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Keine Konzessionen? Recht und Gerechtigkeit im Epos von Loher und Maller

No concessions made? Law and justice in the epic Loher und Maller

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Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Aims and scope Submit manuscript

Abstract

The late mediaeval prose epic Loher und Maller constantly challenges a naïve interpretation of what constitutes justice by confronting it over and over again with extreme cases. Generally speaking, ›poetic justice‹ succeeds in establishing coherence and propel the narrative forward. The constituents of societal norms and of laws are nevertheless relentlessly questioned — to such an extent that the narrative inquiry occasionally departs from the common understanding of justice. With its focus on morality, especially the presence or absence of faith, Loher und Maller is primarily concerned with the potential for confl ict inherent in medieval constructions of legality and justice. In doing so, the epic opens up a narrative playground unencumbered by legal constraints as — after all — literature need not comply with medieval jurisdiction and its claims to the validity and scope of its writings. It is literature’s privilege to facilitate unfamiliar ways of looking. The playful — but by no means inconsequential — casuistry played out in Loher und Maller gives rise to a ›probable‹ world tangential to historical reality and its understanding of justice and the law.

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Literature

  1. Übertragen in die auch »für französische Heroik hochmoderne Form der Prosa« wurden die vier Epen erstmals um 1430. Das Zitat aus Bastert, Bernd: Helden als Heilige. Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum, Tübingen/Basel 2010 (Bibliotheca Germanica 54), S. 398. Zu den vier Epen vgl. Bloh, Ute von: Ausgerenkte Ordnung. Vier Prosaepen aus dem Umkreis der Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken: ›Herzog Herpin‹, ›Loher und Maller‹, ›Huge Schep pel‹, ›Königin Sibille‹, Tübingen 2002 (MTU 119), S. 31–36; vgl. außerdem die dort angegebene Literatur.

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  2. Zwei von der DFG unterstützte Projekte an den Universitäten in Bochum und Potsdam arbeiten an den Editionen des Herzog Herpin (Leitung: Bernd Bastert) und des Loher und Maller (Leitung: Ute von Bloh). Wie später auch in der Edition sind die Zitate behutsam normalisiert: Abkürzungen sind stillschweigend aufgelöst und interlineare Ergänzungen eingefügt; durchgeführt ist zudem eine zeitgemäße Interpunktion, Eigennamen sind groß geschrieben und die Namenschreibung ist vereinheitlicht; weist die Handschrift in Hamburg Textverlust auf, dann wird nach der Abschrift in Köln zitiert.–Erhalten sind fünf Handschriften, die das Epos von Loher und Maller überliefern (Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 11 in scri nio, um 1456; Heidelberg, Universitätsbibliothek, Heid. Hs. 1012 [olim Ash burn ham Place, Cod. 486], 24r–248v, datiert 1463; Köln, Historisches Archiv, Cod. W 337, 1r–149r, um 1486; Kfiivoklát [Pürglitz], Burgbibliothek, I a 3, datiert 1482; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2816, datiert 1493), außerdem etliche Drucke. Vgl. dazu Bloh, Ute von: Loher und Maller. Übertragen aus dem Französischen von Elisabeth von Nassau-Saarbrücken. Hamburg, Staats- und Univer sitätsbibliothek, Cod. 11 und 11a in scrinio. Farb mikrofiche-Edition, München 1995 (Codices illuminati medii aevi 35).

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  3. Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, 6., unveränderte Auflage, Tübingen 1982 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 15), besonders S. 173–179, 190 f.; 190: »im Kasus steckt wiederum ein Verhältnis zur F r a g e.« (Hervorhebung im Original).

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  4. Eine vergleichbare Beobachtung, nämlich dass ein »unbegriffener Rest« des Narrativen »gebändigt« werden muss, machen Hartmut Bleumer und Caroline Emmelius am Ring Wittenwilers. Das Unbefriedigende an der Eigenvernunft des Rechtswissens bringt im Loher und Maller–wie noch zu zeigen ist–die ›poetische Gerechtigkeit‹ zum Ausgleich. Vgl. Bleumer, Hartmut/ Emmelius, Caroline: »Vergebliche Rationalität. Erzählen zwischen Kasus und Exempel in Wittenwilers ›Ring‹«, in: Klaus Ridder (Hg.): Reflexion und Inszenierung von Rationalität in der mittelalterlichen Literatur, Blauberener Kolloquium 2006. In Verbindung mit Wolfgang Haubrichs und Eckart Conrad Lutz, Berlin 2008 (Wolfram-Studien 20), S. 177–204, hier S. 201.

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  5. Zur ›Serialität des Erzählens‹ vgl. von Bloh, Ausgerenkte Ordnung (wie Anm. 2), besonders S. 110–125. Zu den Termini Motiv, Thema, Sujet, plot oder Handlungsschema vgl. die Internet-Dissertation von Gaebel, Ulrike: Chansons de geste in Deutschland. Tradition und Destruktion in Elisabeths von Nassau-Saarbrücken Prosaadaptationen, http://www.diss.fu-berlin.de/2002/8/gaebel (Stand 15.03.2011), besonders S. 67–75. Analytisch weiterführend hat sich jüngst Jan-Dirk Müller mit ›Erzählkernen‹ in der höfischen Epik befasst, die Erzählmuster generieren, »die bestimmte, historisch spezifische Probleme, Konflikte und Lösungen konfigurieren«, weil sie »in der Welt erfahren und angeeignet« werden. Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, hier S. 29–34, Zitate S. 29. Vgl. außerdem Winst, Silke: »Narration im späten Mittelalter: Serialität und Komplexität im Prosaepos Loher und Maller« (im Druck).

  6. Kaul, Susanne: Poetik der Gerechtigkeit. Shakespeare–Kleist, München 2008, S. 12.

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  7. Jauß, Hans Robert: »Hermeneutische Moral: der moralische Anspruch des Ästhetischen«, in: ders.: Wege des Verstehens, München 1994, S. 30–48, hier S. 33. Demgegenüber geht Kaul, Poetik der Gerechtigkeit (wie Anm. 13), davon aus, dass »Doktrinen wie die der poetischen Gerechtigkeit […] die ästhetische Qualität der Literatur« gefährden (S. 297, ähnlich S. 16). Die mittelalterliche und auch noch die frühneuzeitliche Literatur ist allerdings–bei allen Freiheiten, die sie sich nimmt–enger mit der Alltagswelt verflochten als moderne Literatur. Die Beziehbarkeit auf alltagsweltliche Einstellungen ist entsprechend mehr noch vorauszusetzen als in modernen Texten. Auch die Freiräume des Fingierens sind eingeschränkt, da ein literarischer Diskurs, der Selbstreflexivität zuließe, noch nicht existiert. Vgl. dazu den

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  8. Band von Peters, Ursula/ Warning, Rainer (Hgg.): Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag, München 2009. Insofern ist die Ausbildung von Rechtsvorstellungen anders als in der Moderne in erhöhtem Maß auf symbolisch wirksame Fiktionen angewiesen (vgl. die Einleitung zu diesem Heft, S. 8 f.), die natürlich abzusetzen sind von der Fiktion im Rechtswesen, der fictio iuris.

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  9. Vgl. Kroeschell, Karl: »›Rechtsfindung‹. Die mittelalterlichen Grundlagen einer modernen Vorstellung«, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971, hg. von den Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 3, Göttingen 1972 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 36/3), S. 498–517, hier S. 509. In meiner Habilitationsschrift habe ich mich unter anderen Fragen mit dem imaginierten Recht und der historischen Rechtswirklichkeit auseinandergesetzt. Vgl. von Bloh, Ausgerenkte Ordnung (wie Anm. 2), zu diesem Komplex besonders S. 388–406.

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  10. In der mittelalterlichen Rechtssprache steht die Formulierung von Recht (Gerechtigkeit im Sinne der Rechtsordnung) und Billigkeit (aequitas, im Sinne der Gerechtigkeit des Einzelfalls) »als Ausdruck für Gerechtigkeit«. Vgl. Schmidt-Wiegand, Ruth: »Sprichwörter und Redensarten aus dem Bereich des Rechts«, in: Stephan Buchholz/ Paul Mikat/ Dieter Werkmüller (Hgg.): Überlieferung, Bewahrung und Gestaltung in der rechtsgeschichtlichen Forschung, Paderborn u. a. 1993 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N. F. 69), S. 277–296, hier S. 292.

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  11. Schild, Wolfgang: Bilder von Recht und Gerechtigkeit, Köln 1995, S. 10.

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  12. Zum »verrechtlichte[n] Gott« vgl. Schild, Wolfgang: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, 2., korrigierte Auflage, München 1985, S. 10 f., Zitat S. 10.

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  13. Castoriadis, Cornelius: Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Übersetzt von Horst Brühmann, Frankfurt a. M. 1984, S. 181; vgl. auch S. 218 zum Imaginären, das einerseits aus Bildern besteht, die symbolische Funktion besitzen, das andererseits aber auch die Wurzel für die Fähigkeit darstellt, überhaupt ein Bild hervorzurufen.

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  14. Schmidt-Wiegand, TRuth (Hg.): Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter. Ein Lexikon. Unter Mitarbeit von Ulrike Schowe, München 1996, S. 270.

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  15. Maller gibt fol. 13v vor, ein Verwandter des andersgläubigen Königs Pynar zu sein, um Loher aus der Gefangenschaft befreien zu können; Marphone trägt fol. 99r das Wappenkleid eines Feindes, fol. 103r/v verkleidet er sich als Bauer, um unerkannt ins feindliche Lager oder in die feindliche Burg zu gelangen usw. Zum Spiel mit den Status- und Geschlechterrollen in den vier Prosaepen vgl. Bloh, Ute von: »Gefährliche Maskeraden. Das Spiel mit der Status- und Ge schlech teridentität (›Herzog Herpin‹, ›Königin Sibil le‹, ›Loher und Maller‹, ›Huge Scheppel‹)«, in: Wolfgang Haubrichs/ Hans-Walter Herrmann (Hgg.): Zwischen Deutsch land und Frankreich. Elisabeth von Lothringen, Gräfin von Nas sau-Saarbrücken. Unter Mitarbeit von Gerhard Sander, St. Ingbert 2002 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarlän di sche Landesgeschichte und Volksfor schung e. V. 34), S. 495–515.

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  16. So auch im mittelhochdeutschen Sprachgebrauch; zu billich vgl. Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Hg. Matthias Lexer, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1872–1878, hier Bd. 1 Leipzig 1872, Sp. 276; zu mügelich: vgl. das Lemma »müge-, müglich«, ebd., Sp. 2217 f.

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  17. Maye, Harun: »Die Paradoxie der Billigkeit in Recht und Hermeneutik«, in: Cornelia Vismann/ Thomas Weitin (Hgg.): Urteilen/Entscheiden, München 2006 (Literatur und Recht), S. 56–71, Zitat S. 60.

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  18. In der mittelalterlichen Rechtspraxis wurde zwar berücksichtigt, ob eine Tat unwissentlich und ungewollt begangen wurde, aber es gab auch die unterschiedlichsten Einzelbestimmungen: Bisweilen war ›Fahrlässigkeit‹ dem Vorsatz gleichgesetzt, dann aber konnte sog. Ungefährwerk auch unvergolten bleiben; dazu etwa Schmidt, Eberhard: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen 1947, S. 57 f., oder

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  19. Kaufmann, Ekkehard: Art. »Fahrlässigkeit«, in: HRG 1 (1971), Sp. 1045–1049, hier Sp. 1046. Gelegentlich wird der Zufall, als der der Mord hier ausgewiesen ist, von der ›Fahrlässigkeit‹ abgegrenzt, und aufs Ganze gesehen »zeigt das Recht des späteren MA. eine bunte Kasuistik, in der die Tendenz zur milderen Bestrafung des fahrlässig begangenen Delikts wohl überwiegt« (ebd. Sp. 1047; vgl. auch Schmidt: Einführung, S. 27). Erst die ›Carolina‹ definiert genauer, sowohl hinsichtlich der rechtlichen Folgen als auch des Tatbestandes.

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  20. Billigkeit zur Milderung von Härten, die sich aus der strengen Anwendung von Rechtsgrundsätzen ergeben, ist noch heute im BGB (§ 138, 157, 242, 315, 829, 847) verankert; damals wie heute sollen die »Interessenlage beider Seiten und alle tatsächlichen Umstände« berücksichtigt werden; vgl. http://www.de/wissen/POZPHX,0,0,Billigkeit.html (Stand 15.03.2011). Rümelin, Max: Die Billigkeit im Recht. Rede gehalten bei der akademischen Preisverteilung am 7. November 1921 von Prof. Dr. Max Rümelin, Tübingen 1921, S. 56, definiert: »Unter billigem Recht versteht man […] ein Doppeltes: einmal das dem Rechtsgefühl des Urteilers und des Volkes entsprechende Recht und ferner das Recht, das der richterlichen Rechtsfindung, der Würdigung der Umstände des Falls, Spielraum gibt.«

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von Bloh, U. Keine Konzessionen? Recht und Gerechtigkeit im Epos von Loher und Maller. Z Literaturwiss Linguistik 41, 42–65 (2011). https://doi.org/10.1007/BF03379965

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