Wege in den Realismus. Die ländliche Lebenswelt in skandinavischen und deutschen Erzählungen des 19. Jahrhunderts.

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Zitierfähiger Link (URI): http://hdl.handle.net/10900/51686
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-dspace-516869
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2014
Sprache: Deutsch
Fakultät: 5 Philosophische Fakultät
Fachbereich: Germanistik
Gutachter: Gropper, Stefanie (Prof. Dr.)
Tag der mündl. Prüfung: 2012-11-28
DDC-Klassifikation: 800 - Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaft
830 - Deutsche Literatur
839 - Literatur in anderen germanischen Sprachen
Schlagworte: Realismus , Skandinavien , Deutsche Literatur , Skandinavische Literatur
Freie Schlagwörter: Steen Steensen Blicher, Carl Jonas Love Almqvist, Berthold Auerbach, Bjørnstjerne Bjørnson
Poetischer Realismus
Poetic Realism
Realism, Scandinavia, German literature, Scandinavian literature
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Inhaltszusammenfassung:

Die komparatistisch angelegte Arbeit untersucht die Entwicklung einer realistischen Literatur in Skandinavien im 19. Jahrhundert. Zunächst werden die poetologischen und theoretischen Grundlagen dargestellt, wobei ein maßgeblicher Einfluss der idealistischen Philosophie angenommen wird. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Umbrüche gewinnt zudem der Gegenstand der ländlich-bäuerlichen Lebenswelt an Gewicht. Die anschließenden Analysen exemplarisch ausgewählter Texte gehen der Frage nach, welche Möglichkeiten dieses Sujet für eine realistische Ästhetik eröffnet und welche spezifischen literarischen Verfahren die Autoren dabei entwickeln. Ebenso werden auch Parallelen zur deutschsprachigen realistischen Dichtung untersucht. Unter dem Eindruck der Hegelschen Identitätsphilosophie propagiert der Däne Johan Ludvig Heiberg eine wirklichkeitsnahe Kunst, die absolute Wahrheiten anschaulich macht. Somit folgt die Dichtung einem Verklärungs- und Versöhnungsanspruch, der auch den Poetischen Realismus der deutschen Literatur bestimmt und von Ulf Eisele als „empiristischer Realismus“ beschrieben wird. Heibergs Forderungen werden in der skandinavischen Realismusdiskussion weiter modifiziert. Ein historischer Überblick über den ländlich-bäuerlichen Stoffbereich zeigt, dass der Realismus die bäuerliche Lebenswelt poetologisch aufwertet, indem er diese zum Gegenstand ästhetisch anspruchsvoller und zugleich dezidiert wirklichkeitsbezogener Darstellung erhebt. Im Werk des dänischen Autors Steen Steensen Blicher ist der ländliche Lebensbereich in Jütland für das bildungsbürgerliche Publikum von exotischem Interesse. Wie die Interpretation der Erzählungen „Hosekræmmeren“ („Der Strumpfkrämer“), „Skytten paa Aunsbjerg“ („Der Schütze auf Aunsbjerg“) und „De tre Helligaftene“ („Die drei heiligen Abende“) deutlich macht, sind die vorherrschenden sozialen Verhältnisse spannungsreich. Die Konflikte werden jedoch in einer existenziellen Problematik begründet, so dass eine Versöhnung zwar gedacht, innerhalb der Welt, wie sie ist, allerdings nicht erreicht werden kann. Der Erzähler nimmt eine vermittelnde Rolle ein, die er aufgrund seiner offen kommunizierten Subjektivität zugleich ironisiert. In Schweden entwirft Carl Johan Love Almqvist ein ästhetisches Programm, demzufolge die Kunst das Ideale im Realen aufspüren und diese scheinbar gegensätzlichen Bereiche versöhnen soll. Der Gegenstand der ländlich-bäuerlichen Lebenswelt leistet den geforderten Alltagsbezug. Die Differenz zwischen Kunst und Wirklichkeit bleibt bestehen und wird humoristisch-ironisch reflektiert. In der Erzählung „Kapellet“ („Die Kapelle“) werden christliche und bildungsbürgerliche Ideale mit den harten Lebensbedingungen der Schärenwelt konfrontiert, wobei die überwiegend personale Erzählinstanz sowie ironische Kommentare zentrale Bedeutung erhalten. Die geschilderten sozialen Konflikte werden in Form einer utopischen Lösung entschärft. Im deutschsprachigen Raum hat Berthold Auerbachs erzählerisches Werk den Terminus „Dorfgeschichte“ geprägt. Auerbach entwickelt ein volkspädagogisches Programm, das dem ländlich-bäuerlichen Stoffbereich einen spezifischen Bildungswert zuschreibt. Eine realistische Kunst soll am Beispiel des Volkslebens allgemein verbindliche moralische Werte vermitteln. Die Interpretation der Erzählungen „Der Tolpatsch“, „Des Schloßbauers Vefele“ und „Sträflinge“ lässt erkennen, dass soziale Konflikte nicht geleugnet, durch den sittlichen Anspruch auf eine mögliche Versöhnung in der Zukunft aber relativiert werden. Auerbachs Dorfgeschichten geben entscheidende Impulse für die weitere Entwicklung der realistischen Literatur im deutschsprachigen und europäischen Raum bis hin nach Skandinavien. Bjørnstjerne Bjørnsons „Bauernerzählungen“ entstehen vor dem Hintergrund der norwegischen Nationwerdung. Er sieht den ländlich-bäuerlichen Stoffbereich im Rückgriff auf die Volkspoesie als identitätsstiftend, betont aber seine allgemein menschliche Aussagekraft. In der Erzählung „Synnøve Solbakken“ wird das Verhältnis zwischen Individuum und Allgemeinheit verhandelt, wobei sich die individuell begründeten Konflikte durch die moralische Kraft der Liebe lösen. Die soziale Problematik der geschilderten Verhältnisse wird in Nebenhandlungen verlagert. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass sich der Einfluss der idealistischen Philosophie in Skandinavien in einer wirklichkeitsbezogenen Literatur manifestiert, die einem absoluten Wahrheitsanspruch folgt. Im Anschluss an Eisele wird deutlich, dass die skandinavische Dichtung das Verklärungskonzept des deutschen Poetischen Realismus vorwegnimmt. Dabei wird dem ländlich-bäuerlichen Stoffbereich besondere Glaubwürdigkeit zugesprochen. Die Interpretationen zeigen, dass die Autoren unterschiedliche literarische Verfahren entwickeln, um die Brüche und Paradoxien der dargestellten Wirklichkeit zu versöhnen. Auf diese Weise werden erste Voraussetzungen für die spätere gesellschaftsbezogene Dichtung in Skandinavien geschaffen.

Abstract:

This comparative thesis analyses the development of Realism in 19th century’s Scandinavian literature. It is introduced by a discussion on relevant philosophical and theoretical concepts, of which the Hegelian idealistic philosophy is especially important. Hegel’s esthetics are modified into the demand for realistic art, which is to derive absolute truth from the topic of simple everyday life. This idea of reconciling the antagonism of the ideal and reality is equivalent to the German concept of Poetic Realism, described by Ulf Eisele as “empiristic realism”. It becomes apparent that the Poetic Realism’s technique of “Verklärung” (transfiguration) is anticipated by early Scandinavian Realism. In the course of social and political changes in Scandinavia, the subject of rural life plays a significant role not only for the nations’ cultural identities but also for the newly upcoming realistic esthetics. The peasant environment is seen as an authentic topic, which can both exemplify the essence of humanity and comply with the demand for realistic writing. The thesis continues with an interpretation of selected narratives. The authors Steen Steensen Blicher (Danmark), Carl Johan Love Almqvist (Sweden), Berthold Auerbach (Germany) and Bjørnstjerne Bjørnson (Norway) take part in the contemporary discussion on Realism. In their works, they apply differing methods to deal with the claim for revealing absolute truth by focusing at reality. They all concentrate on the setting of rural life in order to show essential values and principles of human living. But they either emphasize the tragic of the world’s transience (Blicher), sketch utopian pictures of the future (Almqvist), or follow pedagogical intentions (Auerbach, Bjørnson). Trying these ways to reconcile the antagonisms of reality, early Scandinavian Realism prepares the later socio-critical poetry of the Modern Breakthrough.

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