Perspektiven von Lehrkräften auf die Unterrichtseinheit Humanbiologie vor dem Hintergrund einer Dokumentenanalyse im Zeitraum von 1951 bis 2012

Das vorliegende Dissertationsprojekt beschäftigte sich mit Perspektiven von Lehrern auf die Entwicklungen des Thüringer Biologielehrplans am Beispiel der Unterrichtseinheit Humanbiologie im Zeitraum von 1951 bis 2012. Vor dem Hintergrund von Kritik durch Lehrer an den im Jahr 2012 eingeführten Biologielehrplänen und der Debatte um die Implementierung der nationalen Bildungsstandards rückte der Thüringer Biologielehrplan mit seiner Entwicklung sowie die Perspektive von Lehrern auf diese in den Fokus der Analyse. Da bei einem Altersdurchschnitt der Thüringer Lehrerschaft von 51 Jahren davon auszugehen war, dass berufsbiographische Erfahrungen der Lehrer ihre Einstellung zu den Neuerungen beeinflussten, war der Untersuchungszeitraum auf die DDR-Zeit auszuweiten. Als exemplarische Unterrichtseinheit wurde die Humanbiologie festgelegt, weil sie kontinuierlich im gesamten Untersuchungszeitraum vorkam und Studien mit Schülern eine konstant hohe Motivation in der gesamten Schullaufbahn für dieses Fachgebiet der Biologie ermittelten. Ziel der vorliegenden Studie war es nicht nur herauszufinden, wie und warum sich die Humanbiologie in den Biologielehrplänen des genannten Zeitraums entwickelte, sondern auch Einstellungen von Lehrern und die Motivation für ihre Sichtweise zu ermitteln. Es sollte ferner überprüft werden, ob sich die Lehrenden überfordert fühlten oder sich ihre Kritik auf berufsbiographische Hintergründe zurückführen ließ. Berufsbiographische Forschungsansätze konsolidierten Herausforderungen bei ehemaligen DDR-Lehrern im Umgang mit den aktuellen Ansprüchen an ihre Arbeit. Es entstand ein zweiphasiges Forschungsdesign: zunächst wurden 40 Biologielehrpläne des Untersuchungszeitraums mit humanbiologischen Inhalten analysiert, anschließend leitfadengestützte Experteninterviews mit 10 Lehrern geführt und ausgewertet. Die von Philipp Mayring (1980) entwickelte Methode der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ kam in beiden Phasen zur Anwendung. Die Lehrplananalyse ergab, dass die Unterrichtseinheit Humanbiologie im Gegensatz zu allen anderen biologischen Themen ab dem Jahr 1968 während des gesamten achten Schuljahres im Mittelpunkt des Biologieunterrichts stand. Sie nahm vor 2012 einen Stellenwert von über 1/5 anteilig an der Gesamtheit des Biologieunterrichts ein. Seit 2012 sank dieser anteilig auf 1/6. Obgleich im gesamten Untersuchungszeitraum die selben Themengebiete wie Stoffwechsel, Körperbau, Sinnesorgane und Nervensystem, Sexualität aufgeführt waren, weist der aktuelle Lehrplan die wenigsten 2 konkreten inhaltlichen Verbindlichkeiten auf. Diese Beobachtung entspricht der Forderung nach der Implementierung der national gültigen Bildungsstandards auf der Ebene der Bundesländer. Es ließ sich eine Verschiebung in allen Themengebieten von Krankheiten hin zu gesunderhaltenen Maßnahmen im Laufe der Dokumente erkennen. In den Interviews beurteilten die Lehrer vor allem die strukturellen Veränderungen des neuen Lehrplans vorrangig kritisch, weil der veränderte Charakter durch die wenigen verbindlichen Vorgaben Probleme in der Umsetzung im Schulalltag hervorrufe. Die Qualität des Fachwissens sei unpräzise und deshalb ein Fachlehrerwechsel schwer zu bewerkstelligen. Die wenigen konkreten Inhaltsvorgaben gäben auch Neulehrern zu wenig Orientierung. Die Interviewteilnehmer, die erst nach der politischen Wiedervereinigung in den Schuldienst eintraten, bestätigten derartige Probleme, äußerten aber kaum Unsicherheit bei der Umsetzung. Diese Beobachtung konsolidierte die Erkenntnisse der Berufsbiographischen Forschung. Gleichzeitig stellen diese Ergebnisse die Basis für anschließende Forschungen dar, um sie im Vergleich mit anderen Bundesländern zu validieren. Die Interviews spiegelten zudem eine Überforderung der Lehrer wider, die nicht nur auf die Lehrplanneuerungen zurückzuführen waren, sondern auch auf andere Innovationen in der Schulrealität, die viel Zeit neben der eigentlichen Unterrichtsarbeit in Anspruch nehmen. Beispielsweise stellen die Inklusion und damit einhergehende sehr heterogene Klassenzusammensetzungen eine große Herausforderung für die Lehrer im und außerhalb des Unterrichts dar. Auch der Umfang an außerunterrichtlichen Forderungen, wie das Schreiben von Kompetenzbögen, Förderplänen, das Teilnehmen an Schulentwicklungsgruppen usw. sei gestiegen. Resümierend ließ sich feststellen, dass die interviewten Lehrer die Lehrpläne vor 2012 als hilfreicher empfanden. Dennoch steht die Diskussion um die Lehrplanneuerungen eher stellvertretend für die Unzufriedenheit der Lehrer über die schlechten Rahmenbedingungen des Schulalltags.

This dissertation project focuses on the perspectives of teachers on the development of the biology curriculum in Thuringia, using the example of the Human Biology in the period from 1951 to 2012. Against the background of teacher's criticism of the biology curriculum introduced in 2012 on the one side, and the debate on the implementation of the national educational standards on the other side, the development of the Thuringian biology curriculum and the perspective of teachers on this have been brought into focus. Because the average age of teachers in Thuringia is 51, it was assumed that teacher`s professional experience influences their attitudes towards innovations. The refore the time being considered was extended to include the period of the GDR. Human Biology was selected because it has been present in the curriculum throughout this entire period and student evaluations of all grades have indicated a constant interest to this topic. The objective of this work was not only to describe how and why Human Biology has changed within the curriculum over this period of time, but also to identify teachers` attitudes and their motivations for these opinions. A second objective was to find out whether teachers felt overburdened by these curriculum changes, or if their criticism was based on their occupational backgrounds. Occupational biography research identified challenges among teachers of the former GDR in dealing with the current demands in their work. A two-step research design was created. First, 40 human biology curricula during the indicated period were analysed. Second, guided expert interviews with teachers were conducted and then evaluated. The method of qualitative content analysis developed by Philipp Mayring (1980) was utilized for both stages. The analysis of the curricula indicated that the human biology has remained a central focus of the biology instruction during the entire grade 8 since 1968. It occupied as much as 1/5 of the entire biology curriculum prior to 2012. Since 2012, its volume has dropped to 1/6. Although the same human biology topics have been included in the instructions throughout the analyzed period being considered (including metabolism, composition of the body, sensory organs and the nervous system and sexuality), the current curriculum indicates just a few, specific, content-related constraints. This observation is consistent with the requirement to implement the national educational standards. A shift from disease-centered teaching towards preventive health care has been identified. In the interviews, teachers were particularly critical of the structural changes in the new curriculum, because it featured less obligatory content. This new structure created problems for implementing into the school routine. In particular, difficulties caused by the imprecise new guidelines emerge in the case of new teacher positions. Less specific content requirements also give young teachers too little orientation. Interviewees who had entered the teaching profession only since German reunification confirmed these difficulties but expressed only little uncertainty about implementation. This outcome is consistent with the conclusions of occupational biography research that identified challenges among teachers of the former GDR in dealing with the current demands in their work. At the same time, these results could serve as the basis for future nationwide comparative research. The interviews also reflected the excessive demands on teachers that are not only attributable to the new curriculum but also to other novelties in everyday routine of instructors which consume a burdensome amount of time. In particular, the policy of inclusion and its resulting highly heterogeneous class compositions have posed a huge challenge for teachers both within and beyond the realm of classroom instruction. Moreover, the extent of extracurricular demands such as writing competency forms, individual educational plans, as well as taking part in different education development groups, for example, has increased. In conclusion, the interviewed teachers perceived the curricula prior to 2012 more to be useful. However, the teachers´ criticism of the biology curriculum is perhaps more representative for their dissatisfaction regarding the everyday school life.

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