Einfluss der thalamischen Stimulation auf das Gangbild von Patienten mit fortgeschrittenem Essentiellen Tremor

In dieser Studie wurde der Einfluss der tiefen Hirnstimulation im Thalamus auf das Gangbild von Patienten mit fortgeschrittenem Essentiellen Tremor (ET) untersucht. Vorherige Untersuchungen haben gezeigt, dass Patienten mit einem fortgeschrittenen ET nicht nur an einem Tremor der Hände leiden, sondern auch an einer Gangataxie mit Schwierigkeiten vor allem beim Seiltänzergang. Die tiefe Hirnstimulation im Thalamus ist eine therapeutische Option für ET-Patienten, die an einem medikamentös nicht mehr zufriedenstellend behandelbaren Tremor leiden. Während der positive Einfluss der tiefen Hirnstimulation auf die Handfunktion in vorangegangenen Studien bereits gezeigt werden konnte, ist der Einfluss auf die Gangstörung von ET-Patienten bisher unklar. Elf ET-Patienten wurden in drei unterschiedlichen Bedingungen untersucht: mit ausgeschalteter Stimulation (Stim OFF), mit eingeschalteter Stimulation (Stim ON) und mit supratherapeutischer Stimulation (Stim ST). Vorherige klinische Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Erhöhung der Stimulationsparameter oberhalb der therapeutisch notwendigen Stimulationsparameter zu einer Verschlechterung der Handfunktion führen kann. In der Stim ST-Bedingung sollte also untersucht werden, ob dadurch eine Verschlechterung des Gangbildes provoziert werden kann. Zur Untersuchung des Einflusses der tiefen Hirnstimulation auf den Tremor von ET-Patienten haben wir eine modifizierte Version der Fahn-Tolosa-Marin Tremor Rating Scale (TRS) verwendet. Zur Charakterisierung des Einflusses auf die Ataxie haben wir die International Cooperative Ataxia Rating Scale (ICARS) angewendet. Das Gangbild von ET- Patienten wurde mit Hilfe der folgenden drei Paradigmen untersucht: 1. Normaler und Seiltänzergangs auf ebenem Boden, 2. Modifizierter Seiltänzergang auf dem Laufband, bei dem die Patienten sich an einer Querstange festhalten durften, 3. Normales Gehen auf dem Laufband. Die Laufbanduntersuchungen wurden mit Hilfe eines dreidimensionalen optokinetischen Systems analysiert. Als Vergleichsgruppe dienten zehn gesunde Kontrollpersonen im gleichen Alter wie die ET-Patienten. Die Untersuchung erbrachte folgende Ergebnisse: 1. In der Stim OFF-Bedingung zeigte sich in allen drei Gangparadigmen eine Gangataxie. Durch die Stim ON-Bedingung kam es zu einer Verbesserung der Ataxie, durch die Stim ST-Bedingung zu einer Verschlechterung. 2. Während des Seiltänzergangs auf ebenem Boden zeigten die Patienten in der Stim OFF und der Stim ST-Bedingung eine höhere Anzahl von Fehltritten und eine geringere Gehgeschwindigkeit als in der Stim ON-Bedingung. 3. Während des modifizierten Seiltänzergangs auf dem Laufband (Festhalten mit der Hand an der Stange) kam es in der Stim ON-Bedingung zu einer deutlichen Reduktion der räumlichen und zeitlichen Variabilität der Fußbewegungen, welche Werte von gesunden Kontrollpersonen erreichten. Hingegen zeigten sich in der Stim OFF und Stim ST-Bedingung deutlich erhöhte Werte für die räumliche und zeitliche Variabilität. Dies spricht für eine Verbesserung der Ataxie von Beinbewegungen in der Stim ON-Bedingung im Vergleich zur Stim OFF- und Stim ST-Bedingung. 4. Während des normalen Gehens auf dem Laufband kam es in der Stim ON-Bedingung im Vergleich zur Stim OFF- und Stim ST-Bedingung zu einer signifikanten Reduktion der Schrittweite, einem Anstieg des Verhältnisses zwischen Einbein- und Zweibeinstandphase, einer Zunahme der Gehgeschwindigkeit und der Exkursion im Fußgelenk. Dies spricht für eine Zunahme der Gangstabilität während eingeschalteter Stimulation im Vergleich zur Stim OFF- und Stim ST- Bedingung. 5. Eine Korrelation mit dem TRS zeigte, dass die Effekte auf das Gangbild unabhängig von dem Einfluss der tiefen Hirnstimulation auf den Tremor auftraten. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die tiefe Hirnstimulation im Thalamus zu einer Verbesserung des Gangbilds von ET-Patienten in der Stim ON-Bedingung und zu einer Verschlechterung in der Stim ST-Bedingung führt. Die mutmaßlich zugrunde liegende zerebelläre Dysfunktion von ET-Patienten kann also durch die tiefe Hirnstimulation unabhängig von dem gleichzeitig bestehenden Tremor moduliert werden. Es wird diskutiert, dass die Stim ON- und Stim ST-Bedingung zwei unterschiedliche zerebrale Kreisläufe beeinflusst. In der Stim ON-Bedingung kommt es zu einer Beeinflussung der kortiko-thalamo-kortikalen Verbindung, in der Stim ST-Bedingung zu einer Beeinflussung der zerebello-thalamo-kortikalen Projektionen.

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