Der Vater-Sohn-Konflikt in Kafkas Werken "Das Urteil" und "Brief an den Vater"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

15 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Vater-Sohn-Konflikt in den Werken
2.1 Das Urteil
2.2 Brief an den Vater

3. Tiefere Analyse der Vater-Sohn-Beziehung
3.1 Georg Bendemann
3.2 Franz

4. Vergleich der Vater-Sohn-Konflikte und Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, wie der Vater-Sohn-Konflikt von Franz Kafka in dessen Werken Das Urteil sowie Brief an den Vater dargestellt wird. Die Analyse der Werke soll rein werkimmanent erfolgen, ohne biografische Bezüge zu Kafkas realer Beziehung zu seinem Vater einzubeziehen, denn „[allzu] leicht ist man geneigt, auf den Wegen der Ausdeutungen zu vergessen, dass es sich im Fall Kafkas in erster Linie um einen Dichter handelt, um einen Prosakünstler- einem Kleist oder Hebel verwandt und vergleichbar-, der nur mit höchsten Massstäben zu messen oder der, genauer, selber ein Massstab ist.“1

Die Vaterfigur stellt in beiden Werken ein zentrales Leitbild dar, an welchem sich der Konflikt ablesen lässt. Die Thematik des Konflikts zwischen Vater und Sohn ist ein häufig bearbeiteter Inhalt in der Weltliteratur, welcher in der Entwicklung jedes jungen Mannes begründet liegt: „Es handelt sich ganz einfach um einen Machtkampf, der ausbricht, wenn die junge Generation zur Selbständigkeit herangereift ist, die alte aber die Herrschaft noch in Händen hält und auch noch die Fähigkeit besitzt, sie auszuüben.“2

Insbesondere in den Epochen des Sturm und Drang sowie Expressionismus wurde dieses Thema häufig zum Inhalt der schriftstellerischen Werke, da das Schreiben eine Möglichkeit darstellte, sich von den übermächtig erscheinenden Vaterfiguren zu befreien, womit sich ein Grossteil der Leserschaft identifizieren konnte. Insbesondere die in dieser Arbeit behandelten Werke sind und waren in der literaturwissenschaftlichen Forschung Gegenstand schier unzähliger Untersuchungen, vor allem Das Urteil gilt als „Bibel des 20. Jahrhunderts“3, es werde „kein anderes Werk in der westlichen Welt mitsolchem Ernst, solcher Hingebung gelesen.“4 Der Generationenkonflikt wird nicht bloss prosaisch erzählt, sondern sticht durch die metaphorisch überhöhte, zeichenhafte Sprache hervor, worauf nachfolgend näher eingegangen wird.

Nachdem im zweiten Kapitel die Darstellung des Vater-Sohn-Konfliktes in den Werken, welche für die Analyse in dieser Arbeit ausgewählt wurden, kurz vorgestellt wird, erfolgt im dritten Kapitel die tiefergehende Analyse der Vater-Sohn-Beziehung in beiden Werken, woraufhin das vierte Kapitel einen Vergleich der beiden Formen der Konfliktbearbeitung zwischen Vater und Sohn präsentiert und in einer abschliessenden Schlussbetrachtung die während der Analyse erlangten Erkenntnisse zusammenfasst.

2. Der Vater-Sohn-Konflikt in den Werken

Nachfolgend sollen die für die Analyse der vorliegenden Arbeit ausgewählten Werke inhaltlich vorgestellt werden, wobei bereits die konfliktbehafteten Inhalte zwischen Vater und Sohn deutlich werden, bevor im Anschluss die textkritische Analyse der Beziehung der jeweiligen Protagonisten erfolgt.

2.1 Das Urteil

Die Novelle Das Urteil entstand im Jahr 1912 innerhalb einer Nacht und wurde im darauffolgenden Jahr im Jahrbuch für Dichtung, Arkadia, das von Kafkas Freund Max Brod herausgegeben wurde, veröffentlicht. Zunächst plante Kafka, seine Erzählungen Das Urteil, Die Verwandlung und Der Verschollene unter dem Titel Die Söhne als Trilogie herauszugeben, weil die Inhalte einander ähnelten, insbesondere dahingehend, dass die Söhne der jeweiligen Erzählungen versuchten, sich gegen ihre Väter zu behaupten. Diese gemeinsame Herausgabe fand jedoch nie statt.

Die Erzählung gehört zur Gattung der Novelle, weil eine „unerhörte Begebenheit“ im Zentrum steht, welche charakteristisch für diese Erzählform ist. Gegliedert werden kann das Werk in die vier Szenen:

- Georg mit Brief am Fenster,
- Georg geht zum Vater,
- Disput mit dem Vater,
- Urteil und Vollstreckung.

Die Erzählperspektive ist personal, da sie zwar die Gedanken des Sohnes, nicht aber jene des Vaters widergibt. Somit bleiben die drohenden, kritisierenden und zynischen Äusserungen des Vaters dem Leser, genauso wie Georg, bis zum Schluss der Novelle unverständlich, da nur die Perspektive von Georgs Wahrnehmung bekannt ist. Der Erzähler ist anonym und die Erzählweise kann als teilnahmslos sowie nüchtern beschrieben werden.

Im Urteil geht es um den Kaufmann Georg Bendemann, welcher nach dem Tod seiner Mutter gemeinsam mit seinem Vater in dessen Wohnung lebt und mit diesem zusammen dessen Geschäft führt. Georg ist verlobt und steht kurz vor der Hochzeit. Zu Beginn der Erzählung sitzt er am Schreibtisch und schreibt einen Brief an einen – seiner Meinung nach glücklosen – Freund, welcher sich zurzeit in Russland aufhält. Es entsteht der Eindruck, als habe besagter Freund finanzielle Probleme und Georg ist unschlüssig, ob er ihm dazu raten soll, zurückzukehren, oder nicht. Ersteres würde bedeuten, sich geschlagen zu geben und als Versager heimzukehren. Da es Georg im Gegensatz zu seinem Freund vor allem finanziell sehr gut geht, verschweigt er seinem Freund einige erfolgreiche Ereignisse seines Lebens. Nach einigem Zureden seiner Verlobten, „Fräulein Frieda Brandenfeld, einem Mädchen aus wohlhabender Familie“5 entscheidet er sich jedoch schliesslich dafür, dem Freund von der geplanten Hochzeit zu schreiben. Als er mit diesem Brief zu seinem Vater geht, entsteht ein Disput, denn sein Vater ist der Auffassung, dass es diesen Freund in Petersburg gar nicht gebe: „Hast du wirklich diesen Freund in Petersburg?“, worauf Georg erwidert: „Lassen wir meine Freunde sein.“6

Georg erfährt jedoch, dass der Vater angeblich schon seit längerer Zeit Kontakt zu jenem Freund und ihn längst über alle Geschehnisse unterrichtet habe, aber davon überzeugt ist, dass Georg ihn mit falschen Briefen getäuscht hat. Er wirft Georg ferner vor, die Geschäftsleitung an sich gerissen und eine unehrenhafte Verlobte zu haben. Hier wird deutlich, dass der Vater immer mächtiger als Georg zu sein scheint und sogar hinter dessen Rücken mit seinem Freund korrespondiert. Der Vater verleiht seinem Ärger Ausdruck:

Jetzt weisst du also, was es noch ausser dir gab, bisher wusstest du nur von dir! Ein unschuldiges Kind warst du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst du ein teuflischer Mensch! – Und darum wisse: Ich verurteile dich jetzt zum Tode des Ertrinkens!7

Am Ende der Erzählung läuft der Sohn aus dem Haus zum Fluss, wo er über das Geländer klettert und leise ruft: „‘Aber liebe Eltern, ich habe euch doch immer geliebt‘, und liess sich hinabfallen.“

2.2 Brief an den Vater

Der Brief an den Vater wurde von Kafka im Jahr 1919, fünf Jahre vor seinem Tod, verfasst, aber nie wirklich an seinen Vater abgeschickt. Veröffentlicht wurde er 1952 postum in der Neuen Rundschau und wurde seitdem insbesondere auf psychoanalytischer Ebene immer wieder analysiert. Der lange Brief umfasst 103 handschriftliche Seiten (in Maschinenfassung 45 Seiten), auf welchen der Versuchs Kafkas nachzulesen ist, seinen Vaterkonflikt literarisch zu bewältigen. Massgeblich wird innerhalb des Briefes die Verschiedenheit der Charaktere Kafkas und seines Vaters Hermann herausgearbeitet. Während der Vater, Sohn eines Fleischhauers und ohne wirkliche Bildung aufgewachsen, jähzornig und impulsiv war und sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hat, erscheint der Sohn Franz, welcher im Wohlstand aufgewachsen ist, verweichlicht, verängstigt und unselbstständig sowie völlig unzugänglich und in seiner eigenen geistigen Welt gefangen. Der Brief sollte eine „Klärung der peinlich stockenden, schmerzhaft verharschten Beziehung zum Vater herbeiführen.“8

Der Brief sollte eine Versöhnung zwischen Vater und Sohn bewirken, liest sich jedoch zu grossen Teilen wie eine Anklage des Sohnes dem Vater gegenüber, welcher dessen grausamen Erziehung kritisiert. Die briefliche Analyse der Beziehung von Hermann Kafka zu seinen Kindern ist von der Furcht des Sohnes geprägt. In der Selbstanalyse Kafkas wird sein Vater demaskiert. Dieser wird als stark, selbstsicher, eifrig und zuverlässig dargestellt, der Sohn als schwach, schüchtern und von einem tiefen Schuldgefühl geplagt. Der Vater ist sich seiner Macht über den Sohn bewusst, berücksichtigt jedoch dessen Empfindsamkeit nicht, geschweige denn dass er realisiert, dass er zu grossen Teilen zur Unsicherheit des Sohnes beigetragen hat, welcher daher das Schreiben als einzigen Ausweg und einzige Möglichkeit, zu leben, ansieht. Max Brod, ein guter Freund Kafkas, sah diese Bemühungen sehr kritisch:

In wie vielen Gesprächen versuchte ich, dem Freunde, dessen tiefste Wunde ich schon zu Lebzeiten, noch ohne Kenntnis der Tagebücher, hier wusste, die Überschätzung des Vaters, die Unsinnigkeit der Selbstmissachtung klarzumachen. Es war vergebens, der Schwall der Argumente auf die Kafka sich stürzte, [...], konnte mich tatsachlich augenblicksweise erschüttern und zurückwerfen.9

Im Folgenden soll der Brief nicht als Privatbrief mit autobiografischem Wert, sondern als rein literarischer Brief betrachtet werden, ohne private Bezüge zu Kafkas Leben in die Interpretation einzubeziehen. Am Anfang des Briefes schildert der Sohn beispielsweise, dass der Vater als Kind immer wie ein Riese auf ihn gewirkt habe. Er sei ferner ein Tyrann und schlechtes Vorbild gewesen, ausserdem habe er alles schlechtgeredet, was der Sohn anfing. Es wird beispielsweise eine ausdrucksstarke Szene im Schwimmbad beschrieben, die dies verdeutlicht:

Ich erinnere mich z.B. daran, wie wir uns öfters zusammen in einer Kabine auszogen. Ich mager, schwach, schmal, Du stark, gross, breit. [...] Übrigens besteht zwischen uns dieser Unterschied heute noch ähnlich.10

Die Unvereinbarkeit der Charaktere von Vater und Sohn wird auch durch die väterliche bzw. mütterliche Genealogie zu erklären versucht:11

Vergleiche uns beide: ich, um es sehr abgekürzt auszudrucken, ein Lowy mit einem gewissen Kafka’schen Fond, der aber eben nicht durch den Kafka’schen Lebens-, Geschäfts-, Eroberungswillen in Bewegung gesetzt wird, sondern durch einen Lowy’schen Stachel [...] Du dagegen ein wirklicher Kafka an Starke, Gesundheit, Appetit, Stimmkraft, Redebegabung, [...].12

Er habe das Gefühl gehabt, sein Leben lang in seinem Schatten zu stehen und das schlechte Verhalten des Vaters bei anderen Menschen „wiedergutmachen“ zu müssen. Der Vater lehnte die schriftstellerischen Tätigkeiten des Sohnes ab bezeichnete diese als nutzlos. Wollte der Sohn ihm ein neues Werk zum Lesen geben, entgegnete er bloss: „Leg‘s auf den Nachttisch!“13

Dennoch wird stets deutlich, dass der Sohn versucht, darzustellen, dass der Vater keine Schuld daran trage, weil er im Innern selbst unzufrieden gewesen sei und sich deshalb seinen Kindern, vor allem seinem Sohn gegenüber, derart verhalten habe, sodass er für ihn trotz allem ein Vorbild war. Auch habe er ihn nur mit Worten, nicht aber körperlich gezüchtigt: „Es ist auch wahr, dass Du mich kaum einmal wirklich geschlagen hast.“14 Dennoch flieht der Sohn zeitlebens vor allem, „was nur von der Ferne an Dich erinnerte.“15 Er kommt schliesslich zu folgender Einsicht: „Ich wäre glücklich gewesen, Dich als Freund, als Chef, als Onkel, als Grossvater, ja selbst (wenn auch schon zögernder) als Schwiegervater zu haben. Nur eben als Vater warst Du zu stark für mich [...].“16

Am Ende des Briefes steht die Hoffnung, dass sich das Verhältnis zwischen den beiden beruhigen werde und der Sohn schreibt von der Hoffnung, welche Reaktion er vom Vater erwarte.

So können natürlich die Dinge in Wirklichkeit nicht aneinanderpassen, wie die Beweise in meinem Brief, das Leben ist mehr als ein Geduldspiel; aber mit der Korrektur, die sich durch diesen Einwurf ergibt, einer Korrektur, die ich im einzelnen weder ausführen kann noch will, ist meiner Meinung nach doch etwas der Wahrheit so sehr Angenähertes erreicht, dass es uns beide ein wenig beruhigen und Leben und Sterben leichter machen kann.17

Der Brief an den Vater wurde verfasst, um dem Vater zu erklären, warum der Sohn sich derart vor ihm fürchtete. Das Schreiben fiel ihm leichter als das Reden von Angesicht zu Angesicht, da er so zum einen weniger Angst habe und es zum anderen einfacher sei, die zahlreichen Gedanken zusammenzuhalten. Schlussendlich scheint es ihm, als sei der Inhalt des Briefes, gemeinsam mit möglichen Ergänzungen des Vaters, ziemlich nahe an der Wahrheit. Der Sohn hegt die Hoffnung, dass durch den Brief ihm selbst und dem Vater das Leben und Sterben leichter gemacht werden könne.18

Aufbauend auf diesen Darstellungen der Werke wird im folgenden Kapitel mit der eigentlichen Analyse der Texte begonnen. Zunächst werden die Beziehung bzw. der Konflikt zwischen Georg Bendemann und seinem Vater in Das Urteil analysiert, anschliessend jene von Franz und seinem Vater Hermann Kafka. Im Vordergrund steht die These, dass der reale Vater-Sohn-Konflikt, unter welchem Franz Kafka in seinem Leben litt, in der Art und Weise der Darstellung jenes Konfliktes in seinen Werken widergespiegelt wird.

3. Tiefere Analyse der Vater-Sohn-Beziehung

Nachfolgend wird tiefergehend analysiert, wie der Konflikt zwischen Vater und Sohn in den beiden ausgewählten Werken literarisch dargestellt wird, bevor ein Vergleich zwischen der Verarbeitung der Thematik in den jeweiligen Texten gezogen wird.

[...]


1 Kittler, Koch & Neumann: Drucke zu Lebzeiten, S. 1.

2 Frenzel: Motive der Weltliteratur, S, 727.

3 Jahraus: Das Urteil, S. 28.

4 Matt: Liebesverrat, S. 305.

5 Kafka: Sämtliche Werke, S. 761.

6 Ebd., S. 764

7 Ebd., S. 768.

8 Brod: Franz Kafka, S. 23.

9 Ebd., S. 32.

10 Hermes: Nachwort, S, 68-69.

11 Pfeiffer: Ausweitung der Kampfzone, S. 37.

12 Kafka: Sämtliche Werke, S. 1329

13 Ebd., S. 1335

14 Ebd., S. 1339

15 Ebd., S. 1342

16 Ebd., S. 1345.

17 Ebd., S. 1329.

18 Vgl. Alt: Der ewige Sohn, S. 57.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der Vater-Sohn-Konflikt in Kafkas Werken "Das Urteil" und "Brief an den Vater"
Hochschule
Universität Basel
Autor
Jahr
2020
Seiten
15
Katalognummer
V978205
ISBN (eBook)
9783346328960
ISBN (Buch)
9783346328977
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vater-sohn-konflikt, kafkas, werken, urteil, brief, vater
Arbeit zitieren
Ilayda Altinparmak (Autor:in), 2020, Der Vater-Sohn-Konflikt in Kafkas Werken "Das Urteil" und "Brief an den Vater", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/978205

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