Das "Nibelungenlied". Ein Vergleich von Film und Epos


Seminararbeit, 2020

23 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Nibelungen (1924)

3. Formen des Stummfilms bei den Nibelungen

4. Vergleich von Film und Epos
4.1 Szenenunterschiede
4.2 Rassenunterschiede
4.3 Geschlechter- und Standesunterschiede

5. Unterschiede bei den Figuren
5.1 Siegfried
5.2 Kriemhild
5.3 Brünhild (oder im Film: Brunhild)
5.4 Alberich
5.5 Hagen von Tronje

6. Resümee

7. Literaturverzeichnis

8. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

In dieser Seminararbeit soll ein Vergleich zwischen dem mittelalterlichen „Nibelungenlied (=NL)1 “, welches ungefähr um 1200 entstand, und seiner berühmtesten Adaption von Fritz Lang und Thea von Harbou „Die Nibelungen“ (1924) gezogen werden. Ob ein Film bedeutsam ist oder nicht, wird oftmals durch den Vergleich mit dem Originalstoff eruiert. Dies kann man vor allem auch an der Rezeption des Nibelungenliedes erkennen. Eine Vielzahl an Filmen mit der Vorlage des Nibelungenliedes, einige mit großartiger, wiederum andere mit minder guter Qualität, sind heute im Umlauf. Bereits beim ersten Ansehen des Films von Fritz Lang wird deutlich, dass der Inhalt nicht identisch ist mit dem mittelhochdeutschen Text „Das Nibelungenlied“, sondern diverse Änderungen vorgenommen worden sind. Die Vorlage des Nibelungenstoffes mit seiner Interpretationsvielfalt bietet genug Stoff zu verschiedenen Analysen und Ausgestaltungen, die einem oftmals erst beim wiederholten Lesen ins Bewusstsein gerufen werden. Die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes zeigt, dass der Stoff immer wieder bei einer breiten Leserschaft eine Faszination ausgelöst hat, was aber letztendlich auch zu einer Fülle von sich einander oft widersprechenden Deutungen führte. Der Nibelungenstoff wurde oftmals als Instrumentalisierung für politische Zwecke missbraucht, was zu entsprechenden Umgestaltungen und Deutungen des Stoffes in Romanen, Gedichten und im Theater, in der Musik- und Filmbranche führte.

Diese Seminararbeit soll die Darstellung der Figuren des mittelhochdeutschen Textes mit dem Film „Die Nibelungen“ vergleichen und Gemeinsamkeiten aufzählen sowie die auffälligsten Unterschiede herausarbeiten. Dabei wird vor allem auf die wichtigsten Szenen („Königinnenstreit“, Falkentraum etc.) eingegangen und die Hauptfiguren sollen genauer analysiert werden. Der erste Teil dieser Arbeit widmet sich der allgemeinen Information über den Regisseur und Kontext sowie den historischen Hintergrund der Nibelungen Verfilmung aus den 20er Jahren. Die Gattung ,Stummfilm‘ soll ebenfalls kurz behandelt werden. Im zweiten Teil werden die prägnantesten Szenen- und Figurenunterschiede herauskristallisiert. Weiters soll bei der Unterscheidung zwischen Film und Epos als Schlüsselszene der Königinnenstreit (Die 14. Aventiure des Nibelungenliedes) näher analysiert werden. Zum Abschluss der Seminararbeit wird neben einer kurzen Zusammenfassung ein persönliches Resümee gezogen, das sich nach der Analyse eingestellt hat.

2. Die Nibelungen (1924)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Filmplakat: Die Nibelungen: Teil 1 und 2. Fritz Lang (D 1924)

Fritz Lang (1890-1976) führte Regie bei der Herstellung des 1924 veröffentlichten monumentalen Nibelungen-Stummfilm. Als Drehbuchautorin fungierte Langs Ehefrau Thea von Harbou (1888­1954). Die Uraufführung der zwei Teile fand schließlich im Jahre 1924 in Berlin statt, der erste Teil „Siegfried“ am 14. Februar und der zweite Teil „Kriemhilds Rache“ folgte am 26. April. Beide Teile sind in jeweils sieben „Gesänge“ unterteilt, in Anlehnung an die Titel der „Aventiuren“ im Nibelungenlied. Der Film gilt bis heute als eine der wichtigsten Verfilmungen von klassischer Literatur und als Meilenstein in der Filmgeschichte, auch außerhalb der deutschen Filmklassiker. Der Film beeindruckt durch seine ausdrucksstarken Inszenierungen und aufwendigen Szenen, auch wenn aus heutiger Sicht die Anordnungen etwas starr und gezwungen wirken, da die Kulissen teilweise unbeweglich wirken. Heinz-B. Heller beschreibt das eindimensionale und stark statische Grundmuster des Films folgendermaßen:

„In beiden Filmteilen scheint die ,erzählte Zeit' in den jeweils sieben ,Gesängen' zu relativ autonomen Erzählblöcken förmlich zu erstarren. [...] Derart stilisierte, auf elementare Grundmuster reduzierte tektonische Grundformen grundieren, rahmen und überwölben immer wieder die auffallend statuarischen Filmbilder Langs: die Höhle, der Wald, die Burgen Burgunds, Brunhilds oder Etzels. Was sie voneinander entscheidet, setzt eine überaus künstliche Lichtregie [.] in ein strahlendes Hell und finsteres Dunkel.“ (Heller 1991: 501 ff.)

Als vorrangiges Ziel von Fritz Lang kann die Abbildung von völlig unterschiedlichen Welten, die nebeneinander verlaufen, genannt werden, wobei jede einzelne Welt (respektive: Der magische Wald, Der Hof der Burgunden, Isenstein etc.), zu seiner eigenen Klimax geführt wird. Die Uraufführung des Filmepos „Die Nibelungen“ wurde als nationales Ereignis klassifiziert und stellt mit insgesamt 293 Minuten Spielzeit die aufwendigste Filmrezeption des Nibelungenstoffes dar, was das teuerste und ambitionierteste Filmprojekt dieser Zeit kennzeichnete. Die Spezialeffekte waren avantgardistisch und porträtierten ein visuell glaubwürdiges Kampfspektakel. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Drachenkampfszene im ersten Gesang.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 Siegfrieds Kampf mit dem Drachen. Screenshot aus dem Stummfilm „Die Nibelungen“ von Fritz Lang, 1924. TC: 00:19:09

Fritz Langs Nibelungenfilm ist in Bezug auf die damaligen technischen Möglichkeiten erstaunlich fortschrittlich und hochwertig umgesetzt worden. Lang gelingt es, riesige Flächen und Kulissen lebendig zu gestalten, indem die Figuren entsprechend hervorgehoben und ausgeleuchtet werden. Der Film bedient sich aber ansonsten frei an der literarischen Vorgabe des Originalstoffes des Nibelungenlieds. Die für das Drehbuch zuständige Thea von Harbou begründete ihr Vorgehen so:

„Es war nicht möglich, bei einem Vorbild der Überlieferung zu bleiben, denn die eine oder andere im Bewusstsein des Volkes wurzelnde Erinnerung an den Drachentöter Siegfried, an die Nibelungen und Herrn Etzel hätte dabei zu kurz kommen müssen. Darum verzichtete ich auf die getreue Nachschöpfung einer Überlieferung und bemühte mich aus allen das Schönste herauszupflücken und wieder zu einem Ganzen zu verschmelzen.“ (Thea von Harbou, Programmbroschüre, S. 10)

Der zweite Teil, „Kriemhilds Rache“, hält sich im Vergleich zum ersten Teil verhältnismäßig genau an seine Originalvorlage. Der Film stellte ein noch junges Medium Anfang des 20. Jahrhunderts dar und sollte sich lediglich am Theater orientieren und nicht nur ein abgefilmtes Theaterstück darstellen, sondern, wie Harbou schon andeutete, das Beste aus allen Künsten vereinen: „von jeder Kunst das Stärkste: vom Maler den Blick auf das Bildmäßige, vom Bildhauer die Bewusstheit der Linie, vom Musiker den Rhythmus, vom Dichter die Konzentration der Idee“ (Grob 2014: 131).

„Wenn dieser Mythos als Vorlage zum Beispiel des Films „Die Nibelungen“ von Fritz Lang (1923/24) betrachtet wird, so hat dieser unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland eine ganz bestimmte Formung: Er ist schon damals der Lieblingsmythos nationalistischer Kreise (Gast 1993: 58)

Das Nibelungenlied wurde oftmals dafür missbraucht, um ein nationalistisches Gedankengut zu bilden. Es ging um ein Stück deutscher Identität und um nationale Selbstvergewisserung. Mit den Nibelungen sollte das deutsche Nationalepos unter deutscher Regie verfilmt werden. Beide Teile weisen folgende Widmung zu Beginn des Films auf: „Dem deutschen Volke zu eigen“ (Textstelle). Dabei wird auf doppelsinnige Weise das geistige Eigentum der Nation aufgerufen oder sogar der vorliegende Film selbst in den Rang eines solchen Eigentums erhoben. Lang spricht selbst vom „Heiligtum“ der Nation, wobei auf das geistige Eigentum der Deutschen verwiesen wird und die Nibelungen selbst in den Rang dieses Eigentums erhoben werden. Lang und von Harbou verwiesen mehrmals darauf, dass der Film zwar keine bloße Adaption des Stoffes darstellen sollte, sie sich aber trotzdem an das mittelalterliche Nibelungenlied halten wollten. Das noch junge Medium soll helfen, die Traumata der jüngsten Vergangenheit zu überwinden und ein neues Selbstwertgefühl zu fördern (Vgl. Kiening, C. & Herberichs, C. 2006: 189ff).

3. Kennzeichen des Stummfilms am Beispiel der „Nibelungen“

Der Stummfilm erzählt durch Bilder, und der beste Weg, sich einem Stummfilm zu nähern, besteht darin, die speziellen Visualisierungsstrategien zu betrachten, von denen laut Klaus Kanzog drei wichtige anhand Fritz Langs „Die Nibelungen“ behandelt werden: Repräsentation, Blicktypen und Zeichen (Kanzog 1987: 202).

Die Repräsentation findet vorrangig dann statt, wenn man den Stil des burgundischen Hofes näher betrachtet. In den langsamen und eindimensionalen Aufnahmen des Hofes im ersten Teil, „Siegfried“, zeichnet sich deutlich die Botschaft des mächtigen Burgunds ab, auch das Flammenmeer, das Brunhilds Burg in Isenstein umgibt, deutet beispielsweise auf einen höllischen und mächtigen Ort hin. Bei der Unterscheidung der verschiedenen Blicktypen nennt Kanzog drei signifikante Bli>Beim „dramatischen Blick“ kann der Zuschauer vieles in einer einzelnen langen Aufnahme im Blick der Figur erkennen, welche oft in einer Großaufnahme erfolgt. Als Beispiel wäre Brunhild hinter ihrem Schild zu nennen, die sich vor Gunthers herannahendem Speer schützt. Hier kann der Zuschauer Anspannung, Aufmerksamkeit und Erwartung sehen, wobei auch Unsicherheit durch Brunhilds Augen ausgestrahlt wird. Die Kamera versucht den Zuschauer in das Geschehen mit hineinzuziehen und somit die Dramatik mehr zu verdeutlichen.

Ein prägnantes Beispiel für den „dialogischen Blick“ ist laut Kanzog die Über-die- Schulter-Einstellung. Beim Abschied Siegfrieds von Kriemhild kann man zwar keine Geräusche vernehmen, aber Siegfrieds Augen sprechen mehr als tausend Worte. Beim dialogischen Blick wird der Zuschauer stimuliert, um Bedeutung in den Augen der Figuren ablesen zu können und zugleich die mimische Bedeutung zu entschlüsseln. Die Kamera erzeugt so vielschichte Möglichkeiten, die durch den Blick des Darstellers offenbart werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 Der epische Blick. Die Nibelungen, 2. Teil. TC: 00:30:17

Der „epische Blick“2 (siehe Abb. 3) dient zugleich dem Mittel des epischen Erzählers. Es wird versucht, mit spezifischen Einstellungen auf das Kommende voraus zu weisen. Beim epischen Blick starrt eine Person lang in die Ferne und der Zuseher nimmt aus der Sicht dieser Person

[...]


1 Zitate aus dem Nibelungenlied werden durch (= NL) abgekürzt

2 Der Hunne Werbel sitzt wie ein Geier in einer Astgabel und hält Ausschau nach Kriemhild, der Braut Etzels (Abb. 3). Die folgenden Einstellungen zeigen, dass er Kriemhild und ihr Gefolge herannahen sieht. Sein Blick weist auf das Kommende voraus. Als Figur des Films steht er im Dienste seines Herren Etzel, als filmisches Zeichen jedoch steht er im Dienst des epischen Erzählers.

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Details

Titel
Das "Nibelungenlied". Ein Vergleich von Film und Epos
Hochschule
Universität Salzburg
Note
1,5
Autor
Jahr
2020
Seiten
23
Katalognummer
V1160291
ISBN (eBook)
9783346599544
ISBN (Buch)
9783346599551
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nibelungenlied, vergleich, film, epos
Arbeit zitieren
Sarah Hagenauer (Autor:in), 2020, Das "Nibelungenlied". Ein Vergleich von Film und Epos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1160291

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