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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.08.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070829014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907082901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907082901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-29
- Monat1907-08
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S e p t e m b e r von dort nach Tanger ab. * Im französischen Ministerrat ist gestern die Marokko- frage behandelt worden. sS. Ausl.) * Das englische Parlament ist gestern mit einer Thron, rede vertagt worden. sS. Ausl.) * Die Antwerpener Hafenarbeiter haben gestern die Arbeit wieder ausgenommen. * Der Schriftsteller Wilhelm Holzamer ist gestern im Ber liner Krankenhause an Diphtheritis gestorben. Er stand im 27. Lebensjahr. lS. Feuill.) Die zukünftige Entwickelung -er deutschen Flotte. - Durch die Rede des Zentrumsabgcordnctcn Dr. Spahn sind eine Reihe marinetechnischer und marinepolitischer Fragen plötzlich wieder in den Vordergrund gestellt worden, und es sieht auf den ersten Blick so aus, als ob die Marineverwaltung neue große Pläne schon für die nächste Zukunft sich vorgenommen habe. Tas ist aber so gut wie sicher, jedenfalls was das schwimmende Flottcnmaterial betrifft, nicht der Fall, und wenn man sich an den vor ungefähr zwei Jahren ausge- fprochenen Grundsatz der Marincverwaltung hält, daß in Zukunft Schlachtschiffe und Panzerkreuzer den Bauten fremder Nationen ge wachsen sein sollen, so kann darin zwar eine gewisse Erhöhung der jähr lichen Kosten liegen, aber es ist unrichtig, dies auf der Höhe halten des Kampswcrkzeugs als etwas Neues hervorzuhebcn. Die Waffe muß auf der Höhe der Zeit stehen, sonst wird sie minderwertig, und da bei dem modernen Schlachtschiff und Panzerkreuzer unter Voraussetzung nor maler Devlacementausnutzung Größe und Gcfechtswert im selben Ver hältnis wachsen oder abnehmen, so müssen eben Vergrößerungen ein treten. Die Vergrößerung wird von derjenigen Marine, die damit vor angeht, den anderen aufgezwungen. Das ist England gewesen und nrcht, wie Dr. Spahn gemeint zu haben scheint, die Vereinigten Staaten von Amerika. England hat mit dem Bau des Schlachtschiffes „Dreadnought" und den Panzerkreuzern der Invincibleklasse eine ganz neue Aera er- öffnet. Japan ist ihm nachgefolgt, dann die Vereinigten Staaten, eben im Hinblick auf Japan, und selbstverständlich mußte auch Deutschland die Größe seiner Schlachtschiffe zur selben Höhe steigern. Daß diese Steigerung bei uns den ungeheuren Sprung von 5,000 bis 6000 Tonnen im Jahre 1906 zeigte, begründet sich darin, daß die deutsche Marine verwaltung in den vorhergehenden Jahren aus Gründen, die früher ausgiebig erörtert wurden, den schweren militärischen Fehler begangen hat, die allmähliche Steigerung der Deplacements der anderen Nationen nicht mitznmachen. Daß die deutsche Marinevcrwaltung auch im Ergänzungsgesetz von 1906 nicht daran dachte, zu führen, sondern nur das allernotwendigste Maß erreichen wollte, geht aus einem überaus schlagenden Beispiel hervor: im Etat 1906 wurde die erste Baurate tjjr einen Panzerkreuzer gefordert und dazu erklärt, das Schiff werde ein Deplacement von 15000 Tonnen erhalten: zu jener Zeit hatte man über die Größe der erwähnten englischen Panzerkreuzer nur unvoll kommene Kunde, und die englische Admiralität hatte durch die Presse das Gerücht verbreiten lassen, jene Schiffe würden 15 000 Tonnen halten. Ein halbes Jahr später erfuhr man jedoch, daß die Jnvincible- klasse ein Deplacement nicht von 15000, sondern 17 500 Tonnen hielt. Die Folge war, daß für den im Etat 1907 geforderten Panzerkreuzer b' eine nicht unerhebliche Kostcnerhöhung verlangt wurde mit Hinweis auf die ausländischen Kreuzerbauten: genaue Zahlen über dieses Schiff sind nicht bekannt, es ist aber nach der Bausummc anzunehmen, daß cs über 18 000 Tonnen halten wird. Der Panzerkreuzer L wird somit, wenn es nickt durch Aufwendung des Schlfsbaureserveionds im Betrage von jährlich 12,4 Millionen Mark gelungen ist, noch nachträglich einen Aus gleich zu schaffen, wieder ein nicht vollwertiges Schiff sein, weil man nicht selbständig vorging. Da seit dem russisch-japanischen Kriege die meisten Staaten, vor allem die Engländer, dem japanischen Beispiel folgend, über im Rau befindliche Schiffe die strengste Geheimhaltung beobachten, auch absichtlich falsche Nachrichten lancieren, so wird in Zu kunft unbedingt notwendig, daß die deutsche Marincverwaltung selb ständig mit der Deplacemcntssteiaerung voraeht: sonst werden wir immer um cin oder mehrere Jahre zurück sein und das Ziel, unsere Schiffe gleichaltrigen fremden völlig gewachsen zu machen, nicht er reichen. Welche Kostensteigerungen dadurch entstehen, läßt sich natür lich absolut nicht sagen, weil man nicht weiß, wie weit die Deplace mentssteigerung in Zukunft gehen wird. Einen Anhalt geben gleichwohl die auS der bisherigen Erhöhung erwachsenen Mehrausgaben. Unsere Schlachtschiffe von 19 200 Tonnen kosteten 24„3 Millionen Mark, die neuen, also Etat 1906 und 1907, von ungefähr 18 000 Tonnen, 36H Mil lionen Mark: man kann allo für je 1000 Tonnen Steigerung ein Mehr von reichlich 2 Millionen Mark annehmen. Für Kreuzer wird die Kostensteigerung etwas größer, weil bei diesen die Maschinen und Kessel einen größeren Teil des Deplacements ausmachen, auch wegen der überaus großen Länge die z» panzernden Fläcken bei Vergrößerung des Deplacements mehr wachsen als bei Schlachtschiffen, und Panzer platten, Maschinen ufw. besonders kostspielig sind. Ein Panzerkreuzer von 19 000 Tonnen z. B. kostet mehr als ein Schlachtschiff von gleicher Größe. Nun ist aber keineswegs anzunehmen, daß die nächsten Jahre weitere große DevlacementSspriinge bringen, sondern eS v,rd sich um ein allmähliches Wachsen handeln. Da wir drei große Schiffe jährlich auf Stapel legen, so würde einer jährlichen Steigerung deS Deplace ments um 1000 Tonnen eine immerhin recht geringe Summe ent sprechen und im Vergleich zu einem Etat von 287 Millionen Mark, wie für 1908 vorgesehen ist, gar nicht in Betracht kommen. Hiermit sei den sicher zu erwartenden Aufbauschungen in einem Teil der Presse von vornherer, entgegenaetreten. Die GeldbedarfSderechnung für die Jahre 1905—/s^findet sich in der Denkschrift -um ErgänzungSgesetz deS Jahres 1906: da beträgt das Maximum jährlicher Steigerung die Summe von 22,12 Millionen Mark, und zwar findet diese mit dem Etat für 1908 statt. Die absolute Höhe deS Etats wächst bis 329,8 Millionen Mark im Jahre 1917. Daraus ergibt sich, daß die Spabnsche Annahme von einer jährlichen Steigerung des Etats um 440 Millionen Mark nur eintreten kann, wenn Faktoren hinzukommen, die 1906 noch nicht vor gesehen waren, und daß die langsame Weitervergrößerung der Deplace ments nur eine verschwindende Rolle dabei spielt. Von solchen Faktoren hat Dr. Spahn zwei angedentet. 1) Die Herabsetzung der Altersgrenze für Schlachtschiffe: 2) die Ausgestaltung unserer Küstenbefestigung. Hinsichtlich der letzteren haben wir schon verschiedentlich betont, daß sie eine geradezu brennende Frage bildet. Seit langen Jahren sind die deutschen Küstenbefestigungen zugunsten des Ausbaues der Hochseeflotte in einer Weise vernachlässigt worden, die schlimme Befürchtungen er- regen muß. Elbe, Ems, Weser und Jade sind nickt gegen das Ein- dringen einer feindlichen F'otte geschützt, die die Seeherrschast errungen hat, und es ist eine alte Tatsache, daß unsere Flotte himmelweit entfernt davon ist, der englischen die Seeherrschaft überhaupt streitig zu machen. Die Erfahrungen des japanisch-russifchen Krieges haben bewiesen, man denke an Port Arthur, daß sogar eine ausgezeichnet geschulte Flotte gegen starke Küstenbefestigungen nichts machen kann, auch wenn deren Bedienung keineswegs auf der Höhe steht. Die Entwicklung der Panzer- und Geschütztechnik ferner ermöglicht, Küstenpanzertürme zu bauen, die unverwundbar sind und Geschütze in sie hineinzusetzen, die auch den stärksten Schiffspanzer durchschlagen. Gerade die erwähnten Hasen- und Flußmündungen der Nordsee werden den Hauptangrifsspunkt einer gegnerischen Flotte bilden und von ihrer Verteidigung hängt nicht nur die Erhaltung ungeheuerer wirtschaftlicher Werte ab, sondern auch das Bestehen Deutschlands als Seemacht und seine Regencrationsfähigkeil als solche. Nach der langen Vernachlässigung werden zweifellos nicht unerhebliche Summen nötig sein, um die deutsche Küstenverteidigung auf die Höhe zu bringen: sie nachher auf der Höhe zu halten, erfordert aber unverhältnismäßig weniger Kosten, als die Erhaltung schwimmen- den Materials, denn dies nutzt sich viel schneller ab und muß in be stimmten Zeiträumen völlig ersetzt werden, außerdem fallen die gleich falls hohen Kosten für Jndiensthaltung beinahe völlig fort. In Marine» kreisen wird schon seit Jahren dringend verlangt, daß mehr für unsere Küsten geschieht, und die jüngst erschienene kleine Schrift des Vue- admirals Galster ..Genügt unsere Küstenverteidigung?" gibt der all gemeinen Besorgnis einen ungeschminkten Ausdruck. Der andere Punkt, die Herabsetzung der Altersgrenze für Schlacht schiffe von 25 ans 20 Jahre ist gleichfalls eine alte Forderung der flotten freundlichen Kreise. -Hier ist aber nicht nur der Vorgang anderer Marinen maßgebend sür die Notwendigkeit, sondern vor allem die immer wieder hervorzuhebende Tatsache, daß unsere sämtlichen vor 1906 auf Stavel gelegten Schlachtschiffe viel kleiner als die gleichaltrigen fremder Nationen waren, also auß das Prädikat der Vollwertigkeit keinen An spruch machen können. Man kann als Grundsatz ausstellen, daß ein Schiff um so langsamer veraltet, je mehr es bei seiner ersten Indienst stellung den damaligen Anforderungen militärischer und tecknifcher Natur entsprach. Der Grundsatz gilt natürlich auch umgekehrt, unsere Schifte der „Kaiser"-, „Wittelsbach"., „Braunschweig", und „Deutsch land-Klass: veralten mit '.inheiwilch-r Geschwindigkeit, und was dle beiden erstgenannten Klassen anlangt, so ist die Zeit nicht mehr fern, wo sie keinen viel höheren Wert als den alten Eisend haben werden. Wenn cs also jetzt international als Notwendigkeit anerkannt wird, Schlacht- schisse nach 20 Jahren zu ersetzen, die einmal vollwertig waren, so gilt das natürlich um so mehr sür alle, die es nicht waren. Es kommt aber noch eins hinzu. Das Bautcmpo. Bon Bewilligung deS zweiten Flottengesetzes an stellte es sich in der jährlichen Stapellegung von drei großen gepanzerten Schiffen, Schlachtschiffen oder Panzerkreuzern dar. — Da das Deplacement des Panzerkreuzers in Zukunft nicht .mehr hinter dem des Schlachtschiffes zurückstehen wird, so ist der militärische Zuwachs der Flotte ebenso wie der Kostenpunkt annähernd der gleiche und wir wählen daher die Sammelbezeichnung „große gepanzerte Schiffe". — Von 1906 ab wäre das Tempo aus zwei vermindert worden, wenn nicht durch das Ergänzungsgesetz von 1M6 sechs Panzerkreuzer hinzugekommen wären. So hat denn das Drcitempo seinen Fortgang genommen, würde aber wieder mit dem Jabre 1909 ein Ende nehmen. In der 1906 verössentlickten Bauverteilung sind für die Zeit von 1910 bis 1917 nur je zwei Ersatzbauten jährlich vorgesehen, wozu dann noch ein einziger, bisher ausstehender Scklachtschissneubau käme. Jene Ver teilung hängt mit der Anlage des Gesetzes von 1906 zusammen. Ihm zufolge sollen die damals ausstehenden Ersatz- und Neubauten bis zum Jahre 1917 durchgeführt werden und ihre Verteilung bezweckt eine an nähernd gleichmäßige Höhe der Jalircsetats unk eine gleichmäßige In anspruchnahme der Sckifsbauindustrie. Das sind an sich unanfechtbare Grundsätze, aber ihnen steht der schwere Fehler gegenüber, daß der Aus- bau unserer Flotte um ein volles Drittel verlangsamt und auf die Be dürfnisse unserer Wehrkraft nach außen keine Rücksicht genommen wird. Die Herabsetzung der Altersgrenze sür Schlachtschiffe von 25 auf 20 Jabre würde nun daS jährliche Dreitempo vorläufig erhalten, indem 1910 die vier Schiffe der „Brandenburg"-Klassc zum Ersatz gelangten und kurz nach ihnen die der „Kaiser"-Klosse: hinzu käme der erwähnte Neubau. So würde denn die Herabsetzung der Altersgrenze zwar nicht die dringend notwendige Beschleunigung der Ersatzbauten zur Folge haben, nicht erreichen, daß wir schon vor dem Jahre 1920 den vollen Flottenbestand auf dem Wasser schwimmen haben, sondern nur einer er heblichen Verlangsamung vorbeugen. Selbstverständlich wird es einige Mehrkosten vom Jahre 1910 verursachen, wenn drei Schiffe anstatt zweier in Bau genommen werden, aber dieser Unterschied ist nicht so sehr erheblich, weil ja jedes, große Schiss in vier jährlichen Raten bewilligt wird. Außerdem sind ja diese Bauten 1900 bereits bewilligt. Natürlich kommt aber nach außen eins zum andern, und es ist sehr Wohl möglich, daß die jährliche Steigerung des Etats dann vmn Jahre 1910 ab auch weiterhin ungefähr 20 Millionen Mark betragen wird: nach der jetzigen Aufstellung sinkt sie von 20 im Jahre 1909 aus 8 im Jahre 1910 und noch erheblich weiter hinunter. Wie hock sich die Kosten sür zeitgemäße Aus- gestaltung der Küstenbefestigung belaufen würde, ist vorläufig nicht ab zusehen. Wir glauben auch nicht, daß es in den Plänen der Marine verwaltung liegt, sie schon jetzt in Angriff zu nehmen. Immerhin sind ober plötzliche Entschlüsse und Beeinflussungen ja niemals ausgeschlossen. Vom Katholikentag. Als Ergänzung zu den bisherigen Berichten über den Verlaus des Katholikentages geben wir in nachfolgendem Stimmungsbilder wieder, die uns ein Augenzeuge aus Würzburg schreibt: Würzburg ist althistorischer Boden für die Gcistcskämpfe innerhalb des Katholizismus. Hier rang seit Jahrhunderten wiederholt der ger- manische Geist der religiösen Selbstbestimmung mit dem römischen Geist der drückenden Gewissensbevormundung. Die zu starkem Leben erwachte evangelische Bewegung in Franken zwang Ende des 16. Jahrhunderts Fürstbischof Echter nieder. Die folgende Herrschaft der Jesuiten führte zur Erstarrung des kirchlichen Lebens, so daß im 18. Jahrhundert der aufgeklärte Bischof von ESthal freiheitlichen Ideen sich erschloß, und vor 100 Jahren theologische Nniversitätsprofessoren einen scharfen Kampf gegen den JesuitiSmus führten. Rom siegte wieder in der Restauration deS Papsttums, und der erwachende UltramontaniSmus zeitigte als bc- deutsame Vertreterin der römischen Interessen 1848 die deutsche Bischofs- konferenz in Würzburg. Der nltramontanisierten Wissenschaft dienten von da an die hervorragenden Professoren Hetlinger und Heraen- röther. Die mit der politisierenden Tendenz des 1870 zur absoluten geistlichen Monarchie erhobenen Papsttums zusammenhängende Ver- außerlichnng deS kirchlichen Lebens empfand und erkannte niemand tieser als der edle Hermann Schell, der sich 1897 dem römischen Rückschritt mit deutscher Begeisterung entgegenwarf. 1893 noch leuchtete Schell als Redner auf dem Würzburger Katholikentag, im Dezember 1906 hat der Vorsitzer.de des Ortsausschusses einem freiheitlich und mannhaft fühlen- den theologischen hiesigen Universitötsprofessor mit dürren Worten er- klärt, daß für Reformidecn aus dem Katholikentag kein Platz sei. Wem die innere Einigung des deutschen Volkes eine Herzensangelegenheit ist, wird diese jüngste Entwickelung tief bedauern. Die jüngsten Ereignisse haben die gebildeten, fortschrittlich gesinnten Katholiken erschüttert, und so ist selbst in diesen Kreisen, die sich offen zu kirchlichem Leben bekennen, die Stimmung gegenüber dem Katholikentag zurückhaltend oder ablehnend. Die Regisseure der Veranstaltung aber wissen die geistigen Diffe renzen im Katholizismus klug zu verdecken. Ter Arbeiterzug am Sonn- tag, der gegenüber den drei Armeekorps von Essen allerdings nur eine Division darstellte, war eine farbenprächtige äußerliche Demonstration, und den folgenden Arbciterverscimmlungen wurde mit Geschick zu Gemüte geführt, daß nur durch die christlichen Grundsätze der katholischen Kirche sich die Einigung der Arbeiter- und Arbeitgeberinteressen und ein kul- tureller Fortschritt ermöglichen lasse. Das Erscheinen der Bischöfe und die ans Demagogische streifende Rede des österreichischen Theologen mußte bei den kleinen Leuten den Eindruck wecken, daß auch in politischer Beziehung für sie kein anderes Heil zu erwarten sei. als von der im kirch lichen Geiste segelnden .Zentrumspolitik. So waren diese Arbeiter ein Herz und eine Seele mit ihren Geistlichen und politischen Führern. Der Bcgrüßungsabend war eine Illustration zu dem Begriffe „katho- lisch". Aus Amerika, aus der Schweiz, aus Oesterreich und anders woher wurden Grüße gebracht, und jeder Redner flocht Zweige ein in den Lorbeerkranz für den deutschen Katholizismus. Besonders drastisch wirkte die Philippika des Franziskanerpaters Grasen Galen gegen die Feinde der katholischen Kirche in Oesterreich nnd der kirchliche Notruk des stürmisch begrüßten Reichstagsabgeordneten Erzberger. Die geschlossene Versammlung am Montag fand den Jestsaal nicht gefüllt. Einen starken Bruchteil stellten die Geistlichen: die übrigen Besucher rekrutierten sich aus der Schicht der kleinen Leute nnd mitt leren Bildungskreise des Bürger- und Bauernstandes. Die führenden Leute auS Würzburg sind dieselben, die man sonst in Zentrumsversamm- lungen sieht. Liberale Katholiken und „Reformkatboliken" sucht man vergebens. Bon den bedeutenderen bayerischen Zentrumssührern sind nur Heim und Schädler anwesend. Die Sonne lugte fröhlich durch die Scheiben, als soeben die Versammlung stehend und in tiefer Ehr- erbietung das Schreiben des Papstes anhörte, der mit erhobenem Zeige- finger und deutlichem Hinweis auf den reformfreudigen Würzburger Boden seine Huld knndgab iür den Fall, daß der Katholikentag an der überlieferten Norm der Lehre festbalte. Die Wahl der Vorstandschaft verlief nach alter Tradition so glatt, daß schon vor der Wahl die An sichtskarten mit den Bildern der Gewählten im Saal Absatz finden konnten. Die erste öffentliche Versammlung am Montag abend war glänzend besucht. Von den erschienenen Bischöfen wurde besonders lebhaft der Erzbischof von Bamberg begrüßt. Ter Papst hat diesmal einen be sonderen Vertreter nicht gesandt, weder einen deutschen Kardinal, wie in den letzten Jahren, noch Nannutelli, der 1906 auck in Essen die Gruße Pius' X. brachte, der jüngst erst in Metz dem eucharistischen Kongreß beiwohnte, und der vom hiesigen Zentrumsblatte herbeigesehnt worden war. Soll das auch eine Antwort sein? Präsident Fcbrenbach betonte die Hochachtung vor jeder ehrlichen Uebcrzeugung Andersdenkender und sah in den Protestanten Glieder der großen christlichen Gesellschaft. Die Friedensliebe hob nachdrücklich auch der Bischof von Würzburg hervor. In demselben Augenblick zog aller dings ein widerliches Schattenbild uns an den Augen vorüber: es war die Erinnerung an die fricdenzerfleischende Hetze des Eriesuiten von Berlichingen in der hiesigen Stadt und an die Hetze des hiesigen Zen trumsorgans wider den wissensckasllicken Sachverständigen im Prozeß Beyhl-Bcrlichingen, wider den tapferen Professor Merkle. Warum wurde damals nicht rechtzeitig ein kräftig Bischofswort laut? Warum redet man nur auf der Tagung der Zentrumsheerschau so friedlich? Ehrlich wollen wir anerkennen, daß der Vortrag Professor Meye n» bergs aus Luzern unsere Erwartungen, die wir von diesem Redner hegten, übertraf. Sein Thema ^.Religion und Kon fession" war schwierig gerade in diesem Augenblick. Er hat es im weitherzig katholischen und nicht im ultramontanen Sinn behandelt. Das war nicht der Geist des römischen Emheits- katechismus Pius' X. mit seiner Herabwürdigung des Protestantis mus, sondern das war der versöhnliche und verständnisvolle Geist mehr deutsch fühlender Theologie. Wir sehen davon ab, hervorzuhebcn, waS uns von manchen Ausführungen trennt oder was eine ablehnende Kritik heraussordert, sondern wollen nur mit aller Entschiedenheit be tonen, daß uns diese Rede allein schon als eine gute Tat erscheint, die berufen ist, mitzuarbeiten an dem edlen Werke der Geistesgcmcinschaft innerhalb des deutschen Volkes, wenn wir auch wissen, daß noch ein mächtiges theologisches System sich solchen Gedanken gegenüber ver sperrt und wenn wir auch beobachtet haben, daß wohl nicht alle Fest- teilnchmer eines Sinnes waren mit dem Redner. Mit seiner An- erkennung der „Urkonfession" aller religiös Fehlenden und mit seiner warmen Feststellung, daß auch den Ncformationskirchen der Stern des Evangeliums leuchte und seiner nickt völligen Ablehnung der modernen protestantischen Theologie hat er einen Boden der Verständigung ge schaffen. Wird er aber ehrlich benützt werden? Die zweite geschlossene Versammlung erweckte denselben Eindruck, wie die erste: Sie ist ganz übcrslnssia. Alle Geschäfte besorgen die Bor- standschcsst und die Ausschüsse: die „Generalversammlung" sagt zu allem „Ja". Meldet sich kein Redner, so spricht man von einstimmiger An nahme. Und Redner melden sich nicht. Tic öffentliche Abendversammlung am Montag brachte als erstes Thema „Die kirchliche Notlage der Katholiken im In land". Hier konnten ja nach dem Rezepte deS Prager Franziskaner paters Galen reckt aagrcssivc Töne anaescklaaen werden. Um io dankens- werter war die ebenso nüchterne als maßvolle und sachliche Behandlung des Themas durch den Theologen Bartels von Bielefeld, der u. a. auch bereitwillig anerkannte, von der inneren Missionstätigkeit der Evan- pelsscken gelernt zu haben. Hochinteressant war die Rede des Straßburger GcschichtSprofessorS Spabn über „Katholizismus und Hochschulen". Wenn die folgenden Katbolikcnversammlungen, wenn daS Zentrum und die katholische Presse seine Grundgedanken in der aleichbeaeisterten Weise sich zu eigen macht, wie die heutige Tagung von einigen Tausenden über zeugter Katholiken, dann ist mit einer ultramontancn Auffassung ebenso gebrochen wie mit einer römischen Frage. Aus der ersten Würzburger Katbolikenversammlung 1864 faßte man den Plan, eine freie katholische Universität zu gründen. Die staatliche Hochschule brandmarkte man ahrzebntelang als Brutstätte des Antichristes. Spabn wies nach daß 'er gläubige Katholik aus religiösen Gründen für die Förderung der Universitäten eintreten müsse und fordert, zur regen Mitarbeit auf. Daß freilich auch in dieser eine Fülle von Angriffen gegen jede dem kahelischen Dogma widersprechende wissenschaftliche Lehre sich sinken wird, bleibt gewiß. Ueber den nächsten Vortrag, der „KatholiziSmnS und Volksschule" behandelte, behalten wir uns das Urteil noch vor.
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