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Epikur und die Religion

Über die religiöse Renaissance im jüdischen Anarchismus

von Lilian Türk (Autor:in)
©2018 Dissertation 290 Seiten

Zusammenfassung

Jüdischer Anarchismus fand in der radikalen Religionskritik des 19. Jahrhunderts einen festen identitären Bezugspunkt. Infolge der Oktoberrevolution und der Repression in der Sowjetunion setzten eine religiöse Renaissance und Neubestimmung jüdischer Radikalität ein. Diese Rückkehr zur jüdischen Tradition verschob die Grenzen der jiddischistischen radikalen Subkultur und wurde je nach Standpunkt als religiöser Nonkonformismus, Bedrohung, Verweichlichung oder als Erweiterung epikureischen Denkens und als Bereicherung erfasst. Diese argumentationsanalytische Untersuchung schält die Prozesse der Gruppenbildung heraus, arbeitet verschiedene Begriffe von jüdischer Religion und Lebensform (Yidishkayt) heraus und zeigt, dass nicht Religion, sondern Erkenntnis und Autonomie den Kern der Debatte bildeten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Begriffliche Abgrenzungen
  • 1.1 Anarchistischer Jiddischismus
  • 1.1.1 Subkulturelle Dynamiken
  • 1.1.2 Radikale Yidishkayt
  • 1.1.3 Das Milieu
  • 1.1.4 Historiographische Fragen
  • 1.1.5 Ethnizität als Antwort auf die “spirituelle Krise”
  • 1.2 Problemstellung und Konzeptualisierung
  • 1.2.1 Prozesse der Gruppenbildung
  • 1.2.2 Religiöser Nonkonformismus
  • 1.2.3 Untersuchungszeitraum und Auswahl der Quellen
  • 1.4 Ziel der Arbeit
  • 1.4.1 Transkription, Zitation und Schreibweise
  • 2 Glaubensbekenntnisse
  • 2.1 Wissen und Glaube
  • 2.1.1 Heraus aus dem Ghetto!
  • 2.1.2 shites un kites: Zur Relativität des Wissens
  • 2.1.2.1 Indeterminismus und das Kausalitätsproblem
  • 2.1.3 Kunst und Religiosität als allmenschliches Streben
  • 2.1.4 Shifles und Pilpl als Grenzsteine der Diskussion
  • 2.2 Autonomie und Autorität
  • 2.2.1 Religion als Herrschaftsform
  • 2.2.2 andere foters undzere: Umdeutungen und Abwehr des Autoritätsvorwurfs
  • 2.2.3 Kumulation und Kippen argumentativer Strategien
  • 2.3 Resümee
  • 3 Schattierungen von Yidishkayt
  • 3.1 Yidishkayt als Tradition der Differenz
  • 3.1.1 Yidishkayt als Antwort auf Massenkultur
  • 3.1.2 Zitsn ba demzelbikn kultur-tish? Über die Grenze der künstlerischen Freiheit
  • 3.1.3 Yidishkayt als Kultur der Differenz
  • 3.2 Yidishkayt als Lebensentwurf
  • 3.3 Demontage der Kultureinheit
  • 3.4 Fremdzuweisungen und ihre Umwandlung
  • 3.5 Universalität und Yidishkayt
  • 3.6 Zusammenschau: Bestimmungen von Yidishkayt
  • 4 Ergebnis der Untersuchung
  • Index
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

Lilian Türk

Epikur und die Religion

Über die religiöse Renaissance
des jüdischen Anarchismus

Autorenangaben

Lilian Türk ist Judaistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jüdische Philosophie und Religion an der Universität Hamburg. Ihre Dissertationsschrift verfasste sie an dem Graduiertenkolleg „Religiöser Nonkonformismus und Kulturelle Dynamik“ der Universität Leipzig.

Über das Buch

Jüdischer Anarchismus fand in der radikalen Religionskritik des 19. Jahrhunderts einen festen identitären Bezugspunkt. Infolge der Oktoberrevolution und der Repression in der Sowjetunion setzten eine religiöse Renaissance und Neubestimmung jüdischer Radikalität ein. Diese Rückkehr zur jüdischen Tradition verschob die Grenzen der jiddischistischen radikalen Subkultur und wurde je nach Standpunkt als religiöser Nonkonformismus, Bedrohung, Verweichlichung oder als Erweiterung epikureischen Denkens und als Bereicherung erfasst. Diese argumentationsanalytische Untersuchung schält die Prozesse der Gruppenbildung heraus, arbeitet verschiedene Begriffe von jüdischer Religion und Lebensform (Yidishkayt) heraus und zeigt, dass nicht Religion, sondern Erkenntnis und Autonomie den Kern der Debatte bildeten.

Zitierfähigkeit des eBooks

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Als Gutachter waren Prof. Dr. Giuseppe Veltri, seit April 2014 an der Universität Hamburg, und Prof. Dr. Dr. h.c. Shlomo Berger (1953–2015), Universiteit van Amsterdam bestellt. Als Mitglieder der Prüfungskommission wirkten außerdem der Vorsitzende Prof. Dr. Rahul Peter Das, Südasien-Seminar der MLU Halle-Wittenberg, sowie mein Lehrer und Wahlvertreter Apl. Prof. Dr. Gerold Necker, Seminar für Judaistik/ Jüdische Studien der MLU Halle-Wittenberg. Anschließend wurde die Arbeit in einer früheren Fassung auf der Webseite der Deutschen Nationalbibliothek digital veröffentlicht.

An dieser Stelle möchte ich einigen Personen für Rat und Zuspruch danken. Ihnen allen ist sicher nicht bewusst, in welchem Ausmaß sie die Freude an meiner Arbeit vergrößert haben. Zuvörderst bin ich Giuseppe Veltri für das Vertrauen und die Geduld bei der Betreuung dieser Arbeit verpflichtet. Die Balance zwischen Permissivität und Strenge, die angehende Doktorandin recherchieren und schreiben zu lassen, und zugleich Eigenverantwortung und eine entfaltende Präzision einzufordern, schuf ein freiheitliches und produktives geistiges Klima. Rebecca Pates, Shlomo Berger und Diana Matut gaben ebenso wie Tony Michels sehr hilfreiche inhaltliche Kommentare und Anregungen zur Struktur der Arbeit. Besonders danke ich meinen Jiddischlehrern Dov-Ber Kerler und Abraham Lichtenbaum, die mich die Liebe zum Jiddischen lehrten und die, ohne dass sie dies beabsichtigten, mich fortwährend daran erinnerten, warum ich diese Arbeit schreibe.

Zugleich haben mehrere Institutionen meine Arbeit an den Quellen unterstützt. Das von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) geförderte Graduiertenkolleg „Religiöser Nonkonformismus und Kulturelle Dynamik“ an der Universität Leipzig bot eine komfortable Infrastruktur, Ruhe und die Freiheit von materiellen Sorgen – hier danke ich dem Sprecher des Kollegs Hubert Seiwert, dessen religionswissenschaftliche Vorlesungen mich beeindruckten. Ebenso danke ich Monika Wohlrab-Sahr und Catharina Kiehnle für Anregungen und Diskussion in den Kolloquien. Das Gros der Arbeit und der Archivaufenthalt konnten durch die Förderung durch die DFG, schließlich durch Rothschild Foundation (Hanadiv) Europe umgesetzt werden. Das Yivo Institute for Jewish Research in New York beherbergt das Quellenmaterial – hier danke ich Yeshaya Metal, Leo Greenbaum und Etti Goldwasser. An der Dorot Division der New York←7 | 8→ Public Library unterstützte mich Miryem-Khaye Zeygel noch lange nach dem Archivaufenthalt. Die Tamiment Library der New York University, sowie das Yiddish Book Center Amherst versorgten mich mit zusätzlichem Quellenmaterial, ebenso die Universitätsbibliotheken Leipzig, Düsseldorf und Trier, die Deutsche Nationalbibliothek Leipzig und zuletzt das Simon-Dubnow-Institut Leipzig. Hier danke ich vor allem Grit Scheffer.

Zu guter Letzt ist das unmittelbare soziale Umfeld anzuführen, ohne das Denken und Sprache nicht beweglich werden: Roni Mazal, Shikl Fishman, Hums, K. Linkerhand, Sebastian Türk, Johannes Graul, Judith Zimmermann und F. Schwarz – Euch allen herzlichen Dank für das Redigieren, für Kritik und Diskussion.

Ihnen allen weiß ich mich sehr zu Dank verpflichtet; für Fehlgriff und Versehen ist indessen niemand außer mir selbst zur Rechenschaft zu ziehen.←8 | 9→

1 Begriffliche Abgrenzungen

דער הויפּט פֿעלער פֿון ראַדיקאַליזם אויף דער אידישער גאַס איז דאָס, וואָס ער איז ניט קיין אידישער
1.ראַדיקאַליזם, נייערט אַ ראַדיקאַליזם בייַ אידן

„Marxian Communism is political, exceedingly so, exclusively so. It is not ethical altogether. Marxism deals not with the free-willed man, who is only socially ‘static’, environmentally set, but who as an individual is responsible for his actions, has his own account of a personal debit and credit, whose conduct may be regulated by voluntary ethical maxims […]; man is not its concern.“2

Die jiddisch-anarchistische Bewegung durchlief nach der russischen Oktoberrevolution einige Transformationsprozesse, bei denen bis dahin weit verbreitete, vor allem antireligiöse Identifikationen aufgeweicht wurden. Abba Gordin (1887–1964) zählt zu den führenden Köpfen des jüdischen russischen Anarchismus, seine Memoiren zu den Revolutionen 1905 und 1917 bereichern die historischen Forschungen zur Geschichte des Bolschewismus und der Facetten der revolutionären Bewegungen in der Sowjetunion.3 Gordin ist einer der wichtigsten revolutionären jiddischen Schriftsteller und zugleich ein Vertreter der tshuve-Bewegung, der Hinwendung zur jüdischen Tradition unter jüdischen Intellektuellen. Religiöse Anarchist/innen stellten die vorgefundenen Konzepte von Radikalität und Zugehörigkeit coram publico in Frage, unterminierten sie und prägten die jiddischsprachige “weltliche” Subkultur (Yidishkayt) auf eigene Weise. Diese subkulturelle Dynamik wurde polemisch in der jiddischen Presse diskutiert – sie spiegelt die Neuverhandlung der Grenzen von Zugehörigkeit. Akteure waren vor diesem Hintergrund nach innen wie nach außen um Abgrenzungen und um eine neue Selbstverortung bemüht. Damit ist der Weg dieser Untersuchung skizziert, der Grenzziehungsprozesse in einer spezifischen Bewegung4←11 | 12→ verfolgt und durch die Spektren von Religiosität, Yidishkayt und Anarchismus streift.

Details

Seiten
290
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631767399
ISBN (ePUB)
9783631767405
ISBN (MOBI)
9783631767412
ISBN (Hardcover)
9783631766859
DOI
10.3726/b14664
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Jiddisch Jüdische Intellektuelle Religionskritik Religiöser Nonkonformismus Argumentationsanalyse 1940
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. 290 S.

Biographische Angaben

Lilian Türk (Autor:in)

Lilian Türk ist Judaistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jüdische Philosophie und Religion an der Universität Hamburg. Ihre Dissertationsschrift verfasste sie an dem Graduiertenkolleg "Religiöser Nonkonformismus und Kulturelle Dynamik" der Universität Leipzig.

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Titel: Epikur und die Religion
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