Kanonistische Sammelhandschrift (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 117)
Bibliographische Beschreibung
Überblickbeschreibung
Kirchenrechtliche Sammelhandschrift
Kodikologisch besteht das Werk aus drei verschiedenen Teilen: 1. den Canones conciliorum (Konzilsbeschlüsse), die der Dionysio-Hadriana-Überlieferung angehören (I), 2. dem Poenitentiale (Bußbuch) und den daran angeschlossenen kirchenrechtlichen Stücken (II-III) sowie 3. der sog. Propagandaschrift Erzbischof Gunthars (850-863, gest. nach 871) von Köln (IV). Im Canones-Teil fehlen die Dekrete der Päpste, die in den Dom Hss. 115 und 213 (vgl. Kat.Nrn.21, 18) enthalten sind. Initialen in Teil I wie das F(idem) (19r), das Q(ui) (19v) mit dem bärtigen Männerkopf, das rot und braun umpunktete C(redimus) (19v) mit der Flechtbandfüllung und das P(eregrinos) (22r) mit dem Hundskopfende weisen auf ein Skriptorium hin, das mit insularen Schreibgewohnheiten in Kontakt gekommen war. Ob dieses in Italien, Frankreich oder Deutschland lag, kann hier nicht entschieden werden; Mordek (1975, S. 244) nimmt Ostfrankreich als Ursprungsland an, nicht ohne diese Lokalisierung sofort wieder in Frage zu stellen. Für Teil II-III mit dem Poenitentiale Halitgars (817-831) schlug Bischoff (nach Kottje 1980, S. 28) ebenso "ostfranzösische?" Entstehung vor. Für Teil IV, der nach Fuhrmann (1958, S. 36) von mindestens zwei Händen geschrieben wurde, steht 865 als das Jahr der Niederschrift fest. Vielleicht wurde das an Erzbischof Hinkmar von Reims (845-882) als Brief entsandte Heft in Italien, wo sich Erzbischof Gunthar von Köln damals aufhielt, geschrieben. Jones (1971, S. 66f.) sah diesen Teil als in Köln geschrieben an. Die drei Teile haben einen inhaltlichen, nämlich kirchenrechtlichen Zusammenhang, in den auch die sog. Propagandaschrift Gunthars einmündet. Fuhrmann legte eindrücklich dar, daß das Heft die gekürzte Fassung einer von Gunthar 863 zusammengestellten Sammlung von Texten ist, die er 865 einschließlich des Begleitbriefes an Erzbischof Hinkmar von Reims sandte, damit dieser bei Papst Nikolaus I. (858-867) seine Rekonziliation erwirke. Zusammen mit Erzbischof Thietgaud von Trier (847-863/868) war Gunthar auf dem Laterankonzil von 863 vom Papst des Amtes enthoben und exkommuniziert worden. Die beiden Bischöfe hatten zuvor auf der Synode von Metz König Lothars Ehe mit Thietberga für aufgelöst erklärt. Sie gaben damit Lothar (855-869) das Recht, seine Konkubine Walrada, von der er Kinder hatte, zur Königin zu erheben. Gunthar sprach 865 auf der Synode von Pavia vor und bat um Behandlung seines Falles. Die Synode verfaßte zwecks Rekonziliation daraufhin ein Bittgesuch an den Papst. Doch wurde der Bann bis zum Tod Gunthars nicht gelöst. Der Bischof hielt trotz der Exkommunikation an seinem Amt fest. Diese Vorkommnisse spiegelt der Inhalt des Heftes. Es enthält eine Aufzeichnung von Verhandlungen der Synode von Pavia (93v-96r), den Synodalbrief an Papst Nikolaus I. (96r-97r) und schließlich den Brief Gunthars an Hinkmar (97r). Weshalb das Originalschreiben Gunthars (und nicht eine Kopie) nach Köln kam, ist unbekannt.
Das Heft ist eine Art praktischer Anhang zu den Canones conciliorum und zum Bußbuch des Halitgar von Cambrai, das dieser im Auftrag Erzbischof Ebos von Reims (816-835) verfaßte. Es darf als Produkt der unter Kaiser Ludwig dem Frommen (814-840) in der fränkischen Kirche betriebenen Reform betrachtet werden, die an den alten Bußbüchern Kritik übte und der Bußpraxis eine auf den Canones der Konzilien sowie den päpstlichen Dekreten gründende Basis verschaffen wollte. In diesem Sinne fanden die Canones, das Poenitentiale und Gunthars Rekonziliationsakte wahrscheinlich schon im 9. Jahrhundert in Dom Hs. 117 zusammen.
Überblickbeschreibung aus: Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung, München 1998, S. 253-254 (Anton von Euw)
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