1 Einleitung

Jugendkulturen und Szenen sind der Ort, an dem nicht nur soziale Vergemeinschaftungen stattfinden, sondern gesellschaftliche Probleme verhandelt und kulturell bearbeitet werden. Sie sind auch der Ort, an dem eine Auseinandersetzung mit Politik und Religion stattfindet. Ein Blick in die Geschichte der Jugend- und Musikkulturen zeigt, dass dort nicht nur alternative Lebensentwürfe erprobt und zumindest auch teilweise gesellschaftlich durchgesetzt werden konnten, sondern mitunter hellsichtig gesellschaftliche Entwicklungen – im positiven wie im negativen Sinne – prognostiziert und vorweggenommen wurden. Jugendliche und Jugendkulturen galten lange Zeit als Seismograf der Gegenwart und Zukunft. Es lohnt daher, sich soziologisch (unter kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten) mit ihnen auseinanderzusetzen und auch ihre historischen Entwicklungen in Augenschein zu nehmen.

Der folgende Beitrag nimmt sich tentativ eines Themas an, das selten im Aufmerksamkeitsbereich der Jugendkultur- und Szeneforschung steht und darüber hinaus vor allem im Pop- und Rockjournalismus ein buchstäblich ‚vermintes Feld‘ darstellt, das großes Unbehagen auslöst und auf weitgehende Ablehnung stößt. Eine unvoreingenommene Bearbeitung dieses Feldes ist aufgrund von politisch-moralischen Vorbehalten, ob in diesen ‚trüben Gewässern‘ überhaupt unvoreingenommen geforscht werden kann, erschwert. Darüber hinaus erschweren Ästhetisierungsstrategien dieser Szenen die Erfassung ihrer Intentionen, womit womöglich unfreiwillig schon eine ihrer Absichten erreicht zu sein scheint. Ein abschließendes Urteil kann mit unserem Beitrag deshalb nur schwer getroffen werden, und man gerät unweigerlich in einen kaum befriedigend aufzulösenden Problem- und Fragenkomplex. Es ist in der zweiten Hälfte des Beitrags daher notwendig, die theoretischen Ansätze an konkreten Beispielen zu veranschaulichen.

Es soll im Folgenden darum gehen, (alternative) religiöse und politische Dimensionen in rechtsorientierten Musikkulturen und Szenen, die aus Jugendkulturen hervorgegangen sind, an einigen Beispielen herauszuarbeiten. Die ausgewählten Bands und Musiker*innen sind in den Szenen weitgehend bekannt und können als klassische Fallbeispiele und Referenzen angesehen werden.

Im Rahmen dieses Beitrags kann es nicht darum gehen, die – ohnehin heterogenen – Szenen vollständig darzustellen oder kategorisch zu typifizieren, jedoch kann an den herangezogenen Fallbeispielen etwas darüber abgelesen werden, wie bestimmte politische und (alternative) religiöse Elemente in bestimmte Musikrichtungen und deren Selbstinszenierung einfließen. Bands und Musiker*innen berufen sich dabei auf ihre Individualität sowie auf Offenheit und Uneindeutigkeit in ihrer ästhetischen Praxis, sodass von Verallgemeinerungen abgesehen werden sollte. Die Verwendung von Zeichen und Symbolen der Szenen untersuchen wir unter dem Gesichtspunkt der kulturellen Inszenierung und ästhetischen Praxis der Performance. Es bedarf dafür keiner Vorstellung oder Konzeptualisierung von Begriffssystemen der Religion, Politik oder Kunst, da in den Szenen nur Versatzstücke und einzelne Elemente selektiv und eklektizistisch verarbeitet werden, die nicht zwingend auf ein eindeutiges und konzises Weltbild verweisen (müssen). Es geht vielmehr um eine Analyse ästhetischer Inszenierungen in kulturellen Artefakten, in denen politische und (alternative) religiöse Referenzen bemüht werden, nicht aber um deren religions- oder politikwissenschaftliches Verständnis und die Frage, wie religiös oder politisch die Szenen tatsächlich sind. Die Szenen, so die Annahme, dringen nicht agitatorisch in die (institutionalisierten) Felder der Politik, der Religion oder der Kunst ein und wollen diese verändern, vielmehr ist ostentativer Rückzug und Exklusivität ein Merkmal der ästhetischen Inszenierung – und ihrer Hybris. Das heißt jedoch nicht, dass nicht im Rückzug auf die KunstfreiheitFootnote 1 und die Uneindeutigkeit ästhetischer Praktiken menschen- und demokratiefeindliche, die traditionellen Religionen auf- und angreifende Elemente vermittelt werden, die zwar nicht zwingend direkte politische Aufforderungen enthalten müssen, jedoch den ideologischen und (stellenweise bemüht) intellektuellen Nährboden für bestimmte Weltanschauungen liefern können.Footnote 2 In der Gesamtheit drehen sich wesentliche Motive der Szenen um eine ästhetisierte Kritik bzw. Ablehnung der modernen (westlichen) WeltFootnote 3 und eine Verherrlichung ‚alter‘ Geschichtsfantasien sowie Mythen und ihrer materiellen Ausdrucksformen.

Ein Problem stellt die unter moralischen Gesichtspunkten stattfindende Einordnung dar, die nicht nur die angemessene Auseinandersetzung mit der kulturellen Inszenierung und ästhetischen Praxis betrifft, sondern in den Szenen selbst kontrovers diskutiert wird. Es handelt sich mitunter um extreme Darstellungen, die jedoch nicht in allen Fällen zu einem klar rechts zu identifizierenden Weltbild führen, sondern die Rezipient*innen in ambivalente, teilweise archaische, anarchische, destruktive und apokalyptische Visionen einbeziehen. Diese Uneindeutigkeiten und vermutlich bewusst offengelassenen Inszenierungen verstören und führen zu öffentlichen Verurteilungen dieser Szenen. Dadurch wird aber die offenbar bewusst eingesetzte destruktive und verstörende Ambivalenz, die einige Performances prägen, beiseitegeschoben. Ein Rückschluss von kultureller Inszenierung und ästhetischer Praxis auf das vermeintlich Gemeinte ist bei den behandelten Themen ein naheliegender und nachvollziehbarer Reflex, verfehlt jedoch, so die vorsichtige Vermutung, zumindest in ihrer Pauschalität die Komplexität des Themas. Hier bedarf es unserer Auffassung nach einer nicht immer einfach und unproblematisch zu führenden Differenzierung und Dekonstruktion.

2 Jugend(kultur), Religiösität und ‚neue Rechte‘

Folgt man der aktuellen 18. SHELL-Jugendstudie (Albert et al. 2019, S. 16), so ist die gegenwärtige Jugend überwiegend von Weltoffenheit und Toleranz geprägt. Jugendliche sind grundsätzlich pragmatisch und optimistisch eingestellt, die Neigung zu extremistischen Ideologien ist gering. Es gibt zwar eine wachsende, den gesellschaftlichen Diskursen Rechnung tragende „Populismusaffinität“, bislang aber begrenzt sich diese auf Jugendliche aus dem „nationalpopulistischen“ und „populismus-geneigten“ Milieu, das insgesamt zwar knapp über 30 % ausmacht, jedoch nicht allen populistischen Forderungen zustimmt und nur bedingt zu extremistischen Positionen neigt. Ein Wesensmerkmal der für Populismus anfälligen Jugendlichen ist das Gefühl der Fremdbeherrschung und „der Wunsch nach Rückgewinnung von Kontrolle“ über das eigene Leben (ebd., S. 17). Dieser Wunsch nach individueller Kraft und Stärke findet in rechtsgerichteten Kreisen seine ästhetische Entsprechung und eine ideologische Bearbeitung in Form rechtsorientierter (Anti‑)Popkultur.

Die ‚neue Rechte‘, hinter der sich verschiedene Strömungen verbergen, die die Grenzen zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus zu relativieren versuchen und im Kern rassistische und menschenverachtende Tendenzen bedienen, bietet, auch wenn sie prozentual nur einen kleinen Kreis von Jugendlichen erreicht, ein breites Spektrum an unterschiedlichen kulturellen Angeboten, die den Zusammenhang von Jugend und rechtem Denken zu einem vielgestaltigen Problem macht (Langebach 2016, S. 375 ff.). Die Popkulturalisierung rechten Denkens treibt dieses zudem in die Mitte der Gesellschaft und geht in den Mainstream ein (Schröder 2001). Über diese Popkulturalisierung von rechts werden Grenzen aufgeweicht, Tabus gebrochen und versucht, über Jahrzehnte entwickelte politische Zuschreibungsmerkmale zu verwischen und den politischen Konsens zu stören: „Es geht um eine Ästhetik der Gegenmoderne, die modern sein will, sich zur Avantgarde stilisiert, aber in Wahrheit das Vergangene beschwört“ (ebd., S. 77). Diese antimoderne, rechtsorientierte Gegenposition macht sich nicht mehr allein am Nationalsozialismus als historischem Phänomen fest, sondern erzeugt über „ästhetische Praxis“ (Reckwitz 2019, S. 21 ff.), die sich verschiedener Deutungsmuster und Elemente aus Kultur und Geschichte bedient, eine eigene sinnliche Erlebniswelt.

Zu den Elementen dieser Erlebniswelten gehört auch die Bezugnahme auf (alternative) religiöse Sinnwelten. Religiöse Überzeugungen Jugendlicher bewegen sich laut SHELL-Jugendstudie (Albert et al. 2019, S. 26) grundsätzlich auf einem niedrigen Niveau, wenn auch die Aussagekraft repräsentativer Umfragen teilweise bezweifelt werden kann (Gründer und Scherr 2012, S. 64–79). Zumindest Katholizismus und Protestantismus als institutionalisierte Konfessionen haben in den letzten zwanzig Jahren vor dem Hintergrund der Pluralisierung der Gesellschaft weiter an Zustimmung unter Jugendlichen verloren (Gärtner 2016, S. 553–580). Während es im Handbuch Jugendforschung noch einen eigenen Eintrag für den Zusammenhang von Jugend und Religion gab (Feige 1993, S. 543–558), kommt das Handbuch Kindheits- und Jugendsoziologie (Lange et al. 2018) ohne einen solchen Beitrag aus. Anders sieht es gegenwärtig bei Jugendlichen muslimischen Glaubens aus, wo die Zustimmung zum Gottesglauben mit 73 % relativ hoch zu sein scheint. Im Pop-Islam wird eine Verbindung von Religion und Popkultur gesucht (Gerlach 2006).

Die Zurückhaltung gegenüber den großen konfessionellen Kirchen bedeutet jedoch nicht, dass Jugendliche sich nicht mit spirituellen Fragen auseinandersetzen. Der Zusammenhang zwischen Jugend und neuen religiösen Bewegungen sowie dem Okkultismus ist hingegen weitgehend historisch und wird heute kaum noch diskutiert (siehe etwa Mildenberger 1979; Haack 1979; Hunfeld 1990; Helsper 1992). Auch die im Zusammenhang mit Rock- und Popkultur stehenden Debatten um Satanismus und Okkultismus im Heavy Metal gehören der Vergangenheit an (Wehrli 2005, S. 118–144). Die moralisch aufgeladenen Kontroversen um „backward spinning“, dem Rückwärtsabspielen von Schallplatten zur Herstellung teuflischer Mitteilungen oder mitgelieferter Anleitungen zum Selbstmord als geheime Botschaften von einschlägigen Musiker*innen und Bands, haben sich als haltlos und absurd erwiesen.

Interessanterweise wurden in den letzten SHELL-Jugendstudien die Zugehörigkeiten zu Jugendkulturen und Szenen nicht mehr abgefragt. Dies mag erstaunen, denn Jugendkulturen und Szenen sind ein wichtiger Bestandteil im Leben Jugendlicher (Hitzler und Niederbacher 2010; Richard und Krüger 2010; Farin 2011; Hugger 2014). Ein Grund mag die zunehmende Ausdifferenzierung und Unübersichtlichkeit bei gleichzeitig steigenden Zuordnungsschwierigkeiten sein, die kennzeichnend für heutige Jugendkulturen und Szenen sind (Farin 2010, S. 4 f.), hinzu kommt deren Verschmelzung mit einer altersunabhängigen Popkultur jenseits der Lebensphase Jugend (Hecken und Kleiner 2017, S. 4). In der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen spielen die Verarbeitungen verschiedener Themen in Jugendkulturen und Szenen wieder eine größere Rolle. In dieser Auseinandersetzung stehen neben links- und rechtsgerichteten ebenso unterschiedliche religiöse, auch muslimisch und islamistisch geprägte Jugendkulturen und Szenen im Mittelpunkt (Archiv der Jugendkulturen 2018).

Innerhalb der großen Jugend- und Musikkulturen waren historisch schon immer Versuche der elitären Ausdifferenzierung und subkulturellen Abspaltung zu beobachten, die ihr inneres Selbstverständnis aus einer selbst zugeschriebenen Exklusivität bezogen und damit einer avantgardistischen Idee des Underground, einer weitgehend geschlossenen, nicht-kommerziellen Haltung, zu folgen versuchten. Jenseits des Mainstreams gab es immer ernsthafte Versuche, über Pop- und Rockmusik Transzendenzerfahrungen herzustellen und in Bereiche der Kunst und künstlerischen Praktiken, der Religiosität und Spiritualität vorzustoßen.Footnote 4 Teile verschiedener Jugend- und Musikkulturen und einzelner Szenen haben sich seit den 1960er-Jahren als ästhetische Avantgarde verstanden. Es ist auffällig, dass diese ästhetische Avantgarde, so wurde angenommen, politisch immer links zu stehen schien – was vermutlich nie zutraf; mit dieser Vorstellung räumte Anfang der 1990er-Jahre Diedrich Diederichsen (1993, S. 253–283) angesichts damaliger rechter Umtriebe in der Popmusik in seinem Aufsatz „The Kids are not alright“ auf. Der Exklusivitätsgedanke beruht häufig auf extremen Positionen, die nicht nur ästhetisch inszeniert, sondern als praktizierter Lebensstil vertreten werden. Kunst bzw. künstlerische Praxis und Leben scheinen hierin verschmelzen zu wollen und damit das Postulat der klassischen Avantgarden im Popbereich zu vollziehen. Allerdings bleibt dieser Zusammenhang oftmals partikular, diffus und schwer durchschaubar.

Über religiöse und politische Äußerungen und Inszenierungen lassen sich extreme und exklusive Positionen beziehen. Inwieweit Jugendkulturen und Szenen exklusiv gemacht werden durch idiosynkratische Vereinnahmungen religiöser, okkulter, esoterischer bzw. spiritueller Ideen, aber auch durch selektive Auseinandersetzungen mit den klassischen Glaubensgemeinschaften, und welche Jugend- und Musikkulturen sowie Szenen dabei des Weiteren Ästhetik und Inhalte nationalsozialistischer und faschistischer Ideologien aufgreifen, ist Gegenstand des nachfolgenden Beitrags. Teile des Rock, Metal, Gothic-Rock, Dark Wave und Neofolk, in denen religiöse Elemente und rechte Ausrichtungen miteinander verbunden werden, werden schon seit längerer Zeit kritisch behandelt (Dornbusch und Raabe 2002; Speit 2002, 2010; Dornbusch und Killguss 2005; Diesel und Gerten 2005; Botsch et al. 2019; Stiglegger 2021). Die Szenen haben eine Entwicklungsgeschichte durchgemacht und darin kontrovers diskutierte Veränderungen durchlaufen. Ausgangspunkt unseres Beitrags ist es, zum einen die Bezugsrahmen exemplarisch an einzelnen Beispielen zu beschreiben, auf denen die historische Verbindung von Glauben und Rechtsextremismus beruhen, andererseits die gegenwärtigen Entwicklungen einzelner Szenen und Bands ebenso exemplarisch an einzelnen Beispielen aufzuzeigen.

Im Sinne der Cultural Studies gehen wir davon aus, dass Jugendkulturen und Szenen nicht nur eine harmlose Form der Unterhaltung, der Freizeitgestaltung und des zwischenzeitlichen Aufenthalts im Prozess des Aufwachsens darstellen, sondern über die ästhetische Inszenierung im Spannungsbereich von „Kultur, Macht, Identität“ ideologische Strukturen ausbilden können (Marchart 2008, S. 33–36), die sich zur modernen Gesellschaft in ein kritisches oder gar ablehnendes Verhältnis setzen. Dies ist bei den betrachteten Szenen mehr oder weniger offen der Fall und wird über Ästhetisierungsstrategien verfolgt (Stiglegger 2021, S. 98–113). Der Bezug auf nationalsozialistische sowie faschistische Ästhetik und ihre Inhalte ist Teil der verschiedensten Jugendkulturen und Szenen der Vergangenheit und Gegenwart, ebenso wie die Auseinandersetzung mit (alternativen) spirituellen und irrationalen Ideen, die aus mythologischen Quellen schöpfen. Transzendenz der (überwiegend weißen männlichen) Individualität sowie der ‚starken‘ und ‚erlesenen‘ Gemeinschaft spielen im Amalgam rechtsgerichtet-religiöser Rock- und Popkulturformen eine zentrale Rolle. Dabei möchten wir nicht nur einzelne Vertreter*innen dieser Jugendkulturen und Szenen exemplarisch betrachten und deren Selbstverständnis – sofern sich dies überhaupt eindeutig und klar herausarbeiten lässt – beschreiben, sondern zumindest ansatzweise aufarbeiten, welche politischen und (alternativen) religiösen, okkulten, spirituellen und esoterischen Versatzstücke in diesen mitunter eklektizistischen Bezugsrahmen aufgerufen werden. Neben der Schwierigkeit der Aufarbeitung wird es schwer zu beurteilen sein, inwieweit die Positionen als umfassender, auf Überzeugungen und Einstellungen basierender Lebensstil und als umfassende Lebensorientierung einzuschätzen sind oder ob es sich um provokativ-künstlerische Performances in einem „Theater der Grausamkeit“ (Artaud 1996 [1933], S. 89–93), möglicherweise gar mit einem gegenteiligen, überaffirmativen, theatralischen Kern im Rahmen signifikanter Zeichenspiele handelt. Beides lässt sich in den Szenen finden, die Grenzen zwischen ideologischer Positionierung und ästhetischer Inszenierung sind fließend, und Missverständnisse werden billigend in Kauf genommen. Zwischen politischer Ideologisierung und kultureller Inszenierung existiert nur ein schmaler Grat, es handelt sich buchstäblich um ein ‚Spiel mit dem Feuer‘. Künstlerische Praxis als ästhetischer Möglichkeitsraum und politische Ideologisierung als konkrete Haltung und Handlung verbinden sich zu einem Gemisch, in dem zwischen Schein und Sein häufig schwer zu unterscheiden ist.

3 Zur Analyse von (extremen) Jugend- und Musikkulturen als ästhetische Praxis

Jugend, Jugendkulturen und Szenen können mithilfe verschiedener methodischer Zugänge empirisch untersucht werden. Neben fanseitiger Rezeptions- und Aneignungsforschung lassen sich materiale Kulturanalysen hinsichtlich ihrer ästhetischen Inszenierungsweisen durchführen. Es existiert in Jugend- und Musikkulturen ein breites kulturelles und mediales Angebot an Artefakten, das symbolisch über spezifische Werthaltungen und Einstellungen verständigt und ästhetische Handlungsrahmen, Orientierungen und Gemeinschaftssinn bietet. Extreme Szenen setzen auf kleine Gruppenbildungen und Exklusivität sowie auf eine Art inneres Geheimwissen, das sich nur den Eingeweihten erschließen soll. Sie schließen damit an die „soziale Logik des Besonderen“ an, die Andreas Reckwitz (2017, S. 11) zufolge nach kultureller Nichtaustauschbarkeit und Nichtvergleichbarkeit strebt und von ihm als „Singularisierung“ in der (spät-)modernen Gesellschaft bezeichnet wird.

Reckwitz (2019, S. 3) weist darauf hin, dass Ästhetik in der Soziologie der (Spät‑)Moderne nur eine marginale Rolle spielt, obwohl Ästhetisierungsprozesse einen wesentlichen Teil der – progressiv verstandenen – Transformationen (spät‑)moderner Gesellschaft ausmachen. Ästhetik meint in dieser Perspektive weniger die kunstphilosophische Frage nach dem Schönen, Wahren und Guten in der Kunst, sondern lässt sich vielmehr als eine ästhetische gesellschaftliche Praxis verstehen, die sämtliche Lebensbereiche umspannt, in der sinnliche Wahrnehmungsordnungen entstehen (ebd., S. 22). Ästhetisierung wird so zu einem universalen Phänomen der Gegenwart, das auf der anderen Seite zu „Anästhetisierungen“ führt, worunter eine „coole“ Reaktion auf das intensive Überangebot des Ästhetischen gemeint ist (Welsch 1990, S. 9–10). Damit wird das Feld der Kunst als originärer Ort ästhetischer Praxis relativiert: „Die bis in die Gegenwart hinreichende Gewissheit, dass es sich bei der ästhetischen Praxis um die Praxis von Künstlern und die Wahrnehmung von Kunst durch ein in besonderer Weise auf Kunstwerke und -ereignisse eingestelltes Publikum handelt, ist brüchig geworden“ (Kauppert 2016, S. 3). Demgegenüber wird seit den klassischen Avantgarden der 1920er-Jahre von einer zunehmenden Entgrenzung der Kunst ausgegangen, in der nicht nur die Vorstellungen darüber, was Kunst sei, neu justiert werden, sondern auch die Frage, wer ein/e Künstler*in ist. Neben die Kunst als institutionalisierte Form treten künstlerische und ästhetische Praktiken, die eine sinnliche Vermittlung des Ökonomischen, Sozialen, Politischen, Religiösen usw. vorantreiben.

Reckwitz (2019, S. 25–29) nennt zur Präzisierung des Begriffs der „ästhetischen Praktiken“, die er soziologisch verstanden wissen möchte und von „nichtästhetischen Praktiken“ abgrenzt, fünf Merkmale. Anders als das instrumentelle, zweckorientierte Handeln als Ausdruck der rationalisierten Moderne erkennt er in der ästhetischen Praxis eine vorherrschende Selbstreferentialität wirken, die aber nicht zweckfrei sei (1). Die ästhetische Praxis sei eine Erlebenspraxis zwischen kulturellen Artefakten und Performanz, die nur bedingt mit regel- und zweckorientiertem Handeln in Verbindung steht (2). Ästhetische Praxis sei affektuell aufgeladen und bündele Stimmungen und Gefühle, die im zweckrationalen Handeln nur eine untergeordnete Rolle spielen (3). Nicht die sachliche Informationsvermittlung, sondern die Interpretation als Schaffung imaginärer Sinnwelten sei in der ästhetischen Praxis enthalten (4). Schließlich gelte für die ästhetische Praxis, dass sie keine Eindeutigkeiten, sondern Offenheit, Mehrdeutigkeit und einen unauflösbaren Rest produziere und darüber hinaus eine Intensivierung der Sinneswahrnehmungen betreibe (5). Diese fünf Merkmale zeichnen nach Reckwitz die ästhetische Praxis aus: „Allerdings sind ästhetische Praktiken als Praktiken selbstverständlich weder völlig regellos noch grenzenlos experimentell: Sie sind aber so reguliert, dass der experimentelle oder grenzüberschreitende Umgang mit Sinnen, Affekten und Interpretationen in ihnen ermutigt oder verlangt wird“ (ebd., S. 29). Alle fünf Merkmale lassen sich auf Jugend- und Musikkulturen und insbesondere auf die infrage stehenden Szenen übertragen: Selbstreferentialität, Erlebnisorientierung, Affektualität, Imagination und Mehrdeutigkeit sind in den ästhetischen Praktiken rechtsorientierter Szenen enthalten.

Ästhetisierungsprozesse sind Teil des Modernisierungsprozesses, jedoch nicht nur in einem sich selbst zuwendenden „Routinemodus“ der Ästhetisierung des Alltags (ebd., S. 47), sondern sie reagieren auch auf die Krisen der modernen Gesellschaft und bilden damit einen Teil der (regressiven wie progressiven) Sozialkritik als ästhetische Kritik (ebd., S. 32). Es lassen sich zwei Formen der ästhetischen Kritik unterscheiden: die ästhetische Kritik gegen die Vorherrschaft der instrumentellen Vernunft sowie für eine Autonomie des Ästhetischen gegenüber den herrschenden Normen der zweckrationalen Notwendigkeit (ebd., S. 46). Die ästhetische Kritik erfolge in Form des „Subversionsmodus“ (ebd., S. 47).

Dieser „Subversionsmodus“ ist kennzeichnend für verschiedene historische Jugend- und Musikkulturen, die sich nach Helmut Fend immer wieder aufs Neue mit dem okzidentalen Rationalismus auseinandersetzen, der als ehernes Prinzip die Kultur der Moderne präge: „Im Prozeß der Vervollkommnung der Rationalisierung aller Lebensbereiche werden aber gleichzeitig die Spannungen verschärft, die aus der Entzauberung der Welt und aus der ‚Weltherrschaft der Unbrüderlichkeit‘ [sic!] resultieren. Daraus ergeben sich in den siebziger und achtziger Jahren heftige Ablehnungen des okzidentalen Rationalismus, und es entstehen Gegenkulturen, die an den Spannungsverhältnissen des okzidentalen Rationalismus zu einer personalen und gemeinschaftlichen Regelung menschlicher Verhältnisse im Sinne einer ‚substantiellen‘ Vernunft ansetzen“ (Fend 1988, S. 73, Hervorhebung im Original). Diese jugendlichen Gegenkulturen wurden zumeist als ästhetische Praxis auf der linken Seite vermutet, die ästhetische Revolte von rechts dagegen offenbar nicht gesehen – und noch weniger deren wechselseitige Bedingtheit.Footnote 5 Ausstieg aus dem Modernisierungsprozess und Rückbezug auf regressive Kulturen sind ein Merkmal rechtsorientierter und rechtsextremer Szenen.

Im Rahmen von Jugend- und Musikkulturen haben ästhetische Praktiken als Stilfragen seit jeher eine besondere Bedeutung und wurden mit sozialen Klasseninteressen verbunden (Hebdige 1979). Regressive und progressive Jugendkulturen wurden schon in den frühen ethnografischen Studien des Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies unterschieden (so etwa Rocker und Hippies, siehe Willis 1981). Der klassenspezifische Aspekt von Jugend- und Musikkulturen tritt im soziokulturellen Feld in der Folge jedoch zunehmend in den Hintergrund. Der ästhetische Aspekt des Stils wird dagegen zunehmend bedeutsamer.

Im Rahmen einer materialorientierten Kulturanalyse geht es darum, sich mit den ästhetischen Inszenierungen verschiedener Inhalte und Bezugsrahmen von Kultur und ihrer Medialisierungen auseinanderzusetzen. Dies ist bei der Betrachtung von Jugendkulturen und Szenen insofern zentral, da über materiale Ausdrucksformen und Medien Sinn und Bedeutungshorizonte symbolisch generiert werden (Böder et al. 2019, S. 2 ff.). Zur synästhetischen Erfahrung innerhalb einer Szene gehören Sounds und Klänge, Texte, Bilder und Audiovisualität, die einen gemeinsamen ästhetischen Erlebnisraum schaffen – die ästhetische Praxis der Instrumentenwahl der romantisierenden Akustik-Gitarre im Neofolk ist ebenso wenig Zufall wie die bewusst trashig-schrillen Gitarrenrasereien des Black Metal oder die brachial-lärmenden Maschinengeräusche des Industrial. Die Bühnenshows, häufiger im Black Metal, teilweise auch im Neofolk, sind radikale Performances und kreieren eine unheimliche, destruktive und apokalyptische Atmosphäre, in der Todesnähe und Naturverbundenheit sich miteinander verknüpfen – zentrale Elemente eines „Kitsches“, der schon im Nationalsozialismus hervorgebracht wurde (Friedländer 2007). Mithilfe ästhetischer Praktiken und kultureller Inszenierungen werden Atmosphären und Stimmungen erzeugt (Böhme 2020), die einen affektuellen Zugang zu einer Szene ermöglichen. Zu kurzgeschlossen ist eine affirmative Ineinssetzung der Inszenierungen auf der Vorderbühne mit den auf den Hinterbühnen intendierten Absichten, vor allem, wenn es um kulturelle Artefakte als Ausdruck einer ästhetischen Praxis geht. Viele Musiker*innen und Bands nutzen die Uneindeutigkeit ästhetischer Praktiken auf den Vorderbühnen, um die Hinterbühnen (als ästhetisches Konzept) zu verunklaren.

Die Uneindeutigkeit und bewusste Offenhaltung kontroverser Zeichen und Symbole ist Teil der ästhetischen Strategie. Neofolk, Black Metal, Dark Wave und andere Szenen greifen teilweise umfassend auf anti-moderne und irrationale Weltdeutungen, auf konservative, faschistische und nationalsozialistische Ideologien und Mythen zurück, wie sie in Philosophie, Literatur, Geschichte und Kunst zu finden sind (Stiglegger 2011, S. 81 ff.). In ihnen finden sich verschiedene Versatzstücke alter Geschichten und Sagen, die einen ästhetischen Reiz auszustrahlen scheinen und mit denen provoziert werden kann. Diese politisch sowie religiös aufgeladenen Elemente richten sich gegen Rationalität, Aufklärung und Sachlichkeit, sie richten sich gegen Gleichheit und Demokratie sowie gegen eine progressive Fortschrittsgläubigkeit der Moderne. Es handelt sich um regressive Ästhetisierungen, die als martialische Gefahr empfunden werden sollen und die mit den als tabuisiert wahrgenommenen Teilen der politischen und Kulturgeschichte spielen. Die ästhetischen Strategien und Praktiken beruhen nicht auf als flach wahrgenommenen Motiven der Popkultur, sondern kreieren einen bedrohlichen, als tief empfundenen Erlebnisraum, der Visualität, Textualität und Klänge/Sounds zu einem unheilvollen Wahrnehmungsphänomen verbindet und durch Zuspitzungen apokalyptische Atmosphären und Stimmungen erzeugt – wobei diese mit ihren kitschigen Anteilen auch Gefahr laufen können, als Performance zusammenzubrechen. Obwohl es sich zweifelsohne um radikale Inszenierungskontexte handelt, sind diese Motive und Sujets sowie ihre ästhetisch inszenierten Weltanschauungen keineswegs nur auf Neofolk, Darkwave, Black Metal und ähnliche Szenen beschränkt, sondern sie verweisen teilweise auf den Mainstream der Popkultur sowie auf gesellschaftliche Diskurse der Gegenwart; auch in letzteren werden rassistische und martialische Motive immer stärker aufgerufen und mit (un-)zweideutigen Umschreibungen ummantelt – worauf diese Szenen (un-)beabsichtigt aufmerksam machen (wollen).

Aus dieser „Faszination am Faschismus“ (Sontag 1990 [1974], S. 96–125) lässt sich eine beunruhigende, hoch brisante und unserer Auffassung nach selten gestellte Frage ableiten: Können neurechte und rechtsorientierte Popkulturen, gar extremistische rechte Ausdrucksformen in irgendeiner Form Kunst sein, und worauf ließe sich eine solche Einschätzung zurückführen? Eine rechte Elite aus Wissenschaftler*innen und Künstler*innen, prominent Martin Heidegger, Julius Evola, Miguel Serrano, Leni Riefenstahl u. v. a., haben ehedem den Nationalsozialismus und den Faschismus affirmativ begleitet, Richard Wagner förderte mit seinen mythen- und sagendurchsetzten Opern die imaginative Vorstellungswelt der nationalsozialistischen Elite und lieferte die audiovisuelle Klangvorlage für die opulente Selbstinszenierung der Nationalsozialisten. Kann dementsprechend ebenfalls rechtsorientierte Popkultur auf ästhetischen und künstlerischen Praktiken beruhenFootnote 6, die zur Kontemplation einladen, mehr noch und vor allem, wenn sie verbrämt mit religiösen Pathos arbeiten und Transzendenzerfahrungen anbieten, die in einer ästhetisch anspruchsvolleren, mitunter anspielungsreichen und entgegengesetzten künstlerischen Form wie dem „Noise“ (Hegarty 2007) daherkommen, ohne zugleich zu einer moralischen (Ver‑)Urteilung zu führen? Verbietet sich aber nicht aus naheliegenden Gründen eine solche goutierend wahrnehmende Haltung? Mit Blick auf den Historiker Ernst Nolte schreibt Fritzsche pointiert (1998a, S. 341): „So zeigt sich dieser Interpretationsansatz, der mit äußerstem Anspruch vorgetragen wird, von seinem Gegenstand unentrinnbar fasziniert und wird schließlich von ihm verschlungen. Die Summe ist eine im Wortsinn bodenlose Verdoppelung, Verzierung, Überhöhung des Faschismus, die ihn als blutige Realität auslöscht und in die Transzendenz eines dunklen philosophischen Jargons aufhebt, wo Ratlosigkeit alles, vieles möglich und außer der Sympathie des Betrachters wenig gewiß scheint“. Genau hierin liegt das offenkundige Problem: in der „Auslöschung der blutigen [historischen, C. H.; M. S.] Realität“ zugunsten einer „dunklen“ Ästhetisierungsstrategie. „Das Zeitalter der Extreme“ (Hobsbawm 1994) wird zur Motivvorlage (anti-)popkultureller Verarbeitungen.

4 (Alternative) Religiösität – Spiritualität, Okkultismus und Esoterik in Verbindung mit rechtsorientiertem Denken und Rechtsextremismus: Historische Bezugsrahmen und Hintergründe

Die Verbindung zwischen rechtsorientiertem Denken, Rechtsextremismus und Religion stellt nach Felix Wiedemann (2016, S. 511) ein Forschungsdesiderat dar. Das Verhältnis ist komplex und bezieht sich auf unterschiedliche Bereiche der Religion, des Religiösen und verschiedener, vor allem auch heidnischer Religionspraktiken, von den traditionellen Glaubensgemeinschaften bis hin zu neuen religiösen Bewegungen. Wiedemann nennt drei Aspekte, die dieses Verhältnis beinhaltet: „1. der religiöse Charakter der extremen Rechten selbst. 2. das Verhältnis der extremen Rechten zu existierenden Religionen oder religiösen Bewegungen. 3. das Verhältnis existierender Religionen oder religiöser Bewegungen zur extremen Rechten“ (ebd., S. 511).

Es gibt eine Kontinuität zwischen rechter Esoterik und der nationalsozialistischen Übernahme von Mythen nach 1945: „Darüber hinaus ist festzustellen, daß der mythologische Hintergrund des Nationalsozialismus mit Kriegsende keineswegs zu Ende ging, sondern in einem weitgehend unbeachteten Untergrund weiterlebte, der damit seiner Ideologie ‚geistige Tiefenbegründung‘ zu geben versucht. Legenden von ehemaligen ‚arischen Hochkulturen‘ sowie die Verklärung von Runen, Hakenkreuzen und Kultstätten zu erhabenen Zeichen einer nordischen ‚Urreligion‘ füllen Dutzende von Büchern, Zeitschriften, Videos und Internet-Seiten“ (Sünner 2009, S. 143). Für den infrage stehenden Zusammenhang der Verwendung religiöser und politischer Elemente in den ästhetischen Praktiken kultureller Inszenierungen rechtsorientierter und rechtsextremer Jugend- und Musikkulturen sowie ihrer Szenen scheinen einerseits der „religiöse Charakter der extremen Rechten“ sowie andererseits „das Verhältnis der extremen Rechten zu existierenden Religionen oder religiösen Bewegungen“ in einem spezifischen Sinne von Interesse zu sein. Die verwendeten religiösen sowie politischen Versatzstücke sind jedoch von Szene zu Szene unterschiedlich.

Der „religiöse Charakter des extremen Rechten“ speist sich aus der Inanspruchnahme von existierenden Elementen religiöser Heilsvorstellungen. Verschiedene historische Untersuchungen haben aber auch die Nähe des Nationalsozialismus zu esoterischem Denken und Okkultismus sowie anderer Formen des (alternativen) Religiösen herausgearbeitet (Doering-Manteuffel 2008, S. 191 ff.; dazu umfassend auch Sünner 2009; Goodrick-Clarke 2004, 2009) und gezeigt, welche Verbindungslinien zwischen Politik, Kultur und Okkultismus im 20. Jahrhundert existieren (Webb 2008). Es kursierten im Dritten Reich unterschiedliche Mythen, die sich vor allem auf Abstammung und Herkunft bezogen, zumeist jedoch wissenschaftlich fragwürdig waren oder widerlegt worden sind.

Das Politische wurde im Dritten Reich zu einem religiösen Erlösungsmoment stilisiert (Vondung 2013, S. 107–117). Auf diesem Weg kommt es zu entscheidenden Kämpfen zwischen Gut und Böse, hellen und dunklen Kräften, die auf einen apokalyptischen Endkampf zulaufen. Erlösung meint im nationalsozialistischen Sinne die Befreiung der „Nation“ oder „Volksgemeinschaft“ von ihren Feinden. Die Endkämpfe laufen im Nationalsozialismus auf einen Kampf der Rassen hinaus. Ursprünglich richteten sich apokalyptische Ideen an die (vermeintlich) Unterdrückten und Verfolgten: „Das zentrale Strukturmerkmal der Apokalypse ist die Verknüpfung von Untergang und Erneuerung, Vernichtung und Erlösung. Die Apokalypse entsteht in Krisensituationen, produziert von Menschen, die sich in ihrer gesamten Existenz – spirituell, gesellschaftlich, aber auch politisch – gefährdet und gedemütigt, unterdrückt und verfolgt empfinden. […] Jedenfalls leidet der apokalyptische Visionär an der Welt, und er sehnt sich nach Erlösung“ (ebd., S. 121). Kennzeichnend ist, dass nicht mehr ein Gott in die Apokalypse eingreift, sondern der Mensch oder soziale Gruppen: „Die moderne politische Apokalypse ist weder ‚rechts‘ noch ‚links‘; das apokalyptische Modell kann mit unterschiedlichen ideologischen Inhalt gefüllt werden“ (ebd., S. 124). Das apokalyptische Modell bietet Raum für Projektionen, die von antisemitischen und rassistischen Assoziationen bis hin zum Satanismus reichen können und ästhetisch verarbeitet werden.

Die Weltuntergangsfantasien der Nationalsozialisten wurden im Dritten Reich über „Edelkitsch“ verbreitet, und Tod sowie heldenhafter Opfergang bilden seine zentralen Elemente (Friedländer 2007, S. 16). Die ästhetischen Praktiken in den genannten Szenen schließen stellenweise daran an und können als Kitsch verstanden werden. Saul Friedländer spricht von einem neuen „Widerschein des Nazismus“ seit den 1960er-Jahren, in denen verstärkt auf diese Motive zurückgegriffen wird. Dies führe zu einer Kontinuierung rechtsorientierter Vorstellungswelten, in denen der Tod nicht als tatsächliches Ereignis, sondern überhöht erscheint. Nazismus und Tod stehen für Friedländer auf einer Ebene – „und zwar nicht mit dem wahren Tod in seinem alltäglichen Schrecken und seiner tragischen Banalität, sondern mit einem rituell verklärten, stilisierten und ästhetisierten Tod, der zwar als Sinnbild für Grauen, Zerfall und Entsetzen gemeint ist, aber letztlich als vergiftete Apotheose erscheint“ (ebd., S. 49).

Auch Okkultismus und esoterisches Denken sind ein weitläufiges Feld, das anfällig ist für rechtsorientierte sowie rechtsextreme Vereinnahmungen und auch die Sub- und Popkulturen berührt, um spirituelle Quellen anzuzapfen: „Es geht um Lebensenergie, um Einklang, Erlösung, Verwandlung oder verborgene, unsichtbare Kräfte. Esoterische Lehren versprechen, den Bannkreis des Rationalen zu öffnen und den Menschen von den Zwängen des Alltagslebens zu befreien. Viele folgen ihren Verlockungen“ (Doering-Manteuffel 2011, S. 8). Bekanntlich sind Szenen, Bands und Musiker*innen immer wieder diesen Verlockungen erlegen, sei es als praktizierter Lebensstil oder in ihrer ästhetischen Praxis, ohne jedoch den damit verbundenen polit-ideologischen Ballast zu übernehmen. Der darin angelegte Irrationalismus, der nicht einfach „ver-rückt“ ist, sondern einer inneren Logik folgt (Webb 2008, S. 41), ist Teil der modernen Welt, er ist dessen Antagonismus (ebd., S. 33). Die Szenen, ihre Musiker*innen und Bands, die im nächsten Kapitel exemplarisch vorgestellt und beschrieben werden, inszenieren vor diesem Hintergrund eine ablehnende bis nihilistische Haltung gegenüber der modernen Welt und ihren sozialen, kulturellen und politischen Errungenschaften (obwohl sie selbst deren Produkt sind).Footnote 7 In diesem Sinne folgen dem Säkularisierungsprozess, wie Knoblauch (2020, S. 17 f.) mit Bezugnahme auf Luckmann feststellt, Re-Sakralisierungsbewegungen, zu denen Spiritualismus und Okkultismus gehören, auf die man sich als Gegenkräfte zur modernen Welt zu berufen scheint. Das Okkulte als Ausdruck des Irrationalismus gibt Auskunft über den Zustand der modernen Gesellschaft: „Das Okkulte ist das Spiegelbild der Gesellschaft – es ist ein unentrinnbares Spiegelbild“ (ebd., S. 37).

Dieses Spiegelbild ist eher ein Kaleidoskop unterschiedlicher Richtungen, das sich instrumentalisieren lässt. Für Kocku von Stuckrad (2004, S. 218) gibt es eine Dialektik zwischen der „Rationalisierung der Religion und Lebenswelt einerseits und der Suche nach individuellem Heil und Resakralisierung des ungeteilten Kosmos andererseits“. In diese Dialektik stößt rechtsgerichtetes esoterisches Denken, das rassistisch und anti-religiös zugleich ist: „In diesen Zusammenhang gehört auch die Verflechtung von esoterischen und politischen Programmen des zwanzigsten Jahrhunderts. Wahrheits- und Erkenntnisansprüche, die jenseits der jüdisch-christlichen Überlieferung gesucht wurden, konnten sich leicht mit völkischem oder ‚germanischem‘ Gedankengut verbinden. Die Allianz von antisemitischen und antichristlichen Strömungen mit rassistischen Theorien – die ihrerseits auf theosophische Ideen zurückgreifen konnten – führte im Nationalsozialismus zu einer politischen Ideologie, die vielfach von esoterischen und okkulten Motiven Gebrauch machte“ (ebd., S. 218–219).

Die Ursprünge des (völkischen) Okkultismus und des Mystizismus lassen sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen und werden als Reaktion auf die als „kalt“ empfundene Moderne verstanden, in der die Naturwissenschaften sowie die kapitalistische Rationalität alle Lebensbereiche durchdringen (Doering-Manteuffel 2008, S. 193) und die sozialen Ordnungen neu hergestellt werden. Ebenso lassen sich diese Geheimlehren als Widerpart zum politischen Liberalismus und dem Historismus als progressives Fortschrittsdenken begreifen (Doering-Manteuffel 2019, S. 173), die auch von Seiten der so genannten ‚Konservativen Revolution‘ angegriffen wurden (Fritzsche 1998b, S. 285 ff.), auf deren damalige Vertreter sich Teile der in Frage stehenden Jugendkulturen und Szenen beziehen. Der auf Helena Petrowna Blavatsky (1831–1891) zurückgehende völkische Okkultismus inspirierte Heinrich Himmler und seinen esoterisch ausgerichteten Rassismus, der verschiedene geistige Strömungen der 1920er-Jahre aufsog (Doering-Manteuffel 2008, S. 196). Trotz schwerster Menschheitsverbrechen und der Ermordung von Millionen von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer politischen Einstellungen und ihrer sexuellen Orientierung wirken arische Kulte und der esoterische NS-Underground in vielerlei Gestalt international auch nach 1945 bis heute sowohl in intellektuellen Kreisen als auch in der Popkultur nach und sind krude Antworten auf „Verunsicherungen, denen die moderne Welt sie aussetzt“ (Goodrick-Clarke 2009, S. 10). Die verschiedenen Kulte leben in den ästhetischen Praktiken der Sub- und Popkulturen fort, die als „Okkultur“ bezeichnet werden können (Stiglegger 2021, S. 29). Dies belegen seit einigen Jahren etwa die in Berlin und Prag stattfindenden ‚Occulture Conferences‘.

Im Kontext der Szenen werden religiöse Zeichen und Symbole aufgegriffen und bedeutungsvoll aufgeladen, teilweise, um sie zu (über-)affirmieren, teilweise, um ein blasphemisches Spiel mit ihnen zu treiben. Auch wenn Religion und Kunst auf Selbstzweckhaftigkeit beruhen, „können sowohl das Heilige als auch das Ästhetische instrumentalisiert werden“ (Krech 2018, S. 790). Um dieses Verhältnis weiter zu beleuchten und die Generierung von Bedeutungen zu analysieren, muss zugestanden werden, dass die kulturellen Artefakte von Szenen und deren Musik grundsätzlich als ästhetische Praxis zu begreifen sind und ästhetischen Maßstäben folgen (Fuhr 2007; von Appen 2007).

Inwiefern spielen religiöse Bezugsrahmen eine Rolle in Jugend- und Musikkulturen und ihren Szenen? Weder substantialistische noch funktionalistische Ansätze von Religion scheinen geeignet zu sein, die kulturelle Inszenierung von Jugend- und Musikkulturen und ihrer Szenen im Spannungsfeld von Religiösität und rechtsextremistischen Elementen zu beschreiben. Rechtsorientierte und extremistische Bezugnahme auf Religion folgt keinem einheitlichen System, sie bewegt sich im Vagen. Die Bezugnahme beinhaltet vielmehr den Rückgriff auf synkretistische und alternative Formen religiöser Sinnelemente (Krech 1999, S. 68), die sich auf Okkultismus und Esoterik berufen, da in ihnen sowohl Ausdruck individueller Stärke sowie eine Vorstellung von Auserwähltheit und Exklusivität gesehen wird. In der Vorstellung der extremen Rechten werden überdies die Grenzen von Religion und Politik aufgehoben und einige Komponenten der Ideologie wie „Volk“, „Rasse“, „Blut“ und „Nation“ metaphysisch aufgeladen, womit ihnen eine transzendierende und individualisierende Kraft zugeschrieben wird (Wiedemann 2016, S. 514). Die „rechtsextreme Eschatologie“ äußert sich besonders in der „lyrischen Sprache“ des Rechtrock (ebd., S. 515), die selbstsuggestiv offenbar die eigene Exklusivität zu beschwören versucht.

5 Vom Industrial über den Neofolk zum Black Metal: Bezugsrahmen und Verschmelzung von Esoterik und Okkultismus mit rechtsgerichteten Ideologien im Musik-Underground

In welchen (musikbasierten) Jugend- bzw. Subkulturen spielt die spezifische Verbindung von Religion und rechter Politik nun eine Rolle? Im Folgenden wollen wir einige Musikgenres mit subkultureller Ausformung in der Popkultur kommentieren, in denen es zu einer Verschmelzung von Religion, Okkultismus und Esoterik mit rechtsgerichteten Ideologien kam bzw. kommt.Footnote 8

Die Gothic-Subkultur, die in den frühen 1980er-Jahren zunächst als Abspaltung von der Punk-Szene entstand, schmückte sich von jeher mit der Ikonografie der schwarzen Romantik des 19. Jahrhunderts, denn „gothic“ bedeutet im Englischen nicht nur „gotisch“, sondern ganz grundsätzlich mittelalterlich, unheimlich und mystisch. Es verwundert also kaum, dass die Stammes-Symbole der Gothic-Szene genau jene Symbole sind, die in der literarischen gothic fiction und deren filmischen Erben (den erfolgreichen und bis heute ikonischen Universal-Horror-Produktionen der 1930er- und 40er-Jahre etwa) etabliert wurden: lange, wallende Gewänder, schwarze Gehröcke, Korsetts, Gehstöcke mit silbernem Knauf, Grabkreuze, Rosenkränze, dunkles Augen-Makeup und blasse Haut, Totenköpfe, Fledermäuse, Spinnweben und die Schauplätze des memento mori: Ruinen und Friedhöfe (Stiglegger 2011, S. 62 ff.). Der Gothic Rock ist in diesem Kontext ebenso ein Postpunk-Phänomen der frühen 1980er-Jahre (bis heute) und fasst jene Bands zusammen, die inspiriert von Joy Division und im Gefolge der britischen Formationen Bauhaus, Sisters of Mercy und Siouxsie and the Banshees einer düsteren Form von Gitarrenrock huldigen. In den Texten kommen mythische und mystische Elemente zum Tragen, auch explizite Bezüge zum Christentum finden sich in Themen und Symbolen wieder. Einige Bands wie The Cult aus England oder Christian Death aus Kalifornien nutzten zeitweise Symbole aus der Nazi-Ära, doch nicht in einem klaren oder gar affirmativen Gestus (ebd., S. 87). Die einzige bekanntere Band aus diesem Genre, die durch ihren eingestanden rechtsgerichteten Frontmann Josef Klumb politische Aspekte in die sonnenmythologischen Songs einbaute, war Forthcoming Fire aus Deutschland. Sie war aus der Postpunk-Band Circle of Sig Tiu entstanden, die sich namentlich auf die Sieg-Rune und die Tyr-Rune bezog. Klumbs Projekte vereinen alle Aspekte der ästhetischen Praxis nach Reckwitz (2019, S. 25–29): Sie sind hochgradig selbstreferenziell, bauen auf eine Erlebnispraxis des Performativen, sind affektuell aufgeladen, stellen Interpretation über Information und kultivieren eine irritierende Mehrdeutigkeit, mit der auch eine meist unpolitisch agierende Jugendkultur unterwandert werden konnte. Es lässt sich jedoch kaum annehmen, dass von Klumbs Bands ein ernstzunehmender langfristiger Einfluss auf das Gothic-Publikum ausging (Lindke in Speit 2002, S. 247 f.).

Eine personelle Verbindung besteht zur so genannten Neuen Deutschen Härte, jener deutschsprachigen harten Metalmusik, die im Gefolge von Rammstein seit Mitte der 1990er-Jahre entstand: Josef Klumb gründete die Band Weißglut, die sonnenmythologische Themen in einen härteren Sound überführte. Nach dem Debütalbum „Etwas kommt in deine Welt“ trennte man sich jedoch von dem in Interviews offen rechts argumentierenden Sänger. Dieser bezog sich wiederholt auf den radikalen, der Pius-Bruderschaft nahestehenden Katholiken Hans Milch, mischte die römisch-katholischen Ansätze eines konservativen Christentums mit nordischer Symbolik (wiederum tauchte die sonnenbezogene S‑Rune im Bandlogo auf), promotete den rechtsaktivistischen Esoterik- und Verschwörungstheorieverlag VAWS (Verlag und Agentur Hans Werner Symanek) und vertrat einige Verschwörungsideen auch in Interviews (Lindke 2002, S. 248 ff.). Dazu kam ein deutsch-nationaler Bezug, der von jener Mischung aus Religion und Rechtsextremismus zehrte, der weiter oben von Wiedemann (2016, S. 511) bereits angesprochen worden ist. Nach dem Ausscheiden bei Weissglut widmete sich Klumb seiner Band Von Thronstahl, die wiederum dieselben Themen und Symbole mit einer neuen stilistischen Mischung verband: Experimentelle Sample-Collagen (mit Auszügen aus der faschistischen Ideologie), neoklassische Arrangements, etwas Rock und gelegentlich eine melancholische Akustikgitarre sprachen nun ein internationales Publikum aus rechtsoffenen Teilen der Gothic-Szene, dem Industrial und Black Metal an (Speit 2002, S. 8 f.). Dies sind zugleich jene Genres, die vergleichsweise offen für rechte Esoterik, Religion und reaktionäre Politik sind.

Musikhistorisch ist die Industrial Culture ebenfalls in der Postpunk-Ära zu verorten, sie orientiert sich aber auch an den Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Initiiert von der britischen Band Throbbing Gristle begriff man Popkultur als gleichschaltende Industrie und wähnte sich im medialen Kampf um Information (Savage in Vale und Juno 1983, S. 4 f.). Mit experimenteller Elektronik, brachialen Vocals, ironischen und zynischen Kontrasten und provokativer Bildwelt schöpfte man aus unterschiedlichen Traditionen, auch der Nazi-Ästhetik und der Religion. Die Industrial-Culture ist gegenüber der Gothic-Szene weniger rückwärtsgewandt als dezidiert modernistisch ausgerichtet, obwohl auch sie sich als Anti-Pop versteht. Ihre Reflexion der modernen Lebenswirklichkeit – Entindividualisierung, Entfremdung, Kälte, Mechanisierung, Technokratie, Terrorismus, Zensur – fand eine wesentlich weniger eindeutige Veräußerlichung als die Gothic-Szene und ließ sich deshalb auch jahrzehntelang nicht auf modische Aspekte reduzieren (Vale und Juno 1983, S. 9 ff.). Dennoch tauchen in der Selbstdarstellung der frühen Industrial-Musiker Genesis P‑Orridge (Throbbing Gristle), Graeme Revell (S.P.K.) und Boyd Rice (NON) regelmäßig Versatzstücke von totalitärer Ikonografie und „Nazi Chic“ auf: Reitstiefel, Breeches, Uniformjacken, Runen, SS- und Panzer-Totenköpfe, Feld- und Schirmmützen, Tarnmuster usw. (Stiglegger 2011, S. 69 ff.). Seit den frühen 1980er-Jahren haben immer wieder Fans diesen Gestus nachgeahmt und modische Impulse daraus bezogen. Doch letztlich spiegelte sich darin vor allem ein Postpunk-Gestus der Auflehnung gegen das Establishment der Gesellschaft, die mit ihrem eigenen Feindbild konfrontiert werden soll. Diese Strategien waren meist unterschiedlich einzuschätzen. So entstand aus Throbbing Gristle der esoterische Temple of Psychick Youth und das neuheidnische Musiker-Duo Coil. Als US-Pionier der Industrial Culture war es Boyd Rice mit seinem Projekt NON, der sehr früh in seiner Selbstdarstellung Satanismus, Faschismus, Heidentum und christliche Mystik zusammenbrachte und dabei bis heute von dem weltweit populären Label Mute unterstützt wird. Obwohl er damit innerhalb der Szene ein umstrittener Außenseiter blieb, beeinflusst er andere extreme Bands, die eine ähnliche Tendenz pflegen. Er war mit seiner widersprüchlichen Mischung u. a. ein Einfluss auf Von Thronstahl.

Die eigentliche Popularisierung der zunächst marginalen Subkulturgesten erfolgte erst in den nächsten Generationen, die die Gothic‑, Postpunk- und Industrial-Szene gegen Ende der 1980er-Jahre in einem Metakontext zusammenführten und den Eindruck einer vielgesichtigen schwarzen (im Sinne von düsteren) Subkultur erzeugten. Stücke von Gothic-Rock‑, Industrial‑, Mittelalter- und Postpunk-Bands wurden in denselben Clubs gespielt, und die Musiker unterschiedlichster Genres traten zu jener Zeit gemeinsam auf Festivals auf, zum Beispiel dem Bizarre-Festival an der Loreley (später in Köln) oder den frühen Varianten des Wave-Gotik-Treffens in Leipzig. Diese gegenseitige Durchdringung der schwarzen Subkulturen popularisierte auch die tabuisierten Symbole und Kleidungsstücke, sodass die Musikfans neben Mittelalter-Kleidern und Lederjacken gelegentlich auch Flecktarnjacken und Schirmmützen, neben silbernen Rosenkränzen auch Runen und SS-Totenköpfe trugen. Diese Mischung von subkulturellen Gruppen, die vor allem der düster-morbide Blick auf die moderne Welt verband, splitterte sich jedoch bereits Mitte der 1990er-Jahre langsam in die unterschiedlichsten Subgenres auf, während für die Öffentlichkeit vor allem die stete Popularisierung eines schwarzen Mainstreams bemerkbar wurde. Die kleineren schwarzen Splittergruppen indes radikalisierten ihren jeweiligen Stil hinsichtlich Musik, Schmuck und Kleidung. Unter starken Einflüssen aus den neuen Bundesländer formierten sich (Sub‑)Subkulturen wie Neofolk und Post-Industrial. Während die Fans der Throbbing-Gristle-Erben sich an harschen Noise-Wällen mit autoritärem Schreigesang berauschten und durch Kurzhaarschnitt und militante Streetwear auffielen, die teilweise aus der Mode der Skinheads und Hooligans leicht abgewandelt übernommen wurde, schwelgten die Anhänger*innen des melancholischen Neofolk in von Akustikgitarren getragenen sehnsuchtsvollen, sonoren Liedern, zu denen sie Tarnjacken, Schulterriemen, hohe Stiefel, lederne Kartentaschen, Runenschmuck und Feldmützen in die Clubs trugen. Beide Gruppen, die mitunter auf denselben Musik-Veranstaltungen zu finden waren, erregten in ihrer modischen Hochphase auf großen Festivals wie dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig im Jahr 2000 viel Aufsehen, da sie – anders als das punkig-bizarre Gothic-Publikum – eher an Besucher*innen eines Nazi-Aufmarsches erinnerten und Nichteingeweihte nachhaltig verstörten (Speit 2002, S. 8 f.), aber noch immer deutlich die fünf Aspekte ästhetischer Praxis nach Reckwitz repräsentierten. Was als revoltierendes Spiel mit dem tabuisierten Feuer gedacht war, trug vorhersehbare, wenn auch eher unangenehme Früchte: Linkspolitisch motivierte Gruppen stuften diesen Teil der schwarzen Subkultur als deren „rechten Rand“ ein und riefen zum Boykott von Neofolk- und Martial-Industrial-Konzerten auf. In einigen Fällen konnten die städtischen Verwaltungen von der politischen Bedenklichkeit dieser Sub-Subkulturen überzeugt werden, die wiederum diese Forderungen unterstützten (Stiglegger 2011, S. 80 und 99).

Die Musikgenres, die Religion und reaktionäre Politik am ehesten verschmelzen, sind Neofolk und Black Metal. Neofolk ist ein Begriff, der auf dem britischen Apokalyptic Folk aufbaut und der von Bands wie Death in June, Current 93 und Sol Invictus geprägt wurde. Diese personell eng verbundenen Londoner Musiker*innen waren inspiriert von Punk und Industrial, suchten jedoch mit minimalistischen Mitteln nach neuen Ausdrucksformen für eine existenzielle Finsternis, durchzogen von Okkultismus, Heidentum, devianter Sexualität (Fetischismus, BDSM) und faschistischen Fragmenten. Bezüge zu politischem Aktivismus lassen sich hier nur selten feststellen, meist begrenzt auf bestimmte Phasen. So war Tony Wakeford zeitweise für die britische National Front aktiv, bevor er mit dem Chaosmagier und Runenkundler Ian Read die Folkband Sol Invictus gründete. Später distanzierte sich Wakeford nachdrücklich von dieser Vergangenheit (Wakeford 1994, S. 145), auch wenn sie in frühen Songs („Looking for Europe“, „Blood Against Gold“, „Media“) noch zu erahnen ist (Dornbusch in Speit 2002, S. 129 ff.). Während Current 93 sich ganz dem buddhistischen und koptischen Mystizismus widmeten, ging Death in June den okkult und politisch hoch codierten Weg noch Jahrzehnte weiter und inspirierte nach 1990 u. a. eine oft deutschsprachige Variante dieser düsteren Folkmusik, die bis heute Neofolk genannt wird. Die bekannteste Formation hier ist Orplid aus Halle, die mit ihrer martialischen neoromantischen Lyrik an die völkische Bewegung vor den Weltkriegen anknüpft und von dort auch heidnische Elemente übernimmt. Immer wieder finden sich auf Orplids Alben auch explizite politische Bezüge und Aussagen (Naumann und Schwarz in Speit 2002, S. 175), so auch zur Flüchtlingskrise von 2015 („Deutschland 2016“, „Bald kommt der Krieg in dein Haus“, beide vom programmatisch betitelten Album „Deus vult“, 2020). Orplid sind in der neurechten Identitären Bewegung oft genannt: So bezog sich der österreichische Identitäre Martin Sellner in seinem inzwischen gelöschten YouTube-Videoblog auf Neofolk allgemein, Orplid, Forseti und andere Bands im Besonderen; die Identitäre Melanie Schmitz aus Halle coverte deutsche und englischsprachige Neofolksongs von Von Thronstahl und Death in June auf ihrem YouTube-Kanal und auf Liveevents der Neuen Rechten wie dem „Orphischen Kreis“ (2018). Orplid pflegen selbst persönliche Kontakte in diese Kreise, was in Interviews nicht verheimlicht wird, bei konkreten Nachfragen aber doch meist abgestritten oder relativiert wird.Footnote 9

Politisch wesentlich weiter geht die völkisch-rassistisch motivierte Band Überfolk aus den USA, die aus der Nazirockband RaHoWa („Racial Holy War“) um George Burdi entstand und mit dem aufwändig orchestral produzierten Album „Music for Nations“ einen neoklassischen Pathos der ‚arischen Selbsterhöhung‘ und „superhuman legacy“ kultiviert (Zitat aus dem Song „Supernatural Fires“, Album „Revolt Against the Modern World“, 2020). Gerade die musikalisch betont harmonischen Bands aus dem Neofolk-Umfeld sprechen ein sehr diverses Publikum an (u. a. aus der Gothic- und Metalszene), wobei die problematischen Tendenzen meist zumindest hingenommen werden: „Neofolk ist insgesamt jedoch eher an der spinnerten neuheidnischen Esoterik eines Heinrich Himmler als an NS-Realpolitik interessiert. Als politisch rechts oder überhaupt als politisch dürften sich die wenigsten dieser Nischenszene begreifen“ (Peltsch und Niemczyk 2019). Man kann also nicht davon ausgehen, dass die Fans dieser Bands in jedem Fall alle Inhalte teilen. Doch sofern personelle Bezüge zu politischen und religiösen Gruppierungen bestehen, ist die Mischung aus (neuheidnischer) Religion und rechtsgerichteter Politik in diesen Bands nicht zu bestreiten.

Deutlich werden diese personellen Verbindungen von Musik, Religion und Politik auch im Black Metal nach 1990. Im True Norwegian Black Metal ist es vor allem Varg Vikernes mit seinem Projekt Burzum, der diese Mischung explizit vertritt, auch wenn die Musik und die Lyrics tatsächlich keine nennenswerten politischen Bezüge enthalten. Vikernes sieht sich selbst als einen militanten nordischen Heiden, der gegen den abrahamitischen Monotheismus antrete und eine nordisch-europäische Kultur gegen äußere Einflüsse verteidige (Vikernes in Moynihan und Soderlind 2002, S. 174 ff.). Diese Aussagen finden sich auf der offiziellen Webseite und in dem langjährigen (inzwischen gelöschten) YouTube-Blog „Thulean Perspectives“, aus dem u. a. Bücher über nordische Mythologie entstanden sind. Vikernes ist zudem ein verurteilter Mörder und Kirchenbrandstifter. Auch Burzum zehrt von der Mehrdeutigkeit und hat Fans aus unterschiedlichen Richtungen, vom reinen Musikhörer bis zum Neonazi, zumal die Alben die Aussagen nur sehr diffus transportieren (Patterson 2017, S. 271 ff.).

Deutlich extremer findet sich die Mischung aus nordischem Heidentum, Rassismus und rechtsextremer Politik bei der deutschen Band Absurd um Hendrik Möbus, dem verurteilten „Satansmörder“ aus Sondershausen. Hier mischen sich satanistische Motive, antisemitische Propaganda und reale Verbrechen in einer Person, die sich ihrer Haftstrafe durch Flucht in die USA entziehen wollte, wo bereits Kontakte zu Neonazis bestanden (Moynihan und Soderlind 2002, S. 289 ff.). Absurd ist eine im Black Metal bis heute umstrittene, aber teilweise einflussreiche Band, die prototypisch für den Begriff NSBM (National Socialist Black Metal) steht und von zahlreichen Neonazis gehört wird. Vor allem Black Metal ist berühmt für die Vermischung okkulter, antichristlicher und faschistischer Ikonografie. Ob die nordischen Runen, Thorshämmer usw. hier als völkisches, politisches oder mythologisches Statement verwendet werden, wird bewusst verschleiert (Höpflinger in Chaker et al. 2018, S. 67 ff.).

Die Auseinandersetzung mit autoritären und faschistischen Systemen des 20. Jahrhunderts ist noch immer eine wichtige Aufgabe der zeitgenössischen Kunst. Diese Auseinandersetzung kann in Form einer expliziten Anklage geführt werden, was eine klare Polarität von Darstellung und Dargestelltem bedingt. Oder das Kunstwerk kann sich einer Ambivalenz bedienen, das heißt, es arbeitet mit der scheinbaren Affirmation totalitärer Phänomene durch Aussagen, performative Gesten oder äußerliche Ästhetik, um den Rezipienten zu einer konstruktiven Auseinandersetzung zu provozieren. Die britische Band Death in June verwendet historische Uniformen und neuheidnische Konzepte in ihren Shows als eine Art negativer Poesie (dokumentiert in Diesel und Gerten 2005, S. 78 ff.; Chimenti 2012). Daher kommt es bei ihnen zu einer sehr starken Kopplung von sexueller, militaristischer, religiöser und lyrischer Symbolik: Tarnkleidung, Masken, heidnische und okkulte Symbole, schwarzromantische (homoerotische) Liebeslieder usw. Die oft kritisierten nationalsozialistischen Motive (Artwork auf Albumcovern, authentische Uniformen, SA-Dolche, der SS-Totenkopf im Bandlogo) werden also in den performativen Kontext übertragen und somit weitgehend enthistorisiert und entpolitisiert. Diese Kulturtechnik kann – im Umkehrschluss – sehr leicht als Romantisierung oder Mystifizierung dieser historischen Elemente interpretiert werden, was den Verdacht der Affirmation nahelegen würde. Die Frage ist jedoch weniger: Was sagen Death in June damit über Politik aus? als vielmehr: Was entsteht aus dieser eigentlich unverträglichen Mischung aus Militarismus, Homosexualität, Mystik, Weltschmerz und Romantik? Death in June werden vor allem dann missverständlich, wenn man ihr monströses schwarzromantisches Kabarett in der Rezeption wieder politisch auflädt. Von einer affirmativen Mystifizierung kann jedoch nicht die Rede sein, wenn man nicht lediglich einzelne Textzeilen aus dem Zusammenhang löst. Vielmehr finden sich neben den oft zitierten kontroversen Elementen auch zahlreiche konkrete und unmissverständliche Anklagen unter anderem gegen Krieg und Völkermord („Heaven Street“), Kolonialismus („Little Black Baby“), Sexismus („In the Nighttime“) sowie christlichen Fanatismus („Holy Water“) in den Liedern von Death in June, woraus ein komplexes künstlerisches Bild entsteht. Den Musiker*innen an dieser Stelle die Verwendung zweifellos vorbelasteter historischer Symbole vorzuwerfen, greift zu kurz, denn aus dem Tabubruch in Verbindung mit der Neucodierung entsteht eine eigene künstlerische Strategie. Es ist zu vermuten, dass der Skandal hier vor allem darin besteht, dass diese Strategie den oft angenommenen linken Status der Popkultur in Frage zu stellen scheint.

Die Selbstdarstellung von Death in June bezieht sich neben dem Militarismus des „Dritten Reiches“ primär auf die Ende des 19. Jahrhunderts als pseudogermanischer und völkischer Retrokult konstituierte Runenmagie (Guido von List ist hier als Vordenker zu nennen). Bereits in den 1980er-Jahren etablierte die Band Symbole, die seither große Verbreitung in der Neofolk-Szene und der Industrial-Szene gefunden haben: die Algiz- oder Lebensrune, die Odal- oder Heimatrune, das Wolfskreuz (auch: Wolfsangel), der Thorshammer – später kommt die sog. ‚Schwarze Sonne‘ der Wewelsburg als Bühnendekoration hinzu. Hier finden sich zahlreiche Überschneidungen zur Ikonografie der neuheidnischen Szene insgesamt, der Neonazi-Szene sowie der Black-Metal- und Viking-Metal-Subkulturen. Daher sind diese heidnischen Symbole zweifellos mit der Aura des Machtvollen, Totalitären und Antimodernen behaftet. Selbst wenn sich die Träger dieser Symbole explizit von totalitärem Gedankengut distanzieren, müssen sie damit rechnen, dass ein/e außenstehende/r Betrachter*in diese Symbole als Provokation wahrnimmt. In den schwarzromantischen Subkulturen wurden sie – ungeachtet ihrer okkulten Bedeutungen – zunächst zu Zeichen des Protests gegen eine konsumorientierte Popkultur. Ihr soll okkultes Geheimwissen, elitäre Gesinnung und weltanschauliche Tiefgründigkeit entgegengehalten werden, zunächst in Form einer Pseudoreligion, die vor allem aus Symbol und Form besteht, sich diese Formen jedoch mit der völkischen Bewegung und der Nazi-Ära teilen muss. Es lässt sich jedoch kaum allgemeingültig ermitteln, inwieweit solche Ideen und Ambitionen ernst zu nehmen sind oder sich ihrerseits in der performativen Anti-Pop-Geste erschöpfen.

Kevin Sodergren untersucht in seinem Essay „Religion, Rebellion, Erneuerung“ die Neofolk-Szene „im Kontext der Postmoderne“ (2008, S. 28 ff.) und kommt zu einem Befund, der die oft oberflächliche und moralisch determinierte Kritik an diesem Phänomen auf den Punkt bringt: „Auf dem heutigen Stand ist Neofolk eine andauernde Besessenheit von Hobbyuntersuchungen und historischer Wiederholung, unfähig, mit der postmodernen Welt der Hyperrealität und Zerstückelung, der Globalisierung und dem post-industriellen Kapitalismus klarzukommen“ (Sodergren 2008, S. 28). Er sieht im Neofolk das zyklische Psychodrama der „Inneren Emigration“, das man unter anderem dem Schriftsteller Ernst Jünger nachsagte, der als kulturelle Ikone selbst zum Fetisch jener Subkultur erhoben wurde. Dieser Umstand führt zu der Erkenntnis, dass die Neofolk-Szene selbstbewusst antimodern ist, während sie keine ernstzunehmenden Vorstellungen von einer Alternative zur Moderne zu bieten hat. Ihre Symbole und Fetische bleiben der erstarrte Gestus einer Revolte der Unzufriedenen, der nur noch auf sich selbst verweist und den Tabubruch selbst schon als Erfolg feiert. Auch die Hinwendung zu einer heidnischen Spiritualität kann hier als leere Geste eines „Aufstands gegen die moderne Welt“ im Sinne des rechten Philosophen Julius Evola gesehen werden, die zugleich näher an völkischen Wunschbildern rangiert als an einer komplexen eigenständigen Weltsicht. Methörner, Julleuchter und Runenschmuck sind dabei zunächst einmal nur eine Form, derer sich jeder bedienen kann.

Die Post-Industrial-Szene dagegen kann als modern gelten in ihrer schonungslosen Auseinandersetzung mit den Verwundungen durch die industriell-kapitalistische Gesellschaft, gegen die sie in aggressiven Performances mit erhobener Faust und verzerrtem Kampfschrei aufbegehrt – doch auch sie erstarrt in der Geste der Revolte. Die Zeit hat beide Subkulturen überholt, und es entspricht einer inneren Logik, dass sich Fans von Neofolk und Post-Industrial nun vor allem in der virtuellen Welt begegnen: in ihren Blogs und Internetradios, auf Facebook-Profilen, in Interessengruppen und auf Fanseiten. Dabei haben sie den gewünschten Kulturterrorismus wiederum in der martialischen Geste bestehen lassen und sind zufrieden mit der regelmäßigen Löschung ihrer Web-Accounts, die den Hass auf die Unfreiheit der von ihnen sogenannten „political correctness“ noch mehr schürt. Auf den Schmerz des kalkulierten Tabubruchs folgten die Feier des eigenen Konservatismus und das Lamentieren über das Unverständnis und die Intoleranz einer Gesellschaft, die zumindest manchmal noch reagiert: auf den Tabubruch (Stiglegger 2011, S. 95).

6 Fazit

Die vordergründige kulturelle Inszenierung von rechtsorientierter Ästhetik und Inhalten in Verbindung mit Religiösität und Spiritualität, die sich aus verschiedenen historischen Quellen speist, lässt sich nicht auf einen konkreten oder eindeutigen Nenner bringen. Ebenso wenig lassen sich aus den von uns kommentierten Jugendkulturen und Szenen eindeutige politische Forderungen oder Einstellungen seitens der Musiker*innen, Bands oder Szene-Angehörigen ableiten, die über die Inszenierungen hinausgehen – mit Ausnahme der dementsprechend beschriebenen Bands und Musiker*innen. Was sie verbindet, ist einerseits die Ablehnung der modernen und pluralen Welt, andererseits ihre anti-popkulturelle Haltung. Das Religiöse wie auch das Politische verschmelzen im Formenspiel einer Transzendenz, die Kraft, Stärke und Autonomie zu versprechen scheint. Die Inszenierungen verdichten sich in atmosphärischen Erlebenswelten, die politisch anfällig für Vereinnahmungen sind (und politisch, sei es von einzelnen Musiker*innen und Bands, sei es von politischen Gruppen wie der Identitären Bewegung oder der AfD, auch tatsächlich vereinnahmt werden). Diese Vereinnahmungen sind aber keine zwingende Folge. Es ist ein makabres Spiel der Unzufriedenen. Dass die Szenen Kritik auf sich ziehen, ist Teil der Strategie, und der Vorwurf, rechts zu sein, wird billigend in Kauf genommen oder klammheimlich vertreten. Die Provokation einer Kontroverse ist Teil des Konzepts. Die mitunter platten politischen Vereinnahmungsversuche werden zumindest den kulturell avancierteren Inszenierungen und Performances nicht gerecht, die, wie oben beschrieben, weniger politische als künstlerische Strategien zur Verunsicherung des Publikums verfolgen. Das partielle Entern der Popkultur von rechts ist ein Phänomen, das sämtliche Jugendkulturen und Szenen mittlerweile ereilt hat – vom Hip Hop (siehe etwa den Song „Europa“ der Band Komplott, eine Hymne der Identitären) über Popsongs („Adler“ von Runa feat. Proto) bis zum Techno (in Form des „Gabber“).

Die kommentierten heterogenen schwarzen Szene(n) sind diffus und bedienen sich aus den unterschiedlichsten okkulten und esoterischen Sinnquellen. Die Diffusion und Mehrdeutigkeit im Sinne von Reckwitz ist Teil des kulturell-ästhetischen Spiels der Zeichen, um sich einer Einordnung zu entziehen oder sich bewusst nach allen Seiten hin offen zu halten. Es handelt sich daher meist nicht um geschlossene neonazistische oder rechtsextreme Gruppen, sondern in den Jugendkulturen und Szenen tummeln sich Anhänger*innen verschiedener Couleur mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund und Einstellungen. Es werden Auswege aus der Mainstream-Popkultur gesucht, indem möglichst abseitige historisch-kulturelle Entwürfe, so abstrus sie auch seien, ausgesucht werden. Dass sich darin Misanthropie und historische Querverweise zu Faschismus und Nationalsozialismus zeigen, ist Teil der kulturellen Strategie. Ob dies tatsächlich auf politische Radikalisierungen mit religiösem Sendungsbewusstsein verweist, lässt sich abschließend nicht beantworten – ist aber eher zweifelhaft. Unter moralischen Gesichtspunkten ist es geschmacklos; jedoch wäre es auch verkehrt, nicht zu erkennen, dass Inhumanität und Destruktivität Teil der modernen Gesellschaft sind, in deren Namen zahlreiche Kriege bestritten oder unterstützt worden sind, die den Bezugsrahmen mancher Inszenierungen darstellen. Insofern ist bei einer kritischen Beurteilung von Jugendkulturen und Szenen zu beachten, dass diese nicht bloße Verirrungen eines Teils der Jugendlichen sind, sondern eine Reaktion auf gesellschaftliche Bedingungen und Missstände, die auf das kollektive Unbewusste und Verdrängte verweisen können.

Die Verbindung zum Religiösen ergibt sich einerseits aus der tatsächlichen symbolischen Aufladung und Überhöhung nazistischer Ideologie und Begrifflichkeiten, andererseits durch die Sakralisierung kultureller Praktiken (z. B. Sommersonnenwend-Feiern, Nutzung verschiedener Runen, Aufsuchen besonderer Orte etc.). Um die Zeichen und Symbole wird insofern gerungen, da sie historisch stark von rechten bzw. rechtsextremen Strömungen vereinnahmt werden, jedoch nicht per se rechts sein müssen, sondern Anschlüsse auch an die linke (esoterische) Szene erlauben.

Die unserer Auffassung nach interessantesten, aber auch beunruhigenden Fragen konnten nur angeschnitten werden und verdienten es, weiter diskutiert und ausdifferenziert zu werden: Sie betreffen zum einen den kulturellen Hintergrund, auf den die kommentierten Jugendkulturen und Szenen verweisen; denn das Diffuse liegt nicht nur in den herangezogenen Mythen und Ideologien, sondern auch im politischen Rechts-Links-Schema, das in diesen Szenen irritiert wird – und offenbar auch tatsächlich irritiert ist. Den schematischen Vorstellungen einer guten, weil aufgeklärten, emanzipativen und gerechtigkeitsorientierten Popkultur von links und einer regressiven, antimodernen und rassistischen Popkultur von rechts kann so nicht zwingend gefolgt werden. Diese Zweiteilung war wohl ohnehin schon immer ein Mythos. Die Popkultur muss damit leben, dass sie nach allen Seiten hin offen ist und Übertritte und Rahmenverschiebungen häufig zu beobachten sind – ob in voller Überzeugung herbeigeführt oder als ein Spiel verstanden, muss ebenfalls dahingestellt bleiben.

Des Weiteren stellt sich unter der Voraussetzung, dass die Inszenierungen nicht zwingend eine politische Botschaft enthalten müssen, die Frage, ob und inwieweit es sich hierbei um ästhetische Praktiken handelt, das heißt: ob und inwieweit neurechte und religiös aufgeladene Inszenierungen in Verbindung mit rechtsextremen Versatzstücken Kunst sein können. Verbietet sich eine solche Zuschreibung? Schließen problematische Inhalte eine Betrachtung der Form aus? Lässt sich im musikkulturellen Kosmos von Neofolk, Black Metal oder Dark Wave eine ästhetisch-ambivalente Erfahrung machen, die anziehend, verführerisch und doch zugleich abstoßend sein kann? In welche ethisch-ästhetischen Unwägbarkeiten gerät man, sofern man diese Frage bejaht, und welcher Art sind diese ästhetischen Erfahrungen? Hat man sich deshalb als Person, die von den Idealen der linkskritischen und emanzipativen Popkultur, von der imaginären Widerständigkeit des Punk geprägt worden ist und diese nach wie vor affirmiert, von den kulturellen Inszenierungen der beschriebenen Szenen fernzuhalten? Angesichts des gegenwärtigen Verschwindens dieser Szenen und ihren Transformationen kann man aber auch annehmen, sich diese Frage nicht (mehr) stellen zu müssen.