Zusammenfassung
Die Allegorieforschung hat sich bisher bevorzugt für die Stil- und Formtheorie des 18. Jahrhunderts interessiert, die reichhaltige allegorische Praxis zwischen Aufklärung und Klassik aber meist außer acht gelassen. Der Aufsatz möchte demgegenüber den Akzent auf die Allegoriepraxis des 18. Jahrhunderts legen und einige der vielfältigen Funktionen des allegorischen Stilmittels am Beispiel anakreontischer Rokokolyrik und aufgeklärter Lehrdichtung nach weisen.
Abstract
Allegory specialists have been preferably interested in the theory of style, but have often ignored the rich allegorical practice between Enlightenment and Classicism. This essay, however, concentrates on the allegorical practice of the 18th Century and provides proof of some of the manifold functions of allegorical stylistic devices by analyzing examples from Rokoko anacreontic poetry as well as from the poetry of the Enlightenment.
Literature
Zur frühen Wirkungsgeschichte vgl. Herbert Zeman, Die deutsche anakreontische Dichtung. Ein Versuch zur Erfassung ihrer ästhetischen und literarhistorischen Erschei-nungsformen im 18. Jahrhundert (1972), S. 1ff., S. 316 (Anm. 8f.). Zemans Studie ist nach wie vor für die Erforschung der deutschen Rokokolyrik und deren Entwicklungsge-schichte von größtem Wert.
Vgl. Zeman, Anakreontische Dichtung, S. 56f.; Manfred Windfuhr, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts (1966), S. 376ff.
Johann Nikolaus Götz, Die Gedichte Anakreons und der Sappho Oden (1760), Faksimile-Neudruck, hrsg. und mit einem Nachwort vers. Herbert Zeman (1970).
Johann Adolph Schlegel, Abhandlungen ueber verschiedene Materien aus den schoenen Kuensten, in: Herrn Abt Batteux’ Einschraenkung der Schoenen Kuenste auf einen einzigen Grundsatz, 3. Aufl. (1770), S. 339. — Nicht ohne Überraschung registriert man, daß die Allegorieforschung den allegorischen Formen in der Odendichtung des 18. Jahr-hunderts bisher kaum nachgegangen ist. Generell bleibt zu vermerken, daß man zwar die Theorie der Allegorie, wie sie im 18. Jahrhundert bereits vor Goethe mit meist kritischen Untertönen entfaltet wird, gründlicher untersucht, nur selten aber die literarische Praxis auf ihren reichen Allegoriegebrauch hin durchleuchtet hat. Vgl.
Bengt Algot Soerensen, Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der Romantik (1963), Formen und Funktionen der Allegorie, hrsg. Walter Haug (1979) (bes. die Beiträge von Kurz, Soerensen und Titzmann).
Friedrich v. Hagedorn, Poetische Werke. Mit seiner Lebensbeschreibung und Charakteristik und mit Auszuegen seines Briefwechsels begleitet v. Johann Joachim Eschenburg (1825), III, 70.
Zumal Martin Opitz, Weltliche Poemata (1644). Zweiter Teil, unter Mitwirkung v. Christine Eisner hrsg. Erich Trunz (1975), S. 424.
Georg Philipp Harsdoerffer, Sigmund v. Birken, Johann Klaj, Pegnesisches Schäfer-gedicht (1644—45), Faksimile-Neudruck hrsg. Klaus Garber (1966), II, 89.
Hagedorn, Werke, III, 99 f. Vgl. Götz, Gedichte Anakreons, S. 100. Herbert Zeman, “Friedrich v. Hagedorn, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Peter Uz, Johann Nikolaus Götz,” Deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts, hrsg. Benno v. Wiese (1977), S. 135–162 spricht zutreffend vom “Analogiespiel zwischen gegenständlicher und allegorischer Darstellung” (S. 146).
Zur Säkularisierung der Allegorese Wolfgang Martens, “Uber die Tabakspfeife und andere erbauliche Materien: Zum Verfall geistlicher Allegorese im frühen 18. Jahrhun-dert,” Verbum et signum: Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, Festschrift für Friedrich Ohly, hrsg. Hans Fromm, Wolfgang Harms und Uwe Ruberg (1975), I, 517–538.
Johann Peter Uz, Sämtliche poetische Werke, hrsg. August Sauer (1890), S. 22. Zu den Chloe-Gedichten Zeman, Anakreontische Dichtung, S. 209f., zum Bildmaterial des Petrarkismus
Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 9. Aufl. (1978), S. 222f.
Uz, Werke, S. 54f., S. 64f., S. 66ff. In puncto Frivolität wird Uz freilich klar von Mencke und Rost übertroffen. Vgl. Heinz Schlaffer, Musa iocosa. Gattungspoetik und Gattungsgeschichte der erotischen Dichtung in Deutschland (1971), S. 143f.
Uz, Werke, S. 118f. Es ist wohl zu einseitig und der Rokokolyrik nicht angemessen, wenn Paul Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Erster Band, 2. Aufl. (1965), S. 328 die anakreontische Motivwelt allein als Produkt des ‘Witzes’ ausgibt. Die rationalistische Konstruktion der meisten Oden täuscht darüber hinweg, daß es nicht bei Kombinatorik und Wortgeplänkel bleiben soll, sondern eine Universalisierung der laus venustatis avisiert wird.
Johann Nikolaus Götz, Vermischte Gedichte, hrsg. Karl Wilhelm Ramier. Zwei Bände (1785), I, 6f. Zu den Quellen vgl. Götz, Gedichte Anakreons, S. 22, S. 82, S. 108. Vgl. Zeman, Anakreontische Dichtung, S. 213 f. - Hohes Lob für Götz findet noch Her-ders Spätschrift Adrastea (1801): “Außer der griechischen Mythologie hat vielleicht keine Sprache einen solchen Schatz an Allegorieen und Blumenkränzen als unsre in diesem Dichter” (
Johann Gottfried Herder, Sämmtliche Werke, hrsg. Bernhard Suphan [1877ff.], XXIII, 324).
Götz, Vermischte Gedichte, I, 85. Zu Tassos und Montemayors Bukolik Klaus Garber, Der locus amoenus und der locus terribilis: Bild und Funktion der Natur in der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts (1974), S. 164f. Zur arkadischen Utopie in der
Rokokolyrik Hans-Joachim Mähl, Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis (1965), S. 184f.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Sämmtliche Werke, hrsg. Wilhelm Körte, 7 Bde. (1811), I, 98 f. Zu Gleims Anakreontik äußern sich Herders Literaturbriefe ausführlich und nicht ohne kritische Untertöne Sämmtliche Werke, II, 181 ff.).
Gleim, Sämmtliche Werke I, 119f. Vgl. Martens, “Über die Tabakspfeife,” S. 537. Als Merkmale des Allegorieverfalls bezeichnet Martens die Individualisierung der Gegen-standsbetrachtung, die Okkasionalität des Betrachtungserlebnisses, die Kontingenz der Objektauswahl und die Neigung zur realistischen, oft pedantischen Beschreibung. Anders sieht Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 2. Aufl. (1983), S. 108f. das Problem. Am Beispiel von Graciâns El Criticón diskutiert er das Symptom der Undurchschaubarkeit von lebensweltlichen Zusammenhängen, die seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts immer apokrypher erscheinen und auch die Eindeutigkeit der Buchmetaphorik, wie sie seit der Antike in Umlauf ist, berühren müssen. Die Allegorie wird mehrdeutig, weil die Welt, auf die sie sich bezieht, nicht mehr auf einen einzigen Begriff gebracht werden kann.
Schlegel, Werke, IV, 95. Zur allegorischen Schlachtbeschreibung in der Psychomachia Reinhart Herzog, Die allegorische Dichtkunst des Prudentius (1966), S. 95ff.
Georg Friedrich Meier, Anfangsgruende aller schoenen Wissenschaften, 2. Aufl. (1754ff.), II, 377.
Felix Christian Weiße, Scherzhafte Lieder, 3. Aufl. (1763), S. 21.
[ClamerEberhard Carl Schmidt], Vermischte Gedichte (1772), S. 61.
Vgl. schon die Hogarth-Rezension von 1754 (G.E. Lessing, “Zergliederung der Schönheit,” Sämtliche Schriften, hrsg. Karl Lachmann, auf’s neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker [1886ff., Nachdruck 1968], V, 371).
Christian Gotthold Contius, Lyrische Gedichte und Erzählungen (1772).
Anna Louisa Karschin, Neue Gedichte (1772).
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Alt, PA. Funktionen der Allegorie in deutscher Anakreontik und Lehrdichtung des 18. Jahrhunderts. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 66, 253–282 (1992). https://doi.org/10.1007/BF03396300
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