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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920716020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892071602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892071602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-16
- Monat1892-07
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Jnsertioitspreisö Die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfgi Meclamen unter dem Redactionsstrlch (4g»/ spalten) bO^, vor den Fainiliennachrichten (bgrjpaiien) Größere Schriften laut unserem Prel«- verzeichniß. Tabellarischer und glssernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^4 60.—, mit Postbesörderung./4 70 — 2Uul„tMrsch>ltb für Insrrate: Rbend-AuSgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Sonn, und Festtags früh '/,S Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anserate find stet« an die Ertzktzttt«» zu richte» Druck und Verlag von <i. Polz in Leipzig. 8V. Jahrgang Zur gtsiilliM Ütnchtllllg. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 17. Juli, Vormittags nnr bis Uhr geöffnet. ILxpetlMon «los I,eli>/lLjer 'l'ri^elrliitte^. politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Juli. In den „Hamburger Nachrichten" hat Fürst Bismarck wiederholt die Bermuthung aussprccken lassen, daß Gras Caprivi seinen Erlaß vom !t. Juni d. I. an den Prinzen Neuß hauptsächlich deshalb im „Reicks-Anzeiger" veröffentlicht habe, um dem Eentrnm und seinen übrigen Freunden die tröstliche Versicherung zu geben, dem Fürsten Bismarck werde niemals wieder „irgendwelcher" Ein fluß auf die Politik eingeräumt werden und diese werde unwandelbar in der Bahn sich fortbcwcge», die zur Freude des UllranlvntanismuS, des Welfen und Polenthnms seit dem Rücktritte des Fürsten eingeschlagcn worden ist. Der „Freisinn", der in seinem Grolle gegen den „Altreichskanzler" ganz und gar vergessen zu baden scheint, daß Gras Caprivi der wärmste und leiden schaftlichste Bertheidiger des Zedlitz'fche» Schulaesetzenlwurfs war, fand es unerhört, daß Bismarck seinen Nachfolger in solcher Weise „verdächtige". Kaum aber wird aus Posen berichtet, daß die dortige königliche Regierung die Siinultan schule in Glowno aufgehoben habe, an deren Stelle eine evangelische und eine katholische Volksschule treten werde, so beginnt in der „freisinnigen" Presse der Jammer. Die „Bossischc Zeitung" schreibt z. B.: „Die Zedlttz'scke Schulvorlage ist gefallen, aber ihr Geist geht ,och um, >a Or. Bosse scheint feinen Amtsvorgänger noch über trumpfen zu wollen, dessen lltcsormeiser vorläufig wenigsten« die bereits bestehenden Slmullanschulen »nangelasicr lassen wollte. Will man jetzt etwa aus dem administrativen Wege mit leisen Schritte» zu dem Ziele gelangen, das sich auf dem Wege der Gesetz gebung und im Sturmschritt nicht erreiche» lies;? Es wäre dies ein um so bedauerlicheres Beginnen, als ei» Blick aus Las be nachbarte Oesterreich lehrt, wie herrlich weit man cs dort mit derlei Künsten gebracht hat. Für de» Liberalismus erwächst jedcnialls ans dem Glvwnoer Vorkommnis;, mag es zunächst auch nur ver einzelt bleibe», die Mahnung, scharf aus der .Hut zn bleiben und sich durch die Zurückziehung der Zcdlitz'schcn Vor- läge nicht in trügerische Sicherheit nach dieser Seite hin wiege» zu lassen." Ja, ist denn das, was da in Glowno geschehe» ist, etwas) Anderes, als eine Bestätigung dessen, was Fürst Bismarck gesagt hat, oder nicht wenigstens ein schlagender Beweis dafür, daß Gras Caprivi des festen Willens ist, mit IN. Bosse genau denselben CurS zn steuern, de» er mit dem früheren Cultus minister Grafen Zedlitz steuerte? Wenn in dem EUassc des jetzigen Kanzlers an den Prinzen Reuß auch keine Silbe von der Versicherung stände, daß dem Fürsten Bismarck niemals wieder „irgendwelcher" Einfluß auf die Politik werde ein geräumt werden, so würde die in Glowno getroffene Maß regel beweisen, daß der neue Cnrs in der Tbat einen solchen Einfluß von sich fern zu halten gewillt ist. Wenn der „Freisinn" coiiseguent sein wollte und könnte, so müßte er darüber i» Triumphgesang ausbrechc», denn wie oft haben Herr Richter und die Seinigen gefordert, es müsse völlig reiner Tisch mit der Hinterlassenschaft und den gefährlichen Maximen des Fürsten Biöniarck gemacht werden; wie oft hat man von dieser Seite den Grafen Caprivi gerade deshalb gepriesen, weil er von der Bahn eines Vorgängers ablenkte und den ultramontancn, wölfische» ind polnischen Wahlbrüdern des Freisinns seine Gunst uud rin Vertrauen zuwendctc! Und nun statt des Trinmph- gcsanges eitel Klage und Jamincr! Freilich, dem Grafen Caprivi mangelt neben anderen Eigcnschaftc» auch die, daß der den „deutschen Freisinn" nicht vor den Folgen zu bewahren verstellt, die mit der Erfüllung der „freisinnige»" Wünsche verbunden sind. Anläßlich des endliche» Abschlusses des ProcesscS Busch hoff stellt die ganze deutsche Presse Betrachtungen an, von denen leider die große Melirzahl lediglich beweist, daß der starre ConfessionaliSinnS, dessen Pflege man neuer dings in Preußen sich ganz besonders angelegen sein läßt, bereits einen Blüthezustaiit erreicht hat, der die schlimmsten Früchte in fast sichere Aussicht stellt. Objective» und ruhig erwägenden Betrachtungen begegnet man selten. Und gerade das >st nock bcklagciiswcrther, als Alles, was die Verhand lungen zu Tage gebracht haben, denn cs läßt befürchten, daß ähnliche Dinge, wie sic in Tanten sich abgespielt haben, auch anderwärts in die Erscheinung trete», und daß das sorg samste Walten der Justiz de» Respeet vor der Rechtsprechung nicht wieder hcrstellt, die der blinde Partei- und Confessions- sanatiSm»« leider aus den Herzen von Millionen beraus- gerissen bat. Mit Recht bemerkt die frcicvnscrvalive „Post": „Ter Mord ist nngesühnt, der Thüler der slraseiiden Gerechtigkeit entzogen. Ob und inwieweit bei der Uiitersnchimg Fehler begangen sind, läßt sich von hier ans nicht mit Sicherheit übersehe». Eines aber scheint sicher, dafi zn dem negativen Ergebnisse des ProcesscS nicht unwesentlich der Umstand beigelragcn hat, daß der Irrwahn des RitnalmordcS oder, wie die ebenso alberne neueste Variante heißt, des Blutmordes die Bet heiligten auf eine falsche Spur sestgerannt und so wesentlich zur Verwischung einer etwaigen richtigen Spur bei- getragen bat. Fanatismus uud aberwitzige Leidenschaft sind eben die vciikbar schlechteste» Ralhgcbcr, und Die jenige», welche sic geschürt baben, trifft »ach alle» Bich- tuiigcn die schwerste Verantwortung. Aber der Prveeß selbst uud was er und Alles, was damit zuiainmeiihängt, an un verdientem Leide über die Loser aiiiiseinitischett Fanatismus ver hängt hat, ist nnr die eine betrübende Seite der Sache. Mit tiefer Be trübnis; und tiefer Beschämung muß der Vaterlandssreiind sehen, auf einem wie niedrigen Eulturniveau ein Thcil unseres Volkes noch steht. Ties gilt insbesondere aucti von einem Tbeilc der unter klerikalem Einflüsse stehenden Bewohner des schönen Rhciulaiides, welcher in jüngster Zeit schon einmal einen drastischen Beweis hierfür geliefert hat. Freilich steht das culturelle Niveau einiger, namentlich Berliner ZeilniigSrcdactioiien anscheinend noch niedriger. Es sind dies sehr »»erfreuliche Zeichen der Zeit; sie enthalte» eine nur zu deutliche Warnung vor den Strömungen, die sich neuerdings in unserem Volke breit machen, unter der falschen Flagge des Christen- u nd Teutschthnms nnr Träger der geistigen kttkchtjchast und Feinde fortschreitender Cullur sind und daher in einem scharfen Gegensätze zu dem reichen Geistesleben stehen, welches die deutsche Nesormations- zcit kennzeichnet." In Belgien wird der Ausfall der englischen Wahle» mit der größten Spannung verfolgt. Es ist ei» offenes Geheimnis;, daß der belgische Hof und die leitenden Kreise den Sieg der Conservativcn wünschten. Man ist in Belgien der festen Meinung, daß nur ein oonservativcs Cabinet Englands sich mit Enischlosseit Belgiens annimint und nur von ilun in ernsten Augenblicken Heil für Belgien zu hoffen ist. Da die englischen Liberalen sich stets Belgien gegenüber zurückhaltend zeigten, so sieht man dein Regime Gladstonc's mit geringem Vertrauen entgegen. Ob diese Ansichten eine ernste Grund lage haben, ist schwer zu sagen: jedenfalls wird England in der Stunde der Gefahr die belgischen Interessen, mag in England ein liberales oder coiiservalivcS Regiment am Ruder sein, in so weit stets berücksichtigen, a!s sie mit den englischen Interessen im Einklänge stehen. Belgien wird, und das er kennen auch die verständigeren Kreise nachgerade an, am Besten thun, sich nicht auf englische Parteien, soiitcrn ans die eigene Kraft zn stützen und mit seinen eigenen reichen Mittel» seine Reutralität und Unabhängigkeit zu sichern. In der Generalacte der Brüsseler Antisclavcrci- Conferenz verpflichteten sich die bethciligte» Mächte, sich gegenseitig alle zur Bckäinpfnng dcö SclavenhandclS dienlichen Auskünfte mitznthcilen. Zn diesem Zwecke sollen die be treffenden Regierungen in bestimmten Zwischenräumen die aus die Anhaltung und Befreiung von sclaven bezüglichen statistischen Angaben, sowie die weiter zur Unterdrückung des Selavcnbantcls im Wege ^eer Gesetzgebung oder der Ver waltung getroffenen Maßregeln gegenseitig anstauschen. Zur Regelung dieses Austausches hat nun die belgische Regierung in ihrem Auswärtigen Ministerium ein Central-Burea» errichtet. Das ist aber nur der erste Schritt zur Aus führung der Generalactc; »ach Artikel 74 derselben soll in Zanzibar ein internationales Bureau errichtet werden, bei dein sich eine jede der Signatarmächte durch einen Tclcgirtcn vertreten lassen kann. Das Bureau soll conslituirt werden, sobald drei Mächte ihre Vertreter er nannt haben. Die Kosten dieser Einrichtung sollen zu gleichen Theilen unter die Signalarmächie verthcilt werken. Die Archive des BnrcauS sollen den Marine Lsficiereii, sowie den Territorial- oder Gerichtsbehörden und den von ibrcn Re gierungen besonders bczcichneten Consuln zugänglich sei». Ferner soll es den fremden Lssicicre» und Beamten, welche befugt find, die Archive cinzusehen, von denjenigen Doeu- mente», welche in einer morgenländischc» Sprache abgcfaßt sind, Uebcrsetzungcn in einer europäischen Sprache liefern. Außerdem können in Verbindung mit dem Bureau in Zanzibar in gewissen Theilen der Zone nach vor- gäugigcm Einverständniß der interesfirtcu Mächte Hilss- bureaux errichtet werten. Schließlich baben sich die Vertragsmächte verbindlich gemacht, znm Schutze der in Freiheit gesetzten Sclaven in den Hafen der ver einbarte» Zone und an denjenigen Orten ihrer Gebiete, wo selbst Sclavenfang getrieben wird, oder welche Durchgangs- und Ankunstsplätze von afrikanischen Sclaven sind, BnrcauS und Anstalten in einer »ach ihrem Ermciscn hinreichenden Anzahl cinzurichten. Die Burcaur für Bcsreiungö-Angelcgcn beiten vdcr die zu gleichem Zwecke eingesetzten Behörden solle» die Freibriefe ausslellc» und darüber Register führe». Daraus ist ersichtlich, welche vielfachen Maßnahmen »och zu treffe» find, che nur die Grundlagen für die Ausführung der Gcncral- . etc gewönne» sind. Nachdem das Brüsseler Bureau errichtet ist, wird Wohl das Zanzibar-Bureau in nicht allzu langer Zeit auch gebildet werten, und man kann gespannt sein, welche der Mächte zuerst ans ihrem Gebiete innerbalb der genau bczeichneten Zone des Indische» Occans mit der Ein richtung von Befreiungs-Burcaux und anderen Anstalten den Anfang machen wird. Die englischen Wahlen gehe» zu Ende, und es läßt sich jetzt erkennen, daß die daraus für Gladstone Hervorgehente Mehrheit 30 bis 4o Stimmen betragen wird. Das ist ein Sieg für den „großen alten Mann", aber was für ei» Sieg? Es ist ein Sieg, der die Gegner als eine Macht im Staate nicht vernichten, nicht einmal stark schwächen, der die Sieger sicher nicht in eine starke Stellnng bringen wird. Die Glat- sloneauschc Mehrheit wird eine wesentlich verschiedene von der des Jahres 1885 sein, wo die Liberalen, abgesehen von der irischen Partei, dl Stimmen mehr als ihre Gegner hatten. Noch größer wird der Gegensatz, wenn man in Be tracht zieht, daß die lliiionistc» nach Len Wahlen im Jahre 1886 über die vereinigten Gladstoncancr und Parncllilen eine Mehrheit von >18 befaßen. Die 350 Anhänger Gladstone'ö, mit denen der Letztere den 32» Uiiiouisten gcgcnübertretcn wird, loulicn jeden Augenblick durch den Abfall.der irischen Partei auf 27» zusammenschrumpfc». Die Gladstoncancr werden immer in Gefahr schwebe», daß diejenigen Abgeord neten, die ans andere» Ursachen als Homerulc unlcr ihrem Banner kämpsc», sich von ihnen abwendc». Dann sind auch jene unvorhersehbarcn Zufälle in Betracht zu ziehen, die fort während eine durch kein gemeines grundsätzliches Band ver bundene Partei bedrohe», die nur ein kleines Uebergewicht über ihre Gegner besitzt. Tics ist nickt der Triumph, den die Partei Gladsloiie's erwartete, als sie in den Kampf zog. Wir würden nicht überrascht sein, wenn der liberale Führer diesen Triumpk als einen jener Siege betrachtete, die chlcchtcr als Niederlagen sind, weil sie mehr in Ver legenheiten setzen ats diese. Es wird Gladstone trotz seiner parlamentarischen Erfahrungen und seiner unerreichten Geschicklichkeit in der parlamentarischen Taktik Schwierig keit bereiten, wie er den Sieg ausnützen soll. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Minister eö ihm leichter machen, indem sie zurücktreten. Sie sind vollständig berechtigt, so lange im Amte zn bleiben, bis das Unterhaus ihnen förmlich erklärt bat, daß sie das Vertrauen des Landes verloren baben. Schlagen sie diesen Weg ein, so wird es keine leichte Sache für den Führer der Opposition sein, das Mißtrauensvotum befriedigend zu sormntirc». Tie „St. James Gazette" ertheilt eine zeitgemäße Mahnung: „Iw lioi v->l wort! Vivo Io lioi! Die fetzige Parlamentswahl wird, »ach kurzem Dasein, bald in das Reich der Vergangenheit gesunken sein. Run heißt eS aber, sich ans die nächste vorzubcrcitc», die allem Anschein »ach sich schnell nähert." 'Nach dem neueste» Telegramm auS London sind gewählt 253 Conservative, 48 Unionistcn, 25!) Gladstoncaner, 8 Parnelliten, 5!) Antiparncllitcn. Ein Erlaß des auswärtigen Departements in Petersburg an den russischen Vertreter in Bukarest, wel cher Erlaß zwar schon über zcbn Jabre alt ist, aber trotzdem kaum bisher selbst diplomatischen Kreisen bekannt gewesen sein dürste, bat jetzt plötzlich das Tageslicht erblickt und ist geeignet, die Aufmcrksamteit aus sich zu lenke». Woher er eigentlich so mit einem Male in die Oeffentlickkeit gelangte, läßt fick zur Stunde noch nicht erkennen; es scheine, als Ware er durch den Mordproceß in Sofia seiner bisherigen Verborgenheit entzogen worden. Was dem Erlaß besondere« Interesse verleiht, ist nicht etwa der Umstand, daß er etwas vollständig Rcues brächte, sondern das Hauptgewicht lie.zt darin, daß er in nnanfechtbarcr Form Ausschlüsse über die Tbcilnahme ossicicller russischer Kreise an den Treibereien auf der Balkan-Halbinsel liefert. Eine Stelle des Aktenstückes bezieht sich auf Bosnien und die Herzegowina. Hieraus mag Folgendes wicdergcgeben werden: „Auf den Bortrag des Staatesecretairs GierS an den Kaiser über diesen Gegenstand hat Se. Majestät geruht, allergnädigst j» befehlen, der slawische» Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina, ebenso der dortigen orthodoxen Geistlichkeit »ach Möglichkeit Hilse zu gewähren. Tns Evmitö des slawische» Wvhlthäligkeits-VereinS erlangle durch das Hansniinlsterium die a. h. Erlaubnis;, ini Stillen in Rußland Gelder zu sammeln zu Gnnsten der unglücklichen Slawen in Len von Oeslerreich-Ungarn besetzten Länder» Bosnien »nd der Herzegowina. Außer a» Geldspenden laufen in dem slawischen Evinilä auch Gesuche von Leuten ei», welche ihr Mitgefühl und die Bereitwilligkeit ansdrüclen, sich als Freiwillige nach Bosnien und der Herzegowina zn begeben und dort an Ort und Stelle den be- dränglen Slawen ans jede mögliche Art zn helfen. Jnsolgc der Milihellnng des Vorsitzenden des Eomitbs hat der Minister des Inner» die uüthigcu Anordnungen gclrvsse», um solchen Freiwilligen 'Auslandspässe zn verabfolgen und den provisorischen Odcssaer Herr» General-Gonvernenr davon zn bciiachrichlige». — Das kaiserliche Miilislcrtum des Acnßcrn hat seinerseits veranlaßt, daß de» nach Bosnien und der Herzegowina gehenden und den dort sich be- findenden Personen Unürsiützniig an Geld und Anderem zu Thcil w.rde ans Rechnung des Restes des Occupationssonds, welcher sich bei unsere» Vertretern i» Kvnslantinvpcl und Sofia befindet. Letzterem wird gleichzeitig mitgethctll, Ihnen 200000 Francs in Gold zur Verfügung zn stellen." Das Datum 3». September 1881 und die Nr. 308 sigu- rire» ans diesem Erlaß. Man bedenke: damals bestanden zwischen Rußland und Oesterreich Ungarn sehr gute, geradezu freundsckafrliche Beziehungen. Taö bat aber auch das offi- cielle Rußland nickt gehindert, in ganz directcr Weise gegen die genannte Rachbarmacht zu intriguircn und zu agitiren. Fenilletsii. Der Letzte seines Stammes. I4s Licht- und Schattcnbiider von Wolde mar Urban. Nachdruck vertetin. (Fortsetzung.) VII. Fräulein Marius saß in einem kleinen Salon, dessen Aus stattung auf ihren eigene» Geschmack zurUckzusührcii war. Braune Tapeten von gepreßtemLcber, in die reizende Aquarell bilderchen, Landschaften eingesligt waren. Die Decke mit einer größeren Darstellung der Mpthe, »ach der Prometheus das Feuer vom Himmel auf die Erke bringt, verziert, die in ihrer seinen Durchführung vortrefflich zum Ganzen paßte. Hoch lebnige Stühle und Tische mit geschnitzten Beinen — Alles Eichenholz! Ein einziger, großer Teppich deckte de» Boden. Die Bewobnerin saß in einem bockst einfachen Morgen - kleide am Pianofortc und spielte und sang. Ihre Stimme war nicht groß und prätentiös, sondern eher niedlich, aber innig, hingebcnd und anheimelnd. „Sie sagen, er wäre die Liebe!" sang sie! Du lieber Himmel, was wußte sic mit ihren neun zehn Jahren von der Liebe und der Welt übcrbaupt? Sic war von jeher daran gcwvbnt, die Welt durch die Brille ihrer Eltern z» sehen. Im Schoße der Marius'schc» Millionen und der Sorgfalt der Eltern dämmerte sie aus dem Backsischalter hinüber in jenes Alter, das man bei jungen Damen das ängstliche nennt, ohne auch nur ein einziges Mal die kräftigen, gesunden Formen des wirkliche» Lebens aus eigener Anschauung kennen gelernt zu baben. Einmal war allerdings Einer da, der ihr in zwei Stunden Kälte mebr beibringen können, als die anderen in neunzehn Jahren, denn sie war ikrer Natur nach doch immerbin ei» Weib. Aber die elterliche Brille und die Millionen batten ihre Schuldigkeit getha», und so batte sich das Bilk, das ihr junge« Herz mit solcher Macht und Gewalt ergriffen batte, wieder verflüchtigt. Wie eine schwächliche matte Treibhaus pflanze dämmerte sie hin. Die »ernte 8f. .gnuvle batte sie endlich doch erhalten, sic war aber zu schiene zu spiele», und so gut wie Herr Gcrnvt würde sie sie dock nicht spielen lernen. Deshalb batte sie dieselbe wieder bei Seite gelegt und vergessen. Herr Gernot? Der arme Herr Gernvt! Er war wirklich zn bedauern. Wie gern hätte sie ibm geholfen, ihn auS seinen kleinen Verlegen heiten herausgerissen, aber sie tonnte ja nicht! Er war rück sichtslos ohne ein Wort de« Abschieds oder des Grußes ver schwunden — wer weiß, wo er sich wieder von Neuem aniü sirte! Er sollte ja so leichtfertig geworden sein, sagte Herr Justizrath Markwaldt. „Sie sage», cs wäre die Liebe!" sang sie wieder. Sie war in die Melodie rein vernarrt. Immer und immer sang sie dieselbe wieder, ohne dock da durch von der Liebe mehr zu erfahren als bisher. Schon zwei Mal batte eö an ihre Tbür geklopft, aber sie hörte cs nicht. Bewahrte sie ibr gutes Geschick davor? Nein! Das gute Geschick hatte wahrscheinlich mehr zu thun, und so hörte sie das Klopsen endlich doch und ries: Herein! Ein Diener brachte ihr die Karte des Grasen Atelmar Coda. Bitten Sir den Herrn Grasen, hier einzutrctrn, sagte sie. Aber Las war gar nicht nötbia, der Herr Gras war schon da, wie der wilde Jäger im Freischütz, der immer schon dinier der Conlisse steht, wenn Caspar ruft. Aber nickt wie der alte, höllische Samiel, sondern elegant, mit tadelloser Accuratesse stand Graf Atelmar da. Der Diener ließ die Beiden allein, und in ungewöhnlich ernster und gemessener Fcierlictikeit näherte sich der Herr Graf mit zwei eleganten Verbeugungen. Zart küßte er ihre Finger spitzen, als sie ihm die Hand zum Gruße reichte. Ich habe Sic gestört, gnädiges Fräulein, sagte er in einer Weise, als wollte er sich einen Vorwurf daraus machen. Sie stören mich nicht, Herr Graf, seien Sie mir immerhin willkommen. Waren Sie schon bei Mama? Ich hatte noch nicht das Glück, Ihre Frau Mama zu sehen, batte aber eben eine sehr ernste Unterredung mit Ihre»; Herrn Papa. Sie lud ihn mit der Hand zum Sitze» ein, und er setzte sich etwa drei Schritte von ihr entfernt mit einer etwas bc- sangciie» Zierlichkeit in eine» Sessel. Mit Papa? So, so! Papa bat immer so viel zn thun! Finden Sie nicht? sagte sic gedankenlos. Immer ging ihr noch die dumme Melodie mit dein ewigen: „Sie sagen, eü wäre die Liebe!" durch den Kops. Ibr Herr Papa hatte trotzdem die Güte, sich längere Zeit von seiner Beschäftigung loszumachcn und mir Gebör zn schenken. Er tliat das wohl auch gern, denn unser Gespräch betraf Sie, mein gnädiges Fräulein. Fräulein Mimie lwrckie aufmerksam auf. Es siel ihr jetzt auch die ernste Gemessenheit dcS Grasen auf, die ihm recht gut stand. Er machte so einen recht soliden, zuverlässigen Eindruck. Mich, Herr Graf? Die grvßen schwarzen Kindcraugen Mimie's blitzten ans Was zeigten sic? Halb Schreck, bald Neugier, convcntionellc Aufmerksamkeit, niädcheiikaflc, schüchterne Scheu, Angst und eine zaghafte, neckische Schelmerei, vielleicht ein Uebcrblcibscl des eben gesungenen Liedes: „Sie sage», es wäre die Liebe!" Sie, mein Fräulein! Ich habe Ihren Papa davon unter halte», mit wie großer Güte und Herzlichkeit, mit wie aus- zeichnender Höflichkeit und Freundlichkeit ick stets in seinem Hause cmpsangcn und aufgenommen worden bin, wie sich allmälig ein Hauch der Intimität über unser» Verkehr gelagert, der nicht verfehlt hat in mir eine innige Zuneigung zu Ihren Eltern zn entwickeln und eine unüberwindliche Liebe für Sic, Fräulein Mimie, zu erwecken. Da- war Alles so sckön gesagt, so corrcct im Ausdruck, so sein und vornebm in der Form, daß auch die scrupulöseste Empfindlichkeit nichts dagegen batte einwenten können. Gras Coda sprach >»it einer gewissen ritterlichen Eleganz, mit einer wcbltbucndcn Sicherheit — als ob die Sache so sein müßte. Fräulein Mimie begann leise zu zittern. Sie stand eine Heidenangst aus und wußte nicht, weshalb. Sie wußte, was nun kommen würde, waö kommen mußte, und ihr war zu Mnlhc wie einem Kranken vor der Operation. Ihr Herr Papa, hörte sie die seine verbindliche, ebenfalls vor Erregung etwas zitternde Stimme des Grafen Adelmar weiter sagen, hatte die Güte und das Vertrauen zu mir, meiner Werbung Nichts cntgegcnzuslelle». er hat mir sogar Hoffnung gemacht, daß ich bei Ihnen, Fräulein Mimie, ans eine leise Erwiderung meiner Zuneigung stoßen würde, und lühn gemacht durch diese Verheißung, durch die Gegenliebe, die sein väterliches Auge a» Jlme» wahrgenommen haben will, bi» ick hier! — Mimie! wollen Sie sich meinem Glück, unser»! Glück ciitgcgcnftelle»? In dem Zimmer war cS so still, daß sie jeden seiner Atheiiizügc, jede Schwankung des Tons körte, jedes seiner Worte, die er mit imincr mehr steigendem Affect sprach, wie Donner in ihr Olir siel. Fräulein Mimie war znm Tode erschrocken Sie wußte nicht, was sie sollte und was sie woll'e, sic wußte bloS, daß der Grat sie zu rasch, zu unvermittelt, zu geradezu fragte. WaS sollte sic tbun? Sic hätte erst ikren Papa fragen möge», aber sie besann sich rasch darauf, daß der Gras ja von ibm kam. Lediglich weil rer Gras ausgeslanden war, stank sie auch auf, schlug die Auge» nieder, zerrte an ihren seinen Fingcrchen hin und her und lispelte kaum hörbar: Her- Graf Aber das genügte schon. Er hatte eS doch gehört; in temselbcu Augenblick fühlte sie sich umfangen und hastig aus die Stirn geküßt. Da« Blut stieg ihr zu Kopfe und machte sic vollends verwirrt. Er hielt sic fest in seinen Armen, sie rock sein Parfüm, das eine große Achnlichkeit mit dem Geruch der gelben Theerofen batte, die sie so sehr liebte und von denen er ibr noch heute Morgen zwei prächtige Exemplare geschickt batte; und dazu ging ihr noch immer uud immer die unglückselige Melodie durch den Kopf: „Sie sagen, es wäre die Liebe!" Mimie, Mimie! Tu machst mich zum glücklichsten der Menschen, körte sie ihn wieder leidenschaftlich stammeln. Gras Coda batte diesen Morgen entschieden seine glückliche Stunde. Gerate in diesem Augenblick, als die Beiden so umschlungen rusammcnstandcn, öffnete sich lecke die Tbür, und die Frau Gebeimräthin trat plötzlich mit den Händen klatschend in den Salon. (Fortsetzung folgt.)
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