Hirnmetabolische Veränderungen bei chronischem Rückenschmerz

Chronische Rückenschmerzen gehören in Deutschland zu den häufigsten und kostenintensivsten Schmerzerkrankungen. Die Patienten weisen oft lange Krankengeschichten, eine dauerhaft eingeschränkte Lebensqualität und enorme psychische Belastungen auf. Auf Basis des biopsychosozialen Modells der Schmerzchronifizierung wird davon ausgegangen, dass neben klinischen und objektivierbaren Befunden, psychische Merkmale eine zentrale Rolle für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Prognose von Schmerzsyndromen spielen. Außerdem besteht ein Zusammenhang zwischen dem Chronifizierungsstadium und dem Behandlungserfolg bei chronischen Schmerzpatienten. Mittels funktioneller Bildgebung wurde festgestellt, dass chronische Schmerzen und die damit verbundenen psychologischen und funktionellen Beeinträchtigungen auch im Zusammenhang mit Änderungen des Neurotransmitterstoffwechsels in schmerzverarbeitenden Hirnregionen (z.B. anteriorer cingulärer Kortex (aCC), insulärer Kortex) stehen. Die Konzentrationen der im menschlichen Gehirn wichtigsten Neurotransmitter GABA (γ-Aminobuttersäure) und Glutamat sind sowohl bei chronischen Schmerzen als auch bei psychischen Erkrankungen wie Depression und Angsterkrankungen verändert. In dieser Studie wurde die Magnetresonanzspektroskopie (1H-MRS) genutzt, um Neurotransmitter im Gehirn in vivo zu quantifizieren und ein schmerzbegleitendes Ungleichgewicht zwischen erregend (glutamatergen) und hemmend (gabaergen) wirkenden Neurotransmittern bei Patienten mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen nachzuweisen sowie den Zusammenhang zu psychologischen und klinischen Befunden zu untersuchen. Hierzu wurden bei 19 Patienten mit chronischen, unspezifischen Schmerzen (>3 Monate) im Rückenbereich sowie bei 19 nach Alter und Geschlecht parallelisierten gesunden Kontrollpersonen psychologische (Angst, Depressivität) und Schmerzmerkmale (Chronifizierungsstadium, Schmerzintensität, Schmerzdauer) mittels Fragebögen erfasst. Akute psychiatrische Erkrankungen wurden in einem standardisierten, klinischen Interview (SKID) ausgeschlossen. Die Neurotransmitter Glutamat und GABA sowie Glutamat/GABA Verhältnisse im aCC und im insulären Kortex wurden mittels 1H-MRS quantifiziert. Es zeigte sich eine hohe Varianz der Glutamat/GABA Verhältnisse von Patienten und Kontrollpersonen in beiden gemessenen Hirnregionen. Ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen konnte nicht nachgewiesen werden. Das Merkmal „Angst“ war eine signifikante Einflussvariable auf die Konzentration von Glutamat in Insula und aCC. Das Außerdem zeigte sich innerhalb der Patientengruppe ein signifikanter Einfluss der Schmerzintensität auf GABA und Glutamat in der Insula. Des Weiteren wurde mit zunehmendem Chronifizierungsstadium eine Abnahme des Neurotransmitters Glutamat im aCC nachgewiesen. Dieser Zusammenhang wurde in der vorliegenden Studie erstmals beschrieben. In Übereinstimmung mit dem aktuellen Forschungsstand lässt sich ableiten, dass dem aCC und der Insula im Prozess der Schmerzchronifizierung unterschiedliche Rollen zukommen: Veränderungen der Botenstoffe standen im aCC in Zusammenhang mit psychischen Merkmalen, in der Insula mit der Schmerzintensität. Die dargestellten Ergebnisse müssen unter Berücksichtigung folgender methodischer Limitationen interpretiert werden: mit 1H-MRS gemessene Neurotransmitterkonzentrationen repräsentieren Summenwerte der Messvolumina in den Hirnregionen, sodass kein Rückschluss auf die Herkunft der Metaboliten (Glutamat ist sowohl Metabolit im Energiestoffwechsel als auch Neurotransmitter) gezogen werden kann. Durch die Durchführung eines querschnittlichen Studiendesigns kann die Kausalität der gemessenen Zusammenhänge nicht bewertet werden. In Folgestudien sollten die nachgewiesen Effekte an größeren Stichproben und Kontrollgruppen überprüft werden. In dieser Studie konnte nachgewiesen werden, dass sowohl klinische als auch psychische Merkmale von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen im Zusammenhang mit Änderungen von Neurotransmittern in den schmerzverarbeitenden Hirnregionen aCC und Insula stehen. Die Vorgänge der zentralnervösen Schmerzverarbeitung und Chronifizierung sowie insbesondere den Bezug zu psychosozialen Merkmalen zu verstehen, stellt eine große Herausforderung für die aktuelle Schmerzforschung dar. In unserer Studie ist es gelungen eine Reihe von Einflussfaktoren zu identifizieren und die Bedeutung einer ausführlichen, individuellen Befunderhebung von sowohl psychischen als auch klinischen Parametern zu belegen.

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