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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031029022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-29
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Wenn diese Bedeutung zu nächst auch wohl mehr moralischer als rein praktischer Art ist, so erscheinen doch auch praktische Ergebnisse nicht ausgeschlossen. WaS zunächst die moralische Bedeutung der Zusammenkunft betrifft, so bat die deutschfeindliche Presse im AuSlande nicht einmal die Entscheidung der Frage abgewartet, ob der Zar Deutschland verlassen werde, ohne unseren Kaiser begrüßt zu haben. Schon der Umstand, daß der russische Kaiser längere Zeit in Darmstadt weilte, ohne daß von einer Zusammenkunft die Rede war, hat genügt, daS Gerücht ent stehen zu lassen, die Beziehungen zwischen beiden Höfen seien nicht mehr so gut wie im Frühjahr und der Zar sei in Wien nicht nur gegen Italien — eine Erfindung der Irre dentisten —, sondern auch gegen Deutschland eingenommen worden. Angesichts solcher Ausstreuungen ist eS interessant, zu sehen, daß die beachtenswertesten russischen Preßstimmen nicht nur die guten Beziehungen zwischen den beiden mäch tigen Nachbarstaaten energisch betonen, sondern auch von der Wiesbadener Zusammenkunft eine moralische Stärkung der russi schen Positionen im fernen Osten erwarten. Wenn die russische Presse weiter meint, Japan könne aus der Zusammenkunft er sehen, wohin Deutschlands Sympathien neigen, so wirb das frei lich in Berlin nicht freudig empfunden. Die deutsche Regierung denkt ebensowenig daran, in der ostasiatischen Angelegen heit Partei zu ergreifen, wie sie daran denkt, sich in die makedonischen Wirren zu mischen. Indem Graf Bülow erklärte, daß Deutschland die Mandschurei stets als russische Interessensphäre betrachtet habe, wollte er gleichzeitig dartun, daß wir mit der Lösung der Streitfragen im fernen Osten überhaupt nichts zu tun haben wollen und daß alle Versuche, Deutschland eine Stellungnahme zu insinuieren, an unserer unbedingten Reserve scheitern müssen. Genau so liegen die Dinge auf dem Balkan. Man glaubt, die Entsendung der in ottomanischen Diensten befindlichen deutschen Generale dazu benutzen zu können, uns in die Balkanwirren hineinzuziehen. Das wird aber nicht ge lingen. Die Generale gehen nach Makedonien als Offiziere des Sultans und die deutsche Regierung hat vor läufig keinen Grund, etwas dagegen einzuwenden, wenn Abdul Hamid in Uebereinstimmung mit den Balkanmächten glaubt, gerade durch diese Persönlichkeiten dem Reformwerke am besten dienen zu können. Sollte jedoch das Streben, aus der Tätigkeit dieser Offiziere eine gewisse Ver antwortlichkeit Deutschlands für das Reformwerk herzuleiten, auch an einer kompetenten Stelle hervortreten, so würde den deutschen Behörden nichts anderes übrig bleiben, als die Offiziere aus ihren Stellungen bei der türkischen Armee abzurufen, resp. ihren Urlaub nicht zu verlängern. Zweifellos werden diese und andere Fragen in Wiesbaden gestreift werden. Wird also die Zusammenkunft einerseits von den guten Beziehungen zwischen beiden Höfen neuerlich beredtes Zeugnis ablegen, so wird sie in ihren Folgen anderseits allen Nationen wiederum beweisen, daß Deutsch land in den Fragen des großen wie des kleinen Orients nicht aus seiner Reserve herauSzutreten gedenkt und an der Ueberzeugung festhält, daß die Regelung dieser Fragen nicht unsere Sache ist. Rechtsfähigkeit für Berufsvereine. Wie verlautet, geht das Neichsamt des Innern damit um, einen Gesetzentivurf für die Rechtsfähigkeit der Be- russvereine auszuarbeitcn. Damit würde eine alte nativn alliberale Forderung der Erfüllung ent- gcgengehen, die bereits der dahingeschiedene Gründer und Führer der Partei, Rudolf v. Bennigsen, in der ReichstagssitznnH vom 11. Dezember IM erhoben hat. Auch Bass ermann ist wiederholt für die Rechts fähigkeit der Berisssvereinc cingetreten, noch zuletzt in seiner Rede vom 10. Januar 1901, in der er namentlich an der Hand der Berichte der Gewcrbcinspcktvrcn darauf hin wies, daß man der gesetzlichen Regelung der Rechtsverhält nisse der BerufSvercine, möge cs sich nun um sozialdemo kratische Gewerkvereine oder um christliche Arbeitervereine handeln, sich nicht mehr entziehen könne. Und wenn jetzt auf dem ersten deutschen Arbeiterkongreß das Thema der Errichtung von A r b c i te r k a m m e r n gründlich erörtert wurde, so sei daran erinnert, daß auch in dieser Frage die nationallibcrale Partei bahnbrechend vorangc- gangcn ist) einen praktischen Vorschlag nach dieser Rich tung machte zuletzt Abgeordneter v. H e y l in einem ge meinschaftlichen Anträge mit dem Zcntrumsabgeordnetcn Hitze; der Reichstag nahm diesen Antrag in Form einer Re solution am 16. Januar 1901 an. Auch die Forderung nach Errichtung eines besonderen Reichsarbeitsamtes ist von den bürgerlichen Parteien zuerst erhoben, worden, nachdem der damalige nationalliberale Abgeordnete und jetzige Handelsminister Möller bereits am 18. Januar 1899 die Tätigkeit der „Kommission für Arbciterstatistik" für völlig unzureichend erklärt hatte. Bei der Etats beratung des Jahres 1901 griff Abgeordneter Basser- mann diese Frage wieder auf, und diesen Anregungen von nationalliberaler Seite ist es zu danken, daß wenigstens an Stelle der „Kommission für Arbeiter- ! statistik" die Institution des „Beirats für Arbeiterstatistik" trat nnd eine besondere Abteilung des Statistischen AmteS bildete. In diesem „Beirat" liegt der entwickelungsfährge Keim zu dem von Bassermann verlangten Reichsarbeits amte. In allen diesen, den Arbeiter st and und die Wahrnehmung der Interessen desselben tick berührenden Fragen ist die nationalliberale Partei stets die Bor kämpferin für die Arbeiterschaft gewesen, insonderheit hat sie wie oben dargetan, zuerst die Rechtsfähigkeit für Berussvereine als Erfüllung einer gerechten sozialen Forderung verlangt! Die ungarische Krise. In Ungarn steht die Entscheidung auf des Messers Schneide. Wie uns aus Pest, 28. Oktober, berichtet wird, gelangte in der gestrigen Konferenz der liberalen Partei der Beschluß des Neuner - Comitss betreffend das Militär Programm zur Verlesung. Derselbe fordert Abänderung der Abzeichen der Armee cm Sinne des Dualis mus, Anwendung der ungarischen Sprache im Militär strafverfahren, Uebertragung der Entscheidung über Begünstigungen bezüglich der Ableistung der Dienst pflicht an daS Honvevministerium, Verwendung ungarischer Offiziere in ungarischen Regimentern, OffizierauSbildung in ungarischer Sprache, Festlegung der FriedenSpräsenzstarke, Contingentierung der Ersatzreserve und zweijährige Dienst ¬ zeit. Zum Schluffe folgt die Erklärung, daß die Bestim mung der Armeesprache ein Majestätsrecht bilde; dieser gesetzliche Zustand könne jedoch durch übereinstimmenden Be schluß der Gesetzgebung und der Krone abgeändert werden. Die liberale Partei beschloß aber, die Frage der Kom mandosprache und der Dienftsprache nicht in das Programm aufzunehmen. Graf Tisza verteidigte die von ihm beantragten Abänderungen dieses Programms in einer mit stürmischem Beifall ausgenommenen Rede. Diese Abänderungen beziehen sich auf die Ausbildung der Offiziere; Tisza beantragte die Streichung des Punktes, der die Verwendung ungarischer Lehrer in den Mi- litärschulen und die obligatorische Kenntnis der ungarischen Sprache als Bedingung für das Patent der Offiziere in den ungarischen Regi mentern fordert. Der Abänderungsantrag Tiszas zu der Erklärung in der Frage der Kommandosprache ist überwiegend stilistisckers?) Naturund bezweckt die stärkereHervorhebung des Majestätsrechts. Nach Tisza sprach Apponvr, der den Standpunkt Tiszas bezüglich einer ganzen Reihe von Punkten bekämpfte. Szell sprach zu Gunsten der Aus fassung Tiszas. In der Abendsitzung der Konferenz ersuchte Graf TiSza nach eingehender Begründung seines Antrages, daß jedes einzelne Mitglied der Konferenz Wohl erwägen möge, ob die verhältnismäßig geringe Abweichung, selbst sür den Fall, daß sein Antrag nicht für ganz richtig befunden werde, es rechtfertigen würde, das Land einer schweren Krise zu überantworten und gewissermaßen in Brand zu stecken. Das Attentat auf den Gcneralgouverncur -es Kaukasus ist ein neues Zeichen für den in Rußland herrschenden Gärungszustand. Gerade der Kaukasus wird von Unruhen nicht nur sozial-, sondern auch nationalrevolutionären Charakters heimgesucht. Zumal die Uebernabnie der Güter der armenischen Nationalkirche durch die Regierung stößt noch immer auf Widerstand bei den Armeniern. Die Zahl der bei diesen Zusammenstößen Gefallenen soll sich auf Hunderte belaufen. Die Hauptmittelpunkte der Armenier im Kaukasus — Eriwan, Alexandropol, Kars, Schuscha, Ielisawetpol und Baku — werden militärisch^ bewacht, und jeder Verkehr mit Etschmiadsin, dem Sitze des Katholikos, deS Hauptes der armenischen Kirche, ist unter brochen. „Ich habe meinem Volke geschworen, seine Jahr hunderte alten Rechte treu zu wahren," soll er der offi ziellen Kommission erklärt haben, als diese von ihm die Uebergabe der Gelder verlangte. Einige Priester, welche den Befehlen der Kommission gehorcht und das Protokoll unter schrieben hatten, sind von den Bauern halb totgeschlagen und dann vom Katholikos abgesetzt worden. Zwei Priester sind auf Befehl des „Armenischen Comitss der Nationalen Verteidigung", das sich nach Veröffentlichung des Regierungserlasses gebildet hat, ermordet worden, ebenso in Eriwan der Polizeichef und in Kars ein Türke Scherif Bey, der schon seit Jahren den russischen und den türkischen Behörden wichtige Mitteilungen über die armenische Bewegung geliefert hat. Im Gouverne ment Ielisawetpol reist der Polizeichef umher, erklärt den Bauern daS Gesetz und sucht Unterschriften für eine Dankadresse an den Zaren zu erlangen. In anderen Gebieten, so in Eri wan, Schuscha und Nascha bat man versucht, die Muselmanen gegen die Armenier aufzureizen, jedoch vergeblich. In AguliS uni> Nachitschewan hat die Uebernahme der Güter nicht statt finden können, weil die Armenier die Kommission verjagten, und im Walde von Bozi sollen Hunderte bewaffneter Bauern liegen, um die Wegnahme der ungeheuren Ländereien von Alarz zu verhindern. Es ist nicht unmöglich, daß auch daS Tifliser Attentat auf ven Fürsten Galizin von Armeniern ausgeht, wenngleich bei der Mischung der dortigen Be völkerung die Bezeichnung der Verbrecher als „Eingeborene" recht unklar ist. Deutsches Reich. * Berlin, 28. Oktober. (Keine Militär vorlage?) Die „Berl. Neuesten Nachr." bringen die nach verschiedenen in den letzten Tagen -urchgesickerten Gerüchten nicht mehr überraschende Meldung, daß die angel ündigte große Militärvorlage in der bevorstehenden Session nicht im Reichstage ein gebracht, ihre Borlegung vielmehr um ein Jahr hinausgeschoben werden soll. Das genannte Blatt schreibt: Mit dem 31. März 1904 läuft das sogenannte Quin- quennat — das heißt die Festlegung des Militäretats auf fünf Jahre — ab. Es wurde seither allgemein angenommen, daß die Militärverwaltung noch in dieser Session des Reichs tages entsprechende Vorlagen einbringen würde, um für das neue Quiuquennat diejenigen Verstärkungen des Neichsheeres sicherzustellen, welche schon seit geraumer Zeit in allen fach männischen Kreisen für dringend nötig erachtet wurden. Es handelte sich hierbei in erster Linie um eine Vermehrung der Kavallerie — eine solche ist seit 1872, abgesehen von den Melde reiter-Detachements, die jedoch ihrer ursprünglichen Be stimmung immer mehr entzogen worden sind, in Deutschland nicht mehr eingetreten — und um die Komplettierung der Jn- fanterieregimenter zu zwei Bataillonen auf die normale Zahl von drei Bataillonen. Nunmehr verlautet mit Sicherheit, daß dem Reichstage in dieser Session eine Militärvorlage, die sich in der oben besprochenen Richtung bewegt, nicht vor gelegt werden soll. Es verlautet ferner, daß zwar die Not wendigkeit jener beiden Forderungen militärisch nachgewiesen sei, jedoch hinter Erwägungen zurückgeireten wäre, welche teils auf parlamentarischem, teils auf finanziellem Gebiete liegen. Dementsprechend wären deshalb auch jene Forderungen nur zurückgestellt worden, um im nächsten Jahre eingebracht zu wer den. Dagegen sollen vom 1. April 1904 ab neben dem neuen Pensionsgesctz die fehlenden Oberstleutnants bei den Stäben der Jnfantericregimentcr zu zwei Bataillonen eingestellt und außerdem noch verschiedene kleinere Forderungen ohne prinzipielle Bedeutung erhoben werden. Es würde sich also diesmal um ein Kompromiß innerhalb der in Betracht kommen den Ncgierungsfakloren handeln, und zwar um ein solches „auf Zeit"; denn, wie schon erwähnt, handelt es sich dabei nur um eine Verlegung auf das nächste Jahr. * Berlin, 28. Oktober. (Sozialdemokraten als Arbeitgeber.) Ueber die Zustände in den Schlächtereien des unter sozialdemokratischer Leitung stehenden Rabatt-Sparvereins „Südost" in Berlin ist vor einiger Zeit von Schlächtergesellen lebhafte Klage geführt worden. Die Vereinsleitung hat diese Vorwürfe zurückzu weisen gesucht. Darauf antwortet der Vorstand des sozial demokratischen Zentralverbandes der Fleischer in einer Er klärung im „Vorwärts": „Daß schlechte Arbeitsräume vor handen sind, zeigt die Tatsache, daß die Polizei die Be nutzung des Arbeitsraumes der Schlächterei Kottbuser- Feurlletsn. Das neue Modell. 25j Roman von Paul Oskar Höcker. via-i'kn »u nerbovn Auf ihren überraschten Aufruf hin humpelte Frau Serkhövt ans Fenster der Vordcrstube. „Wahrhaftig!" entfuhr es ihr, als sie Liselotte erkannte. Edith hatte ihr Spiel unterbrochem „Uas hast du denn, Ohma?" Sie kletterte auf den Stuhl am Fenster. „Ohma, da geht ja Tante. Uo geht Tante hin?" „Na, glauben Sie mirs nun, Frau Baumeister?" fragte die Magd triumphierend. „Fräulein Lotti geht doch sicher auch -um Empfang, ja, um Frau Marion zu sehen." „Aber, das wäre denn doch . . . Nein, nein, nein, das kann ich nicht glauben." Aufgeregt durchmaß die alte Frau das Zimmer. Plötz lich blieb sie in der Ecke stehen, in der sich ihre Kommode befand. Hastig öffnete sie ein Schubfach und holte ihren alten Kapothut heraus „Ohma, uillst du auch fortgehen?" „Still, mein Herzblatt, ganz still", sagte die alte Frau verwirrt und aufgeregt. „Nicht wahr, du wirst lieb und verständig sein?" „Ach bitte, bitte, Ohma, nimm mich mit!" „Nein, das geht nicht, Liebchen. Es kommen so viele Wagen durch die Stadt." „O yeS, Ohma, ich weiß — viele, viele Uagen ohne Pferde." „Und von denen können die kleinen Kinder überfahren werden, darum müssen sie artig zu Hause bleiben." Sie fetzte hastig ihren Hut auf und griff nach dem Schirm, ohne den sie neuerdings, da sie seiner Stütze beduvffe, das HauS nicht mehr verließ. „Edithchen, ich verspreche dir auch etwa« sehr, sehr Schönes, wenn du artig bet der Mina bleibst." „O, Ohma, uirst du mir dann Märchen zählen?" „Ja, mein Herzblatt, so lange du willst." „Au, Ohma, uas sich aber Edith tnt freuen!" „Aber wirst du auch mäuschenstill hier bet deinen Puppen bleiben?" „PeS, Ohma." „Und dich nicht von der Stelle rührend „Des, Ohma." „Ter Mina ganz artig gehorchen?" „Des, Ohma." Sie klopfte ihr liebkosend die vollow runden Wangen und verlieb das Zimmer. Am liebsten wäre die Magd mitgcgangen. Das war doch nun einmal eine ganz auf regende Geschichte! Darüber würden sie sich alle noch viele, viele Tage zu erzählen haben — und sie selbst, die cs doch noch vielmehr anging, als die anderen, weil doch je. mand von ihrer Herrschaft dabei war, sie mußte hier zu Hause bleiben. „Uo gehen sie denn nun alle hin, Miina?" fragte bas Kind, das die Puppen in Reih und Glied vor sich aufge stellt hatte. „Ja, denk nur, also weißt du, was heute los ist? — Deine Mama kommt hierher, ja, denk nur!" Edith spielte am Boden, in jeder Hand hielt sie eine Puppe. Mit ihren großen, erschrockenen Kinderaugen blickte sie fragend zu der Magd auf. „Ma, meine Ma?" „Ja, auf so einem Wagen, denk nur" „Und da ist Ohma hingcgangcn?" „Ja, Md auch die Tante." Edith kauerte noch ein Weilchen ganz sprachlos und wie verstört in ihrer Ecke. Plötzlich entsanken die beiden Puppen ihren Händen, die zu den Augen emporfuhren, und sie begann laut und schmerzlich zu weinen. „Still doch, Edith, der Herr Doktor ist oben, wenn er dich weinen hört, dann wird er böse." „Ich will auch meiner Ma sehn." „Still, du sollst mit deinen Puppen spielen, Edith." Sie nalpn das Spielzeug auf und hielt es dem Kinde hin. „Sei lieb wnd artig, Edith, saust zankt die Tante und sagt dir heute abend nicht Gutenacht." Edith schlug nach den Puppen. „Pfui, das sind garstige Puppen, ich uill meine Ma sehen." Einen solch lauten Ausbruch hatte das Mädchen nicht ernmrtet gehabt; sie versuchte nun in großer Bestürzung, das Kind wieder zu beruhigen. „Du, Ediths aber schau doch, wie hübsch die Puppen sind und wie schöne Kleidchen sie haben." „No, garstige Kleider haben die Puppen, ich uill sie not haben! Ma hat viel schönere Kleider, ueißt du." In ihrer jähzornigen Art warf sie eine der Puppen so heftig zu Boden, daß der Kopf zerschellte. „Au, Edith, was hast du da getan?" Die Erregung Les Kindes steigerte sich nur noch mehr. „Ich uill meiner Ma sehn, — ich uill meiner Ma sehn!" weinte und schluchzte sie. Sic lief plötzlich zur Tür. Mina jagte hinter ihr drein, riß sie zurück und hielt ihr den Mund zu, damit der Doktor droben das Schreien nicht hörte. „Pfui, wie garstig du bist, Edith." „Ich uill meiner Ma sehn." Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie dasselbe Wort ein paar hundertmal wiederholen. Kein Bitten, kein Drohen, keine Strafe brachte sie dann davon zurück. In diesem Augenblicke ließ sich die Stimme des Sani- tätSrates von oben vernehmen. „Mina, sind Sie da?" „Jawohl, Herr Sanitätsrat." DaS Kind hatte sofort erschrocken geschwiegen. „Bringen Sie mir mal schnell heißes Wasser." „Jawohl, Herr Sanitätsrat." Für heißes Wasser hatte Liselotte gesorgt. Das Mäd chen goß rasch aus dem Topfe, der auf dem Herd stand, in eine Kanne, und trug es hinauf. Edith hielt, ängstlich nach oben lauschend, an der Tür, ihr scheu nachblickend. „Bleiben Sic hier ttben, Mina, bis das Fräulein zu rückkommt", sagte der Sanitätsrat. „Sie umßtc für ein paar Minuten in die Stadt." „Ja aber — das Kind ist unten allein." „Wieso? Ist Frau Kerkhövt nicht dabei?" „Nein , sie ist doch selbst.. . . Ach. Herr Sanitätsrat, das kam nämlich so: auf der Straße sagten sie doch alle, unsere junge Frau käme mit durch, die Frau Capitant, und da ist die Großmama hingegangen." „Da soll doch gleich ein Donnerwetter... So muß die Kleine eben allein bleiben. Herein kommen darf sie nicht und Sie müssen mir hier helfen, den Kopf des Jungen zu halten." „Ach, Herr Doktor, aber die kleine Edith — das Kind ist ja ko garstig." „Tann kriegt sie Schläge, was kümmerts mich?" „Aber sie will doch nicht in der Stube bleiben, immer sagt sie, sie will ihre Mama sehen." „Sie weiß —?!" „Ja, wo sie die Tante und dann die Ohma hat fortgehen sehen . . . Am Ende läuft sie einem noch auf die Straße." „Marsch hinunter und sperren Sie das Göhr ein!" „Jawohl, Herr Doktor. Ach, ich habe sie noch so ge- betenN „Marsch!" Am ganzen Leibe zitternd vor Aufregung eilte das Mädchen die Treppe wieder hinunter. Der Sanitätsrat hatte das Besteck auf dem Tische neben dem Fenster ausgebreitet, um zur gewaltsamen Oeffnung der Geschwulst zu schreiten. Die Geschwulst ließ kaum mehr die Luft durch, das Röcheln des kleinen Patienten hörte sich gefährlich an. Der Lamtatsrat hatte seine Rock- und Hemdsärmel -urückgestrcift und seine Hände desinfiziert. Das Messer bereits in der Rechten haltend, lief er in die Tür, die ins Treppenhaus führte. „Mina, zum Geier, wo stecken Sie?" rief er hinunter. „Ach, Herr Doktor, ach, Herr Doktorl" „Was giebt's denn?" „Das Kind ist woa!" „Weg?" „Gewiß aüf die Straße gelaufen!" Er hörte hastig die Tür unten öffnen, dann wieder ins Schloß fallen. „Mina!" schrie der Doktor noch einmal. Er stürzte ans Fenster und blickte auf die Straße. Das Mädchen jagte in der Richtung auf die Stadt da von. Edith konnte er nirgends erblicken. Aber vielleicht hatte Mina das Kind schon erspäht. 'Rach der andern Seite hin bot daS Fenster keine Aussicht. Eine poltrige Verwünschung zwischen den Zähnen hervorstoßcnd, verließ er seinen Platz am Fenster und kehrte ins Krankenzimmer zurück. Das dünne Pfessen des Heiken Atems klang abscheulich. Gezögert durfte nicht uvebr werden. Er legte das Messer parat und nahm den fieberheißen Kopf des kleinen Patienten zwischen seine Hände. „Na, mein armer, kleiner Bursche, nur Ruhe. Jetzt nur eine kleine Seknndc still halten. So, komm, mein Bürschchen, wir werden auch allein miteinander fertig werden, was? Wir brauckxn aar niemand. Am wenigsten die Frau Mama . . ." Ein trauriger, schmerzerfüllter, «ranz verzweiflungs voller Blick aus den großen, ernsten Kinderaugen traf ihn. Er brach verwirrt ab. Es war ihm, als habe der kleine Patient ihn verstanden. Elftes Kapitel. .... Die Leistungsfähigkeit der Maschine ist aufö äußerste angespannt. Die Rcgistrieruhr zeigt eine Ge schwindigkeit von 87 Kilometer in der Stunde. Tie Un ebenheiten der Straße machen sich nicht mehr durch Stotzen
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