Lebenslange Prägung : Zur 'Lagertätowierung' im literarischen Shoah-Diskurs

  • Wie keine andere kulturelle Handlung spiegelt das Tätowieren eine intentionale Ästhetisierung des menschlichen Körpers, zwischen individueller (und damit hoch-persönlicher) Schönheitsvorstellung auf der einen und öffentlicher (Selbst-)Inszenierung auf der anderen Seite schwankend. Die Haut wird dabei – quasi lebenslang beschrieben – zum Medium der Erinnerung. Zwar wurde bereits in der Antike 'tätowiert', der heutige Begriff sowie die 'Wiederentdeckung' dieser Praxis geht allerdings auf die Forschungs- und Entdeckungsreisen des 18. Jahrhunderts zurück, in denen Europäer mit fremden Kulturen in Kontakt kamen, die solche Verfahren mit einem ästhetischen oder rituellen Hintergrund praktizierten. So übernahm James Cook in seinen Aufzeichnungen den samoanischen Begriff "tatau", etymologisch die Grundlage für "to tattoo" und das deutsche "tätowieren". Inzwischen gilt die Modifikation des eigenen Körpers durch eine Tätowierung längst nicht mehr als 'verrucht' und stellt ebenso auch keine Ausnahmeerscheinung mehr dar, was sich vor allem an der explosionsartig gestiegenen Zahl von Tattoo-Studios in der Bundesrepublik ablesen lässt – und so trägt in Deutschland heute (konservativ geschätzt) etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung und 23 Prozent der 16- bis 29-Jährigen mindestens ein Tattoo auf der Haut. Aber längst nicht jede Tätowierung ist auch der Ausdruck des eigenen Schönheitsempfindens oder eine vom Träger intentional auf dem Körper eingeschriebene Botschaft. Denn bereits in der griechischen Antike wurde das Verfahren auch dazu benutzt, Sklaven zu markieren, Besitzverhältnisse und damit ihre Unfreiheit auf der Haut einzuritzen; diese entpersonalisierende Markierung setzt sich mit der Häftlingstätowierung in Gefängnissen und schließlich den nationalsozialistischen Konzentrationslagern fort, die vor allem in literarischen Texten des Shoah-Diskures aufgegriffen und verhandelt wird.

Download full text files

Export metadata

Additional Services

Share in Twitter Search Google Scholar
Metadaten
Author:Jonas Nesselhauf
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-475303
ISBN:978-3-8498-1217-1
ISSN:1432-5306
Parent Title (German):Komparatistik : Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Publisher:Aisthesis Verlag
Place of publication:Bielefeld
Editor:Christian Moser, Linda Simonis
Document Type:Article
Language:German
Date of Publication (online):2018/09/20
Year of first Publication:2017
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Creating Corporation:Deutsche Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Release Date:2018/09/20
GND Keyword:Tätowierung; Sklave; Gefängniskleidung; Judenvernichtung; Konzentrationslager; In der Strafkolonie; Kafka, Franz; Se questo è un uomo; Levi, Primo; Strafgefangener; Sorstalanság; Roman eines Schicksallosen; Kertész, Imre; Klüger, Ruth; Weiter leben
Volume:2017
Page Number:13
First Page:141
Last Page:153
HeBIS-PPN:437554848
Dewey Decimal Classification:8 Literatur / 80 Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaft / 800 Literatur und Rhetorik
Sammlungen:CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Aisthesis Verlag
Zeitschriften / Jahresberichte:Komparatistik : Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Komparatistik : Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft ; 2016
:urn:nbn:de:hebis:30:3-474868
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht