Das langobardenzeitliche Gräberfeld von Wien-Mariahilfer Gürtel. Mit einem Beitrag zur künstlichen Schädeldeformation im westlichen Karpatenbecken

  • Bendeguz Tobias (Autor/in)
  • Karin Wiltschke-Schrotta (Autor/in)
  • Michaela Binder (Autor/in)

Abstract

1897 und 1898 wurde in Wien-Mariahilfer Gürtel ein frühmittelalterliches Reihengräberfeld unter der Leitung von Matthias Much ausgegraben. Anhand neu entdeckter Archivunterlagen und des Gräberfeldplans
können die Lage des Gräberfelds genau bestimmt und einige der Grabbefunde rekonstruiert werden. Die noch erhaltenen archäologischen und anthropologischen Funde werden heute im Wien Museum aufbewahrt
und nun zum ersten Mal vollständig vorgelegt.
Zur Zeit seiner Auffindung erregte der Schädel einer alten Frau, der künstlich deformiert war, besondere Aufmerksamkeit. Wie zahlreiche Beispiele aus dem westlichen Karpatenbecken zeigen, erreichte die Sitte
der künstlichen Schädeldeformation in der Mitte des 5. Jahrhunderts ihren Höhepunkt.

Die Zusammenstellung der Befunde ergab eine Häufung von Kinderbestattungen mit Schädeldeformationen in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, während ihre Zahl nach der Jahrhundertmitte drastisch
abnimmt. Im 6. Jahrhundert treffen wir nunmehr auf Individuen fortgeschrittenen Alters. Daraus kann geschlossen werden, dass die Sitte, Schädel künstlich zu deformieren, etwa am Ende des zweiten Drittels
bzw. im Laufe des letzten Drittels des 5. Jahrhunderts aufgegeben wurde. Anscheinend veränderten sich die Lebensbedingungen nach dem Zusammenbruch des Attila-Reiches.
Archäologisch auffallend bei dem Gräberfeld am Mariahilfer Gürtel ist das Fehlen von Gefäßbeigaben. Dies ist ein charakteristischer Bestattungsbrauch für das Wiener Becken, das westliche  Neusiedlerseegebiet und das östliche Tullnerfeld. Insofern schließt es an die von István Bóna definierten Beigabensitten der Hegykő- Gruppe an. Unter den spärlichen Resten der bereits beraubt vorgefundenen Gräber  kamen zweireihige Dreilagenkämme zutage, die auf ein Weiterleben älterer Beigabenbräuche verweisen. Gerade diese länger tradierten Sitten lassen es nicht zu, das archäologische Fundmaterial des Wiener Beckens und seiner Umgebung ohne Weiteres an das Chronologiesystem des süddeutschen und niederrheinischen Raumes anzuhängen. Vor allem der Brauch, die Verstorbenen ohne Keramikbeigabe zu bestatten, lässt sich in  diesem Gebiet noch bei den awarenzeitlichen Gräbern bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts verfolgen. Letztendlich müssen wir mit einer Siedlungskontinuität in diesem Raum vom 5. bis zum 7. Jahrhundert rechnen.

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Veröffentlicht
2014-07-10
Sprache
de
Beitragende/r oder Sponsor
RGZM
Schlagworte
Frühmittelalter 6./7. Jh. n.Chr., Österreich, Wien, Gräberfeld, Anthropologie, Schädeldeformation, Materialvorlage