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Verhaltensökologie menschlichen Abwanderungsverhaltens - am Beispiel der historischen Bevölkerung der Krummhörn : Ostfriesland, 18. und 19. Jahrhundert

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2001

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Die Abwanderung vom Geburtsort ('natal dispersal') ist in Bezug auf seine evolutive Herkunft und Funktion ein nach wie vor noch wenigverstandenes Verhalten. Dies hat seinen Grund in der spezifischen empirischen Problematik und betrifft in ähnlicher Weise sowohl dietierliche als auch die menschliche Verhaltensökologie. In der biologischen Literatur werden verschiedene Hypothesen und Theorien zurAbwanderung diskutiert, die teils als Alternativen zu verstehen sind, teils aber auch nur einzelne Aspekte der Abwanderung betonen und soin ihrer Erklärungsbedeutung kombinierbar sind. In der vorliegenden Arbeit wurde das menschliche Abwanderungsverhalten unterBerücksichtigung der wichtigsten dieser Erklärungsmodelle verhaltensökologisch analysiert. Als Beispielpopulation diente hier die agrarisch geprägte Population der Krummhörn (Ostfriesland) des 18. und 19. Jahrhunderts. Vital-und sozialstatistische Daten aus Kirchenbüchern und Steuerlisten wurden zu Generationen und Orte übergreifenden Familiengeschichtenverknüpft ('Familienrekonstitution'). Die Berücksichtigung 19 benachbarter Kirchspiele ließ das biographische Verfolgen einernennenswerten Anzahl von Individuen über die Abwanderung hinaus zu. So war es erstmals möglich, nicht nur lebensgeschichtlicheMerkmale vor der Abwanderung zu erfassen, sondern auch das weitere Schicksal der Individuen nach der Abwanderung zu verfolgen. In einem ersten Ergebnisteil wurde das Abwanderungsgeschehen der Untersuchungspopulation wurde anhand verschiedener Aspekte derMobilität (Mobilität bis zur Hochzeit, der Geburt der Kinder, dem Tod) quantitativ beschrieben. Mit Hilfe der daraus gewonnen Erkenntnissewurden aus einer Kombination der vorhandenen Quelleninformationen Kriterien ermittelt, die es zuließen, den Status der natalenAbwanderung zu bestimmen (Bestimmung von 'Familienschwerpunkten'). Abwanderer wurden weiterhin danach unterschieden, ob sieinnerhalb der Region verblieben, oder ob sie aus der Region auswanderten. Auf der Basis des neuen Kriteriums erfolgte in einem zweitenErgebnisteil eine Theorie geleitete Analyse des Abwanderungsverhaltens. Wie sich zeigte, kann ein Erklärungsmodell alleine das Abwanderungsgeschehen der Krummhörner Population nicht ausreichendbeschreiben. Vielmehr ließ sich das Wirken verschiedener Mechanismen erkennen, wobei jedoch die jeweilige Bedeutung je nachGeschlecht und Sozialgruppe unterschiedlich hoch war. In der Krummhörn wanderten Frauen häufiger ab als Männer, ein Unterschied, derden Erwartungen für ein Paarungssystem der Art 'Ressourcenverteidigung' entspricht. Allerdings verblieben Frauen im Durchschnitthäufiger innerhalb der Region als Männer. Das Abwanderungsverhalten der Bauernkinder wurde vor allem durch eine 'lokaleRessourcenkonkurrenz' geprägt, wobei die Söhne davon stärker betroffen waren als die Töchter. Die Anzahl der überlebenden Brüderhatte sowohl auf die Söhne als auch auf die Töchter der Bauernfamilien einen verstärkenden Einfluss auf dieAbwanderungswahrscheinlichkeit - und verminderten gleichzeitig die lokalen und regionalen Heiratschancen. In den Arbeiterfamilien hattendie Brüder dagegen keinerlei Einfluss auf die Abwanderung ihrer Geschwister. Für die Töchter in diesen Familien wirkten vielmehr ihreSchwestern verstärkend auf die Abwanderung. Das Abwanderungsverhalten der Töchter aus Arbeiterfamilien ließ sich insgesamt als Folgeeiner 'lokalen Partnerkonkurrenz' erklären. Für die Söhne aus diesen Familien konnten für die meisten untersuchten Variablen keinerleiEinfluss festgestellt werden. Trotzdem wiesen auch die Söhne eine substanzielle Abwanderungsrate auf. Für sie scheint also in Bezug aufdie Abwanderung weniger eine intrafamiliäre Konkurrenz von Bedeutung gewesen zu sein als vielmehr Faktoren, die das 'greener pasturesyndrome' beschreibt: Die Entscheidung zur Abwanderung wurde in Abhängigkeit von Informationen zur Qualität von lokalen und weiterenpotentiellen Habitaten getroffen. Arbeitersöhne scheinen dabei deutlicher als alle anderen untersuchten Sozial-Geschlechtsgruppen alleinevon Opportunitäten der Subsistenzsicherung (lokale Arbeitsmarktsituation) abhängig gewesen zu sein. Weitere möglicheAbwanderungsgründe - wie insbesondere Inzuchtvermeidung oder auch Risikostreuung - waren wahrscheinlich eher Folgen desherrschenden Abwanderungsmusters als wirklich funktionelle Ursache. Abwanderung in der Krummhörn lässt sich so nicht nur als Teil der individuellen Reproduktionsstrategie verstehen, sondern - zum Teiljedenfalls - auch als Fortführung elterlicher reproduktiver Interessen mit Mitteln elterlicher Manipulation. Auch wenn die Entscheidungabzuwandern letztlich von dem abwandernden Individuum selbst getroffen werden muss, liegt sie nicht unbedingt auch in seinem eigenen(Fitness-) Interesse. Diese Unterscheidung von Abwanderern und Nutznießern der Abwanderung ist ein nur selten diskutierter, aber meinesErachtens entscheidender Punkt, um dem Verständnis der funktionellen Hintergründe der Abwanderung näher zu kommen.


The evolution of natal dispersal is still not well understood. The reasons lie not least in specific empirical obstacles which affect behavioralecological analyzes of both animal and human dispersal. During the last decades many different models and hypotheses have beenproposed in order to explain the evolution and the functional design of dispersal. The aim of this thesis was to examine the relevance ofsome of the most influential models using data on a historical human population. The investigation is based on a family reconstitution of the eighteenth- and nineteenth-century Krummhörn population. The entries from thechurch registers of 19 parishes were assigned to family lineages. In addition local tax lists containing entries on landownership were usedto reconstruct the socioeconomic structure of the population. The evaluation of neighboring parishes allowed one to keep track of asubstantial number of leavers even after the dispersal event occurred. This is a major strength since in most other studies dispersingindividuals leave the observational focus of the investigator which results in serious empirical difficulties. The results are divided into two parts. In the first part the dispersal pattern of the population was described on the basis of the followingrecords: place of birth, place of marriage, place of children's births, place of death. Since it turned out that all these records haveadvantages and disadvantages in indicating both the place of origin and the current residence (after a potential dispersal - both arenecessary criteria to decide the status of natal dispersal) a new variable was created (called 'Familienschwerpunkt' or 'center of familygravity') considering all available information of residences for every individual weighted for their particular significance. In the second partthe hypotheses of each explanatory model were tested. To do this the influence of various critical variables on the probability of dispersalwere analyzed - in detail they are: sex, resources, number of siblings, probability of marriage functional birth rank, parish size and number ofrelatives. Further, the analyzes considered aspects of dispersal distance by differentiating between regional dispersal and out-of-areaemigration. The results showed that one model alone is not sufficient to explain the observed dispersal pattern. Rather various mechanisms influencedthe dispersal behavior of the individuals though the particular importance differed according to sex and socioeconomic class. Dispersalwas female biased thus meeting the expectations proposed for mating systems of a resource defense type. However, although women lefttheir parish of origin more frequently than men this was not true concerning the out-of-area emigration. The dispersal behavior of offspringof wealthy farmers reflected a local resource competition scenario: the opportunity for both sons and daughters to stay at the place of originand also the opportunity to marry were reduced by having many siblings. For both sexes brothers were in particular crucial. Further sonswere more restricted than daughters. Although daughters of laborers were also restricted by the number of siblings they differed from thewealthy daughters since only their sisters had a significant influence and, moreover, it concerned only the probability of regional dispersalrather than emigration - both indicating the existence of a local mate competition scenario. No effects could be found for sons of laborers. Itseems that intra-familial competition - if it occurred at all - had no influence on their decision to disperse. Rather it seems that theirdecisions to leave were initiated mostly by mechanisms described by the 'greener pasture syndrome' - that is a triggering of the dispersalevent by a given sensitivity of the individual to the possibility of moving to a better home range. Further mechanisms usually suggested toexplain the function of dispersal - in particular inbreeding avoidance and bet hedging - may have had an effect but they were consequencesof this behavior rather than the cause of dispersal. In conclusion the observed dispersal behavior can be understood as part of the reproductive strategy both of the individual itself and of itsparents - although the particular importance may differ between groups of individuals. Accordingly parental manipulation may have played asignificant role. The decision to leave always has to be made by the individual itself but he or she may not always be the person benefitingfrom this behavior. In order to properly understand the functional design of dispersal it is important to keep this distinction in mind.

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