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Klopstocks Harmonie und Melodie

Die Ode »Fürstenlob« im Kontext von Temperierungsdiskursen um 1750

Klopstock’s Harmony and Melody

The Ode »Fürstenlob« in the Context of Mid-Eighteenth Century physio-musical tempering discourses

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Um 1750 wird die innermusikalische Debatte über die richtige musikalische Temperierung auf physiologische Diskurse übertragen. Die Diskrepanz zwischen Harmonie und Melodie findet so Eingang in die Poetologie. Klopstock markiert zwar immer Distanz zur Musik; doch mit seinen Termini technici »Tonverhalt« bzw. »Zeitausdruck« schließt er an die musikalischen Paradigmen von Harmonie bzw. Melodie an. In der Analyse der freirhythmischen Ode »Fürstenlob« mit Klopstocks »Wortfüßen« zeigt sich exemplarisch, dass der Dichter seine Dichtung nicht ›musikalisiert‹. Im Gegenteil: Ihn interessieren letztlich die dissonanten und heteromorphen Spannungsverhältnisse zwischen dichterischer Harmonie und Melodie.

Abstract

In the mid-eighteenth century, the discussion of correct musical temperature was transferred over to physiological discourses. The discrepancy between harmony and melody finds its way in poetology. Klopstock always marked a distance to music; in the use of his termini technici »Tonverhalt« (sound relations) and »Zeitausdruck« (expression of time), however, he connected to contemporary musical paradigms of harmony and melody. An analysis of the free-rhyming ode »Fürstenlob« with Klopstock’s ›word bases‹ reveals that the author did not ›musicalise‹ his poetry. On the contrary: his interest lay with the dissonant and heteromorphic tensions between poetic harmony and melody.

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Abb. 1

Notes

  1. Roman Ossipowitsch Jakobson, »Linguistics and poetics«, in: Thomas A. Sebeok (Hrsg.), Style in language, Cambridge, MA 1960, 350–377.

  2. Allgemein zur Physiologisierung des musikalischen Diskurses ab 1750 vgl. Caroline Welsh, »Nerven – Saiten – Stimmung. Zum Wandel einer Denkfigur zwischen Musik und Wissenschaft 1750–1850«, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Organ der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 31/2 (2008). In Bezug auf den Stimmungsbegriff, welcher um 1800 weitgehend demusikalisiert wird, David E. Wellbery, »Stimmung«, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hrsg. Karlheinz Barck u.a., Stuttgart, Weimar 2003, V, 703–733. Zur vorbegrifflichen Geschichte des musikalisch-ästhetischen Felds im 18. Jahrhundert siehe ebenfalls Caroline Welsh, »Resonanz – Mitleid – Stimmung: Grenzen und Transformationen des Resonanzmodells im 18. Jahrhundert«, in: Karsten Lichau, Rebecca Wolf, Viktoria Tkaczyk (Hrsg.), Resonanz. Potentiale einer akustischen Figur, München 2009, 103–122.

  3. Mit Foucault gesprochen, kommt es zu einer Verschränkung von klassischer und moderner Episteme, die er ausdrücklich trennt. Zu den beiden Epistemai, welche sich um 1800 ablösen, Michel Foucault, Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris 1966, 60–227 (zum klassischen Zeitalter der »représentation«) bzw. 229–398 (zum modernen Zeitalter der »historicité«). Bezeichnenderweise spricht Foucault bei der Sprache nicht von der visuellen Repräsentation des sprachlichen Zeichens, sondern von seiner akustischen Verfasstheit: »Ce qui distingue le langage de tous les autres signes et lui permet de jouer dans la représentation un rôle décisif, ce n’est donc pas tellement qu’il soit individuel ou collectif, naturel ou arbitraire. Mais qu’il analyse la représentation selon un ordre nécessairement successif: les sons, en effet, ne peuvent être articulés qu’un à un; le langage ne peut pas représenter la pensée, d’emblée, en sa totalité; il faut qu’il la dispose partie par partie selon un ordre linéaire. Or, celui-ci est étranger à la représentation.« Ebd., 96.

  4. Andreas Werckmeister, Musicalische Paradoxal-Discourse, oder Ungemeine Vorstellungen, wie die Musica einen Hohen und Göttlichen Uhrsprung habe, und wie hingegen dieselbe so sehr gemißbrauchet wird […], Frankfurt, Leipzig 1707, 115.

  5. Zur Subtilität des Gehörs vgl. insbesondere Mattheson im Kapitel »Von der sattsamen Zärtlichkeit musicalischer Ohren«. Johann Mattheson, Das forschende Orchestre (1721), Reprint, Laaber 2004, 419–450. Das Gehör sei »nemlich kleinere differences, als das Gesicht, zu erkennen vermögend«. Mattheson, 430. Seine melodische Orientierung in der Temperatur wird deutlich etwa in der (unpaginierten) Vorrede zum Kern melodischer Wissenschafft: »Kein Mensch wird wissen, was eine Terz, Quint, Octav u.s.w. bedeute, der nicht zuvor gesehen, getastet, gehöret und befunden hat, daß die erste aus dreien, die andere aus fünfen, und die dritte aus acht Klängen entstehe, als aus so vielen einfachen Elementen, wesentlichen und durch gewisse ordentliche Stuffen aneinanderschliessenden, melodischen Grund-Stücken.« Johann Mattheson, Kern melodischer Wissenschafft, Hamburg 1737.

  6. Zur Reziprozität und Interaktion zwischen physiologischen und musikalischen Modellen exemplarisch bei Rousseau und Rameau vgl. Laure Spaltenstein, »Tempérament und Humoralpathologie bei Jean-Jacques Rousseau«, in: Silvan Moosmüller, Boris Previšić, Laure Spaltenstein (Hrsg.), Stimmungen und Vielstimmigkeit der Aufklärung, Göttingen 2017, 186–198.

  7. Mark Lindley, »A Quest for Bach’s Ideal Style of Organ Temperament«, in: Günter Fleischhauer, Monika Lustig, Wolfgang Ruf, Frieder Zschoch (Hrsg.), Stimmungen im 17. und 18. Jahrhundert. Vielfalt oder Konfusion? Michaelsteiner Konferenzberichte 52 (1997), 45–67; Eckhard Roch, »Temperatur und Charakter. Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertes Klavier aus der Sicht seines Schülers Kirnberger«, in: Volker Kalisch (Hrsg.), Bachs »Wohltemperiertes Klavier« in Perspektiven, Essen 2002, 29–41.

  8. Caroline Welsh, »Die ›Stimmung‹ im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Ein Blick auf deren Trennungsgeschichte aus der Perspektive einer Denkfigur«, NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 17 (2009), 135–169, hier: 144–147.

  9. Das Mémoire où l’on expose les fondemens du système de musique théorique et pratique präsentierte Rameau am 19. November 1749 vor der Académie Française. Zur Kollaboration mit Diderot siehe Thomas Christensen im Kapitel »Diderot, Rameau and resonating strings: new evidence of an early collaboration«, in: The Work of Music Theory. Selected Essays, Farnham, Surrey 2014, 343–364.

  10. So präzisiert Wolfgang Fuhrmann, dass sich die frühromantische Version der Sphärenharmonik mehr an Johannes Kepler als an Athanasius Kircher orientiert und dass psycho-physische Sympathiephänomene oder auch Magnetismus und Elektrizität die mathematisch begründete Vorstellung ersetzt haben. Wolfgang Fuhrmann, »Grundzüge der Bewertung Kirchers im europäischen Musikschrifttum des 18. Jahrhunderts«, in: Melanie Wald-Fuhrmann (Hrsg.), Steinbruch oder Wissensgebäude? Zur Rezeption von Athanasius Kirchers «Musurgia Universalis» in Musiktheorie und Kompositionspraxis, Basel 2013, 1–18, hier: 13.

  11. » Il semble d’abord que l’Harmonie provienne de la Melodie, en ce que la Melodie que chaque voix produit, devient Harmonie par leur union. […] [M]ais il a fallu déterminer auparavant une route à chacune de ces voix, pour qu’elles pussent s’accorder ensemble.« Jean-Philippe Rameau, Traité de l’Harmonie, Paris 1722, 138. Obwohl hier Rameau das Primat der Harmonie zu unterstreichen scheint, wird deutlich, dass die Diskussion um Harmonie und Melodie von einer expliziten Polyphonie ausgeht.

  12. Denis Diderot, Lettre sur les sourds et muets, Paris 1751, 112.

  13. Rameau 1722 (Anm. 11), 81–93.

  14. Johann Gottfried Herder, Kritische Wälder oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. Viertes Wäldchen über Riedels Theorie der schönen Künste (1769), in: Ders., Schriften zur Ästhetik und Literatur 17671781, Werke in zehn Bänden, hrsg. Gunter E. Grimm, Frankfurt a.M. 1993, II, 247–442, hier: 292.

  15. Herder 1769 (Anm. 14), 351.

  16. Johann Gottfried Herder, Kalligone (1800), in: Ders., Schriften zu Literatur und Philosophie 17921800, Werke in zehn Bänden, hrsg. Hans-Dietrich Irmscher, Frankfurt a.M. 1998, VIII, 641–971, hier: 902.

  17. Herder 1800 (Anm. 16), 904.

  18. »[Der Töne] Klang und Gang und Rhythmus bedeuten nicht nur, sondern sind Schwingungen des Mediums sowohl als unsrer Empfindungen; daher ihre innigere Wahrheit, ihre tiefere Wirkung.« Herder 1800 (Anm. 16), 959.

  19. Friedrich Gottlieb Klopstock, »Von der Nachahmung des griechischen Sylbenmaßes im Deutschen«, in: Ders., Klopstocks sämmtliche Werke, Leipzig 1855, X, 1–14, hier: 1 und 12.

  20. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die Ode »Sponda«, in der die Funktion der verschiedenen Versfüße poetisch verhandelt wird. Friedrich Gottlieb Klopstock, Oden, in: Ders., Historisch-Kritische Ausgabe, hrsg. Horst Gronemeyer, Klaus Hurlebusch, Berlin 2010, 1.1, 242–245.

  21. So in den Abhandlungen »Von der Nachahmung des griechischen Sylbenmaßes im Deutschen« (1755), »Von der Sprache der Poesie« (1758), in: Der Nordische Aufseher, I/26, »Gedanken über die Natur der Poesie (1759), in: Der Nordische Aufseher, II/105 sowie »Von der heiligen Poesie«, in: 1. Band des Messias, Halle 1760.

  22. So in den Abhandlungen »Vom Sylbenmaße«, in: Ueber Merkwürdigkeiten der Litteratur. Der Fortsetzung erstes Stück, Hamburg, Bremen 1770; »Vom gleichen Verse«, in: 4. Band des Messias, Halle 1773; Von der Darstellung. Fragmente über Sprache und Dichtkunst, Hamburg 1779; »Vom deutschen Hexameter. Worin die Schicklichkeit unserer Sprache zu diesem Sylbenmaße gezeigt, und seine Regeln aus den Grundsätzen der Verskunst hergeleitet werden«, in: Fragmente über Sprache und Dichtkunst, Hamburg 1779.

  23. Friedrich Gottlieb Klopstock, »Vom gleichen Verse« (1773), in: Ders., Klopstocks sämmtliche Werke, Leipzig 1855, X, 15–37, hier: 18. Vgl. dazu Mark Emanuel Amtstätter, »Klopstocks Semantisierung des Rhythmus oder die Grenzen der Gedichtvertonung«, in: Peter Wollny (Hrsg.), Klopstock und die Musik, Beeskow 2005, 31–40.

  24. Klopstock 1755 (Anm. 19), 7f.

  25. Klopstock 1755 (Anm. 19), 14. An dieser Stelle unterstreicht Klopstock nochmals, dass die Nähe zwischen Odendichtung und Musik »von so zierlichen Feinheiten des Wohlklangs« bestimmt werde. Damit wird nochmals gewissermaßen das Feintuning der musikalischen Temperatur angedeutet.

  26. Klopstock 1773 (Anm. 23), 18. Zur idealisierten Musik als Malkunst Victoria Llort Llopart, »›La musique peint‹: significations et conséquences d’une métaphore dans l’esthétique des Lumières«, in: Marie-Pauline Martin, Chiara Savettieri (Hrsg.), La musique face au système des arts. Ou les vicissitudes de l’imitation au siècle des Lumières, Paris 2013, 123–138.

  27. Klopstock 1755 (Anm. 19), 6.

  28. Klopstock 1755 (Anm. 19), 7.

  29. Klopstock 1755 (Anm. 19), 2.

  30. Klopstock 1755 (Anm. 19), 7.

  31. Klopstock 1755 (Anm. 19), 7.

  32. Klopstock 1755 (Anm. 19), 7.

  33. Krüger scheibt im 118. seiner Träume (1754): »Die Lehre von den Temperamenten […] läßt sich am besten aus der Musik herleiten, und es sind eben so viel Temperamente, als Stimmen in der Musik.« Johann Gottlob Krüger, Träume (1754), Zweite Ausgabe, Halle 1785, 437f. (105. Traum).

  34. Zur Begeisterung Klopstocks für Leibniz’ Theodizee und vor allem für das ergänzende »Logikkalkül« Klaus Hurlebusch, So viel Anfang war selten. Klopstock-Studien, Göttingen 2013, 67–73.

  35. Klopstock 1755 (Anm. 19), 7.

  36. Klopstock, »Vom deutschen Hexameter« (1779), in: Ders., Klopstocks sämmtliche Werke, Leipzig 1830, XV, 178–213, hier: 178. Wenn Klopstock beim Choriambus (z.B. »Wonnegesang ˉ ˘ ˘ ˉ «) von einer »der schönsten Übereinstimmungen« spricht (hier: 179), so unterstreicht er damit die harmonikale Simultanordnung zusätzlich.

  37. So heißt es für den »Zeitausdruck«: »Dieser bezeichnet vornämlich Sinnliches, und dann auch gewisse Beschaffenheiten der Empfindung und der Leidenschaft.« Klopstock 1779 (Anm. 36), 178. Und für den »Tonverhalt«: »Die Gegenstände des Tonverhalts sind gewisse Beschaffenheiten der Empfindung und der Leidenschaft, und was durch ihn vom Sinnlichen kann ausgedrückt werden.« Klopstock 1779 (Anm. 36), 179. Vgl. auch im allgemeineren Kontext mit Thrasybulos Georgiades, Nennen und Erklingen. Die Zeit als Logos, aus dem Nachlass hrsg. Irmgard Bengen, Nachwort Hans-Georg Gadamer, Göttingen 1985.

  38. Obwohl an dieser Stelle nicht noch besonders hervorzuheben ist, dass jede Sprache wieder ein anderes Betonungssystem aufweist und vor allem das Griechische mit seinen Längen und Kürzen nicht dem Deutschen mit seinen betonten und unbetonten Silben entspricht, werden diese hier gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung entspricht der Gepflogenheit der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Darauf verweist Karl Philipp Moritz, welcher von einer »grammatischen Hierarchie« spricht. Karl Philipp Moritz, »Versuch einer deutschen Prosodie« (1786), in: Ders., Werke, hrsg. Horst Günther, Frankfurt a.M. 1981, III, 471–577, hier: 523.

  39. Friedrich Gottlieb Klopstock, »Fürstenlob«, in: Ders., Oden, Historisch-Kritische Ausgabe, hrsg. Horst Gronemeyer, Klaus Hurlebusch, Berlin 2010, 1.1, 353f.

  40. Winfried Menninghaus, »Klopstocks Poetik der schnellen ›Bewegung‹«, in: Friedrich Gottlieb Klopstock. Gedanken über die Natur der Poesie. Dichtungstheoretische Schriften, hrsg. Winfried Menninghaus, Frankfurt a.M. 1989, 259–350, hier: 343.

  41. Klopstock 1779 (Anm. 36), 204.

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Previšić, B. Klopstocks Harmonie und Melodie. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 92, 1–14 (2018). https://doi.org/10.1007/s41245-018-0050-x

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