Der Prozess der Glaubwürdigkeitsbeurteilung im Alltag : Zur Wirkung von Motivation und subjektiver Kompetenzerwartung

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2001

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Zusammenfassung

Die Dissertation hatte sich zum Ziel gesetzt den Prozess der Glaubwürdigkeitsbeurteilung im Alltag mit Hilfe eines allgemeinen Modells derInformationsverarbeitung (dem Heuristic-Systematic-Model von Chaiken, 1980, 1987) zu beschreiben. Insbesondere wurden aus demHeuristic-Systematic-Model (HSM) Hypothesen zum Einfluss der Motivation und der situativen Vertrautheit von Urteilern auf dieVerwendung inhaltlicher und quellenbezogener Informationen bei der Glaubwürdigkeitszuschreibung abgeleitet. In einer Pilotstudie und inExperiment 1 und 2 wurde der Einfluss der Motivation auf den Prozess der Glaubwürdigkeitsbeurteilung im Alltag untersucht. In Experiment1 wurde hierzu neben der Motivation der Urteiler, die Plausibilität der Aussagen einer Quelle sowie die Vertrauenswürdigkeit der Quellesystematisch variiert. Wie vom HSM vorhergesagt, verwendeten nur hoch motivierte Urteiler im Gegensatz zu niedrig motivierten Urteilerndie inhaltliche Plausibilität der Aussagen für ihr Glaubwürdigkeitsurteil. Experiment 2 konnte darüber hinaus zeigen, dass dieser Einflussder Motivation nicht wie vom Unimodel (Kruglanski, Thompson, &

Spiegel, 1999) behauptet von der Darbietungsreihenfolge der inhaltlichenund quellenbezogenen Informationen abhängt. Die Experimente 3 bis 5 untersuchten den Einfluss der situativen Vertrautheit von Urteilernauf den Prozess der Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Wie nach den Annahmen des HSM zu erwarten, verwendeten nur mit der Situationvertraute Urteiler (im Gegensatz zu mit der Situation wenig vertrauten Urteilern) den Aussageinhalt für ihr Glaubwürdigkeitsurteil.

These 1: Die Motivation der Urteiler beeinflusst die Wahl von systematischer und heuristischer Informationsverarbeitung beider Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Urteiler mit hoher Motivation verarbeiten systematisch urteilsrelevante (insbesondereinhaltliche) Informationen. Bei niedriger Motivation wählen Urteiler eine heuristische Informationsverarbeitungsstrategie.Hierbei werden verstärkt Informationen über die Quelle und weniger Informationen die den Aussageinhalt betreffenherangezogen.

Nach dem HSM von Chaiken (1980, 1987; siehe auch Chen &

Chaiken, 1999) beeinflusst die Motivation von Personen die Wahl vonsystematischer und/oder heuristischer Informationsverarbeitung. Personen mit hoher Motivation verarbeiten systematisch (intensiv) denAussageinhalt, Personen mit niedriger Motivation verwenden heuristische Hinweisreize (z.B. Quelleninformationen) unter zu Hilfenahme vonFaustregeln zur Urteilsbildung. Diese Vorhersage konnte im Bereich der Einstellungsforschung empirisch vielfach bestätigt werden (z.B.Chaiken, 1980; Chaiken &

Maheswaran, 1994; siehe auch Eagly &

Chaiken, 1993; Chen &

Chaiken, 1999).

Die vorliegende Arbeit zeigte, dass diese Vorhersagen auch für den Prozess der Glaubwürdigkeitsbeurteilung im Alltag zutreffen. In einerPilotstudie konnte gezeigt werden, dass nur Personen mit hoher Motivation im Gegensatz zu Personen mit niedriger Motivation vermehrtGedanken über den Inhalt einer Aussage berichten, wenn sie ein Glaubwürdigkeitsurteil fällen sollen. Experiment 1 konnte darüber hinausdirekte Belege für den Einfluss der Motivation auf die systematische Verarbeitung bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung bringen. Dieexperimentelle Manipulation inhaltlicher Merkmale einer Aussage (Plausibilität) wirkte sich nur bei hoch motivierten, nicht jedoch bei niedrigmotivierten Personen auf das Glaubwürdigkeitsurteil aus. Niedrig motivierte Urteiler verwendeten ausschließlich Informationen über diegenerelle Vertrauenswürdigkeit der Quelle.

These 2: Der vom HSM angenommene Einfluss der Motivation auf die systematische Verarbeitung inhaltlicher Informationenist nicht wie vom Unimodel (Kruglanski, Thompson, &

Spiegel, 1999) angenommen abhängig von der Darbietungsreihenfolgeinhaltlicher und quellenbezogener Informationen.

In Experiment 2 wurde die vom Unimodel aufgestellte konkurrierende Hypothese überprüft, dass die Verarbeitung inhaltlicher undquellenbezogener Informationen bei niedriger Motivation von der Darbietungsreihenfolge der zwei Informationsarten abhängt. Hierzuwurden in Experiment 2 neben der Plausibilität der Aussagen und der Vertrauenswürdigkeit der Quelle auch die Darbietungsreihenfolgeder zwei Informationsarten (zuerst die Aussagen versus zuerst die Informationen über die Quelle) manipuliert. Die Motivation der Urteilerwurde generell niedrig gehalten. Während das Unimodel eine Wechselwirkung der Darbietungsreihenfolge mit der Informationsartvorhersagte, sollte nach dem HSM die Darbietungsreihenfolge keine Rolle spielen. Die Ergebnisse bestätigten die Annahmen des HSM.Unabhängig von der Darbietungsreihenfolge der Informationsarten wirkte sich nur die Variation der Vertrauenswürdigkeit signifikant aufdas Glaubwürdigkeitsurteil der Personen aus. Derzeit liegen leider keine weiteren empirischen Belege zu den Annahmen des Unimodelsvor. Eine abschließende Beurteilung des Unimodels ist somit noch nicht möglich.

These 3: Die situative Vertrautheit von Urteilern beeinflusst die Verwendung inhaltlicher und quellenbezogener Informationenbei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Bei hoher situativer Vertrautheit ziehen Urteiler den Aussageinhalt für dieGlaubwürdigkeitsbeurteilung heran. Quellenmerkmale werden dagegen bei niedriger situativer Vertrautheit von den Urteilernverwendet.

Erste bestätigende Hinweise für diese Annahme stammen von Stiff, Miller, Sleight, Mongeau, Garlick und Rogan (1989), die zeigenkonnten, dass die situative Vertrautheit von Urteilern die Verwendung nonverbaler Informationen bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilungbeeinflusst. Im Bereich der Einstellungsforschung konnten z.B. Bohner, Rank, Reinhard, Einwiller und Erb (1998) zeigen, dass persönlicheEffizienzerwartungen die systematische Informationsverarbeitung beeinflussen.

Experiment 3 bis 5 unterstützten die These 3. In Experiment 3 zeigte sich, dass Urteiler, die mit der Situation vertraut sind, ausschließlichden Aussageinhalt zur Urteilsbildung heranziehen. Nicht mit der Situation vertraute Urteiler verwenden hingegen ausschließlich dasnonverbale Verhalten der Quelle für ihre Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Experiment 4 zeigte darüber hinaus, dass auch bei Vorliegen vonschriftlichen Informationen Urteiler nur dann den Aussageinhalt für ihr Urteil verwenden, wenn sie mit der Urteilssituation vertraut sind. Dieallgemeine Vertrauenswürdigkeit wirkte sich in Experiment 4 entgegen der Erwartung nicht aus. Experiment 5 konnte zeigen, dass nicht nurdie tatsächliche Vertrautheit, sondern auch eine Annahme über die Vertrautheit (vermittelt über eine fingierte Rückmeldung) dieVerwendung inhaltlicher Informationen beeinflusst.

These 4: Die Motivation und die situative Vertrautheit von Urteilern wirken sich in unterschiedlicher Weise auf den Prozess derGlaubwürdigkeitsbeurteilung aus. Die Motivation wirkt sich auf die Intensität der Verarbeitung und die Nutzung desAussageinhalts bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung aus. Die situative Vertrautheit wirkt sich dagegen nur auf die Nutzungdes Aussageinhalts aus.

Nach dem HSM sollte die Motivation von Urteilern das Ausmaß an systematischer (intensiver) Verarbeitung inhaltlicher Informationenbeeinflussen. Je höher die Motivation einer Person ist, umso intensiver wird der Aussageinhalt verarbeitet. Urteilern mit hoher Motivationsollten im Gegensatz zu Urteilern mit geringer Motivation intensiv den Aussageinhalt verarbeiten und inhaltliche Merkmale der Aussageregistrieren. Die inhaltliche Bewertung (z.B. der Plausibilität der Aussagen) sollte somit nur bei hoch motivierten Urteilern durch dieManipulation der Plausibilität beeinflusst sein. Die Pilotstudie und Experiment 1 konnten dies bestätigen. Urteiler mit hoher Motivationberichten mehr inhaltliche Gedanken als Personen mit niedriger Motivation. Darüber hinaus wirkt sich die Manipulation der Plausibilität nurbei hoch motivierten Urteilern auf die inhaltliche Bewertung (Wahrnehmung der Plausibilität) aus. Exemplarische Pfadanalysen (inAnlehnung an Baron &

Kenny, 1986) für Experiment 1 zeigten, dass Urteiler mit hoher Motivation die Aussagen systematisch verarbeiteten.Die Glaubwürdigkeitszuschreibung hing stark mit der inhaltlichen Beurteilung der Aussagen zusammen. Darüber hinaus beeinflusste dieVariation der Plausibilität sowohl signifikant die Bewertung des Inhalts als auch die Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Der Einfluss der Variationder Plausibilität auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung wurde abgeschwächt, wenn die Bewertung des Inhalts mit in die Analyseaufgenommen wurde. Für Personen mit niedriger Motivation zeigte sich hingegen weder ein signifikanter Einfluss der Variation derPlausibilität auf die Bewertung des Inhalts noch auf das Glaubwürdigkeitsurteil. Die Bewertung des Inhalts zeigte keinen signifikantenZusammenhang mit der Glaubwürdigkeitszuschreibung. Nach Stiff et al. (1989) sollte sich die situative Vertrautheit von Urteilern nicht aufdie intensive Verarbeitung des Aussageinhalts auswirken. Sowohl Urteiler, die mit der Situation vertraut sind, als auch Urteiler die wenigmit der Situation vertraut sind, verarbeiten den Inhalt intensiv. Unabhängig von der situativen Vertrautheit werden inhaltliche Merkmale wiez.B. Plausibilität oder Widersprüche erkannt. Die situative Vertrautheit wirkt sich somit nicht auf die intensive Verarbeitung desAussageinhalts aus, sondern auf die Verwendung des Aussageinhalts bei der Urteilsbildung. Für den Einfluss der situativen Vertrautheitergaben die exemplarischen Pfadanalysen zu Experiment 3 folgendes Muster. Die Variation der Plausibilität wirkte sich bei niedrigvertrauten aber hoch motivierten (anders als bei niedrig motivierten) Urteilern signifikant auf die Bewertung des Inhalts aus. Die inhaltlicheBewertung wiederum hing signifikant mit dem Glaubwürdigkeitsurteil zusammen. Die Variation der Plausibilität wirkte sich, wie bei niedrigmotivierten Urteilern, nicht direkt auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung aus. Bei mit der Situation hoch vertrauten Urteilern dagegen hing dieGlaubwürdigkeitszuschreibung sehr stark mit der inhaltlichen Beurteilung der Aussagen zusammen. Die Variation der Plausibilitätbeeinflusste sowohl signifikant die Bewertung des Inhalts als auch die Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Der Einfluss auf dieGlaubwürdigkeitsbeurteilung wurde nur wenig abgeschwächt, wenn die Bewertung des Inhalts mit in die Analyse aufgenommen wurde. DiePfadanalysen zum Einfluss der Motivation in Experiment 1 und der situativen Vertrautheit in Experiment 3 zeigen somit deutlicheUnterschiede. Bei niedrig motivierten Urteilern wirkte sich die Variation der Plausibilität der Aussagen nicht signifikant auf die inhaltlicheBewertung der Aussagen noch auf die Glaubwürdigkeitszuschreibung aus. Auch die inhaltliche Bewertung der Aussagen hing nichtsignifikant mit der Glaubwürdigkeitszuschreibung zusammen. Bei wenig vertrauten Urteilern zeigte sich dagegen ein signifikanter Einflussder Variation der Plausibilität auf die inhaltliche Bewertung der Aussagen. Auch hing die inhaltliche Bewertung mit derGlaubwürdigkeitszuschreibung signifikant zusammen. Die Variation der Plausibilität wirkte sich dagegen, wie bei niedrig motiviertenPersonen, nicht auf die Glaubwürdigkeitszuschreibung aus. Die Pfadanalysen weisen somit daraufhin, dass niedrig motivierte Urteiler denInhalt von Aussagen nicht systematisch verarbeiten, wenig vertraute Urteiler dagegen den Inhalt zwar systematisch verarbeiten, jedoch nichtzur Urteilsbildung heranziehen.

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