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Komputistische Sammelhandschrift (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 103)

Bibliographische Beschreibung

Handschriftentitel
Beda Venerabilis : Naturlehre, historiographische und zeitrechnerische Werke
Entstehungsort
Köln
Entstehungszeit
um 795
Beschreibstoff
Pergament
Umfang
192 Blätter
Format
300 mm x 190 mm
Persistenter Identifier
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-2055 Persistent Identifier (URN)
Weitere Angaben
Land
Deutschland
Ort
Köln
Sammlung
Dombibliothek
Signatur
Cod. 103
Katalogsignatur
Jaffé/Wattenbach: CIII.
Frühere Signatur
Darmst. 2103
Katalogsignatur
Handschriftencensus Rheinland: 1067

Überblickbeschreibung

Beda Venerabilis: Naturlehre, historiographische und zeitrechnerische Werke

Gemäß dem annalistischen Eintrag am Rand des 'Cyclus decemnovennalis', des 19jährigen Mondzyklus ( 15r), der zum Jahr 768 den Regierungsantritt Karls des Großen (768-814) mit dem Namen Carlus und dessen Regierungsjahr mit der Zahl XXVII (27) vermerkt, ist die Entstehung der Handschrift in das Jahr 795 anzusetzen. Daß sie im Kölner Domskriptorium für Erzbischof Hildebald (vor 787-818) entstand, kann einerseits aus dem Besitzvermerk ( 1r), andererseits aus der Schrift und der Initialornamentik geschlossen werden. Schon Jones (1971, S. 18) erkannte drei Hauptschreiber, die wahrscheinlich auch die Initialornamentik ihrer Passagen besorgten. Von ihnen ist der Schreiber der Folia 1v-78v erwähnenswert, weil er eine feine, der merowingischen vergleichbare Initialkunst ausübt, welche die unzialen und kapitalen Initialen gefühlvoll in die ausgesparten Räume einfügt. In seiner unmittelbaren Umgebung wird man die Initialenzeichner etwa der Dom Hss. 41 (Kat.Nr.12) und 83 II (Kat.Nr.24; 55rff.) tätig sehen dürfen.

Der Inhalt des Buches hat den Ruhm des Angelsachsen Beda (673/674-735) und seinen Beinamen Venerabilis (der Verehrungswürdige) mitbegründet. Es stellt die Summe des Wissens um die Naturgeschichte, Geschichte und Zeitrechnung des 8. Jahrhunderts dar und bildete unmittelbar die Wissensbasis für die karolingischen Gelehrten wie Alkuin von York (um 730-804), Gesprächspartner Karls des Großen auch in diesen Dingen. Die Handschrift ist überlieferungsgeschichtlich von hoher Bedeutung. Dem Kölner Humanisten Johannes Bronchorst (Noviomagus, 1494-1570) diente sie 1537 zur Edition der Schulwerke Bedas. In Dom Hs. 103 sind zuerst die Tabellen des 19jährigen Mondzyklus in Kombination mit dem 28jährigen Sonnenzyklus zu sehen (I). Diese Kombination des antiken 'Cyclus lunaris' und des sich über 532 (19 x 28) Jahre erstreckenden 28jährigen 'Cyclus solaris' war das Werk Bedas. Nach den Tafeln mit ihren Daten konnte man das Osterfest berechnen, bzw. das Osterdatum auffinden, von dem die beweglichen Feste im Kirchenjahr wie Christi Himmelfahrt und Pfingsten (40 bzw. 50 Tage danach) abhingen. Es folgt darauf das Kalendar (II) mit seinen Heiligenfesten, das keinerlei kölnische Daten verzeichnet; seine Vorlage stammt eindeutig aus einem westfränkischen Kulturzentrum. Der nächste Abschnitt (III) hat zweifache Bedeutung. Erstens enthält er die von Dionysius Exiguus (gest. vor 556) für die Jahre 532-626 vorausberechneten und die durch Beda Venerabilis für 627-1063 weitergeführten astronomischen Tafeln des 'Cyclus decemnovennalis' (Osterzyklus) auf 28 Seiten (III, 1-10). Diese dienten zweitens den Geschichtsschreibern als Leitfaden für die Annalen (III, 11), die in Dom Hs. 103 weltgeschichtliche Dimension haben und bis zum Jahr 795 führen. Der Kölner Annalist beginnt seine Weltgeschichte mit der Geburt Jesu Christi im Jahr 532 n.Chr., der Leser muß daher die Daten auf das Jahr 1=532 umrechnen.

Das erste der drei berühmten Schulwerke (Opera didascalica) Bedas ist das 703 im Anschluß an Isidor von Sevilla (um 560-636) geschriebene 'De natura rerum' (IV). Er erweiterte Isidors Kosmologie von 48 auf 51 Kapitel und gab dem Stoff eine neue Ordnung, in der zuerst Gott als Schöpfer der Welt auftritt, der das Universum aufgrund vierfacher Überlegung schuf (Lehre der vier Elemente). Es folgen die Elementenlehre (2-8), die Lehre von den fünf Zonen oder Klimata der Welt (9-10), die Astronomie (11-23), die Meteorologie (24-27), die Gewässerkunde mit der Erklärung von Flut und Ebbe (28-43) und die Erdkunde (44-51). Leider wurde das Werk im Gegensatz zum 'Liber rotarum' Isidors (Dom Hs. 83 II, Kat.Nr.24) nicht illustriert.

Im Jahr 703 entstand auch Bedas 'De temporibus' über Zeit und Zeitrechnung (V). Es enthält 22 Kapitel und läßt sich in einen mathematisch-astronomischen (1-15) und einen historiographischen, 'Chronica minora' genannten Teil (16-22) trennen. Der erste behandelt die Zeiteinheiten (Momente, Stunden, Tage usw.), Solistitien (Sonnenwenden) und Äquinoktien (Tag- und Nachtgleichen), Jahreszeiten, Osterfestberechnung nach dem 'Cyclus decemnovennalis' unter Berücksichtigung des Mondsprungs usw. Der zweite Teil gibt einen Abriß über die sechs Weltalter von Adam bis Noe (1), von Noe bis Abraham (2), von Abraham bis David (3), von David bis zur Babylonischen Gefangenschaft (4), von der Gefangenschaft bis zur Menschwerdung Christi (5) und von der Geburt Jesu bis zum Weltuntergang (6). Die Weltalter werden fortlaufend nach Jahren gezählt, biblische mit außerbiblischen Daten der Babylonier, Assyrer, Ägypter, Griechen und Römer koordiniert. Eine Zusammenfassung zur Osterfestberechnung gab Beda in seinem Brief an den Priester Wictheda (VI), dem in Dom Hs. 103 zwei arithmetische Tafeln mit der Erklärung der Zahlen in lateinischer und griechischer, lateinisch transkribierter Sprache folgen ( 51v, 52r).

Sein drittes Schulwerk widmete Beda 725 Abt Hwaedberth von Jarrow, den er in der Vorrede als mein geliebtester Abt anspricht (VII). Auch hier kann der astronomisch-komputistische Teil (1-65) vom historiographischen (66-71) getrennt betrachtet werden; letzterer wird 'Chronica maiora' genannt. Das Werk erhielt einen didaktisch bewundernswerten Aufbau, der über das Zählen mit den Fingern und Händen (1) zu den Phänomenen am Himmel (16-23) und zur Erklärung der Gezeiten (29), der Äquinoktien und Solistitien (30) sowie der Breitengürtel der Welt (33) führt. Die Anweisungen zur Osterfestberechnung (34-65) schließen diesen Teil ab. Die 'Chronica maiora' (66-71) enthalten wieder die Weltgeschichte, sind jedoch nicht in Verbindung mit dem 'De civitate Dei' (Vom Gottesstaat) des hl. Augustinus zu sehen, dessen letzte Bücher sich mit den zukünftigen Dingen (Auferstehung des Fleisches) befassen. Der Schluß von Dom Hs. 103 (VIII) bietet eine Reihe von Computusregeln zur Berechnung der Zeit, die zumeist mit den Worten Si nosse vis (Wenn du wissen willst) beginnen. Hier findet sich schließlich auch noch eine Variante zum Fingerzahlenrechnen im ersten Kapitel des 'De tempore rationum'. Von Bedeutung im Bereich der Überlieferung des Kalenders und der Errechnung des Osterfestes sind schließlich die sog. Akten des Konzils von Kaisareia (2. Jh.) aus der Frühzeit der Kirche ( 190v-192r).

Überblickbeschreibung aus: Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung, München 1998, S. 129-132 (Anton von Euw)

Impressum
Herausgeber
Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln
Redaktion
Im Rahmen des DFG-Projekts CEEC bearbeitet von Patrick Sahle; Torsten Schaßan (2000-2004)
 
Bearbeitung im Rahmen des Projekts Migration der CEEC-Altdaten von Marcus Stark; Siegfried Schmidt; Harald Horst; Stefan Spengler; Patrick Dinger; Torsten Schaßan (2017-2019)
Ort
Köln
Datum
2018
URN
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-2055
PURL
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-2055
Lizenzangaben

Die Bilder sind unter der Lizenz CC BY-NC 4.0 veröffentlicht

Diese Beschreibung und alle Metadaten sind unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 veröffentlicht

Klassifikation