Die Fachsprachlichen Minima

Schon in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts sprach Hoffmann von einem lexikalischen Minimum, von einer Mindestzahl an lexikalischen Einheiten, die ein "Überleben" in der Fachkommunikation ermögliche . Dieses Minimum entsprach den häufigsten Wörtern in großen Fachkorpora und galt als Basis für einen fachbezogenen Fremdsprachenunterricht. Im Hinblick auf einen Syllabus für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht wird im Rahmen dieser Dissertation das Modell von Hoffmann mit dem Ziel weiterentwickelt, nicht nur das lexikalische Minimum, sondern auch das morphologische, syntaktische und textuelle Minimum zu bestimmen, unter Berücksichtigung ihrer Funktion und des Kontextes, in dem sie verwendet werden. Die Beherrschung dieser Formen und ihrer Funktionen in einer Fremdsprache soll Studierenden mit schon vorhandenen fachlichen und sprachlichen Grundkenntnissen in dieser Fremdsprache als notwendige und ausreichende Grundlage für eine kommunikative Kompetenz im Fach, zum Beispiel während eines Studiums im Ausland dienen. Darüber hinaus wird der Begriff der fachsprachlichen Minima neu definiert, indem Grundkenntnisse in der Fremdsprache vorausgesetzt werden: Deshalb bleiben wie bereits bei Hoffmann die seltensten Formen eines Korpus fachsprachlicher Texte unberücksichtigt, ebenso wie diejenigen unter den häufigen Formen, die einer allgemeinen Grundsprache angehören und bereits erworben worden sein sollten. Damit kann man sich auf die spezifischen Aspekte jeder Fachsprache konzentrieren. Für die Lexik bedeutet dies, von den Häufigkeitswortschatzlisten der entsprechenden Fachsprachkorpora die Grundwortschätze der Allgemeinsprache abzuziehen und damit die übrigen häufigsten Formen einer speziellen Fachsprache zu bestimmen . Im Rahmen der Morphologie, Syntax und Textualität werden ausgewählte Aspekte in Fachsprachenkorpora und in Korpora der Allgemeinsprache verglichen, um zu ermitteln, ob ein quantitativer Unterschied in ihrer Verwendung besteht: Elemente, die in den Fachsprachenkorpora eine hohe Frequenz haben und insbesondere eine höhere Frequenz als in den Korpora der Allgemeinsprache aufweisen, werden als fachsprachliche Minima definiert und als sprachliche Grundlage für Syllabi eines fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts ausgesucht. Komponenten mit hoher Frequenz, die jedoch ebenfalls stark in der Allgemeinsprache bzw. in Korpora anderer Varietäten vertreten sind, werden hingegen aussortiert: Sie gehören einer Grundgrammatik an, die etwa mit dem Grundwortschatz einer Sprache vergleichbar ist. Elemente mit einer hohen Frequenz in der Allgemeinsprache, nicht aber in der Fachsprache werden schließlich als nicht fachsprachenrelevant bzw. angemessen angesehen und daher als solche in der Fachsprache – oder in einigen ihrer kommunikativen Situationen und Textsorten – eher zu vermeidende Formen behandelt. Eine Fachsprache kann als Selektion von Formen und Funktionen gegenüber dem Potential einer Sprache bzw. als restriction des Systems gesehen werden. Sie kann jedoch auch in Hinblick auf die Menge der Zusatzformen gegenüber einer gemeinsamen Grundsprache betrachtet werden . Gerade diese Zusätze – die fachsprachlichen Minima – sind die Aspekte, auf die sich ein fachbezogener Fremdsprachenunterricht konzentrieren sollte und die in der vorliegenden Arbeit analysiert und beschrieben werden. Die Untersuchung basiert auf einem 80.000-token-Korpus von italienisch-sprachigen schriftlichen und gesprochenen Texten aus der Wissenschaftssprache Geschichte, das mit weiteren Korpora der Allgemeinsprache Italienisch verglichen wird. Die Arbeit bietet eine Modellanalyse, die auch für weitere Wissenschaftssprachen verwendet werden kann, um sie zu beschreiben und um vergleichbare korpusbasierte Inhalte als Grundlage für einen Syllabus eines universitären fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts zu bestimmen. Die Auswahl der Fachsprache Geschichte wurde aus persönlichen Interessen und Kenntnissen in diesem Fachbereich gewählt, die eine zusätzliche zuverlässige Einschätzung bei der Auswahl von repräsentativen Kategorien, Themen und Texten für dieses Fach gewährleisten. Darüber hinaus erfolgt die Forschung im Rahmen der Fachsprache Geschichte in Italien noch größtenteils in Italienisch und nicht in Englisch als Lingua Franca wie es beispielsweise in naturwissenschaftlichen Fächern oft der Fall ist. Gerade die italienischen Hochschulen stellen darüber hinaus noch immer wichtige Bezugspunkte für Historiker dar und sind bevorzugte Ziele für Studierende, die ein Austauschsemester für historische Studien absolvieren wollen. Indem diese Arbeit die Analyse formaler Komponenten in den Vordergrund stellt, wie lexikalische Einheiten, morphosynktaktische Strukturen oder textuelle Elemente, unterscheidet sie sich von den meisten aktuellen fachsprachlichen Untersuchungen, die sich eher mit dem Fachdiskurs und der Fachargumentation befassen : Einerseits ist es Ziel dieser Arbeit, als Grundlage für einen Syllabus eines fachsprachbezogenen Fremdsprachenunterrichts, diese formale Aspekte zu bestimmen, die so oft vorausgesetzt werden, sodass sie aus dem Blick geraten – zumindest für die italienischen Fachsprachen. Andererseits werden die einzelnen linguistischen Komponenten nicht als separate, abstrakte Entitäten an sich betrachtet, sondern, wie im Laufe der folgenden Kapitel ersichtlich wird, in Hinblick auf ihre Funktion im akademischen Diskurs sowie auf die Situationen, die Domäne, den Kanal und die Textsorten, in denen sie angewendet werden. Mit anderen Worten, die Sprache wird in engem Zusammenhang mit dem Kontext, in dem sie verwendet wird, untersucht und beschrieben. Weitere Untersuchungen, die beispielsweise vertieft die einzelnen Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine angemessene akademische Kommunikation in den Blick nehmen würden, wären eine ideale Ergänzung zu dieser Arbeit.

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