Metaanalyse individueller Verlaufsstudien zum Zusammenhang zwischen der Krankheitssymptomatik der chronischen Urtikaria und Alltagsbelastungen

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2002

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Die Ätiologie der chronischen Urtikaria ist bis heute noch weitgehend ungeklärt. Man geht von einem multifaktoriellen Geschehen aus, in dem psychische Faktoren je nach Autor eine unterschiedlich große Rolle spielen. Stress wird als Auslöser oder Modulator der chronischen Urtikaria oft diskutiert; es existieren jedoch nahezu keine kontrollierten Studien zu diesem Thema. Diese Arbeit untersucht deshalb den Zusammenhang zwischen einer kurzfristigen, standardisierten Stresssituation und dem Hautzustand von Patienten mit chronischer Urtikaria sowie zwischen alltäglichem Stress und der Erkrankungsaktivität über 14 Tage. Neben dieser Fragestellung wird außerdem der Zusammenhang zwischen Krankheitsverlauf und emotionalen Faktoren sowie Coping-Mechanismen beleuchtet, und es erfolgt eine Betrachtung des Zusammenhangs zwischen allgemeinen körperlichen Beschwerden und den genannten psychosozialen Faktoren (Alltagsbelastungen, emotionale Faktoren, Coping). Wir führten mit 39 Patienten, die unter chronischer Urtikaria litten, ein standardisiertes Stressexperiment (den Trierer Sozial Stress Test) zur Induktion von psychosozialem Stress durch. Darüber hinaus füllten die Patienten am Versuchstag mehrere Fragebögen aus (Sozialfragebogen, Urtikaria-Anamnesebogen, Erlanger Atopie Score). Zur Erfassung des Krankheitsverlaufs und chronischer Alltagsbelastungen erhielten die Patienten von uns zusammengestellte 'Tagebücher' für die sich an den Versuchstag anschließenden 14 Tage. Ein Tagebuch setzte sich aus folgenden Komponenten zusammen: Erfassung des Hautbefalls und der Hautsymptome, Erhebung zusätzlicher körperlicher Beschwerden, Fragebogen bezüglich Alltagsbelastungen und emotionalen Faktoren, Stressverarbeitungsfragebogen zur Erfassung von Coping-Mechanismen. Ein solches Tagebuch wurde auch vor der Stressinduktion am Versuchstag ausgefüllt. Eine nach Alter und Geschlecht parallelisierte Kontrollgruppe (ohne Hauterkrankungen und/oder Atopie-Anamnese sowie andere schwere Erkrankungen) wurde dem gleichen Versuchsablauf unterzogen und erhielt ebenfalls 14 'Tagebücher'. Die Auswertung des Urtikaria-Anamnesebogens zeigte, dass sich unser Urtikaria-Kollektiv nicht wesentlich von dem in der allgemeinen dermatologischen Literatur beschriebenen Patientengut mit chronischer Urtikaria unterschied. Im Erlanger Atopie Score ergab sich kein Hinweis für eine erhöhte Atopie-Neigung der Patientengruppe. Urtikaria- und Kontrollgruppe unterschieden sich kaum hinsichtlich der psychosozialen Variablen des Tagebuchs zum Zeitpunkt t0 (Versuchstag) sowie im Niveau über 15 Tage (t0 t14, d. h. Versuchstag und 14 Folgetage). Daraus schlossen wir, dass man nicht von einer 'Urtikaria-Persönlichkeit' sprechen kann, d. h. dass man Urtikaria-Patienten keine bestimmten psychologischen Eigenschaften zuschreiben kann.>br>Als Reaktion auf das Stressexperiment kam es in der Gesamtgruppe der Urtikaria-Patienten am Folgetag des Experiments zu einem signifikanten Anstieg des Hautbefalls. Akuter Stress scheint also eine wichtige Rolle in der Auslösung von Quaddelschüben zu spielen. Um besonders stressvulnerable Untergruppen des Gesamtkollektivs herauszufiltern, teilten wir die Urtikaria-Gesamtgruppe in die Gruppen 1 (Anstieg des Hautbefalls am Folgetag des Stressexperiments) und 0 (kein Anstieg des Hautbefalls) ein. Zwischen diesen Untergruppen ergaben sich einige signifikante Unterschiede bezüglich der psychosozialen Variablen des Tagebuchs zum Zeitpunkt t0 und im Niveau über 15 Tage (t0 t14): Die Gruppe mit Anstieg des Hautbefalls am Folgetag des Stressexperiments zeigte signifikant häufiger die negativen Coping-Mechanismen Resignation und Vermeidung und im Verlauf über 15 Tage insgesamteinen signifikant höheren Hautbefall als die Gruppe ohne Anstieg des Hautbefalls am Folgetag des Stressexperiments. Außerdem stiegen am Folgetag des Stressexperiments bei der Gruppe mit Anstieg des Hautbefalls im Gegensatz zur Gruppe ohne Anstieg des Hautbefalls auch Juckreiz, Rötung der Haut und negative Emotionen signifikant an. Wir vermuten, dass die stressvulnerable Untergruppe (Gruppe mit Anstieg des Hautbefalls am Folgetag des Stressexperiments) schon häufiger die Erfahrung gemacht hat, dass sie auf Belastungssituationen mit vermehrtem Hautbefall reagiert; diese Erfahrung könnte zu einer negativen Grundeinstellung hinsichtlich des Umgangs mit Stresssituationen geführt haben, so dass sie eher zu negativen Coping-Mechanismen wie Vermeidung und Resignation neigt. Da diese jedoch langfristig nicht zu einer Veränderung der Belastungssituation führen, könnten sie wiederum neue Quaddelschübe begünstigen, so dass es zu einer Art 'Teufelskreis' käme. Mit Hilfe der Metaanalyse konnten für den 14tägigen Verlauf zahlreiche Zusammenhänge zwischen Hautbefall und psychologischen Variablen in der Patientengruppe festgestellt werden. Diese waren jedoch überwiegend zeitsynchron und nur selten um einen Tag zeitversetzt. Möglicherweise hing dies mit der schnellen Dynamik der Quaddelentstehung bzw. des Abklingens der Quaddeln zusammen. Wir untersuchten neben der Urtikaria-Gesamtgruppe auch die Untergruppen 0 (kein Anstieg des Hautbefalls am Folgetag des Stressexperiments) und 1 (Anstieg des Hautbefalls am Folgetag des Stressexperiments) sowie nach Geschlecht und Schweregrad der Urtikaria eingeteilte Untergruppen mit der Metaanalyse. Gruppe 1, die Untergruppe, die mit vermehrtem Hautbefall auf das akute Stressereignis reagierte, zeigte auch im Verlauf der 14 Tage signifikante Zusammenhänge zwischen chronischen Alltagsbelastungen und Hautbefall. Dieses Ergebnis spricht für die Validität unseres Stressexperiments. Außerdem konnten wir bei Gruppe 1 (im Gegensatz zu Gruppe 0) signifikante Zusammenhänge zwischen Hautbefall und negativen Emotionen sowie ineffektiven Coping-Mechanismen feststellen. Es scheint also auch hinsichtlich der klinischen Relevanz - sinnvoll zu sein, stressvulnerable Untergruppen des Gesamtkollektivs von weniger stressvulnerablen zu differenzieren. Die weibliche Untergruppe zeigte mehr signifikante Zusammenhänge zwischen Hautbefall und psychologischen Variablen als die männliche, was aber eher geschlechtsbedingt und nicht 'urtikaria-spezifisch' zu sein schien. Patienten mit schwer und mittel ausgeprägter Urtikaria wiesen im Gegensatz zu denen mit leichter Urtikaria eher signifikante Zusammenhänge zwischen Hautbefall und psychischen Faktoren auf. Einerseits könnte ein rezidivierender schwerer Hautbefall zu einer negativen Beeinflussung von Psyche und Lebensqualität führen, andererseits versuchen Patienten mit schwerer Urtikaria wahrscheinlich eher Erklärungsansätze für ihre Erkrankung zu finden, so dass sie mehr über psychische Faktoren reflektieren und sie deshalb auch eher in Fragebögen angeben. Die Metaanalyse, die den Zusammenhang zwischen körperlichen Beschwerden und psychosozialen Faktoren untersuchte, ergab, dass die Kontrollgruppe jeweils mehr signifikante Zusammenhänge aufwies als die Urtikaria-Gesamtgruppe und alle ihre Untergruppen. Dies könnte dadurch begründet sein, dass Urtikaria-Patienten überwiegend auf ihre Hautsymptome achten, wohingegen sie 'kleine' körperliche Beschwerden eher als unwichtig einstufen und ihnen deshalb auch weniger Aufmerksamkeit als der Haut schenken. Außerdem versuchen die Patienten wahrscheinlich eher der Hautkrankheit als nebensächlichen Körper-Beschwerden bestimmte Erklärungsmuster wie z. B. psychische Faktoren zuzuschreiben, weil sie der unberechenbare Verlauf der Urtikaria und dessen mögliche Auslösefaktoren mehr beschäftigt als andere, geringfügige Beschwerden. Abschließend führten wir einen Vergleich der Zusammenhänge zwischen 'Körper-Beschwerden und psychologischen Variablen' bei der Kontrollgruppe mit den Zusammenhängen zwischen 'Hautbefall und psychologischen Variablen' bei der Urtikariagruppe und ihren Untergruppen durch und stellten fest, dass sich die untersuchten usammenhänge von Kontroll- und Urtikariagruppe sehr ähnelten. Daraus kann man schließen, dass Urtikaria-Patienten nicht anfälliger für psychische Belastungen sind als Kontrollpersonen, sondern dass sie sich lediglich durch die Art der Reaktion auf psychische Faktoren von der Kontrollgruppe unterscheiden: Während bei Urtikaria-Patienten die Haut dasjenige Organ darstellt, das in Belastungssituationen reagiert, kommt es bei Kontrollpersonen in Stresssituationen zu unspezifischen körperlichen Beschwerden, die von verschiedenen Organen ausgehen können. Diese Beobachtung spricht gegen das Vorhandensein für die Gesamtgruppe der Urtikaria-Patienten geltender 'urtikariaspezifischer'psychosozialer Einflussfaktoren. Da es jedoch wie wir zeigen konnten besonders stressvulnerable Untergruppen in der Gesamtgruppe der Urtikaria-Patienten zu geben scheint, bei denen bestimmte psychosoziale Faktoren eine wesentliche Rolle in der Beeinflussung der Hauterkrankung spielen, erscheint es uns sinnvoll, diese Untergruppen in Zukunft im Rahmen der Urtikaria-Diagnostik herauszufiltern und ihnen zusätzlich psychologische Therapieformen anzubieten. Ob diese sich dann wirklich als erfolgreich erweisen, müsste in weiteren Studien evaluiert werden.

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