Psychische Belastung von Bypass-Patienten im peri- und postoperativen Verlauf

Psychosoziale Belastung ist ein vielfach belegter Risikofaktor für ein negatives chirurgisches Outcome nach kardiochirurgischen Operationen. Wenig untersucht ist der Einfluss von präoperativ erhobenen demographischen, sozialen und somatischen Faktoren auf die Ausprägung der psychischen Belastung prä- und postoperativ. Außerdem gibt es wenige Befunde zu individuellen psychischen Belastungsverlaufsmustern und deren Auswirkung auf das chirurgische Outcome. In einer Längsschnittstudie wurden 425 Patienten untersucht, die im Zeitraum von November 2006 bis Dezember 2007 im Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena oder im Herzzentrum Brandenburg Bernau eine Bypassoperation mit oder ohne Klappenersatz erhalten haben. Es erfolgte eine Datenerhebung präoperativ zum Aufnahmetag (T1), postoperativ zum Entlassungstag (T2) und eine Katamnese nach 3 (T3) und nach 6 Monaten (T4). Zu allen MZP wurde die psychische Belastung (Angst und Depressivität) mittels der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) erhoben. Darüber hinaus wurden neben der sozialen Unterstützung (F-SozU) demographische (Alter und Geschlecht) und somatische Parameter (OP-Risiko/EuroSCORE, präoperative 2-Minuten-Gehstrecke) erfasst. Im Rahmen des follow-ups wurden nach 3 und 6 Monaten nach erfolgter Operation QoL-Parameter (SF-12) sowie Schmerzen und körperliche Belastbarkeit erhoben. Mittels multivariater Regressionsanalysen wurden präoperative Prädiktoren für die prä- und postoperative psychische Belastung identifiziert. Darüber hinaus wurden mittels Clusteranalysen psychische Belastungsmuster ermittelt und mittels weiterer statistischer Testverfahren auf Unterschiede hinsichtlich der prä- und postoperativen QoL geprüft. Ergebnisse Es zeigten sich kleine, aber signifikante Effekte präoperativer Prädiktoren für das psychische Outcome bis zu 6 Monate nach der OP. So waren jüngere Patienten nach 3 und nach 6 Monaten signifikant ängstlicher und depressiver als ältere. Daneben waren geringer sozial unterstützte Patienten postoperativ signifikant ängstlicher und präoperativ, postoperativ und zur 3-Monatskatamnese signifikant depressiver als höher sozial unterstützte Patienten. Darüber hinaus zeigten sich Patienten mit höherem Letalitätsrisiko (EuroSCORE) nach 6 Monaten signifikant ängstlicher und nach 3 und 6 Monaten signifikant depressiver als Patienten mit niedrigerem Letalitätsrisiko und präoperativ weniger mobile Patienten (2-Minuten-Gehstrecke) nach 3 und 6 Monaten signifikant ängstlicher und zu allen MZP signifikant depressiver als präoperativ mobilere Patienten. Weiterhin bestätigte sich, dass präoperativ psychisch belastete Patienten auch postoperativ am belastetsten bleiben. Außerdem wurden vier psychische Belastungsmuster ermittelt, von denen jene Patienten das schlechteste/negativste spät-postoperative Outcome hatten, welche während des Klinikaufenthalts prä- und postoperativ geringe Angst- und Depressivität zeigten, nach 3 und 6 Monaten jedoch einen starken Anstieg der Angst- und Depressivitätswerte erfuhren. Diese Patientengruppe hatte eine geringere psychische und körperliche Lebensqualität, eine geringere körperliche Belastbarkeit und mehr Schmerzen nach 3 und 6 Monaten als ein großer Teil der Patienten mit anderen Belastungsmustern. Schlussfolgerungen Es zeigten sich präoperative Faktoren, welche einen Teil der prä- und postoperativen psychischen Belastung vorherzusagen vermögen. Da es sich größtenteils um routinemäßig erfasste Parameter handelt, könnten diese in der Diagnostik zur Identifikation psychosozial gefährdeter Patienten Anwendung finden. Diese Patienten könnten besondere Unterstützung durch Psychologen oder geschultes Personal erhalten. Außerdem konnte gezeigt werden, dass eine alleinige Erfassung psychosozialer Parameter zu den stationären Zeitpunkten nicht ausreichend ist, um Risikopatienten zu identifizieren. Ein Teil der Patienten zeigt sich stationär unauffällig und erfährt erst spät nach der Entlassung eine starke psychische Belastung mit Einschränkungen von Lebensqualität und Belastbarkeit mit stärkeren Schmerzen. Diese Patienten würden ganz besonders von einer erneuten Diagnostik hinsichtlich psychosozialer Belastungsparameter während der ambulanten Nachbetreuung profitieren, um ihnen gezielte Unterstützung und Interventionsangebote zukommen zu lassen. Die Ergebnisse zeigen also, dass sich diese Aufmerksamkeit nicht auf den Klinikaufenthalt beschränken darf. In Hinblick auf weiteren Forschungsbedarf könnten Interventionsstudien im Zuge der Nachbetreuung sowie längere Nachbeobachtungszeiträume von Interesse sein. Darüber hinaus ist einmal mehr zu erkennen, dass von einer alleinigen Betrachtung des durchschnittlichen Bypass-Patienten abgerückt werden sollte.

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