Verzicht auf das am besten beherrschte Idiom unter dem Gesichtspunkt, dem Gesprächspartner sprachlich entgegenzukommen und somit keine Ressentiments auszulösen hat in der Regel Informationsverlust zur Folge: Wir sind nicht in der Lage, all das, was wir eigentlich zu sagen hätten, auszudrücken. Der »polyglotte Dialog« also: Jeder an einer Konversation Beteiligte spricht die Sprache, die er am besten beherrscht und folgt den Beiträgen der anderen in deren Muttersprache bewirkt, daß zumindest beim Gesagten weniger inhaltliche Restriktion stattfindet als bei irgendwelchen Kauderwelschversuchen. Eine solche auf Verstehen aufbauende Kommunikation mit einer Herausstreichung der Fähigkeiten passiver Rezeption ist durchaus praktikabel, wie Sprecher miteinander verwandter Sprachen in ihrem Alltag vorführen: Tschechen und Slowaken kommunizieren ebenso »polyglott« miteinander wie Skandinavier oder aber Bürokraten in Arbeitssitzungen, die von einem Teil auf französisch, von einem anderen Teil auf englisch bestritten werden. Der Nachteil dieses Modells liegt auf eine europäische Ebene projiziert darin, daß es (natürlich) die großen Sprachen bevorzugt: Niemand wird ein Gespräch abwechselnd auf dänisch und portugiesisch führen. (7) Zur Verwirklichung eines »Europas der Regionen« müßten Maßnahmen ergriffen werden, die dem Schutze sprachlicher Minderheiten dienen und zwar sowohl der autochthonen Minderheiten (für die sich die EU ja über das Bureau for Lesser Used Languages engagiert) als auch der exochthonen Minoritäten (also z.B. der Türken in Deutschland, der Araber in Frankreich und der Hindi, Urdu oder Gujarati sprechenden Inder in Großbritannien). Allerdings darf hier kein Zwang ausgeübt werden: Wenn sich Minderheiten der (wirtschaftlich) stärkeren Dachsprache zuwenden, sich freiwillig assimilieren, sollten Philologen und andere Sprachpfleger tunlichst vermeiden, mit erhobenem Zeigefinger mangelnde Sprachloyalität zu rügen, da das Konservieren sprachlicher Eigenheiten bisweilen auch mit der Zementierung gesellschaftlicher Archaismen verbunden ist. 390 (8) Abschließen möchte ich diesen Katalog mit einer Negativforderung: Die auf den ersten Blick bestechend scheinende Lösung, sich auf eine tote Sprache (Latein) oder eine Kunstsprache (Esperanto) als europäische lingua franca zu verständigen, kann nicht befriedigen. Zwar hätten dann alle Europäer den gleichen Aufwand zu betreiben, um eine Kommunikation zu ermöglichen, aber die Akzeptanz, solche Sprachen zu erlernen, ist noch weitaus geringer als bei modernen, »lebenden« Sprachen. Auch würde durch die Festlegung auf eine Kunst- oder tote Sprache der schon jetzt oftmals entrückt erscheinende »Eurojargon« der institutionellen Kommunikation eher zementiert als durch eine allgemeinverständliche, eurobürgemahe Verwaltungssprache abgelöst werden. Es erscheint im Moment angesichts eines in den meisten Mitgliedstaaten erstarkenden Nationalismus und Isolationismus, der die anfängliche Begeisterung für die europäische Idee vielfach in Europessimismus und Euroskeptizismus hat Umschlagen lassen, unabdingbar, die Zukunft Europas nicht nur wirtschafts-, währungs- und verteidigungspolitisch zu begründen und umzusetzen, sondern der Vielzahl der ethnischen und kulturellen Gruppen, die letztlich dieses Europa bilden und mit Leben erfüllen, in der Planung der künftigen Gemeinschaftsform die ihnen zukommende Bedeutung zuzugestehen. Gerade angesichts einer künftigen Erweiterung der Europäischen Union sind sprachpolitische Entscheidungen von großer Tragweite: Auch wenn es gilt, innerhalb der Institutionen der EU einen reibungslosen Verfahrensablauf mit möglichst hoher Effizienz zu gewährleisten, wird eine Organisation keine Akzeptanz erfahren, die versucht, die europäische Bevölkerung zu uniformisieren. Sprachliche und kulturelle Eigenständigkeit der europäischen Ethnien sind somit Hauptkomponenten einer anzustrebenden Europäischen Union. Diesem Ziel sollte auch eine sich als demokratische Kulturwissenschaft definierende Sprachwissenschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten zuarbeiten. Mit anderen Worten, und zwar in Eurospeak', eine große Herausforderung an die »Eurolinguistik«! Anhang Fragebogen Tabelle 1: Frage 1: Welche der offiziellen Amtssprachen der EG beherrschen Sie? Frage 2a) Verstehen Sie? Dänisch Englisch Französisch Griechisch Italienisch Niederländisch Portugiesisch Spanisch sehr gut 6,3% 71,9% 81,3% 0,0% 9,4% 15,6% 6,3% 9,4% gut 6,3% 28,1% 18,8% 0,0% 15,6% 15,6% 0,0% 28,1% einigerm. 3,1% 0,0% 0,0% 3,1% 21,9% 15,6% 12,5% 18,8% kaum gar nicht 6,3% 78,2% 0,0% 0,0% 0,0% 0,0% 3,1% 93,8% 31,3% 21,9% 25,0% 28,1% 9,4% 71,9% 18,8% 25,0% Tabelle 2: Frage 2b) Lesen Sie? sehr gut gut einigerm. Dänisch 6,3% 9,4% 6,3% Englisch 78,2% 18,8% 3,1% Französisch 81,3% 18,8% 0,0% Griechisch 0,0% 0,0% 3,1% Italienisch 6,3% 25,0% 37,5% Niederländisch 18,8% 21,9% 18,8% Portugiesisch 6,3% 3,1% 18,8% Spanisch 18,8% 21,9% 28,1% kaum gar nicht 6,3% 71,9% 0,0% 0,0% 0,0% 0,0% 9,4% 87,5% 12,5% 18,8% 9,4% 31,3% 9,4% 62,5% 12,5% 18,8% 392 Tabelle 3: Frage 2c) Sprechen Sie? Dänisch Englisch Französisch Griechisch Italienisch Niederländisch Portugiesisch Spanisch Tabelle 4: sehr gut 6,3% 59,4% 65,6% 0,0% 6,3% 15,6% 3,1% 9,4% gut 0,0% 31,3% 34,4% 0,0% 6,3% 6,3% 0,0% 9,4% emigerm. 6,3% 9,4% 0,0% 3,1% 15,6% 9,4% 6,3% 18,8% kaum 6,3% 0,0% 0,0% 3,1% 18,8% 12,5% 3,1% 28,1% gar nicht 81,3% 0,0% 0,0% 93,8% 53,1% 56,3% 87,5% 34,3% Frage 2d) Schreiben Sie? Dänisch Englisch Französisch Griechisch Italienisch Niederländisch Portugiesisch Spanisch Tabelle 5: sehr gut 0,0% 43,8% 50,0% 0,0% 0,0% 9,4% 3,1% 6,3% gut 3,1% 40,6% 40,6% 0,0% 9,4% 6,3% 0,0% 6,3% emigerm. 6,3% 12,5% 9,4% 0,0% 9,4% 12,5% 0,0% 21,9% kaum 9,4% 3,1% 0,0% 6,3% 21,9% 9,4% 9,4% 18,8% gar nicht 81,3% 0,0% 0,0% 93,8% 59,4% 62,5% 87,5% 46,9% Frage 4: In den Medien wird oft die Meinung vertreten, daß die EG offiziell neun gleichberechtigte Sprachen hat, in der internen Praxis aber Englisch und Französisch dominieren. Würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus dieses auf jeden Fall bestätigen? 82,8% zum Teil bestätigen? 17,2% eher anzweifeln? 0,0% die Meinung vertreten, dieses sei eine Fehleinschätzung? 0,0% Tabelle 6: Frage 8: In welcher Sprache schreiben Sie andere EG-Beamte bei einem Erstkontakt an? in der eigenen Muttersprache 5,7% in der (vermuteten) Muttersprache des Partners 25,7% immer auf Englisch/ Französisch 60,0% unterschiedlich; hängt ab von (...) 8,6% 393 Tabelle 7: Frage 9: In welcher Sprache sprechen Sie andere EG-Bedienstete an, die Sie noch nicht kennen? in der eigenen Muttersprache 3,2% in der (vermuteten) Muttersprache des Partners 25,8% immer auf Englisch/ Französisch 54,8% unterschiedlich, hängt ab von (...) 16,1% Tabelle 8: Frage 5: Hat die Verwendung bestimmter Sprachen Einfluß auf den Wortlaut von Texten und Entscheidungen, die in der EG beschlossen bzw. gefällt werden? (Mehrfachnennungen möglich)? nein ja, jeweiliges Rechtssystem beeinflußt Text ja, jeweilige Muttersprachler im Vorteil ja, unterschiedlicher Aufbau der Sprachen ja, unterschiedliche Mentalitäten ja, andere 9,4% 59,4% 81,3% 59,4% 18,8% 0,0% Tabelle 9: Frage 6: Sind Sie der Meinung, daß nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu hoffen, zu erwarten oder zu befürchten ist, daß die wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig stärkste Sprachgruppe auch sprachlich mehr Rechte einfordern wird? hoffees 28,1% erwarte es 50,0% befürchte es 0,0% hat keinen Einfluß 21,9% ist mir egal 0,0% 394 Tabelle 10: Frage 10: Eine Erweiterung der EG, beispielsweise durch frühere „Ostblockstaaten“ (GSFR, Polen, Ungarn) oder EFTA- Staaten (Schweiz, Schweden, Österreich, Finnland etc.) wird sprachliche Probleme aufwerfen. Scheint Ihnen in diesem Zusammenhang die Einführung einer verbindlichen Arbeitssprache zweckmäßig? ja 28,1% nein 71,9% wenn ja, welcher Englisch Französisch Deutsch Anteil insgesamt 18,8% 12,5% 9,4% Anteil bei „ja“- Antworten 66,7% 44,4% 33,3% Tabelle 11: Frage 7: Viele Angehörige kleinerer Volks- und Sprachgruppen erhoffen mehr Anerkennung durch ein „Europa der Regionen“. Wird eine europäische Einigung eher mehr Rechte für Einzelsprachen 13,3% Aufwertung der großen Sprachen 63,3% keine Aufwertung 23,3% bewirken? Tabelle 12: Frage 11: Wovon hängt die Länge des Verfahrens ab, in dem Rechtsakte erstellt werden? (Mehrfachnennungen möglich) von der Komplexität des Problems 87,5% vom Grad der juristischen Verbindlichkeit 28,1% von sprachlichen Verständigungsproblemen 21,9% von unterschiedlichen politischen Interessen 87,5% von Interventionen von Lobbyisten und Verbänden 46,9% von finanziellen Spielräumen 34,4% von sonstigem 6,3% Tabelle 13: Frage 15: Spielt bei der Wahl einer Verkehrssprache das Alter der beteiligten Beamten eine Rolle? nein ja 90,3% 9,7% 395 Tabelle 14: Frage 14: Welche Gründe sind für die Wahl einer Arbeits-I Verhandlungssprache wesentlich? (Mehrfachnennungen möglich) Muttersprache des Autors des ersten Entwurfs 28,1% Muttersprache des Chefs d’unite 21,9% Muttersprache des Leiters der Direction 18,8% Muttersprache des Leiters der Direction generale 28,1% gemeinsame lingua franca 50,0% immer Französisch und Englisch 37,5% politische Vorgaben (Direktiven von außen) 12,5% Effizienz der Verständigung 37,5% andere Gründe 9,4% Tabelle 15: Frage 16: Wann wird Deutsch gesprochen? (Mehrfachnennungen möglich) interne Arbeitssitzungen 25,0% Arbeitssitzungen mit Bonner Politikern 67,5% informelle Kommunikation/ Arbeitsplatz 67,5 % außerdienstliche Kontakte 56,3% externe Kommunikation mit Bonn 68,8% Kontakt mit deutschen Wirtschaftsverbänden 65,6% Kollegen aus anderen Ländern 25,0% nie 3,1% Tabelle 16: Frage 17: Ist Deutsch eine Arbeitssprache“ in der EG? ja, 5,6% ja, mit ähnlicher Bedeutung wie Englisch und Französisch 25,0% ja, aber mit geringerer Bedeutung als Englisch und Französisch 50,0% nein 16,7% Arbeitssprachen gibt es nicht 2,8% Tabelle 17: Frage 18: Trifftfolgende Situation für die EG-interne Arbeit zu: Jeder äußert sich in der Sprache, die er am besten beherrscht, und versteht ohne weiteres andere Sprachen seiner Gesprächspartner (der sogenannte „polyglotte Dialog“)? ständig 0,0% oft 27,6% selten 55,2% nie 17,2% 396 Tabelle 18: Frage 19: Wie ist das Verhältnis zwischen dem Übersetzungsdienst und den Arbeitsgruppen in den Generaldirektionen? intensive Gespräche bei Zweifeln 0,0% gelegentliche Rücksprachen 78,2% Dienstleistungsverhältnis 21,9% anderes 0,0% Tabelle 19: Frage 20: ja nein Tabelle 20: Frage 21: ja nein Tabelle 21: Frage 22: nein ja Tabelle 22: Frage 23: Gibt es bewußte Beschränkungen im Gebrauch sprachlicher Mittel in einer gewählten Arbeitssprache? ja 59,3% ja, in der schriftlichen Kommunikation 19,4% ja, in der mündlichen Kommunikation 3,2% ja, in der schriftlichen und mündlichen Kommunikation 54,8% nein 22,6% Gibt es nach Ihrer Einschätzung für die interne Arbeit in der EG-Kommission einen Regelungsbedarf in der Sprachenfrage ? 40,7% 59,3% Hat sich im Laufe Ihrer Tätigkeit etwas an der Sprachen praxis bei der EG geändert? 45,6% 54,4% Gibt es Fälle, bei denen im ganzen Verfahren bis auf die Endfassung keine Dolmetscher- oder Übersetzerdienste notwendig werden? 44,0% 56,0% 397 Tabelle 23: Wenn ja: Das betrifft einen Verzicht auf: (Mehrfachnennungen mög lieh) Redewendungen/ Sprichwörter 75,0% Metaphern 56,3% Dialektalismen/ Regionalismen 62,5% Umgangssprachliche Wendungen 75,0% Witz, Ironie, Situationskomik 66,7% Beispiele, Paraphrasierungen 28,3% sonstige 16,7% Tabelle 24: Frage 24: Was halten Sie von der Behauptung, EG-Beamte praktizierten oder kultivierten „Eurospeak“ als Insidersprache? trifft zu, ist notwendig 9,4% trifft zu, wäre aber nicht notwendig 25,0% trifft zu, wird aber in den Medien übertrieben dargestellt 50,0% trifft nicht zu 12,5% davon habe ich noch nie gehört 3,1% 398 Verwendete Transkriptionszeichen (a) Intonation: / Fortsetzung, Stimme nach oben Stimme in der Schwebe \ Schlußintonation, Stimme nach unten voll Betonung gimge Dehnung (b) Pausen: * ganz kurzes Absetzen, Gliederungssignal ** kurze Pause *** mittellange Pause *2* längere Pause von 2 Sekunden (c) Sonstiges: &ich auffällig schneller Anschluß aul Formulierungsabbruch ob=eh Verschleifung # # Gültigkeitsbereich einer folgenden Kennzeichnung zur Sprechweise < lauter > leiser -> schneller <langsamer 399 Texte zu Kapitel 3.12 und 3.13, Beispielanalysen (l) zu 3.12 Einzelanalyse I: Ein „normaler" Debattenbeitrag Beteiligte: ST: Susanne Tiemann, WSA-Präsidentin KB: Klaus Boisseree (Gruppe III/ D), Vorsitzender der Deutschen Umweltaktion 1 ST: 2 K 3 ST: 4 5 6 X: 7 K 8 K 9 ST: 10 11 KB: 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 #ich bedanke mich #Herr * Colomboich habe gesehen daß Sie #OHNE MIKRO # eine allgemeine Debatte wünschen meine Kollegen/ ** und habe schon zwei Wortmeldungen/ Herr Boisseree Herr Beltrami/ wer meldet sich sonst noch/ *1,5* *** Herr Bernabei/ #Bernabei- (...)# ♦ LEISE, OHNE MIKRO (» BEAMTER DES WSA-GENERALSEKRETARIATS ALS SOUFFLEUR)# Herr eh- Kafka/ *2,5* ich sehe sonst keine weiteren\ >Wortmeldungen\ <Herr Boisseree bitte- Vielen Dank Frau Vorsitzende/ ** es ist ja sicher nur ein Zufall daß der meis| die meisten Wortmeldungen alle mit £ anfangen- ** aber ich dacht die hä| die übrigen Buchstaben des Alphabets kämen noch/ aber das ** scheint heute nicht der Fall zu sein\ ** äh äh vielen Dank daß Sie mir das Wort geben- ** ich: würde gerne * drei Dinge m: s: agen/ um um um auch die Bedeutungdie von mir aus gesehensowohl die Vorlage der Kommission/ als auch die Stellungnahme des Rapporteurs hat/ ** hier hervorzuheben\ äh es ist sehr viel diskutiert worden und wird noch diskutiert/ wie hoch nun der- * Anteil der Verpackungen am gesamten Müll- ** am gesamten Abfall ist/ ** äh: da kann man diese oder jene Statistik oder Berechnung aufmachenin einem waren wir uns wohl klar und ich glaube auch- ** die Änderungsvorschläge die heute eingebracht wurden wollen das nicht in Abrede stellen/ daß es ein ganz beachtlicher Teil * des sogenannten Hausmülls ist der hier *** zur Debatte steht und wenn unsereeben sagte das Herr Colombounsere Städte/ ** gemeint sind die städtischen Deponienvoll sind/ ** und wir zum Teil nicht mehr ein noch aus wissen/ dann hängt das mit dem >Thema hier zusammen\ ** <ähdeswegen meine ich verdient auch der- Initiative der Kommission ** äh Unterstützung\ die Unterstützung wie sie in unserer Stellungnahme ausgesprochen ist\ nun-äh ** kann man aber nicht so tim/ ** als ob es bis dahin in Europa nun noch gar nichts auf diesem Gebiet geschehen wäre\ *** äh mansche| manche Änderungen * nicht Ihre Stellungnahme Herr Colombo aber manche Änderungsvorschläge von heute/ ** äh äh da hab ich den Eindruck als ob man alles das was die Mitgliedstaaten bisher auf diesem Gebiet versucht hätten/ nun per se des Teufels 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 wäre\ das-äh äh möchte ich hier ausdrücklich ablehnen\ äh da sind sehr- ** sehr erwägenswerte Dinge gebracht worden/ und die Kommission hat dankenswerterweise/ ja auch davon Nutzen gezogen und hat- ** nicht alles abgeschrieben aber doch einiges hier- ** in die europäische Regelung hineingenommen\ äh ich mein das ist ganz wichtig/ ** und der Berichterstatter ist der- ** Versuchung nun alles abzulehnen was auf [...] [Unterbrechung durch Wechsel der Cassettenseite] nachher in der Diskussion im einzelnen/ ** von mir aus widerraten\ ** etwa jetzt zu sagen«äh der um| die Umwelt ist so ein Nebenzweck- ** hauptsächlich dient das Ganze ja der Harmonisierung desdes Binnenmarktes und es gibt da Umweltproblemeäh das halt ich für einfach für falsch und für unehrlich/ ** und das gibt dem deutl umweltpolitische Bedeutung der Vorlage nicht Rechnung\ die*äh: - *2* ich finde es auch gut/ *** das hab ich schon in der ** Fachgruppe zum Ausdruck gebracht/ ** daß die Kommission sich hier auf das Wesentliche beschränkt hat\ dies ist ja eine der ersten Vorlagen die unter dem- ** vie: 1*‘gerühmten oder vielbeschimpften Subsidiaritätsprinzip stattfindet\ ** und ich meine das ist für mich ein gutes Beispiel wie man so was machen kann\ die Richtlinie ist eine in gewisser Hinsicht eine RahmenrichtlinieN <ich halt das auch für auf, daß es das istich halt es für falsch/ wenn hier <alle Details nunaufgeführt würden/ ** äh äh ** da gibt es ja wirklich auch nationale Besonderheiten\ *** auch was getrenntes Sammeln und getrennte Transport und so was betrifft\ also ich würde gerne hier im Plenum/ ** in Anwesenheit des Kommissionsvertreters nochmal sagen/ ich halte diesen Mittelwegunter ** wohlerwogener Anwendung des Subsidiaritätsprinzips für richtig\ und * das Letzte/ *2* ist eben schon gesagt worden/ ** äh es es spielt bei dem- ** bei der-m: Abfallrichtlinie immmer eine besondere Rolle die sogenannte Hierarchie derdes Umgehens mit Abfällen\ ♦ * talso erst Vermeidendann- ** »AUFZÄHLEND dann=eh Verwenden- Wiederverwenden und so weiter und so weiter\# <dies ist sehr klar in der Stellungnahme von Herrn # Colombo enthalten/ ich meine es ist klarer als im Kommissionsvorschlag\ und wir sollten uns Herr Colombo von dieser Sache auch nichts abhandeln lassen\ ich würde alles| ** äh allem widerraten/ wo diese klare Hierarchie der ** der Verwertung oder Verwendung von Abfällen durchbrochen wird ** und neutralisiert wird\ <ich halte das gut/ und ich darf Sie bittenmeine Kollegen dem ** Vorschlag von Colombo äh: äh die Zustimmung zu geben\ danke schön\ ** ich bedanke mich Herr Boisser6e/ ich möchte doch um ein bißchen mehr Ruhe im Saal bittenes ist sehr schwer für die 401 88 Redner sich zu konzentrieren/ wenn so viele Gespräche äh 89 stattfinden\ Herr Beltrami bitte\ [...] (2) zu 3.13 Einzelanalyse II: Der Sonderfall Aus der Aussprache in der Fachgruppensitzung am 11. 9. 1992 (Originalsprache der Redebeiträge) [C 127] Beteiligte: RP: TE: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Robert Pelletier (Gruppe I/ F), Directeur General de 1'Association frangaise des Etablissements de Credit Tom Etty (Gruppe II/ NL) HP: (000) pardon- ** non- Monsieur le President- >euh cnotre rapporteur ä juste titrenous a signal^/ l: '6cho qu'il y avait aupr£: s=euh * des pays du Maghreb/ eu: h les les les rapports| les avis du Comite 6conomique et social\ ** euh je peux moi-meme t4moigner en tant que membre du groupe d'£tude/ de l'autorit£ tr&s reelle que notre rapporteur a dans les discussions avec nos collogues/ ** euh maghr^bins/ ce qui veut dire/ que ce qu'il 6crit/ ->ga compte\ <-bon et que: bo: nga fera vraisemblablement/ ** euh le tour euh dedes pays/ ** du Maghreb/ et des autorit^s comp£tentes pour le commenter\ ->alors ä partir de ce moment-lä/ il faut tout de meme faire tres tres attention ä ce que 1'on 4crit >euh <cher ami\ parce que- *** dans ce paragraphe un-trois-six=euhvous faites en r6alit6=euh- ** une auto-flagellation=euh ä la limite du masochisme\ ah bon\ euh/ vous pr6sentez sur un pied d'4galit4/ ** eu: : h ** de: s * comporteme: nts/ de * AUFZÄHLEND #chauvinisme d'intol4rence de Xenophobie/ # *** j'aije regrette Monsieur Amato/ mais moi je suis bien place en tant que frangais/ pour parier des conditions dans lesquelles sont acceuillis=euh les maghrebins/ votre requisitoire est excessif &vous savez qu'on en a 1 500 000 en France/ que nous construisons des mosquees/ que la ville de Lyon est en train d'en construire une enorme que la preoccupation tant du gouvernement que de la population est de maintenir dans des conditions difficilesparce que bon- ** ä travers 1'Italic et k travers 1'Espagne le flot reste continu d'emigrants clandestins du KLOPFT AUF DEN TISCH #Maghreb/ ** qui viennent en France alors que nous avons trois millions de chomeurs\ bon- ** done# il y a un probl^me lket malqre toutmalgre tout/ ga je vous mets ** au defi/ k part quelques cas marginaux vous pouvez toujours arriver k trouver euh dans une commune ou dans une banlieue euh ** un un affrontement entre: * la police et puis un certain nombre- ** entre parentheses d'ailleurs de loubards- ** ->maghrebins/ <-mais c'est pas ga/ qui fait/ ** euh qu'une population/ a des des comportements 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 x6nophobes-euh euh ** 1 la superiority de la culture et de la civilisation occidentale est tr£s claire\ Monsieur Amato sy'a pas ** une 4alise en Europe/ aussi pro aussi favorable- ** ä ä ä ä ä * ä aux aux aux aux Maghr4bins/ aux Arabes que l'^glise de France\ meme ä la limite/ j'ai peut-etre parfoisle sentiment que ** <? a va un peu trop loin\ alors/ non * je je veux pas pol4miquer/ mais vraiment trop c'est trop * hein/ ce paragraphe * il est choquant/ eu: h il est provocateu: r euh nous nous ne m4ritons pas <? a\ heinsi vous voulez faire de 1'auto-flagellationbon\ libre ä vous/ c'est possible/ cmais n'embarquez pas vos collogues dans une critique aussi virulente >si vous voulez et injuste ** euh de la situation faite par * 1'ensemble de nos pays par 1'Europe aux pays euh aux pays euh aux citoyens du Maghreb\ ** si vous connaissiez Monsieur Amatoles conditions faites aux Frangais qui sont rest4s en Alg4rie- ** vous auriez sans doute une attitude et un comportement un peu plus nuanc4- ** hein- <-quant ä cette pseudo-egalite de comportement/ entre nous/ et et et l'Algerie\ j'aime autant vous dire qu'etre Frangais actuellement en Alg4rie/ <ce n'est pas facile/ et lA vous avez des formes ** tr4s 4videntesde racisme et de x4nophobie\ alors ne mettez pas les choses sur le meme pied/ je vous en serais tr4s reconnaissant/ et vous savez que je le dis\ ** en toute amitie puisque nous avons eu/ au sein du groupe de travail une collaboration extr4mement fructueuse\ [. • •] ->ik wil de rapporteur <-toch wel steunen waar ** waar * de zeer aluemene lijn van hun betoog heengaat\ (...)_ wanneer bij eerste en zo (...) lectuur dat een aantal accenten hen overdreven voorkomen ** dan ben ik er voor ->dat de rapporteur even naar de <-tekst kiikt\ (...)_ <-maar * ik denk dat er inderdaad een aantal voltrekkende eh | eh een aantal voltrekkende ->ontwikkelingen in europa <-aan de gang ziin\ ** dat het is te illustreren <-aan aan de opkomst van een aantal partiien ** ->die zieh eh die ze natuurlijk op dit gebied <-steunen * eh eh * ik vind dat je die | ** dat je die trent ** best kunt noemen ** en kunt aangeven zonder dat je op die manier zelf aan partijing doet\ 403 Text-Synopse zu Kapitel 4 Auf den folgenden Seiten sind sechs Fassungen (das „Arbeitsdokument“, das „Schema für den Vorentwurf“, das „Schema für eine Stellungnahme“, der „Vorentwurf einer Stellungnahme“, der „Entwurf einer Stellungnahme“ und schließlich die endgültige „Stellungnahme“) zum Thema „Die künftige Erweiterung der Gemeinschaft” jeweils zu dritt nebeneinander montiert, so daß im direkten Vergleich der Textfassungen „Schicksal“ bzw. „Karriere“ einzelner Passagen deutlich werden. 404 c ■ 8 s" or : 2 CQ C/ 3 3 x: 'ON ft II 11 U< w il öß ij g ! 8Uwl; Illgf» iisjEll E 3 O a <S ä! i l! l l-sfi i ^ i§ ö C Gö g. d (U3 W —-t-crtdiiU PMlill S|4.ä|i|a slllilll SC z cs w ^ i 4 I ee 1<8 3 < s; .s 3 N i-. 8 c 4J c •a «<21 111 8. t/ ’-i « I ^ B al ^ t« x .1 'S r ä I ’S) M ^ W .3 O w. 'S 3 ” .S 0 "5 £ ! * ^ % ti t; B s Ä ä S ^ S ö '•§ i I lls 1.1 3 ^ 1 s a ^ n u k. 3 5 S S öü e e S! auä a Ü B 405 O III i-§ ||lt| ^ J ^ >N I : |g|^! ^i| “ y " ,': •? 31 > Hi! : 5; ^ g.tö K c 2P sj rS c*3 S ^ Ä § ■ 3 e = .E ö = ^ "5 ^ v «5 £ £ < If , 1 3 5 ^-s ^ 5 <5,.: B I a; i*| fc ■ S fc = ^ 11 gl' . t3 O S“ ! '*««, "5 v» ~ '2 * 1 ^ 53 ^ a* S Hilf ‘fi: gllli: 's 1 ! fc § g Q c 5 '§ ^ 5) — C 5 S r- & ^ CC) 'S,© 406 ' ll 'S •n T3 C « i 111 -8 « , s mir ! c -C 'S 111.. If=I i4 .S a «ä £ a HH ^ M 'S S -1 I Ö .gali p-gS .1 a « s ^ o '-O : -o = 1 " s S>ä S 1 ö-53^ ä,-§-5 •| > .£ 2 ü « 'S y C/ 3 flj "— »_i 1 _ öo c3 III Us! b . Iflstll £ s“^i r s ' .a ■ a u c I ü ö c g 13 .2 M ^ £ C C ^ W O .|i§ll. T3 i- 5 .S P — oo 2 K •§ C ^ u J -äi = S g-S' 11 f .s; 1 -Ills E- •STä S | 8 •§ : ü^llli «llülli 55 S ^ iS 7 15 a I 1 M E « Iä u, ^ 3 -Htr a4= “| f-sl.ä'lal ! ig a £ Ts 'S u •"= Ill3“® s s sr« o .ü iS S’^’S i iffiiii 4 ^ 1111" 1 £ M g I -S ■ e .2^ 1 “ £ ä l • 4) eo H vri T3 -C N < ^> ö i! i Hip = « "I s 2 00 3 W Ü “1*1* Ö5 -S .1 •§ g ^ •o F " 1 g M M „ box: JJ £ ü 3 'S £ i 1 N S iS £ | ^ h . ä _ = S Ö 1 1 *: ■ “ ^1 m|I § (S -s ^ -s 1 407 I a m ^ 'S u ■ = s • c« .C 2s fc W ■ Mill • ■ i|3||! ü w <S ^ 3 •£ in'll ^ | rS ^ K S Ö 2 « -Ä ü •o q §^|f! j 's ^ « u s i |s w ! . S |< -ö 3 1) T3 _, ^ -S m-5 's I g u I S s S u 5 l! l|.- ^ ^ 5 ä S II T3 ca c p .i £ o ,5 £ o G "u ItSS l9s « .y ^ >3 _r •8_fe oü -9 1 |ll g. aß-S II li u w u S £ §S« °2 II « ’S i2 <U .tS • CQ C 3 C .ä 3 “ CJ 3 ^ g fll-S Ef b0 « C §=3 “ ö j= l-iH Hx: M u o äE-s^lgÖ- 0 ^ Eg E! D^£.9.§> s o | u ö § R .S p i Hl i: i»i! ■ I » S = -S g SS " .« c «ü J g £P3 S.-C •o Ä « ^ E? u S st^*s s3> Ss § e ! f |SJ.§| s> ? f 2 i i i k-c*- , iiw-”ni ä'niiim N <U >- .3 « Ü - — — — e 4> ’S 60üOh4)3N S I S -EPS § c ^ S 3 mS '5 O | g 3 5 £ • si > ; S 2 u Sc.9^S“'|> §=ül1-s1s ! l ! l|l 1 "! i| I -1 11 $j= ii J a C 00 S=c i cS w 2^1 S bc§sS'o : 3 : ® „ I^oß = oS--l l-g"cuSgöi “I g §sl ^ g s I “I S ß 2 3 § “- £ •r cu -o c c •S ä, ? C § I 2 .2 408 , I a o sie ^ s I -2 «O u '1 S I ! 3 -3 B ' B H 0> l- I ■ 111« if‘i a .2 a s I 1 « E m ah'“ 1 » -o S c £f> e S •“ I If I 5 c s SJ ? - SS u = M c §3 3 II ^ I -S 00 K ■ s I * ä >• IIIII 409 3 -O ! .ä W -o b Ä : c3 C2 1 ^5 s s 1 2 'S i|| |£ § 4J ^ i_ -— =3 S c ^ « 3 iJiii l’g .'i-i & Ö I! s * ! 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N ca S^gl, ws = * ifp p Auf einer anderen Ebene müssen angesichts der ächtlichen wirtschaftlichen Unterschiede folgen- Länder als potentielle Kandidaten eingehend ge- 419 'S 11^ QSo'“ c “e .2 §£ C tn JZ ü h ^ 3 SJ 'S t=| 'S ä « w Q Od T3 « 5 IS c ! H 1a £ . O E- U 3 1 g S S Ö Ö •- 420 *—» '“'S» c -ü c 't .1 S ■ = o O « 4 u '-Ö I ■ o J5 u 2 I 2 1 g (S x; X) Ä 73 (U « c •- P £f S w ^ “ .2 2 g, . «5 • ■ 03 c c 3 o « 2 -S g g S ä g M W CO i s g ic g I M § x 1 2 C/ 3 g &2 «a c/ 5 . ^ te -- .£ P S? IcS E .S Eä c.l = 1 auf-g .ü e e S3 C/ 3 2 U X) T3 ■ “ •s ^ a p X3 'S W) 03 ^3 c .200 = ^ c3 'cÄ ij •s CK c CO fen — «4 qj X« W fl\ o ^ EP c w ^ S .2 TD ; 03 S.2 i-e 3 ' O W 0£ 1^DO II ■ q -o g SL S. 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Republik Polen und Ungarn ausgehandelten Europäischen Abkom- und Ungarn ausgehandelten Europäischen Abkom- und Ungarn ausgehandelten Europäischen Abkom- 429 I ^ t| a ^ e s S S n S u c X W- 8 <N ü r^i •o ä's 3 x -2 C u CQ «2 3 ’fl z a; 8 cg g « 3 Ö •o |ä N ^ •- P § 73 S cz c ^ C 2 _ bö cz P E «i s I £ WO J V -g ~ (U C _ 33 c ■ s -8 I -x 1 1 . « g E 3 ä -a | II § yilsi i “ 11M ° linh > C CQ <U 4= « ? _ cz o Jrr ‘3 i 1 W- ; 0 « 2^ bO 1/ 5 u x 3 8 8 0 < S . ts i § ; 5 Ill'll P T3 *L N C £ Uli •C « Ü C 5 ? = a c § S o 1) Ä P S 'S S.3 Ü3 § fv) » 15 8 c si «8 ü a |8 x .ftül |»8 § “ |.s s 4= 8C ! s| (N <U : c3 "O 'ü 8 “i .._ 11 f^i’O S N •- X3 15 E 6 « so cn O 8 g "3 C« C c «2 w> ö § ^ 3 ä 3 « X s ? Oo. § ^ 8 C2 ^ D ■ P 43 s 5 <U <£ 'S* ■ 5 S CQ ' C 33 cj Ti 3 3 ► S -P P3 Z ^ .2 <ä 3 ^ (S 8 I fii u i> & § in 430 .S.S S? « J.Ö " 8 u &O | S I 3 1 I -.a * iislH lllllll *C cbbiLiS'w'S*-* H I H § fc g’-sl«! S*-2^-ö wC c c B 4> : 2 CQ ’5 : g ^ - II ^.i 1 ! ! 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Mai 1992 gemäß Artikel 20 Absatz 4 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu vorgenannter Vorlage zu erarbeiten. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur nahm ihre Stellungnahme am 18. Juni 1992 an. Berichterstatterin war Frau Engelen-Kefer. Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 298. Plenartagung (Sitzung vom 2. Juli 19921 mit 88 gegen 65 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme. 1. Allgemeine Bemerkungen ...„Ein Drittel Jahrhundert Europa, und noch immer keine Sozialpolitik, die diesen Namen verdient“ ... (Franfois Staedelin, Soziales Europa 1/ 90) (') 1.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß (im folgenden „der Ausschuß“ genannt) setzt sich seit langem für eine Gemeinschaft sozialer Grundrechte ein, bei der es darum geht, unter Achtung der Rolle der Sozialpartner, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessengruppen und der Mitgliedstaaten „in die Rechtsordnung der Gemeinschaft mit ihren überstaatlichen Eigentümlichkeiten grundlegende soziale Garantien aufzunehmen“ ( 2 ). Er möchte außerdem darauf hinweisen, daß derartige Rechte im Rahmen der Europäischen Union mit entsprechenden Pflichten einhergehen müßten. 1.2. Dem Ausschuß liegt nun der „Erste Bericht“ der Kommission über die Anwendung der Sozialcharta und des dazugehörigen sozialen Aktionsprogramms vor, worin die Kommission einen umfassenden Überblick gibt über das, was in der Gemeinschaft insgesamt versucht, was erreicht und was nicht im Rat weiterverfolgt wurde. (92/ C 287/ 12) (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C287 vom 4. 11. 92, S. 39-48). Die Veränderungen gegenüber der Stellungnahme der Fachgruppe (Dokument CES 206/ 92 fin vom 22.6.1992) als Vorlage zur Plenartagung sind durch Unterstreichung markiert, folgende Fußnoten einschließlich der Numerierung sowie andere Schreibweisen wie im Original. (1 ) Vorsitzender der Gruppe der Arbeitnehmer (1990) und Berichterstatter für die Stellungnahme des WSA zum Thema “Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften”. (2 ) siehe Stellungnahme zum Thema: “Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften”, ABI. Nr. C 126 vom 23. 5.1989, Kapitel III, Ziffer 1. 435 1.3. In erster Linie gebührt der Kommission Anerkenung dafür, daß sie ihren Auftrag in der festgesetzten Zeit erfüllt hat, da sie annähernd alle geplanten Vorschläge ausgearbeitet und offiziell unterbreitet hat. Dies hat eine große Diskussion über die Zielstrebigkeit, die Achtung der einzelstaatlichen und der gemeinschaftlichen Befugnisse und die Ausgewogenheit des gesamten Programms ausgelöst. Es wird mittlerweile klar erkannt und akzeptiert, daß der Europäische Binnenmarkt keinen Selbstzweck darstellt, sondern vielmehr ein Mittel zur besseren Sicherung sowohl des wirtschaftlichen Fortschritts als auch des sozialen Wohlstands überall in der Gemeinschaft ist, und daß ein dauerhaftes Modell einer sozialen Marktwirtschaft für die ganze Gemeinschaft gleichermaßen auf freiem Unternehmertum und wirtschaftlichem Wachstum sowie auf sozialen Grundrechten, sozialem Konsens und Zusammenhalt beruhen muß. So hat der Europäische Rat auf seinen Tagungen in Hannover, auf Rhodos und in Madrid betont, daß im Rahmen der Vollendung des Binnenmarktes den sozialen und wirtschaftlichen Aspekten die gleiche Bedeutung zukommen sollte und daß man beide Aspekte ausgewogen weiterentwickeln müsse. 1.4. Mit eben diesem Verständnis von Ausgewogenheit und Parität des wirtschaftlichen und des sozialen Fortschritts haben der Ausschuß und das Europäische Parlament bei der Förderung der Umsetzung der Sozialcharta und des sozialen Aktionsprogramms positiv mit der Kommission zusammengearbeitet ( 3 ). Allerdings ist der Ausschuß äußerst besorgt über das schleppende Tempo, mit dem der Rat aus der Sozialcharta und dem sozialen Aktionsprogramm stammende Vorschläge annimmt. Die Diskrepanz zwischen den Zielen der Gemeinschaftscharta und der praktischen Umsetzung ist nicht zu übersehen. Mehr als zwei Jahre nach Verabschiedung der Gemeinschaftscharta wurden im Rat von dem im sozialen Aktionsprogramm angekündigten Bündel von Rechtsinstrumenten lediglich sieben Richtlinien verabschiedet. Dies steht in deutlichem Kontrast zu den 218 Beschlüssen, die der Rat zu den 282 für die Umsetzung des „Weißbuchs“ über den Binnenmarkt vorgeschlagenen Maßnahmen bereits gefaßt hat. Bei den sieben Richtlinien handelt es sich um die jüngst verabschiedeten Richtlinien über Massenentlassungen, über zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen und über die Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung am Arbeitsplatz, ferner um die Änderungsrichtlinie zur Richtlinie „Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz“, die Richtlinien über Gesundheitsschutz und Sicherheit auf Schiffen und für Arbeitnehmer in atypischen Arbeitsverhältnissen sowie die Richtlinie zum „Nachweis der Arbeitsverhältnisse“, die größtenteils auf der Grundlage von Artikel 118a erstellt wurden und über die folglich im Rat mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt werden konnte. Obgleich die Zeit drängt, wird im Rat über weitere zentrale Vorschläge nur sehr langsam beraten, und <3 > Ein Verzeichnis der wichtigsten Stellungnahmen des WSA zur Durchführung der Sozialcharta befindet sich im Anhang zu dieser Stellungnahme. 436 dies obwohl der Europäische Rat auf seiner Luxemburger Tagung im Juni 1991 insbesondere darum ersucht hatte, „daß die Beratungen im Rahmen des Rates (soziale Angelegenheiten) über das Aktionsprogramm der Kommission zur Durchführung der Charta intensiviert werden“. 1.5. Nach dem Willen der elf Staats- und Regierungschefs soll die Sozialcharta ein politisches Signal an die Arbeitnehmer und Bürger in Europa sein, das den Weg ebnet zu konkreten, garantierten sozialen Grundnormen in der Gemeinschaft. Die praktische Umsetzung dieses Zieles ist jedoch sehr mager. So hat die Sozialcharta nicht verhindern können, daß auch der zweite Anlauf der Kommission innerhalb von 9 Jahren zur Schaffung eines gemeinschaftsweit gültigen Rahmens für bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts in bezug auf die Arbeitsbedingungen unter dem Aspekt des Wettbewerbs bisher keine Zustimmung im Rat gefunden hat. 1.5.1. Der Ausschuß bekräftigt erneut seine Auffassung, daß in technischer Hinsicht „die im EWG-Vertrag vorgesehenen Instrumente und Verfahren eingesetzt werden (müssen), um die Wahrung der sozialen Grundrechte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sicherzustellen und die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes unverzichtbaren Sozialmaßnahmen zu treffen“ (‘). Die im Aktionsprogramm der Kommission angekündigten 47 Initiativen zielen jedoch nicht einmal zur Hälfte auf die Schaffung verbindlicher Mindestnormen in der EG. Der Ausschuß bedauert, daß die Kommission zu einzelnen Vorschlägen der Sozialcharta keine Initiativen ergreifen will, wie beispielsweise zu dem Recht, „die Dienste der Arbeitsämter unentgeltlich in Anspruch nehmen [zu] können“, ein Bereich, in dem infolge des Binnenmarktes in einzelnen Staaten negative Konsequenzen drohen können ( 2 ). 1.5.2. Der Ausschuß bekräftigt ferner seine Auffassung, „daß Inhalt und Umfang dieser sozialen Grundsätze und Grundrechte unter Beachtung der bereits in anderen internationalen sozialrechtlichen Übereinkommen anerkannten Rechtsnormen ausgelegt werden“ sollten. Er bedauert, daß diesem Prinzip bisher offensichtlich keine allzu große Bedeutung beigemessen wurde. Die vom Ausschuß in seiner Stellungnahme vom 22. Februar 1989 aufgeführten internationalen Übereinkommen wurden von den Mitgliedstaaten der EG teils noch nicht ratifiziert, teils wird von einzelnen Mitgliedstaaten die Kündigung von ratifizierten Übereinkommen geprüft ( 3 ). Der Ausschuß regt an, daß die Kommission das Europäische Parlament und den Ausschuß in regelmäßigen Abständen über die Ratifizierung und Umsetzung von IAO-Normen sowie (1 ) Stellungnahme des WSA zum Thema “Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften”, Brüssel, 22.2.1989, S. 11. (2 ) Sozialcharta, Ziffer 6. (3 ) Stellungnahme des WSA zum Thema: Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften, S. 5. 437 über Rechtsprobleme zwischen EG und IAO informiert. Mit steigendem Integrationsfortschritt in der EG können die institutionellen Sonderheiten von Gemeinschaft und Internationaler Arbeitsorganisation zu Abgrenzungsproblemen führen. Da die EG erst nach einem langen Integrationsprozeß selbst Mitglied der IAO werden könnte, muß aus Sicht des Ausschusses für die Zwischenzeit sichergestellt werden, daß die Bedeutung der nationalen Sozialpartner im Entscheidungsprozeß der IAO nicht beeinträchtigt wird. Soweit die Kommission heute bereits Stellungnahmen gegenüber der IAO abgibt, sollten die Sozialparteien auf EG-Ebene konsultiert werden. Der Ausschuß könnte vielleicht für einen späteren Zeitpunkt die Ausarbeitung einer gesonderten Initiativstellungnahme zu dem Verhältnis zwischen IAO- Ubereinkommen und sozialpolitischen Instrumenten der EG ins Auge fassen. 1.6. Die Tatsache, daß der Rat viele der wichtigen Vorschläge zur Sozialpolitik nicht zu verabschieden vermochte, liegt nicht darin begründet, daß eine Mehrheit den Fortschritt ablehnt. Ganz im Gegenteil, die meisten, eigentlich sogar fast alle Regierungen der Mitgliedstaaten sind damit einverstanden, daß der Prozeß der Verwirklichung des Binnenmarktes Ende „1992“ mit einer gemeinschaftsumfassenden Plattform sozialer Grundrechte einhergehen muß, wie sie im Aktionsprogramm dargelegt sind. Das Scheitern im Rat liegt an dem „Vetorecht“, das jeder einzelne Mitgliedstaat in bezug auf die meisten grundlegenden Vorschläge weiterhin ausüben bzw. androhen kann. Zwar wurden die Artikel 118a und 100a (die mit qualifizierter Mehrheit gefaßte Beschlüsse zulassen) von der Kommission (mit Zustimmung des Ausschusses und des Parlaments) für mehr Richtlinienentwürfe als Rechtsgrundlage herangezogen, als vielleicht ursprünglich vorgesehen, doch gibt es weiterhin Vorbehalte dagegen, diese Artikel regelmäßig anzuwenden, und dem Rat fehlt der Wille, sie mit Überzeugung einzusetzen, wenn jeder Mitgliedstaat dieses Verfahren in Frage stellen kann. 1.6.1. Kurzum, das Einstimmigkeitsprinzip funktioniert weiterhin gut, so daß der Langsamste im europäischen Geleitzug das Tempo im sozialen Bereich bestimmen kann, während die Wirtschafts- und Währungsunion mit Volldampf voraneilt. 1.6.2. Bis zum Zieldatum für den erwarteten gemeinsamen EG-Binnenmarkt Ende 1992 sind es nur noch wenige Monate. Der Ausschuß hegt die dringende Erwartung, daß der Ministerrat die Verabschiedung der Vorschläge aus dem sozialen Aktionsprogramm erheblich beschleunigt. Die eingetretene Verzögerung darf sich nicht noch verlängern, zumal die effektive Anwendung verabschiedeter Richtlinien auf nationales Recht sowie ihre Um- und Durchsetzung gleichfalls Zeit benötigen. Der Ausschuß bedauert es, daß der in seiner Stellungnahme vom 22. Februar 1989 geforderte Zeitplan nicht eingehalten wurde. Er hatte sich dafür eingesetzt, daß „das Instrument zur Sicherung des Schutzes der sozialen Grundrechte vor Ende 1989 verabschiedet werden (muß) und die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes unerläßlichen sozialen Maßnahmen nach einem festen Zeitplan getroffen 438 werden (müssen), der den für die Vollendung des Binnenmarkt vorgesehenen Fristen Rechnung trägt“ ( 4 ). Der Ausschuß hält es für außerordentlich bedauerlich, daß entgegen den in der Gemeinschaftscharta enthaltenen Aufforderungen und der Stellungnahme des Ausschusses zu den sozialen Grundrechten die EG-weiten Rechte auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen noch nicht gewährleistet sind, obwohl sie mit entsprechenden IAO-Verpflichtungen übereinstimmen und in den Verfassungen und/ oder Rechtsvorschriften fast aller Mitgliedstaaten als grundlegende Rechte anerkannt sind. Auch bei der Vertragsänderung hat dieses Grundrecht auf europäischer Ebene noch keine Berücksichtigung gefunden. 1.7. Aufgrund des schleppenden Tempos bei der Beschlußfassung zur Sozialpolitik im Rat sah sich die Kommission veranlaßt, eine Überarbeitung des sozialen Kapitels des Vertrages vorzuschlagen, damit in wichtigen von der Sozialcharta erfaßten Bereichen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden können ( 5 ). Der Ausschuß appellierte ebenfalls an die Regierungskonferenz, den Vertrag dahingehend zu ändern, daß die Sozialpolitik der Gemeinschaft und die Anwendung der Artikel 118a und 100a in einem weiteren Sinne erfolgen und „sich auf solidere und klarere Grundlagen als bisher stützen können.“ (') 1.8. Die tatsächlichen Ergebnisse der Regierungskonferenz in diesem Zusammenhang können als mit der Durchführung der Sozialcharta eng verknüpft gesehen werden und sind daher für diese Stellungnahme von entscheidender Bedeutung. 1.8.1. Das auf dem Gipfeltreffen von Maastricht beschlossene Abkommen über die Sozialpolitik, das auf die „Umsetzung der Sozialcharta von 1989“ abzielt und somit für den Gegenstand der Stellungnahme von Belang ist, stellt insofern einen Schritt in die richtige Richtung dar, als die Regierungschefs der zwölf Mitgliedstaaten die elf Unterzeichnerstaaten (im Amtsblatt getilgt: der Sozialchartal ermächtigen, auf dem mit der Sozialcharta von 1989 eingeschlagenen Weg fortzuschreiten und viele der in der Charta verankerten Schlüsselpolitiken auf der Grundlage von Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit durchzuführen, vor allem für Richtlinien auf folgenden Gebieten: - Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer; - Arbeitsbedingungen; - Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer; < 4 ) ebd.,S. 11. (5 ) Erste Beiträge der Kommission zur Regierungskonferenz über die Politische Union, Dok. SEK(91) 500 endg. vom 30.3.1991. (1 ) Stellungnahme des WSA zum Thema “Die soziale Lage in der Gemeinschaft im Jahre 1989”, ABI. Nr. C 225 vom 10.9.1990, Ziffer 5.3. 439 - Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz; berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen. ( 2 ) 1.8.2. Zwar mögen diese neuen Bestimmungen für elf Mitgliedstaaten einen bedeutenden Durchbruch darstellen, doch ist es nach Auffassung des Ausschusses in einer zwölf Mitgliedstaaten umfassenden „Union“ schwerlich zu vertreten, daß die „Europabürger“ eines einzelnen Mitgliedstaats benachteiligt werden sollen. Die Sozialcharta und das Abkommen zum Protokoll über die Sozialpolitik sollten auf alle betroffenen Bürger überall in der „Union“ Anwendung finden, (im Amtsblatt eetilet: Fußnotenverweis „Siehe den Informationsbericht zum Thema „Europa der Bürger“, Dok. CES 955191 fin, Ziffer 2.3.5") 1.9. Inzwischen hat die Kommission zu verstehen gegeben, daß sie sobald das Abkommen zum Protokoll zur Sozialpolitik ratifiziert und anwendbar ist — von ihren darin gewährten Vorrechten Gebrauch machen wird, um Vorschläge einem aus 11 Mitgliedern bestehenden Rat zu unterbreiten, sofern dies zur Durchsetzung bzw. zur Ingangsetzung des sozialen Aktionsprogramms erforderlich ist. Es kannvor allem im Kontext eines Binnenmarktes unter keinen Umständen zugelassen werden, daß der rechtliche Status sozialpolitischer Beschlüsse, die nach dem neuen Verfahren der qualifizierten Mehrheit zu treffen sind, durch Komplikationen in bezug auf die Frage untergraben wird, ob ein einzelner Mitgliedstaat implizit berechtigt sein kann, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob er aus europaweiten Verpflichtungen ausschert (sei es z.B. bei der Frage des arbeitsfreien Sonntags, bei der Einsetzung europäischer Betriebsräte oder bei europaweit gültigen Rechten für Beschäftigte in atypischen Arbeitsverhältnissen). Daher hat der Ausschuß wiederholt betont, daß ein grundlegender rechtlicher Rahmen auf EG-Ebene, der den nationalen Vorrechten und der Rolle der Sozialpartner uneingeschränkt gerecht wird, ein zuverlässiges und flexibles Mittel zur Gewährleistung einer Plattform für EG-weite soziale Grundrechte sein kann, die einen Bestandteil des Binnenmarktprozesses darstellt. Er möchte alle Beteiligten eindringlich dazu auffordem, den Vertrag von Maastricht zu ratifizieren und erneut alle Anstrengungen zu unternehmen, um das Abkommen zum Sozialprotokoll und die Sozialcharta im gesamten Gebiet der „Europäischen Union“ aller zwölf Mitgliedstaaten anzuwenden. 1.10. Ein von 12 Mitgliedern unterzeichnetes Abkommen zur Sozialcharta und das soziale Kapitel im EWG-Vertrag, das zu ihrer ordnungsgemäßen (2) Vertrag über eine Europäische Union, Dok. CONF-UP-UEM 2002/ 92: ‘ Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritanniens und Nordirlands über die Sozialpolitik”, Artikel 2 Absatz 1, S. 70. 440 Anwendung erforderlich ist, sind um so dringlicher, als der Vertiefungs- und Erweiterungsprozeß der Gemeinschaft insgesamt sich immer mehr beschleunigt. 1.10.1. Der Binnenmarkt und die Wirtschafts- und Währungsunion nehmen jetzt Form an. Auch sind schon Schritte in Richtung auf eine Politische Union unternommen worden. Fusionen von Unternehmen über nationale Grenzen hinweg, neue Unternehmen europäischen Maßstabs, grenzüberschreitende Konvergenz (in der Stellungnahme der Fachgruppe: Kovergenz) des Wirtschaftsmanagements nehmen immer mehr zu. Angesichts solcher Entwicklungen wird es für einen einzelnen Mitgliedstaat offenkundig zunehmend schwieriger, einseitig Selbstbestimmung zu beanspruchen. Außerdem wird es auch immer schwerer, daß ein einzelner Mitgliedstaat glaubwürdig aus den gemeinsamen sozialpolitischen Entscheidungen ausschert z.B. in bezug auf die grenzüberschreitende Überlassung und den grenzüberschreitenden Einsatz von Arbeitskräften, grenzüberschreitende Formen der Arbeitnehmerbeteiligung, multinationale Massenentlassungsverfahren und die Auswirkung etwaiger europaweiter kollektiver Vereinbarungen. Der sozialpolitische Rahmen der Zeit vor Maastricht erwies sich in zunehmendem Maße als ungeeignet, um all diesen Aufgaben gerecht zu werden. Das aus dem Gipfel von Maastricht hervorgegangene soziale Kapitel wäre dazu möglicherweise eher geeignet, aber nur dann, wenn sich die Regierung eines Mitgliedstaats den damit verbundenen gemeinsamen Verpflichtungen nicht entziehen kann. Der Ausschuß hofft, daß dies keine Regierung eines einzelnen Mitgliedstaats im Januar 1993 noch wünscht. 1.10.2. Auch die unumgängliche und sich beschleunigende Erweiterung der EG erfordert eine Einigung aller zwölf Mitgliedstaaten über das Sozialkapitel des Vertrages. Denn die Erwartung der Gemeinschaft, neue Mitgliedstaaten würden sich den gemeinschaftlichen Besitzstand zu eigen machen, wird immer unwahrscheinlicherum nicht zu sagen unhaltbarerwenn dessen Inhalt in bezug auf die Sozialpolitik in Frage gestellt ist, da nach einem 11- Mitglieder-Verfahren und nicht nach dem 12-Mitglieder-Verfahren entschieden wird. Mangelnde Eindeutigkeit in diesem Punkt würde jede Menge politisches Unheil und Bitterkeit heraufbeschwören. Diese Gefahr muß vermieden werden, indem das soziale Europa auf die gleiche eindeutige Grundlage gestellt wird wie die Wirtschafts- und Währungsunion. 1.10.3. Selbstverständlich ist Maastricht, obwohl es von entscheidender Bedeutung ist, nicht der einzige Weg zu sozialem Fortschritt, Grundrechten und besseren Beziehungen zwischen den Sozialpartnern in der gesamten EG. Auch innerhalb der Mitgliedstaaten werden viele Fortschritte erzielt, die deutlicher herausgestellt und unterstützt werden sollten, z.B. durch erprobte Methoden im EG-Bereich. 441 1.11. Ein abschließender und entscheidender Aspekt der Anwendung der Sozialcharta, der im Bericht der Kommission nur kurz erwähnt wird, ist der der Kontrolle und der Folgemaßnahmen. 1.11.1. Wenn man den zweiten Teil des Berichts liest, wird nämlich klar, daß einige der begeistertsten Anhänger sozialpolitischer Richtlinien manchmal bei deren Umsetzung in die Praxis am zögerlichsten sind, während ironischerweise der Mitgliedstaat, dem die geringste Begeisterung nachgesagt wird, bei der tatsächlichen Durchführung vielleicht mit die besten Ergebnisse erzielt FDok. KOM(921 136 endg.l. Der Ausschuß empfiehlt der Kommission dringend, sowohl eine zusätzliche Unterstützung als auch die Möglichkeit von Sanktionen (nach Maßgabe von Artikel 170 EWGV) zu erwägen, um die ordnungsgemäße Durchführung gemeinsam getroffener bindender Beschlüsse in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Ferner sollte mehr über das Recht der Arbeitnehmer und der Bürger nachgedacht werden, sich sowohl auf einzelstaatlicher als auch auf europäischer Ebene an die Gerichte zu wenden, wenn Richtlinien nicht eingehalten werden. Die Möglichkeit einer auf europäisches Arbeitsrecht spezialisierten, aus entsprechend qualifizierten Richtern zusammengesetzten und durch die Einbeziehung der Sozialpartner unterstützten Kammer des Europäischen Gerichtshofs könnte ebenfalls im Zusammenhang mit der Durchführung der Sozialcharta in Erwägung gezogen werden. 1.11.2. Es sei auch noch einmal darauf hingewiesen, daß der Ausschuß sich für eine erhebliche Erweiterung der sozialen Grundrechte in der EG eingesetzt hat, in die weitergehende soziale Rechte einbezogen werden sollten. (') (l ) “[...] A. Allgemeine Normen — Recht auf sozialen Schutz für alle Bevölkerungsgruppen [...] — Recht aller Bevölkerungsgruppen auf sozialen Beistand, Sicherheit und Gesundheitsschutz [...]; — Recht auf Bildung [...]; — Recht auf Schutz des Privatlebens und der Unverletzlichkeit der Person, insbesondere beim Einsatz der Informatik und der Datenbanken [...]; — Schutz des persönlichen Eigentums und Definition seiner Sozialbindung [...]; — Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung sowie auf Beseitigung jeglicher Form der Diskriminierung [...]; — Recht der Kinder, der Mütter und der Familie auf gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz [...]; — Recht auf Altersversorgung [...]; — Recht der Arbeitnehmer, Erzeuger/ Hersteller und Verbraucher auf freien Zusammenschluß zur Gründung genossenschaftlicher oder auf Gegenseitigkeit beruhender Unternehmen, die sich auf die Prinzipien der Solidarität stützen [...]; — Recht der Verbraucher auf den Schutz ihrer Gesundheit, auf eine objektive wirtschaftliche und qualitative Information sowie auf freie Wahl der Waren und Dienstleistungen [...]; 442 1.11.3. Die Kommission sollte einigen der in der Einleitung zur Sozialcharta aufgeführten allgemeinen Verpflichtungen weiter nachgehen und einen Vorschlag für die Aufnahme einer Bestimmung über das Verbot der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, der Hautfarbe, der Rasse, der Meinung oder des Glaubens in den Vertrag unterbreiten. 1.12. Da außenwirtschaftliche Ungleichgewichte der Mitgliedstaaten in einer Wirtschafts- und Währungsunion nicht mehr durch Wechselkursmechanismen aufgefangen werden können, werden andere Anpassungsmechanismen an Gewicht gewinnen. Überraschenderweise sind die positiven wie negativen Rückwirkungen einer Europäischen Währungsunion auf Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Sozialpolitik in der EG bisher nicht thematisiert und analysiert worden. Gleichfalls stellt sich die Frage, welche integrationspolitischen Rückwirkungen ein währungspolitisches Modell der zwei Geschwindigkeiten hat. Der Ausschuß könnte daher die Ausarbeitung einer Initiativstellungnahme zu den sozial- und arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen der Europäischen Währungsunion sowie die Forderung nach einer eingehenden Untersuchung dieses Fragenkomplexes durch die Kommission ins Auge fassen, wobei die Sozialpartner und wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen der einzelnen Mitgliedstaaten nach Sektoren gehört werden sollten, um einen vollständigen, diversifizierten Gesamtüberblick über die Standpunkte und Forderungen der einzelnen Produktionssektoren zu erhalten. 1.13. Zugleich sollte in Anbetracht der Artikel 3 und 4 des Maastrichter Abkommens zum „Protokoll über die Sozialpolitik“ dem „sozialen Dialog“ auf Gemeinschaftsebene erneute Aufmerksamkeit geschenkt werden, um die Umsetzung der Sozialcharta, die Ausweitung ihres Anwendungsbereichs und darüber hinausgehende Maßnahmen voranzutreiben. Angesichts der den Sozialpartnern nach dem Abkommen zum „Protokoll über die Sozialpolitik“ (vorbehaltlich dessen Ratifizierung) eingeräumten Rechte auf Mitwirkung und Mitgestaltung bei Gemeinschaftsbeschlüssen ist es wichtig, eine umfassendere Beteiligung der wirtschaftlichen und sozialen Gruppenbeispielsweise der Selbständigen, der Genossenschaften usw. zu fördern. Fortschritte in diesem Bereich sollten die geeigneten institutionellen Gemeinschaftsverfahren zur Unterstützung und Umsetzung der Sozialcharta ergänzen. Ferner sollte im sozialen Bereich, wie im Protokoll vorgesehen, die Rolle der Sozialpartner im Hinblick auf die Gemeinschaftsmaßnahmen aufgewertet werden, und zwar durch die Schaffung eines sozialen Dialogs für die jeweiligen Sektoren, in dessen Rahmen die Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter ihre spezifischen Anliegen zur Geltung bringen können. — Recht auf den Schutz der Arbeitsumwelt [...]; — Recht auf Schutz des kulturellen Erbes [...].” Stellungnahme des WSA zum Thema: “Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften”, ABI. Nr. C 126 vom 23. 5.1989, Ziffer III A. 443 1.14. Der Ausschuß möchte außerdem an die im Anhang zum Vertrag von Maastricht erwähnte Zusammenarbeit zwischen den Verbänden der Wohlfahrtspflege und Stiftungen als Trägem sozialer Einrichtungen und Dienste erinnern. 2. Besondere Bemerkungen [...] Geschehen zu Brüssel am 2. Juli 1992. Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses Michael GEUENICH (eetilst: NB: Anhang auf den nächsten Seiten) ANHANG I zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses Die wichtigsten Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialauschusses, in denen die sozialen Grundrechte der Gemeinschaft befürwortet werden, und Richtlinienvorschläge zur Durchführung der Sozialcharta [...] ANHANG II zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialauschusses Nachstehende anwesende bzw. vertretene Mitglieder stimmten für die Stellungnahme: [...] Nachstehende anwesende bzw. vertretene Mitglieder stimmten gegen die Stellungnahme: [...] Nachstehendes Mitglied enthielt sich der Stimme: [...] ANHANG Ul zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialauschusses Folgende Änderungsanträge, die mindestens ein Viertel Ja-Stimmen erhielten. wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt: Ziffer 1.3- 1.10.3. Die Ziffern 1.3 - 10.3. einschließlich werden gestrichen und wie folgt ersetzt: 444 „1.3. Der Ausschuß begrüßt einige vom Rat im Rahmen des sozialen Aktionsprogramms verabschiedeten Maßnahmen und stellt fest, daß weitere Maßnahmen vom Rat vorangebracht werden. 1.4. Der Ausschuß bedauert allerdings das schleppende Tempo bei einigen Maßnahmen. Verschuldet hat dies zum Teil die Kommission mit ihren Vorschlägen. die nicht von allen betroffenen Parteien (wie den Arbeitgebem~l unterstützt, deren Kosten nicht gebührend berechnet wurden und die vor allem (wie beim Vorschlag zur TeilzeitarbeiO nicht eindeutig auf die Schaffung von Arbeitsplätzen hinzielen. 1.5. Der Ausschuß bedauert ferner, daß auf dem Maastrichter EG-Gipfel keine Einigung aller zwölf Mitgliedstaaten über die Sozialpolitik erzielt werden konnte. Er ist der Ansicht, daß Mitgliedstaaten und Kommission den Schwerpunkt auf eine Sozialpolitik legen müssen, die unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips mit Wirtschaftswachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze im Einklang steht und nicht hyperzentralisieit und bürokratisch erscheint. Solange nicht alle Mitgliedstaaten und Interessengruppen überzeugt sind, daß die Gemeinschaft eben diesen Schwerpunkt setzt, wird es keinen angemessenen Fortschritt in der Sozialpolitik geben und das .Abkommen* nicht von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet werden.“ Begründunp Der ursprüngliche Text liegt nicht im Sinne des Fortschritts auf sozialem Gebiet. Ergebnis der Abstimmung Ja-Stimmen: 51. Nein-Stimmen: 82. Stimmenthaltungen: 4, Ziffer 1.11.1 Der letzte Satz dieser Ziffer („Die Möglichkeit ... gezogen werden.“) sollte gestrichen werden. Begründung Aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann im Prinzip jedes Rechtssubiekt. also auch eine natürliche Person, gegenüber einem Mitgliedstaat, der einer aufgrund einer europäischen Richtlinie bestehenden Verpflichtung nicht nachkommt, sein Recht erwirken. Die in dieser Textstelle vorgeschlagene Einrichtung einer gesonderten Kammer des Europäischen Gerichtshofs ist daher überflüssig und auch nicht erstrebenswert. weil sie den Abstand zwischen den Bürgern und den gerichtlichen Instanzen vergrößert: ferner ist die Einschaltung von Laienrichtern als Vertretung der Sozialpartner im arbeitsrechtlichen Bereich unter dem Blickwinkel der Unabhängigkeit der Rechtsprechung abzulehnen. Ergebnis der Abstimmung 445 Ja-Stimmen: 55. Nein-Stimmen: 76. Stimmenthaltungen: 7. (setilet: .Änderunesvorschiäse, die mindestens ein Viertel Ja-Stimmen erhielten“. aber „vom Ausschuß im Verlaufder Beratunsen abeelehnt“. d. h. in der Fachsruppe) ANHANG IV zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialauschusses MINDERHEITSERKLÄRUNG nach der namentlichen Abstimmung über die gesamte Stellungnahme der Gruppe der Arbeitgeber, die gegen die Stellungnahme stimmte: 1. Die Gruppe der Arbeitgeber vertritt eine von der mehrheitlich verabschiedeten Stellungnahme zum Thema „Erster Bericht der Kommission über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ abweichende Auffassung. 2. Nach ihrer Ansicht weist die Stellungnahme in den allgemeinen Bemerkungen in viererlei Hinsicht Mängel auf: - Der fehlende Fortschritt auf Gemeinschaftsebene ist darin übertrieben dargestellt, und Teil II des Berichts der Kommission wird praktisch ignoriert. - In der Stellungnahme wird versucht, das augenscheinlich schleppende Vorwärtskommen darauf zurückzuführen, daß es der Rat nicht geschafft habe. Einigkeit zu erzielen, während die Substanz der Kommissionsvorschläge nicht angesprochen wird, die keine Zustimmung gefunden haben. - In der Stellungnahme wird ignoriert, daß sich über das im Maastrichter Vertrag und in den Schlußfolgerungen des Gipfeltreffens von Lissabon verankerte Subsidiaritätsprinzip eine verstärkte Diskussion entfacht hat, - In den häufigen Verweisen auf frühere Stellungnahmen des Ausschusses kommt nicht zum Ausdruck, daß zu den umstritteneren Themen häufig keine Einigkeit erzielt wurde. 3. Die Stellungnahme gibt den Fortschritt, der auf Gemeinschaftsebene bereits erzielt wurdevor allem in den Bereichen Freizügigkeit sowie Gesundheit und Sicherheit, wie aus dem Kommissionsbericht und späteren Entwicklungen deutlich wird nicht wieder. Aus Teil II des Berichts geht ferner hervor, daß innerhalb einzelner Mitgliedstaaten bereits bedeutende Maßnahmen zur Durchführung der in der Sozialcharta enthaltenen Grundsätze getroffen wurden. 4.1n den umstrittensten der Kommissionsvorschläge, über die im Ministerrat keine Einigung erzielt wurde, wurde versucht, gemeinschaftsweit bestimmte Anforderungen durchzusetzen, für die es erforderlich wäre, bestehende ein- 446 zelstaatliche Rechtsvorschriften und Tarifvereinbarungen, die den der Sozialcharta zugrundeliegenden Prinzipien eigentlich schon gerecht werden, einer detaillierten Prüfung zu unterziehen. In der Stellungnahme des Ausschusses sollte der Kommission vorgeschlagen werden, diese Erwägungen anzustellen. bevor sie künftige Vorschläge entwickelt, und den Auffassungen aller betroffenen Parteien, die im Zuge des beratenden Verfahrens geäußert werdenvolle Geltung zu verschaffen. 5. Die Gruppe der Arbeitgeber stellt fest, daß die Regierungschefs in Lissabon erklärt haben, daß bestimmte Gemeinschaftsvorschriften einer erneuten Überprüfung unterzogen werden sollten, um sie an das Subsidiaritätsprinzip anpassen zu können: nach Auffassung der Gruppe sollten bei dieser Maßnahme auch die im sozialen Aktionsprogramm enthaltenen Vorschläge einbezogen werden, die derzeit erörtert werden. Die Damen und Herren: ANDRADE. ARENA. BAGLTANO. RF.AT.F. BELL, BELTRAMI, BENTO GONCALVES. BERNABEI. BREDTMA- SAVOPOULOU, CAVALEIRO BRANDÄO. CEYRAC. CONNF.T.T AN van DAM, DELOROZOY, DONCK. DOUVIS. FRERICHS. GAFFRON. GAFO FERNANDEZ, GARDNER. GHIGONTS. GIACOMELLJ niF- SECKE, GREEN, KAARIS. KAFEA. KAZAZTS. LITTLE. LOW. Mc- GARRY, MERGE JUSTE, MEYER-HORN. MOBBS. NOORDWAL. PANERO FLOREZ, PARDON. PEARSON. PF.T.T F.TIER R.. PERRTN- PELLETIER, PETERSEN, PETROPOULOS. PROUMENS. ROBINSON RODRIGUEZ DE AZERO DEL HOYO, RODRIGUEZ GARCTA-CARO. ROMOLI, SAUWENS, SCHADE-POULSEN. SCHNIEDERS, SOLARE STECHER NAVARRA, TESORO OLIVER. TUKKER, WHITWORTH. WICK. Literatur Abeies, Marc (1992), La vie quotidienne au Parlement europeen. Paris: Hachette. Ammon, Ulrich (1989), Schwierigkeiten der deutschen Sprache aufgrund der Dominanz des Englischen. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 8, 257-272. Ammon, Ulrich (1991), Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin/ New York: de Gruyter. Ammon, Ulrich (1993), Empirische Untersuchungen zur Stellung der deutschen Sprache in Europa in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. In: Born, J./ Stickel, G. (Hrsg.), 38-53. Andersen, Svein S./ Eliassen, Kjell A. (1991), European Community Lobbying. In: European Journal of Political Research 20, 2,173-187. 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Zusätzlich von Bedeutung sind Schriftlichkeit/ Mündlichkeit, Intertextualität, institutioneile sowie interkulturelle Kommunikation. Die Studie beschäftigt sich mit der Semantik und Pragmatik von Schlüsselwörtern europäischer Integration und zeigt Perspektiven einer zukünftigen EU-Sprachenpolitik auf. Sie nimmt damit differenziert Stellung zur Rolle des Deutschen als Amts- und Arbeitssprache der Europäischen Union. ISBN 3-8233-513M