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Die Bewertung von Patientenverfügungen auf der Intensivstation : Ergebnisse einer prospektiven Befragung von Ärzten und Angehörigen

Mit einer Patientenverfügung haben Patienten die Möglichkeit, ihren Willen bezüglich medizinischer Entscheidungen schriftlich festzuhalten, wodurch im Falle des Verlustes der Einwilligungsfähigkeit die Autonomie der Patienten gewährleistet werden soll. Retrospektive Analysen lassen jedoch vermuten, dass Patientenverfügungen auf der Intensivstation die Behandlung am Lebensende nicht wesentlich beeinflussen. Patientenverfügungen enthalten eingangs Gültigkeitsvoraussetzungen, welche die klinischen Situationen beschreiben, für die der Patient bestimmte Wünsche und Ablehnungen hinsichtlich der medizinischen Therapie formuliert hat. Möglicherweise fällt es den Beteiligten schwer, die Gültigkeit herkömmlich formulierter Patientenverfügungen auf der Intensivstation eindeutig zu bewerten. Deshalb untersuchten wir in der vorliegenden prospektiven Beobachtungsstudie, wie Angehörige und Ärzte auf der Intensivstation die Gültigkeit einer vorliegenden Patientenverfügung in der Akutsituation bewerten. Dazu wurden behandelnde Ärzte und Angehörige von nicht einwilligungsfähigen Patienten mit Patientenverfügung anhand eines Fragebogens interviewt. Neben Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten enthielt der Fragebogen auch offene Fragen. Die Fragen wurden zusammen mit Intensivmedizinern und Ethikern entwickelt und nach einer Pilotbefragung modifiziert. Der fertige Fragebogen enthielt die jeweiligen Gültigkeitsvoraussetzungen sowie Wünsche und Ablehnungen im Wortlaut. Nach 30 Tagen erfolgte eine Nachbefragung der Angehörigen. Quantitative Daten wurden deskriptiv, die Kommentare mittels thematischer Analyse ausgewertet. 50 Patienten wurden eingeschlossen. Die meisten Gültigkeitsvoraussetzungen in den Patientenverfügungen waren pauschal formuliert. 46% der Studienpatienten starben auf der Intensivstation. Befragte Angehörige gaben an, den Patientenwillen genau zu kennen. In der Bewertung der Gültigkeit einzelner Patientenverfügungen zeigte sich nur eine geringgradige Übereinstimmung zwischen Ärzten und Angehörigen (0,35; 95% Konfidenzintervall: -0,01-0,71; p= 0,059) sowie zwischen Ober- und Assistenzärzten (0,24; 95% Konfidenzintervall: -0,03-0,50; p= 0,079). Im Vergleich zu behandelnden Ärzten bewerteten Angehörige die Patientenverfügung als sehr hilfreich (Median 3 versus 5; p=0,018) auf einer Likert-Skala von 0 (gar nicht hilfreich) bis 5 (sehr hilfreich). Angehörige wollten die Patientenverfügung möglichst wörtlich befolgt wissen, während Ärzte sie eher freier interpretierten (Median 5 versus 4; p=0,018) wobei die Likert-Skala von null (entsprechend der Interpretation durch den Arzt) bis 5 (wortwörtlich) reichte. Nach 30 Tagen gaben 13 (68%) Angehörige an, der Patientenwille sei vollständig befolgt worden. Die manifesten Unterschiede in der Bewertung der Patientenverfügung auf der Intensivstation zeigen, dass die Gültigkeit vorliegender Patientenverfügungen auf der Intensivstation nicht einfach zu ermitteln ist. Der medizinische Zustand eines kritisch kranken Patienten unterliegt Schwankungen. Eine sichere Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf kann meist nicht gegeben werden. Damit sind momentane Patientenverfügungen für die Akutsituation nicht geeignet. Dieses Defizit könnte verbessert werden, durch die Entwicklung von geeigneteren Verfügungen, z.B. im Sinne eines „Advance Care Plannings“, oder indem Patienten und ihre Vertreter im Vorfeld besser über Komplikationsmöglichkeiten während des ITS-Aufenthaltes informiert werden. Des Weiteren ist erforderlich, den Umgang mit Patientenverfügungen in diesen Situationen in die medizinische Aus- und Weiterbildung aufzunehmen.

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