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Dick, Christiane (2002): Die bošnjaštvo-Konzeption von Adil Zulfikarpašić. Auseinandersetzung über den nationalen Namen der bosnischen Muslime nach 1945. Das Forschungsportal zu Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa (http://www.osmikon.de)
Digitale Osteuropa-Bibliothek: Reihe Geschichte, Band 5
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Abstract

»Eingeschlafen sind wir als Muslime, aufgewacht sind wir als Bosniaken« – so kommentierte ein bosnisch-muslimischer Journalist 1993 das Votum einer außerparlamentarischen Versammlung von bosnisch-muslimischen Intellektuellen und Politikern für die Ersetzung des damaligen nationalen Namens »Muslime« (Muslimani) durch »Bosniaken« (Bošnjaci), das ein Jahr später verfassungsrechtlich sanktioniert wurde. Aus den für sie unmittelbar existenzbedrohenden Kriegen in Bosnien und Herzegowina 1992-1995 gingen die bosnischen Muslime somit als Nation gestärkt und, von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit bislang weitge­hend unkommentiert, unter einem neuen nationalen Namen hervor.

Dieses Phänomen bildet den Ausgangspunkt dieser Arbeit, die den Fokus auf zwei bisher in der Südosteuropaforschung wenig thematisierte Fragen legt: zum einen nach konkurrierenden Konzeptionen von nationaler Identität innerhalb der bosnisch-muslimischen intellektuellen und politischen Elite, zum anderen nach der Bedeutung der bosnisch-muslimischen politischen Emigration nach 1945. Im Hinblick auf die Frage nach den bestimmenden Konstrukteuren der bosnisch-muslimischen nationalen Identität im 20. Jahrhundert bietet sich eine zusätzliche Fokussierung auf Adil Zulfikarpašić und seine Konzeption von »Bosniakentum« (bošnjaštvo) an. Er gilt nicht nur als bedeutendste Persönlichkeit der bosnisch-muslimischen Emigration, sondern als Initiator und jahrzehntelanger Verfechter des Bosniakenbegriffs als nationaler Name der bosnischen Muslime. An der Durchsetzung des Namenswechsels hat er einen zentralen Anteil. Allerdings weicht seine Konzeption des »Bosniakentums« deutlich von der gegenwärtig in Bosnien und Herzegowina vorherrschenden Interpretation ab: Ihm zufolge ist der Bosniakenbegriff »offen« und überkonfessionell, sei folglich nicht auf die bosnischen Muslime begrenzt, sondern stehe auch bosnischen Kroaten und Serben offen. Zulfikarpašićs vermeintlich liberales Nationsverständnis steht jedoch in auffälligem Widerspruch zu seinen Texten, die beredtes Zeugnis von einem ethnisch exklusiven und damit »geschlossenen« Nationsbegriff ablegen.

In dieser Arbeit werden die wichtigsten in Deutschland verfügbaren Quellen ausgewertet, insbesondere alle Jahrgänge der Zeitschrift Bosanski pogledi (Bosnische Ansichten), die von Zulfikarpašić herausgegeben wurde, Kompilationen seiner Texte, neuere bosnisch-muslimische Veröffentlichungen sowie graue Literatur.

Die eingehende Analyse der bošnjaštvo-Konzeption von Zulfikarpašić ergibt, dass sich darin zwei grundsätzlich verschiedene Nationsmodelle verbinden: ein »subjektives« (tendenziell »offenes«) und ein »objektives«. Nur den bosnischen Kroaten und Serben räumt Zulfikarpašić ein subjektives Bekenntnis zum »Bosniakentum« ein. Seinem auf die bosnischen Muslime bezogenen Verständnis des Bosniakenbegriffs hingegen liegt zweifelsfrei ein »objektiver« Nationsbegriff zugrunde. So bleibt ein bosnischer Muslim nach seiner Konzeption immer ein »Bosniake«, selbst wenn er sich Zeit seines Lebens als Kroate oder Serbe erklärt. Diese Arbeit wurde als Magisterarbeit am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU Berlin angenommen.

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