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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.12.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921224025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892122402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892122402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-12
- Tag1892-12-24
- Monat1892-12
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Sll»o««emeutSpreiS k» der tzauptexpeditton oder den tm Stadl» duirk »nd den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlichst4.50, bei zweimaliger täglicher Zusiellung ins Paus .^t 5.50. Durch die Post bezogen sür Teulschlaub und Oesterreich: viertel,äl>rlich > 6.—. Directe tägliche Kreuzbundjendung in- Ausland: monatlich S.— Die Morgen-AuSgabe erscheint täglich'/.? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags 5 Uhr. Rrdarlion und Expedition: JohanneSgajje 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: ttt» Klemm« e-rtim. («lfred Hahn). Universität-straße 1, LonlS Wiche. lkatharinenstr. 14, part. und SöaigSplatz ?. Abend-Ausgabe. Drgail für Politik, LocalgesWle, Kandels- und GeschüftsvcrW. JnsertionSpreiS Die 6 gespaltene Petltzelle 80 Pfg. Reklamen unter demRedacttonsstrich (4ge- fpalten) bO^. vor den Familieanachrichten (6 gespalten) 40 Gröbere Schriften laut unser«» PreiS- verzeichaib- Tabellarischer und gissernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Veilagrn (gesalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbefirderuag 60.—, mit Poslbejorderullg 70.—. Annahmeschluß für Inserate: Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Sonn- und Festtag- früh '/,0 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Inserat» sind stets an die Er-editt-t» zn richten. Druck and Verlag von <k. V ol» tn Leipzig. «57. Sonnabend den 24. December 1892. 86. Jahrganz Jur ytWiM ötlilljtiliig. Unsere Cipcdition ist inorgen Lonntag, den L.A. December, vormittags nur bis V-L- Uhr > rössnet. ^xittnlition <I<8 I.rü!-/i':ei- Zum Heiligen Abend. 42 Weihnachten unterbricht uns heute der Alltäglichkeit Sorge, Mühe und Kamps. Seinen wunderbaren Inhalt als Gebürtsscsl des Gottessohnes, als lichlverbeißende Sonnen wende, als die Lieben vereinigende Fainilienscier hat das Ehristsest nur unter unserem Bolle erlangt. Bei anderen Nationen ein Tag lauter Lustigkeit, ist der „Heilige Abend" im deutschen Hanse einer geiniitbvollcn Innerlichkeit geweiht. Die edelsten Regungen der Mcnschenbrust kommen an diesem unserem Weihnachlsseste zu ihrem Rechte und darum ist cs ein bezeichnender und ehrender sZng des deutschen Volks- wesens, das; ihm dieser Feiertag der liebste dcS ganzen Jahres geworden und geblieben ist. Und ein verheißender sür die Ankunft. Tenn im deutschen Gcmütbe wurzelt die deutsche Kraft. Das bat uns seil dein letzten Weihnachlsseste auch der große Deutsche ins Gcdächtniß gerufen, der Kraft wie lein anderer besitzt und zu gebrauchen weiß und der wie kein anderer die Eigenart unseres Volkes erforscht hat. „Das Gefühl", so sagte Fürst Bismarck, „ist stärker als der verstand, und an den großen, beglückenden nationalen Tbaten der hinter u»S liegenden Zeit hat das Gemüth größeren Antheil als der Verstand". Die Worte unseres große» Weisen und Helden waren mehr als eine Feststellung, sie sollten eine Mahnung sein, über die am heutigen Feste zu sinnen sich für tellffche Männer wobl geziemt. Die Geschichte der Menschheit kennt viele Perioden, in tencn der Verstand, des gemeinsamen Ursprungs vergessend, laö Gemüth als seinen Feind betrachtet und, häufig erfolg reich, bekämpft Kat. Unsere Zeit gewinnt Aehnlichtcil mit selchen Gcschichtsabschnitlcn. Ueberall, wohin wir blicken, siegt der kalte berechnende Verstand über das warme, zum Edlen emporbebcnde Gemüth und weckt jene Leidenschaften, die um so heftiger und rücksichtsloser sich äußern, je mehr sie befriedigt werden. TaS westliche Nachbarland zeigt uns einen unergründlichen Pfuhl der Vcrderbniß, in welchen der Hunger nach Geld und Genuß gerade die leitenden Männer der Nation gelockt hat. In dem uns so nahestehenden Oesterreich baden vor Kurzem die Gerichte zweimal über schimpslichste Ausgeburten der Habsucht zn urtbcüen gehabt. Völlig ver schont vom Pcsthauchc der Zeit ist auch unser Vaterland nicht geblieben. Auch deutsche Gerichte hatten Männer zu richten, die auf der Jagd nach müücloscm Gewinn einen nur allzu großen Troß aus allen Kreisen nach sich zogen. Und wenn seither dem mörderischen Börscnspiel engere Grenzen gezogen worden sind, so wäre die Behauptung eine gewagte, daß an dieser Erscheinung die Erkenntniß seiner Berwerslichkeit größeren Anthcil hat als die augen blicklichen Börsen - Verhältnisse. Unser Staatswesen bildet, was die Lauterkeit aller seiner Organe be trifft, noch immer mit Recht den Stolz der Nation, aber unser öffentliches Leben ist ein anderes, weniger erfreuliches geworden. Auch bei uns sucht jener Haß, den die Selbstsucht gebiert, sich an die Stelle der ehr lichen politischen Gegnerschaft zu setzen, vieler Orten sehen wir das blanke Schwert mit dem giftgetauchten Pfeil ver- lanschen, auf häßliche Angriffe erfolgt nur zu oft noch häß lichere Abwehr und — Wohl daS schlimmste Symptom deö öffentlichen Zustandes — der Angeber verfällt nicht mehr der allgemeinen Verachtung. Epigonen einer vielfach irrenden, aber allezeit ehrlichen Demokratie denunzircn Beamte, nicht wegen ihrer politischen Handlungen, nein, wegen ihrer Ge sinnung, bei den Vorgesetzten, und finden damit Beifall in den Reiben ihrer GesinnnngSgenossen. Die Zuversicht ist gerechtfertigt, daß die kerngesunde deutsche Nation riese Gifltropsen auSschciden wird, aber eS erscheint als heilige Pflicht der Patrioten, den Hcilungsproccß zu be schleunige». Dies aber werden sic nur vermögen, wenn sie das Schlangenzischen des HasscS, der kein höheres Ziel kennt als die Selbstbefriedigung, kein Gebot über sich herrschen läßt, als das des egoistischen Verstandes, durch den lauten Hellen Schall des redlichen Männerslreites übertönen, den edles Gesükl in den rechten Schranken hält. An Anlässen zum Kämpfen fehlt es in unseren Tagen wahrlick, nicht, und die Aufforderung dazu widerstreitet nicht dem Wesen des Festes, das mit dem Rufe „Frieden auf Erden" eingelcitct wird. Der Arm, der Lüge und Bosheit, in welchem Lager immer sie sich finden, zurückdrängt, ist für den Frieden erhoben und zu Ehren des Gottes in der Höh'. Oie Krilis in Paris. * Seit einem Jahrhundert zeigt die Geschichte Frankreichs eine Kette von Katastrophen: Königlhum, Republik, Kaiser reich, Restauration, Inlikönigthnm, Republik, Kaiserreich — auf deren Trümmern hat nun seit 22 Jahren die dritte Republik ihre Herrschaft aufgerichtet, doch es wird immer wahrscheinlicher, daß auch ihre Schicksalsstunde bald schlagen wird. Mehr als jede andere Staatsform bedingt eine Republik die Tüchtigkeit und die Bürgertugend der ver- hältnißmäßmäßig eng begrenzten Zahl von Männern, die den öffentlichen Geist zu führen und durch ihre geistigen Kräfte die gedankenträge Blasse zu leiten bestimmt sind. Auch in Frankreich ruht die Republik auf den Schultern einer vcr- hältnißmäßig kleinen Zahl von Persönlichkeiten mit Namen von hervorragender Bedeutung — zieht man diese von der Millioncnzisier der BevölkernngSzabl ab, dann eröffnet sich ein freier Spielraum für einen Alleinherrscher oder für das Ehavs, das schließlich auch wieder einen Alleinherrscher er zeugen muß. Es will ganz scheinen, als ob die Dinge in Frankreich einer solchen Wendung unaufhaltsam zutriebcn; die meisten der Männer, in denen die Welt und die französische Nation die Stützpfeiler der Republik zu erblicken gewohnt sind, versinken einer nach dem andern in dem schier unergründlichen Sumpf des Panamaskandals, und ehe das Jahr 1892 zu Rüste gebt, wird er vielleicht auch die wenigen heute noch unversehrten verschlungen haben. Furchtbar rächt sich an Denen, die sie hergebrachtermaßcn so lange geduldet und wohl auch geübt, die politische Sittcnverderbniß; an ihnen, aber auch an dem Lande, dem die Gefahr droht, aus den Bahnen einer stetigen politischen Entwicklung herausgerissen und zum Spielball von Experimenten und Abenteuern gemacht zu werden, die es in seinem Innersten erschüttern mußten. Dem Falle Nonvier'S scheint jetzt der Floq uet's folgen zu sollen; gleich dem oppor tunistischen ist auch der radicale Flügel der republikanischen Partei heillos bloßgestellt; immer schwieriger wird die Lage Sadi Earnot's, dem Aves Guyot durch seine Weigerung, vor dem Untersuchungsausschüsse zu erscheinen, kaum einen bessern Dienst erwiesen hat, als Eaffarelli, der aus drücklich bestätigte, der Präsident der Republik habe schon geraume Zeit vor Beginn des Enthüllungsfeldzuges die Namen der bestochenen Abgeordneten gekannt und trotzdem einige davon als Minister angenommen. Und wer kan» wissen, welche Giftpfeile der wohlversorgte Köcher Andrieux' noch birgt? „Tie Hälfte der republikanischen Abgeordnete» hat sich bestechen lassen, die andere hat davon gewußt und eS geduldet!" Darin liegt der Kern und das Gefährliche der Lage, deren Trostlosigkeit noch dadurch gesteigert wird, daß eS nicht angeht, sie als ein Gewitter aufzufassen, das die politische Atmosphäre von den Miasmen der Vcrderbniß reinigen werde. Ter Telegraph hat zwar gemeldet, daß die französische Deputirtenkainmer i» ihrer gestrigen Sitzung nach der Beantwortung der Interpellation deü Abg. Millevoye dem Eabinet Nikol ein Vertrauensvotum mit großer Mehrheit erlheill habe, aber dieses Votum kann nach dem nieder schmetternden Eindruck der Enthüllungen Andrieux', sowie der anfänglichen Bekenntnisse Rouvicr's und Floquel'S nur Den überraschen, der nicht weiß, daß die Republikaner entschlossen sind, den Skandal zu beendige», um das Land vor der drohenden Gefahr der Monarchie zu retten. Rouvier, Floquet und Ribot haben ans diese Bedeutung des Vertrauensvotums klar genug hingewiescn. Auf das Pariser Publicum selbst hat, wie man von beute telegraphisch meldet, die Kundgebung einen schlechten Eindruck hervorgebracht. Auch die Person Earnot's wird jetzt einer strengen Kritik unterzogen, nachdem die Dar legungen dreier Abgeordneten vor der Panamacommission die Behauptungen Eafarelli's, Earnot habe lange vor Ausbruch der Krise davon gewußt, daß Rouvier, Roche und Genossen in den Skandal verwickelt seien, erwiesen haben. Desgleichen wirkte die Kriegserklärung Deroulöde's gegen das republika nische Wahlsystem in der öffentlichen Meinung nickt günstig, und wird dieses Vorgehen von den Anhänger» des Ministe riums gegen erwartete neue Agitationen rer Bonapartiften auSgcbcutet. — Die neuesten telegraphischen Meldungen aus Paris lauten: Paris, 23. December. Deputirtenkanimer. Tie Tribünen sind überfüllt. Unter lebhafter Bewegung begründet Millevoye seine Interpellation Uber die Auslassungen zweier ehemaliger Ministerpräsidenten bezüglich der Verwendung gewisser von der Panama. Gesellschaft herrührender Fonds. Flouquet, welcher aus den Bänken der Deputiere» Platz genommen hat, erwidert, keine Regierung könnte der Bertheilmig eines Fonds sür be stimmte Veröffentlichungen fremd gcgeiiüberslehe», welcher bc- deutend höher als die Geheimfonds dotirt und zur Bcrtheilung an die Presse bestimmt gewesen sei. Er selbst habe sür Liesen Fonds nichts gefordert und mit den Geldern desselben nichts zu thun gehabt. (Zuruse rechts, Beisall links.) Darauf hielt Bcrnis unter lebhaftem Lärm eine Rede, in welcher er Rouvier, JulcS Rvche und Floquet heftig «»griff. (Proteslrusc links.) Rouvier bestritt auf das Entschiedenste die Behauptung, daß seine Regierung von einer Uebcrwachung der Bcrtheilung der von der Panamacanal-Gesellschast herrührcndcn Beträge Kcnntniß gehabt habe. Er wiederholte hierauf die Erklärungen, welche er bei der Einbringung des Antrages auf Ermächtigung zur gericht lichen Bersolgung mehrerer Dcputirten abgegeben hatte und gab zu, Laß er, durch die Verhältnisse gezwungen, von Blasto 50000 Francs sür Len Geheimfonds entliehe» habe. Retnach habe das Geld an Blasto zurückerstattet. Er (Rouvier) habe nicht gewußt, daß daS Geld von der Panaiiiacaiial- Gesclljchast hcrrührte. (Bewegung aus verschiedenen Seiten.) Im Fortgange der Sitzung erklärte Millevoye, die Auslösung der Kammer stelle sich angesichts des öffentlichen Mißtrauens als unabweisliche Nolhwendigkcit heraus. Ter Redner wurde wegen dieser Aeußerung zur Ordnung gerufen. Ribot hob in seiner Erwiderung hervor, das Land sei ruhig, es stehe aus Seiten der Regierung, es wolle Rechtschaffenheit in der Politik, aber gleichzeitig wolle es die Republik nicht angreisen lassen. Die Gerichte seien mit der Panauia-Angelegenheit besaßt, er frage, ob man etwa nicht den Wahrspruch derselben adwarten könne. (Sehr gut links, Lärm rechts.) Man wolle aber der repräsentative» Regie- rungssorm den Proceß machen und verfolge politische Ziele. Tie Regierung ivcrde.sich weder beunruhigen, »och cinschüchiern lasse» und werde die gegenwärtige Campagne genau überwachen. Ribot schloß: „Diejenigen, welche glauben, daß es keine Negierung gebe, täusäicn sich. Wir werden nicht in Verlegenheit kommen, es ihnen bei Gelegenheit zu zeigen. Wir werden keine unserer Pflichten un erfüllt lassen." (Lebhafter Beifall.) Nach einer Erwiderung Deroutödc's nahm Ribot neuerlich das Wort und hob hervor, man verlange nicht, daß die Regierung von der Tribüne herab Theorien vertrete. DaS sei nicht ihre Rolle, ihre Aufgabe sei viel mehr, zu haiidcln, und diejenige des Parlaments, die Regierung nach ihren Handlungen zu beurtheilen. Ribot verlangte schließlich eine Tagesordnung, durch welche der Regierung das Vertrauen auS- fesprochen wird. (Beisall.) Hubbard brachte hieraus folgende Tagesordnung ein: Indem die Kammer die Erklärung der Regie rung billigt, vertraut sie der Festigkeit derselben, daß sie das unab weisliche Werk der Gerechtigkeit und Aufklärung sicher stellen werde, und geht zur Tagesordnung über. Diese Tagesordnung, welche die Regierung acceptirte, wurde alsdann mit 353 gegen 91 Stimmen angenommen und die Sitzung geschloffen. Parts, 23. December. Die Panama.Untersuchungs- Commission verhörte heute die Dcputirten SaliS, Fouquet und Möge. Dieselben bestätigten, daß sie die von Koes Guyot in der Budget-Commission gethanen Aeußerungen gehört hätten, wonach eine Liste der Dcputirten, die in der Panama-Angelegenheit compromittirt sind, dem Präsidenten Carnot übergeben sei. — Die Untersuchungs-Commission hat beschlossen, auch während der parla mentarischen Ferien im Januar täglich eine Sitzung abzuhalten. Paris, 23. December. Floquet ist ein Ertrinkender. Niemand vertheidigt ihn. Die reaetionairen Blätter erklären eS für einen unerhörten Cynismus, daß er zugab. er habe seine Halbamt. lichcn Zeitungen von der Panamagesellschast unterhallen lassen; was sie besonders hervorheben, ist, daß Floquet sich gar nicht bewußt zu sein scheint, wie gewissenlos eS ist, einer Canalgesellschaft die Revtitienausgabeu unter dem Borwand von OeffentlichkeitsauSgaben auszubürden. Das Gerücht, er werde vom Rammervorsitz zurück- treten, wird heute von allen Blättern verzeichnet. >>S, 24. December. (Telegramm.) Wie die Zeitung „Libre Parole" meldet, wäre der ehemalige Polizeipräsident An- drieux mit einer Verhaftung bedroht worden. Andrienr habe erklärt, wenn er verhaftet werden solle, dies wohl nur geschähe, um Floquet zu retten. Der „Figaro" und radicale Blätter versichern, die Verhaftung Andrieux' würde heute Bormittag stattfinden, auch würden heute Vormittag Haussuchungen vorgenommen werden; zu den Personen, bei denen dies geschehe, gehörten auch zwei Redacteure des „Libre Parole". Politische Tagesschau. * Let»»ig, 24. December. Die colonialpolitischen Verhandlungen, welche bei der EtatSberathung im Reichstag zu erwarten sind, werden diesmal voraussichtlich eine etwas schärfere Tonart annebmen, als cs in den letzten Jahren der Fall war. Es liegt mancherlei auf diesem Gebiet vor, was einer gründlichen Erörterung bedarf; die Vorgänge in Südwcst-Afrika.dle in der un glücklichen Dainaraland-Eoncession an eine englische Gesell schaft ihrcnAuSdruck gefunden baben.dieinDeutsch-iOstafrika zu be folgende Politik, die Einschränkungen im Verkehr der Reichs- posttampser und manches Andere bedarf einer Auseinander setzung im Reichstag. Auf den Gemüthern der Colonial- freunde lastet daS Gefühl, daß der „neue Curs" unfern überseeischen Unlernehmungen wenig günstig sei, daß man nur gerade nothdürftig das Begonnene fortführe, aber ohne rechte Lust und Liebe. Der Reichskanzler selbst hat auch aus seiner kühlen Stellung zur Sache kaum ein Hehl gemacht, so oft er auf colonialpolttische Angelegen heiten zu sprechen kam. Diese Wahrnehmung drückt dann auch wieder auf den privaten Unternehmungsgeist und lähmt die Thätigkcil desselben. So ist eine gewisse Stagnation aus diesem Gebiete gegenwärtig leider nicht zu verkennen. Die Eolonialgegner erheben wieder kübner ihr Haupt. Der Ruf, es wäre daS Klügste, man schlüge Alles, sei eS wie immer, los, wird wieder laut; die „Freist Ztg." räth, Neu-Guinea und Südwest-Afrika den Engländern abzutreten, sür die natürlich von böchstem Werth sein würde, was nach freisinniger Ausfassung für »ns unbrauchbarer Plunder ist. Auf dieser Seile freut man sich über jedes Anreichen, worin man einen Niedergang in unfern colonialen Unlernehmungen und den Anfang eines Rückzugs aus denselben zu erkennen glaubt; cs geht diesen Leuten nur nicht schnell genug damit. Wir wollen hoffen, daß die Regierung gegenüber so manchem Mißtrauen und mancher Niedergeschlagenheit, die gegenwärtig in colonialsreundlichen Kreisen herrschen, fest und entschieden Feuilleton. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 71s Nachdruck Verbote». (Fortsetzung.) Der nächste Tag war wieder trübe, unfreundlich, regnerisch; die Baronin war in großer Aufregung, ging bin und her, nabm Alles in die Hand und legte cs wieder bei Seite. Snsctte beobachtete mit großer Schadenfreude das wunderbare Spiel der Natur, welches diese Siebenschläferin ans ihrer Hänge matte aufgeschcucht. Einige ängstliche Blicke, welche die Baronin auf sic richtete, erwiderte sie mit harmlos kind lichem Augcnausschlag; aber es schmeichelte ihr. . man bielt sie bock sür gefährlich. Ter Wagen fuhr Nachmittags vor; die Baronin stieg hastig ein, sie wollte den Gatten in seinem MittagSscklas nickt stören; es bandelte sich ja nur darum, einige wichtige Einkäufe zn machen! Kein Heimatbsgefübl regte sich in ibr, als so Schloß und Park verließ: keinen Abschied rief sie der Stätte zu, an wclcke sie dock die Erinnerungen so vieler hier verlebter Iabrc knüpften. Es war Alles in »br insgestorben, nichts lebendig, als der Rausch der Sinne and was sie in Jahrzehnten versäumt, holte sie jetzt in hastig bewegten Tagen nach. Nachdem Or. Bingen die nöthigstcn Krankenbesuche ge macht, war er zu seinem Bruder emporgestiegen. Alles still. . er erfuhr vom HauSmann, daß Lotbar gekündigt, seine Miethe bezahlt und die Wobnung verlassen habe. Er suchte ikn in den Kaffeehäusern auf, in denen er zu ver hören pflegte . . . vergeblich! Er begab sich in das Hotel, wo die Baronin einznkckren pflegte .. . diese war cingctroffen, teck Lotbar nickt anwesend. Oswald gab eS auf, den Bruder setzt zu sprechen; er fuhr noch bei einigen Kranken vor und steschlvß, rechtzeitig auf dem Babnhof zu erscheinen, ebe der licurierzug abging . .. daS war kurz vor Mitternacht. lind Lolbar? Er saß in der Webütiiig eines FrcnndeS, ic sich an die Nedactionszimmcr cnffchloß und schrieb daS erste Capitel eines neuen Romans, der alle früheren übcr- treffcn sollte. Sein Gepäck hatte er bereits beim Portier dcS Bahnhofs abgeliefert ... cs war nicht viel, sein ganzer Reichthum war sein Lied! Wie thöricht aber bas alte Necept, daß die Hand, die vom Fieber der Leidenschaft zittere, sie nicht schildern dürfe. DaS mochte für die Classikcr und andere sckriststellernde Philister angebracht sein : aber für die feurigen Dichter der Neuzeit konnte eine solche Regel nicht gelten. DaS Genie durste mitten im Feuer der Leidenschaften sieben — und doch konnte sein Eomi»a»dor>tt die künstlerische Schlachtordnung beberrschcn. Lothar glaubte seine Empfin dungen nickt an die Nadel zu spießen, wenn er sic auf's Papier warf, nein, er ließ sie gleichsam aus der Hand fliegen zum freiesten Fluge. So schilderte er jetzt seine eigene Stim mung, sein eigenes Erlebniß als AnsangScapitcl seiner neuen Romanschöpfung ... er war wie im Nansch »nd seine Feder flog nur so über's Papier. Die Baronin schilderte er wie eins jener im Winterschlaf erstarrten Geschöpfe, welche, von der Frühlingssonne wachgeküßt, ans einmal ein erstaunliches Leben erhalten, eine lickte, glatte, bnntschillerndc Schlange, deren Unistrickungcn dann um so inniger sink. Und Teresa? Er bielt mit der Feder ein im raschen Flug und blickte nach denklich ans daS Papier . . , er wartete gleichsam auf die Eingebungen seines Genius. Teresa? was weiter? Auch Friederike von Sesenheim wurde von Goethe verlassen. Jede Ereatur kämpft den Kampf um's Dasein, einen Niesenkampf aber kämpst das Genie! Es mag Kundert Existenzen ver schlingen ; cs ist in seinem guten Rechte. Bekränzt sind die Opfer, die vor seinen Altären fallen, wo der Weibrauch dampft, der die Götter entzückt! Mit weicher Rührung mag man ibrer gedenken ... sic müssen sich fügen in das Unab wendbare. Ter Vergänglichkeit gehört solches Glück an und das streist das Genie ab, welches Unvergängliches schafft. Ta kam seine Feder wieder in Zug und sein Held versprach, der verlassenen Geliebten vom Aschcnkegel des Vesuvs aus einen von Tbränen der Rührung begleiteten Abschiedsgruß zu senden. Er schrieb und schrieb . . . schon stundenlang brannte die Lampe ... er bewunderte sich selbst! Alles, was er geschrieben, strotzte von Genie. Nun noch hinaus, nm es austoben zu lassen im Sturm und Drang des in Schnee und Regen cinhcrbrausenden Novemberabends, daS Manu- script in der Tasche und dann ein Ebampagnerguß darüber im Weinkeller, und so in gehobener Stimmung hinaus in die Welt, im Arm das geraubte Glück, die schone Helena des alten MenelaoS, der wohl seinen Kopf mit der riesigen Schlaf- mützc etwas schütteln würde, wenn er bemerkte, daß a»S seinem Schatzkästlcin in Helmcrsbcim der schönste Edelstein entwendet worden sei. Es war eine sternenleere Nacht, ein verdrießlich von Nässe triefender Himmel, bald ein kalter Guß, als würden die Negcnwolken droben ausgcwundcn wie vollgcsogcnc Mäntel, dann wieder ein im Winde zerstiebender Tropfcnsall; die Laternen, die ihr Licht in breiten Pfützen spiegelten, klirrten melancholisch. Auch Teresa, welche Käthe Blau auf den Bahnhof begleitete, stand unter dem Banne dieser schwcrmüthigen Stimmung. Kalbe wollte ibr neues Engagement antrcten, das sie durch Teresas Vermittelung erkalten; sie subr in ibrer Begleitung mit Sack und Pack, Kisten und Kasten auf den Bahnhof; der Nachtzug krackte sie am rascheste» an Ort und Stelle. Nachdem sie sich lange in der Gepäckexpedition bernmgeschlagen, nahmen sie im Wartezimmer dritter Classe Platz und erquickten sich durch ein GlaS Punsch. Die Sängerin mit der hängenden Unter lippe war bekannt aus allen Pbotographiekästcn, wobin ihr Verehrer, der Bankier, ihr Bild besorgt batte. Einige Lorgnons waren auf sie gerichtet und incbrcre Studenten grüßte» sie kameradschaftlich; denn eine forsche Operettensängerin gehört mehr oder weniger zur Eouleur, da sic das Kneipen aus dem Fundament verstehen muß und ihre Lieder so lustig singt, als säße sie beim „Saufcomment", der um den Tisch herningebt. Käthe Blau freute sich zwar über diese Begrüßung ; aber ibr inneres Weh wurde dadurch nur wenig gemildert; die GrameSsalten in ikrcn Zügen batten sich verschärft und um den Mund herum sab es böse aus, recht verdrossen und ver- wcifelt. Sie stand bisweilen auf und ging in den Warte aal zweiter Elasse hinüber oder ans den Perron hinaus, kam aber stets noch verdüsterter zurück. „Er kommt nicht", sagte sic dann, „ich bade eS ibm doch geschrieben, daß ick mit diesem Nackuzuge abrcisc. lind ist auch Alles ans zwischen ibm und mir . . er konnte mir doch Lebewohl sagen, wenn ich die Stadt verlasse. Diese Geldmenschen haben ja kein Herz. Doch so sind die Männer überhaupt: Billet-doux und Blumensträuße in Hülle und Fülle, solange sie sich einbildcn, in uns verliebt zn sein. Hört diese Einbildung eines schönen Tages auf, so giebt's für sie kein Papier mehr, keine Post, keine Blumenläden, man mag sich die Finger wundschreiben . . man erhält keine Antwort mehr; man ist ausgestrichen wie ei» verrechnetes Ercmpcl, herausgerissen wie ein verschriebenes Blatt a»S dem Eontobuche; man ist nichts, so daß man sich selbst befühlen muß und im Spiegel sehen, um an seine eigene Eristen; zu glauben." Teresa batte die Hand aufs Haupt gestützt; sie dachte nach, eine Thräne im Auge; drohte ihr nicht vielleicht ein leiches Loos? Ob das verpfuschte Blatt aus einem Eonto uch oder aus einem Romanmanuscript herausgerissen wurde — cs blieb doch dasselbe. „Ich kann mich an diese ärmlichen Verhältnisse gar nicht gewöhnen", fuhr Kätbe Blau fort; „Ersparnisse bab' ich natürlich nicht gemacht. Wenn man an der Ouellc sitzt, trinkt man darauf los . . wer tbut denn da Wasser in die Schläuche? Boi» Glück darf man sich nichts absparen, daS muß voll und ganz genoffen werden . . und auch im Unglück darf man einen Nothpscniiig verschmähen; denn ist man erst zu den Pfennigen heruntergekommen, da ist Alles gleich. So sitz' ick jetzt hier dritter Elasse und bin so oft mit ihm in der ersten gefahren. Und die kleine Gage da drüben . . sie reicht nur zu dem kläglichsten Kattunfetzcn aus . . Komm noch einmal mit heraus . . mir ist, als müßte der Banqieur anwesend sein, er findet mich nur nicht." Während dieses Gesprächs war Lotbar aus einer Droschke gestiegen und wartete ans die Baronin, die, seinem Ratbe folgend, zu Fuß das Hotel verlassen batte und am nächsten Halteplatz in einen Fiaker gestiegen war. Wenn sie nur nickt den Zug versäumte . . das war bei ihrer Lässigkeit eine sehr naheliegende Gesabr. Lotbar stand am Eingang der Absahrtsballe und sah mit ängstlicher Spannung auf jedes berankommende Fuhrwerk. Ans dem einen oder andern stieg eine verschleierte Dame anS; dock es war nickt die Baronin. Ta fühlte er sich plötzlich am Aermel seines Reisc- niantcls ersaßt, den er sich vom Honorar seines „Dynamit" soeben angeschafft und der ihm »ach seiner Ansicht ein echt
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