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WM, Wn, ÄcknW M die WWikL ArnLsbtcctt für die Kgl. KmtshaupünannschafL zu Weißen, das Kgl. Umtsgericht und den Stadlralh zu Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg. — Inserate werden Montag» und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Rr. 88. Dienstag, den 3. November 1885. W» . ..-7 . 'I 7^7" . I "77 -7-1 -''IS Koilimcilden Donnerstag, den 5. dieses Monats, Nachmittags 6 Uhr, öffentliche Stadtgemeinderathssitznng. Wilsdruff, am 2. November 1885. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. Die Einwanderung alleinstehender Mädchen in die großen Städte. Der zunehmende Verfall der Sitte und der Sittlichkeit ist ein ticfbetrübendes Zeichen unserer Zeit. Es scheint, als gäbe es gar kein Aushaltens mehr, als wurde es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schlimmer. Wohin das noch führen soll, ist gar nicht abzusehen. Denn die Weltgeschichte lehrt uns. daß Völker, bei denen Zucht und Sitte in Verfall geriethen, zuletzt vom Sturm der göttlichen Gerichte hinweg gefegt worden sind vom Schauplatz der Geschichte. Sollte unser edles, markiges deutsches Volk einem gleichem Schicksal verfallen? dann wehe dem Einzelnen, der feine Pflicht unerfüllt gelassen hat, er wird schwer zur Verantwortung gezogen werden vor dem ewigen Rich ter. Zu dem Verfall der Sitte trägt aber wesentlich mit bei die Sorg losigkeit, mit welcher mancher Familienvater oder Mutter ihre Tochter in die große Stadt ziehen läßt, um dort einen Dienst oder Beschäfti gung zu suchen. Die Erfahrung lehrt, daß die meisten dieser allein stehenden Mädchen den zahllosen Versuchungen, welche in der großen Stadt an sie herantreten, nicht im entferntesten gewachsen sind. Sie sind geblendet von dem Glanz der Umgebung, sie lassen sich in freien Stunden fortreißen in den betäubenden Strudel des Vergnügens und da das wachsame Auge des Vaters oder der Mutter fern von ihnen ist, so geschieht eS nur zu leicht, daß sie in dem Strudel untergehen "udo ^'"'en. bis das erwachende Gewissen ihnen die Tiefe ihres Sturzes vor das Ang. Aber der Schrei des Gewissens wird nur zu bald erstickt durch aller^.^Selbsthetrug, daß die Jugend ihr Recht fordere, daß es die Andern ja auch' so much?..,"nd so wird es je länger je schlimmer, dis das Gewissen todlgeschlagen ist uiiv'lM mehr reden kann. Wie viel Tausende von Seelen auf diese Weise zu Grunde gehen, das ist nicht auszusagen. Und wer trägt im Grunde genommen die Schuld? doch Niemand Anders, als der sorglose Vater oder die sorglose Mutter, die nicht bedacht haben, daß sie zu Wach- tern über die Seelen ihrer Kinder gesetzt sind. Würden sie mit Ernst gesorgt haben, daß ihre Tochter sich ernstlich vor den Versuchungen zurückzöge, würden sie durch öftere persönliche Nachfrage in der Stadt sich überzeugt haben, daß ihr Kind auf guten Wegen wandelt, würden sic im gegenteiligen Fall es gleich mit nach Hause genommen haben, um es auf die guten Wege zurückzuführen, so würden sie ihre elter liche Pflicht erfüllt haben. Wer aber sein Kind in den Strom hinein stürzt, unbesorgt darum, ob es auch schwimmen kann, der ist Schuld daran, wenn es untersinkt und verdirbt. Solche Schuld ist aber eine furchtbare. Darum möge jedes Elternpaar, welches seine Tochter in die große Stadt ziehen läßt, darüber wachen, daß sie dort nicht sitt lich zu Grunde gehe. Tagesgeschichtc. Der preußische Fiskus hat den ersten seiner zahlreichen Diäten prozesse, die er gegen verschiedene deutschfreisinnige und sozialdemo kratische Reichslagsabgeordnete angestrengt — behufs Herauszahlung der von diesen bezogenen Parteidiäten — verloren. Vom Landgericht in Halle a. S. ist der Fiskus mit seiner bezüglichen Klage gegen den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Hasenclever abgewiesen und in die Kosten verurtheilt worden. Man darf hiernach aunehmen, daß auch alle anderen Diätenprözesse einen ähnlichen Ausgang nehmen. Der Zuwachs der Bevölkerung des deutschen Reichs seil der letzten Volkszählung wird in militärischen Kreisen zu rund zwei und eine halbe Million angenommen und dementsprechend bei einer Be messung des Heeres zustand es zu einem Prozent der Bevölkerung der Zuwachs, welchen die stehende Armee bei Feststellung des nächsten Septennats erfahren müßte, zu etwa 28,000 Mann berechnet. Diese Zahlen erweisen sich allerdings sehr hoch gegriffen, immer und unter allen Umständen wird es sich jedoch um eine beträchtliche Steigerung der Bevölkerungszahl und demzufolge bei Einhaltung des bisherigen Berechnungsmodus auch der Armeestärke handeln. Gegenüber diesem Thatbestande wirft sich die Frage auf, ob dieser Modus nicht nur in Rücksicht auf die Finanzkraft des Landes, sondern auch im Hinblick auf den Rahmen der gegenwärtigen Armeeorganisation auf die Dauer wird aufrecht erhalten werden können. Schon mit 1888 würde, die vorangeführten Zahlen als richtig angenommen, die Armeestärke auf rund 470,000 Mann anwachsen, mit den nächsten 50 Jahren aber der Stand von 600,OM Mann überschritten werden. Bereits mit dem Erreichen eines Friedensstandes von 500,000 Mann könnten jedoch alle militärischerseits noch erhobenen Forderungen, die vollständige Kompletirung des 15., wie des 13. und 14. Armeekorps, eine Steige rung der Feldartillenestärke, die Trennung der Pionnierwaffe in Feld- und Festungspionniere und die dadurch bedingte Verdoppelung der Pionnierbataillone und die denkbar größte Verstärkung der Spezial truppen durch Errichtung noch mehrerer Eisenbahnregimenter, einer Telegraphen- und Ballontruppe rc. nicht nur befriedigt werden, son dern würde dieser Heeresstand wahrscheinlich auch noch weitere Neu- sormationen in sich aufzunehmen im Stande sein. Gegenwärtig schon reicht die Jnfanteriestärke mehrerer deutscher Armeecorps über die ur sprüngliche Normalzusammenstellung derselben um mehrere Regimenter hinaus, binnen noch zweimal sieben Jahren aber würde bei einem Zu wachs der Bevölkerung wie bisher, auch nach Befriedigung all' der vorangeführten Forderungen, der gegenwärtige Truppenkörperstand der deutschen Armee nirgend mehr ausreichen, die Zahl der Dienstpflich- rigeu in sich aufzunehmen. Zum Glück steht die Nothwendigkeit einer Aenderung noch lange aus, und wenn bis dahin noch die gleichen Ver hältnisse obwalten sollten, wird sich ein Ausgleich mit denselben sicher finden lassen. Das ist ein schönes Resultat. 48,8M Mk. sind bis jetzt durch die Sammlungen für die Hinterbliebenen der mit der „Augusta" ver unglückten Besatzung beim Komitee in Berlin eingegangen. Das Komitee sagt den Gebern Dank und bittet um weitere Gaben. Wegen angemessener Verwendung der Spenden hat sich das Komitee mit der Admiralität in Verbindung gesetzt. Die Annäherung Englands an Deutschland, welche bald, nachdem das Kabinet Salisbury die Geschäfte übernommen hatte, mehrfach tonstatirt wurde, gelangte andererseits in dem Verhalten Deutschlands während der jüngsten Verhandlungen zwischen England und der Pforte über die egyptische Angelegenheit zum Ausdruck. Der glückliche Verlauf dieser Verhandlungen wird von wohlunterrichteter Seite auch darauf zurückgeführt, daß die deutsche Regierung ihren Einfluß iw. Sinne einer Verständigung zwischen England und der Türkei in Konstantinopel geltend machte. In Dänemark, wo der Konflikt der radikalen Partei mit dem MinistcMm Estruv die Bevölkerung iu immer größere Aufregung versetzt, scheint sich die RegierüKg'Ernste Ereignisse vorzubereiten. Hiervon zeugt der Erlaß des Gesetzes, welches eines voll ¬ ständig militärisch organisirten Gendarmeriecorps verfügt, bezeichnender Weise in den Motiven heißt, die Civilbehörden in die Lage kommen könnten, umfangreichere militärische Hilfe zu requiriren, als es der Militärdienst gestattet. Vielleicht hat man in diesem Ge setz den Vorläufer weiterer außerordentlicher Maßnahmen der dänischen Regierung zu erblicken, zu denen das Attentat auf den Ministerprä sidenten Estrup wahrscheinlich den Anstoß gegeben hat. Italien. Dem Minister des Inneren sind recht traurige Berichte vom Präfekten der Provinz Massa-Carrara zugegangen. Wieder holte heftige Regengüsse haben fast alle Thäler derselben überschwemmt. Eine Menge Häuser sind unter Wasser gesetzt, ihrer viele auch einge stürzt. Gegen 7M0 Menschen haben kein Obdach mehr und sehen entsetzlichen Leiden entgegen. Unweit Guadine sind in Folge eines Bergrutsches vier Häuser eingestürzt. Das Flüßchen Carrione hat Carrara unter Wasser gesetzt und vier kleine Häuser fortgeschwemmt. Vier Bewohner derselben sind ertrunken. Zwischen Villafranca und Aulla hat ebenfalls ein 4000 in langer Erdsturz große Verwüstungen angerichtet und alle Kommunikationen unterbrochen. Der Bahnhof in Massa steht unter Wasser. Der Eisenbahnverkehr mit den benach barten Provinzen hat aufgehört. Paris, 29. Oktober. Heute Mittag gegen 12 Uhr feuerte ein Individuum auf der Concordiabrücke auf den Wagen Freycinets, als der Minister aus dem Ministerrath im Ministerium des Aeußeren zu rückkehrte. Der Pistolenschuß verletzte Niemand. Der Thäter wurde verhaftet; derselbe erklärte, Freycinet nicht persönlich zu kennen und lehnte es ab, irgend eine Aussage über seine Person und seine Existenz- mittel zu machen. Derselbe hat das Aussehen eines Werführers und scheint italienischer Nationalität zu sein. Prinz Viktor Napoleon, der mit seinem Papa veruneinigte kaiserliche Prätendent, läßt auch einmal wieder von sich hören. Er hat im „Figaro" eine Art Programm veröffentlicht, in dem er der staunenden Welt erklärt, daß es diesmal bei den Wahlen noch nichts gewesen sei, weil er aus Rücksicht auf seinen Vater sich nicht an die Spitze seiner Getreuen habe stellen können, daß es aber das nächste Mal anders werden solle. Die Royalisten, meint der kleine Viktor, würden die gemäßigten Republikaner vernichten. Dann würden die Radikalen sich selbst unmöglich machen und darauf bliebe die ganze Geschichte für die Napoleons übrig. Wenn nur kein Bock in der Rech nung ist. Wie ein Mühlstein am Hals eines Menschen hängt der franzö sischen Politik das „konkinesische Abenteuer" an. Bald heißt es, die Regierung gedenke die Truppen zurückzuziehen und Tonkin gänzlich aufzugeben, dann wieder, daß Verstärkungen nachgesandt und mit Energie gegen China vorgegangen werden solle. Es geschieht aber weder das Eine noch das Andere und die beiden Generale de Courci und Negrier müssen weiter Stand halten, ohne einen nennenswerthen