Untersuchung zum Nachweis und zur Beeinflussbarkeit der Hysterese der Rumpfmuskulatur unter isometrischen Bedingungen

Das Ziel der Untersuchung besteht darin, ein erweitertes funktionelles Verständnis der Arbeitsweise der Rumpfmuskulatur zu erlangen. Die durchgeführte Untersuchung fokussierte sich dabei auf den Nachweis und die Beeinflussbarkeit einer Hysterese für die Rumpfmuskulatur unter isometrisch-dynamischen Bedingungen. Hysterese ist unter muskelphysiologischen Aspekten als ein koordinatives Phänomen anzusehen, bei dem eine Wirkung auch nach Wegfall der Ursache weiter andauert. Die untersuchte Kohorte umschloss 21 gesunde Männer und 19 gesunde Frauen. Die Untersuchung wurde durchgeführt, indem die Personen bei frei beweglichem Oberkörper diesen während jeweils kompletter passiver Drehung um die Körperachse gegen die Schwerkraft halten mussten (CTT Centaur). Zusätzlich wurden die äußeren Bedingungen variiert (Kippwinkel, Startposition, Drehrichtung und Rotationszeit). Mithilfe der Oberflächen-Elektromyographie (OEMG) wurde die Muskelaktivität der Rumpfmuskeln M. rectus abdominis (RA), M. obliquus internus & externus (OI & OE), M. iliocostalis (IC), M. multifidus (MF) und M. erector spinae, pars longissimus (ES) detektiert. Für die Quantifizierung der Daten wurde die „root mean square“ (RMS) genutzt. Es wurden ebenfalls Relativwerte (Koordinationsmuster, KM) berechnet, um auftretende Amplitudenunterschiede zu eliminieren. Als typisch wird die Hysterese dann klassifiziert, wenn die höheren Amplitudenwerte in der Phase der zunehmenden Kraftwirkung nachweisbar waren. Die Untersuchung gliederte sich in zwei Teile: den qualitativen und quantitativen Nachweis der Hysterese sowie die Überprüfung einer Abhängigkeit der Befunde von der Variation der äußeren Bedingungen. Bei der Auswertung der qualitativen Ergebnisse zeigte sich bei den Muskeln OE, IC, MF und ES in der Mehrzahl der durchgeführten Bewegungsabläufe eine systematisch nachweisbare Hysterese im KM, deren Charakteristik und Ausprägung für die einzelnen Muskeln jedoch variierte. Die Muskeln OE, IC und ES zeigten dabei ein situationsabhängiges Hysterese-Verhalten; bei einer Startposition mit initial hoher muskulärer Beanspruchung konnte eine ausschließlich typische Hysterese im Bereich hoher Beanspruchung vorgefunden werden, während bei einer Startposition mit niedriger Beanspruchung eine überwiegend atypische Hysterese im Bereich niedriger Beanspruchung nachweisbar war. Der MF hingegen zeigte bei allen Bewegungsabläufen eine signifikant typische Hysterese. Beim RA konnte bei Vorliegen einer signifikanten Hysterese ebenso eine ausschließlich typische Hysterese-Charakteristik identifiziert werden. Der OI zeigte bei einer Startposition mit niedriger Beanspruchung vermehrt eine atypische Hysterese im Bereich niedriger Beanspruchung. Unter den festgelegten quantitativen Kriterien konnte nur bei den Muskeln IC, MF und ES in der Mehrzahl der Bewegungsabläufe eine nachweisbare Hysterese identifiziert werden. Der IC zeigte ein deutlich von der Startposition abhängiges Hysterese-Verhalten, während das Hysterese-Verhalten des ES nur bei höheren Kippwinkeln von der Startposition beeinflusst wurde. Tendenziell konnte für beide Muskeln bei einer Startposition mit initial hoher muskulärer Beanspruchung eine fast ausschließlich typische Hysterese im Bereich hoher Beanspruchung nachgewiesen werden. Bei Start der Rotation im Bereich geringer Beanspruchung war hingegen eine vorwiegend atypische Hysterese im Bereich niedriger Beanspruchung vorzufinden. Der RA (teilweise nachweisbar) und MF (durchgehend nachweisbar) waren die einzigen Muskel, die eine typische Hysterese in allen Bewegungsabläufen aufwiesen. Der OI zeigte quantitativ ein tendenziell von der Startposition abhängiges Hysterese-Verhalten, während der OE eine überwiegend typische Hysterese besaß. Die qualitativen und quantitativen Ergebnisse lassen den Schluss zu, mit Ausnahme des RA und MF, dass die Charakteristik der Hysterese maßgeblich durch die Vorspannung (Startposition) beeinflusst wird. In der zweiten Fragestellung wurde neben dem Einfluss der Startposition (s. oben) ebenfalls der Einfluss der äußeren Bedingungen des Kippwinkels, der Rotationszeit und der Drehrichtung auf die Charakteristik und Ausprägung der Hysterese untersucht. Beim direkten Vergleich zweier Hysterese-Kurven, die sich in nur einem Parameter der Ausgangsbedingungen unterschieden, konnte bei einem variierenden Kippwinkel eine für vordere und hintere Rumpfmuskeln unterschiedliche, jedoch lokalisationsbezogen einheitliche Systematik festgestellt werden. Es zeigte sich erwartungsgemäß, dass die Hysterese-Kurven mit einem größeren Kippwinkel durchgehend eine größere, teilweise auch signifikant größere Hysterese aufwiesen als die zu vergleichenden Kurven mit geringerem Kippwinkel. Bedingt durch die stärkere Aktivierung der Muskeln bei einem zunehmenden Beanspruchungsniveau zeigte sich innerhalb der Rotation eine größere Differenz zwischen Hin- (Aktivierungsphase) und Rückweg (Entspannungsphase). Rotationszeit und Drehrichtung hatten keinen relevanten Einfluss auf die Ausprägung und Charakteristik der Hysterese. Das koordinative Phänomen der Hysterese (Nachweis Hysterese) konnte nachgewiesen werden. Die Charakteristik und Ausprägung der Hysterese unterliegt jedoch keiner übergeordneten Systematik – die Muskeln mit einer nachweisbaren Hysterese zeigten ein individuelles Hysterese-Verhalten. Ebenso konnte festgestellt werden, dass das Aktivierungsmuster und –verhalten der Muskeln maßgeblich durch die gewählte Ausgangsposition beeinflusst wird. Zukünftige muskelphysiologische Untersuchungen sollten daher die Auswirkung externer Faktoren auf das Aktivierungsverhalten der Muskulatur berücksichtigen.

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