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Mexikanische Bilder in Walter Benjamins Einbahnstraße

Mexican images in Einbahnstraße by Walter Benjamin

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

In dieser Arbeit werden Mexikanische Botschaft und Tiefbau-Arbeiten, zwei Traumerzählungen aus der Einbahnstraße behandelt und als ein Diptychon präsentiert, in denen Benjamins kritische antinationalistische und antiklassizistische Haltung ans Licht kommt. Die mexikanischen Bilder stellen die deutsche klassische literarische Tradition infrage und zeigen die Wirkung, die der Kontakt zu lateinamerikanischen Kulturen aus der präkolonialen Zeit durch die Brille der Ethnologie auf Benjamin hatte.

Abstract

This paper analyses Mexikanische Botschaft and Tiefbau-Arbeiten, two dreams recount by Benjamin in Einbahnstraße and presents them as forming a diptych in which center Benjamin’s antinationalistic and anticlassicist positions appears in it’s most critical dimension. The Mexican images question the German classical literary tradition and show the effects of Benjamin’s contact with pre-colonial Latin-American cultures through the glasses of the German ethnology of his time.

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Notes

  1. Siegfried Kracauer, »Zu den Schriften Walter Benjamins«, in: Ders., Schriften, Bd. 5.2, Frankfurt a. M. 1971, 119–124, hier: 123. »In der Tat ist die Sammlung reich an Detonationen. Hinter dem Schutthaufen kommen weniger reine Wesenheiten als vielmehr kleine materielle Partikel zum Vorschein, die auf Wesenheiten weisen.«.

  2. In Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft (III, 283–290) präzisiert Benjamin im Bild der Hydra, was er unter klassischer Ästhetik versteht: »In diesem Sumpfe ist die Hydra der Schulästhetik mit ihren sieben Köpfen: Schöpfertum, Einfühlung, Zeitentbundenheit, Nachschöpfung, Miterleben, Illusion und Kunstgenuß zu Hause« (III, 286).

  3. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1990, 76–86.

  4. Vgl. das 116. Athenäumsfragment, in dem Schlegel die romantische Poesie mit dem Witz unter dem Motto »den Witz poetisieren« in Verbindung bringt.

  5. Der 1922 geschriebene Essay zu Goethes Wahlverwandtschaften (I, 123–201) ist das wichtigste Dokument für Benjamins Abrechnung mit Basistheoremen der Romantik – wie dem Symbolbegriff, der Religion der Kunst und der Figur des Genies, welche die damalige Goethephilologie prägten. Die ironische Geste der Einbahnstraße ist auch hier zu finden: Benjamins Kritik stellt den Versuch dar, dem Begriff der Kunstkritik in der Auseinandersetzung mit Goethe eine wahrhaft aktuelle Gestalt zu geben. In diesem Sinne ist der Essay eine exemplarische Kritik, eine Umsetzung des Kritikbegriffes der Romantik, die aber zugleich wichtige Thesen der Romantik ablehnt. Dort wird Kritik als notwendige Ergänzung des Werks aufgefasst, die dessen Wahrheitsgehalt zutage fördert. Die Kunstkritik erscheint somit als Mittel der Vollendung der Werke im Medium der Kunst. Zu Goethes Wahlverwandtschaften vgl. Burkhardt Lindner, »›Goethes Wahlverwandtschaften‹. Goethe im Gesamtwerk«, in: Ders. (Hrsg.), Benjamin-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2006, 472–492; Vivian Liska, »Die Mortifikation der Kritik. Zum Nachleben von Walter Benjamins ›Wahlverwandtschaften‹-Essay«, in: Heinz Brüggemann (Hrsg.), Walter Benjamin und die romantische Moderne, Würzburg 2009, 247–262. Zu Benjamins Dissertation vgl. Uwe Steiner, Die Geburt der Kritik aus dem Geiste der Kunst, Würzburg 1989, 17–46; Beatrice Hanssen, Andrew Benjamin (Hrsg.), Walter Benjamin and Romanticism, New York, London 2002.

  6. Zum Blitz bei Walter Benjamin vgl. Sigrid Weigel, »Der Blitz der Erkenntnis und die Zeit des Bildes. Die Bedeutung von Malerei und Mediengeschichte für Walter Benjamins Bilddenken«, Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Bd. 26/2012, Göttingen 2013, 30–51.

  7. Zur Beziehung zwischen Benjamin und Noeggerath vgl. »Walter Benjamin und Felix Noeggerath«, in: Gershom Scholem, Walter Benjamin und sein Engel. Vierzehn Aufsätze und kleine Beiträge, Frankfurt a. M. 1983, 78–127.

  8. Gershom Scholem, Die Geschichte einer Freundschaft, Frankfurt a. M. 1975, 47. Scholem bezieht sich wahrscheinlich auf Bernardino de Sahagúns Historia general de las cosas de nueva España [Allgemeine Geschichte der Begebenheiten in Neu-Spanien]. Vgl. Bernardino de Sahagún, Historia general de las cosas de nueva España, Mexiko 1977. Es gibt eine deutsche Übersetzung: Aus der Welt der Azteken. Die Chronik des Fray Bernardino de Sahagún, übersetzt von Leonhard Schultze-Jena, Eduard Seler und Sabine Dedenbach-Salazar-Sáenz, Frankfurt a. M. 1989. Das Buch basiert auf dem Florentinischen Kodex, welcher die wichtigste Quelle von Lehmanns Untersuchungen war.

  9. Bernardino de Sahagún (Anm. 8), 11.

  10. Bernardino de Sahagún (Anm. 8), 1.

  11. Der Florentinische Kodex beschreibt die Eroberung und Missionierung Mexikos und stellt einen Versuch dar, das erhaltene Wissen über die Moralvorstellungen und Rituale der im 17. Jahrhundert untergehenden aztekischen Zivilisation festzuhalten. Die enzyklopädische Arbeit entstand zwischen 1558 und 1580, wurde zweisprachig verfasst und besteht aus drei Teilen: einem auf Spanisch, einem auf Nahuatl und einem dritten Teil, der nur Bilder enthält. Der Kodex umfasst 12 Bücher und mehr als tausend Abbildungen. Da er eine der Hauptquellen für seine Studien war, hatte Lehmann Teile des Kodex ins Deutsche übersetzt. Zur Struktur des Kodex: José Luis Martínez, El »Códice florentino« y la »Historia General« de Sahagún, Archivo General de la Nación, Mexiko 1989. Zum Thema »Conquista«: Serge Gruzinski, L’Amérique de la Conquête peinte par les Indiens du Mexique, Paris 1991. Georges Bataille war ebenfalls ein begeisterter Leser des Kodex, dem er historische Fakten über den Kult der Menschenopfer bei den Azteken für sein Buch über das Opferritual entnahm. Bataille verfasste 1928 einen ersten Aufsatz über das Thema L’Amerique disparue in: Cahiers de la Republique des lettres, des sciences et des arts. XI: L’Art Précolombien. L’Amérique avant Christophe Colomb, París 1928, 5–14. Englische Version: »Extinct America«, in: October, 36 (1986), 3–9.

  12. Im Prolog zu seiner Historia General erzählt Sahagún: »Als dieses Werk angefangen wurde, begannen diejenigen, die davon wußten, zu sagen, daß ein Wörterbuch gemacht werden solle.« Sahagún fehlten damals die Grundlagen dafür, und beim Abschluss der Schrift war er zu alt und schwach, um solch ein Projekt in Angriff zu nehmen. Er versichert, die Grundlage für ein Wörterbuch erarbeitet zu haben »so daß derjenige, der es wünscht, es mit Leichtigkeit machen kann, denn durch meinen Fleiß sind zwölf Bücher in der eigenen und jener natürlichen mexikanischen Sprache geschrieben worden« ([Anm. 8], 16).

  13. Scholem (Anm. 8), 47.

  14. Der Auslöser dafür war Gustav Wynekens gedruckter Vortrag »Der Krieg und die Jugend« (1915), in dem Wyneken am 25.11.1914 vor der Münchner Freien Studentenschaft den Krieg als »ethisches Erlebnis« feierte.

  15. Zu Heinle und Benjamin vgl. Erdmut Wizisla, »›Fritz Heinle war Dichter‹. Walter Benjamins Jugendfreund«, in: Lorenz Jäger, Thomas Reghely (Hrsg.), »Was nie geschrieben wurde, lesen«. Frankfurter Benjamin-Vorträge, Bielefeld 1992, 115–131.

  16. Nach dem Tod Heinles schloss Benjamin sich zunächst in langjähriges Schweigen ein. Der Brief an Buber vom Juli 1916 machte aus diesem Schweigen – das gleichsam ein Argument war gegen eine bestimmte Auffassung von »politischer Wirksamkeit« von Sprache und Schrift, nämlich jener, die durch Worte zum Handeln zu bewegen versucht – eine Politik des Verstummens: »Nur die intensive Richtung der Worte in den Kern des innersten Verstummens hinein gelangt zur wahren Wirkung« (I, 325f.). Zu Benjamins Schweigen siehe Shoshana Felman, »Benjamin’s Silence«, Critical Inquiry, Vol. 25, No. 2 (Winter 1999), 201–234.

  17. Vgl. Brief an Wyneken vom 9.3.1915 (I, 263f.).

  18. Walter Lehmann, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft. Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524. »Colloquios y doctrina christiana« des Fray Bernardino de Sahagún. Herausgegeben aus dem Nachlaß von Gerd Kutscher. Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas, Band 3, Stuttgart 1949.

  19. Lehmanns Idee einer Rettung des Mythos gehört auch zur Benjamin’schen Dialektik von Sprengung und Rettung des mythischen Denkens. Winfried Menninghaus hat im zweiten Kapitel von Schwellenkunde diese Figur herausgearbeitet. Vgl. Winfried Menninghaus, Schwellenkunde. Walter Benjamins Passage des Mythos, Frankfurt a. M. 1986, 26–58.

  20. Im Übersetzer-Aufsatz bestimmt Benjamin den Zusammenhang von Original und Übersetzung als »Zusammenhang des Lebens« (IV, 10) und fordert ein »völlig unmetaphorische[s]« Verständnis des »Gedanke[ns] vom Leben und Fortleben der Kunstwerke« (IV, 11). Zu Benjamins Versuch, Geschichte als Zusammenhang des Lebens und Nachlebens zu denken, vgl. Daniel Weidner, »Fort‑, Über‑, Nachleben. Zu einer Denkfigur bei Benjamin«, in: Daniel Weidner, Sigrid Weigel (Hrsg.), Benjamin-Studien 2, München 2011, 161–178. Zur »Übersetzbarkeit« vgl. Samuel Weber, »Translatability I: Following (Nachfolge)« und »Translatability II: Afterlife«, in: Ders., Benjamin’s abilities, Cambridge, London 2008, 53–78 und 79–94.

  21. Das Begriffspaar »manifester« und »latenter« Trauminhalt wird im Text im Sinne Freuds verwendet. Vgl. Sigmund Freud, Die Traumdeutung, Studienausgabe, Band II, Frankfurt a. M. 1972.

  22. Zum Werk Sahagúns vgl. Eloise Quiñones Keber (Hrsg.), Representing Aztec ritual: performance, text, and image in the work of Sahagún, Boulder 2002.

  23. Bernardino de Sahagún (Anm. 8), 12.

  24. Das Latenzmodell ist ein wichtiges Element in Benjamins Reflexionen über das Schreiben. Er wendet es nicht nur bei der Beschreibung des Entstehungsprozesses seiner Texte an, wie z.B. in der Widmung des Buches Ursprung des deutschen Trauerspiels – »Entworfen 1916. Verfaßt 1925. Damals wie heute meiner Frau gewidmet« (I, 203) –, wo er das Buch in eine ausgedehnte Zeitspanne einbettet, sondern auch für die allgemeine Reflexion über den Zusammenhang von Texten und Erkenntnis: »In den Gebieten, mit denen wir es zu tun haben, gibt es Erkenntnis nur blitzhaft. Der Text ist der langnachrollende Donner« (V, 570).

  25. Sigrid Weigel führt diesen differenzierten Begriff zur Analyse von Benjamins Bildern und Bilddenken ein. Vgl. Sigrid Weigel, »Die unbekannten Meisterwerke in Benjamins Bildergalerie«, in: Dies., Walter Benjamin. Die Kreatur, das Heilige, die Bilder, Frankfurt a. M. 2008, 265–296, hier: 278.

  26. Vgl. Michael Jennings, »Walter Benjamin and the European avant-garde«, in: David Ferris (Hrsg.), The Cambridge Companion to Walter Benjamin, Cambridge 2006, 18–34: »Beginning in 1924, he [Benjamin, M.V.] turned his attention and his energies in precipitously new directions: to contemporary European culture, to Marxist politics, and to a career as a journalist and wide-ranging cultural critic. These three central aspects of Benjamin’s turn in 1924 have received varying attention: the turn to Marxism is very well documented and plays a role in nearly every reading of the life and work; the failed academic career and the decision to pursue a career as a freelance cultural critic has, surprisingly, remained undervalued; but the shift from German Romanticism and its predecessors to contemporary European culture, which is in many ways the most momentous decision for Benjamin in the 1920s, remains a black hole in Benjamin scholarship« [Hvhg. M.V.].

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Vargas, M.S. Mexikanische Bilder in Walter Benjamins Einbahnstraße . Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 91, 152–162 (2017). https://doi.org/10.1007/s41245-017-0033-3

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