Off-Label-Use von Arzneimitteln : von der Produkt- zur Dienstleistungssicherheit

Der Wunsch der Patienten nach Sicherheit der Arzneimittelversorgung ist angesichts der möglichen Schädigungen an Leben und Gesundheit durch die Einnahme von bedenklichen Arzneimitteln allzu verständlich. Dennoch kann diesem Wunsch durch das arzneimittelrechtliche Regime nicht vollständig entsprochen werden. Denn der Begriff der Sicherheit hat als relative Größe immer die Bewältigung von bestimmten Risiken zum Ziel, die ihrerseits im Wettstreit mit anderen Risiken stehen. Die Sicherheit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Medikaments ist dabei nicht allein im Vergleich zu einer Arzneimittelverordnung innerhalb des Zulassungsstatus des betreffenden Präparats zu beurteilen. Dass eine solche vergleichende Bewertung nur zum Ergebnis der Unsicherheit oder Bedenklichkeit der beabsichtigten Behandlung führen kann, liegt auf der Hand. Vielmehr sind auch die zu behandelnde Erkrankung des Patienten und die ihr innewohnenden Gesundheitsrisiken zu beachten. Erst die Einbeziehung auch dieser Faktoren in eine sicherheitsrechtlich motivierte Abwägung gestattet eine angemessene Nutzen-Risiko-Analyse und ermöglicht eine Entscheidung über die relative Sicherheit und den Nutzen der betreffenden Off-Label-Anwendung. Dabei gilt auch aus Sicht des Patienten die Faustformel: Je (lebens)bedrohlicher die Erkrankung, desto höher ist auch die Bereitschaft, mögliche Nebenwirkungen einer Off-Label-Therapie in Kauf zu nehmen. Es ist mithin eine Behandlungsentscheidung auf Grundlage einer individuellen Nutzen-Risiko-Analyse notwendig. Da sich eine solche Abwägung im Falle des zulassungsüberschreitenden Einsatzes eines Arzneimittels gerade nicht auf die Ergebnisse des institutionalisierten Zulassungsverfahrens stützen kann, sind andere Sicherungsmechanismen von Nöten. Denn allein das Fehlen der vom Gesetzgeber als Leitbild und Fundament für die Sicherheitsentscheidung im Arzneimittelrecht verankerten Zulassungsentscheidung darf im Umkehrschluss nicht zur Annahme der absoluten Unsicherheit und damit der Unzulässigkeit der betreffenden Therapie führen. Eine derartige Betrachtungsweise ließe die oben genannten weiteren Abwägungskriterien im Hinblick auf die relative Sicherheit der beabsichtigten Off-Label-Therapie völlig außer Acht. Sie wäre auch in ihrer letzten Konsequenz als Verweigerung einer gegebenenfalls lebensrettenden Behandlung mit dem staatlichen Schutzauftrag für Leben und Gesundheit nicht vereinbar. Sicherheitsmechanismen im Arzneimittelrecht dürfen nicht „starr“ sein.

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