1 Einleitende Überlegungen

Die Abkehr von einem verabsolutierten alltagsweltlichen Raumverständnis markiert eine Grenze im gegenwärtigen Nachdenken über Raum und Räumlichkeit, an der „das Bild eines vermeintlich vorgängigen, unschuldigen Raums im Sinne einer materialistisch-physikalischen Entität korrigiert“ (Lippuner und Lossau 2005, S. 58) wird und hinter die nicht zurückgegangen werden kann. Die darin unterstellte Auffassung, Raum sei ausschließlich objektiv gegeben, unveränderlich und determinierend, gleichsam als „Container“ (A. Einstein) oder „Behältnis“ – „(g)emeint ist freilich Newtons Konzept des absoluten Raums, zu dem vorlaufend die Geometrie Euklids, und nachlaufend aber jede Naturwissenschaft, die Newtons Raumvorstellung zur Grundlage hat“ (Günzel 2014, S. 22) –, absolut fassbar, ist spätestens mit Einsetzen des sog. Spatial Turn verabschiedet worden. Sturm konzediert, dass dieses „absolute“ Raumverständnis bzw. das „kartesianisch-mechanistische Raumkonzept alle wissenschaftlichen Konzepte und Forschungen zumindest bis Ende des 19. Jahrhunderts und unsere alltäglich-politischen Vorstellungen und Aktionsweisen im wesentlichen bis heute (prägte)“ (Sturm 2000, S. 9). Dieses auch als euklidisches bekannte Raumverständnis „(bestimmt) in der Regel (unsere Vorstellungen vom Raum)“ (Bollnow 1979, S. 15) dermaßen, dass Läpple zur Einschätzung kommt, „daß die alltäglichen Raumvorstellungen der meisten Menschen unserer Zivilisation mehr oder weniger stark „kolonialisiert“ sind durch die physikalische Raumanschauung der klassischen Physik in der Form des dreidimensionalen euklidischen Raums“ (Läpple 1991, S. 164).

Die manifeste Zurückweisung des absoluten Raumverständnisses und der dadurch einsetzenden Thematisierung von Raum und Räumlichkeit verweist auf diesen problematischen Ausgangspunkt raumtheoretischen Denkens. Solange das euklidische Raumverständnis, das den vermeintlichen Ausgangspunkt für die alltagsweltliche Raumanschauung liefert, nicht in seinen kategorialen Voraussetzungen, sofern es zum Einsatz in wissenschaftlichen Zusammenhängen gebracht wird, geprüft und in seinen (hier für erwachsenenpädagogisch relevante) Implikationen freigelegt wird, bleiben epistemologische Hindernisse (vgl. Bachelard 1987) unausweichlich, die auf der Ebene empirischer Erkenntnisgewinnung nicht intelligibel werden. Die Zuspitzung der Abkehrbewegung von dem alltagsweltlichen Raumverständnis zeigt sich in aller Deutlichkeit in den sich programmatisch gebenden Aufforderungen „always spatialise“ (Jameson 1981, S. 9) oder „thinking geographically“ (Hubbard et al. 2002). Insgesamt schält sich eine Perspektive heraus, „in der Räume nicht mehr als natürliche Entitäten“ (Lippuner und Lossau 2005, S. 58) vorkommen, sondern in der ihre Konstruktion als „machtvolle politische Praxis entlarvt“ (ebd.) werden kann (vgl. Lossau 2002; Ebner von Eschenbach 2015). Die Folgen der Abkehrbewegung strahlen in unterschiedlicher Intensität auf eine Vielzahl disziplinärer Felder aus (vgl. u. a. Werlen 1987; Ecarius und Löw 1997; Sturm 2000; Löw 2001; Maresch und Werber 2002; Thabe 2002; Dünne und Günzel 2006; Günzel 2007b; Westphal 2007; Döring und Thielmann 2009a; Glasze und Mattissek 2009; Pichler und Ubl 2009; Frahm 2010; Kessl und Reutlinger 2010; Augé 2012; Marquardt und Schreiber 2012; Belina 2013; Rau 2013; Schlitte et al. 2014; Bernhard et al. 2015; Weidenhaus 2015; Dell 2016).

In diesem Zusammenhang – ähnlich der Expansionswirkung des Linguistic Turn Footnote 1 (vgl. z. B. Frahm 2010, S. 40 f.) – wird von einer paradigmatischen Wende gesprochen, die mit „Spatial Turn“ ihre Bezeichnung erhielt und eine Eruption bisheriger Annahmen zu Raum und Räumlichkeit nach sich zog. Bachmann-Medick stellt fest, dass diese sogenannte raumbezogene Wende erst dann erreicht sei, „wenn durch interdisziplinäres Zusammenwirken die neue Aufmerksamkeit auf Raum und Räumlichkeit“ (Bachmann-Medick 2010, S. 303) erkennbar werden würde, „wenn das Denken selbst raumbezogen wird (...)“ (ebd.). Mit dem „Turn“ wird angezeigt, dass eine bislang noch ungewohnte Perspektive auf soziale Wirklichkeit eingenommen werden kann, die zwar bereits auf eine gesicherte Tradition zurückzuzugreifen vermag, jedoch erst in ihrer theoretisch konsequenten Berücksichtigung eine überraschend neuartige Sicht auf scheinbar altbekannte und bisher vertraut erscheinende Problemlagen ermöglicht. Die massive Veränderung der Perspektive lässt die Hervorbringung von Raum und Räumlichkeit als kontingenten Prozess erscheinen, in dem nunmehr vielfältige „Ways of Worldmaking“ (N. Goodman) artikuliert werden können. Im Zuge des Spatial Turn, dessen Benennung wohl auf Edward Soja (1989) zurückgeht (vgl. Döring und Thielmann 2009b, S. 7), der sich wiederum zentral auf die grundlagentheoretischen Arbeiten von Henri Lefevbre (u. a. 1968, 1970, 1974) stützt und bei ihm „die Keimzelle des „spatial turn“ verortet“ (Bachmann-Medick 2010, S. 291), erlangt ein Paradigma Gestalt, welches deutliche Spuren in der gegenwärtigen erwachsenenpädagogischen Raumforschung hinterlassen hat (vgl. aktuell Bernhard u. a. 2015 Footnote 2; Nuissl und Nuissl 2015a; Wittwer et al. 2015; HBV 2016). Diese Form der Verhandlung raumtheoretischer Fragestellungen erhält nicht nur in der Erwachsenenbildung große Aufmerksamkeit, sondern bringt auch innerhalb der Erziehungswissenschaft vielerorts Rezeptions- und Anknüpfungsstellen hervor (vgl. z. B. die Beiträge in ZfE 2016; ZfPäd 2016). Wenngleich raumtheoretische Fragen in der Erwachsenenpädagogik und Erziehungswissenschaft (bzw. in den pädagogisch ausgerichteten Teilbereichen angrenzender disziplinärer Felder) nicht erst seit der ausgerufenen raumtheoretischen Wende Beachtung finden (vgl. u. a. Lewin 1934; Muchow und Muchow 2012[1935]; Piaget und Inhelder 1971[1948]; Pöggeler 1959; Bollnow 1963; Bronfenbrenner 1976; Rogge 1984), erhärtet sich gleichwohl der Eindruck, dass die gegenwärtig raumtheoretisch informierte Forschung durch den Spatial Turn einen deutlichen Schub erhalten hat, der zu einer vielfältigen Ausdifferenzierung des Paradigmas führte (vgl. Schmid 2010, S. 65). Vielleicht könnte vor diesem Hintergrund der Feststellung einer partiellen „Raumvergessenheit“ (Löw 2001, 11 ff.; Schroer 2006, 17 ff.; kritisch-polemisch z. B. Hard 2009, 272 ff.; Bachmann-Medick 2010, S. 288) zugestimmt werden.

Die Auseinandersetzung mit raumtheoretischen Fragestellungen über disziplinäre Grenzen hinweg mündete nicht nur in den prominenten Spatial Turn. Gewissermaßen in dessen Schatten entfalteten sich weitere „Wenden“, deren Anleihen im Spatial Turn unverkennbar sind, die jedoch weitgehend andere Akzente setzen und alternative Orientierungen in der Raumforschung eröffnen. Der „Topographical Turn“ (vgl. Weigel 2002; s. a. Dünne 2009a; Pápay 2012; Wagner 2012) und der „Topological Turn“ (vgl. SFB 230 1994; Huber 2002, 2009; Günzel 2007b; Pichler und Ubl 2009) erheben an dieser Stelle als weitere Entwicklungsschritte raumtheoretischen Denkens den Anspruch, die „Unterbestimmtheit“ (Döring und Thielmann 2009b, S. 13) des Spatial Turn auszudifferenzieren (vgl. Günzel 2007a). In einer ersten Annäherung kann in Anschluss an Stockhammer betont werden, dass Topographie das „Gemacht-Sein von Räumen“ (Stockhammer 2005, S. 15) in literarischen Textformen in den Vordergrund stellt, dass Räume „vor allem auch Produkte graphischer Operationen im weitesten Sinne sind“ (ebd.). Dabei knüpft er an den von Deleuze und Guattari (1997, S. 657-694) entfalteten Begriff der „Kerbe“ an und konstatiert, dass diese Bedeutung „nicht die schlechteste Übersetzung von graphein (ist), dessen früheste Bedeutung Wörterbücher mit „kratzen“, „ritzen“, „eingraben“ angeben“ (Stockhammer 2005, S. 15). Der vor allem in den Kultur- und Literaturwissenschaften angeschobene Topographical Turn lässt sich von der Fragestellung leiten, „wie literarische Texte Verortung reflektieren und ausgestalten (...) bis hin zur Reflexion ihrer eigenen (postkolonialen) Verortung in den neueren Literaturen der Welt“ (Bachmann-Medick 2010, S. 308 f.). Eine topographische Perspektive auf Raum wendet sich demgemäß der Beschreibung von „konkreten“ Orten, auch in ihren inhaltlich-thematischen Verhältnisbestimmungen zu anderen, zu. Eine topologische Perspektive hingegen „abstrahiert“ von topographischen Beschreibungen, weil durch sie formale Relationen, Gefüge, Konstellationen oder Lagebeziehungen in den Fokus der Beobachtung geraten. Im Gegensatz zu einer topographischen Beschreibung ermöglicht eine topologische Perspektive, strukturtheoretische Aspekte von Räumlichkeit zum Vorschein zu bringen, die ohne sie verschlossen blieben. Hier erfolgt die Überschreitung eines konkret fassbaren „Raums“ auf die übergeordnete Ebene von „Räumlichkeit“. In diesem Sinne geht eine topologische Perspektive „mit einer Abwendung vom Gegenständlichen einher“ (Günzel 2008a, S. 9) und widmet sich dem Übergegenständlichen. Die Unterscheidung in Topographie und Topologie aktualisiert nicht nur en passant ein für raumtheoretische Reflexionen fruchtbares Vokabular, darüberhinaus liegt mit einer topologischen Perspektive ein bislang in der Erwachsenenbildung nicht rezipierter Ansatz raumtheoretischen Denkens vor, der für die Analyse raumtheoretischer Fragestellungen inspirierende Perspektiven zu eröffnen in der Lage sein könnte.

Außerhalb erwachsenenpädagogisch und erziehungswissenschaftlich informierter Raumforschung kursieren bereits seit Längerem Überlegungen zur Relevanz topologischen Denkens, die bis zur Postulierung einer „topologischen Wende“ reichen (vgl. Günzel 2014, S. 27). Günzel konstatiert zunächst, dass sich die „topologische Wende dadurch aus(zeichnet), dass sie sich nicht dem Raum zuwendet, wie dies dem spatial turn nachgesagt wird, sondern sich vielmehr von Raum abwendet, um Räumlichkeit in den Blick zu nehmen“ (Günzel 2009, S. 221; Hervor. i.O.). Die Orientierung auf Räumlichkeit enthält damit die Implikation, sich Konstellationen, Lagebeziehungen oder Relationen zuzuwenden und gerade die topographischen Raumbeschreibungen als nachrangig – aber keinesfalls unbedeutend – aufzufassen. Dadurch ermöglicht ein topologisches Raumverständnis nicht nur eine alternative Betrachtung raumtheoretischer Einsätze, sondern markiert zudem die radikale Abwendung von einem Substanzdenken, also eine Auffassung, bei der „von Materialität gerade abstrahiert (...) und stattdessen Zugänglichkeit (...) in den Vordergrund (...)“ (Günzel 2008a, S. 8 f.) rückt. Gewissermaßen privilegiert Topologie gerade dieses Ablösen von einer materiellen Verhaftung.

Jedoch sollte dieses zentrale Merkmal topologischen Denkens nicht im Sinne eines creative misreading als „tragfähiger“ oder „tiefgründiger“ gegenüber bisherigen Perspektiven in der Raumforschung aufgefasst werden. Vielmehr ergänzt eine topologische Perspektive die gegenwärtigen Reflexionen zu der Erforschung von Raum und Räumlichkeit und bietet die Möglichkeit, bislang ausgebliebene oder verdeckte Fragestellungen in einem alternativen Kontext Artikulationsmöglichkeiten zu verschaffen (vgl. Günzel 2012a, S. 11). Damit soll im Beitrag zugleich der Herausforderung nachgegangen werden, dass es im Rahmen gesellschaftsstruktureller Transformationsprozesse (vgl. Schäffter 2001) auch für Fragen zur erwachsenenpädagogischen Raumforschung erforderlich erscheint, „neue Raumbegriffe (zur Erschließung ihres gesellschaftsanalytischen Potenzials)“ (Bachmann-Medick 2010, S. 288) zu explorieren und sie zu erproben. Es wäre daher ein Missverständnis, wenn die Verdeutlichung der nachfolgenden Positionen der herangezogenen Referenzautorinnen und -autoren sie zu einem autoritativen Standpunkt erheben würde. Allerdings sollte ihre jeweilige paradigmatisch differierende Sichtweise zukünftig im erwachsenenpädagogischen Fachdiskurs angemessene Berücksichtigung finden und nicht indifferent gehalten werden.

(1) Ausgehend von den Eingangsüberlegungen nähert sich der vorliegende Beitrag zunächst dem Desiderat einer topologischen Perspektive in der erziehungswissenschaftlichen und erwachsenenpädagogischen Raumforschung. (2) Im Anschluss daran gelangt die Rezeptionsgeschichte des Spatial Turn in den Blick (vgl. Schmid 2008, 2010; s. a. Dell 2016). An ihr soll veranschaulicht werden, dass die Hinwendung zu einer „Rematerialisierung“ oder auch zu einer „Rückbesinnung auf Materialität“ in der Raumforschung (vgl. Dirks und Kessl 2012; Belina 2013; Faulstich 2014) zu kurz greifen könnte, sofern eine Absolutsetzung angestrebt wird, und dadurch droht, in eine „Raumfalle“ zu tappen (Lippuner und Lossau 2005, S. 51; s. a. Lossau und Lippuner 2004, 206 ff.), wie sie bereits vor längerer Zeit vonseiten der Sozialgeographie antizipiert worden ist. D. h., es bahnt sich ein „Rückfall in essentialistisch-geodeterministische Positionen, welche Raumbindung als natürliches Substrat politischen Handelns betrachten“ (Dünne 2009a, S. 50), an. Die aufscheinenden Problemstellungen aus der Zuwendung zum Gegenständlichen werden nicht nur deutlicher, wenn die Rezeptionslinien des Spatial Turn und deren jeweiliger disziplinären Aneignung und Auslegung freigelegt werden, sondern wenn sich überdies dem Verhältnis des Spatial Turn zu seinen Ausdifferenzierungen vergewissert wird (vgl. Günzel 2009). (3) Vor diesem Hintergrund werden notwendige Anmerkungen zu den raumtheoretischen Einsätzen Topographie und Topologie versammelt, (4) um darauf aufbauend einer topologischen Perspektive für erwachsenenpädagogische Raumforschung Kontur zu verleihen. (5) Über die Vorüberlegungen zu einer topologischen Perspektive in der erwachsenenpädagogischen Raumforschung hinweg, wird die Argumentation gewissermaßen in den „Grenzbereich des Räumlichen“ vorangetrieben, indem topologisches Denken im Rahmen von „Gegenstandsbestimmung“ angerissen wird.

2 Zum Desiderat einer topologischen Perspektive

Die Beschäftigung mit Raum und Räumlichkeit im Kontext der Erziehungswissenschaft markiert mit dem Kongress Räume für Bildung. Räume der Bildung, veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) 2016 in Kassel, zumindest einen aktuellen disziplinpolitischen Höhepunkt. Die Bezüge zum Spatial Turn und dessen Rezeptionsvarianten finden sich an vielen Stellen der vorgestellten Beiträge wieder, wodurch der Eindruck gestützt wird, dass der Spatial Turn den gegenwärtigen Theoriehorizont zur Raumforschung in der Erziehungswissenschaft und der Erwachsenenbildung deutlich zu prägen scheint. Überlegungen zu einer topologischen Perspektive im Zuge der raumbezogenen Wende treten hingegen kaum auf. Es scheint beinahe so, dass ein solcher Zugang in der erziehungswissenschaftlichen und erwachsenenpädagogischen Literatur zur Raumforschung kaum Relevanz besitzt. An dieser Stelle wird der Verdacht einer eigentümlichen Leerstelle provoziert, dem an einigen aktuellen Veröffentlichungen in der Erziehungswissenschaft und in der Erwachsenenbildung zu raumtheoretischen Sachverhalten weiter nachgegangen werden soll.

Im Einleitungsartikel „Erziehungswissenschaftliche Forschung zu Raum und Räumlichkeit“ von F. Kessl (2016) in der Zeitschrift für Pädagogik mit dem Ausgabentitel Raum und Räumlichkeit in der erziehungswissenschaftlichen Forschung, stellt der Autor fest, dass Raum und Räumlichkeit Konstitutiva pädagogischen Handelns seien. Interessant ist, dass sich diesem Sachverhalt in der erziehungswissenschaftlichen Forschung erst spät in Form einer systematischen Reflexion zugewandt wurde. Im Kontext der Diskussion um den Spatial Turn scheinen derzeit vielmehr die Engführungen – die einerseits „Raum auf formale Bedingungen“ (ebd., S. 8) reduzieren, andererseits Raum ausschließlich auf „soziale Interaktion und fluide Strukturen“ (ebd., S. 13) festzulegen versuchen – in der erziehungswissenschaftlichen Raumforschung sichtbar und in ihrer Problematik erkannt zu werden. Die Berücksichtigung der epistemologischen Hindernisse und deren systematischen Analyse bilden notwendige Voraussetzungen, um „erziehungswissenschaftliche Forschung(en) zu Raum und Räumlichkeit“ (ebd., S. 15) vorantreiben zu können. Auch wenn Kessl in seiner einführenden und überblicksgebenden Abhandlung sich explizit mit Raum und Räumlichkeit befasst, bleibt zu konstatieren, dass Überlegungen, die auf eine topologische Perspektive hindeuten, die sich gerade der Frage nach Räumlichkeit annehmen könnte, ausgespart werden.

In der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, die u. a. den thematischen Heftschwerpunkt Bildungsräume: Bildung und Region beinhaltet, entfaltet M. Nugel (2016) in seinem Stichwortbeitrag „Bildungsräume – Bildung und Raum“ Verhältnisbestimmungen zwischen Bildung und Raum. In der Darlegung des Forschungsstandes arbeitet er mehrere Desiderata in der erziehungswissenschaftlichen Raumforschung heraus. Für unseren Zusammenhang ist von Interesse, dass Nugel in der Identifizierung und Offenlegung einiger Forschungsdesiderata (vgl. ebd., 23 f.) von Hinweisen auf eine topologische Perspektive für erziehungswissenschaftliche Raumforschung absieht. Dies ist deswegen interessant, weil es gerade Günzel (u. a. 2007a, 2007b, 2009, 2012b) ist, der wiederholt auf die Perspektive eines topologischen Raumbegriffs verweist und nicht unbedeutend im Stichwortaufsatz als Belegquelle herangezogen wird (vgl. Nugel 2016, S. 10, 12, 22, 23).

Die Rezeption eines topologischen Raumbegriffs scheint nicht nur in der Erziehungswissenschaft, sondern auch in der erwachsenenpädagogisch informierten Raumforschung auf ein Desiderat zu verweisen. In der aktualisierten und erneuerten 6. Auflage des Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (Tippelt und von Hippel 2016) ist zu raumtheoretischen Überlegungen der Eintrag „Lernräume in der Erwachsenenbildung“ (Stang et al. 2015) heranzuziehen. In ihm werden unterschiedliche Zugänge zu (Lern‑)Räumen vorgestellt und in ihren Implikationen für Lehr-/Lernprozesse diskutiert. Bei den raumtheoretischen Bezügen werden nicht nur die gegenwärtigen Diskurse zu Raum in der Erwachsenenbildung vorgestellt, sondern zugleich Ausführungen zur Rezeptionsgeschichte von Raumfragen in der Erwachsenenbildung gemacht. Verweise auf weitere Perspektiven in der erwachsenenpädagogischen Raumforschung wie die Einnahme einer topologischen Perspektive werden allerdings nicht thematisiert.

In dem Sammelband Bildung im Raum (Nuissl und Nuissl 2015a), geht es darum, so die Herausgeber in ihrem Einleitungsaufsatz für den Sammelband, den „Blickwinkel und Facetten des Themas [Bildung im Raum, EvE] aufzufächern sowie vorzustellen, welche Akzente dazu in den beiden Disziplinen [Bildungs- und Raumwissenschaft, EvE] (unter anderem) gesetzt werden“ (Nuissl und Nuissl 2015b, S. 8). In dieser Perspektive diskutieren die versammelten Beiträge vielfältige Themen, z. B. Aneignung pädagogischer Räume bei K. Kraus, raumbezogene Bildungsarbeit bei M. Bührer oder Erwachsenenbildung im ländlichen Raum bei U. Klemm. Explizite Überlegungen oder gezielte Auseinandersetzungen zur Relevanz eines topologischen Raumverständnisses finden sich jedoch in dem Sammelband nicht.

Im Einleitungsaufsatz des Sammelbands Lernräume. Gestaltung von Lernumgebungen für Weiterbildung (Wittwer et al. 2015) mit dem Titel „Zur Komplexität des Raumbegriffs“ (Wittwer und Dietrich 2015) werden Ausführungen zu unterschiedlichen Raumvorstellungen diskutiert, wie beispielsweise zu einem „materiell-physischen“ und „virtuellem“ Raum und zu einem „Erfahrungs- oder Kooperationsraum“ (vgl. ebd., 18 ff.). Andeutungen oder Verweise zu einer topologischen Perspektive liegen auch hier nicht im Blickfeld. Werden die versammelten Beiträge nach expliziten Ausführungen zu einer topologischen Perspektive gesichtet, findet sich ein Verweis bei Schlenker (2015). In seinem Beitrag zu virtuellen Lern- und Arbeitsräumen heißt es an einer Stelle: „Für die Bilder, Strukturen, Konzepte und Programme des architektonischen Raumes im Internet können, unabhängig von ihren visuellen Merkmalen in der Summe, zwei zentrale und sich überlagernde Erklärungsansätze abgeleitet werden: Sie besitzen Bedeutung einerseits als metaphorische Vermittler in einer fremden Zieldomäne und andererseits als soziale Markierungen, in denen Elemente der Architektur und der Stadt sowie räumliche Topologien und Programme vor allem Symbole einer sozialen Ordnung sind“ (ebd., S. 238, Hervor. n.i.O.). Schlenkers Gedanke, dass u. a. „räumliche Topologien“ auf soziale Ordnungsprozesse verweisen, deutet an, dass er damit einer topologischen Perspektive auf erwachsenenpädagogische Raumforschung auf der Spur zu sein scheint.

Prüft man den Sammelband „Erwachsenenbildung und Raum. Theoretische Perspektiven – professionelles Handeln – Rahmungen des Lernens(Bernhard et al. 2015) auf seine Überlegungen zur Relevanz einer topologischen Perspektive, übernimmt der Sammelband, so wird in der Einleitung formuliert, „eine bündelnde Funktion“ (Kraus et al. 2015) und soll „Potenzial wie Anschlußfähigkeit der verschiedenen Linien im Diskurs um Raum in der Erwachsenenbildung-/Weiterbildung deutlich machen“ (ebd.). Ausführungen oder mögliche Schnittstellen zu einer topologischen Perspektive kommen im weiteren Verlauf der Einleitung nicht zur Sprache. Lediglich in einem Beitrag –„Raum und lernende Subjekte“ (Faulstich 2015) – scheint eine begriffliche Bezugnahme zu Topologie auf. Faulstich verweist in seiner Sortierung von Raumkonzepten darauf, dass „fortschreitend eine realistische, topologisch-analytische Behältervorstellung aufgegeben (wurde, EvE), die auf einer Einordnung von Körpern an Stellen im Raum beruht (Positionsraum) und die unterstellt, dass Raum (auch Zeit) unabhängig vom Handeln da sei“ (ebd., S. 218, Hervor. i.O.). Diesem Raumkonzept stellt er eine „konstruktivistische Tradition (gegenüber), in der Raum (...) relativistisch gesehen allein das Ergebnis von Anordnungs- und Bewegungsverhältnissen (Interaktionsraum)“ (ebd., Hervor. i.O.) aufgefasst. Interessanterweise spricht Faulstich von „topologisch-analytisch“, verknüpft dies mit „realistisch“ und mit der „Behältervorstellung“ von Raum. Die danach folgenden Bezüge zu Löws (2001) relationalem Raumbegriff legen nahe, dass Faulstich mit dem, was er als „Positionsraum“ fasst, übereinstimmt, mit dem, was Löw (2001), Schroer (2006) oder Kessl und Reutlinger (2009) als „absolutes“ bzw. als „absolutistisches“ Raumverständnis bezeichnen (vgl. auch Faulstich 2014, 77 f.). Einer solchen Verortung von Topologie wäre mit Heuser-Keßler (1994), Günzel (2007a) und Pichler (2009) in Frage zu stellen.

Die angebotene Versammlung aktueller und größtenteils einführender Literatur zu raumtheoretischen Arbeiten in der Erziehungswissenschaft und Erwachsenenpädagogik soll zur hinreichenden Konturierung des Desiderats eines topologischen Ansatzes genügen. Die jeweiligen Beiträge sind sehr verdienstvoll und geben einen breiten Einblick in gegenwärtige Diskurse raumtheoretischen Denkens. Die ausgewählten empirischen Indizien unterschlagen möglicherweise, dass bereits an anderen Stellen topologische Ansätze diskutiert werden. Auch wenn die hier herangezogenen Beiträge nicht unmittelbar das Ziel verfolgt haben sollten, unterschiedliche Raumverständnisse und Perspektiven explizit zu diskutieren, verweisen sie doch auf aktuelle Forschungsstände, identifizieren Desiderata, stellen methodologische und epistemologische Fragen zur Disposition und diskutieren alternative Blickpunkte auf Raumforschungsfragen. Mit dieser Momentaufnahme der hier vorliegenden Auswahl wird die Vermutung erhärtet, dass eine topologische Perspektive in den erziehungswissenschaftlichen und erwachsenenpädagogischen Diskursen kaum Beachtung findet, was aus epistemologischer Sicht bedenklich ist, weil darin eine Engführung zum Ausdruck kommt.Footnote 3

3 Zur „wechselvollen Rezeptionsgeschichte“ des Spatial Turn

Der Spatial Turn scheint „nicht ganz zu unrecht“ (Günzel 2009, S. 219) zunehmender Kritik ausgesetzt zu sein, weil die „Hinwendung zum Raum in einigen Ausprägungen hinter ihren systematischen und (...) theoriegeschichtlichen Ausgangspunkt zurückzufallen“ (ebd.; s. a. Günzel 2007a; Lossau 2007; Schmid 2010) droht. Dies wird daran sichtbar, dass sich „(u)nverkennbar (...) eine deutliche Re-Materialisierung [abzuzeichnen scheint; EvE], welche (...) die Gefahr einer Naturalisierung und Positivierung in sich trägt“ (Bachmann-Medick 2010, S. 285). Vor diesem Hintergrund macht Günzel darauf aufmerksam, dass „einige Positionen, die unter spatial turn firmieren, den Fehler des historischen Denkens unter anderem Vorzeichen (wiederholen): Was dort als inhärente und zielgerichtete Entwicklung der Geschichte interpretiert wurde, wird hier als Bedingung einer realräumlichen Ortschaft identifiziert. Ob nun der Raum oder die Zeit determiniert, ist (...) nebensächlich; allemal wird eine nur mögliche Interpretation als Deutung schlechthin gegeben“ (Günzel 2009, S. 220, Hervor. i.O.). In dieser Kritik fällt die viel beschworene „Raumwende“ hinter ihren erreichten Stand zurück, sofern die „Überbetonung des Materiellen“ ungeprüft übernommen wird. Die ausdrückliche Hinwendung zu Fragen zu Materialität, die durch den Spatial Turn inauguriert wurden – womit auch die „jahrhundertlange Unterordnung des Raums unter die Zeit“ (Bachmann-Medick 2010, S. 284) radikal infrage gestellt wird –, ist jedoch nicht grundsätzlich problematisch. Es ist vielmehr die Überbetonung und Verabsolutierung des Materiellen, die Räumlichkeit wieder zu verdinglichen versucht. Lossau bekräftigt diese Kritik und weist darauf hin, dass die „‚magische Attitüde‘, Raum als konkrete Wirklichkeit zu denken, vielleicht nicht weiter bemerkenswert (wäre), wenn es innerhalb der spatial turn-Diskussion nicht die Tendenz gäbe, den gegenständlichen Raum durch affirmative Bezugnahmen auf Physis mit einer gewissen ontischen Würde auszustatten“ (Lossau 2007, 54 f.). Diese Tendenz der „Re-Etablierung einer reduzierten Materialitätsperspektive“ (Kessl 2016, S. 14) und die damit gewonnene Grundlage einer vermeintlichen „‚konkrete[n]‘ räumliche[n] Wirklichkeit“ (Lossau 2007, S. 55) erscheint für die (erwachsenen)pädagogische Raumforschung aufgrund des Einflusses des Spatial Turn hoch relevant. Die sich anbahnende (Wieder‑)Hinwendung zur Materialität des Raumes in der gegenwärtigen Diskussion des Spatial Turn scheint ihre Stoßkraft gerade aus dem „Widerstand gegen jene abstrakte und „blutarme“ theoretische Einstellung, welche die Fokussierung auf Sinn und Bedeutungswelten (...)“ (ebd., S. 59) legt, zu beziehen. Paradoxerweise rekurrieren die unterschiedlichen Positionen – diejenigen, die sich einer Re-Materialisierung zuwenden und diejenigen, die vor einer „Re-Etablierung einer reduzierten Materialitätsperspektive“ warnen – auf dieselben grundlagentheoretischen Arbeiten von H. Lefebvre, dessen Werk – vor allem La production de l’espace (Lefebvre 1974 ) – „zur Bibel des spatial turn wurde“ (Günzel 2008a, S. 8 f.). In Anschluss an Bachmann-Medick kann in diesem Zusammenhang konstatiert werden, dass „fast alle Ansätze des spatial turn auf einen gemeinsamen Nenner bezogen (sind), auf den Raumbegriff von Henri Lefebvre (...)“ (Bachmann-Medick 2010, S. 291, Hervor. i.O.). Die (vermeintliche) Wiederentdeckung der „konkreten, räumlichen Wirklichkeit“ – durch die Raum als Ausschnitt der „Erdoberfläche, als bestimmtes Territorium oder als Region im Sinne eines erdräumlich verorteten Containers“ (Lossau 2007, S. 54) erneut in den Mittelpunkt gerückt wird, scheint – entgegen aller Bekenntnisse des Spatial Turn – letztlich darin zu münden, Raum kategorial als bestimmende und determinierende Voraussetzung (wieder) zu reifizieren (vgl. Kessl 2016, S. 7 ff.). Mit ihrer radikalen Abkehr vom Substanzdenken und ihrer Hinwendung zum Funktionsdenken ermöglicht es eine topologische Perspektive nicht nur bisherige Analyseperspektiven auf raumtheoretische Fragestellungen in der Erwachsenenbildung zu ergänzen. Eine topologische Perspektive kann zudem auch als eine Gegenreaktion auf die im Namen des Spatial Turn geforderte „Rematerialisierung“ in der Raumforschung begriffen werden, indem sie mit ihrer Auffassung von Räumlichkeit sich gerade anti-essentialistisch positioniert.

Um nachvollziehen zu können, warum im Namen des Spatial Turn verstärkt einer „Rematerialisierung“ das Wort geredet wird – womit wohl auch implizit angedeutet wird, dass eine „[konkrete] Physis ein höheres Maß an Wahrhaftigkeit, Unmittelbarkeit, an Objektivität oder Authentizität (...)“ (Lossau 2007, S. 64; s. a. Ebner von Eschenbach 2016, S. 17 ff.) verbürge –, scheint es ratsam, auf einige Aspekte der „wechselvolle(n) Rezeptionsgeschichte“ (Schmid 2010, S. 12) der Arbeiten von H. Lefebvre einzugehen. In seiner Untersuchung Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes zeigt Christian Schmid (2010) konzis – wie Benno Werlen feststellt –, „dass der größte Teil der angelsächsischen Interpretationen von Lefebvres Produktionstheorie von Raum (Gregory 1994; Shields 1999; Dear 2000), so auch jene Sojas, weder als kohärent noch als sinnadäquat eingestuft werden kann“ (Werlen 2012, S. 146). Schmid verdeutlicht wie divergent die Rezeptionsphasen verlaufen und wie über Prozesse der Vereinnahmung, Aneignung und Aussparung Positionen legitimiert oder entwertet werden. Somit eröffnet die Schmidsche Rezeption eine Lesart (vgl. Haraway 1995), die ihrerseits wiederum in Distinktionsprozesse verstrickt sein kann.

Nach Schmid hat die Rezeptionsgeschichte des Werkes von Lefebvre dazu geführt, dass sich zwar im Spatial Turn unablässig auf Lefebvre eindeutig und explizit bezogen wird, seine Überlegungen aber „von vielfältigen Verkürzungen und Missverständnissen gekennzeichnet“ (Schmid 2010, S. 9) sind. Zudem würden sie hoch selektiv herangezogen, wodurch in den letzten Jahren eine verstärkte Forderung nach „Rematerialisierung“ im Namen des Spatial Turns die Folge sei, die gerade nicht mit Lefebvres Grundannahmen übereinzustimmen scheint: „Während also die amerikanischen Urbanisten und Humangeographen sozusagen die Steine der Stadtmauern und Straßen als potentielle Bedeutungsträger ansahen, so vertrat der vermeintliche Vorläufer [H. Lefebvre, EvE] dagegen eine zutiefst antiessentialistische Sichtweise: Nicht Ontologie oder Hermeneutik des materiellen Raums, sondern die Funktionen räumlicher Settings sollten damit in den Blick rücken“ (Günzel 2008a, S. 9). Schmid stellt fest, dass die Rezeptionsgeschichte von Lefebvres Arbeiten auch deshalb „verwirrlich“ (Schmid 2010, S. 65) sei, „weil der gesellschaftliche und epistemologische Kontext, in dem sie zu situieren ist, nicht genügend berücksichtigt wurde“ (Schmid 2010, S. 9 f.). Um seine These zu erhärten, skizziert Schmid drei Entwicklungsphasen der Rezeption mit ihren jeweiligen epistemischen Konsequenzen (vgl. Schmid 2010, S. 12 ff.):

3.1 Strukturalistische und ökonomistische Rezeptionsphase („Neuentdeckung des Städtischen“)

Der „Metaphilosoph“ (Schmid 2010, S. 10; s. a. Schmidt 1990) Lefebvre entwarf eine „heterodoxe Theorie“ (Schmid 2010, S. 11) vor dem Hintergrund des Fordismus. Damit ging es Lefebvre in erster Linie nicht „um eine Raumtheorie oder ein Raumkonzept (...)“ (Schmid 2010, S. 30), sondern darum, den „Prozess der Produktion des Raumes [zu] analysieren“ (ebd.). In den 1960er und 1970er Jahren galt für ihn „die Stadt“ als gesellschaftliche Grundkategorie (vgl. ebd., S. 24 ff.), weshalb er die sog. „Krise der Stadt“ „nicht nur als Folge des funktionalistischen Städtebaus (sah), sondern stellte sie in den Rahmen eines umfassenden Prozesses, der sowohl das Land wie die Stadt erfasst und grundlegend transformiert hatte: die Urbanisierung“ (ebd., S. 35). Stadtforschung war zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich empirisch quantitativ orientiert („quantitative Revolution“) und – nach Lefebvre – nicht in der Lage, diese „Krise der Stadt“ zu erfassen, was zu einer disziplinären „Krise der Stadtforschung“ führteFootnote 4. Lefebvre (1968, 1970, 1974) kritisierte diese kategoriale Stilllegung und setzte seine Überlegungen zu einer sozialen Produktion von Raum (in vielfältigen Schriften) entgegen. Sein Entwurf wurde umgehend rezipiert, jedoch hoch selektiv: In Frankreich bezog sich zunächst Manuel Castells (La question urbaine), in den USA ein wenig später David Harvey (Social Justice in the City) auf Lefebvres Arbeiten. Castells Rezeptionsvariante (und dessen spätere Entwicklung zur new urban sociology) sowie Harveys Rezeption (vgl. kritisch Bocquet 2012, S. 44; Schmid 2010, S. 44), die sich später zur radical geography entwickelte, entpuppten sich im Laufe der Zeit jedoch beide als nicht weiterführend (vgl. Schmid 2010, S. 35 ff): beide Varianten waren stark strukturalistisch und ökonomistisch geprägt (vgl. ebd., S. 45 f.) und entwarfen letztlich universalistische Ansätze, die zu einem starken „Geodeterminismus“ (Werlen 2010, S. 74) und zur Reifikation des Raums führten (vgl. auch Lippuner und Lossau 2004, S. 51).

3.2 Postmoderne Rezeptionsphase („Wiederentdeckung des Raumes“)

Nach dieser ersten Rezeptionsphase – der sog. „Neuentdeckung des Städtischen“ – schloss in den 1980er Jahren eine zweite Phase an, die vor allem vonseiten der postmodernen Geographie (z. B. Massey 1984; Soja 1989, 2009) vorangetrieben wurde, die ihre Überlegungen vor dem Hintergrund „des gesellschaftlichen Wandels, der sich ökonomisch als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus, kulturell und epistemologisch als Wechsel von der Moderne zur Postmoderne“ (Schmid 2010, S. 12) darstellte, entfalteten. Im Zuge dieses Paradigmenwechsels kam es zur postmodernen „‚Wiederentdeckung‘ von Henri Lefebvre“ (ebd., S. 64). Allerdings stellt Schmid fest, dass „weniger Lefebvres Texte zur Stadt im Zentrum des Interesses standen, als vielmehr sein Buch La production de l’espace“ (ebd., S. 13; Hervor. i.O.), was wiederum dazu führte, dass die Lektüre selektiv geprägt war und „kaum systematisch angepackt“ (ebd., S. 13) wurde. Die vielfältigen Rezeptionen entwickelten sich zum einem „ausufernden Feld, das immer stärker durch empirische Studien geprägt war“ (ebd., S. 61), die allerdings keinen erkenntnistheoretischen Fortschritt erlaubten, weil ein „solides theoretisches Fundament“ (ebd.) fehlte. Letztlich entwickelte sich beim Übergang zum Postfordismus eine stark empirisch ausgerichtete Orientierung, die jedoch „die theoretische Tiefenschärfe (verlor)“ (ebd., S. 70). Schmid moniert weiter, dass der „[fröhliche] Eklektizismus“ (ebd., S. 61) postmoderner Ansätze im Grunde dazu führte, die „mögliche Bedeutung Lefebvres für die sozialwissenschaftliche Analyse bis heute nicht ernsthaft ausgelotet und das Potential dieser Theorie (...) bei weitem nicht ausgeschöpft“ (ebd., S. 13) sei.

3.3 Kritische und systematische Rezeptionsphase („Zweite Wiederentdeckung Lefebvres“)

Die seit den 1990er Jahren einsetzende und gegenwärtig anhaltende sogenannte dritte Phase der Rezeption Lefebvres bemüht sich, die Defizite der vorangegangenen Phasen kritisch aufzuarbeiten und die Entwicklungskontexte der einzelnen Ansätze und Weiterentwicklungen systematisch zu erschließen. Dabei wendet sich diese dritte Phase „mehr oder weniger explizit gegen die postmodernen Lesarten (...) [und] sucht Auswege aus dem Vakuum, das die postmoderne Wende hinterlassen hat“ (ebd., S. 13). Grundsätzlich lässt sich diese Phase als „zweite Wiederentdeckung Lefebvres“ (ebd., S. 67) begreifen, die in „undogmatischen Lektüre aus, Lefebvres Werk als Ansatzpunkt zum Weiterdenken (nimmt), und zugleich präziser und offener als die vorangegangenen Rezeptionen (ist)“ (ebd., S. 68).

Für unsere Zusammenhänge liegt nun das Entscheidende beim Übergang von der ersten zur zweiten Rezeptionsphase. Dazu stellt Günzel exemplarisch (und beinahe paradigmatisch an den Arbeiten Sojas) fest: „Genau an dieser Stelle – nicht bei der Geburt, sondern der Taufe – geschah nun eine Prägung, welche den Geburtsgrund des zuvor noch namenlosen Kindes verdecken, wenn nicht gar gegen sich selbst wenden sollte: Fortan nämlich wurde mit Sojas Interpretation von Lefebvres Ansatz (der) Raum auf das Materielle reduziert. In einem regelrechten materialistischen Affekt konnte Raum nicht mehr anders gedacht werden denn als gebauter, fester und vor allem widerständiger Raum“ (Günzel 2008a, S. 9). Die „neueren“ Lesarten betrachteten Lefebvres Denken somit nicht mehr vor ihrem fordistischen Entstehungshintergrund, sondern in einem postfordistischen Paradigma. Dieser Wechsel der historischen Optik bedeutete auch einen Wechsel der Forschungsperspektive. Die zweite Phase der Rezeption des Lefebvreschen Werks erfolgte somit unter völlig anderen Vorzeichen als die erste und zeigt deutliche Widersprüche. Auf diesen Befund weist Schmid ebenfalls ausführlich hin:

Die postmoderne Aneignung Lefebvres ging allerdings merkwürdige Wege: Auf der einen Seite bildete seine Theorie einen wichtigen Hintergrund für dezidierte Kritiken an der Postmoderne, die an einer materialistischen Perspektive festhielten (vgl. Jameson 1984 und Harvey 1989). Auf der anderen Seite wurde Lefebvre von führenden Vertretern der postmodernen Geographie zum prominenten Anwalt einer neuen Konzeption des Raumes und der Geographie gemacht (vgl. z. B. Soja 1989 und Gregory 1994). So entstand die verwirrliche Situation, dass sich die wichtigsten Exponenten der Debatte um die postmoderne Geographie, obwohl sie höchst unterschiedliche, teilweise sogar konträre Positionen einnahmen, in zentralen Punkten auf Lefebvre bezogen (Schmid 2010, S. 65).

Insbesondere Sojas maßgebliche und Lefebvre über Disziplingrenzen hinweg berühmtmachende Rezeption steht auch für Schmid im Zentrum der Aufmerksamkeit. Schmid führt an anderer Stelle fort, dass Sojas (1989) „entwickelte „Ontologie des Raums“ in zentralen Punkten auf einem reifizierenden, undynamischen und undialektischen Verständnis von Lefebvres Raumbegriff auf(baut)“ (Schmid 2010, S. 65, ausführlich S. 292-313).

In „Von anderen Räumen“ verweist Foucault (2006) darauf, dass die Bedeutung des Raums im 20. Jahrhundert zunimmt gegenüber der des Historizismus des 19. Jahrhunderts (vgl. auch Quadflieg 2012, S. 274 f.). Das Ablösen vom Historismus entspringt der Grundhaltung im Spatial Turn, den „Siegeszug des Historismus mit seiner Vorherrschaft evolutionistischer Auffassungen von Zeit, Chronologie, Geschichte und Fortschritt zu überwinden (...)“ (Bachmann-Medick 2010, S. 286). In diesem Zusammenhang scheint, so der ähnlich zu Schmid lautende Befund Günzels, geradezu Soja dafür zu stehen, dieses „Zeitalter des Raumes“ (Foucault 2006, S. 317) zu „missverstehen“ (Günzel 2012a, S. 11).

Während also Soja den Raum auf seine Objekthaftigkeit reduzierte, (...) so fragte Lefebvre nicht primär nach der Bedeutung räumlicher Produkte, sondern vielmehr nach den Produktionsbedingungen von Raum: also etwa nach Werbeflächen, in denen sich eine Durchdringung von Privatem und Öffentlichem manifestiert, wodurch beide Bereiche einen Hybridraum – den von Lefebvre sogenannten „Repräsentationsraum“ – ausbilden, wenn beispielsweise eine intime Situation öffentlich präsentiert wird, um darüber nach Lefebvre die Reproduktion der Gesellschaft als Familien zu affirmieren (Günzel 2008a, S. 9).

Für Raumforschung hat die von Schmid rekonstruierte Rezeptionsgeschichte immense Konsequenzen. Sofern sich erwachsenenpädagogische Raumforschung blindlings einer vermeintlich prominenten Rezeptionsgeschichte des Spatial Turn anschließt, ohne deren Pfad- und Kontextabhängigkeit kategorial in den Blick zu nehmen und für den jeweils gewählten „point of departure“ (vgl. Emirbayer 1997) epistemische Verantwortung, was dessen Explikation voraussetzt, zu übernehmen, riskiert sie epistemologische Einbußen. Die unhinterfragt übernommenen Erkenntnishindernisse können unversehens in eine disziplinäre Krisensituation führen, wie sie Schmid am Beispiel der zweiten Rezeptionsphase des Spatial Turn verdeutlicht. Diese Krisensituation kommt dadurch zum Ausdruck, dass die je zu erforschende Problematik nicht mehr befriedigend im Kontext der bislang disziplinär gesicherten Gegenstandsbestimmung modelliert und einer praktischen Lösung zugeführt werden kann. Ein Forschungsgegenstand bestimmt sich nicht mehr ausschließlich aus der im disziplinären Kontext bislang stillschweigend vorausgesetzten Gewissheit eines identitätsverbürgenden, exklusiven Gegenstands- und Methodenkanons, sondern benötigt auf der Ebene einer kategorialen Tiefenschicht Betrachtung. Dieser Situation ist auch nicht mit weiterer empirischer Forschungstätigkeit zu entrinnen. Ganz im Gegenteil: weitere Versuche, der Problematik auf empirischer Ebene zu begegnen würde zu einer „Falle“ werden, weil mit den Mitteln behoben werden soll, was ebenjene verursacht haben. Es stellt sich damit die Frage, ob nicht die Hinwendung zur kategorialen Klärung raumtheoretischer Einsätze in der Erwachsenenpädagogik einen Anlass bieten kann, an dieser Stelle entscheidend gegenzusteuern (vgl. Dörner und Schäffer 2016, 14 f.). In diesem Horizont bieten die angeführten Vorüberlegungen einen heuristischen Rahmen an, mit denen es auf der Ebene kategorialer Unterscheidungen ermöglicht werden soll, systematische Zugänge zur Raumforschung zu erschließen. Analog zu Schmids Ausführungen, könnte der Rückgriff auf empirische Forschung verbunden mit dem Verzicht auf grundlagentheoretische Selbstvergewisserung auf ein disziplinäres Krisenmoment am Beispiel der erwachsenenpädagogischen Raumforschung verweisen. Damit entstünde eine Problemlage, die durch das Ausweichen vor einer kritischen Klärung kategorialer Grundlagen ihres jeweiligen Forschungsgegenstandes erwächst. Es stellt sich die Frage, ob nicht schon die Hinwendung zu reifizierenden Ansätzen in der erwachsenenpädagogischen Raumforschung ein Indiz darstellt, in eine solche disziplinäre Krisensituation zu steuern?

In Anschluss an Schmids Freilegung der Rezeptionslinien raumtheoretischen Denkens im Spatial Turn sollte erkennbar werden, dass Lefebvre kategoriale Überlegungen zur Verfügung gestellt hat, die zu variantenreichen und divergierenden Schlüssen führte. Gegenwärtig scheint die Betonung und Hinwendung zur „Rematerialisierung“ als eine kritische Perspektive auf Raumforschung verortet zu werden. Sofern sich von dieser Orientierung gelöst werden kann, rücken alternative Perspektiven in den Blickpunkt, die Lefebvres Heuristik in einer alternativen Orientierung entfalten. Gegenwärtig liegt mit der Studie Die Epistemologie der Stadt von Dell (2016) ein solcher Entwurf vor, der, so könnte er verstanden werden, an die „Zweite Wiederentdeckung Lefebvres“ anknüpft, und damit im Feld der Raum- und Stadtforschung eine anschlussfähige Weiterführung erwägt, in der der Wechsel vom Produkt zum Prozess sich zu erkennen gibt: „Einst hatte Henri Lefebvre an der Produktwerdung des Raums den Topos der Raumproduktion für die Stadtforschung gehoben. Jetzt kommt es darauf an, Praktiken und Repräsentationsräume des Stadtforschens so auszurichten, dass sie den Prozess und die Prozessualität der Raumproduktion nicht wieder hinter dem Produkt verschwinden lassen“ (ebd., S. 10). Diese Stelle ist jedoch nicht der geeignete Ort, Dells Ansatz ausführlich zu thematisieren. Vielmehr soll betont werden, dass Dell am Fall der Stadtforschung in geradezu dramatischer Weise verdeutlicht, was topologisches Denken für Gegenstandskonstitution bedeuten kann, abseits der Versuche, sich (wieder) reifizierend mit Raumforschung zu beschäftigen.

4 Im Schatten des Spatial Turn: topographische und topologische Perspektiven

Ausgehend von der Infragestellung eines alltagsweltlichen euklidischen Raumverständnisses entwickelte sich zunehmend eine Ausdifferenzierung bisheriger Vorstellungen zu Raum (vgl. Gosztonyi 1976). Diese Entwicklungen sind „insofern maßgeblich für die folgenden Zugänge zum Raum, als von diesem Punkt aus ein Prozess in Gang gesetzt wird, welcher der Gewissheit um den einen einheitlichen, homogenen Raum grundlegend die Basis entzieht und diesen noch einmal gänzlich neu überdenken lässt“ (Frahm 2010, S. 60; Hervor.i.O.). Im Schatten dieser prominenten Kehre, die gleichzeitig konstitutive Voraussetzung für ihre Folgeentwicklungen ist, entwickelten sich mit topographischen und topologischen Ansätzen weitgehend unbemerkt zusätzliche raumtheoretische Sichtweisen.

4.1 Topographische Perspektiven in der Raumforschung

In den Literatur-, Medien- und Kulturwissenschaften entwickelte sich zunächst auch eine vom alltagsweltlichen Raumbegriff abwendende Positionierung, die begrifflich als Topographical turn gefasst wird (vgl. Weigel 2002; Dünne 2009b; Günzel 2009, 222 ff.; Wagner 2012). Ähnlich wie im Spatial Turn, stellt auch der Topographical Turn das Substanzdenken infrage und geht nicht mehr von gegebenen und unveränderlichen verabsolutierten Raumverständnissen aus. Es ist gerade die Form der Repräsentation von Räumlichkeit und der „Darstellungsakzent [, der; EvE] in den Vordergrund (dringt), wenn vom topographical turn (...) die Rede ist (...)“ (Bachmann-Medick 2010, S. 299; Hervor. i.O.). Weigel (2002) setzt sich in ihrem programmatischen Aufsatz mit der Frage auseinander, in welcher Form Karten, z. B. Landkarten, machtpolitische Implikationen transportieren und wie sie alles andere als bloße Visualisierungsmedien sind (vgl. kritisch Dünne 2009a, 53 ff.). D. h. sie beschäftigt sich mit den Verfahren der Raumvermessung und Raumrepräsentation, vor allem im Zusammenhang mit Kartierung. An dieser Stelle wird gerade nicht auf „die Produktion des Raums bzw. seine Zuspitzung als prozessualer Handlungsraum“ (Frahm 2010, S. 44, Hervor. i.O.; dazu kritisch Dünne 2009b) abgehoben, „sondern vielmehr das Spannungsverhältnis zwischen der Zweidimensionalität der Karte und Mehrdimensionalität kultureller Praktiken ausgelotet“ (Frahm 2010, S. 44). Besonders an der Erstellung von Karten wird nach Weigel deren politischer und medialer Status deutlich und welche politische Macht Karten bei der Beschreibung von Orten auszuüben vermag. In diesem Sinne werden „Fragen der Repräsentation des Raums“ (Frahm 2010, S. 44; Hervor. i.O.) thematisiert (vgl. Schelhaas und Wardenga 2007).

Im topografischen Turn der Kulturwissenschaften geht es zudem um „konkrete Räume des Wissens“ (Rheinberger et al. 1997) wie Labore, Kursräume, Betriebe oder Hörsäle, in denen die Kontingenz dieser „konkreten Räume“ sichtbar gemacht wird. An dieser Stelle erlangt die Differenz zwischen Raum und „konkreten Raum“ bzw. zwischen Raum und Ort ihre Relevanz (vgl. Marquardt und Schreiber 2012; Günzel 2014; Schlitte et al. 2014)Footnote 5. Stockhammer betont, wie bereits eingangs angeführt, dass Topographie dann das „Gemacht-Sein von Räumen“ (Stockhammer 2005, S. 15) behandelt, und dass „konkrete Räume“ „vor allem auch Produkte graphischer Operationen im weitesten Sinne sind“ (ebd.). In der topographischen Analyse wird der „konkrete Raum“ dort zugänglich, wo er oder etwas an ihm sich in Text (oder Textanaloges) verwandelt (hat). Gleichwohl besitzen auch topographische Beschreibungen ihre Grenze, und „diese wird überschritten, wenn jede Kontingenz zur Notwendigkeit erklärt wird und jedes materiale Vorkommnis im Raum als gleichwertig behandelt wird – oder letztlich als gleichwertig behandelt werden muss, wenn eine topographische Beschreibung konsequent verfolgt wird“ (Günzel 2009, S. 230).

4.2 Topologische Perspektiven: vom Raum zur Räumlichkeit

In seinen Arbeiten an einer „topologischen Wende“ hebt Günzel et al. (2012b) hervor, dass diese einen weiteren Entwicklungsschritt raumtheoretischen Denkens darstellt, der ohne die Voraussetzungen des Spatial und Topographical Turn nicht möglich gewesen wäre (vgl. auch Frahm 2010, S. 43). Topologie bedeutet dann, „dass der Blick gewendet wird von dem, wie Raum bedingt, hin zu dem, wie Räumlichkeit bedingt ist“ (Günzel 2007a, S. 13; Hervor. i.O.). Hier klingen bereits deutlich die Abwendung vom Substanzdenken und die Hinwendung zum Funktionsdenken an. D. h., dass „nicht geleugnet (wird), dass es die materielle Welt gibt, sondern nur betont, dass sich daraus nicht der spezifische Sinn menschlichen Verhaltens ableiten oder beschreiben, geschweige denn erklären ließe“ (Günzel 2008b, S. 95). Relationstheoretisch ausgedrückt erhält im topologischen Denken die Relation Vorrang vor ihren Relata (vgl. grundlegend Schaaf 1966; s. a. Schäffter 2014). Letztlich wird diese Orientierung, welche „der räumlichen Struktur oder den Lagebeziehungen einen Vorrang gibt vor der Substanz oder der räumlichen Ausdehnung (...)“ (Günzel 2007a, S. 13), in der Mathematik mit dem Begriff „Topologie“ bezeichnet, der auf die von B. Listing veröffentlichte Schrift „Vorstudien zur Topologie“ von 1847 zurückgeht (Listing 1847). In einer vereinfachten Darstellung zeichnet sich der „Kern“ topologischen Denkens dadurch aus, „dass, gleich wie stark ein Körper vergrößert oder deformiert wird – wie etwa ein Luftballon, der aufgeblasen wird –, sein variables Volumen in topologischer Hinsicht keine Rolle spielt. Solange der Körper oder seine Hülle nicht zerstört wird bzw. Risse bekommt, sind die Nachbarschaftsbeziehungen der Orte auf der Außen- wie auch auf der Innenseite unveränderlich“ (Günzel 2009, S. 222). Auch wenn diese Nachbarschaftsbeziehungen topologisch unverändert bleiben, können sie jedoch topographisch in hohem Maße variieren.

In einer engeren (mathematischen) Bedeutung geht „Topologie ([a]ls mathematische Lehre vom Ort) auf den Philosophien und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz zurück, der zwar selbst noch nicht die Bezeichnung „Topologie“ verwendet, wohl aber in einem Text aus dem Jahr 1693 von einer Analysis situs spricht, als einer „Analyse der Lage“ als Betrachtung der Beziehungen zwischen Dingen“ (Günzel 2014, S. 38; Hervor. i.O.). Weitere Impulse, die die Entwicklung der Topologie vorangetrieben waren, „Eulers Untersuchungen von Polyedern, die Arbeiten von Gauß und Riemann zu Krümmung und nichteuklidischen Geometrien, Riemanns Verständnis von mehrwertigen komplex differenzierbaren Funktionen, Cantors Untersuchungen zu Fourierreihen, das im Entstehen begriffene neue Gebiet der Funktionalanalysis sowie gewisse Problemstellungen bei partiellen Differenzialgleichungen“ (Banagl 2012, S. 250 f.). Es ist gerade die Infragestellung der bis ins 19. Jahrhundert wirkmächtigen und dominierenden euklidischen Geometrie, die dazu führt, die als absolutes Raumverständnis bekannte Vorstellung abzulösen und damit einer alternativen Denkmöglichkeit zur Artikulation zu verhelfen.

Karl Strubecker bemerkt, dass Gauß

1816 die Unbeweisbarkeit des Parallelenaxioms (erkannte). Indem er eine von Widersprüchen freie Nichteuklidische Geometrie aufbaute, in der nicht das Euklidische, sondern ein gegenteiliges Parallelenaxiom gilt, tat Gauß den ersten Schritt über Euklid hinaus. … Weil man seit den Griechen überzeugt war, daß nur eine Geometrie existent und denkmöglich ist, und (Immanuel) Kant diese Überzeugung philosophisch dahin begründete, daß der Raum die uns eingeborene Form des äußeren Sinnes sei, erschloß die Aufstellung der Nichteuklidischen Geometrie auch der Erkenntnistheorie neue Einsichten (Strubecker 1972, S. 2 zit. n. Sturm 2000, S. 73; Hervor. i.O.; s. a. Ströker 1965).

Die Vormachtstellung euklidischer Geometrie und die Etablierung des absoluten Raumverständnisses wurden mit der Entwicklung nichteuklidischer Einsätze grundlegendend infrage gestellt. Die bisherigen Annahmen euklidischer Geometrie wurden von Gauß u. a. kontingent gesetzt und sie „(befreiten) (...) von vorgefaßten Meinungen, was „eine“ Gerade sein solle“ (Sturm 2000, S. 79). Das Potential nichteuklidischer Geometrie ermöglicht dadurch eine epistemologische Eröffnung und Pluralisierung, die raumtheoretisches Denken in ihren Tiefenschichten restrukturiert (vgl. Nunold 2012; für weitere ausführliche Hinweise (auch zur mathematikhistorischen) Entwicklung von Topologie s. a. Ströker 1965; Gosztonyi 1976; Heuser-Keßler 1994; Sturm 2000, S. 65-86; Bornschlegel 2007; Heuser 2007; Banagl 2012).

In einem weiten Verständnis ist „[t]opologisches Denken (...) mit dem mathematischen (...) oft nur lose und indirekt verbunden“ (Pichler 2009, S. 22). Pichler stellt fest, dass bestimmte Bezugnahmen auf topologische Denkfiguren und ihre diagrammatische Übersetzung „meistens im Kontext von Verfahren und im Hinblick auf Ziele (geschieht), die von denjenigen der Mathematiker grundverschieden sind“ (ebd., S. 20). In diesem weiten Verständnis erhält topologisches Denken auch für erwachsenenpädagogische Raumforschung Bedeutsamkeit. Dabei wäre es vollkommen missverstanden, wenn davon ausgegangen werden würde, es ginge nun darum, mathematiktheoretische Formalisierungen im Kontext pädagogischen Denkens zu entwickeln, was zweifelsohne einen großen Erkenntniswert auch für pädagogisches Denken besitzt. Es geht an dieser Stelle vielmehr darum, die in der mathematischen Topologie entwickelten Überlegungen in homologe Denkmodelle raumtheoretischer Forschung pädagogischer Provenienz zu überführen. Davon ausgehend beinhaltet topologisches Denken grundsätzlich die Vorstellung, dass, „gleich wie stark ein Körper vergrößert oder deformiert wird – wie etwa ein Luftballon, der aufgeblasen wird –, sein variables Volumen in topologischer Sichtkeine Rolle spielt“ (Günzel 2009, S. 222). Dass bedeutet, dass solang wie ein „Körper oder seine Hülle nicht zerstört wird oder Risse bekommt, sind die Nachbarschaftsbeziehungen der Orte (...) unveränderlich“ (ebd.). Damit verweist eine topologische Betrachtung „nicht auf Veränderung (...), sondern auf Gleichbleibendes“ (ebd., Hervor. i.O.). Der Vorteil gegenüber inhaltlichen topographischen Einsätzen liegt dann „in der Erfassung von Konstellationen“ (Günzel 2012a, S. 11), bei denen „die Relationen letztlich wichtiger sind als die Relata“ (Pichler 2009, 24 f.).

4.3 Differenz zwischen einer topographischen und einer topologischen Perspektive

Durch die Berücksichtigung der Differenz zwischen einer topographischen und einer topologischen Perspektive wird es einerseits möglich, die Semantik im Kontext raumtheoretischer Forschung zu präzisieren, indem das bestehende Vokabular spezifisch ergänzt wird. Andererseits wird auch deutlich, dass eine topologische Perspektive, so attraktiv ihre theoretische Ambition auch sein mag, nicht ohne eine topographische Beschreibung „Halt“ findet. Eine topologische Beschreibung von Räumlichkeit erhält letztlich „nur Sinn, wenn es eine räumliche Entsprechung der Struktur gibt, auf welche die Beschreibung zutrifft. (...) Eine topographische Beschreibung von Settings kann vor allem quantitativ mehr erfassen als eine topologische Beschreibung“ (Günzel 2009, S. 230). Sofern diese Beziehung zwischen Topographie und Topologie Berücksichtigung findet, bleibt daran festzuhalten, „dass man bei allem Interesse an abstrakt-topologischen Raumrelationen nicht aus den Augen verlieren sollte, dass solche Topologien nie medienunabhängig sind“ (Dünne 2009b, S. 22), und dass gerade in der Verbindung von Topographie und Topologie „sogar die große Chance liegt, die mediale Praxis der Literatur im Rahmen eines kulturwissenschaftlichen Fragehorizonts mit einer besonderen Auszeichnung zu versehen“ (ebd.). Diese „besondere Auszeichnung“, die Dünne den Literaturwissenschaften attestiert, könnte sich auch für die erwachsenenpädagogische Raumforschung als epistemologisch vielversprechend erweisen.

5 Zum Potential einer topologischen Perspektive in der erwachsenenpädagogischen Raumforschung

Am Schluss der bisher geführten Auseinandersetzung stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten eine topologische Perspektive grundsätzlich für die erwachsenenpädagogische Raumforschung zu eröffnen in der Lage ist. Eine topologische Perspektive hat ihren Ausgangspunkt im Relationsdenken. Epistemologisch bedeutet das zunächst, dass eine topologische Perspektive ein Beziehungsgefüge darstellt, in dem „kein einheitliches, absolutes Maß existiert, vor dessen Hintergrund der Raum noch vermessen werden könnte. Dies hat zur Folge, dass sich die jeweiligen Orientierungsmarken von rechts und links, von oben und unten, von global und lokal etc. je nach Blickwinkel auf den Raum grundsätzlich verändern bzw. in ihr Gegenteil umschlagen können“ (Frahm 2010, S. 86). Diese Dynamik der relationalen Bezüge verhindert es geradezu, statisch gedachte und objektiv wahrgenommene Annahmen zum Zuge kommen zu lassen. In dieser Hinsicht ermöglicht ein topologischer Zugang eine auf Prozessualität ausgerichtete Perspektive einzuschlagen, die allerdings nicht in Arbitrarität mündet, sondern Kontingenz und Pfadabhängigkeit berücksichtigt (vgl. ausführlich Dell 2016, S. 31).

Mit der Hinwendung zu einer topologischen Perspektive in der erwachsenenpädagogischen Raumforschung erwächst die Möglichkeit, der Ausrichtung hin zu einer verkürzten Form der „Rematerialisierung“ eine Alternative entgegenzustellen, die dadurch charakterisiert ist, dass sie von jeglicher Substanzvorstellung Abstand hält und damit einer erkennbaren „Raumfalle“ entgeht. Es scheint beinahe so, dass das Risiko, in eine „Raumfalle“ zu tappen, steigt, „(j)e konkreter die Raumperspektive auf die Analyse wirklicher Räume bezogen wird“ (Bachmann-Medick 2010, S. 315). An dieser Stelle ließe sich auf einen Gedanken bei Bachmann-Medick verweisen, wenn sie darauf verweist, dass die „Rematerialisierung“ auch den Wunsch nach Visualisierung und Anschauung transportieren könnte, womit Fragen zum Verhältnis von Spatial und Iconic Turn angesprochen würden (s. a. Schelhaas und Wardenga 2007, S. 144 ff.). Sie führt dazu aus:

Zwar sollte man nicht so weit gehen, den spatial turn auf ein „Visualisierungsbedürfnis“ zurückzuführen, das – über Karten und Raumrepräsentationen – „Welt-Bilder“ produziert. Doch ließe sich hier eine markante Gelenkstelle zwischen spatial turn und iconic turn fruchtbar machen. Sie führt schließlich zu wichtigen Einsichten in die Materialität des Raums, die freilich nicht dazu verleiten sollten, wieder zu den handfesten, naturalisierenden Raumbegriffen zurückzukehren und darüber in einen konzeptlosen Neo-Positivismus zu verfallen. Vielmehr könnte die Materalitätsperspektive dazu motivieren, stärker als bisher nicht nur abstrakte Raumbeziehungen, virtuelle oder symbolische Raumkonzepte aufzuwerten, sondern (...) auch wirklich einmal Standorte, Verkehrssysteme, Meerengen und Ressourcen zu berücksichtigen (Bachmann-Medick 2010, S. 316, Hevor.i.O.).Footnote 6

Anknüpfend an diesen Gedanken werden über die Anschauung topologischer Figurationen Anschlüsse zu diagrammatischen Fragestellungen auslotbar. In dieser Hinsicht zeigen sich topologische Darstellungen von Räumlichkeit als diagrammatische Denkmittel (vgl. Rustemeyer 2009; Bauer und Ernst 2010; Krämer 2016)Footnote 7 und ermöglichen darüber hinaus, weitere epistemologische Zugänge zur erwachsenenpädagogischen Raumforschung zu erkunden.

Es sollte sichtbar werden, dass topologische Einsätze als heuristisches Instrument zur Erfassung von Räumlichkeit dienen und damit die analytische Schärfe in der bisherigen erwachsenenpädagogischen Raumforschung vertiefen kann. In einem vorschnellen Reflex darf die Hinwendung zu einem relationalem Denkstil (und die Abwendung von einem Substanzdenken) jedoch nicht fälschlicherweise damit verwechselt werden, dass es keine Wirklichkeit „gibt“. Günzel verweist darauf, dass

nicht zu leugnen (ist), dass man sich räumlich ausgedehnten substanziell vorhandenen Objekten, etwa an Tischen, stoßen kann und es daher eine Faktizität des Dinglichen gibt, aber darum geht es nicht in der Beschreibung von Raum. Vielmehr handelt es sich dabei um Aspekte von Materialität, die wiederum ästhetisch, historisch, kulturell, technisch usw. bestimmt oder auch genealogisch hergeleitet werden können (Günzel 2012a, S. 11).

Vor dem Hintergrund topologischen Denkens deutet die Verhandlung von Räumlichkeit nicht auf substanzielle topographische Ortsbeschreibungen, sondern darauf Lage- oder Nachbarschaftsbeziehungen zu fokussieren. Damit ist im Kern eine grundlegende Veränderung von bislang implizit vorausgesetzten Verhältnisbestimmungen angesprochen: Werden sie substanziell zu fassen versucht und dabei als ding-ontologische (äußere) Beziehungen zwischen vorgegebenen Elementen weiterhin unterstellt, so wird nun – strukturtheoretisch – auf inhaltlich offene formale Lagebeziehungen umgestellt (vgl. Schaaf 1966). Für die Bestimmung und empirische Beobachtung pädagogischer Gegenstände hat dies folgenreiche Konsequenzen, weil sie nicht mehr verdinglicht betrachtet werden können, sondern zunächst in ihrer topologischen Verhältnisbestimmung zu begreifen wären, wobei deren topographische Gestalt vielfältig variieren kann.

Wie bereits oben angedeutet, offeriert Dells Studie Impulse, wie eine topologische Perspektive operationalisiert werden könnte. Dabei basiert Dells Vorschlag auf der Annahme, „Stadt als relationales Feld von Handlungszusammenhängen zu sehen, die sich epistemisch erschließen lassen“ (Dell 2016, S. 35). In diesem Zusammenhang verweist er auf die sich performativ verschränkenden Handlungszusammenhänge der Stadt und analysiert diese in Anschluss an Lucius Burckhardts (2004) Überlegungen zu Design. Burckhardt unterscheidet am „Exempel der Straßenecke (...) den empiristischen Ansatz eines analytischen Zerlegens von gebauter Umwelt in isolierte Elemente von der strukturell-diagrammatischen Analyse der Relationalität der Elemente“ (Dell 2016, S. 36). Dell zitiert Burckhardt ausführlich: „‚So kann man die Welt als eine Welt von Gegenständen auffassen und sie einteilen in – z. B. – Häuser, Straßen, Verkehrsampeln, Kioske; in Kaffeemaschinen, Spültröge, Geschirr, Tischwäsche‘“ (Burckhardt zit.n. Dell 2016, S. 36). Dell führt nun aus, dass unter der Hinwendung zu Konstellationen, Gefügen oder Relationen in der Raumforschung auch eine andere Einteilung vorstellbar wäre. Dann läge die Perspektive nicht auf der isolierenden Einteilung „zwischen Haus, Straße und Kiosk, um bessere Häuser, Straßen und Kioske zu bauen“ (ebd.), sondern auf der Ebene umfassender Gefüge, indem der „Komplex Straßenecke gegen andere städtische Komplexe“ (ebd.) abgegrenzt wird. Dabei zeichnet sich der Komplex Straßenecke dadurch aus, dass

der Kiosk davon (lebt), daß mein Bus noch nicht kommt und ich eine Zeitung kaufe, und der Bus hier (hält), weil mehrere Wege zusammenlaufen und die Umsteiger gleich Anschluß haben. Straßenecke ist nur die sichtbare Umschreibung des Phänomens, darüber hinaus enthält es Teile organisatorischer Systeme: Buslinien, Fahrpläne, Zeitschriftenverkauf, Ampelphasen usw. (Burckhardt zit.n. Dell 2016, S. 36).

Eine topologische Perspektive auf Raumforschung, wie sie durch Dell in Anschluss an Burckhardt im Kontext von Stadtforschung zu konturieren versucht wird, eröffnet Blickpunkte, die auch für die Weiterentwicklung erwachsenenpädagogischer Raumforschung von vielversprechendem Interesse sein könnte. In diesem Sinne liegen bereits instruktive Überlegungen vor, die in eine topologisch-informierte Perspektive erwachsenenpädagogischer Raumforschung überführt und fortentwickelt werden könnten.

6 „Im Grenzbereich des Räumlichen“ – Topologisches Denken außerhalb erwachsenenpädagogischer Raumforschung

Mit einer topologischen Perspektive auf raumtheoretische Forschung in der Erwachsenenpädagogik bestünde die Möglichkeit, noch auszulotende Anschlüsse an Wissensbestände herzustellen, die zunächst nicht unmittelbar einsichtig wären. Bei längerer Betrachtung wird erkennbar, welches Potential topologische Überlegungen für das Erarbeiten eigenständiger Positionen beinhalten. Dies betrifft dann auch nicht mehr „nur“ raumtheoretische Fragen. Im Horizont der bis hierhin vorgetragenen Entfaltung eröffnen sich interessante noch zu bahnende Pfade zu weiteren Feldern in der Erwachsenenpädagogik. Damit soll angedeutet werden, dass Topologie sich nicht nur allein auf Räumlichkeit beziehen muss, sondern – gewissermaßen im Grenzbereich des Räumlichen – eine fruchtbare Heuristik für erwachsenenpädagogische Forschungsgegenstände erkennbar werden lässt. Es könnte angesichts der bislang entfalteten Argumentation behauptet werden, dass ein topologischer Zugang einen interessanten und weiterführenden Aufschluss für die Fragen zur Bestimmung und Konstitution von Forschungsgegenständen anbietet.Footnote 8 Dabei wäre es ein Missverständnis, wenn dies mit Überlegungen eines „korrekten“ oder „richtigen“ Zugangs verwechselt werden würde. Es geht gerade nicht um einen normativ gefassten Forschungszugang, sondern darum, mit welchen Vorannahmen Forschungsgegenstände in der Erwachsenenpädagogik gefasst werden und inwieweit dies offen gelegt wird (vgl. Emirbayer 1997).

Der Einsatz topologischen Denkens im Rahmen von Gegenstandsbestimmung und -konstitution soll an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert, sondern lediglich in groben Umrissen skizziert werden. Mit diesem letzten Argumentationsschritt scheint erneut die Potentialität einer topologischen Perspektive auf. Sofern einem Denken in „Konstellationen“, in „Gefügen“ oder auch „Relationen“ gefolgt und dabei auf die Differenz zwischen „Topographie“ und „Topologie“ rekurriert wird, ergeben sich interessante Blickpunkte auf den Umgang mit einzelnen Forschungsgegenständen. Zur Illustration dienen folgende Beispiele:

  • Die Zugänglichkeit von Einrichtungen in der Erwachsenenbildung für bestimmte Adressatinnen und Adressaten kann einerseits topographisch, andererseits topologisch fokussiert werden. Aus einer topologischen Perspektive betrachtet, hat eine vermeintliche „Bildungsnähe“ nichts damit zu tun, dass sich topographisch innerhalb einer Weiterbildungseinrichtung aufgehalten wird.

  • Der Zusammenhang zwischen Gruppenposition und Lernerfolg kann ebenfalls sowohl topographisch als auch topologisch analysiert werden. Je nachdem welche topographische Position in einer sozialräumlichen Gruppenkonstellation bzw. in einem topologischen Gefüge eingenommen wird, hat Einfluss auf den Erfolg von Lernen. Darüber hinaus geraten in einer topologischen Perspektive auch diejenigen in den Analysefokus, die topographisch nicht anwesend sind, sondern gerade .aufgrund ihrer Nichtanwesenheit, d. h. ihrer Exklusion Bedeutung erlangen.

  • Es lassen sich überdies auch pädagogische Aneignungsprozesse fruchtbar in einer topologischen Perspektive diskutieren. Sofern Aneignung sich als in einer wechselseitigen Lagebeziehung im Vollzug eines Aneignungsprozesses befindlich aufgefasst wird, bei dem beide Seiten der Relation einem verändernden Bildungsprozess unterworfen sind, löst sich sein Verständnis von einer konkreten topographischen Verdinglichung von Aneignung und geht zu einem relationalen Wechselverhältnis über.

Mit den drei Skizzierungen soll nun nicht unterstellt werden, dass solche Überlegungen nicht bereits in unterschiedlicher Weise und Intensität in der Erwachsenenpädagogik diskutiert würden. Vielmehr ist das Interesse darauf gerichtet, zu verdeutlichen, dass mit der Einführung einer topologischen Perspektive ein heuristisches Ordnungsraster zur Verfügung steht, um alternative Blickpunkte auf Forschungsfragen für die Erwachsenenpädagogik systematisch fruchtbar zu machen.