Hömberg, Sophia Marie: Die Tötung von Kindern durch die eigenen Eltern (Infantizid) : Retrospektive Untersuchung für den Zeitraum 1994-2007. - Bonn, 2011. - Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Online-Ausgabe in bonndoc: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5N-25427
@phdthesis{handle:20.500.11811/4803,
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school = {Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn},
year = 2011,
month = jul,

note = {Gewalt an Kindern und Tötung von Kindern durch ihre eigenen Eltern (Infantizid) hat es in allen Epochen der Menschheitsgeschichte gegeben. Seit einigen Jahrzehnten stehen die Rechte und Bedürfnisse von Kindern im öffentlichen Interesse. In dieser Arbeit sollte versucht werden aufzuzeigen, wie selten und zugleich wie vielgestaltig die Tötung von Kindern durch ihre eigenen Eltern in unserer Gesellschaft heute ist. Jede Tat ist ein Einzelfall, hinter dem eine Geschichte steht: Die Geschichte des tötenden Elternteils, dessen Persönlichkeit und des psychosozialen Hintergrundes.
Neben der Häufigkeit und der Art der Infantizide sollte untersucht werden, ob manche Kinder speziell gefährdet sind, Opfer eines Infantizids zu werden, also ob die Opfer bestimmte Besonderheiten oder Risikofaktoren mitbringen. Außerdem sollte untersucht werden, welche Täterpersönlichkeiten hinter solchen Taten stecken, ob sie bestimmte Eigenschaften haben und welche Rolle psychische Erkrankungen und schichtspezifische Merkmale spielen, welche Motivation der Tat zugrunde lag und wie die Beziehung zum Opfer aussah. Weiterhin wurde versucht, die Verantwortlichkeit der Täter/innen, die von psychiatrischen Gutachtern und von Seiten des Gerichts beurteilt wurde, zu klären. Auch die Rolle der Partner/innen wurde besprochen. Im Zusammenhang mit Tatablauf und Tatauslösern wurde nach Warnsignalen gesucht und die Vermeidbarkeit solcher Taten wurden diskutiert.
Es wurden 439 Todesfälle von Kindern und Jugendlichen bis zu 20 Jahren, die zwischen 1994 und 2007 im Bonner Institut für Rechtsmedizin obduziert wurden, registriert. Darunter waren in 19 Fällen (4,3 %) die eigenen Eltern für den Tod ihrer Kinder verantwortlich. Diese wurden in Neonatizide, erweiterte Suizide, Kindesmisshandlungen und Sonstige Tötungen kategorisiert.
Von den 20 verantwortlichen Elternteilen waren 70 % Mütter. Frauen, die einen Neonatizid begangen hatten, waren eher jünger (mehrheitlich unter 25), hatten Geldsorgen, und lebten in einer Partnerschaft. Keiner der Partner dieser Frauen wusste von der bestehenden Schwangerschaft. Bei den Täterinnen des Neonatizids kamen außer eine akuten Belastungsreaktion keine psychiatrischen Diagnosen vor. Die Persönlichkeiten wurden als emotional gehemmt, unsicher und unselbständig beschrieben. Sie töteten ihr Kind, weil es nicht erwünscht war und weil sie Angst vor der Reaktion der Umgebung hatten. Sie wurden entweder für voll schuldfähig oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) erklärt und sie erhielten Haftstrafen.
Frauen, die ihre Schwangerschaft negiert oder verdrängt hatten und bei denen es zu einer Totgeburt kam, bildeten die jüngste Gruppe. Fast alle lebten in einer Partnerschaft und waren finanziell gesichert. Keiner der Partner wusste von der Schwangerschaft, vier von fünf Partnern hatten eine ablehnende Haltung einer Schwangerschaft gegenüber. Über diese Frauen ist nicht viel bekannt.
Frauen, die einen erweiterten Suizid begangen bzw. versucht hatten, waren älter als Frauen aus den anderen Gruppen und hatten mehrere psychiatrische Diagnosen, wie Depression, Dysthymie und Persönlichkeitsstörungen. Ihre Persönlichkeiten wurden als introvertiert beschrieben. Sie hatten keine partnerschaftliche Beziehung und keine Geldsorgen. Sie töteten aus Verzweiflung und Depression. Vor Gericht galten sie als vermindert schuldfähig und sie erhielten Haftstrafen.
Männer, die einen erweiterten Suizid begingen, waren eher älter. Alle befanden sich in oder kurz nach einer Trennung von der Partnerin. Geldsorgen kamen bei ihnen vor. Über die Persönlichkeiten ist wenig bekannt. Die Tatmotive waren Verzweiflung, Rache und Eifersucht, so dass es sich bei den Fällen um eine Kombination aus dem Medea-Syndrom und eigenem Suizid handelt, also einer Sonderform des erweiterten Suizids. Misshandelnde Elternteile kamen in allen Altersgruppen vor, waren aber eher in den unteren Schichten vertreten. Sie lebten in einer Beziehung und hatten Geldsorgen. Laut psychologischen Tests wurden sie als emotional instabil und überfordert beschrieben. In drei von fünf Fällen gab es psychiatrische Diagnosen wie Persönlichkeitsstörungen, Alkoholabusus, und eine leichte geistige Behinderung. Tatmotive waren „Kind als Störfaktor“, Unerwünschtheit und Impulstaten. Drei Täter/innen wurden als voll schuldfähig und zwei Täter/innen wurden als vermindert schuldfähig eingestuft. Sie erhielten mehrheitlich relativ lange Haftstrafen, nur eine Täterin erhielt nach dem JGG einen Schuldspruch und keine Strafe.
In der Gruppe der sonstigen Tötung wurden eine Impulstat einer Mutter mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und ein Vernachlässigungsfall zusammengefasst. Retrospektiv betrachtet waren in 50 % aller Fälle Warnsignale vorhanden, in den Gruppen Erweiterter Suizid und Kindesmisshandlung jeweils in über 80 %. Bei den Neonatiziden waren in keinem Fall Warnsignale vorhanden. Eine Anklage gegen den oder die Partner/in wurde in einem Fall erhoben (Vernachlässigung), in einem Fall (negierte Schwangerschaft mit Tod unter der Geburt) wurde der Notarzt angeklagt.
Aufgrund der Überlegung, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind in der Schwangerschaft beginnt und eine Bindung schützend für das Kind sein könnte, wurden die Schwangerschaften der 14 Täterinnen, die einen Infantizid begangen hatten, untersucht. In 50 % der Fälle handelte es sich um die erste Schwangerschaft, in 71 % hatte die Mutter nicht schwanger werden wollen. Die Reaktion auf die Schwangerschaft war bei 79 % der Mütter und 57 % der Väter negativ. Das Spektrum der negativen Reaktionen reichte von Ambivalenz- und Angstgefühlen und Unerwünschtheit über Verdrängen bis hin zum Nicht-Bemerken der Schwangerschaft. Die Geburt fand in 74 % der Fälle an ungeeigneten Orten (z.B. zu Hause alleine) statt. In 74 % der Fälle baute die Mutter keine Bindung zu ihrem Kind auf. Von 21 %, bei denen eine Bindung entstand, gab es in einem Fall eine überstarke Bindung.},

url = {https://hdl.handle.net/20.500.11811/4803}
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