Arbeit am Gemeinwesen stärkt den grundlegenden Zusammenhalt in unserer demokratischen Gesellschaft. Und dennoch war und ist Arbeit am Gemeinwesen unterbewertet und -bezahlt. Erzieher in Kindertagesstätten, Sozialarbeiterinnen in Kinder- und Jugendeinrichtungen, Mitarbeiter in Gemeindehäusern oder Krankenpfleger in Heimen gestalten und stärken durch ihre professionelle soziale Arbeit ein demokratisches Gemeinwesen. Engagiert arbeiten sie in unmittelbarer Nachbarschaft, um eine soziale Grundordnung aufrecht zu erhalten und Erosionsprozesse zu entschärfen. Sie leisten Nachbarschaftspflege und stiften sozialen Frieden. Sie hätten es wahrlich verdient, endlich eine politische Würdigung ihrer edlen Bereitschaft am Gemeinwesen zu erfahren.

Was anderes ist Politik, wenn nicht öffentliches Handeln, eine Arbeit an den verschiedensten gesellschaftlichen Funktionssystemen des Gemeinwesens? Somit darf auch der professionelle Politiker als Gemeinwesenarbeiter bezeichnet werden. Doch nicht alle richten ihr Handeln konsequent zum Wohle des Gemeinwesens aus, wie man in der politischen Tragödie der Finanzkrise wahrnehmen kann.

Vor dem Hintergrund einer individuellen bürgerlichen Zweckausrichtung und einem bewussten Einsatz fürs Gemeinwesen kann eine bedeutende Definition der politischen Philosophie von Nutzen sein: Das aristotelische Bild des zoon politikon, des Polisbürgers, der sich um das Wohl des Gemeinwesens kümmert und das des verschlossenen Privatmannes, idiotes, der sich keinen Deut um das Gemeinwesen schert.

Einen Beitrag zum Gemeinwesen zu erbringen ist eng mit dem Verständnis verknüpft, wofür Steuern überhaupt bezahlt werden. Auch hierzulande fehlt eine ehrliche Verständigung darüber: Steuern sind Geldzahlungen der Bürger. Der Staat verwendet dieses Geld unter anderem dafür, bestimmte Aufgaben am sozialstaatlichen Gemeinwesen — wie die Sozialversorgung für Arbeitslose — zu erfüllen. Straßen, Schulen, Spielplätze, Krankenhäuser und vieles mehr wird gebaut; Beamte bezahlt, die für den Staat unerlässliche Arbeiten verrichten.

Die Privatisierungs- und Sparkultur im Verlauf der Finanzkrise verschweigt, dass es „die sozialstaatlichen Errungenschaften“ sind, „die den europäischen Demokratien ihre Stabilität verliehen haben“, mahnt der Sozialphilosoph Oskar Negt. Durch dieses dominante, betriebswirtschaftliche Ordnungsprinzip steuern unsere Politiker zunehmend in Richtung eines fragilen Sozialstaates. Die griechischen Zustände zeigen exemplarisch, wie die auf rein ökonomischen Gesetzmäßigkeiten drehende „Teufelsmühle“ menschliche Bedürfnisse ignoriert; ja sie sogar zermahlt.

Eine Politik, die dem Markt durch Privatisierung immer mehr Raum zugesteht, und damit einer Entpolitisierung durch schleichende Entmündigung entscheidenden Vorschub leistet, bleibt häufig unerkannt. Verletzbare Lebensbereiche der Alters- und Gesundheitsvorsorge gehören elementar zu einem funktionierenden Sozialstaat und dürfen nicht durch betriebswirtschaftliches Denken konterkariert werden. Der Historiker Tony Judt beschreibt das abstruse Gesellschaftsbild wachsenden privaten Wohlstands und öffentlicher Verwahrlosung als „Symptome kollektiver Verarmung“, die allenthalben zu sehen sind.

Ein Sozialstaat erfüllt die Aufgabe, zukünftige Krisen abzufedern; ihn — zumal in Krisenzeiten — abzubauen, lässt Gefahren und Kosten ansteigen. Im Hinblick auf einen drohenden tiefen Sturz zeugt es von unergründlicher Ignoranz, das Sicherheitsnetz zu verkleinern. Gerade in Zeiten schwerer sozialer Verwerfungen muss sich ein Gemeinwesen und seine sozialstaatlichen Institutionen bewähren und der staatlichen Verantwortung gegenüber jedem Bürger gerecht werden. Wir dürfen der Fürsorge keine engeren Grenzen setzen, sondern müssen sie noch deutlich erweitern. Das sozialstaatliche Gemeinwesen muss als krisenresistentes Fundament in den Mittelpunkt der Krisenbewältigung rücken.

Die Bereitschaft, schwache und junge Menschen, kranke und alte Menschen, Arbeits- und Wohnungslose am Rande des Elends leben zu lassen, und als einen erforderlichen Preis für das Gesunden der Staatsfinanzen hinzunehmen, zeugt von einer widerlichen menschlichen Grundhaltung, die der Menschenwürde nicht gerecht wird. Der Bedarf an Gemeinwesenarbeit wächst.